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Kapitel 1

 

Nur diese eine Nacht! Sanft strich der Fahrtwind durch Benns Haar, trug einige Sandkörner aus der Wüste zu ihm hinauf. Unter einem leisen Knirschen streifte der Sand seine Lederjacke und bürstete über seine Schutzbrille. Er umfasste die Griffe des Jet-Bikes fester und neigte den Kopf. Zwischen seinen Schenkeln vibrierte die Maschine leicht, erinnerte ihn an sein Ziel. Die Lust pochte wie ein Auftrag in seiner Körpermitte und trieb ihn weiter, weg von seinem ruhigen Leben in den Bergen. Nur eine Nacht!
Benn presste die Lippen fest zusammen, während er sich dem Lichtermeer von Flame-City näherte. Dann passierte er das riesige, schwebende Schild, das den Namen der Hauptstadt des Planeten Tamaran anzeigte. Immerzu rotierte es um seine eigene Achse, künstliche Flammen züngelten an allen Seiten daran empor.
Er verlangsamte die Maschine, glitt gemächlich hinab und zog die Luft tief ein. Unwillkürlich beschleunigte sich sein Herzschlag. Nein, er wollte nicht dem eigenartigen Sog von dieser Stadt erliegen, aber auch dieses Mal fesselte ihn der Anblick.
Flame breitete sich im Krater eines erloschenen Vulkans aus und war schon bei Tag beeindruckend. Aber das gigantische Lichterspektakel der Kasinos, Clubs und Hotels, die bunt leuchtenden Kapseln, die Gäste lautlos von einem Vergnügungsviertel zum anderen transportierten, die riesigen Hologramme, die weit über die Dächer hinausragten – ja, es war der Zauber der Nacht, der dieser Stadt eine ebenso laute wie aufdringliche Schönheit verlieh.
Und über allem lag ein Geruchsteppich aus den Speisen, die in den Restaurants angeboten wurden, dem teuersten sowie dem billigsten Alkohol, den man in beiden Systemen beschaffen konnte. Darunter mischten sich die kostbaren Düfte, mit denen die Bewohner die Tatsache überdecken wollten, dass ihre Stadt nichts weiter als ein riesiges Freudenhaus war. Es existierte kein Laster, keine Gier und keine Sehnsucht, die man in Flame nicht befriedigen konnte, da war Benn sich ganz sicher.
Er seufzte, senkte das Jet-Bike weiter ab und rümpfte die Nase. Ein beißender Gestank mischte sich unter den allgegenwärtigen Geruch und kündigte Blacksun, das schwarze Viertel von Flame-City an. Das dumpfe Gefühl in Bens Magen breitete sich aus, schob sich als Beklemmung weiter nach oben, bis in seine Brust. Kein normaler Gast besuchte diese Gegend jemals.
Denn am Tag wurde Blacksun von den Drogendealern der Onix-Bande beherrscht und in der Nacht konnte man hier den billigsten Sex von Flame kaufen, zusammen mit gepanschtem Alkohol. Und wenn der Wind aus Westen wehte, zogen die giftigen Dämpfe der nahen Müllhalde durch die Straßen mit den heruntergekommenen Häusern und den Keller-Clubs.
Im stinkenden Westwind steuerte Benn das Bike in Richtung der Hauptstraße, setzte gekonnt auf und brauste weiter. Der Gedanke an die Ruhe unter den Sternen in Green Haven tanzte durch seinen Kopf. Aber der verdammte Hunger pochte unaufhörlich in seiner Körpermitte. Diese eine Sucht war ihm geblieben. Dieses brennende Verlangen nach fremder Haut und zumindest einmal im Jahr musste er es stillen.
Er schnaufte und fuhr langsamer. Dort, am Ende der Hauptstraße, im Keller eines verwahrlosten Häuserkomplexes lag sein Ziel! In dieser Höhle voller hungriger Männer, gierig wie Sandlöwen auf der Jagd. Schweiß, Musik und Lust, die er schon von der Straße aus riechen konnte. Er parkte vor dem breiten Komplex und sicherte sein Jet-Bike.
Unter einem leisen Seufzen ergab Benn sich dem Hunger, der in ihm tobte. Fremde Haut, Berührungen, den einen Höhepunkt im Solarjahr, den er nicht alleine erleben würde – er konnte sich dem Drang einfach nicht widersetzen.
Ja, morgen würde er wieder auf der Wiese vor seiner Blechhütte liegen und in den Himmel schauen. Ruhig und allein. Aber heute brauchte er einen fremden Körper, Hände die über seine Haut glitten. Heute brauchte er Sex!
Mit einem bitteren Lächeln öffnete er den Reißverschluss seiner Lederjacke. Der Ausschnitt des weißen Shirts reichte bis über seine Nippel. Benn straffte sich und schritt mit ruhigem Gang in Richtung Eingang.

„Hey schöner Mann, lange nicht gesehen“, flötete der bullige Türsteher.
Wie war noch gleich sein Name? Mit verschränkten Armen lehnte der Mann vor der Gleittür und sah Benn mit einem süffisanten Grinsen in die Augen. Ein junges Paar rannte an ihm vorbei und prustete los. Ihr Lachen war noch im Gang zu hören, der zum Aufzug führte. Der Türsteher rollte mit den Augen.
„Die Jungs werden immer frecher!“, schnaufte er verächtlich. Dann zuckte er mit den Schultern. „Was solls, sie checken die beiden unten schon auf Waffen. Keine Solarshouter, Schöner! Das weißt du doch noch?“
Benn nickte und bemühte sich um ein Lächeln. Tschou! Der Bulle hieß Tschou, da war er sich fast sicher.
„Wie könnte ich das vergessen“, sagte Benn. „Du erzählst es mir doch seit drei Jahren. Und wie jedes Mal – ich besitze nicht mal eine Waffe, die ich mitbringen könnte!“
Tschou zog eine Grimasse und musterte Benn nachdenklich. „Erinnere mich“, murmelte er skeptisch. „Komisch. Ein heißer Kerl wie du und behauptet er trägt keine Waffen auf Tamaran.“
Benn straffte sich ein wenig mehr. „Zumindest keine, die ich ablegen könnte“, sagte er und sah Tschou auffordernd an.
Der neigte seinen rasierten Kopf vor, hob die Hand und zeigte mit dem Daumen in Richtung des Aufzugs. Dann raunte er nahe an Benns Ohr:
„Geh nur runter. Muskeljungs mit heißen Körpern sind hier sehr gefragt. Ich komme später und checke deine Waffen.“ Beiläufig drückte Tschou ihm einen kleinen, runden Chip in die Hand.
Benn musste ein Schulterzucken unterdrücken. Dann nickte er zustimmend, steckte eine Hand in die Tasche seiner Lederhose und schlenderte zum Aufzug. Lässig hielt er den Chip gegen das Lesegerät und wenig später öffnete sich die Tür. Er trat ein, betätigte den gleichen Mechanismus im Inneren. Dort vermischte sich der Geruch von Schweiß und Sperma mit dem von Urin. Angewidert hielt Benn einen Arm vor Mund und Nase. Doch da stoppte der Aufzug schon, die Tür öffnete sich und gab den Blick auf das Brothers frei.

