Cover

Kapitel 1

Wachsam streiften meine Augen durch den gefüllten Saal.

Jeder saß auf seinem Platz, alle redeten im leisen Flüsterton und es sah nicht so aus, als ob jemand versuchen würde einen Streich zu spielen.

Zufrieden lief ich zu meinem Platz in der ersten Reihe und atmete drei Mal tief durch, bevor ich das Startsignal gab, sodass wir nun anfangen konnten.

Rektor Roitfelds Schritte hallten im ganzen Raum und augenblicklich wurde es totenstill.

Wenn es eines gab, was jeder vor unserem Direktor hatte, dann waren es Angst und Respekt.

Es kam einmal im Jahr vor, dass ein Schüler suspendiert wurde, wenn er sich bis zu drei Mal schlimm benommen hatte.

Damit meine ich eingeschlagene Scheiben, Möbelstücke klauen, oder vielleicht sogar einem Lehrer einen ziemlich fiesen Streich spielen.

Und genau dies hatte Joe Johnson letztes Jahr getan und nun durfte er sich bis zu 15 Meter dem Schulgebäude nicht annähern.

Aber ich nehme an, dass jeder so reagiert hätte, wenn man solche Dinge in Taten umgesetzt hätte.

Dies war zum Glück nichts für mich und ich schüttelte leicht den Kopf, dann erst sah ich wieder auf zum Rektor Roitfeld, der seine Ansprache hielt.

„Liebe Schüler, liebe Kollegen und liebes Förderverein. Ich begrüße Sie alle herzlichst zu einem neuen Schuljahr.“

Höfliches Klatschen.

„Dieses Jahr heißt es für die Abschlussklassen sich anzustrengen, denn es erwartet Sie in einem Jahr die Welt dort draußen. Und dies ist kein Kinderspiel.“

Schweigen.

„Aber nicht nur die Abschlussklassen, sondern auch alle anderen Klassen sollten sich gut im Unterricht bemühen und ich hoffe, niemand wird mich enttäuschen.“

Sein Blick glitt über den ganzen Saal und man hörte einige laut Schlucken.

„Aber wir wollen das neue Schuljahr nicht gleich so beginnen. Ich hoffe, dass das Schuljahr ohne Probleme verlaufen kann.“

Erneutes Schweigen.

„Ich möchte alle noch einmal daran erinnern, dass diese Woche Freitag die Wahlen zum Schülersprecher sind. Es nehmen alle an den Wahlen teil, denn ich hoffe, dass ihr jemanden wählt, der das Potenzial dazu hat. Folgende Schüler haben sich dazu bereitgestellt Schülersprecher zu werden.“

Stille.

„Lukas  Winstone.“

Geklatsche.

Aufgeregt biss ich mir auf die Unterlippe.

„Mia Diehl.“

Es wurde gepfiffen und geklatscht.

Unruhig tappte ich mit dem Fuß auf den Boden.

„Emma Elisabeth Mary-Julie Jones.“

Der Direktor hatte tatsächlich meinen ganzen Namen gesagt, fiel mir entsetzt auf.

Ich hielt meine Ohren zu, als man anfing laut zu klatschen, zu pfeifen und sogar rumzuschreien.

Leise lachend stand ich auf, drehte mich zu der Meute um und verbeugte mich leicht. Schnell drehte ich mich wieder um und nahm Platz, bevor es noch lauter wurde.

Der Rektor lächelte mich an und ich konnte nicht anders, als es zu erwidern.

Ich hoffte, dass ich es dieses Jahr schaffte.

Die letzten Zwei Wochen hatte ich mich so sehr bemüht gewählt zu werden, dass ich mir schlussendlich wie in Eine wie Keine vorgekommen war.

Nur, dass ich nicht zur beliebtesten Schülerin und Ballqueen gewählt wurde, sondern hoffentlich ziemlich bald zur Schülersprecherin.

In den letzten zwei Jahren hatte ich es geschafft für die Schüler einen Gemeinschaftsraum herzuzaubern, in dem man Billiarde, Darrt, Fußkicker und Playstation spielen konnte. Ebenso gab es dort eine kleine Karaoke Ecke, die ich aber erst letzte Woche dorthin bekommen hatte. Ebenso hatte ich es geschafft, dass die Schüler einmal im Monat etwas vom Lieferservice bestellen konnten und jeder Schüler hatte die Chance sich einmal im Menü ein besonderes Gericht zu wünschen. Es würde entweder bestellt oder in der Schulküche zubereitet.

Aber das Beste, was ich je machen konnte, war, dass ich mich beim Direktor durchsetzen konnte und jeder Schüler ein Stück Wand von der Außenwand bekommen hatte und wer wollte, konnte etwas darauf malen oder einfach nur Graffiti sprühen.

Eine hatte sogar mal Nägel in die Wände gehämmert und wenn man es sich von weitem ansah, dann konnte man das Gesicht einer Mutter sehen, die ihr kleines Baby in den Armen hielt.

Ich selber hatte auf meinem noch nichts gemalt oder gebastelt, aber ich wollte es mir seltsamerweise noch aufheben. Als würde ich nur auf einen bestimmten Moment abwarten.

Auf diese Wand hatte jeder bisher positiv reagiert und selbst die Eltern hatten nicht schlecht gestaunt.

Ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, dass ich nicht auf diese Auktion stolz wäre.

Und wie sehr ich es war.

Einer war sogar noch so freundlich gewesen und hat den Spruch >Art is not a crime< in schwarzer Grafittischrift auf der Mauer hinterlassen.

Jedes Mal, wenn ich dort vorbei ging, musste ich lächeln und sah mir immer wieder neue und alte Bilder an, oder die dazu gefügten Sprüche.

Ich schreckte auf, als jemand gegen mich  stieß. Verwundert sah ich mich um. Anscheinend durften wir gehen.

Ich musste aufhören immer wieder in Gedanken abzuschweifen. Vor allem, wenn der Direktor eine Ansprache hielt.

Schnell schnappte ich mir meine Tasche, die unter dem Sitz lehnte, ging durch die Schüler hindurch zum Ausgang und schob mir eilig den … (Riemen?) meines Rucksackes über die Schulter.

Nun hieß es für mich Schulschluss.

Müde und erschöpft vom heutigen Tag und vom wenigen Schlaf, kramte ich meine Identitätskarte heraus und zog sie am Ausgang durch den Schlitz.

Keine Sekunde später ging die Tür auf und ich lief an unserem Wachmann Mike vorbei, während ich ihm einen schönen Tag wünschte.

Er erwiderte es und mit einem kleinen Lächeln ging ich des Weges fort. Direkt zum Ausgang, der in die Freiheit führte.

Ich lief durch das Tor, an den Gitterstäben vorbei, wie alle anderen auch und lief über die Straße. Als ich mich umdrehte, nickten mir die Beiden weiteren Wachmänner am Haupteingang zu und ich erwiderte es grinsend.

Jedes Mal, wenn man durch dieses Tor ging, fühlte man sich ein Stück freier. Warum dies so war, wusste ich nicht, aber ich hatte einige Theorien dazu.

Die erste war, dass ich endlich keine Schule hatte.

Die zweite, dass ich mich einfach in der Schule beobachtet fühlte.

Überall waren Kameras oder Wachmänner, abgesehen von den Klassenzimmern, Umkleideräumen und den Toiletten.

Die dritte Theorie war, dass ich einfach große Mengen an Leute auf einem kleinen Flur nicht mochte.

Ich hatte nichts dagegen, aber an manchen Tagen kannte selbst der normalste Mensch nicht mehr durchkommen und da gingen die Nerven schön mit einem durch.

Und ich brauchte erst gar nicht davon zu sprechen, wie es war, wenn manche krank waren und du Körperkontakt mit ihnen hattest.

Ganz genau. Man lag selber am nächsten Tag im Bett mit einer Packung Taschentücher und verfluchte sich dafür, überhaupt hingegangen zu sein.

Und die vierte und letzte Theorie, und eigentlich die wahre Tatsache, war, dass ich meiner Maske endlich fallen lassen konnte und wieder die war, die man mich sonst auch zuhause auftraf.

Ohne Lächeln und kein gespieltes Gefühl von Wärme im Inneren.

Sobald ich über die Straße gegangen war, erwartete mich schon mein Wagen, wessen Autotür mir der Chauffeur offenhielt, sodass ich sofort einsteigen konnte.

Bevor der Chauffeur den Wagen überhaupt noch starten konnte, schnallte ich mich schnell an und lehnte mich zurück. Luft ein. Luft aus.

„Guten Tag, Miss. Kann ich Sie an einen bestimmten Ort fahren oder möchten Sie gleich nach Hause?“

Ich hob meinen Kopf und erwiderte seinen Blick im Rückspiegel.

„Sie sind neu.“, stellte ich fest und ließ meinen Blick noch immer von ihm nicht los.

Wie es aussah, wurde Ben für einige Zeit ausgetauscht. Wirklich Schade.

„Ja, Miss. Ich bin für die nächsten Woche als Ihr Chauffeur zugeteilt worden, da Mr. Jones überraschenderweise für einige Wochen verreisen musste.“, erklärte er mir.

Er fuhr sich über die Stirn, dann über die Haare, sah mich im Spiegel an und dann wieder aus dem Fenster zu seiner linken Seite.

„Mache ich Sie nervös?“, fragte ich ihn direkt und ich sah, wie er leicht zusammenzuckte.

Er sah mich unsicher vom Rückspiegel an und anscheinend hatte ich ihm die Sprache verschlagen.

„Fahren Sie mich Nachhause.“

Offensichtlich war er froh etwas zu tun, um sich sehr wahrscheinlich abzulenken und starrte konzentriert auf die Straße.

„Möchten Sie etwas Musik hören, Miss?“, fragte er höflich.

Nun blickte ich wieder auf. Sah müde von ihm zur Musikanlage.

„Das dürfen ganz Sie selbst entscheiden.“, bot ich ihm an und hörte ihn leise hörbar Schlucken. Selbst leichte Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn. Soweit es sich jedenfalls auf dem Rückspiegel sehen ließ. Ich hatte etwas Mitleid mit ihm und seufzte innerlich.

„Sie können ruhig Musik hören, stören tut sie mich nicht. Es ist mir eigentlich ziemlich egal.“

Er nickte und ich beobachtete ihn dabei, wie er die Hand ausstreckte und leise etwas Musik aufdrehte.

Nicht zu laut, um ein Gespräch oder die Gedanken zu stören, aber laut genug um den Text zu verstehen und sich dabei nicht unwohl zu fühlen. 

Gut. Wenn dieser neue Chauffeur noch einige Aufgaben gut bewältigte, dann würde ich nett zu ihm sein.

Aber zuerst musste – wohlbemerkt – mein Chauffeur sich seinen Job verdienen. Außerdem konnte ich ihn somit auf die Tage vorbereiten, an denen ich jedem die Hölle wünschte.

Wenn diese einmal im Monat nicht vorkamen, dann war es ein Wunder.

Ben hatte öfters Witze darüber gerissen. Es gab Tage, an denen ich sie ihm übel nahm, aber am Ende lachten wir beide darüber dennoch immer gemeinsam.

Erst jetzt ratterte mir ins Gedächtnis, was der Neue gesagt hatte.

„Wie lange wird mein Vater weg sein?“

„Etwa drei Wochen, Miss.“

„Hm.“, nachdenklich sah ich aus dem Fenster.

So war das also. Er verließ uns wieder, ohne etwas zu sagen.

Meine Augen wanderten über die vorbei huschenden Bäume, Büsche, Autos und ab und zu sogar Laternen und Menschen.

In meinem Kopf herrschten keine Gedanken, nichts worüber ich nachdachte oder vor meinen Augen sah.

Ich fühlte mich wie in einer Seifenblase. Das Leben um mich herum ging weiter. Ich jedoch nahm es erst gar nicht wahr und sah mit diesen leeren Augen hinaus und versuchte wieder etwas zu fühlen.

Woher ich wusste, dass meine Augen leer waren? Ich fühlte mich so.

Als wäre nichts mehr in mir, was von Bedeutung wäre. Als könnte hätte ich meinen Körper verlassen und sie als Hülle liegen lassen. Nur war es so, dass ich die Hülle war und nicht die freie Seele, die sich aus dem Staub gemacht hatte.

Manchmal wünschte ich sie mir zurück.

Und manchmal wünschte ich mir genauso frei zu sein.

Wären da nicht die Organe in meiner Hülle, die mich daran hinderten frei zu sein.

Ich musste Lächeln.

Als ob es die Freiheit gab.

Niemand war frei.

Jeden hielt immer etwas zurück. Oder es passierte immer zumindest etwas.

Niemand hatte die Chance sich aus der Hand der Natur zu befreien und ich war ihr zerfallen.

Wie eine vertrocknete Blüte zwischen zwei Buchseiten, die man über die Jahre hinweg vergessen hatte.

Von irgendwo hörte ich ein Surren.

Von meinen Gedanken verscheucht sah ich auf und sah dabei zu, wie der Chauffeur die Fensterscheibe herunter ließ und das allgemeine Pin eingeben musste und einige Worte mit dem Wachmann austauschte, bevor die großen Tore geöffnet wurden und wir durchfahren konnten.

Wir fuhren an all den Bäumen vorbei, die ordentlich nebeneinander gereiht waren,

Dieses Bild bot sich mir schon seit meinem Kindesalter an und hatte sich seither nicht mehr verändert.

Nur der Baum mit den Kirschblütenblättern am Ende der Fahrt war nicht so alt.

Ich hatte ihn mit gerade Neun oder Zehn Jahren einhändig gepflanzt und nun sah ich auf einen leicht kahlen Baum, bevor der Wagen rechts abbog und ihn hinter sich ließ.

Etwa Einhundert Meter weiter kamen wir an und der Chauffeur parkte rasch, aber ordentlich.

Langsam öffnete ich meinen Gurt und sofort machte er sich dran mir die Tür zu öffnen und mir die Hand anzubieten, sollte ich sie brauchen.

Ich winkte mit einer leichten Geste ab und stieg eigenhändig aus dem Wagen. Nachdem ich mir meinen Rucksack geangelt hatte und ihn am Henkel trug, während ich zu Haus lief, hörte ich meine leisen knirschenden Schritte auf dem Kies.

Genervt sah ich auf den Boden, welches noch immer knirschende Geräusch von sich gab und lief einfach an unserem Butler vorbei, der die Haustür offenhielt, ohne ihn zu begrüßen.

Er kannte mich seit Jahren und ihn würde es nicht im Geringsten bekümmern, wenn ich mal unhöflich zu ihm war. Oder ihn zumindest mal nicht begrüßte.

Im Gegensatz zum Neuen.

Wahrscheinlich würde er nicht einmal mit mir eine Woche aushalten.

Ohne auf jemanden zu achten lief ich die Marmortreppen hoch in mein Zimmer und schloss sogleich die Tür hinter mir zu.

Obwohl ich mich am liebsten für immer in meinem Bett verkrochen hätte, blieb ich artig und setzte mich an meinen Schreibtisch und packte meine Schulsachen aus.

Ich holte mir meinen Kalender heraus und sah nach, was ich für heute aufhatte und fing zuallererst mit den Geschichtsaufgaben an.

Für wenige Minuten schloss ich meine Augen und sah erneut vor meinen Augen, was unser Lehrer gesagt hatte und schrieb alles zum Thema auf, was mir dazu einfiel und benutzte einige Wörter oder Begriffe, die der Lehrer verwendet hatte.

Den restlichen Nachmittag verbrachte ich mit Hausaufgaben oder den Unterricht in meinem Kopf wieder abzuspulen, bis ich wirklich auch die letzte Kleinigkeit verstanden hatte.

Mein Magen knurrte leise. Seufzend strich ich mir eine lose Strähne zurück und schob den Stuhl zurück während ich aufstand und mich anschließend auf den Weg nach unten machte.

Sobald ich den Essenssaal erreicht hatte, öffnete sie mir unser Butler.

Damals hat es mich immer gegruselt, als er immer genau dort war, wo ich war und ich hatte ihn für einen Geist gehalten. Wie es sich an meinem zehnten Geburtstag herausstellte war er ein Mensch. Ein Mensch namens Bruno und niemand, der mich im Schlaf Heimsuchen wollte.

„Es wird gleich für Sie alles angerichtet werden, Miss.“

Er folgte mir zum Tisch und schob für mich den Stuhl zu Recht, bevor ich Platz nahm.

„Danke, Bruno.“, flüsterte ich und bald darauf wurde mir mein Glas gefüllt.

Das Essen wurde serviert. Mein Blick fiel auf den ansonsten leeren Tisch.

„Wo ist meine Mutter?“, fragte ich den Butler und faltete mir die Serviette auf meinen Schoß.

„Sie entschuldigt sich, Miss. Die Arbeit hat gedrängt und sie musste noch etwas besorgen.“

„Arbeiten also.“, trocken sah ich auf mein Essen und hatte so plötzlich keinen Hunger mehr. Aber so wie immer zwang ich mich wenigsten etwas zu mir zu nehmen.

Einerseits wollte ich nie unsere Köchin oder Brunon enttäuschen und andererseits konnte ich es mir nicht leisten Magersüchtig zu werden oder plötzlich umzuklappen.

Dadurch könnte ich mich nicht mehr für die Wahlen qualifizieren und gleichzeitig wäre mein Ruf dadurch zerstört worden. Das durfte ich mir im Moment einfach nicht leisten.

Ich bekam kaum mit, was ich aß oder was für ein Geschmack es hatte, aber irgendwann musste ich wohl aufgestanden sein und mich in mein Zimmer begeben haben.

Leicht wippte ich mit meinem Schaukelstuhl, welcher in der Ecke des Zimmers, direkt neben der Fensterbank und dem Bücherregal, stand und sich im Takt meines Herzens bewegte.

So verging immer der Tag, wenn ich nichts zu tun hatte und so würde er sich in der Zukunft weiter fortsetzen.

Wahrscheinlich sogar, wenn ich hier ausgezogen war und dieses Leben hinter mich ließ.

Schnell sprang ich auf.

Diese bedrückende Stille. Ich hasste sie.

Niemand war hier, um dieses Geräusch zu übertönen.

Das Einzige, was mir im Moment gegen die Stille einfiel, war Musik.

Ja, Musik war das einzige, was die Stille verdrängen und einsperren konnte.

Niemand sonst hatte diese Macht dazu.

Sobald der Computer hochgefahren war, öffnete ich die Playliste und spielte sie ab.

Leise Melodien schlichen sich in den Raum und bald darauf hörte ich jemanden singen.

