Willkommen lieber Leser und vielen Dank für den Kauf meines kleinen Machwerks.
Alle hier veröffentlichten Kurztexte haben etwas mit der Beschreibung: ›magisch mythisch anders respektlos‹ zu tun. Nur mal so dahin geschrieben, als zum Teil veränderte Erinnerung an selbst Erlebtes, oder einfach anderen Zugedichtetes. Ein wenig alltäglich und doch irgendwie anders, mit einem Schuss Magie, die entstehen kann, wenn man, wie in diesem Fall ich, seine Gedanken weiter umherschwirren lässt.
Ich hoffe, es macht Spaß, die Kurzgeschichten zu lesen.
Matthias Houben
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Uhren bleiben nicht stehen, sie gehen kaputt.
Die Uhr am Handgelenk sieht immer noch gut und teuer aus, funktioniert aber nicht mehr, wie ihr Träger. Die Uhr lässt sich reparieren, der Mann, an dem sie hängt nicht mehr.
Während ich mich ungelenk bücke und das Schild mit der Ziffer fünf aufstelle, läuft mir ein Schweißtropfen von der Stirn über die linke Augenbraue und tropft auf das Innere meines Brillenglases, wo er langsam eine schwammige Schliere hinterlässt.
Mit links sehe ich normalerweise durch das Objektiv und kneife dabei das rechte Auge zu.
Den frischen Duft von Grün atme ich im Wald auch normalerweise durch die Nase ein, hier und jetzt tue ich das nicht.
Mein weißes Plastik – Ganzkörperkondom, knistert leicht, als ich mich mit dem rechten Knie behutsam, aber wackelig, auf dem feuchten Boden abstütze und mir einrede: alles Wasser, vom letzten Regenguss.
Dunkelbraunes Wasser, an einigen Stellen noch leicht rötlich das Sonnenlicht reflektierend, wenn die Sonne durch die Blätter sticht und mir den Schweiß zwischen Plastik und T-Shirt runterrinnen lässt, bis alles nur noch riecht und klebt.
Wie das Haar, das ich jetzt ganz nah aufnehmen soll, dann das Handgelenk, oder das, was davon übrig ist. Und natürlich die Uhr.
Die kurzen Kommandos der anderen dringen entfernt zu mir herüber, ich bin der letzte Mann am toten Mann. Die anderen suchen die nähere Umgebung ab.
Zigarettenreste, Fußspuren, Gegenstände, die hier nicht vermutet werden, alles, was nicht direkt sagt: Ich bin Wald, ich gehöre dazu.
Wie die Uhr.
Nahaufnahmen von verschorften Kopfwunden rufen bei mir keine Sehschwäche mehr hervor.
Stehengebliebene Uhren schon.
Ich weiß warum, versuche mich aber auf meine Arbeit zu konzentrieren.
Mit Blitz oder ohne Blitz, Blende vier oder besser Blende acht wegen der Tiefenschärfe.
Oder Schärfentiefe?
Ich werde das nie behalten.
Warum müssen die Leute immer nur eine solche Sauerei anrichten?
Reicht nicht ein kurzer Schlag, danach kräftiges Würgen und gut ist?
Ein sauberer, kleinkalibriger Schuss, mit Bedacht angesetzt, am besten noch aufgesetzt.
Nein, es muss richtig ausgelebt werden, mit allem Drum und Dran und ich darf danach darin herumkriechen. Alles fotografisch festhalten, kleine witzige Nummernschildchen aufstellen, aus allen möglichen Blickwinkeln die komplexe Situation festhalten.
Die klassische Auffindungssituation.
Die Uhr ist stehengeblieben, obwohl das Glas unbeschädigt ist.
Saubere und exklusive Meisterarbeit.
Nicht wie das schlampige Desaster, in dem ich mich jetzt verrenke.
Die grauen Männer mit dem Blechsarg klappern hinter mir ungeduldig herum, sie würden gerne eine rauchen, dürfen aber nicht.
„Kontaminiert mir den Ort hier nicht!“ Lieblingsausspruch des alten Herren, der hier das Sagen hat.
Die Nahaufnahme von der Uhr wird schwierig, schräg von unten aufgenommen, mit der noch erkennbaren Tafel fünf im Hintergrund.
Schwierig, wenn du versuchst, dabei nicht auf die tote Hand zu sehen. Aber auch die muss abgelichtet werden.