Benn trat hinaus. Seine Schritte hallten auf dem blanken Betonboden des Eingangsbereichs. Stickig war die Luft in dem gigantischen Club, erfüllt von der Lust und dem Schweiß der tanzenden Männer. Benn fühlte das Bedauern in sich aufsteigen, und eine unsichtbare Hand presste sich gegen seine Lunge, erschwerte ihm das Atmen. Nein, er wollte nicht hier sein, nicht nach etwas suchen, was in einem flüchtigen Moment vorüber war. Und doch kam er ein oder zwei Mal im Solarjahr hier her, um genau das zu tun. Er schluckte trocken und sah sich um.

Die Wände bestanden aus einem schwarz-glänzenden Metall, über das unentwegt silberne und goldene Lichter flackerten. Eine seltsam sphärische Musik mit Bassklängen dröhnte durch die Halle. Die Jungs, die ihn gerade am Eingang passiert hatten, standen eng umschlungen in der Nähe der Kasse und pressten die Lippen in einem leidenschaftlichen Kuss aufeinander.
Neid stieg in Ben auf, brachte Wünsche mit, die er vor langer Zeit begraben hatte. Er schüttelte den Kopf über sich, zog einen Credit Chip aus der Hosentasche und zahlte den überteuerten Eintritt an dem rostigen Automaten.
„Reicht es echt nicht? Auch nicht, wenn wir zusammenlegen?“, hörte er einen der dünnen Jungs fragen. Sein Oberkörper war mit bunten Zeichen bemalt, seine Beine steckten in einer hautengen weißen Hose.
Bedauernd schüttelte sein Freund den Kopf. „Nee, reicht nicht. Wir bleiben einfach hier und amüsieren uns. Ist doch laut genug.“
„Mann, ich wollte so gerne tanzen“, sagte der Kleine und schmiegte den Kopf an die Schulter seines Freundes.
Benn lachte kurz, zeigte mit dem Kinn auf die beiden und hielt seinen Credit Chip nach oben. „Lass ihn gefälligst tanzen, wenn er will!“, sagte er mit gespieltem Ernst.
„Ehrlich?“, fragte der Kleiner und grinste erfreut.
„Keinen Dreier!“, rief der Größere ihm skeptisch zu.
„Wieso nicht?“, fragte sein Freund überrascht. „Der ist doch total heiß! Hast du die grünen Augen von dem gesehen? Und die Muskeln?“
„Deshalb!“, antwortete der Größerer.
Benn winkte ab. „Junges Gemüse ist nicht nach meinem Geschmack! Ist ein Geschenk“, erklärte er gelassen und drehte den Chip durch seine Finger.
Er hatte doch ohnehin kaum Verwendung für die wenigen Credits, die er mit seiner Ernte verdiente. Diese Jungs hatten damit einen schönen Abend und, anders als er, würden sie nicht alleine nach Hause gehen.
Der Große zuckte mit den Schultern und nahm seinen Freund an der Hand. Benn zahlte und die beiden sprangen förmlich an ihm vorbei ins Innere des Clubs. Mit einem Lächeln sah er ihnen nach, wie sie in der Masse verschwanden.
Dann begann er die Tanzfläche mit bedächtigen Schritten zu umrunden. Gierig ließ er seinen Blick über die Feiernden schweifen. Die aufsteigende Lust entfachte ein Feuer in seiner Körpermitte und langsam verdrängte er die Bedenken. Oh ja, er sah die anerkennenden Blicke, die ihm folgten. Die Jagd hatte begonnen!

Für einen Augenblick blieb er stehen und blickte in das Meer der Tanzenden. Männerkörper, viele von ihnen eingeölt und halb nackt, rieben sich gegeneinander, verschmolzen zu einer stöhnenden Masse Lust. Zwei muskulöse Männer hatten sich von dem letzten Fetzen Stoff befreit und vögelten ungehemmt mitten im Geschehen, kaum drei Schritte von Benn entfernt. In der aktuellen Mode von Flame glänzten ihre haarlosen Schädel in den Lichtkegeln. Einer hatte den anderen an der Hüfte gefasst und stieß immer wieder rhythmisch in seinen Partner.
Benns Mitte zuckte. Das war es, was er jetzt brauchte! Nur für einen kurzen Augenblick, einen Körper, nah an seinem, das Gefühl, sich mit jemanden in Leidenschaft zu verbinden und so tief in ihm zu sein, dass für einen Augenblick jeder Gedanke erlosch. Er atmete schwer und legte eine Hand auf seinen Unterleib. Wo war der Mann, der das Gleiche wollte?
Jemand berührte ihn am Hintern, flüsterte ihm etwas zu, aber die Übersetzer-Chips in seinem Ohr wurden durch die hypnotische Musik gestört. Benn drehte den Kopf – zu spät! Niemand stand hinter ihm. Stattdessen fiel sein Blick auf einen schlanken Jungen, der an einer der Säulen lehnte. Der starrte ihn aus rot unterlaufenen Augen an. Ein Color Candy Junkie! Nein, ein Mann sollte spüren, wie er sich in ihm bewegte. Und dieser Drogensüchtige spürte nur noch seine Sucht, da war Benn sich sicher.
Er schnaufte in seine Erregung, drehte sich ab und bewegte sich von der Tanzfläche weg. Unter die Musik mischten sich Stöhnen und tiefe Lustlaute.
War er etwa zu spät für die Jagd? Links und rechts bedeuteten ihm Paare, dass er willkommen war. Abwehrend schüttelte er den Kopf. Heute brauchte er nur einen Mann, dem er alles geben konnte, was sich in all den Monaten aufgestaut hatte. Und gleich würde er ihn finden, da war Benn sich sicher.