Ich kannte seinen Namen nicht mehr, hatte nur noch den Titel seines Liedes, aber seine Stimme war wundervoll und sie sang, als würde er jeden Menschen verstehen und sich in seine Situation versetzten können.

Noch nie hatte ich mich getraut nach ihn in Google zu suchen, nur um seinen Namen oder andere Lieder von ihm zu finden, da ich dieses einzige, wunderbare Lied nicht zerstören wollte.

Ich weiß. Es war verrückt, aber ich hatte Angst davor noch eine Blase in meinem Leben zu zerstören.

Meine Gedanken wanderten zum heutigen Schultag und ich hoffte, dass nächste Woche keine Komplikationen oder anderer Fehler auftreten würden.

Ich hatte manchmal diese Macke, dass wenn ich einmal etwas tun möchte, es auch durchzog. Bis zum letzten bitteren Ende.

Und ich hatte mir vor zweieinhalb Jahren in den Kopf gesetzt Schülersprecherin zu werden. Außerdem sah es dann im Zeugnis recht gut aus, wenn ich mich irgendwo bewarb.

Somit schlug ich zwei Fliegen mit einem einzigen Schlag. Mit einem langen Schlag, wohlbemerkt.

Kopfschüttelnd lief ich zu meinem Schreibtisch. Warum ich dieses leere, weiße Blatt anstarrte, konnte ich mir nicht erklären, aber ich hatte große Lust etwas aufzuschreiben. Fehlte nur noch das Thema.

Ich zog meinen Stuhl zurück und setzte mich hin. Dann erst schnappte ich mir meine Feder und tunkte sie in tiefblaue Tinte.

Mit zwölf Jahren hatte ich Filme aus der damaligen Zeit gesehen und war so sehr begeistert davon gewesen, wie schön man mit einer Feder schreiben konnte und wünschte mir nichts anderes mehr.

Meine Eltern und Angestellten lasen mir jeden Wunsch von den Augen ab und man brauchte nicht lange, bis ich selber eine in der Hand hielt und sofort damit anfing in meinem Zimmer zu experimentieren.

Seither schrieb ich immer mit ihr Dinge, die von mir aus gingen. Bei den Schulsachen benutzte ich einen einfachen Füller oder Kugelschreiber. Dafür war diese Feder viel zu besonders.

Um mit ihr schreiben zu können, durfte man nicht allzu fest, aber auch nicht allzu leicht schreiben. Man musste immer wieder darauf achten, dass die Spitze auch gespitzt war und wenn nicht, dann gab es ein kleines Messer mit dem Man sie spitzen. Dabei war es auch wichtig, dass man den Stift auch noch zum Schreiben benutzen konnte.

Außerdem war das Problem der Tinte, dass sie ab und zu tropfte, wenn man zu viel auf die Spitze getan hatte. Sollte zu wenig auf der Spitze sein, dann hatte man das Problem, dass man die nächsten vier, fünf Wörter nicht mehr erkannte, weil einem die Tinte ausging.

Aber das Beste an dieser Feder war, dass man sich in eine andere Zeit zurückversetzt fühlte.

Man schrieb mit derselben Schrift mit der man am Ende des 18. Jahrhundert geschrieben hatte und ich mochte es sehr so zu schreiben.

Manchmal gab es meiner Meinung nach keine schönere Schrift.

Vor meinen Augen sah ich wieder die Autofahrt und die vorbei huschenden Pflanzen, Büsche und Bäume. Haufenweise Bäume. Immer in ungleichmäßigen Abständen zueinander.

Als ich wieder den neuen Chauffeur vor meinen Augen sah, wusste ich, was ich endlich tun konnte.

Ich begann einen Zeitplaner für ihn herzustellen, damit er es nicht so schwer hatte und wusste, wann ich wo zu sein hatte.

Wenn ich mal nicht arbeiten musste, oder Unterricht hatte, dann war ich eigentlich zuhause.

Sobald ich das Din A4 Blatt vollgeschrieben hatte mit allen Uhrzeiten, beeilte ich mich die Treppen hinunter zu gehen und in die Küche der Mitarbeiter zu gehen.

Ich war so gut wie nie hier, aber ich wusste dank meines guten Gedächtnisses, wo was war und brauchte nicht lange, bis ich jemanden fand, der mir helfen konnte.

„Miss.“, stieß die Frau erschrocken aus und der Korb mit der frischen Wäsche drohte herunterzufallen.

„Warten Sie. Ich helfe Ihnen.“

Schnell nahm ich ihr den Korb ab, bevor er noch wirklich herunterfallen konnte und lief mit ihr durch den langen Flur, nachdem sie sich stotternd bedankt hatte.

„Könnten Sie mir bitte den Gefallen tun und mir sagen, wo der neue Chauffeur sich aufhält? Ich muss mit ihm einiges besprechen.“, bat ich sie, sobald ich den Korb im Bügelzimmer abgesetzt hatte und damit einige weiter Angestellten erschreckte.

Ich konnte es ihnen schließlich nicht verübeln. Manche von ihnen hatten noch nie ihre Hausherrin so wirklich zu Gesicht bekommen und es Grenzte an ein Wunder, wenn ich überhaupt mal hier runter kam, obwohl ich hier mehr Zeit als meine Mutter verbrachte.

Als Kind war ich die ganze Zeit hier und hatte mit den Kindern der Angestellten abgehangen. Aber irgendwann waren selbst die nicht mehr da und man hatte keine Lust mehr auf das widerholte Spiel.

„In der Garage, Miss. Möchten Sie, dass ich Sie hinführe?“, schüchtern sah sie mich an und erst jetzt fiel mir auf, dass sie etwas gerötet im Gesicht war. Sie war verlegen und anscheinend peinlich berührt. Weil ich ihr geholfen hatte?

„Danke, ich weiß wo es ist. Einen schönen Tag noch.“

Mit einem höflichen Lächeln drehte ich mich um und lief den Flur hinaus und aus dem Haus hinaus, bog um die Ecke und lief zum kleinen Gebäude, wo die Autos und andere Geräte untergebracht wurden.

Im Moment war der Kies anscheinend freundlich genug, um keine Geräusche von sich zu geben und mich in Ruhe zu lassen.

Vom kleinen Gebäude aus hörte ich laute Musik und Leute lachen. Irgendwer redete und dann lachten dort wieder einige. Anscheinend amüsierten sie sich ziemlich gut.

Ich öffnete die Hintertür zum Gebäude, trat ein und lief einige Schritte. Ich wandte mich zur linken Tür an meiner Seite und wollte sie gerade öffnen, als ich erneut jemanden reden hörte. Meinen Chauffeur.

„Ist die immer so eiskalt?“, fragte er anscheinend jemanden und ich hörte, wie jemand aufhörte etwas zu wischen.

„Von wem redest du denn?“, fragte eine Mädchenstimme und gespannt hörte ich zu, die Hand noch immer auf dem Türhenkel.

„Na, von der Tochter vom Boss. In ihrer Nähe hat man das Gefühl, als würde sie einen ermorden wollen oder als würde sie eine undurchsichtige, schwarze Aura umgeben.“

Wirke ich wirklich so? Und was meint er mit eiskalt? Ich bin doch nicht eiskalt, nur auf Distanz.

Ich biss mir auf die Unterlippe, um mich zusammenzureißen und hörte gespannt zu, was man wohl antworten würde.

„Ich weiß. Damals war sie anders, habe ich gehört. Sie sollte wirklich jeden hier glücklich gemacht haben.“, meinte die weibliche Stimme leise und jemand drehte die Musik leiser.

Traurig sah ich auf den Boden, während ich mich an die Vergangenheit erinnerte.

„Warum hat sie sich so sehr verändert?“, die neugierige Stimme eines anderen Kerles ertönte im Raum und ich wollte schon die Tür öffnen, als das Mädchen schon antwortete.

„Stell dir mal vor, dass deine eigene Familie nie Zeit für dich hat und du immer alleine im Haus bist. Nicht einmal zu irgendeiner Essenzeit erscheinen sie oder führen ein wirkliches Gespräch in dem es nicht nur um die Arbeit und Zukunft geht. Dabei ist sie doch ihre Tochter. Sie tut mir leid. Wahrscheinlich wäre ich genauso wie sie, wenn ich immer wieder meine freie Zeit im Zimmer verbringen würde und nie meine Familie um mich herum hätte, die mich immer wieder am Telefon zusammenflickt. Auch wenn ich sie nie sehe, sind sie besser dran als die Eltern von ihr.“

Sie klang traurig. So, als würde sie ihre Familie wirklich vermissen. Sie hatte aber auch Recht. Meine Familie war einfach nur schrecklich. Und dennoch hängte ein kleiner Teil in mir an meinen Eltern.

„Bist du auf einmal Rührselig geworden? Oder woher kommt denn der plötzliche Sinneswandel?“, meinte mein Chauffeur spöttisch.

 

 

Kapitel 2

 

Ich wartete erst gar nicht eine Antwort ab, sondern riss die Tür auf und stolzierte in den Raum.

Überraschtes und erschrockenes Keuchen war zu hören und ich blickte auf fünf Leute.

Eine Frau und der Rest waren Männer.

Mein Blick fiel auf die Frau, die – sozusagen – gut von mir geredet hatte und sah sie von oben bis unten an.

Sie trug einfache Sportschuhe, eine Jeans und über einem einfachen dunkelblauen T-Shirt eine Schürze, während sie anscheinend das Auto poliert hatte, welches in seinem schwarzen Lack im Raum das Licht reflektierte.

Ihr hellbraunes, beinahe blondes Haar trug sie zu einem hohen Pferdeschwanz.

Ihre Augen hatten die Farbe von einem hellem, warmen blau und ihr Liedstrich war ihr gut gelungen.

„Wie heißen Sie?“

„Susanna…Susanna Chen, Miss.“, stotterte sie leise und man sah ihr ihre Angst an.

„Was machen Sie für eine Arbeit? Sind Sie hier angestellt?“, fragte ich sie und hob meine Augenbrauen.

„Ja, Miss. Ich…ich repariere und poliere die Autos, mache die Wäsche, helfe in der Küche aus, gehe einkaufen und es kommt vor, dass ich im Garten aushelfen muss.“, beeilte sie sich zu sagen und sah mich mit großen Augen an.

„Wie oft arbeiten sie in der Woche?“, interessiert sah ich sie an und sah sie Schlucken.

„Jeden Tag, Miss. Von sechs bis zu zehn Stunden am Tag.“

„Wie lange arbeiten Sie schon hier?“

„Etwas länger als ein Jahr, Miss.“

Länger als ich vermutet hatte. Nachdenklich sah ich sie an und beschloss später ins Büro meines Vaters zu gehen.

Langsam drehte ich mich um, sah dabei alle nur kurz an, bis ich an meinem Chauffeur hängen blieb.

Obwohl er seine Nervosität zu verbergen versuchte, fiel es mir sofort auf.

Der Burstkorb hob und senkte sich viel zu schnell.

Die Pupillen waren ein wenig geweitet.

Seine Halsschlagader pochte sichtbar.

Und seine Hand zuckte leicht.

Einen Moment lang sah ich ihn nachdenklich an, dann griff ich mit meiner Hand an meine hintere Hosentasche und zog das zusammen gefaltete Blatt heraus.

Mit flinken Fingern öffnete ich es und sah ein letztes Mal drüber, bevor ich es ihm reichte.

„Ich habe meine freie Zeit genutzt, um Ihnen eine Übersicht zusammen zu stellen, wann Sie mich wo abzuholen haben. Am Montag und Freitag arbeite ich in einem Hotelrestaurant und es könnte sein, dass ich Überstunden machen muss oder später komme, deshalb werde ich Ihnen etwas erklären. Wenn ich Sie angerufen habe, damit Sie mich abholen, rufen Sie mich kurz an, sobald Sie angekommen sind und werden vor dem Lokal warten. Sollte ich nicht antworten oder in Sicht sein, sind Sie dazu verpflichtet mich eine halbe Stunde später anzurufen. Sollte ich noch immer nicht auftauchen, gehen Sie in einem Zeitraum von 20-30 Minuten zu dem Lokal und sehen nach, ob etwas passiert ist. Zudem müssen Sie mich in sämtliche Butiken, Läden und so weiter begleiten. Keine Ausnahmen.“, erklärte ich ihm ausführlich und ich sah, wie er nickte und gleichzeitig das Blatt studierte.

„Ich möchte Sie noch auf etwas aufmerksam machen. Sollte es mir nicht gut gehen, dann Passen Sie gut auf. Ich kann ziemlich schlimm sein, müssen Sie wissen. Aber sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie etwas unternehmen müssen, greifen Sie ein. Aber ich warne Sie. Ich bin niemand, der sich von der einen Sekunden auf die andere sich beruhigt. Sie müssen starke Nerven haben, um mich auszuhalten. Vielleicht haben Sie die ein oder andere Situation miterlebt, aber die Tage mit mir werden Sie ganz bestimmt nie wieder in Ihrem gesamten Leben vergessen.“, beendete ich meine Ansprache und ich sah warnend in die Augen meines Chauffeurs.

Dieser Schluckte erst einmal alles herunter, was ich ihm aufgetischt hatte und sah kurz zu den anderen, bevor er mir wieder in die Augen sah.

„Ja, Miss.“

„Gut. Ich habe Ihnen alles auf das Blatt notiert, was Sie wissen müssen und sollten Sie Fragen haben, fragen Sie Bruno oder mich. Seine Nummer bekommen Sie von Tina, falls Sie sich nicht an mich wenden möchten.“, damit wandte ich mich von ihm ab und sah kurz zu den anderen und nickte leicht zum Abschied.

„Einen schönen Tag noch.“

Sobald ich aus dem Schuppen war, lief ich ins Haus, direkt zum Büro meines Vaters.

Eigentlich benutzten wir diesen Raum alle miteinander, aber es war eigentlich für meinen Vater vorhergesehen und somit war es sein Büro.

Der Schlüssel steckte wie immer im Schloss, sodass ich ihn nur zweimal umdrehen musste, um eintreten zu können.

Die Vorhänge waren zugezogen und mit großen Schritten überquerte ich den dunklen Raum und zog sie mit einem Ruck auf.

Sonnenstrahlen fielen ins Zimmer und ließen mich zusehen, wie Staub durch das Zimmer flog und auf manchen Möbelstücke sichtbare Staubschichten hinterlassen hatte.

Seufzend ging ich zum Aktenschrank und fasste an meinen Hals, nach meiner Kette.

Sobald ich sie ausgezogen hatte, nahm ich den Anhänger, der der Schlüssel für diesen Schrank war und öffnete die erste Schublade. Während ich mich zum Buchstaben C vorarbeitete, fiel mir auf, dass wir mehr Mitarbeiter dieses Jahr hatten, als sonst.

Schließlich fand ich die Akte und machte es mir auf dem Chefsessel gemütlich.

Chen, Susanna stand dick gedruckt auf der Akte und ich machte mich dran nachzusehen, wann sie ihren letzten freien Tag hatte. Mein Herz stockte, als ich sah, dass sie bisher keinen einzigen freien Tag seit genau einem Jahr und zwei Monaten hatte.

Hatte man sie über die freien Tage nicht aufgeklärt?

Ich musste schnell diesen großen Fehler wieder in Ordnung bringen und sofort wusste ich auch, wie.

In ihrer Akte suchte ich nach der Telefonnummer ihrer Familie. Dabei stach mir ihr Geburtsdatum ins Auge.

Sie wurde noch diese Woche Samstag 22 Jahre alt.

Wenn das nicht Zufall ist.

Ich griff nach dem Bürotelefon, welches noch vom letzten Jahrzehnt war und nahm die Telefonschnur  in die Hand, während ich sie in meine Finger eindrehte und ließ mich mit ihrer Familie verbinden.

„Guten Tag, Natalie Chen am Apparat.“, ertönte eine junge Stimme an der anderen Leitung und ich musste gegen meinen Willen etwas lächeln.

„Guten Tag. Ich bin Emma Jones und wollte Sie fragen, ob Sie die Mutter von Susanna sind.“

Von der anderen Seite der Leitung hörte ich jemanden sich kurz entschuldigen und kurz darauf nahm ich eine andere Stimme wahr.

„Hallo?“, kam es fragen und diese Stimme gehörte einer älteren Dame. Das musste die Mutter sein.

„Guten Tag, Mrs. Chen. Ich hoffe ich störe Sie nicht, aber es geht um Ihre Tochter Susanna. Es ist wichtig.“

„Ist etwas passiert? Geht es meiner Tochter gut?“, die angsterfüllte Stimme einer Mutter hallte in meinem Ohr wieder.

„Bitte beruhigen Sie sich wieder, es ist alles in Ordnung und Susanna ist wohlauf. Ich wollte eigentlich etwas anderes mit Ihnen besprechen.“, beruhigte ich sie sofort und ich nahm wahr, wie die Atmung von ihr sich regulierte.

„Bitte. Sprechen Sie.“

„Ich habe heute herausgefunden, dass sie ihre Tochter zuletzt vor vierzehn Monaten gesehen haben. Können Sie dies bestätigen?“, sicherheitshalber fragte ich nach, da man schließlich nie wusste.

„Ja. Ich habe meine Susi seit über einem Jahr nicht mehr gesehen.“, bestätigte sie meine Aussage und ich hoffte im Moment, dass nicht noch mehr davon betroffen waren.

„Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich habe mir heute die Akte Ihrer Tochter angesehen und bemerkt, dass sie bisher keinen freien Tag hatte oder ihre Familie besucht hat. Dabei ist es so, dass jeder Mitarbeiter einmal im Monat für ein Wochenende nachhause gehen darf und niemals sieben Tage die Woche arbeiten sollte. Wie dies passieren konnte, weiß ich nicht, aber ich möchte mich aus tiefsten Herzen dafür entschuldigen.“

„Wer sind Sie nochmal?“, hörte ich eine leicht brüchige Stimme fragen und ich musste traurig lächeln.

„Verzeihung. Ich bin Emma Jones, die Tochter des Hausherren, Ma´am. Ich habe einen Vorschlag zu machen und ich bitte Sie darum mir zuzuhören.“, bat ich sie und wartete ab.

Schweigen erfüllte die Leere im Raum und bald darauf willigte sie ein.

„Na gut. Was haben Sie mir Vorzuschlagen?“

Ich atmete einige Sekunden lang aus.

