Mit einem Ausatmen schmiegte Swen sich tiefer in den Sessel. Dann lehnte er sich vor, nahm die große Tasse vom Tisch und umfasste sie mit beiden Händen. Der Duft von frisch gerösteten Kaffee strömte in seine Nase, während die Wärme über die Finger in seinen Körper floss.
Der beste Teil des vierundzwanzig Stunden Dienstes im Krankenhaus war eindeutig: der Ausklang in seinem Lieblingscafé. Morgens Kaffee und Zimtschnecken im Cinnamon und am Abend ein Date mit einem heißen Kerl. Das perfekte Programm für das erste freie Wochenende seit Monaten. Die Vorfreude zauberte ein kleines Lächeln auf seine Lippen.
An diesem Samstagmorgen herrschte Hochbetrieb im Cinnamon. Nur gut, dass er sich mit dem Rücken zum Gastraum gesetzt hatte. Gäste schwatzten, unter Quietschen wurden Stühle verschoben, eine Frau lachte laut. Aber Swen konzentrierte sich auf die beweglichen Bilder, die über die Wand flackerten.
Entspannt streckte er die Beine aus und legte den Kopf weiter in den Nacken. Die Erschöpfung ließ seine Glieder schwer werden. Unter halb geöffneten Augen betrachtete er die bunten Planeten, die wie aus dem Nichts auf der Wand auftauchten und verschwanden. Hier und da war ein Raumschiff erkennbar, das sich langsam seinen Weg bahnte. Der Projektor an der Decke surrte leise zu den Bildern, die er wiedergab. Swen verlor sich in dem Anblick, verfolgte einen leuchtend roten Saturn, dessen Ringe sich immer weiter ausdehnten, bis sie schließlich nicht mehr zu sehen waren.
Da öffnete sich die Tür des Cafés geräuschvoll und ein Schwall kalte Luft drang aus der Januarkälte herein. Doch kühle Luft verlor sich schnell im überhitzten Gastraum.
Etwas Nasses berührte Swens Hand und ließ ihn zusammenzucken. Irritiert drehte er den Kopf. Dann atmete er erleichtert aus. Neben seinem Sessel stand Liwi, die braune Hundedame die zu Nick, dem Besitzer des Cinnamon gehörte. Wieder stieß sie ihn mit ihrer feuchten Nase an, hechelte und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Prüfend hob Swen den Kopf. Liwi war heute also mit Nicks Freund Marius unterwegs.
„Hallo ihr zwei Hübschen“, sagte Swen erfreut und streichelte dem Hund über den Kopf.
„Hallo, Doktor Hollywood“, erwiderte Marius und schälte sich aus seinem dicken Parker. Dann zupfte er die zu Eis gewordenen Schneeklumpen aus dem Kunstpelz. „Kommst du vom Dienst?“
Swen bildete mit Zeige- und Mittelfinger ein V für das Siegeszeichen.
„Yeah!“, rief er halblaut. „Ich hatte nämlich den besten Dienst, den du als Assistenzarzt haben kannst! Freitagsdienst! Der Rest des Wochenendes gehört mir!“
„Und du hast wohl Großes vor?“, fragte Marius und legte den Parka über die Lehne des einzigen Stuhls am Tisch und setzte sich gegenüber auf den Sessel.
Swen nickte und konnte das nächste Grinsen nicht unterdrücken. „Leandro!“, verkündete er mit einer dramatischen Geste.
„Aha“ Marius nickte und zeigte sich unbeeindruckt.
„Mehr – Aha!“, erklärte Swen. „Er ist das perfekte Date, passend für ein wunderbares Wochenende.“
„Das klingt ja ganz bezaubernd“, bestätigte Marius und verdrehte die Augen.
„Ach, ihr gebundenen Männer habt doch keine Ahnung, wie ein gutes Wochenende aussieht“, bemerkte Swen mit gespieltem Tadel. „Leandro ist Chef-Vertreter einer Sexshop-Kette. Der Typ ist heiß, besitzt immer die neusten Toys und ist nur alle drei Monate in der Stadt.“
„Wirklich aufregend“, erwiderte Marius mit einem hintergründigen Grinsen. „Sag mal, wie geht’s dir eigentlich?“
Swen stutzte. Wie oft stellte er diese Frage am Tag? Aber natürlich fragte kein Patient, wie es dem Arzt ginge. Er zuckte mit den Schultern.