Gedankenverloren betrat er einen der vielen Gänge, die vom Hauptraum abzweigten. Für einen Augenblick verlor er sich in dem grünblauen Lichtspiel, das langsam über die Wände des Ganges wanderte. Blumen, Planeten, Pflanzen bildeten sich und lösten sich bald darauf wieder auf. Gedanken flackerten mit den Figuren durch seinen Kopf. Die Kabinen! Dort finde ich ihn! Er lächelte und schritt weiter.
Räume in unterschiedlicher Größe waren links und rechts zu erkennen, aber am Ende befanden sich Kabinen aus Metall, die immer offenstanden. Abwaschbare Betten standen darin und alles, was man brauchte, um ein paar heiße Augenblicke mit einem Fremden zu erleben.
Plötzlich zuckte er zusammen. Was war das für ein Lärm? Irritiert drehte er den Kopf. Aus einem der Räume drangen Stimmen. So laut tönte der Lärm, dass er sogar die Musik übertönte, die unaufhörlich von den Wänden hallte. Seine Übersetzer-Chips gaben knarrende Töne von sich. Benn klopfte auf die Stelle unter seinem Ohr, wo sie saßen und tatsächlich: Jetzt konnte er verstehen, was gerufen wurde.

„Willst du mich verarschen, du alter Fettsack! Nur weil du hier mit Color Candy um dich wirfst, bist du nicht mein Boss! Fünftausend Credits für so außergewöhnliche Ware! Schau dir mal diesen Körper an! Und er hat goldenes Haar! Sehr selten auf Tamaran! Der ist das Zehnfache wert“, brüllte eine kratzige Stimme erbost.
Benn verengte die Augen zu Schlitzen und blieb vor dem Eingang zu einem der größeren Nebenräume des Clubs stehen. Grelles Licht blendete ihn, er musste für einen Moment die Augen schließen. Dann blinzelte er.
Nur langsam setzte sich das Geschehen zusammen. Benn schluckte trocken, wollte weitergehen. Ich brauche keinen Ärger! Nur die Kabinen! Sex. Nur heute! Er krallte seine Finger zusammen, versuchte, einen Fuß vom Boden zu bekommen, doch er schien dort wie festgefroren zu sein. Ich muss hier weg! Aber er konnte den Blick einfach nicht von dem jungen Mann nehmen, der am Boden kauerte. Er trug nur eine enge, braune Lederhose. Sein Oberkörper war von blauen Flecken übersät. Sie hatten ihm die Augen mit einem roten Schal verbunden, seine Hände waren auf dem Rücken mit ebenso roten Handschellen fixiert. Die Fesseln umgab ein merkwürdiger Lichtschein und der Mann gab keinen Ton von sich. Er kauerte auf den Knien, hatte den Oberkörper nach vorne gebeugt und ließ den Kopf hängen. Benn schluckte hart - er kannte diesen Mann!

Unfähig, sich zu bewegen, verharrte er im Türrahmen. Niemand schien ihn zu bemerken. Wie gebannt starrte Benn den Mann auf dem Boden an. Das war der Fremde, der sich seit einigen Tagen im Tre-Dorf, am Fuße der Berge herumtrieb, daran gab es keinen Zweifel.
Was auch immer der Fremde dort gewollt hatte, aber der Anblick des schönen, großen Mannes, mit dem halblangen blonden Haar, hatte Benn am Morgen ein Lächeln auf die Lippen gezaubert. Sein Herzschlag beschleunigte sich bei dem Gedanken, der sich mit dem erbärmlichen Anblick mischte. Gestern hatte er sich noch an den Rand der Quelle gesetzt und dem Treiben im Dorf eine Weile zu gesehen. Der Fremde hatte sich anmutig und stolz bewegt, wie eine Wildkatze.
„Fünftausend? Für so einen dürren Kerl? Der geht doch kaputt, wenn ich ihn härter rannehme!“, beschwerte sich der Dicke jetzt wieder.
„Ach was! Der ist zäh“, beschwichtigte einer der Händler. „Schau nur mal, wie hübsch der ist!“
Der Wunsch sich auf diese Idioten zu stürzten, tobte in Benn. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
Der schlanke Mann auf dem Boden bewegte sich nicht. Benn presste die Lippen fest zusammen, schluckte erneut. Aber die Wut wollte sich einfach nicht abdrängen lassen. Diese verdammten Dreckskerle! Krampfhaft versuchte er, die Worte abzudrängen, damit er sie bloß nicht aussprechen musste.
Denn in diesem Raum befanden sich sechs kriminelle Kerle! Die Durchsuchung auf Waffen hatten sie mit Sicherheit mit vielen Credits umgangen. Vier der Männer trugen das Zeichen des gehörnten Onix-Drachens auf ihren Oberarmen tätowiert.
Benns rechte Hand zuckte unruhig. Die verdammte Onix-Bande hatte ganz Tamaran unter ihrer Kontrolle. Der dicke Kerl im hautengen Lackanzug war einer der Drogenbarone von Blacksun, Benn hatte ihn ab und zu im Brothers gesehen. Und der andere, ein hager, kleiner Typ war ohne Zweifel ein Beschaffer. Einer, der Unterhaltungsmaterial für die Puffs und Kasinos einkaufte. Übelkeit stieg in Benn auf. Und dann zuckte ein längst vergessener Nerv in ihm.