„Ihre Tochter hat diese Woche Geburtstag und da dachte ich, dass es für sie ein schönes Geschenk wäre, wenn sie ihre Familie wieder bei sich hätte. Ich würde Ihnen und ihrer Familie einen Wagen zuschicken lassen, um sie abzuholen. Außerdem würde ich mich sehr freuen, wenn sie meine Gäste wären und den Geburtstag Ihrer Tochter in meinem Haus feiern würden. Jedoch möchte ich Sie darum bitten während dieser Zeit Ihre Tochter nicht anzurufen oder etwas von dem Ausflug zu verraten.“

Sobald ich meinen Vorschlag ausgesprochen hatte, hielt ich leise den Atem an und wartete darauf, wie die Familie wohl dazu reagieren würde.

„Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen. Vielen Dank.“, brachte Mrs. Chen weinend hervor und schluchzte. Ich hörte auch noch jemand anderen im Hintergrund leise reden und wahrscheinlich war es Nathalie, die sie versuchte zu beruhigen.

„Würde es Ihnen passen, wenn ich Sie am Samstag abholen lasse? Ich würde Susanna sagen, dass ich Gäste erwarte und dann könnten Sie sie gleich in die Arme schließen, ohne vorher großartig auf sie warten zu müssen.“, schlug ich vor und sofort waren sie einverstanden und lächelnd legte ich auf, sobald wir uns großzügig verabschiedet hatten.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit alle Akten durchzulesen und mir von Tina die Liste mitbringen zu lassen. Anscheinend war Susanna die einzige Mitarbeiterin, die von allem keine Ahnung hatte.

Zur Sicherheit sah ich noch einmal in ihrer Akte nach, ob ich etwas übersehen hatte mit den freien Tagen, aber dem war nicht so.

Dass ich von dieser Auktion entsetzt war, bemerkte auch Tina und sie fragte mich immer wieder, ob alles in Ordnung war.

Schließlich ging ich am späten Abend nach unten und lief zum Essenssaal und nahm am leeren Tisch Platz, wo nur für mich gedeckt war.

Sobald ich gegessen hatte, ging ich in die große Küche der Arbeiter und störte einige beim Essen oder beim Kochen, weswegen ich entschuldigend in die Gegend sah.

„Tut mir Leid für die erneute Störung, aber ich habe etwas zu verkünden.“

Augenblicklich hörte jeder auf zu essen oder sich zu bewegen und ich lief nach vorne, vor die Küchenplatte, damit mich auch jeder sehen konnte.

„Am kommenden Samstag erwarte ich Gäste und ich möchte, dass alle Gästezimmer bereitgestellt werden und das Haus auf Hochglanz geputzt wird. Aber das wichtigste wollte ich ihnen jetzt mitteilen. Einer meiner Gäste hat Geburtstag und ich möchte eine große Party schmeißen. Ich möchte, dass es alles gibt, was das Herz begehrt und sie dürfen alle miteinander entscheiden, wie die Dekoration sein sollte. Der Preis ist egal. Aber übertreiben sie es bitte nicht. Die Person ist weiblich und wird 22 Jahre alt und ich möchte eine großartige Torte. Sollte es zu viel Arbeit sein, dann lasse ich eine von der besten Konditorei schicken. Also heben sie die Hand. Konditorei oder hier? Hand oben heißt Konditorei.“, verkündete ich und sah dabei zu, wie beinahe alle die Hand hoben.

„Gut, damit ist die Sache geklärt. Ich hoffe, dass sie alle am Samstagabend nichts zu tun haben, denn sie sind alle hiermit herzlich eingeladen auf der Party zu sein. Sie können anziehen was sie wollen. Kleider, Smokings oder einfach nur Jeans und T-Shirt. Das ist egal. Hauptsache sie erscheinen und Ihre Kleidung ist nicht allzu peinlich.“

Einige Lachten leise und ich sah auf einigen Gesichtern, wie sie sich schon auf die Feier freuten und wahrscheinlich schon überlegten, was sie anziehen sollten.

„Nur zur Sicherheit. Sollte jemand von Ihnen nichts zum Ankleiden oder Anziehen haben, solle er zu mir kommen und Bescheid geben oder von Tina die Karte nehmen, mit der sie einkaufen können, was das Herz begehrt.“, stellte ich klar und sah im Allgemeinen noch mal in den Raum und einige nickten gedankenvoll.

„Nun, denn. Ich brauche noch zwei oder drei Fahrer, die meine Gäste am Samstag abholen könnten. Wer würde sich dazu bereit erklären?“, fragend sah ich herum und drei Männer traten vor.

Es waren die, die mit meinem Chauffeur und Susanna im Raum waren.

„Wir, Miss.“, verkündete der erste von ihnen.

„Dankeschön. Tina, würden Sie es dann später aufschreiben?“

Sie nickte lächelnd und hielt gleich darauf ihr Klemmbrett unter die Nase.

„Ist eigentlich Susanna Chen hier im Raum?“, neugierig sah ich sie an, doch alle schüttelten den Kopf.

„Ich wollte ihr darüber noch Bescheid geben und wollte sie noch um etwas bitten.“, gab ich seufzend zu.

„Sie ist im Zimmer, Miss. Soll ich Sie hinführen?“, fragte Tina und ich nickte und wollte mich schon zur Tür zuwenden, als ich mich noch einmal umdrehte.

„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und gutem Appetit.“

Schnell ging ich aus dem Zimmer und gleich darauf führte mich Tina zu Susannas Zimmer.

Vor der Tür blieb ich stehen und bedankte mich bei Tina, bevor ich anklopfte und dann eintrat, als man mit vom Zimmer aus hineinbat.

Ich schloss die Tür hinter mir zu und sah auf – eine im Bett liegende – Susanna. Sofort sah sie mich erschrocken an und wollte schon aufstehen, doch ich hob schnell die Hand, um sie davor zu hindern.

„Bitte, keine Umstände. Bleiben Sie ruhig liegen.“, bat ich sie und obwohl sie verwirrt war, lehnte sie sich zurück, zog die Beine an  und sah mich fragend an.

Ich an ihrer Stelle hätte auch nur Bahnhof verstanden.

Mein Blickschweifte durchs Zimmer und ich sah mich entsetz um.

„Hat man Sie nicht Ihr Zimmer gestalten lassen?“, fragte ich schockiert und als sie den Kopf schüttelte, sah ich mich noch einmal mit offenem Mund um, bevor ich ihn zuschloss und zu Susanna zurück sah.

Ich würde dafür sorgen, dass ihr Zimmer wie ein Traum aussah. Und wie.

Dieses Zimmer sah aus wie vom letzten Jahrhundert und ich fragte mich, wie der Schrank oder das Bett überhaupt noch etwas tragen konnten.

„Dürfte ich mir bitte kurz Ihren Schrank ansehen?“, höflich sah ich sie an und als sie erneut den Kopf hob und senkte, lief ich zu dem braunen Etwas und öffnete die Schranktür.

Sie hatte kaum Kleider drin und alle die sie hatte, hingen im Schrank an der Stange.

Etwa fünf Paar Hosen, einen Rock, zwei Kurze Shorts, einige T-Shirts, zwei Blusen und ein einfaches schwarzes Sommerkleid.

„Wie es mir dachte.“, murmelte ich leise vor mich hin.

Ich warf ihr kurz einen Blick zu, bevor ich denn Schrank zuschloss und mich zu ihr ganz umdrehte.

Ich lief zu ihrem Bett und deutete auf das Ende des Bettes.

„Darf ich?“, fragte ich, da ich keinen Stuhl im Zimmer entdeckt hatte und setzte mich, sobald sie wieder nickte.

Das Bett knarrte leicht und ich sah sicherheitshalber schnell auf die Bettstützen und einer war sogar leicht angebrochen, sodass das Bett etwas schräg stand.

Innerlich kämpfte ich damit keine Krise zu bekommen und Susanna in ein fünf Sterne Hotel zu verfrachten.

„Sind die anderen Zimmer genauso…nun ja, entstellt?“, fragte ich sie und erneut schüttelte sie den Kopf.

Einerseits war ich erleichtert, dass es nicht noch mehr Fälle gab und andererseits fühlte ich mich so schlecht wie noch nie zuvor. Dieses Mädchen hatte ein Jahr lang nichts schönes hier gehabt. Das musste sofort nachgeholt werden.

„Zuallererst muss ich mich für ihr Zimmer entschuldigen. Ich wusste nicht, dass Ihres so aussieht, obwohl jeder seine Gestalten darf, sobald er hier anfängt zu arbeiten.“, entschuldigte ich mich leise und sah auf den Holzboden.

„Ich bin eigentlich hier her gekommen, um Ihnen zu sagen, dass Sie mich die nächsten Tage begleiten sollten. Ich muss einige Sachen besorgen und wollte, dass sie mitkommen. Außerdem wollte ich Ihnen noch etwas sagen. Diese Woche Samstag bekomme ich besondere Gäste und ich möchte, dass Sie immer in deren Nähe sind und mit ihnen alles unternehmen, was meine Gäste sich wünschen. Am Samstagabend feiern wir auch noch eine Geburtstagsparty. Die Tochter hat Geburtstag und alle sind eingeladen mitzufeiern. Auch Sie, wenn Sie mögen.“

Kurz machte ich eine Pause und sah auf. Sie hatte ihre Hände leicht in der Decke vergraben und versuchte sich zusammen zu reißen.

Wahrscheinlich war sie enttäuscht, dass sie nicht nachhause konnte und nun an ihrem Geburtstag arbeiten musste. Die Arme.

Aber ich musste mich an meinen Plan halten.

„Morgen möchte ich mit Ihnen Möbel und anderweitige Dinge einkaufen gehen. Am Samstag werden wir erst einmal schön shoppen gehen. Sie und ich brauchen Kleider und zwar eine Menge. Außerdem sollte ein Friseurbesuch nicht schaden.“

Ihr Blick fiel auf ihrer offenen Haare und dann wieder zu mir.

„Würden Sie mich begleiten?“, fragte ich lächelnd und erneut nickte sie.

„Vielen Dank. Begleiten Sie doch bitte den neuen Chauffeur mit zur Schule. Von dort aus gehen wir gleich los und erneuern Ihr Zimmer.“

Langsam stand ich auf und sah noch einmal kurz zu ihrem Schrank.

„Ich werde Ihnen einige Kleidungsstücke heute Abend zukommen lassen. Ziehen Sie diese bitte am Freitag und Samstag an. Wenn die Kleidungsstücke Ihnen gefallen, können Sie sie ruhig behalten.“, damit winkte ich ihr kurz zum Abschied und wünschte ihr noch einen schönen Tag, bevor ich das Zimmer verließ und den langen Flur entlang ging.

Irgendwann lief ich an der Küche vorbei und sah kurz hinein. Einige waren darin beschäftigt die Küche zu putzen, oder heftig miteinander zu diskutieren. Auf einem Tisch lagen mehrere Blätter, auf denen sie wahrscheinlich die Ideen für die Party aufschrieben.

Zufrieden und mit einem guten Gefühl lief ich lautlos die wenigen Treppenstufen hoch und kam bald darauf im Wohnzimmer an.

Überrascht sah ich zu Tina, die mich anscheinend schon erwartete.

„Kann ich noch etwas für Sie tun?“, lächelnd sah sie mich an, doch ich schüttelte den Kopf.

„Vielen Dank, aber das war es vorerst auch schon. Sollten Sie etwas für mich haben, ich bin im Büro meines Vaters.“, lehnte ich ab und rief bei Susannas Familie an, um mich zu erkundigen, wie viele Leute kommen würden und ob sie bestimmte Wünsche hätten. Nachdem der erste Anruf erledigt war, rief ich die Konditorei an, die dem Hotel meiner Mutter immer Nachtisch und Dessert lieferten und machte einen Termin für morgen Abend aus.

Ich fertigte eine Liste an und schrieb alles drauf, was ich benötigen würde und schrieb mir die Zimmergröße von Susanna auf und begann einige Skizzen zu ihrem Zimmer zu machen.

Ich hoffte, dass bis Samstag ihr Zimmer wie neu aussah.

Zuletzt erledigte ich noch einige Anrufe bei einigen Handwerkern und Malern, die das Zimmer neu gestalten würden, nachdem sie alles zerstört und entsorgt hatten.

Müde strich ich mir die Haare zurück und band meine Haare erneut zu und stand auf. In meinem Zimmer lief ich zum Ankleidezimmer und als ich einige Kleider in den weißen Folien sah, fiel mir ein, dass ich Susanna noch Kleider für die kommenden Tage bereitlegen wollte.

Nachdem ich die eingehüllten Kleidungsstücke geöffnet hatte und mir ansah, was sich darin befand, schnappte ich mir vier von ihnen und noch einige weitere Schuhpaare, sowie etwas Schmuck.

Mit den Kleidern auf den Armen und Händen, machte ich mich erneut auf zu Susannas Zimmer zu gehen.

Diesmal brauchte ich keine Hilfe, da mein Gedächtnis alles gut abgespeichert hatte und landete wenige Minuten später vor ihrer Zimmertür.

Leise klopfte ich an und als ich keinen Laut wahrnahm, öffnete ich sie.

Susanna lag im Bett und schlief.

So leise wie möglich hängte ich die Kleider an den Knauf ihres Schrankes und legte die Schuhe auf den Boden. Den Schmuck legte ich auf ihre kleine Kommode und betrachtete einige Sekunden lang das Teil verärgert, da es anscheinend ebenfalls aus dem letzten Jahrhundert kam.

Ich fragte mich, warum Susanna sich nie beschwert hatte, weshalb ihr Zimmer in diesem Zustand war und das von den anderen aber wie ein wahr gewordener Traum.

Morgen würde ich sie danach fragen.

Einige Sekunden lang sah ich mich im Zimmer um, bis mir der Brief einfiel, der in meiner Hosentasche steckte und legte ihn auf die Kommode.

Genauso leise wie ich gekommen war, verschwand ich wieder und ging in mein Zimmer, wo ich erst einmal mich auszog und mir meine Sachen für die Dusche schnappte.

An den Rest des Tages erinnerte ich mich nicht mehr. Irgendwann musste ich dann ins Bett gegangen sein, da ich in einen traumlosen Schlaf fiel und mich zum ersten Mal nach langer Zeit ausgeruht fühlte.

 

„Ah, da ist ja meine Königin.“, rief Ryan, sobald er mich sah und drückte mir einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. Lächelnd sah ich zu meinem Freund.

„Hey.“, begrüßte ich ihn, während ich ihm in die Augen sah und an meiner Innenwange herum biss.

„Heute und morgen Abend startet bei meinen Kumpels eine Party. Würde es bei dir heute klappen, EJ? Falls dein Dad oder deine Mom nichts dagegen haben.“, fragte er mich und ich war froh, dass ich heute und morgen schon etwas vorhatte.

„Geht leider nicht. Ich bin gleich nach der Schule mit einer Freundin verabredet und morgen bin ich auf einer Geburtstagsparty eingeladen. Sorry.“

Schnell entschuldigte ich mich bei ihm mit einem süßen Kuss.

Die Schulglocke läutete in diesem Moment und ich stellte mich ein letztes Mal auf die Zehnspitzen, um ihm einen Abschiedskuss zu geben.

„Ich muss los. Ich habe jetzt Mr. Kingsley und du weißt doch, wie sehr er Verspätungen hasst.“, entschuldigte ich mich und huschte an ihm vorbei, um es noch in die Klasse zu schaffen.

Zum Glück schaffte ich es noch rechtzeitig und setzte mich auf meinen Platz in der dritten Reihe, direkt am Fenster.

Wir sahen uns einen Film ab, den ich schon kannte. Dadurch musste ich mich nicht auf den Unterricht oder Film konzentrieren, sondern konnte ganz gemütlich aus dem Fenster starren.

Immer wieder liefen einige Schüler vorbei, einer von Ihnen sprühte sogar etwas an die Wand und während ich ihm zusah, wartete ich auf das Erlösen der Schulglocke zum Schulschluss.

Fünf Minuten später ging meine Erhörung in Erfüllung und ich packte schnell meine Sachen zusammen und verließ als eine der Ersten das Schulgebäude.

Wie immer wartete der Wagen auf der anderen Straßenseite und ich entdeckte Susanna auf dem Beifahrersitz, die gerade mit meinem Chauffeur heftig diskutierte.

Ich wartete erst gar nicht ab, dass sie mich sahen, sondern öffnete einfach die Autotür und stieg ein.

Die beiden bekamen noch nicht einmal mit, dass ich eingestiegen war und redeten weiter.

Vielleicht ignorieren sie mich auch.

„Warum lässt du dir so etwas gefallen?“, schnauzte er sie an und sah aus dem Fenster. Wahrscheinlich wartete er auf mich.

Umsonst, würde ich sagen.

„Misch dich da nicht ein. Es ist meine Sache und nicht deine.“, verteidigte sie sich selber und ich sah gespannt zu meinem Chauffeur und darauf, was er wohl antworten würde.

Schade, dass ich hier kein Popcorn hatte. Die beiden waren wie ein streitendes Ehepaare im Fernsehen.

„Nur weil es deine ist, heißt das nicht, dass es mich nicht interessiert. Und überhaupt. Wer hat gerade damit angefangen? Du. Also hör auf mich anzuschnauzen, wenn ich dir doch nur Gutes will.“, stellte er ruhig dar, obwohl seine Stimme heimlich vor Wut zitterte.

Mit angehobener Augenbraue sah ich weiter dem Schauspiel zu und lehnte mich zurück.

„Ich weiß. Tut mir leid.“, entschuldigte sie sich leise bei ihm und nahm kurz seine Hand in die ihre und drückte sie leicht, während sie sich in die Augen sahen.

Verwirrt sah ich weiter zu.

Sind die beiden ein Paar gewesen?

Spannend war es auf jeden Fall.

„Was meinst du, wie lange sie noch braucht?“, fragte mein Chauffeur sie, während er aus dem Fenster sah.

„Keine Ahnung. Aber sie hat erst seit zwei Minuten Schulschluss. Keine Eile.“

„Die haben wir aber. Sie muss heute Abend noch arbeiten und ich glaube kaum, dass das Aussuchen der Möbel schnell gehen wird. Wahrscheinlich wird es den ganzen Nachmittag dauern.“, meinte er etwas ungeduldig.

Ich hatte ganz vergessen, dass ich heute arbeiten musste. Gut, dass man mich daran erinnert.

„Fahren wir?“, bat ich ihn und lehnte mich etwas vor.

Beide zuckten ziemlich zusammen und Susanna drehte sich keuchend um und sah mich mit geweiteten Augen an.

Sie fasste sich an die Brust und versuchte normal weiter zu atmen, was einige Sekunden dauerte. Gleichzeitig schnallte ich mich an und sah dann wieder zu ihr.

„Entschuldigung.“

„Sie müssen sich nicht entschuldigen, Miss. Wir haben Sie nur nicht bemerkt.“, winkte Susanna ab und kurz darauf fuhren wir los.