„Gut“, sagte er spontan.
„Ja?“, fragte Marius skeptisch. „Du kommst mir ein wenig müde vor?“
„Müdigkeit ist ein Fremdwort für Assistenzärzte! Ich hab immerhin vier Stunden Schlaf bekommen“, erwiderte Swen grinsend. „Obwohl um ein Uhr in der Nacht noch ein Schlaganfall reingekommen ist. Die Neurologie – immer ein lustiges Fachgebiet.“ Für einen Augenblick studierte Swen Marius Gesicht. „Wir haben dieses Gespräch schon mal geführt“, sagte er nachdenklich.
Marius nickte. Jetzt zeigte sich ein Lächeln auf seinen Lippen. „Vor etwas mehr als einem Jahr saß ich dort auf deinem Platz.“ Er zeigte mit dem Kinn auf Swen. „Und es ging mir so mies. Damals warst du für mich da.“ Sein Lächeln wurde breiter. „Du und Nick.“
„Dass du für Nick das Ufer wechselst, war eine ziemliche Überraschung.“ Swen nahm einen Schluck und ließ den köstlichen Kaffee über seine Zunge fließen. Der herbe Geschmack weckte ein paar Lebensgeister auf.
„Die beste Überraschung meines Lebens“, murmelte Marius selbstvergessen und streichelte Liwi, die sich neben seinen Sessel gelegt hatte. „Ich bin als einsamer, depressiver Mann in dieses Café gekommen und habe die Liebe gefunden. Und heute habe ich eine Familie, eine Aufgabe. Das wünsche ich dir auch.“
Swens Magen krampfte sich zusammen. Schnell winkte er ab.
„Wünsch mir lieber einen heißen Abend mit Leandro“, sagte er. „Ich will unbedingt einer dieser Ärzte werden, die mit fünfzig im Cabrio vorfahren, um ihre Gelegenheitslover zu beeindrucken.“ Dumpf schallte das Geräusch seines eigenen Lachens über einen alten Schmerz.
Marius schluckte. Dann neigte er den Kopf zur Seite und sah Swen eindringlich in die Augen. „Wirklich“, fragte er ernst.
Hastig trank Swen noch einen Schluck, wollte nicken. Doch da hob Marius schon die Hand und winkte jemandem zu, der sich hinter ihnen an den Tisch setzte. Beide Sessel wurden geräuschvoll verrückt. Plötzlich rieb Marius nervös die Finger gegeneinander.
„Alles okay?“, fragte Swen besorgt.
Da beugte Marius sich über den Tisch und flüsterte. „Dreh dich nicht um! Hinter dir sitzen Katalin und ihr Bruder“ Er zog die Luft scharf ein und atmete aus. „Jonas.“
„M... Mein Jonas?“, stotterte Swen.
Das Blut schien plötzlich aus unsichtbaren Wunden aus seinem Körper zu tropfen. Eisige Kälte stieg in ihm auf, ließ seine Glieder steif werden. Mein? Dieses Wort hatte damals nicht gestimmt und heute klang es einfach falsch!
Marius nickte, die Lippen fest zusammengepresst. „Kein Zweifel. Das ist dein Ex. Und ich denke, das ist seine Schwester. Ich kenne sie ja nur als Kind. Sie hat mir jedenfalls gerade zugenickt.“ Für einen Augenblick schwiegen sie sich an. „Ihr habt keinen Kontakt mehr, oder?“, flüsterte Marius.
Wie ferngesteuert schüttelte Swen den Kopf. „Wir haben seit fast neun Jahren nicht miteinander gesprochen.“
Was, wenn Marius sich irrte und hinter ihm saß nicht sein Ex und dessen Schwester? Wenn dort stattdessen Jonas mit seiner Freundin saß? Der war doch sicher mit einer Frau zusammen!
Die Verletzung auf seiner Seele pochte heftig. Inzwischen spürte er den Schmerz nur noch selten, manchmal Wochen lang nicht. Doch jetzt verstärkte er sich mit jeder Sekunde. Swen krampfte die Finger einer Hand zur Faust. Verdammt! Warum musste das an seinem perfekten Wochenende passieren? Und Marius kannte nur Bruchstücke der Geschichte, hatte keine Ahnung, was wirklich vorgefallen war.