Ziffer fünf und fünf Finger.
Warum schneidet die einer ab und legt sie sorgfältig wieder hier hin?
Ich muss mich aufrichten, leichter Schwindel lässt mich schwanken.
Diese kleinen schwarzen Pünktchen am unteren Blickwinkel kenne ich schon.
Kreislauf sage ich mir und schlucke schwer.
Hilft nicht wirklich.
Wann erfindet endlich jemand atmungsaktive Verhüterlies?
Wahrscheinlich zu teuer, sie werden ja nach der Arbeit zusammengeknüllt und weggeworfen.
Jeder von uns wird sich nachher ebenso fühlen: zum Wegwerfen.
Scheiß Job, aber irgendwie auch immens interessant, all die Details, von Fall zu Fall anders angeordnet, immer ähnlich und doch jedes Mal individuell.
Bis auf die stehengebliebene Uhr.
Der alte Mann hatte auch eine Uhr, eine antike Wanduhr mit zwei Pendeln an kupfernen Ketten.
Diese Uhr werde ich nie vergessen. Eine Uhr mit fünf Ziffern: Römisch zwölf, drei, sechs neun und völlig aus der Reihe, römisch sieben.
„Marc bist du fertig, dann komm mal her! Hier ist noch was.“
Ich winke kurz zurück und stapfe geräuschvoll, mit schlurfenden Plastiküberziehern an den Schuhen, durch das Laub.
Auf meine Frage, was die Ziffer sieben zu bedeuten hat, grinste er mich damals nur mit seinem alten Vogelgesicht an und bewegte den Kopf hin und her, als müsse er sich erinnern oder wäge ab, ob er es mir erzählen soll. Dabei hat er mir viel erzählt über die Zeit, als ich noch nicht geboren war. Wir haben viel spekuliert, was aus der Welt geworden wäre, wenn …
„Hier, mach bitte eine Nahaufnahme und eine vom ganzen Fundort.“
Die nächste Sauerei. Fünf Finger in einer Plastiktüte.
Es war immer seltsam still in dem halbdunklen Raum, wenn wir nicht miteinander sprachen. Man konnte nur das gleichmäßige Ticken der alten Wanduhr hören. Ab und zu höre ich sie heute noch und beginne dann zu frösteln. Selbst jetzt, nur bei der Erinnerung trotz Plastikschweißreservoir und fünf Fingern in Plastik, sauber abgeschnitten und zusammengebunden, mit einem roten Faden.
Natürlich bin ich dann irgendwann selbst drauf gekommen: römisch fünf für V und römisch zwei für zwei, V2.
Der alte Nazi hat damals nur gegrinst und vorsichtig gehustet.
Sieht aus, als ob der Täter den Plastikbeutel mit den Fingern verloren hat. Wahrscheinlich gehören die fünf hier zur Leiche, und die, die jetzt neben ihr liegen sind nur ein Hinweis.
Weiß der Teufel auf was, das wird uns wohl noch Kopfschmerzen bereiten.
Dann, an jenem Morgen, als ich bei ihm fragen wollte, ob ich für ihn etwas vom Einkaufen mitbringen solle, stand ich in dem Raum und dachte nur: ›Was für eine Sauerei‹.
Er hatte mir einen Schlüssel gegeben, damit er nicht aus seinem speckigen Ledersessel aufstehen musste, wenn ich schellte oder klopfte.
Jetzt würde er nie mehr aufstehen, er hatte sich in den Kopf geschossen.
Natürlich mit so einer alten Kriegsveteranenwaffe. Dass die überhaupt noch funktioniert hatte.
Ich stand nur da und hörte nichts, kein Knistern, kein Keuchen, kein Uhrticken.
Sie war stehengeblieben: Fünf vor zwölf und blickte angeekelt auf das leblose Inferno, hatte ihre Arbeit eingestellt, als sei die jetzt nicht mehr nötig.
Fünf vor zwölf, fünf Finger, und ich bin jetzt bei Hinweis Sieben angelangt.
Alles holt mich immer wieder ein.
Der Schweiß an meinem ganzen Körper ist kalt geworden.
Die Enden von Geschichten scheinen ineinander zu
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: © 2014 Matthias Houben
Bildmaterialien: © 2014 Matthias Houben
Tag der Veröffentlichung: 01.10.2014
ISBN: 978-3-7368-4405-6
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