„Das heiß, ich müsste mich nicht entschuldigen, wenn Sie wegen mir einen Herzinfarkt erleiden?“, zweifelnd sah ich sie an und kurz darauf erschien ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen.

„Solang ich keinen Herzinfarkt erleide oder nicht im Krankenhaus liege, müssen Sie sich nicht entschuldigen.“

„Gut zu wissen. Dann weiß ich ja, was ich an Halloween vorhabe.“, meinte ich beiläufig trocken. Kurz darauf kicherte sie leise und zufrieden sah ich von ihr zur Straße, dann zum Rückspiegel.

Der Chauffeur beobachtete mich und ich erwiderte seinen Augenkontakt, bis er seinen Blick wieder abwendete und zur Straße sah.

„Susanna?“

„Ja?“, kam es von vorne.

„Wissen Sie schon, wie Ihr Zimmer aussehen sollte?“, neugierig sah ich zu Susanna und sie drehte sich zu mir um und nickte.

„Ja. Ich habe eine Vorstellung im Kopf, aber ob ich sie umsetzten kann ist eine andere Sache.“

„Oh, machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde denen die Hölle heiß machen, wenn Sie nicht das bekommen, was Sie sich wünschen. Das bin ich Ihnen schuldig.“, beruhigte ich sie und sah zur Seite, direkt auf meinen Rucksack.

„Haben Sie die Maßen der Raumlänge und Deckenhöhe?“, erkundigte ich mich und als ich sie erschrocken einatmen hörte, sah ich auf.

„Keine Sorge. Ich kenne sie.“, besänftigte ich sie. Langsam hatte ich das Gefühl, dass dieser Frau alles einen Schrecken versetzte.

„Da bin ich aber erleichtert. Danke.“, bedankte sie sich und drehte sich wieder nach vorne.

„Erschrecken Sie sich immer so leicht?“, unbewusst sprach ich meine Gedanken aus und sah sie mit schief gelegtem Kopf an.

„Leider, ja. Meine Mutter zweifelt immer an mir und meiner Zurechnungsfähigkeit, wenn ich schon in die Höhe springe, sobald die Tür ins Schloss fällt.“, gab sie lachend zu und ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen.

Gleich darauf wurde es still im Wagen und ich sah zu Susanna und beobachtete sie, während sie nachdachte.

Wahrscheinlich dachte sie an ihre Familie.

Augenverdrehend wandte ich mich zum Fenster und sah wieder auf die vorbei huschenden Bäume. Groß, groß, klein, mittel, Busch, klein, groß, eine lange freie Sicht auf ein Getreidefeld und nur noch Gestrüpp.

Ziemlich viel Gestrüpp.

Mein Körper rutschte näher ans Fenster, mein Oberkörper wandte sich ganz zum Fenster und meine Hände fanden die Fensterbank.

Die Wolken am Himmel hatten Formen genommen und ich versuchte herauszufinden, was sie darstellten. Mit dem Zeigefinger an der Fensterscheibe, versuchte ich die Formen nachzufahren und durch das Lichtverhältnis zu erkennen, wie die Sonnenstrahlen die Wolken zeigten.

War das ein Tintenfisch?

Ich legte den Kopf leicht seitlich in den Nacken und wiederholte  es auf der anderen Seite.

Die Wolken verformten sich wieder und es sah so aus, als wäre ein riesen großer Hund am Himmel.

Mein Blick fiel kurz auf die Bäume, als mir auch schon auffiel, dass statt der vielen Bäume nun Gebäude oder Einkaufszentren standen.

Überrascht drehte ich mich nach vorne und sah nach vorne, wo der Chauffeur im Kreisel die erste Ausfahrt nahm.

Die Stimme des Navigation Systems erschreckte mich. War ich so sehr in meiner Welt versunken?

Tatsächlich.

Wir mussten bestimmt schon seit einer halben Stunde durch die Gegend gefahren sein.

Unglaublich.

Kapitel 3

 

Irgendwann parkten wir vor einem riesen großen Möbelgeschäft und ich sah noch einmal ein letztes Mal hinaus, bevor ich mir meinen Rucksack schnappte und ausstieg, als mir der Chauffeur die Tür öffnete.

Ohne mich zu bedanken, lief ich einige Schritte und drehte mich zu ihnen um.

„Also, Susanna. Sie dürfen kaufen, was Sie wollen. Schauen Sie nicht auf den Preis. Sie haben es sich verdient und ich bin Ihnen etwas schuldig.“, hielt ich ihr vor, bevor sie etwas sagen konnte und wandte mich zu meinem Chauffeur.

„Und Sie kommen am besten mit rein. Jemand muss den Wagen schieben und vielleicht bei einigen Dingen helfen.“, wies ich ihn an.

Ohne darauf zu warten, dass er hinterherkam, verließ ich den großen Parkplatz und blieb abwartend vor der Eingangstür stehen.

Keine Minute später betraten wir eine große Halle und liefen an den vielen Regalen vorbei und Lampen.

Irgendwann blieb ich stehen und kramte aus meiner Rucksacktasche einige Pläne heraus, die ich gestern entworfen hatte und nahm ein neues Blatt heraus.

„Ich habe hier einige Skizzen, wie Sie Ihr Zimmer gestalten könnten. Ich wollte Ihnen veranschaulichen, was alles in 40 m2 großes  Zimmer hineinpassen kann.“

Sie nahm die Skizzen in die Hand und sah sie sich an.

„Sie sind eine gute Zeichnerin, Miss.“, gab sie leise zu und ich sah verwundert zu ihr auf.

„Vielen Dank.“, mit einem kleinen Lächeln nahm ich ihr Kompliment an und fühlte mich einen Moment lang im Körper erwärmt.

In der Nähe standen einige Stühle und ich lief hin und setzte mich hin, während die anderen mir folgten.

„Also, wie haben Sie sich Ihr Zimmer vorgestellt? Ich mache nur eine Skizze davon, damit wir genau wissen, wie es am Ende aussehen sollte.“, schlug ich ihr vor und sie nickte, während sie alles im Detail beschrieb und ich es aufschrieb.

Während ich eine längliche Kommode zeichnete, ertönte mein Handyklingelton.

Schnell nahm ich an, damit nicht jeder das traurige Lied von Damien Rice hörte.

„Emma Jones.“, meldete ich mich und stand auf.

„Guten Tag, Miss Jones. Ich bin es, Tina. Ich wollte Ihnen Bescheid geben, dass einige Handwerker gekommen sind und gemeint haben, dass ich sie in Susannas Zimmer bringen sollte. Ich wollte mich nur kurz versichern, ob es auch stimmt und was die Männer machen sollten.“, informierte sie mich und es herrschte eine fragende Stille.

Ich sah kurz zu Susanna und dann zu meinem Chauffeur, bevor ich antworte.

„Die Männer kommen von mir. Sie sollen alles aus dem Zimmer rausreißen und den Boden erneuern. Der Maler kommt später, aber das besprechen wir dann am Abend, wenn wir eine Farbe ausgesucht haben.“, versicherte ich ihr und wippte mit dem einen Bein nach vorne.

„Außerdem möchte ich, dass Sie alle Wertsachen und Kleidungen aus dem Zimmer nehmen und wo anders abstellen. Sollte etwas geklaut werden, kann ich sofort überprüfen, wer es war. Die Kameras wurden nicht umsonst installiert. Passen Sie auf, dass man die Handwerker immer beobachtet oder einer sich mit ihnen im Zimmer aufhält. Man weiß schließlich nie.“

Auf Tinas Erwiderung wartete ich erst gar nicht ab, sondern legte einfach auf und ließ mein Handy in meiner Hosentasche verschwinden.

„Wir sollten und beeilen, wenn wir Möbel für Ihr Zimmer, Badezimmer und Ankleidezimmer brauchen.“, meinte ich, sobald ich mich wieder an die beiden angewandt hatte. Die eine von denen sah mich ungläubig an und der andere sah mich ein wenig überrascht an.

„Welches…welches Badezimmer? Oder Ankleidezimmer?“, fragte Susanna und brachte mich dazu in meiner Bewegung inne zu halten, als ich gerade auf meine Tasche zugehen wollte.

Entsetzt sah ich sie an.

„Sie wissen nichts von ihrem Bade- und Ankleidezimmer?“

Sie schüttelte unsicher den Kopf.

„Oh mein Gott.“, war alles, was ich entrüstet herausbrachte.

Mit einem wütenden Lächeln entschuldigte ich mich kurz.

„Ich muss kurz ein erneutes Gespräch führen.“

Damit ging ich einige Schritte weiter weg und rief erneut Tina an.

Bevor sie sich auch nur melden konnte, zischte ich wütend rein.

„Wer von ihnen Idioten hat Susanna Chen ins Haus eingeführt und alles gezeigt?“

„Ich war es, Miss.“, flüsterte Tina leise und erschrocken, doch ich ließ mich nicht beirren.

„Ich erwarte Sie im Büro, sobald ich zurück bin. Und sorgen Sie dafür, dass die Handwerker den Weg zum Bade- und Ankleidezimmer finden. Außerdem werden Sie neue Türrahmen kaufen, die die Männer so schnell wie möglich in jedes Zimmer meiner Angestellten einbringen werden, damit diese auch überhaupt eine Ahnung haben, dass sie noch weitere Räume haben. Sollte es Komplikationen geben, rufen Sie mich an!“

Wütend legte ich auf und atmete erst einmal durch, bevor ich mich umdrehte und in ein geweitetes Augenpaar sah.

„Hat Tina Ihnen überhaupt etwas gezeigt, oder einfach nur für Sie jede Tür geöffnet, ein zwei Worte gesagt und ist verschwunden? Seien Sie ehrlich.“

Sie zuckte etwas zusammen, als ich wütend mit ihr sprach und traute sich erst gar nicht den Kopf zu heben.

„Sie…sie hat mir einige Räume gezeigt, wo ich zu arbeiten habe, aber sie…sie hat es nicht wirklich ausführlich erklärt. Sie bekommt jetzt doch keinen großen Ärger, oder?“, ihre Stimme zitterte leicht.

Sofort verblasste mein Zorn und ich ging vor ihr auf die Knie.

„Sehen Sie mich bitte an.“, bat ich Susanna und es dauerte einige Sekunden, bevor sie mich mit wässrigen Augen ansah.

„Was Tina getan hat, war falsch. Sehr falsch. Sie hätte ihre Zeit für Sie opfern müssen, um Ihnen alles zu zeigen. Sie wissen nicht, mit welchen Gefühlen ich mich geplagt habe, nachdem ich mir Ihr Zimmer und Ihrer Akte angesehen habe. In diesem Zimmer hätten Sie alle möglichen Arten von Krankheiten oder Viren abbekommen können. Es hätte Schimmel an der Decke oder aufm Boden, sowie an den Wänden platziert sein können.“, versuchte ich ihr zu verstehen zu geben.

„Ich hätte es mir niemals verziehen, wenn sie dadurch erkrankt wären. Niemals. Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber das Wohl meiner Angestellten ist mir sehr wichtig. Und darum bin ich ziemlich entsetzt darüber, dass Sie ein ganzes Jahr lang so gelebt haben. Tina trägt die Verantwortung dafür, dass Ihnen etwas zustoßen würde. Zum Glück bin ich auf Sie in der Garage zugestoßen.“

Kopfschüttelnd dachte ich daran, was wenn nicht und es war keine allzu schöne Vorstellung. Sie hob den Kopf, um sich die Tränen wegzuwischen.

„Ach, Susanna. Kommen Sie doch bitte am Montag oder Dienstag zu mir. Ich muss mit Ihnen eine Menge bereden müssen. Ich versichere Ihnen, dass es nichts schlimmes sein wird. Sie haben schließlich nichts falsch gemacht.“, beruhigte ich sie sofort, als sie mich wieder erschrocken ansah.

„Ehrenwort.“, schnell hob ich die rechte Hand zum Schwurbeweis hoch und kurz darauf lächelte sie wieder und nickte.

„Nun sollten wir endlich anfangen.“

Ich stützte meine Hände an den Oberschenkeln ab und stand auf.

Hinter mir hörte ich ein Geräusch und als ich mich umdrehte, merkte ich erst jetzt, dass mein Chauffeur noch immer hier war. Anscheinend hatte ich ihn vergessen.

Innerlich musste ich lächelnd den Kopf schütteln und sah dabei zu, wie er Susanna ein Taschentuch reichte.

„Danke.“, murmelte sie und schniefte einmal kurz hinein.

„Nun, denn. Wir brauchen Hilfe, wenn wir hier weiter kommen wollen.“, meinte ich leise vor mich hin und sah kurz zu meinen Angestellten.

„Würden sie beide mir den Gefallen tun und das ignorieren, was ich jetzt vor habe?“, bittend sah ich sie an. Dem einen war es egal, aber der anderen wiederfuhr ein zögerliches nicken.

„Ich bin gleich wieder zurück.“

Nachdem ich durch einige Gänge gelaufen war, fand ich einen Arbeiter am Computer auf und knöpfte schnell die ersten beiden Knöpfe meiner Bluse auf, öffnete meine Haare und setzte ein süßes Lächeln auf.

„Entschuldigen Sie bitte, aber könnten Sie mir und meinen Freunden hier aushelfen?“

Sofort sah er auf und ich biss mir absichtlich auf die Unterlippe, als ich meinen Blick über seinen Körper schweifen ließ.

Eigentlich war er nicht mein Typ, aber ich anscheinend seiner, denn er wandte sich sogleich zu mir und grinste mich an.

„Natürlich.“, meinte er und ich lief wieder los, damit er mir folgen konnte und bewegte meine Hüfte mehr als nur auffällig. Aber ich achtete darauf, dass es auch noch so aussah, als würde ich geschmeidig laufen und nicht wie eine, die hier einen Bauchtanz während des Gehens aufführen wollten.

Sobald meine Angestellten in Sicht waren, musste ich mich dazu zusammenreißen weiter zu spielen und legte meinen Kopf schief und lächelte, während ich ihnen zuwinkte.

Schüchtern erwiderte Susanna mein Winken und mein Blick wanderte zu meinem Chauffeur, der mit angehobener Augenbraue mich musterte, sobald ich mich zu ihnen gesellt hatte.

Kurz sah ich ihn warnend an, bevor ich mich lächelnd zu dem Mitarbeiter wandte.

„Also, meine wunderbare Freundin Suse“, schnell stellte ich mich neben sie und legte meinen Arm um ihre Schulter, sodass man ein wenig mehr meinen Ausschnitt sah und mein Oberteil ein wenig nach oben rutschte.

„braucht ein ganz neues Schlaf-, Bade- und Ankleidezimmer. Das heißt, wir werden wahrscheinlich die ganze Zeit Ihre Hilfe benötigen und ich hoffe es stört Sie nicht, wenn Sie vielleicht noch ein, zwei weitere Kerle wie Sie schicken würden.“, frech grinste ich ihn an und er musste sich dazu zwingen mir ins Gesicht zu sehen, anstatt mit dem Blick weiter in Richtung Süden zu wandern.

„Klar.“, meinte er lächelnd und griff nach einem kleinen Ding, was wie ein zu dick geratenes Handy aussah und sprach hinein. Ein Walkie-Talkie?

Es dauerte keine Minute und zwei weitere Kerle gesellten sich zu uns. Der eine sah aus wie ein Adonis nach dem Fitnessstudio und der andere Kerl wie ein Typischer Mädchenschwarm á la Jude Law.

Damit konnte ich etwas anfangen.

Sie gesellten sich zu uns und sofort lagen die Augen auf mir und meinen Brüsten.

„Danke, dass sie gekommen sind, um uns zu helfen. Wollen wir dann anfangen?“, begeistert sah ich sie an und natürlich waren die Kerle sofort Feuer und Flamme.

Leute in meiner Nähe steckten sich sehr schnell meiner Freude, auch wenn sie gespielt war, an und bemerkten kaum noch, was sie taten.

„Wollen wir erst einmal nachsehen, was es für Bettsachen gibt, bevor wir mit den anderen anfangen?“, fragte ich an Susanna angewandt und nahm meinen Arm von ihr herunter.

Sie nickte einverstanden und somit brachten uns die Kerle zu den Betten und einer war sogar so freundlich uns einen zweiten Wagen zu besorgen, sodass ich den Chauffeur nicht noch einmal hinaus sicken musste.

Wir liefen an einigen Betten vorbei und Susanna probierte auch einige aus, aber ihr schienen sie nicht wirklich zu gefallen.

„Sie müssen sich ja nicht sofort entscheiden. Wir kaufen einfach schon mal die anderen Sachen und kommen später wieder her.“, schlug ich ihr vor, doch sie schüttelte den Kopf.

Sie zeigte mit dem Zeigefinger hinter mich und ich drehte mich um und blickte auf ein schwarzbraun gefärbtes Bett.

„Hübsch.“, kommentierte ich überrascht und lief mit Susanna zum Bett.

Ich fuhr kurz mit der Hand über den Holzrahmen am Ende des Bettes und lächelte leicht.

„Massives Kiefer.“

Susanna sah mich überrascht an, doch ich winkte nur ab.

„Möchten Sie es haben?“, neugierig sah ich sie an und sie nickte.

„Aber ist es nicht zu teuer?“, unsicher sah sie auf das Preisschild.

„Erinnern Sie sich, was Ihnen vor weniger als einer Stunde gesagt habe?“

„Dass ich nicht auf den Preis achten soll?“

„Ganz genau. Und das tun sie bei jedem Möbelstück.“, wies ich sie an und wandte mich an die Herren um.

„Wir brauchen dieses Bett. Könntet ihr es bitte so schnell wie möglich besorgen?“, fragend lächelte ich sie an und sofort machte einer sich dran im Lager nachzufragen, ob sie dieses Bett hatten.

„Warten Sie hier, während wir nach dem Bettzusatz suchen?“, damit wandte ich mich an meinen Chauffeur und dieser nickte.

Susanna nahm sich einige heraus. Manche waren weiß mit einigen rosa Blüten und Mustern, dann eines, welches in einem Hellem braunem Ton war und dann noch welche, die ganz weiß oder in einem lilaweißen Ton.

Nebenbei bemerkten wir die Matratzen, weswegen wir schnell unsere Einkäufe in den Einkaufwagen legten und wieder zurück eilten.

Susanna legte sich auf die Betten, während ich die Qualität überprüfte.

Ein Bett sollte nicht nur gemütlich, sondern auch praktisch und gut aussehend sein.

Ich setzte mich an den Rand der Matratze und hüpfte ein wenig herum.

Diese hier war zu hart.