„Was treibt ihr Idioten da? Tan hat den Sklavenhandel verboten!“, presste er atemlos hervor und kam einen Schritt näher.
Der Dicke verengte die Augen und glotzte Benn überrascht an. Dann verzog er das Gesicht zu einer Grimasse.
„Aber der junge Hauptmann der Onix ist jetzt nicht hier, oder?“, sagte er mit einem süffisanten Grinsen. „Was willst du? Mitbieten? Nur zu. Offensichtlich ist diese Ware mit Ki-Steinen verziert, so teuer wie sie ist. Ich weiß nur nicht, wo die Steine versteckt sein sollen“, fügte er an und lachte schallend. Dann griff er dem Mann auf dem Boden grob ins Haar, riss ihm den Kopf in den Nacken und wandte sich an den Händler der Onix. „Wenn du mich fragst, kannst du froh sein, wenn ich ihn dir abnehme. Der überlebt doch keine Nacht im Puff!“
„Davon bin ich nicht überzeugt“, erwiderte der Hagere spitz und verzog sich in den hinteren Teil des Raumes, wo er lauernd auf das Geschehen starrte.
Plötzlich regte sich etwas in dem Gefangenen. Benn lauschte. War das etwa ein leises Lachen, das gedämpft durch den Knebel zu ihm drang? Verwirrt trat er einige Schritte vor, blickte dem Dicken direkt in die Augen. Dann fiel sein Blick auf den runden Basi-Tisch, den sie in die Ecke gerückt hatten.
Natürlich! Das hier war ein Kasino-Zimmer. Sicher wurde hier um hohe Summen gespielt. Aber er war kein Spieler – schon lange nicht mehr! Nichts in diesem Raum würde den Hunger stillen, der ihn ins Brothers getrieben hatte.
Zufällig streifte seine Hand die Wange des Gefangenen. Warm war die fremde Haut und schroffer, als sie aussah. Benn erahnte Stoppeln, auch wenn sie nicht zu sehen waren. Er sah den stolzen Mann am Tag zuvor vor sich, kühl und würdevoll war er durch das Tre-Dorf geschritten. Aber jetzt kauerte er hier und am Ende der Nacht würde er der Sexsklave eines Widerlings sein, oder würde gleich in einem der Puffs landen. Benns Magen krampfte sich zusammen.
„Was ist jetzt? Bietest du mit? Sonst troll dich!“, blaffte ihn einer der Onix-Leute an, der offensichtlich der Wortführer war. „Was Tan nicht weiß, macht Tan nicht heiß“, ergänzte er mit einem schiefen Grinsen.
„Seit wann betrügen die Onix ihren Hauptmann?“, fragte Benn.
Seine Finger glitten unauffällig über die Schläfen des Gefangenen. Vielleicht konnte er ihn ein wenig beruhigen. Klamm fühlte sich die Haut jetzt an und das Gefühl kroch wie ein Auftrag in Benn.
Der Onix-Mann winkte ab. „Ich hab den hier nahe dem Raumhafen in Green Heaven gefunden. Wer weiß, vielleicht ist er ein Terrorist? Schleicht einfach nachts da herum. Ich tue Tan nur einen Gefallen, wenn ich den aus dem Verkehr ziehe.“ Er spuckte auf den Boden, als würde er damit seinen Worten Nachdruck verleihen wollen. „Immerhin habe ich ihn gefunden, also gehört er mir!“, fügte er abschätzig an.
Benn nickte. „Natürlich!“, log er schnell.
Geschlagen lächelte Benn den Onix-Mann an, dessen Kumpanen hatten sich auf das große Sofa im Raum verdrückt und einen Stift voller Color Candy ausgepackt.
Keine Waffen, kein Alkohol, keine Drogen, keine Gewalt – und kein Basi-Spiel! Nie mehr! Benn dachte an den Schwur, den er vor drei Jahren geleistet hatte. Bisher hatte er ihn einhalten können. Warum sollte er ihn also ausgerechnet jetzt brechen?
Im nächsten Augenblick streifte eine Haarsträhne des Gefangenen über die Außenseite seiner Finger. Benn schloss die Augen für einen Moment und zog die stickige Luft tief in seine Lungen. Wann war dieser Kerl auf dem Boden eigentlich zu seinem Problem geworden? Er schnaufte unruhig. Etwas musste ihm einfallen! Jetzt! Dann öffnete er die Augen wieder und sah den Onix-Mann an.
„Ich will nicht bieten! Ich will um ihn spielen!“, sagte er entschlossen.

Der Mann in der schwarzen Lederweste stutzte. Dann neigte er den Kopf zur Seite und ganz langsam bildete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht. Er zeigte mit den Fingern anerkennend auf Benn und nickte.
„Einverstanden!“, sagte er offensichtlich erfreut über die Gelegenheit. „Aber ich mache die Regeln! Immerhin ist er meine Beute!“
Benn schnaufte in den Wunsch, dem Kerl seine Faust ans Kinn zu knallen. „Deine Beute, dein Spiel, deine Regeln!“, sagte er und hasste jedes Wort.
„Wir spielen Schnell-Basi. Alles oder nichts!“, gab der Onix-Mann grinsend bekannt. „Wenn du gewinnst, gehört er dir. Aber wenn ich gewinne, dann gehört ihr beide mir.“
Der dicke Drogenbaron fächelte sich mit der Hand Luft zu. „Und wen soll ich dann mitnehmen?“, fragte er beleidigt.
Mit einem fiesen Grinsen tätschelte der Onix-Wortfüher ihm den enormen Bauch. „Keine Sorge, Meister. Niemand schlägt mich im Basi! Gleich kannst du den blonden Schönling und den dunkelhaarigen Muskelmann zu deiner Sammlung hinzufügen. Gegen genug Credits, versteht sich.“
Benn kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit, die er schon auf seiner Zunge fühlen konnte. Aus den Augenwinkeln sah er den Beschaffer, der immer noch an einer Wand lehnte, wie ein Aasfresser, der darauf wartete, dass andere für ihn die Arbeit taten. Noch einmal rieb er eine Haarsträhne des gefesselten Mannes zwischen seinen Fingerspitzen und hoffte, nicht bemerkt zu werden.
Mit diesem Kerl hatte er doch noch nicht einmal ein Wort gewechselt. Benn schüttelte unmerklich den Kopf. Nein! Kein Mensch durfte einen anderen besitzen wie einen Gegenstand! Und mit diesem Gedanken wich der letzte Zweifel aus ihm. Sein erstes Basi-Spiel seit drei Jahren und es ging um Leben oder Tod – alle Muskeln in seinem Körper spannten sich an.
„Lasst uns anfangen!“, sagte er mit fester Stimme und zeigte auf den Basi-Tisch.

Kapitel 2

Kapitel 2

 

„Wir müssen nicht spielen“, sagte der Onix-Anführer und schlenderte zu dem Basi-Tisch. Dort betätigte er einen Mechanismus unter der Platte. „Wenn du es so eilig hast, die Freier zu bedienen, dann geh doch gleich mit dem Dicken“, ergänzte er und zeigte mit dem Daumen auf den Drogenbaron.

Kein Wunder, dass sich die Onix-Kerle gerade das Hirn mit Color Candy zerschossen, das hatte der Typ sicher vorher verteilt. Benn schnaufte angewidert. Der runde Tisch schwebte in die Mitte des Raumes und senkte sich. Mit einem benebelten Gesichtsausdruck stellte einer der Schergen zwei Metallstühle auf und verzog sich wieder auf die Couch. Der Anführer zeigte mit einer ausladenden Handbewegung auf einen freien Stuhl.

„Setz dich!“, sagte er in einem gelangweilten Tonfall. „Und genieß es! Es ist dein letztes Spiel!“

Benn nickte, setzte sich und lehnte den Rücken gegen die schmale Stuhllehne. Die Muskeln in seinem Gesicht entspannten sich, sein Ausdruck wurde kühl und nicht zu deuten. Hunderte, nein, tausende von Male hatte er damit seine Gegner in den Wahnsinn getrieben. Die Erinnerung jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken.