„Schon gut“, sagte Swen leise, mehr zu sich selbst. Er streckte die Finger aus, betrachtete das Zittern. Er musste sich beruhigen! „Alles gut!“, wiederholte er.
Fast unmerklich schüttelte Marius den Kopf. „So sieht es aber nicht aus“, sagte er mitfühlend.
„Es ist nichts“, versuchte Swen abzulenken. Raus! Er musste hier raus und das sofort. Wenn er nur schnell genug war, brauchte er Jonas nicht einmal anzusehen. Sein steifer Nacken wollte sich nicht bewegen.
„Kannst du Rock oder Nick irgendwo sehen?“, fragte er. „Ich will zahlen.“
Marius sah sich um. „Rock steht hinter der Bar und befüllt Tassen. Und da kommt Nick aus der Küche.“ Er winkte seinem Freund zu. „Er kommt gleich“, sagte er mit einem besorgten Tonfall. „Liefert nur noch die Frühstücksplatte ab.“
„Ich will ihn nicht sehen!“, murmelte Swen abwesend.
Aber Marius nickte. Offensichtlich hatte er verstanden, wer gemeint war.
„Die Damen wollen zahlen?“, scherzte Nick plötzlich neben ihnen. „Aber diese hier gehört zum Haus“, fügte er an und beugte sich zu Liwi. „Und den Herrn dazu nehme ich auch.“ Er straffte den Oberkörper und grinste. Einen Augenblick später verfinsterte sich sein Gesicht. „Was ist passiert?“, fragte er in einer Stimmlage, die tiefer war, als seine Café-Stimme.
Marius winkte ihn näher und Nick neigte den Kopf so, dass sein Freund ihm etwas zuflüstern konnte.
„Okay“ Nick zog sein Portemonnaie hervor. „Drei Euro, Darling“, sagte er verständnisvoll zu Swen. „Die Zimtschnecken gehen aufs Haus.“
Mit klammen Fingern kramte Swen nach dem Geld und legte es auf den Tisch. „Danke“, erwiderte er knapp.
Da beugte Nick sich zu ihm. „Die beiden waren diese Woche schon zwei Mal hier.“
Ein bitteres Lachen quälte sich aus Swen heraus. „Super! Jetzt muss ich mir ein neues Lieblingscafé suchen.“, entgegnete er in einer normalen Lautstärke.
Eilig stand er auf. Mit pochendem Herzen griff er nach seinem Mantel und zog ihn an. Den Blick ließ er stur auf die Projektion gerichtet. Und jetzt nichts wie raus hier! Leandro würde schon dafür sorgen, dass er diese Fast-Begegnung schnell vergessen konnte! Schwungvoll drehte er sich um, setzte einen Fuß vor, die Tür im Blick.
„Swen?“, fragte da eine weibliche Stimme.
Für einen Moment hielt er inne, zog den anderen Fuß nicht nach. Als hätte jemand einen Zauberspruch über das Café gelegt, schien die Zeit anzuhalten. Gleich würde sie weiterlaufen und er mit ihr!
„Hallo Katalin“, hörte er sich stattdessen sagen und drehte den Kopf.
Dort am Nebentisch saß eine schlanke Frau Mitte zwanzig und sah ihn mit einem unlesbaren Gesichtsausdruck an. Ihr dunkles Haar trug sie lang und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihr hübsches Gesicht war geschminkt und der braune Cordrock, den sie über Wollstrumpfhosen trug, ließ ihre Knie frei. Alles wirkte teuer und hochwertig. Diese Frau war also aus dem Mädchen von damals geworden? Ihre Augenfarbe verriet die Familienzugehörigkeit.
Jeder Muskel in seinem Körper verkrampfte. Und doch reichte sein Blickfeld aus. Er konnte den jungen Mann am Tisch sehen. Mehr noch. Er stand so nah neben Jonas, dass er ihn riechen konnte. Versteckt unter einem herben Duschseifenduft lag etwas, das ihm so vertraut wie sein eigener Geruch war.