Sofort stand ich auf und sah zu Susanna, die es sich auf einem Bett gemütlich gemacht hatte und nicht mehr aufstehen wollte.

Ich setzte mich auf diese Matratze und war überrascht, wie gut es sich anfühlte.

Ich angelte nach dem Preisschild

„Federkernmatratze. Nicht schlecht. Jetzt brauchen wir nur noch die richtige Größe.“, murmelte ich vor mich hin und legte mich kurz neben Susanne.

Das Bett war ein Traum und ich überlegte, ob ich mir dasselbe kaufen sollte. Doch ich entschied mich dagegen, da ich schon Zuhause ein Bett hatte, welches mehr als nur gemütlich war. Wahrscheinlich sogar gemütlicher als dieses Bett hier.

Ein Räuspern ließ uns Aufsehen und wir beide hoben den Kopf. Die vier Männer standen vor uns vorm Bett. Ich legte mich wieder hin uns blickte an die Decke.

„Wir nehmen diese Matratze. Wir brauchen sie für das Bett. Gibt es die auch für ein 194x211 cm großes Bett?“, fragte ich die Decke und ich hörte einen von ihnen verschwinden. Genau Dreißig Sekunden später kam er wieder zurück und ich stützte mich auf meinen Ellenbogen ab, um aufzusehen.

„Ja, die gibt es glücklicherweise noch. Wir könnten Sie ihnen Nachhause liefern.“, meinte er und ich nickte erfreut.

„Könnten Sie alles liefern lassen? Bis auf die kleinen, tragbaren  Gegenstände?“

„Natürlich. Das sollte kein Problem sein.“, meinte Jude Law und ich nickte, während ich mich wieder hinlegte und zu Susanna sah.

„Das Perfekte Bett, oder?“

„Hm.“, brachte sie müde hervor und setzte sich auf, sodass ich es ihr gleichtat und mich zu den anderen gesellte.

„Nicht, dass ich noch einschlafe.“, müde gähnte sie und innerlich tat ich es ihr nach. Gegen etwas schlaf hätte ich nichts einzuwenden. Aber wie hieß es. Arbeit kommt vor dem Vergnügen.

„Na, dann los.“

Den Rest des Tages kauften wir Kommoden, Schränke, ein komplette Ankleidezimmer, wie man es bei einer Minnie Wohnung in der Halle sah und noch einige Vorhänge, sowie Waschbecken und Badezimmersachen, wie ein Schrankspiegel.

Ein Blick auf meiner Armbanduhr zeigte an, dass wir uns sputen mussten, wenn ich noch zur Konditorei gehen wollte.

„Gut. Haben Sie alles?“, fragte ich die Kerle lächelnd und diese nickten.

Sie sahen selber etwas geschafft aus und hatten wahrscheinlich gedacht, dass wir nicht gleich so viel einkaufen und bestellen würden.

Wir gingen zu einer Kasse und ich steckte meine Kreditkarte hinein, um die Lieferungen schon einmal zu kaufen, während die anderen Dinge noch im Einkaufswagen lagen.

„Was würde es kosten, wenn wir alles schon heute Abend bis um 21 Uhr im Haus hätten?“

„Da müssten wir erst einmal nachfragen.“, meinte Adonis und lief zu einer Frau, die in der Nähe stand und ein Klemmbrett unter der Nase gepresst hielt. Er zeigte einige Male auf uns und nickte immer wieder. Die Frau gab ihm einen Papierbogen in die Hand und er kam eiligst zu uns.

Er besprach alles schnell mit mir und erklärte mir alles ganz genau, sodass ich nur noch Ort und Adresse aufschreiben musste und zu guter Letzt meine Unterschrift auf jeder Seite drunter setzte, sobald ich mir die Vorschriften durchgelesen hatte.

„Vielen Dank für ihre Hilfe. Sie haben uns sehr geholfen. Einen schönen Tag noch.“, verabschiedete ich mich zuckersüß lächelnd und lief mit meinen Angestellten zur Kasse.

Auf dem Weg dorthin, hielt ich an und griff nach einem Pack Reisebecher.

„Die sind ja süß.“, damit legte ich sie in den Einkaufswagen und am Ende steckte ich einen ziemlich langen Einkaufszettel in meinen Geldbeutel.

Seitdem Susanna die Summe wusste, war sie ziemlich still und sah immer wieder zu meinem Chauffeur, der den Einkaufswagen zum Wagen schob und alles still schweigend einlud.

Währenddessen hatte ich mich auf den Rücksitz gesetzt und rief meinen Arbeitsgeber Theodore – auch genannt Theo - an und schaltete den Lautsprecher an, da ich zu müde war das Teil an meinem Ohr zu halten.

„Hey, Prinzessin. Womit verdiene ich die Ehe für deinen Anruf?“, Theos Stimme hallte im Raum wieder, nachdem mein Chauffeur eingestiegen war und den Wagen startete.

„Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass es heute etwas später werden kann.“, informierte ich ihn und wartete darauf, was er zu antworten hatte, während ich aus kurz aus dem Fenster blickte.

„Hast du meine Mail nicht gelesen?“, er hörte sich entsetzt an.

„Seitdem du angefangen hast mir Liebeserklärungen zu schicken, habe ich dich blockiert.“, gab ich trocken zu und sah auf das Handy.

„Irgendwie verstehst du nichts von Romantik.“, meinte er traurig gestimmt und seufzte sogar.

„Oder nur von deiner.“, erwiderte ich leise etwas genervt vor mir und hörte Susanna leise kichern.

Ich sah auf und merkte, dass sie Mühe hatte nicht loszulachen.

„Du hast eigentlich erst nächste Woche Montag wieder zu erscheinen. Ansonsten hat sich nichts mehr an deiner Schicht geändert, Prinzessin.“, meinte er, während er etwas umblätterte. Bestimmt seinen Kalender.

„Du wirst wohl nie aufgeben mich so zu nennen, oder?“

Meine Rhetorische Frage brachte Theo dazu leise zu lachen.

„Nein. Ganz bestimmt nicht. Wir sehen uns nächste Woche.“, verabschiedete er sich.

„Ja, bis dann.“

Ich legte auf und sah kurz aus dem Fenster.

„Würden Sie mich zur Konditorei fahren? Ach, Moment.“, schnell kramte ich einen Zettel heraus und riss die Adresse ab.

„Fahren Sie mich dort hin. Ich muss eine Torte und viele verschiedene Kuchensorten besorgen.“, gab ich müde von mir und machte es mir auf dem Rücksitz bequem, während ich mein Handy erneut herausholte und anfing einige Spiele zu spielen, welche ich schnell und gut löste. Sogar einen neuen High Score hatte ich nun.

Wir fuhren schon beinahe seit zwei Stunden und so langsam begann ich mich zu langweilen, während wir in die Stadt hinein fuhren.

Plötzlich fing mein Handy wieder an vor sich hin zu summen, gleichzeitig parkten wir vor der Konditorei.

Seufzend blieb ich sitzen und nahm ab, nachdem ich gesehen hatte, dass mich mein Butler anrief.

„Guten Tag, Miss. Ich entschuldige mich für die Störung, aber ich wollte Ihnen darüber Bescheid geben, dass die Handwerker die Böden und einige Türen neu eingesetzt haben. Jedoch rief gerade ein Maler an und er wollte wissen, in welcher Farbe das Zimmer gestrichen werden sollte.“, entschuldigte er sich.

„Warten Sie kurz, Bruno.“

„Susanna. In Welcher Farbe möchten Sie Ihr Zimmer haben?“

Sie runzelte die Stirn und zuckte mit der Schulter.

„Ich denke weiß.“, meinte sie und ich nickte.

„Weiß, nur. Vielleicht kommt später noch etwas dazu, aber er sollte erst einmal damit anfangen. Ach, Bruno, könnten Sie bitte kurz zu den anderen gehen? Sie müssten in der Küche sein und gerade zu Abend essen.“, bat ich ihn und lauschte.

Ich hörte viele in einem wilden durcheinander sprechen, bis sie kurz darauf verstummten.

„Stellen Sie doch bitte den Lautsprecher an.“, wies ich Bruno an und kurz darauf gab er mir das Zeichen zu sprechen.

„Hallo. Ich wollte mich gerade nur informieren wie weit sie alle mit den Vorbereitungen sind. Könnte einer von ihnen bitte alles schnell zusammenfassen?“, fragend sah ich mich im Auto um und wartete gespannt ab.

„Wir haben soweit einige kalte Speisen hergerichtet, das Haus auf Hochglanz poliert und sind gerade dabei uns einige Dekorationen auszudenken. Jedoch wissen wir leider nicht, wo wir die Feier austragen sollen, Miss.“, meinte eine nervöse Stimme und ich nickte vor mich hin.

„Ich möchte, dass sie in der großen Halle im Festsaal stattfindet. Dann stört es keinen, wenn die Feier noch bis spät in die Nacht geht und die Halle ist groß genug. Was sagen Sie dazu?“, schlug ich vor und hörte gleich darauf einige erfreut in die Hände klatschen.

„Das wäre Ausgezeichnet, Miss.“, beeilte sich die Frau an der Leitung erfreut zu sagen und ich musste lächeln.

„Dann möchte ich sie alle bei der Arbeit nicht mehr stören. Jedoch wollte ich noch fragen, was für Tortensorten sie mögen oder ob jemand einen speziellen Wunsch hat?“

Einige meinten Schokoladenkuchen, Erdbeertorte oder Käsekuchen. In Gedanken speicherte ich alles ab.

„Hat einer von ihnen vielleicht Laktoseintoleranz?“, ging ich sicherheitshalber nach.

„Ja, Miss. Eine.“, meinte Bruno und ich sah nachdenklich nach draußen.

„Gut. Das sollte zu machen sein. Einen schönen Abend noch.“, wünschte ich ihnen und legte auf.

Die Uhr auf meinem Display sagte mir, dass es noch zu früh war, um zu meinem Termin zu gehen.

„Ich habe erst in über einer Stunde den Termin. Es wäre besser, wenn wir etwas essen gehen. Ich habe Hunger bekommen und sie beide wahrscheinlich auch.“, meinte ich noch, während ich mich abschalte und ausstieg, nachdem ich zu meiner Tasche gegriffen hatte. Kaum hatte ich die Autotür hinter mir zugeschlagen, da sah ich mich schon nach einem Lokal um.

Ein Familienlokal stach mir ins Auge und ich wartete kurz darauf, dass die beiden ausgestiegen waren und das nötigste bei sich hatten, bevor ich über die Straße ging und mit Absicht etwas langsamer lief als nötig, damit sie mich einholen konnten.

Vor der Eingangstür standen sie schließlich neben mir und der Chauffeur war so freundlich mir die Tür offen zu halten.

„Vielen Dank.“, bedankte ich mich und lief als Erste hinein, dicht gefolgt von Susanna und zu guter Letzt der Chauffeur.

Eine Kellnerin empfing uns und lächelte uns freundlich an.

Ich sah an ihr vorbei, in das Innere des Ladens und mir fiel auf, dass kein einziger Gast hier anwesend war.

Wenn das mal nicht eine Kritik zum Essen war.

Vielleicht hatten sie auch gerade erst geöffnet.

„Guten Tag. Ich bin Amber und bediene sie heute. Darf ich sie zu ihrem Tisch führen?“, fragte sie höflich und gewann meine Aufmerksamkeit.

Ich betrachtete sie ganz genau von oben bis unten, bis ich wieder zu ihrem Gesicht sah. Sie war eine hübsche Asiatin. Jedoch ziemlich klein, aber das war bei einigen Dingen ziemlich praktisch. So würden einige Gäste sie kaum wahrnehmen.

„Ja, bitte.“, forderte ich sie, während ich sie ganz genau beobachtete. Sie lief vor und brachte uns zu einem Fenstersitz für Vier Personen, wobei sie mir den Stuhl zurück zog, sodass ich Platzt nehmen konnte und ein anderer Kellner tat es ihr nach, nur bei Susanna diesmal.

Bisher hatte das Mädchen mich beeindruckt. Mal sehen, wie sie sich damit schlug das Essen zu bringen oder die Karte zu erklären.

Ich hatte vor sie zu beobachten und vielleicht war heute sogar ihr Glückstag.

Sie entschuldigte sich kurz, um die Karte zu holen und während dieser Zeit stand ich auf und lief mit meinem Rucksack zu den Toiletten.

Ich sah mich um und merkte, dass alles schön sauber eingehalten wurde. Langsam gefiel mir der Laden und ich wusch mir die Hände und das Gesicht.

Meine schwarzen Haare waren ein wenig zerzaust und die Knöpfe meiner Bluse waren noch immer nicht zugeknöpft. Seufzend schloss ich sie wieder und richtete meine Haare zu Recht. Aus meinem Rucksack kramte ich nach meiner Creme und tupfte kleine Pünktchen in mein Gesicht, damit ich es einfacher beim Verteilen hatte.

Kurz darauf sah mein Gesicht wieder frisch und weich aus, ganz ohne Macken und Fehler.

Dass ich selten Schminke benutzte war für viele unbegreiflich, aber ich mochte es nicht, wenn mein Gesicht sich ziemlich sehr veränderte, sobald ich mir mühe dabei gegeben hatte. Seitdem mir ein Mann im Lokal beinahe an die Wäsche gegangen war, vermied ich es so gut ich konnte.

Es war besser, wenn ich wieder zum Tisch zurückgehen würde.

Die Kellnerin stand abseits diskret an der kleinen Baar und wartete darauf uns die Karten zu bringen.

Weiterer Pluspunkt.

Immer warten bis alle Gäste vollzählig sind, bevor man die Karte brachte.

Sobald ich saß, brachte sie die Speisekarten.

„Ich hätte gerne die Weinkarte.“

Höflich sah ich sie kurz an und sie verschwand nickend mit fließenden Bewegungen.

Ich achtete nicht darauf, dass meine Gesellschaft mich komisch ansah, sondern erkundigte vorerst die Speisekarte und die Menüs.

Die Auswahl an den Gerichten war groß und lecker. Keine einfachen vor allem und das faszinierte mich sehr.

Die Kellnerin kam an den Tisch und sah mich etwas verlegen an.

„Entschuldigen Sie bitte, aber dürfte ich Ihren Ausweis sehen, bevor ich Ihnen die Karte gebe?“, meinte sie schüchtern und ich konnte nicht anders, als zu lächeln.

„Keine Sorge. Die Karte ist nicht für mich, sondern für die beiden. Sie wird demnächst 22 und er hier ist vor einigen Wochen 23 geworden. Möchten Sie dennoch ihrer Ausweise sehen?“

„Danke, nein. Das ist nun nicht mehr nötig. Vielen Dank.“

Sie legte die Karte auf den Tisch und verschwand wieder, sodass selbst ich es kaum merkte.

Das Mädchen war gut.

Susanna nahm sich die Karte und sah drüber, nur um sie dann meinem Chauffeur zu reichen, der nur einen kurzen Blick drauf wagte.

„Darf ich Ihrer Bestellung aufnehmen, oder brauchen sie noch etwas, um zu entscheiden? Wenn sie Hilfe beim Aussuchen brauchen, erkläre ich sie ihnen gerne.“, fragte die Kellnerin nachdem keiner mehr die Karten anrührte und einfach durch die Gegend starrte.

Mein Blick huschte vom Chauffeur zu Susanna und wieder zurück.

„Einen trockenen Rotwein und die Spagetti mit Tomatensauce und Rindfleisch, bitte.“, kam es von Susanna und meine Augen wanderten wieder zum Chauffeur.

„Das Schweinefilet mit Zucchini und ein Glas Wasser, bitte.“, meinte er und ich sah ihn überrascht an.

„Sie können ruhig etwas Wein trinken. Schließlich fahre ich und Sie müssen sich nicht auf die Fahrt konzentrieren.“

Er sah verwirrt auf, zuckte aber dann einfach mit der Schulter und wandte sich an die Kellnerin.

„Dann bitte noch ein Rotwein dazu.“, meinte er und legte die Karte beiseite.

Nun wandte sie sich an mich.

„Zuallererst hätte ich bitte gerne einen bunten Salat mit Putenbrust und ein Glas gekühltes Quellenwasser. Dann die Spagetti mit Tomatensauce und als Nachtisch den Tiramisu und die Mascarponecreme mit einfachen Kirschen, dazu ein Espresso.“, bestellte ich und die Kellnerin tippte mit einem Stift auf einem Gerät herum und sah zu den anderen.

„Darf es noch etwas sein?“, fragte sie in die Runde und als keiner etwas erwidere, sammelte sie die Karten ein.

Ich reichte ihr meine, da sie an meine schwer rankommen dürfte und sie bedankte sich, bevor sie verschwand.

Jetzt brauchte ich nur noch zu wissen, ob das Essen schmeckte.

Während wir schweigend saßen, fiel mir ein, dass ich noch nicht wusste, was für eine Torte die beiden wollten.

Sofort wandte ich mich an meinen Chauffeur.

„Was ist Ihre Lieblingstorte?“, neugierig sah ich ihn an und obwohl er verwirrt die Stirn runzelte, antwortete er mir.

„Ich bin es gewohnt alles zu essen, Miss. Ich habe keine Vorlieben.“

„Gar keine?“, ging ich noch einmal überrascht nach, doch er verneinte Kopfschüttelnd.

„Keine, Miss.“

Schade eigentlich.

„Und Ihre?“, fragte ich Susanna.

„Schokoladentorte, Miss. Oder eine einfache Sahnecremetorte.“, meinte sie und lächelte nachdenklich, während sie aus dem Fenster sah.

Die Kellnerin kam zu uns mit den Getränken und stellte sie ab, gleich darauf kam ein weiterer Kellner, der uns allen ein Salatteller brachte und für mich sogar einen Brotkorb hinstellte.

„Vielen Dank.“

Ich rollte das Besteck aus der Serviette heraus und legte sie in die Hand, musterte zu alle erst das Essen. Anscheinend war alles ziemlich frisch.

Und nun musste ich nur noch den Geschmack testen.

Kauend erahnte ich die leckeren Gewürze und ich war begeistert.

Ich schmeckte Pfeffer, Salz, etwas getrocknete rote Paprika, Balsamico,…

In allem ein richtiger Genuss, auch wenn ich nicht alles erahnen konnte. Ich nahm einen Schluck von meinem Wasser und sah auf, nachdem ich meinen Salat aufgegessen hatte. Die beiden waren auch schon fertig und ab und zu unterhielten sie sich, während ich aus dem Glasfenster sah und die vorbeigehenden Leute beobachtete.