Das hier hatte er doch für immer hinter sich gelassen! Die Spiele, die Drogen, den Alkohol, all das gehörte längst nicht mehr zu seinem Leben! Aus den Augenwinkeln sah er den jungen Mann auf dem Boden. Regungslos kauerte der auf dem kalten Beton, wurde von den gierigen Blicken des Dicken verschlungen. Benn blieb ruhig, aber der Zornessturm in ihm tobte wild, drängte mit aller Macht nach draußen.

 

Diese Dummheit tat er nicht nur für den Fremden, so viel war sicher! Gleich spielte er für alle, die auf Tamaran unterdrückt wurden! Und für alle ... Benn schluckte schwer. Für alle, denen er in seinem früheren Leben Leid angetan hatte. Saß er am Ende deshalb an diesem Tisch? Suchte er etwa nach einer Vergebung, die es für ihn niemals geben konnte? Schließlich drang ein vertrautes Surren zu ihm, riss ihn aus dem Strom seiner Gedanken.

Noch glänzte der Basi-Tisch in metallischem Schwarz, doch gerade erhob sich je ein flacher Monitor vor ihm und dem Onix Mann. Wenige Augenblicke später zeigte der kleine Bildschirm sechs Figuren an, die sich drehten. Ihr Rang im Spiel wurde über ihrem Kopf angezeigt. Was für eine schlechte Wahl! Das einzige Ass, befand sich über der schwächsten Figur! Hoffentlich war dies ein faires Spiel! Denn, wenn sein Gegner das Spiel manipuliert hatte ... Nein, er wollte nicht einmal daran denken. In diesem Moment färbten sich seine Figuren schwarz ein.

Benn atmete betont ruhig, streckte seine Beine aus und lehnte lässig einen Arm auf den Tisch. Er darf nicht bemerken, dass ich aufgeregt bin! Er verengte die Augen zu Schlitzen und starrte auf die Auswahl, die ihm angezeigt wurde. In Gedanken ging er noch einmal die Bezeichnungen durch:

Herrscher, Lady, Narr, Forscher und Gnom.

Sein Herzschlag raste davon. Kein Kämpfer! Natürlich! Das Spiel war tatsächlich manipuliert worden! Er schluckte die aufsteigende Angst herunter. Schließlich schickte er eine stumme Entschuldigung in Richtung des Gefangenen und suchte den Raum nach Fluchtmöglichkeiten ab. Aber inzwischen blockierten drei der Onix-Männer mit gezogenen Solar-Shootern den Eingang. Sie saßen in der Falle! Schweiß trat ihm aus allen Poren, die Panik kämpfte in ihm gegen die äußere Ruhe an.

„Ist dir warm?“, fragte der Onix-Kerl mit falscher Sorge. „Wir sind ja gleich fertig. Schnell-Basi drei Runden! Dann kannst du dich ausziehen“, fügte er an und alle Anwesenden lachten.

Nur der Fremde auf dem Boden regte sich immer noch nicht. Lebte der überhaupt noch? Benn war sich nicht sicher.

„Alles ist bestens“, sagte er so ruhig wie möglich. „Ich habe Schwarz, du beginnst“, fügte er an.

 

Der Anführer zwinkerte ihm zu und tippte auf seinen Monitor. Die Platte des Tisches verschwand unter einer holografischen Wüstenlandschaft. Sanddünen erstreckten sich jetzt dort, wo eben noch kühles Metall gewesen war, ein schwacher Wind verwehte den Sand. Noch einmal betätigte Benns Gegner den Bildschirm. Ein zwergenhafter Kämpfer, ganz in Weiß und in einer Lederrüstung betrat den Wüstensand und sah sich grimmig um. Über ihm blinkte das Zeichen für ein Ass.

„Guter Zug“, sagte Benn. Nein, er wollte nicht bitter grinsen!

Selbstverständlich eröffnete der mit dem Zwerg! Unscheinbar, aber einer der besten Krieger im Spiel und natürlich ein Ass. Er selbst wählte den Herrscher, denn nur der würde dem Zwerg überhaupt Gegenwehr leisten.

Ein großer Mann, dessen Anzug schwarz glitzerte, betrat den Sand. Auf dem Kopf trug er eine schiefe Krone, in der Hand ein Zepter, das er unaufhörlich schwang. Hochmütig betrachtete er den Zwergenkrieger. Und schon hatte er ihm das Zepter auf den Kopf gehauen. Der zuckte kurz zusammen, rieb über den behelmten Schädel und straffte sich. Benn rollte mit den Augen, sein Mut schlug hart auf dem Boden auf. Und der Onix-Mann brach in schallendes Gelächter aus.

„Der war gut! Echt! Der war richtig gut“, brüllte er und schlug mit der flachen Hand auf seine Oberschenkel. Seine Männer fielen in das Lachen ein. Der Lärm dröhnte in Benns Ohren.

Und dann hob der weiße Zwerg seine Axt, schwang sie ein paar Mal über dem Kopf und warf sie. Die Krone des Herrschers fiel herunter, die Axt spaltete seinen Schädel! Er wurde in zwei Hälften geteilt, die links und rechts in den Sand fielen. Dann löste er sich auf.

Zehn Punkte für Weiß – Zwei Punkte für Schwarz – verkündete eine Stimme, die aus dem Basi-Tisch zu kommen schien.

Was bei allen Göttern tue ich hier eigentlich? Benn wollte aufstehen, das Spiel verlassen. Doch da machte der Onix-Anführer den nächsten Zug. Ein breiter Gladiator betrat den Sand. Er glich den Sturm-Gladiatoren, die in der Arena von Flame die Touristen unterhielten. Nur hatte dieser ein fieses Gesicht und war mit einem Netz und einem Dreizack ausgestattet. Er stapfte umher, suchte seinen Gegner.

Benn zuckte unwillkürlich mit den Schultern. Den Gladiator konnte man nur mit einem Zwerg schlagen. Und er hatte keinen zur Auswahl! Ratlos schickte er den Forscher los. Ein kleiner Mann mit runder Brille tippelte vorsichtig in den Sand.

Das Gladiator-Hologramm grinste breit, dann holte es aus, warf das Netz und schon war der Forscher gefangen. Der Onix-Mann lachte laut auf. Benn konnte nicht mehr verhindern, dass sich seine Finger zu Fäusten ballten. Der Gladiator hob den Dreizack, und stieß mit Kraft zu, mitten in die Brust des Forschers. Benn schnaufte enttäuscht. Der Forscher beherrschte ein paar kleine Tricks, aber er war zu schnell getroffen worden!

