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Die Gänge lagen vor ihm mit der nervtötenden Penetranz abgegriffener Klischees: Aus grauen Kacheln zusammengesetzt folgte der Bau einem stets gleichen, quadratischen Muster und jedes Muster beherbergte Räume, vier an der Zahl, die sich nicht voneinander unterschieden. Man hatte versucht die Eintönigkeit der Gänge mit Motivationspostern und Stuhlgruppen aufzubrechen um dem suchenden Auge wenigstens einen anderen Halt als die Nummerierungen von Räumen und Gängen zu geben. Motivationsposter! Abgenutzte Phrasen, die einen zu Leistung oder Teamarbeit auffordern wollten. Worthülsen die, einer gefundenen Bombe gleich, eine erhitzte Diskussion zum explodieren gebracht hätten. Und obwohl durch vereinzelte Fenster das Licht der nahen Dämmerung einfiel, schienen die grauen Wände es wie Schwämme aufzusaugen und als stumpfen Nebel monotoner Langeweile wieder auszuspucken.

Der ganze Ort schien wie aus einem klebrigen Material gemacht und selbst als er jetzt hier einstieg, durch das nach Osten gewandte Fenster, hatte er das Gefühl darin versinken zu müssen, als ob er sich knietief watend durch einen Sumpf den Weg bahnen wollte. Er hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen und ein Rucksack ruhte auf seinem Rücken, die Kleidung war dunkel gehalten, aber nicht schwarz, denn er hatte einmal gehört das schwarz eine furchtbare Tarnfarbe abgab. Und man sah der ungelenken Bewegung mit der er sich durch das offene Fenster schwang an, dass er ein Berufseinsteiger, aber kein Berufs-Einsteiger war: Die Knie knirschten protestierend ob der ungewohnten Belastung und die Muskeln zogen sich ächzend zusammen und streckten sich nicht minder unbegeistert, als er seinen nur mäßig trainierten Stadtkörper durch den provisorischen Eingang schob.

Aber dann war er drinnen, angekommen. Er atmete tief durch, lauschte dem pochenden Herzen bis es langsam stotternd zur Ruhe kam und sah sich dann in den trostlosen Gängen um: Der Geruch längst vergangenen Kaffees und schwarzer Druckertinte hing in der Luft und war der einzige Beweis dafür, dass diese Gänge sonst mit Leben erfüllt waren. Gut. Er lächelte fast, zog eine kleine Taschenlampe aus dem Rucksack und schaltete sie ein. Nur die Feuermelder überwachten sein Tun und blinkten alle paar Sekunden im Gleichklang rot auf, störten sich nicht an dem Eindringling. Bedacht, aber nicht schleichend, setzte er nun einen Fuß vor den anderen und rief sich die Gänge wieder ins Gedächtnis, die er schon tausend Mal gegangen war. Es war fast, wie ins eigene Haus einbrechen, dachte er und bog einmal zur linken ab. Dennoch – die Gänge schienen in ihrer Verlassenheit beunruhigend unwirklich. Nur rasch fertig werden, dann würde er verschwinden. Er bog erst um eine Ecke, dann um noch eine und sein nervös klopfendes Herz übertönte fast den Klang der eigenen Schritte. War da ein Schatten? Konnte man den Schein der Taschenlampe von der Straße aus sehen? Fremde Schritte? Sicherheitsleute? Der Hausmeister der mit seinen Schlüsseln klimperte, nicht wissend das er nicht der Einzige in dem scheinbar verlassenen Gebäude war?

Unser Dieb hielt neben einer Tür inne, der zitternde Kegel seiner Taschenlampe verriet die Nervosität der er anheimgefallen war. Die freie Hand schlich sich zur Klinke, legte sich darauf, dann folgte die zweite, klemmte die Taschenlampe zwischen beiden Händen ein. Ganz vorsichtig jetzt. Nur keinen Lärm machen. Die Klinke glitt hinunter und mit einem befreienden Stoß öffnete er die Tür. Ein Quietschen selbiger, er zuckte zusammen. Egal! Egal! Rasch jetzt.
Er schob sich in den Raum hinein und sofort fanden seine Auge den Schrank, den er gesucht hatte. Waren das Schritte auf dem Gang oder rüttelte es in dem Schrank selber? Mit zwei langen Schritten hatte er den Raum durchquert und beugte sich herunter, in der Hosentasche fand er den passenden Schlüssel und keinen Herzschlag später öffneten sich die Türen.

Jetzt konnte er tatsächlich Schritte hören, kein Zweifel mehr – er musste sich beeilen. Und da breiteten sie sich auch schon vor ihm aus in ihrer individuellen Pracht: Kleine, große, dicke, dünne. Einer mit einem Schnauzbart und sogar einer mit Melone auf dem Kopf. Soviel Lebenszeit, die in den Mühlen menschlicher Bürokratie gefangen wurde! Aber jetzt nicht mehr. Er öffnete den Rucksack und noch bevor die Schritte ihm wirklich nahe kamen, waren sie alle in den Rucksack gesprungen und er hatte seine ganz persönliche Lebenszeit in den Arm genommen. Mit Käppchen und einem verschmitztem Grinsen, das prompt auf seine Lippen zurück kehrte.

Und dann lief er, all die Lebenszeit im Gepäck, floh, bis die Schritte hinter ihm verhallten und verstummten. Durch die Gänge, vorbei an den Postern, die Stuhlgruppe hinter sich lassend und mit viel Schwung durch das Fenster wieder hinaus in eine nasskalte Freiheit.
Diebstahl – geglückt. Er lachte und öffnete den Rucksack, um sie alle hinaus zu lassen. Sie wussten schon, zu wem sie gehörten.
Seine Taschenlampe erlosch.

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Tag der Veröffentlichung: 29.12.2010

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