Ich fragte mich, wie weit alle wohl mit den Vorbereitungen waren und ob die Möbel schon geliefert wurden. Ich zückte mein Handy heraus. Keine Anrufe oder Nachrichten in Abwesenheit.

Ausatmend legte ich das Handy auf den Tisch und sah zu meinem Chauffeur, der mir gegenüber mit Susanna saß.

„Haben Sie vor etwas anderes in der Zukunft zu machen oder ist dies ein Fester Job für Sie, Susanna?“, sprach ich neugierig aus und blickte sie interessiert an.

„Ich weiß es noch nicht so genau. Ich meine, der Job gefällt mir, aber ob es etwas ist, was ich die nächsten zehn oder zwanzig Jahre machen möchte, weiß ich nicht.“, gab sie ehrlich zu und ich nickte langsam.

„Verstehen Sie sich mit den anderen gut?“

„Ja. Eigentlich schon.“

„Und Sie? Wie gefällt Ihnen Ihr Job bisher?“, fragend sah ich zu meinem Chauffeur, der gerade etwas aus seinen Glas getrunken hatte.

„Er ist in Ordnung, Miss.“, meinte er und ich spürte, wie jemand leicht gegen mein Fuß stieß.

Als er jedoch Susanna böse anstarrte, verstand ich. Sie hatte ihn anscheinend mit dem Fuß angestoßen, weil er die Antwort etwas genervt beantwortet hatte.

„Haben Sie vorher meinen Vater chauffiert? Oder war es meine Mutter?“, gespannt sah ich ihn an und nach einem kleinen lautlosen Seufzer antwortete er mir.

„Für Ihren Vater, Miss. Seitdem ich begonnen habe.“

„Ab Morgen sind Sie seit zwei Monaten hier. Halten Sie noch den einen Monat aus oder geben sie auf und suchen sich eine neue Stelle?“, eiskalt sah ich ihn an und er erwiderte meinen Blick mit derselben kühle, bevor er ruhig antwortete.

„Ich denke, dass ich noch eine Weile da bleiben werde, Miss. Vorausgesetzt ich begehe einige Fehler und sie werfen mich heraus.“, antwortete er herausfordernd und ich lächelte leicht.

„Sie sind keiner, der so leicht aufgibt.“, stellte ich fest und sah ihn von oben bis unten an, nur den Teil, den die Tischplatte in Sicht freigab.

„Nein, Miss. Ich gebe niemals so schnell und einfach auf.“, bestätigte er und ich konnte spüren, wie mein Herz ein wenig schneller schlug.

Wow. Seine Worte hatten mich tatsächlich berührt. Und das passierte vor allem nur, wenn jemand aus tiefsten Herzen sprach.

„Hm.“, meinte ich und im selben Moment kam der Kellner und entsorgte die Teller und die Kellnerin brachte bald darauf unsere Teller.

Sie fragte noch einmal höflich, ob sie noch etwas nachschenken sollte und verschwand dann wieder.

Inzwischen traten einige weitere Kunden ein und man hörte in einer Ecke einige Kinder reden.

Während ich mein Tiramisu aß, nachdem der Hauptgang weggeräumt wurde, holte mich Susannas Stimme wieder zurück.

„Entschuldigen Sie, Miss, aber dürfte ich Sie etwas fragen?“

„Natürlich.“

„Ich wollte Sie fragen, wie der morgige Tag genau ablaufen würde.“

Stimmt ja. Hätte ich beinahe vergessen.

„Sie können morgen ruhig ausschlafen. Ich dachte wir fahren um Zwölf Uhr mittags los und gehen als erstes in einigen Läden einkaufen. Die Kleidungen können Sie übrigens behalten. Später bringe ich Sie zum Friseur. Um Zwanzig Uhr kommen die Gäste an und um Einundzwanzig Uhr fängt die Feier an. Ich werde während dieser Zeit mich irgendwo im Haus oder Garten aufhalten. Sie brauchen mich nicht zu rufen, wenn die Gäste kommen. Begrüßen werde ich sie wahrscheinlich erst am nächsten Tag oder auf der Party.“, diktierte ich ihr vor und nahm kurz einen Schluck von meinem Wasser.

„Sobald die Gäste angekommen sind, möchte ich, dass Sie ihre ganze Zeit für die Gäste investieren. Für die Party sollten Sie sich gut zu Recht machen, da Sie neben dem Geburtstagskind stehen werden und diese sollen sich nicht beschweren, wen jemand auf dem Foto blöd aussieht. Ansonsten können Sie den Tag genießen und verbringen die nächsten Tage mit den Gästen.“

Anscheinend war das ein wenig zu viel für Susanna, denn diese versuchte mit einem betrübten Gesicht lächelnd aufzusehen. Ein wahrer Misserfolg.

Jedoch ignorierte ich es fließendlich und aß meinen Kuchen weiter auf und kurz darauf den Mascarponecreme Becher mit dem Espresso. Man war so freundlich noch Oreo Kekse dazu zu legen.

Irgendwann wurde mir langweilig und die Uhr sagte mir, dass wir langsam los sollten.

„Ich muss zu meinem Termin. Sie beide können im Wagen warten. Ich hoffe es dauert nicht so lange.“

Damit standen wir alle auf und ich gab der Kellnerin meine Karte. Wenig später verließ ich den Laden mit ihrer Visitenkarte und machte mich auf zur Konditorei.

Ich hatte mit dem Chef abgesprochen, dass ich nach Ladenschluss kommen würde, damit wir in Ruhe reden konnten.

Ich war sozusagen Stammkunde von ihm und so begrüßten wir uns mit einem Kuss auf jeder Wange.

Ich ging mit ihm alles genauestens durch und zum Schluss die kleinen Kuchen.

„Am besten wäre es, wenn du auch noch kleine Törtchen zubereitest mit einem Durchmesser von 10 bis 15 Zentimeter. Ungefähr 17 Stück davon und jede Sorte zweimal. Und eine Muss für jemanden sein, der Laktoseintoleranz hat. Geht das so in Ordnung? Ich brauche die Torten bis morgen Abend um Halb Neun und am besten wäre es, wenn du noch ein paar andere Kleinigkeiten mit hinein tust.“, erinnerte ich ihn und er nickte.

„Das sollte kein Problem sein.“, meinte er und kurz darauf ging ich aus dem Laden mit einer Packung Törtchen. Er hatte noch welche übrig gehabt und gemeint, dass andere schon einmal davon kosten sollten. Er hatte sogar Plastikmesser und –gabeln eingesteckt, nachdem er vorhin meine Angestellten im Auto gesehen hatte.

Der Himmel war dunkel und ich wunderte mich auch nicht, da wir schon späten Herbst hatten.

Je näher ich dem Auto entgegen kam, umso besser konnte ich erkennen, dass Susanna auf der Rückbank eingeschlafen war und dass der Chauffeur auf dem Beifahrersitz saß und an seinem Handy herunter scrollte.

So leise wie möglich öffnete ich die Fahrertür und beugte mich etwas hinein.

„Möchten Sie etwas Kuchen?“, flüsternd hob ich das Packet, damit er verstand was ich meinte. Er schüttelte den Kopf.

Leise schloss ich etwas die Tür zu, lief zum Kofferraum und lud die Schachtel und meinen Rucksack zu den anderen Sachen. Nachdem ich es geschafft hatte den Kofferraum leise zuzuschließen, setzte ich mich wieder auf den Fahrersitz und schloss leise die Tür zu. Ich holte aus meiner Hosentasche mein Handy heraus und stellte es auf Leuchtmodus und Vibration sobald jemand anrief und legte es in das Fach unterm Radio.

Nachdem ich mir den Gurt überzogen hatte, band ich meine Haare zu einem Pferdeschwanz zu und griff erneut ins Fach. Meine Finger umfassten die Brillenschachtel und ich holte sie leise heraus.

Sobald die Brille gut auf der Nase saß, überprüfte ich kurz alle Seitenspiegel und Todeswinkel. Erst dann schaltete ich den Motor ein und sah kurz zum Rückspiegel, um mich zu vergewissern, dass Susanna noch schlief und zum Glück hatte sie gar nichts gemerkt.

Vorsichtig parkte ich aus und war bald darauf auf der Autobahn, wo ich mit gemütlichen 100 Kilometer pro Stunde (km/h) fuhr.

„Sind Sie Weit- oder Kurzsichtig?“, erkundigte sich mein Chauffeur leise und ich sah kurz überrascht zu ihm. Dass er freiwillig etwas Fragen würde, hätte ich nicht gedacht.

„Weder noch. Aber am späten Abend kann man die Straßen- und Autobahnschilder nicht so gut erkennen und ich möchte nicht falsch abbiegen oder einen Hinweis zur Baustelle oder Ausfahrt übersehen.“

Kurz blickte ich zum Rückspiegel, da ich immer wieder befürchtete zu laut zu sprechen.

„Sie hat einen tiefen Schlaf. Suse bemerkt nie etwas.“, meinte er und ich sah wieder auf die Straße, dann wieder zu ihm. Wenn ich mich nicht recht entsinne, dann hieß er Jack. Und auf mein Gedächtnis war immer Verlass. Vor allem, als ich flüchtig über seine Akte gesehen hatte und über seinen Namen kurz gegrübelt hatte.

„Kenne Sie und Susanna sich schon länger? Oder waren Sie mal ein Paar?“, fragte ich leise und sah zur Straße.

Er musste mir nicht antworten, wenn er nicht wollte, aber das hieß nicht, dass ich nicht neugierig war.

„Beides. Wir kennen uns schon seitdem wir kleine Kinder waren. Irgendwann sind wir ausgegangen, aber die Beziehung hat nicht lange gehalten.“, meinte er zögernd.

„Darf ich wissen, woran es gelegen hat, dass sie beide nicht mehr zusammen sind?“

„Ich denke wir waren mehr Freunde als Partner und unsere Eltern waren nicht ganz miteinander einverstanden.“, gab er zu und ich sah weiterhin auf die Straße.

„Tragisch.“

„Sind Sie in einer Beziehung?“, fragte er und ich nickte.

„Ja, schon seit über einem Jahr. Er ist der Quaterback der Schulmannschaft.“

„Das Typische Klischee, also.“

Leise lachte ich lautlos.

„Ja. So könnte man es auch ausdrücken. Aber er ist eigentlich ein guter Kerl. Einige Partys weniger und ich wäre eigentlich zufrieden.“

„Eigentlich?“, kam es fragend von ihm und ich sah zu ihm.

Er sah mich mit seinen grünen Augen an und ich wandte mich schnell wieder nach vorne, bevor ich zu lange in diese angenehme Farbe hineinsah.

„Jeder Mensch hat seine Schwächen und Stärken. Manchmal stört mich eben beides an ihm.“, gab ich zu und biss mir unsicher auf die Unterlippe.

Es war mir ein Rätsel, warum ich mit Jack so freizügig über mein Privatleben redete, aber seltsamerweise machte es mir nichts aus. Um ehrlich zu sein, fand ich es sogar angenehm.

Seltsam.

„Etwa ein Mädchenschwarm zu sein?“, meinte er spöttisch, doch ich ignorierte es und schüttelte erneut den Kopf.

„Nein, das ist es nicht.“, meinte ich und sah kurz zu ihm.

„Er  hat etwas gegen Ausländer und er verachtet sie eigentlich. Als Footballspieler ist es sein Vorteil stärker als manch anderer zu sein und er nutz dies natürlich auch aus, auch wenn ich ihn des Öfteren ermahne, aber es bringt leider nichts. Manchmal wünschte ich mir er wäre ein ganz normaler Kerl, ohne etwas gegen die ganze Welt zu haben.“

Ich setzte den Blinker ein und bog in die Ausfahrt ein und sah auf das Navigationssystem. Noch etwa eine Stunde, dann würde ich mich in mein Bett kuscheln können.

„Ich kann diese Menschen nicht ausstehen.“, meinte Jack und hörte sich angepisst an.

„Ist Ihnen schon einmal etwas zugestoßen?“, neugierig sah ich kurz zu ihm, bevor ich um die Ecke biegen musste.

„Das gehört jetzt nicht hier her.“, meinte er leise und ich merkte, wie er seinen Kopf abwendete und aus dem Fenster starrte.

Mein Blick glitt zum Rückspiegel und ich sah eine Sekunde lang Susanna an. Sie benutzte ihren Arm als Kopfkissen und einige ihrer hellbrauen Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Plötzlich blinkte mein Handy auf.

„Mist.“, schimpfte ich und sah kurz auf das Display. Bruno.

Zum Glück war vor mir ein Parkplatz. Schnell bog ich ein und parkte und schaltete den Motor aus. Ich nahm schnell das Gespräch an und öffnete die Autotür nachdem ich den Gurt abgeschnallt hatte.

„Hallo?“, meldete ich mich leise und sah zum WC-Haus.

„Es sind hier gerade einige Sachen geliefert worden, Miss. Ich wollte Ihnen nur Bescheid geben, dass ich die Sachen angenommen und ins Lager liefern lassen habe, damit die anderen vom Lärm nicht aufwachen.“, informierte er mich und ich atmete dankbar aus.

„Was würde ich nur ohne Sie tun, Bruno. Könnten Sie mir den Gefallen tun und ein Gästezimmer für Susanna vorbereiten? Es wäre nicht gut für ihre Gesundheit, wenn sie in einem frisch gefärbten Zimmer schlafen würde.“, bat ich ihn leise und lief einige Schritte.

„Natürlich.“, meinte er einverstanden.

„Schicken Sie doch Tina ins Bett. Sagen Sie ihr, sie solle mich morgen gegen Zehn Uhr aufsuchen. Ich habe etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen.“

„Natürlich.“, wiederholte Bruno müde und ich musste Lächeln.

„Gehen Sie ins Bett, Bruno. Sie müssen nicht auf mich warten. Ich habe einen Hausschlüssel.“

„Das ist mir bewusst, Miss. Aber ich fühle mich besser, wenn ich mir sicher bin, dass Sie auch heil angekommen sind.“

Bei seinen Worten erwärmte es mir das Herz und am liebsten hätte ich ihn umarmt, wenn er hier wäre.

„Machen Sie sich keine Sorgen. Ich komme immer gut an. Gute Nacht und schlafen Sie schön, Bruno.“, wünschte ich ihm und ich hörte ihn seufzen.

„Ihnen auch, Emma. Ihnen auch.“, damit legte ich auf und drehte mich um. Erschrocken erstarrte ich, als ich hinter mir Jack sah, der mich nachdenklich ansah.

„Soll ich von hier aus übernehmen oder möchten Sie weiter fahren?“

„Mir wäre es lieber, wenn ich durchfahre. Sie haben etwas getrunken und ich bin noch hellwach.“, meinte ich und bald darauf fuhren wir wieder auf der Autobahn und schweigend starrten wir beide auf die Straße.

Ein Donner ertönte lautstark am Himmel und kurz darauf nieselte es in Strömen.

„Na toll.“, murmelte Jack und ich setzte die Windschutzscheiben ein. Blinzelnd lehnte ich mich nach vorne und versuchte etwas zu erkennen. Doch es brachte nichts und ich hatte das Gefühl, als würde es in einigen Minuten uns ziemlich schlecht ergehen, wenn wir nicht rechtzeitig Schutz suchen würden. Als der Blitz aufblitzte, wusste ich auch warum.

„Ich möchte Sie um etwas bitten.“, meinte ich an ihn gewandt, während ich versuchte etwas zu erkennen.

„Und worum?“, kam es fragen, sowie misstrauend von meiner rechten Seite.

„Darum, dass Sie mich nicht anschreien, wenn ich gleich etwas tun werde.“, bat ich ihn leise und sah mich konzentriert um.

„Ich verspreche es.“

 

 

Kapitel 4

 

Sobald er dies gesagt hatte, drehte ich mit dem Wagen eine 180 Grad Wendung und fuhr am Straßenrand wieder zurück. Zum Glück kamen uns keine Autos entgegen und ich fuhr zurück zum Parkplatz.

Neben mir keuchte Jack erschrocken auf und ich brauchte nicht zur Seite zu sehen, um zu wissen, dass er mich fassungslos ansah.

Schon bald parkte ich auf dem Parkplatz und schaltete den Motor aus. Mein Atem ging etwas zu schnell und auch ansonsten fühlte ich mich, als wäre ich von einer Klippe gesprungen.

„Bevor Sie mich irgendwie ansehen, sollten Sie Susanna in das Haus dort bringen. Es wird gleich heftig hageln und ich habe das Gefühl als würde das Auto nicht unbeschädigt bleiben. Wir sollten uns beeilen. Ich glaube wir haben noch etwa vier oder fünf Minuten.“, sprudelte es schnell aus mir heraus, bevor ich überhaupt nachdachte und sah zu Jack. Das Adrenalin ging mit mir durch.

Er nickte kurz, bevor er sich abschnallte und aus dem Auto eilte, um Susannas Tür zu öffnen und sie aufzuwecken.

Ich nahm den Autoschlüssel, schnappte mir mein Handy und stieg schnell aus.

Sofort öffnete ich den Kofferraum und öffnete meinen Rucksack. Ich schmiss die Schulsachen hinaus und stopfte die warmen Decken, Regenjacken, Kissen – die wir immer für den Notfall dabei hatten – hinein und schnappte mir die Schachtel mit den Torten und einige Tüten mit Chips und Kräcker, sowie einem Getränkepack mit kleinen Getränkeflaschen drin.

Ich war froh im Geschäft noch einige Essbare Dinge eingepackt zu haben und schloss schnell den Kofferraum, während die Regentropfen auf mich herab prasselten. Meine Hände angelten nach dem Autoschlüssel und als ich sah, dass Jack Susanna zum WC-Haus schleifte, riegelte ich das Auto ab und lief ihnen hinterher.

Ich öffnete mit der Schulter die Damentoilette und sah dabei zu, wie Jack versuchte Susanna wach zu bekommen.

„Lassen Sie sie schlafen. Ich habe hier einige Decken und einen Kissen, mit dem wir sie zudecken können. Vorher sollte Sie ihr lieber die Regenjacke anziehen. Mit dem Kleid wird es wohl zu kalt werden.“, damit deute ich auf Susannas Sommerkleid, welches ihr bis zu den Knien reichte und stellte die Sachen am Waschbecken ab.

Während ich ihm die Decken, Jacken und Kissen reichte, hörte man ein ganzes Lawinenfeld da draußen explodieren.

Kurz öffnete ich den Tür einen Spalt, da flog schon das erste Hagelstück. Er war so groß wie ein Golfball.

Atemlos schloss ich sie schnell wieder und sah zu Jack, der den Hagel mit genauso großen Augen betrachtete, wie ich eben auch.