„Hi“, sagte er und doch fühlte es sich an, als würde er neben sich stehen und sich beobachten. „Jonas“, fügte er mit trockener Kehle an.
Warum konnte er nicht einfach weitergehen? Welcher Dämon war in ihn gefahren, dass er mit diesem Menschen sprach?
Jetzt drehte der junge Mann den Kopf. Das dunkle Haar war modisch geschnitten, sein Gesicht wirkte um wenige Jahre gereift. Heiße und kalte Schauer liefen gleichzeitig über Swens Rücken. Diese blauen Augen kannte er! Die gleichen hatten ihn einmal mit Liebe und Zuneigung angesehen. Nun, jedenfalls hatte er sich das damals eingebildet.
Swen biss die Zähne so fest zusammen, dass sein Kiefer schmerzte. Er suchte nach dem Schreck in den Augen des anderen Mannes, nach der Abscheu. Würde der gleich aufspringen, vielleicht noch vor ihm aus dem Café stürmen? Aber in dem vertrauten Blick lag kein Hass, keine Wut und kein Anzeichen von Erkennen.
„Hallo“, erwiderte Jonas leise und fast klang es wie eine Frage.
Ein Muskel in Swens Oberarm zuckte. Diese dunkle Stimme mit dem sonoren Klang hätte er unter tausenden herausgehört. Und doch schwang etwas Neues mit. Ratlosigkeit!
Kurz schloss Katalin die Augen, ihre Mimik verzerrte sich zu einem schmerzhaften Ausdruck. Einen Augenblick später atmete sie durch.
„Swen hat die gleiche Schule wie wir besucht. Und ihr wart im gleichen Jahrgang“, erklärte sie geduldig.
Jonas legte den Kopf leicht zurück. Aufmerksam sah er nach oben, suchte Swens Gesicht ab. Dabei verzog er den Mund zu einem mechanischen Lächeln. Etwas flackerte durch seinen Blick, eine Ahnung, vielleicht eine Idee. Aber dann lehnte er sich wieder zurück gegen die Polster und sein Blick wanderte hinaus aus dem Fenster.
„Was zur Hölle soll das Theater?“, presste Swen hervor. „Wenn du mich nicht mehr kennen willst, ignorier mich einfach!“
Die Worte sprudelten über seine Verwirrung aus ihm heraus.
Jonas zuckte zusammen und zog die Schultern nach oben. Mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und Abwehr starrte er Swen an. Er umfasste vier Finger einer Hand mit der anderen und drückte fest zu. Oh verflucht! Diese Geste machte er seit seiner Kindheit, wenn ihn etwas irritierte und er einen Gefühlsausbruch unterdrücken wollte.
„Kat?“, fragte Swen verstört.
Sie stand auf, strich sich nervös über den Rock und zeigte auf die Eingangstür.
„Können wir kurz reden?“, fragte sie mit flehendem Blick.
Swen schnaufte in den Gefühlssturm, der in ihm tobte.
„Kurz“, hörte er sich sagen. „Ganz kurz!“
Dankbar blinzelte Kat. Dann beugte sie sich zu Jonas.
„Ich bin gleich zurück“, raunte sie ihrem Bruder zu.
Der nickte, aber sein Blick haftete wieder auf Swen. Ohne Mantel eilte Kat zur Tür hinaus. Kopfschüttelnd folgte Swen ihr. Nur noch einen Augenblick! Dann würde die Vergangenheit wieder ruhen!
„Ich ... ich wollte … “, begann Kat stockend. Sie schlang die Arme um den Körper und zitterte vor Kälte. „Ich wollte mit dir sprechen. Aber ich habe keine Kontaktdaten von dir. Nur dein Krankenhaus hatte ich schon ausfindig gemacht.“
Überrascht nahm Swen die Schultern zurück. Die Kälte drang durch seinen Mantel, zwängte sich in seine Knochen. Er und diese junge Frau hatten sich nie besonders nah gestanden. Damals hatte er sie nur als mürrischen Teenager wahrgenommen.
„Willst du mir etwas sagen, oder hier draußen anfrieren?“ Swen rieb die Hände gegeneinander, aber es wollte keine Wärme entstehen.
„Dann hast du es also nicht gehört?“, fragte sie vorsichtig.