Im Fallen zog der Kerl mit der runden Brille etwas aus seiner Hosentasche. Benn hielt den Atem an. Eine kleine Kugel, die er durch die Maschen des Netzes warf. Einen Augenblick später löste er sich auf und Benn stöhnte leise. Doch dann knallte es laut auf dem Basi-Tisch und eine Bombe zerriss den Gladiator. Ein Hauch von Erleichterung wehte durch Benn. Aber eines war sicher – dieser Verbrecher würde ihn nicht davon kommen lassen!

Fünf Punkte für Weiß – Fünf Punkte für Schwarz, erklärte die Stimme.

Er konnte also nur gewinnen, wenn er zehn Punkte im nächsten Kampf holte! Benn blinzelte zu dem Gefangenen. Und in diesem Moment drehte der den Kopf ein kleines Stück zur Seite, so als würde er etwas wahrnehmen.

Der Kämpfer, der einst für die falsche Sache in den Tod gegangen wäre, zuckte in Benn unruhig. Und mit einem Mal war ihm klar – was auch immer jetzt passieren würde, er musste es versuchen!

„Mach schnell! Meine verdammte Kehle ist so trocken wie die Scheiß-Wüste. Ich brauche ein Bier!“, bellte der Onix-Mann und tat seinen letzten Zug.

Wie aus dem Nichts erschien ein riesiger Kerl in einer metallenen Panzerung im Sand. Das Schwert, das er in einer Hand hielt, leuchtete geheimnisvoll. Der Söldner! Die stärkste Figur im Basi-Spiel.

Aber Benn lächelte. Panik und Aufruhr in ihm kamen mit einem Mal zur Ruhe. Sein Herzschlag verlangsamte sich, das Atmen fiel ihm leichter. Konzentriert wählte er eine Figur aus und im Wüstensand erschien ein winziger Gnom, mit einem Kopf, der zu groß für seinen Körper schien. Er brauchte beide Hände, um einen einfachen Metallstab zu halten.

Skeptisch zog der Onix-Kerl die Augenbrauen zusammen. Aber da begann der Söldner schon, mit seinem Schwert nach dem Gnom zu schlagen. Der kleine Kerl sprang flink hin und her und es war nur der Sand, der unter den Schlägen aufspritzte. Jetzt schnaufte Benns Gegner ungehalten und bewegte seine Hand über den Monitor. In diesem Augenblick stieß der Gnom seinen Stab tief in die Metallrüstung des Söldners. Funken sprühten auf und dann fiel die massige Spielfigur einfach um, verschwand kurz darauf.

Benn verschränkte die Arme vor der Brust. „Das Ass der Gnome - sein Stab stand unter Strom“, sagte er gelassen. „Nutzlos gegen fast alle Gegner. Außer gegen den Söldner.“

Ohne die Antwort abzuwarten, stand er auf und trat zu dem Gefangenen. Eilig riss er ihm den roten Schal vom Kopf. Dunkelblaue Augen blickten ihn entsetzt an. Mit zitternden Fingern löste Benn den Knebel.

 

Der junge Mann zog die Luft tief ein und räusperte sich mehrmals.

„Idiot! Das hier hatte nichts mit dir zu tun! Jetzt werden sie uns beide töten!“, krächzte er mit schwacher Stimme.

Verstört klappte Benn den Mund auf, doch bevor er antworten konnte, fühlte er etwas an seinem Hinterkopf. Ein Shooter! Seine Muskeln spannten sich schmerzhaft an.

„Der Hübsche ist gar nicht so blöd“, sagte der Onix-Anführer und lachte. „Was hast du gedreht, um das Ass der Gnome zu bekommen?“

Benns Glieder gehorchten ihm nicht mehr. Sein Hirn stieß unaufhörlich Warnungen aus, aber sie erreichten ihr Ziel nicht. Stattdessen wirbelte er herum und entwaffnete den Mann mit Griffen, die ihm einst so vertraut wie seine eigene Stimme gewesen waren. In wenigen Augenblicken hatte er den Kerl auf dem Boden, ein Knie auf seiner Brust, der Solar-Shooter zielte auf den Kopf.

Er wachte erst aus seiner Wut auf, als sich drei Shooter auf ihn und den Gefangenen richteten. Die Pupillen der Männer waren inzwischen vom Color Candy rot gefärbt. Sie würden keinen Moment zögern, zu schießen, da war sich Benn sicher.

„Steh auf!“, brüllte ihn einer der Kerle an.

Langsam folgte Benn dem Befehl, kam in den Stand und hob die Hände samt Waffe über den Kopf.

„Gib mir den verdammten Shooter!“, knurrte ein Zweiter.

Benn sah sich um. Keine Chance! Zögerlich reichte er dem Onix-Schergen die Waffe. Der Dicke verschaffte sich schnaufend Platz. Er musterte Benn amüsiert.

„Dich will ich heute noch schreien hören“, sagte er und legte Benn einen Finger unters Kinn. Dann stöhnte er leise in seiner Vorstellung.

„Verzeih mir“, sagte Benn geschlagen in Richtung des Fremden auf dem Boden. „Du hattest recht – ich bin ein Idiot.“

 

„Allerdings!“, mischte sich eine neue Stimme ein. „Sich mit meinen zugedröhnten Männern anzulegen, ist tatsächlich idiotisch.“

Ein dunkelhaariger, junger Mann trat in den Kreis. Er trug enge, teure Kleidung in Blau und Schwarz. Übellaunig sah er von einem zum anderen. Aber Benn atmete auf. Der Mann streckte die Hand aus und half dem überwältigten Wortführer der Gruppe auf die Beine. Ungehalten klopfte er ihm den Staub von der Lederkleidung.

„Aber du, Mis, bis der größte Idiot von allen! Du forderst Benn Skywolf im Basi heraus und glaubst, dass du gewinnen kannst? Wie konnte ich dich nur jemals zum Sprecher dieser Division machen?“

Der junge Mann sah sich um. Benns Muskeln entspannten sich. Diesen verdammten Tag auf Tamaran würde er überleben, so viel war sicher. Voller Dankbarkeit blinzelte er zu Tan, dem Hauptmann der Onix-Bande.