„Wenn Sie nicht umgedreht wären…“, er ließ den Satz unvollendet und ich schüttelte den Kopf.

„Denken Sie gar nicht dran. Am besten wäre es, wenn wir es uns erst gemütlich machen, sobald wir abgetrocknet sind und warten das Wetter erst einmal ab. Es müsste sich in wenigen Stunden legen.“, meinte ich und nahm eine Decke von ihm ab und breitete sie auf den Boden aus, sodass sie gut ein Bett hätte sein können mit der Größe. Ich nahm ihm eines der Jacken ab und richtete Susanna etwas auf und steckte ihren Arm in den Ärmel und kurz darauf folgte der andere. Schnell zog ich den Reißverschluss hoch und legte sie wieder hin, sobald Jack ein Kissen hingetan hatte.

Inzwischen war meine Bluse durch genässt und ich kramte aus meinem Rucksack einen Pullover hinaus, den ich heute Morgen eingepackt hatte, da es am Morgen ziemlich frostig war.

„Ich gehe mich schnell umziehen. Nicht, dass ich nicht noch eine Erkältung bekomme.“, murmelte ich vor mich hin, während ich eine der Kabinen öffnete und die Tür abriegelte.

Ich zog meine Bluse aus und trocknete damit mein Gesicht, welches noch immer ziemlich nass war.

Sobald ich den Pullover angezogen hatte, nahm ich meine Brille von der Nase und wischte sie am Ende des Saumes ab, doch es brachte nichts.

Leise seufzend verließ ich die Kabine und lehnte mich bald darauf am Waschbecken.

Ich deute auf seine schwarze Kleidung.

„Ich an Ihrer Stelle würde mich ausziehen und die nassen Sachen über die Heizung legen.“, meinte ich, während ich mich den Tüten zuwandte, die noch immer aufm Waschbecken lagen und nahm eine kleine Dose Cola heraus, sowie eine kleine Tüte Chips, bevor ich es mir auf dem Boden gemütlich machte, gegenüber von Susanna und Jack.

Leise riss ich die Tüte auf und nahm etwas raus, bevor ich sie Jack reichte. Er lehnte ab und schulterzuckend nahm ich sie wieder zu mir und kaute leise.

„Sie können ruhig schlafen. Ich passe schon auf, sollte etwas geschehen.“

Meine ruhige Stimme wurde beinahe vom Gewitter übertönt, aber ich sah meinem Chauffeur an, dass er meine Worte verstanden hatte, da er aufsah.

„Ich bleibe wach. Wenn Sie später noch unbedingt fahren wollen, dann sollten Sie sich lieber ausruhen.“, lehnte er an und ich schüttelte langsam den Kopf, während ich meinen Blick zu dem liegenden Mädchen schweifen ließ.

„Ich kann nicht schlafen, wenn ich mich nicht sicher fühle. Vor allem in Autos habe ich da meine Probleme und das ist auch der Grund, warum ich immer so spät abends fahre.“, gab ich zu und nagte an meiner Innenwange herum.

„Warum fühlen Sie sich nie sicher?“

Jacks Stimme ließ mich verwundert Aufsehen. Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet und ansonsten hatte sie mir bisher keiner gestellt. Unsicher sah ich auf seine Brust, fragte mich, ob ich es ihm anvertrauen sollte.

„Wissen Sie, manchmal geschehen Dinge im Leben, die man nicht kontrollieren kann. Genauso wie eine Autofahrt. Eine Autofahrt die in den Tod führen kann.“

Stille.

„Mein Bruder war eines der Opfer. Ich erinnere mich kaum noch an ihn, aber was ich noch weiß, ist, dass er fünfzehn Jahre älter war und eine Woche vor seinem 23. Geburtstag vor neun Jahren starb. Ich erinnere mich sogar noch daran, wie er mir einen Kuss auf die Stirn gegeben hatte und zu mir meinte, dass ich niemals meinen Willen aufgeben sollte. Und dass ich aufhören sollte so viele Süßigkeiten zu essen.“

Lächelnd zog ich meine Beine an und umschlag sie mit den Armen und Händen, während ich meinen Köpf drauf abstützte.

„Sein bester Freund war sturzbetrunken, weswegen Simon losgefahren ist, um ihn abzuholen. Auf der Rückfahrt hatte er einen Sekundenschlaf und das Eine führte zum anderen.“

Vor meinen Augen sah ich meinen Bruder vor mir und wie wir gemeinsam mit meinen Barbiepuppen gespielt hatten, während ein Plastikdiadem ihm beinahe vom Kopf fiel.

„In dieser Nacht träumte ich von seinem Autounfall. Ich weiß noch ziemlich genau, wie ich zu meiner Mutter gerannt war und sie darum bat Simon zu retten. Einige Stunden später fand die Beerdigung statt.“, erzählte ich leise, während ich meine Hände ineinander verwebte und wieder löste.

„Immer wenn ich damals in einem Auto eingeschlafen bin, dann hat sich der Traum wiederholt und irgendwann, da traute ich mich erst gar nicht einzuschlafen. Nur wenn ich weiß, dass ich irgendwo bin, wo mein Bruder mich in Sicherheit gefunden hätte, fühle ich mich wohl und geborgen und kann meinem Körper die Ruhe geben, die sie braucht.“

Nun wusste er von meinem kleinen Geheimnis. Was er davon hielt wusste ich nicht und was meine Gefühle anging, die verstand ich nicht.

Viel mehr verstand ich es nicht, warum ich gerade ihm private Dinge anvertraute, die ansonsten keiner wusste.

Wahrscheinlich sah ich in ihm aber auch jemanden, der mich verstehen würde. Und irgendwie hoffte ich es sogar, dass jemand meine Sicht verstand und sich nicht darüber lustig machte, wie mein Freund, als ich es ihm versehentlich erzählt hatte.

Mein Blick wanderte zur Tür.

„Was ist aus dem besten Freund geworden?“

Ich zuckte zusammen, als Jack sprach, doch dann musste ich lächeln.

„Nun, ja. Seitdem hat er nie wieder einen Tropfen Alkohol geschluckt und ist heute mein Chauffeur. Sie kennen sicher doch Benjamin, aber wir sagen eigentlich nur Ben zu ihm.“, versuchte ich ihm weiterzuhelfen und er sah überrascht auf.

„Der Chauffeur, der nun Ihren Vater kutschiert?“, versicherte er sich verwundert und ich nickte.

„Ja. Er ersetzt einem manchmal die Bruderrolle, ohne es selber zu bemerken.“, antwortete ich schmunzelnd und strich einige Fusseln von meiner Hose weg.

Ein Lautes Donnern ließ mich erneut zusammen zucken und wütend sah ich zum Himmel auf.

Nichts gegen das Gewitter, aber einen Trommelfell könnte ich für die Zukunft noch weiter gebrauchen.

„Mögen Sie das Gewitter nicht?“

„Doch, doch. Um ehrlich zu sein, ich liebe es eigentlich. Nur stört er im Moment und ist zu laut.“, seufzend sah ich auf die weiße Decke, die an manchen Stellen Gelbe Flecken aufwies. Ob es Qualm oder Schimmel war wollte ich nicht unbedingt wissen, aber lecker sah es auf jeden Fall nicht aus. Die nächsten Minuten schwiegen wir, sahen ab und zu auf Susanna, die noch immer nichts vom Gewitter mitbekam.

Mein Blick glitt über Jack.

Seine schwarzen Haare waren noch etwas feucht von Regen und ein Regentropfen fiel auf seine Wange. Er schien es noch nicht einmal zu merken,

Seine Augen strahlten in einem Moosgrün. Vielleicht war es aber auch ein Grün wie bei frisch gemähtem Gras oder Bäumen, die in der Reifezeit waren. Und dennoch wirkte es so dunkel. Je nach Laune schien es seine Farbe zu wechseln und im Moment leuchteten sie irgendwie Moosgrün. Ich konnte die Farbe einfach nicht wirklich zuordnen. Es war kein bestimmtes Grün und dennoch eines, welches einem ziemlich bekannt vorkam.

Eines, welches einem ein warmherziges Gefühl im Bauchinneren verbreitete.

Heute gehen anscheinend meine Gefühle mit mir durch. Na toll. Und nun denke ich auch noch über seine Augenfarbe nach.

Generell verstand ich im Allgemeinen nicht, warum ich überhaupt mit ihm sprach. Ich kannte ihn erst seit zwei Tagen und offenbarte ihm Dinge, die manche erst etwa einem Jahrzehnt später erfuhren. Was war also nur mit mir los?

Und warum konnte ich nicht aufhören ihn anzusehen, oder alles an ihm zu beobachten?

Seltsamerweise gefiel mir auch noch was er anhatte. Etwas, das Ben auch immer trug und bei ihm verspürte ich nicht solch ein Gefühl. Erneut glitt mein Blick über seine Kleidung.

Mein Chauffeur trug die alltägliche Kleidung eines Fahrers. Weißes Hemd, schwarzes Jackett, schwarze Hose und schwarz polierte Schuhe.

Ihn mit überkreuzten Beinen sitzend zu sehen, war genauso ungewohnt wie einen Affen im Bikini zu betrachten. Beides brachte einen zum Lächeln und dennoch fand man es verstörend.

„Woran denken Sie?“

Jacks Stimme bracht mich wieder zurück.

„Darüber, dass ich tatsächlich mit Ihnen hier sitze und über Dinge rede, die Sie eigentlich nichts angehen. Vor allem, weil Sie mir noch immer Fremd sind und zudem auch noch mein Fahrer.“, brachte ich nachdenklich hervor und als er seinen Blick abwandte, fiel mir ein, was ich ihm gerade gesagt hatte, ohne es zu merken.

Und nun hatte ich noch nicht einmal mehr meine Gedanken oder meinen Mund mehr im Griff.

„Tut mir leid.“, entschuldigte ich mich leise und strich einige Strähnen aus dem Gesicht weg.

Unsicher sah ich schließlich auf und biss mir leicht auf die Unterlippe, wusste nicht genau, was ich sagen sollte.

„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie niemandem etwas von unserer kleinen Unterhaltung erzählen würden.“, flüsternd sah ich wieder auf meine Hände.

Etwas in mir bereute das Gesagte, aber ändern würde ich es nicht mehr.

Er war ein Angestellter. Kein Freund. Irgendwann würde selbst er gehen und erneut würde ich alleine zurück bleiben. So wie immer.

Leise versuchte ich die Cola Dose zu öffnen, doch versehentlich schäumte die Flüssigkeit über und ich stand schnell auf und beeilte mich zum Waschbecken, bevor die ganze Decke noch nass wurde.

Während ich innerlich vor mich her fluchte, öffnete ich den Wasserhahn und wusch die Flasche außerhalb, während der Schaum zurück trat und aufhörte aus allen Seiten heraus zu quollen.

Ich zuckte leicht zusammen, als mir eine Hand ein Taschentuch reichte.

„Danke.“, flüsterte ich, ohne Jack auch nur anzusehen und nahm das Tuch aus seiner Hand, vermied dabei strengstens eine Berührung mit der seiner.

Warum ich dies tat, war mir ungewiss, aber ich wollte nicht, dass etwas geschah.

Selbst wenn es nur eine Berührung sein sollte.

 

Die Uhr zeigte kurz nach drei Uhr morgens an, als der Regen aufhörte. Das ziemlich leichte Nieseln tat gut auf meiner Haut und ich sah in den Nachtschwarzen Himmel hinauf, welcher den Halbmond mit seinen grauen Wolken verdeckte.

Ich hatte schon lange nicht mehr die Sterne gesehen. Zuletzt als ich klein war. Seitdem nie wieder. Schade eigentlich. Ich fand sie immer so schön. Vor allem, weil sie immer um die Wette strahlten.

Jack knallte die Autotür hinter sich zurück und ich beeilte mich ins Auto einzusteigen. Susanna lag auf dem Rücksitz, mit einer Decke gegen die Kälte im Auto.

Das rechte Fenster auf dem Rücksitz war als einziges Beschädigt und musste bald neu ersetzt werden.

Mal hoffen, dass die anderen Autos zuhause heil und fahrtüchtig waren. So lange wie die dort unten verschmorten, war es ein Wunder, dass sie noch nicht aus Rost bestanden. Aber zum Glück hatte ich Angestellten, die diese Angelegenheiten regelten.

Ich ließ mich auf den Fahrplatz nieder und schloss die Autotür hinter mir zu. Sobald ich den Motor startete, ging das Licht im drinnen Auto aus und erschien stattdessen vor dem WC-Haus. Ich putzte kurz meine Brille, bevor ich sie auf die Nase aufsetzte und an der Klimaanlage herumspielte, bevor kühle Luft in den Auto herum wehte. Ich sollte wohl losfahren, bevor wir zu Eisskulpturen wurden.

Sobald ich angeschnallt und fahrbereit war, ließ ich die Reifen über die Pitschnasse Straße fahren und schaltete leise etwas Musik ein.

Die nächsten zwei Stunden redete der Radiosprecher von irgendwelchen Stars, die dies und jedes getan haben und von irgendwelchen Nachrichten, die sich seit Tagen wiederholten. Das Navigationsgerät zeigte an, dass ich nur noch wenige Minuten zu fahren hatte, bevor wir ankamen und obwohl es heute pechschwarze Nacht war, erkannte ich einige Häuser.

Anscheinend hatte mein Zuhause nichts von dem Ungewitter mitbekommen und ich hoffte sehr, dass Bruno schlafen gegangen war.

Manchmal war er ein alter Dickkopf.

Aber ein wunderbarer Dickkopf, den man am liebsten die ganze Zeit über im Arm halten wollte, weil er sich einfach um jeden Sorgen machte. Eine Männliche Mutter Theresa eben. Bis auf die Jungfräulichkeit. Glaubte ich zumindest.

Kopfschüttelnd konzentrierte ich mich darauf die Augen auf die Straße zu halten und meine Gedanken weit entfernt, weit hinten ins Eck meines Hinterkopfes zu verbannen.

Erst dann konnte ich beruhigt aufatmen.

Ich fuhr zum Tor und hielt den Wagen neben der Sprechanlage an.

„Meint ihr, dass jemand noch wach ist?“, Susannas Stimme ließ mich zusammenzucken. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte mir, dass sie aufrecht auf ihrem Sitz saß und mit wachsamen Augen nach vorne sah.

„Irgendjemand muss uns doch die Tür aufschließen.“, wehrte Susanna sich leise, als sie meiner erhobenen Augenbraue im Spiegel begegnete und stirnrunzelnd zu mir aufsah.

„Man braucht nicht für alles seine Angestellten. Manchmal reicht auch ein einfacher Schlüssel aus.“, meinte ich, während ich aus meiner Hosentasche den Hausschlüssel kramte und das Fenster hinunter surren ließ, welcher meiner Meinung nach eine halbe Ewigkeit brauchte. Sobald ich meine Hand ganz aus dem Fenster strecken konnte, steckte ich den Schlüssel ins Schlüsselloch unter der Sprechanlage. Nach einer halben Umdrehung später ging das Tor auf und ich nahm meinen Hausschlüssel wieder ins Auto und legte ihn auf meinen Schoß.

Langsam fuhr ich den Weg zum Haus hoch und bog rechts ab, bevor ich vor dem Haus parkte.

Seufzend schaltete ich den Motor aus und nahm den Autoschlüssel heraus, nachdem ich die Musikanlage ausgeschaltet hatte. Kurz legte ich meine Hand auf die Anlage und spürte die Wärme, die sie durch die Anstrengung der langen Fahrt von sich gab.

Jetzt konnte sie sich ja ausruhen, die Musikanlage.

Sehnsüchtig sah ich aufs Haus und wünschte mir schon jetzt in meinem Bett herum zu kuscheln, aber vorher hieß es erst einmal zum Haus zu gelangen, die Treppen hoch zu steigen, zu duschen, mich anzukleiden und erst dann mich ins Bett zu legen.

Am liebsten würde ich im Auto einschlafen, wenn ich es könnte. Aber leider war dem nicht so.

Sobald ich aus dem Auto war, den Schlüssel und mein Handy in der Hand hielt, die Schachtel Törtchen vom Kofferraum mitnahm, sowie die Tüten, die nur noch darauf warteten, dass jemand sie mitnahm, lief ich mit den anderen zum Haus, nachdem ich sorgfältig das Auto abgeriegelt hatte.

„Kann ich Ihnen etwas abnehmen, Miss?“, fragte Jack und ich schüttelte den Kopf.

„Nein, danke. Es geht schon.“

Schweigend schlenderten wir die letzten fünf Meter zur Haustür und ich schloss die Haustür auf.

„Gehen Sie ins Bett, Susanna. Oben wurde ein Gästezimmer für Sie vorbereitet, da es sehr gewiss nicht Ratsam wäre mit einer frisch gestrichenen Wand zu schlafen und ganz ohne Bett.“

Ich nickte in die Richtung, wo sie die Treppen hinauf musste.

„Bruno wird ein Zettel an der Tür angeklebt haben, damit Sie es leichter zu finden haben. Ihre Kleidungen müssten schon dort sein.“, wies ich sie an und drehte mich halb um zum Chauffeur.

„Und Sie sollten ebenso ins Bett gehen. Es ist schon spät und ich erwarte sie alle beide morgen um Zwölf Uhr mittags. Klopfen Sie einfach an meiner Zimmertür an. Gute Nacht.“

Die beiden murmelten dasselbe und ich machte mich dran, endlich in die Küche zu gelangen und die Süßen Desserts und die anderen Tüten wegzubringen.

Mit leisen Schritten lief ich den langen Flur entlang, geradewegs zur Küche und drückte den Henkel mit dem Ellbogen herunter.

Mit erhobenen Augenbrauen sah ich in die Küche und kam nicht umhin zu lächeln und mich innerlich zu ärgern.

„Sie sollten doch nicht auf mich warten, Bruno. Sie zerstören damit noch Ihren Schönheitsschlaf.“

Nun sah er auf, mit einer Tasse Kaffee vor sich sitzend und atmete erleichtert ein.

„Wenn ich mir Sorgen um Sie mache, dann werde ich wohl kaum noch schlafen können.“

Er stand auf und nahm mir die Sachen ab. Mein Blick fiel auf seine Armbanduhr.

„Du solltest ins Bett gehen, Bruno. Ich weiß, dass du in weniger als drei Stunden aufstehst und ich möchte nicht, dass du wieder der wandelnde Geist von damals wirst.“, schmunzelnd sah ich ihn an, während er den Kühlschrank öffnete und einige Dinge dort hinein lud.