„Was soll ich gehört haben?“, gab er ungehalten zurück.
„Dass Jonas einen Unfall hatte“, sagte sie. „Letztes Jahr Anfang November. Da war er für ein paar Stunden verschwunden.“
„Verschwunden?“ fragte Swen verwirrt.
Er sollte wirklich gehen! Diese Geschichte klang merkwürdiger, als vieles, das er auf der Neurologie zu hören bekam.
Kat nickte. „Es war am Geburtstag meines Vaters und er wollte wohl nur kurz Luft schnappen. Sie atmete tief ein und aus. „Und dann kam er nicht wieder. Ein Jogger hat ihn schließlich im Park am Fluss gefunden.“ Tränen stiegen in ihren Augen auf, liefen über ihre geröteten Wangen. „Sein Portemonnaie steckte in der Hosentasche. So konnten sie ihn identifizieren. Er ... er wusste nicht mehr, wer er ist. Und nicht wer wir sind.“
„Er hatte eine Amnesie von dem Sturz?“, fragte Swen und schaltete in den Mediziner Modus. Kats Worte überschlugen sich in seinem Kopf, ergaben keinen Sinn. Er musste unbedingt die Distanz wahren!
Erneut nickte sie. „Eine biographische, sagt sein Therapeut“, erklärte sie leise. „Er erkennt niemanden mehr. Unsere Eltern, seine Lehrerkollegen und ich: wir sind fremde Menschen für ihn.“
„Hatte er einen Schlaganfall? Oder ein Schädel-Hirn-Trauma? Krampfanfall?“, fragte der Arzt in Swen.
„Wurde alles abgeklärt. Er hatte ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma und eine Unterkühlung. Sonst nichts!“, erwiderte Kat und Ratlosigkeit begleitete ihre Worte. „Man merkt ihm kaum etwas an. Er spricht normal und er kann lesen und schreiben, sogar komplizierte mathematische Formeln lösen. Er weiß, in welchem Land er wohnt und hat noch alle Schulkenntnisse. Aber wer er selbst ist und wohin er gehört – das weiß er nicht mehr.“
Ihre Unterlippe lief langsam blau an.
„Eine dissoziative Amnesie? Meist ausgelöst durch ein Trauma oder dessen Folgen“, sagte er die Sätze des Lehrbuchs auf.
Sie wollten einfach nicht zu seiner Wut auf Jonas passen, nicht zu dem schwarzen Loch, dass der in seiner Seele hinterlassen hatte. Aber auch davon wusste Jonas nichts mehr! Schlagartig begriff Swen.
„Und was willst du von mir?“, fragte er, erschlagen von den Informationen.
„Swen“, raunte sie mit tränenerstickter Stimme. „Ich schaffe das nicht mehr!“ Sie trat an ihn heran und schob ihre eisigen Finger in seine Hand. „Bitte hilf mir!“ Dann schüttelte sie den Kopf. „Hilf ihm! Meine Eltern wollen die Betreuung für ihn übernehmen. Der Prozess ist schon angestoßen. Und sie wollen ihn in eine Einrichtung abschieben, für den Fall, dass er seine Erinnerungen nicht wiederfindet. Meine Mutter will das jedenfalls!“
Swen zog seine Hand zurück und steckte sie in die Manteltasche. Wieso musste Kat überhaupt etwas schaffen? Wollte sie nicht immer zum Studium nach Berlin ziehen, weit weg von hier? Das sollte ihn alles nicht interessieren!
Ich lasse dich niemals allein. Niemals!, flüsterte seine eigene Stimme aus der Vergangenheit. Und sie raunte die Worte in Jonas Ohr.
„Ich habe meine Versprechen gehalten“, sagte er und blickte an Kat vorbei, die Straße hinunter. „Er hat seine gebrochen. Und jetzt kann ich nichts mehr für ihn tun.“ Er trat einen Schritt zurück. „Ihr müsst euch einen anderen Arzt suchen!“
Entschlossen lief er an Kat vorbei. Das Wasser einer Pfütze spritzte unter seinen Schuhen auf.
„Swen!“, rief sie ihm hinterher. „Warte!“
Tag der Veröffentlichung: 18.01.2019
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