„Was geht hier eigentlich vor?“, fragte der jetzt. „Und was treibt dieser Fremde auf dem Boden? Hat er etwas verloren und sucht es?“

Niemand lachte. Tan drehte sich um, blickte zu seinem Begleiter, der mit gezogener Waffe in der Tür stand und zeigte mit dem Kinn auf den Gefangenen. Der große Mann, mit dem auffällig schönen Gesicht nickte und beeilte sich, mit einem fingergroßen Gerät, die Handschellen zu öffnen. Bevor der Gefangene vornüber kippen konnte, griff er unter seine Schulter und stützte ihn. Geistesgegenwärtig beugte Benn sich vor und schob seinen Arm unter die andere Schulter. Zusammen hievten sie den schwer verletzten Mann auf die Beine. Er schwankte und fiel gegen Benn. Schnell legte er ihm einen Arm um die schmale Hüfte und hielt ihn fest.

„Nur ein kleines Geschäft“, murmelte der Onix-Wortführer kleinlaut.

„Ein verbotenes kleines Geschäft! Meine Anweisungen waren doch unmissverständlich – kein Sklavenhandel mehr auf Tamaran!“, antwortete Tan und straffte die Schultern.

„Schon klar“, sagte der Wortführer leise. „Aber ... dein Vater hat doch ...“

„Mein Vater ist tot! Jetzt bin ich der Hauptmann der Onix! Merk es dir, oder ich sorge dafür, dass du es verstehst!“, zischte Tan, sah Benn an und rollte mit den Augen. „Haut ab! Alle! Und ich will keinen von euch Dreckskerlen heute noch einmal im Brothers sehen! Verkriecht euch und dröhnt euch weg! Aber geht mir aus den Augen!“, donnerte er.

Sein Begleiter trat zur Seite und zeigte mit dem Shooter zur Tür. „Los jetzt! Ihr habt den Boss gehört“, sagte er entschlossen.

Wie kleine Jungs, die von ihrer Mutter gescholten wurden, trotteten die Männer durch die Tür und bogen ab, in Richtung Ausgang. Benn atmete erleichtert aus.

 

„Danke, mein Freund. Wenn je eine Rechnung zwischen uns offen war, ist sie hiermit beglichen“, sagte er und schluckte trocken.

Tan winkte ab und wollte etwas erwidern. Aber der fremde Mann in Benns Arm regte sich. Er streckte die Hand aus und schob Benn ein Stück von sich weg.

„Ich muss hier weg! Ich muss zum Raumhafen ... mein Shuttle ...“

Tan schüttelte den Kopf. „Dein Shuttle ist längst auseinandergenommen und die Teile sind auf dem Schwarzmarkt verkauft.“ Er neigte den Kopf zur Seite. „Wieso hatte er es eigentlich auf dich abgesehen?“, fragte er skeptisch.

Der Fremde versuchte, sich zu straffen, fiel aber erneut gegen Benn. Er atmete schwer und offensichtlich unterdrückte er Schmerzlaute.

„Gestern Nacht ...“, brachte er mühsam hervor. „Ich ... ich habe mich nur ein wenig auf dem Raumhafen umgesehen und für einen Moment nicht aufgepasst.“

Tan verengte die Augen zu Schlitzen, dann zuckte er mit den Schultern. „Wir haben Sicherheitsposten und Bots auf dem Raumhafen stationiert. Und die schießen scharf. Wie auch immer du denen entgangen bist, am Ende hattest du Glück, dass dich nur dieser Idiot eingefangen hat.“ Tan kam einen Schritt näher und betrachtete den Mann genauer. „Du kommst mir bekannt vor. Aber ich kann dein Gesicht nicht einordnen.“

„Und wer bist du?“, fragte der Fremde ungehalten.

Benn riss die Augen auf. Dieser Kerl hatte Mut! Oder war er einfach nur dumm? Nun, Tan war erst seit wenigen Monaten der Anführer der Onix.

„Ich bin Tan Lerian, der Hauptmann der Onix“, sagte Tan mit einem überlegenen Grinsen. „Und das ist Yil, mein erster Offizier.“ Er deutete auf den schönen, jungen Mann, der ihn begleitete.

Der Fremde versuchte, aufrecht zu stehen, schwankte aber. Mit einem widerwilligen Gesichtsausdruck krallte er seine Hand in Benns Gürtel.

„Wahrscheinlich hast du mich auf Eden gesehen. Haben nicht alle Kriminellen der freien Zone dort eine Villa? Ich bin Andra Astrala!“, sagte er ruhig.

Dieser Andra kam von Eden, dem Planeten, der von Piraten und anderen Schmugglern bewohnt war? Benn verstand kein Wort. Was ging hier vor sich? Schwer hing der schmale Mann in seinem Arm. Die Wunden mussten doch schmerzen? Und tat dem nicht der Rücken weh? Wie lange hatte er in dieser Position gekauert?

„Astrala“, sagte Tan und ließ das Wort auf seiner Zunge zergehen. „Tatsächlich! Einer der berühmten Astrala Brüder beehrt unseren kleinen Planeten. Warum hast du nicht bei mir vorgesprochen? Einen so bekannten Piraten hätte ich mit allen Ehren empfangen.“

Andra lachte kurz und bitter. Dann hustete er. Blut mischte sich unter Speichel. Stöhnend beugte er sich vor und das rote Gemisch floss aus seinem Mund auf den Boden. Benn umfasste ihn fester.

„Später!“, sagte er schnell. „Tan, du kannst ihn morgen befragen. Ich weiß nicht, was sie alles mit ihm angestellt haben, aber er ist schwer verletzt.“

Tan nickte. „Bring ihn ins Flame Palace. Ich kümmere mich in den nächsten Tagen um ihn!“, sagte er und drehte sich ab. Sein Begleiter folgte ihm.

„Nein!“, protestierte Andra. Mit letzter Kraft wollte er sich aus Benns Arm befreien. „Auf keinen Fall! Ich muss hier weg! Ich fliege mit ihm zum Raumhafen!“, rief er und zeigte auf Benn.

Der seufzte. Ja, dieser Kerl war eindeutig mutig. Mit unlesbarem Blick trat der Hauptmann einen Schritt zur Seite. Er atmete tief durch und sah für einen Moment zur Decke.

„Kaum befreist du einen wilden Kater aus der Falle, schon hängt er an dir. Tja, Benn, da kann man nichts tun“, stöhnte Tan und sein Begleiter lachte. Dann zuckte der Hauptmann mit den Schultern. Und mit einem Blick zu Benn sagte er: „Er hätte im besten Hotel der Stadt gepflegt werden können. Aber bitte – dann nimm du ihn eben mit. Achte darauf, dass er in deiner Nähe bleibt und sich vom Raumhafen fernhält. Heute bekommen wir nicht mehr viel aus ihm heraus. Aber bevor ich weiß, was er genau hier will, läuft er nicht frei herum. Derzeit habe ich genug Ärger und bin froh, wenn ich mich nicht auch noch um einen Piraten kümmern muss.“

Andra stöhnte leise in den nächsten Hustenanfall.

Yil räusperte sich. „Tan, ich glaube nicht, dass die Astrala Brüder eine Gefahr für uns darstellen. Dafür ist die Besatzung ihres Schiffes viel zu klein.“

Nachdenklich neigte Tan den Kopf zur Seite und trat zu seinem ersten Offizier. Der Mann, mit dem langen, seidigen Haaren, das in Schwarz glänzte, blinzelte. Beiläufig strich Tan ihm eine Strähne aus dem Gesicht.

„Mein schlauer Liebling, was würde ich ohne dich nur tun“, sagte er so liebevoll, dass Benn plötzlich den Raum verlassen wollte. Hier störten sie offensichtlich. „Nein, die Astralas sind Piraten. Bekannte Schmuggler. Reisendes Volk, ohne Interesse an einem Planeten. Da hast du sicher recht. Umso interessanter ist es doch, was er hier wirklich will.“ Er lächelte und küsste seinen Begleiter unvermittelt auf die geschlossenen Lippen. „Aber heute kann er nicht mehr viel erzählen. Benn soll sich um ihn kümmern. Wir sind schließlich hier, um uns zu amüsieren!“, sagte Tan und schob Yil sanft aus der Tür.

 

Erleichtert sah Benn ihnen nach. Tan Lerian zu seinen Freunden zählen zu können, war auf Tamaran ein großer Vorteil. Aber jetzt hatte er andere Sorgen.

„Komm. Kannst du auftreten?“, fragte er Andra.

„Natürlich!“, sagte der, noch während sein Kopf gegen Benns Schläfe fiel.

Hitze strömte von ihm herüber. Benn hob die Hand und strich ihm über die Wange. Sie glühte.

„Du hast Fieber. Und sie haben dich mit ihren Shootern geschlagen und ihren schweren Stiefeln getreten“, sagte Benn mitfühlend.

Andra murmelte ein paar Flüche und einige unverständliche Worte, aber er ließ sich willig in Richtung Tür schieben. Benn trug ihn mehr, als er ihn stützte. Im Flur drehte er noch einmal den Kopf, sah zum Ende des Ganges. Er konnte die nackten Männer vor seinem inneren Auge sehen, wie sie lässig in den offenen Kabinen lehnten und warteten. Unter einem leisen Schnaufen drehte er sich ab und schleppte Andra weiter. Denn heute würden die Männer nicht auf ihn warten.

 

„Ach? Was hast du dir denn für einen Junkie aufgegabelt? Ist doch sonst nicht dein Stil“, fragte Tschou verwundert, als er ihn mit dem verletzten Mann passierte.

Benn sah nicht auf. „Mein Hauptgewinn“, murmelte er.

Andra knurrte etwas und Benn beeilte sich, mit ihm das Jet-Bike zu erreichen.

„Warte. So kann ich dich nicht mitnehmen“, sagte Benn und betätigte den Öffnungsmechanismus für die Box hinter dem Sitz. Er beugte sich vor und kramte darin. Dann zog er ein kakifarbenes Shirt, Stiefel und eine zweite Lederjacke heraus. „Für seltene Gäste. Ist alles ziemlich eng, aber du bist ja ein schmaler Kerl“, brummte er.

Andra ließ sich widerstandslos anziehen, inzwischen gab er keinen Ton mehr von sich. Aber seine Wangen glühten vom steigenden Fieber.

Für einen Augenblick sah Benn ihn an. Mitgefühl schob sich dumpf durch seinen Magen. Und wieso stand dieser Mann überhaupt noch aufrecht? Nur das Gesicht hatten sie nicht verletzt. Unwillkürlich strich er Andra eine feuchte Strähne aus der Stirn. Von Weitem war dieser Mann schon beeindruckend gewesen, aber aus der Nähe betrachtet, umgab ihn etwas Unwirkliches. Im Grunde waren doch nur Hologramme so schön und makellos.

Benn erwischte sich dabei, wie er seinen Blick nicht von Andra nehmen konnte. Alles in diesem Gesicht war symmetrisch. Die Augen groß und dunkelblau, die Nase gerade und die Lippen sinnlich. Er war schmal, aber sehnig und sah aus, als würde eine Menge Kraft in seinem Körper steckten. Nun, wenn er gesund war zumindest. Immerhin hatte er die Onix überlebt, er musste zäh sein, da war Benn sicher.

Schnell hob er ein Bein seines Begleiters über die Maschine und schob ihn in den Sattel. Dann setzte er sich vor ihn und startete. Schwer lastete der fremde Körper in seinem Rücken.

„Du musst mich umarmen“, sagte Benn und wartete auf eine abweisende Antwort.

Überrascht fühlte er kurz darauf zwei sehnige Arme, die sich um seine Hüften schoben und Andra verschränkte die Hände vor seinem Bauch. Benn schloss seine Lederjacke und schob Andras Hände darunter. Dann betätigte er einen Mechanismus, der eine unsichtbare Halterung um die Beine und den Rücken seines Passagiers schloss.

„Die Kindersicherung“, erklärte er. „Damit du mir nicht vom Bike fällst.“

Der Mann in seinem Rücken atmete nur schwer und antwortete nicht.

Benn betätigte das Steuerpad und die Maschine begann leise zu surren. Er rollte auf die Hauptstraße, fuhr vorbei an den verfallenen Häusern und hob ab. Die Stadt mit ihren grellen Lichtern blieb unter ihnen zurück und bald flog er an dem flammenden Schild von Flame-City vorbei und wunderte sich.

Wie konnte diese Nacht so enden? Und vor allem – wen nahm er gerade in sein einfaches ruhiges Leben mit? Einen berühmten Piraten? Astrala? Etwas in seinem Kopf zuckte unruhig, bei diesem Namen. Drängte an die Oberfläche. Aber die Erinnerungen an sein altes Leben lagen im Nebel von Drogen, Alkohol und Gewalt vergraben.

Nun, für eine Nacht war es ohnehin gleich. Morgen würde Tan seine Männer vorbei schicken und diese Wildkatze abholen lassen. Tan würde ihn schon gut behandeln, Benn war sich fast sicher. Und dann war er ihn los und konnte endlich wieder ungestört seine Ruhe in den Bergen genießen.

 

 

Impressum

Texte: Alice Camden
Cover: Alice Camden
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2018

Alle Rechte vorbehalten

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