„Dass ich ein wandelnder Geist war, war nur Ihre Schuld, kleine Elizabeth. Sie haben mich ganz schön auf Trab gehalten, Miss.“

Leise lachte ich und durfte dabei zusehen, wie eines der – seltenen – erhobenen Mundwinkel von Bruno belustigt zuckte.

Ich nahm einen Waschlappen und schlug ihn leicht damit.

„Da war ich noch sechs Jahre alt!“, gab ich belustigt, aber auch entrüstet von mir, während ich die Augen verdrehte. Bruno kam mit leeren Händen zu mir und blieb wenige Schritte von mir entfernt und betrachtete mich von oben nach unten eingehen.

„Schien eine lange Nacht gewesen zu sein, Miss.“

„Ja, das war sie auch. Die Törtchen sind für die anderen und für dich. Es müsste eine mit Zitronenfüllung dabei sein, wenn ich mich recht entsinne.“

Eine angenehme Stille machte sich im Raum breit und ich lächelte Bruno müde an.

„Sie sollten ins Bett gehen, Miss. Kann ich Ihnen etwas bringen? Tee? Oder ihre heiße Schokolade?“

„Danke, aber nein danke. Gute Nacht Bruno und schlaf gut.“

Ich beugte mich vor und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor ich an Bruno vorbei ging und die Küche verließ. Obwohl ich ziemlich kaputt war, fühlte ich mich dennoch ziemlich wach und nutzte dies aus, um noch schnell duschen zu gehen und mich Bettfertig zu machen. Ich zog das lange schwarze Nachtkleid aus Seide an, welches darunter noch ein schwarzes Nachthemd aus Wolle hatte. Ich liebte es damit zu schlafen. Da fühlte man sich so wohl, wie sonst nie.

Die Augen flatterten schon und das einzige, was ich nur noch im Kopf hatte, war ein Bild meines Bruders vor Augen, bevor ich in einen langen und endlosen Schlaf fiel.

Kapitel 5

 

Vogelgezwitscher weckte mich auf und ich blinzelte angestrengt gegen die Sonne, welche mit ihrem Strahl genau auf mich fiel.

Ich fühlte mich so ausgeruht wie schon seit langem nicht mehr und hatte irgendwie ziemlich gute Laune, dafür, dass es erst sieben Uhr morgens war.

Mit einem Ruck stand ich auf beiden Beinen und machte mich im Badezimmer erst einmal frisch und entleerte meine drückende Blase.

Im Ankleidezimmer zog ich eines der Folien auf und entdeckte dort an einem Schild, was für Kleidung darin steckte.

Ich hatte erst vor wenigen Wochen die Instyle gelesen und hatte mir genau das gekauft, was bei einem Fotomodel abgebildet war. Ich freute mich jetzt schon wie ein kleines Kind.

„All-Over Lamé“, murmelte ich, bevor ich die Kleidungen anzog.

Zuerst zog ich als aller erstes ein hellblaues tailliertes Jeanshemd von H.I.S, dann einen Überknielangen grünen Bleistiftrock aus Lamé von Masha, über dem Jeanshemd ein blaues Strickpulli aus Kaschmir-Merinowolle-Mix, wessen Rückenpartie aus Seide bestand.

Ich lief zu dem Schrank mit dem Schmuck, welches sich jedes Mal anhäufte, wenn meine Eltern kamen, um sich damit zu entschuldigen und griff zuallererst nach einem schwarzem Armband  mit Swarovski-Kristallen und nach einem Messingarmreif, welches mit Leder überzogen wurde.

Meine Füße liefen zu den Handtaschen und ich schnappte mir die Two-Tone-Klappentasche von Dior in schwarz-weiß.

Einige Zeit blieb ich noch vor den Schuhen stehen und entschied mich schließlich für Schnür-Booties aus schwarzem Wild- und Glattleder. Die Absätze waren 11 Zentimeter lang und der Schuh war an manchen Stellen mit Metallketten ausgestattet, welche an die Rüstung eines Ritters erinnerte. Der Absatz bestand ganz daraus.

Zufrieden mit mir, kämmte ich mir nur noch die Haare vor dem Spiegel und warf einen Blick auf die Uhr.

Wie um Himmels Willen konnte es denn schon nach Zehn Uhr sein?

Laut ausatmend, lief ich aus meinem Zimmer und lief in Richtung Küche, um Tina zu rufen. Ich musste noch einiges mit ihr besprechen.

Die Schuhe gaben keine Geräusche von sich als ich durch das Haus wanderte und wunderte mich, wo all die Mitarbeiter waren. Keiner – selbst Bruno – begegnete mir, bis ich es kurz vor der Küche hörte.

„Happy Birthday to you…“

Die Tür war einen Spalt breit geöffnet und ich konnte so gut wie alles in dem Raum erkennen und sah gerade noch, wie Susanna sich nach vorne beugte und die Kerzen ausblies. Sie sah lächelnd auf und drückte einige an sich und packte die vielen, kleinen Geschenke aus. Darunter Shampoo, eine Bluse, verschiedene Gegenstände und ein Album.

Da musste ich wohl später mit Tina reden oder Bruno sollte sie zu mir schicken. Jetzt durfte sie die letzten Minuten noch in Freude schweben und nach mir in Trauer und Selbstmitleid versinken. Was mir nur sehr recht war.

Ein letztes Mal blickte ich über die Meute, als ein Kopf sich abrupt in meine Richtung wandte und mir Moosgrüne Augen entgegen starrten.

Ausdruckslos blickte ich zu meinem Fahrer zurück und wandte mich schließlich ab. Ich hatte keine Lust, dass die anderen noch auf mich aufmerksam wurden, nur weil mein Chauffeur mich mit zusammengezogenen Augenbrauen und finsterem Blick betrachtete.

Wenn er mich nicht ausstehen konnte, dann war es seine Sache und er sollte sich damit abfinden. Immerhin war ich sein Boss.

Das laute Stimmengewirr ließ ich hinter mir, während ich den langen Flur entlang Schritt und zum Büro lief.

Ich zog ruckartig den Aktenschrank auf und nahm die Akte meines Chauffeurs heraus und knallte sie auf den antiken Tisch.

Mit einem Mal war meine wunderbare gute Laune verschwunden und stattdessen trat eiserne Wut aus. Was war nur sein Problem?

Er sollte froh sein hier überhaupt arbeiten zu dürfen. Nur die Besten kamen hier hinein und genauso konnte ich dafür sorgen, dass sie wieder hinausfanden, wenn mir ihr Verhalten oder ihre Arbeit nicht gefiel.

Ich blätterte in seiner Akte herum, bis ich sie Auswendig konnte, erst dann legte ich sie beiseite. Wie es aussah, hatte er eine verstörende Kindheit und obwohl ich mich verwirrt über das gelesene fühlte, lächelte ich kopfschüttelnd.

Dieser Mann schien nicht dumm zu sein.

Er hatte genau eine einzige Straftat in seiner Registerkarte und diese war, dass er Hacker war und sich in das Alarmsystem der Polizei eingeschleust hatte.

Nun stellte sich die Frage, warum er heute mein Chauffeur war und niemand, der Viren auf andere Daten legte.

Ein Klopfen an der großen braunen Eichenholztür ließ mich von meinen Gedanken aufschrecken.

„Herein.“, bat ich mit fester Stimme und die Tür öffnete sich.

Bruno kam in den Raum und verbeugte sich leicht vor mir.

„Guten Morgen, Miss. Möchten Sie Ihr Frühstück nehmen oder sollte ich Tina für Sie herbitten?“

„Rufen Sie bitte Tina, Bruno. Ich werde in etwa zehn, fünfzehn Minuten zu Tisch erscheinen. Danke.“ Er lief wieder weg, während ich die Akte nahm und sie wieder hinter Metallschränken verschloss. Als hätte Tina nur gewartet, dass ich sie rufen würde, kam sie mit schnellen Schritten hineinspaziert. Sie blieb einige Meter vor mir entfern stehen.

„Guten Morgen, Miss.“, wünschte mir Tina mit einem gequälten Lächeln und zwang sich dazu, still stehen zu bleiben.

„Sie wissen, warum Sie hier sind, Tina?“

Zögernd sah sie mich an und nickte.

„Ja, Miss.“

Ihre Stimme war kaum zu vernehmen, da sie beinahe schon brüchig war.

Langsam stand ich auf und lief vor den Schreibtisch. Mein Körper lehnte sich dagegen, während ich mit einer Hand aufforderte Platz zu nehmen. Ihre Beine zitterten leicht und sie war ziemlich blass im Gesicht geworden.

„Warum haben Sie sich nicht die Zeit genommen Susanna ihr Zimmer zu zeigen?“, meinte ich mit leiser, ruhiger Stimme und ich sah meine Mitarbeiterin schlucken.

„Weil ich noch so viel zu tun hatte. An diesem Abend hatte ihre Mutter Gäste erwartet und es musste alles schnell gehen.“, antwortete sie stockend.

„Gut und warum haben Sie es ihr nicht in den nächsten Tagen genauer gezeigt? Waren Sie etwa so sehr beschäftigt?“, fragte ich eiskalt süß und sah sie zusammenzucken.

„Ich…ich habe es vergessen, Miss.“

„Sie haben es vergessen, dass eine neue Mitarbeiterin in einem Zimmer schlief, welches vom letzten Jahrhundert stammt?“, schrie ich wütend.

„E…es tut mir so…so leid.“

Ihr Schniefen erfüllte den Raum, während sie sich ein Taschentuch aus der hinteren Hosentasche heraus angelte.

„Wie kann man sich denn für solch einen verdammten Mist entschuldigen? Haben Sie überhaupt jemals wieder das Zimmer betreten, nachdem Sie es ihr gezeigt haben? Nein, haben Sie nicht. Sie sollten sich abgrundtief schämen. Wegen Ihnen musste dieses Mädchen ein ganzes Jahr lang in diesem Scheiß kaputten Zimmer leben.“

Wütend ging ich auf und ab, während Tina leise weinte.

„Aber wissen Sie, worüber ich noch mehr entsetzt bin, Tina? Ich habe die Akte des Mädchens gesehen und sorgfältig durchgelesen. Dabei ist mir eine Sache ins Auge gestochen.“, meinte ich leise und blickte zu Tina.

„Sehen Sie mich an, wenn ich mit Ihnen rede, verdammt noch mal.“, schimpfte ich wütend.

Zusammenzuckend hob sie schüchtern den Kopf und die einst dreißig Jährige Frau sah so aus, als hätte sie sie Besten Tage hinter sich.

„DAS MÄDCHEN HAT SEIT EINEM JAHR NICHT MEHR IHRE FAMILIE GESEHEN UND KEINEN EINZIGEN FREIEN TAG GEHABT!“

Mein Brüllen hallte im ganzen Raum und Tina konnte sich nicht mehr bewegen.

„Würden Sie gerne jeden Tag bis zu zehn Stunden arbeiten? Nicht wissen, dass Sie noch ein Badezimmer haben? Oder in einem kaputten Zimmer schlafen und so gut wie keinen Kontakt zur Familie haben?“

Außer Wut starrte ich Sie an.

„Noch einen einzigen Fehler, Tina und Sie können Ihre Sachen packen und dieses Haus nie wieder betreten. Und das nächste Mal führe ich die neuen Arbeiter ein, wozu Sie scheinbar nicht in der Lage sind.“

Ein kleines verweintes Ding saß zusammengekrümmt auf dem schwarzen Sessel und konnte sich nicht mehr zusammenreisen.

Sie sah nun endlich ihren Fehler ein.

„Und wehe Sie lassen ja auch nur ihre Wut bei anderen aus und wir sprechen uns wieder im Büro. Möchten Sie das?“

Sie schüttelte den Kopf und sah verweint auf.

„Sie haben mich sehr enttäuscht, Tina. Und jetzt raus hier.“

Zitternd stand sie auf und rannte schon beinahe aus dem Büro.

Ich atmete tief durch und schweifte noch ein letztes Mal mit den Augen über den Aktenschrank. Kopfschüttelnd sah ich weg und versuchte die Wut in mir zu züngeln und trat aus dem Büro. Mit verschreckten Augen standen die Mitarbeiter dar, darunter auch Susanna. Ihre erschrockenen Augen sahen mich an und sie blinzelte einige Male.

Ich lief an ihnen vorbei und traf auf Bruno am Frühstückstisch. Er ordnete gerade die Teller.

„Sie setzen sich erst zu Tisch, wenn Sie sich beruhigt haben, Miss.“

„Bruno.“, knurrte ich gefährlich. Er zuckte noch nicht einmal mit der Wimper.

„Armen Sie tief durch.“

Ich tat wie gesagt. Einige Minuten später pulsierte mein Puls im normalen Takt und ich hatte nicht das Gefühl, als würde mein Kopf brummen.

„Danke.“, murmelte ich beinahe nicht hörbar, doch Bruno hatte schon immer gute Ohren. Ansonsten hätte er mich damals nicht immer dabei erwischt, wie ich den Süßigkeiten Vorrat geplündert hatte.

„Gern geschehen, Miss.“

Schweigend frühstückte ich und hatte nach einem halben Teller Toastbrot keinen Hunger mehr.

„Ich bin in meinem Zimmer.“, informierte ich ihn rasch, während ich aus dem Esszimmer lief. In meinem Zimmer legte ich 9 Crimes auf und summte leise mit, während ich nach einem Zeichenblock schnappte und mich damit auf meinen Schaukelstuhl hinsetzte und anfing zu zeichnen.

Als mir nichts wirklich einfiel, was ich auf Papier zeichnen konnte, da flog ein Blütenblatt durchs offene Fenster, direkt auf meinen Schoß.

Immer mehr kamen hinein und verwundert sah ich hinaus. Ein Wind wehte die Natur in mein Zimmer herein und das Bild, welches sich mir bot, war einfach nur wunderschön. Sofort machte ich mich drauf und dran diesen Moment festzuhalten.

Dieser Moment wurde mitten im Bild gestört, als jemand an der Tür anklopfte.

„Herein.“

Mein Chauffeur Jack und Susanna betraten den Raum. Susanna sah unsicher auf ihre ineinander verschränkten Hände und Jack warf einen kurzen Blick durchs Zimmer.

„Miss, Sie hatten uns gebeten um 12 Uhr Mittag hier zu erscheinen.“, erinnerte sie mich und ich stand auf. Mit dem Zeichenblock in der Hand lief ich zum anderen Ende des Raumes, legte ich ihn auf den Schreibtisch und nahm mir die Dior Handtasche, welche ich vorhin im Zimmer liegen gelassen hatte.

„Sie können es sich auf dem Bett bequem machen. Sofern sie es wollten.“, damit rauschte ich ins Badezimmer und band meine Haare zu einem hohen Pferdeschwanz. Ich musste mir bald die Haare schneiden. Sie reichten nun bis zum Steißbein. Zum Glück würden wir den Friseur besuchen. Ich summte leise zum Lied von Damien Rice, welches die ganze Zeit in einer endlosschleife lief. Die beiden hatten sich noch immer nicht von der Stelle bewegt und tauschten miteinander Blicke aus, als wurden sie kommunizieren. Schließich schüttelte Susanna entschlossen den Kopf und Jack wandte wütend die grünen Augen zu mir. Ich hob nur die Augenbraue und sah ihn auffordernd an. Wenn du reden möchtest, Junge, dann rede auch.

Noch einmal drehte ich mich zum Schreibtisch um, als keiner etwas sagte und gab in die Tasche die wichtigsten Dinge hinein.

„Wir können los.“

Meine Finger drückten noch den Ausschalter an der Lampe und Damien Rice traurige Musik erfüllte den Raum.

Kapitel 6

 

Nachdem wir einige Kleidungen für die nächsten zwei Jahre für Susanna und mich gekauft hatten, spazierte ich durch die Straßen und lief mit meiner Angestelltin in die Seitengasse. Bald würde es dämmern und in weniger als vier Stunden würden die Gäste eintreffen.

Nun musste es schnell gehen.

Die Glastür ließ sich wie immer leicht öffnen und ein Glockengeräusch erklang, als wir den Laden eintraten. Über der Tür war eine Glocke angebracht worden. Susanna sah unsicher zu den Kleiderstangen hinüber und wusste anscheinend nicht, wie sie zu reagieren hatte.

Ich lief einige Schritte, als eine ältere Dame zu uns kam, die sehr stark an eine Ballettlehrerin erinnerte. Ihre Haare waren zu einem hohen Dutt gebunden. Madame Dorette.

„Emma. Schön Sie hier zu sehen. Es ist lange her, dass Sie und ich uns zuletzt gesehen haben.“

Ihr Französischer Akzent ließ das  h unausgesprochen. Ich liebte diese Sprache.

„Guten Tag, Madame. Könnte ich Sie kurz sprechen?“

„Natürlich.“

Sie brachte mich –die Treppen rauf- in ihr Büro, davor gab ich Susanna Bescheid, sie solle sich vorerst umsehen und sich etwas aussuchen.

„Ich brauche drei überragende Abendkleider. Zwei für mich, eines für meine Angestelltin Susanna. Sie braucht ihres jedoch schon heute.“

„Der Preis spielt keine Rolle?“

Ich schüttelte leicht den Kopf.

„Was für ein Anlass sollte es denn sein?“

„Der 23. Geburtstag des Mädchens. Ihre Familie wird kommen und alle werden in der großen Halle feiern.“

„Hört sich interessant an.“

„Sie wissen, was zu tun ist. Geben Sie ihr bestes!“

Unten angekommen liefen wir an all dem Tüll vorbei und blieben vor einigen Ballkleidern stehen. Ich kannte die Stoffe nicht, aber etwas Spitze, Seide, Samt und Leder tauchten vor meinen Augen auf.

„Ziehen Sie bitte dieses Kleid an, Susanna. Und Sie dieses hier, Emma.“

Sie reichte uns die Abendkleider und ich lief den Weg zur Umkleidekabine, während Madam Dorette Susanna in eine andere führte, um ihr beim Anziehen behilflich zu sein.

Ich entledigte mich meiner Kleidungen und zog das dunkelschwarze Kleid ganz aus Spitze und langen Ärmeln über.

Madame Dorette schloss die Knöpfe an meinem Rücken zu und ich sah in den Spiegel. Madame Dorette band mit einer Haarklammer meine Haare hoch. Das Kleid war ziemlich Körperbetonend und schmeichelte meiner dünnen Figur. Zudem sah es auch noch aus, als wäre es meine zweite Haut und das Ende des Kleides sah aus wie eine kleine Schleppe aus Spitze.

Ich lief aus der Kabine, um Susannas zu sehen und hob überrascht die Augenbrauen hoch. Sie trug ein bodenlanges weißes Kleid, welches an eine Griechische Göttin erinnerte und die blonden Harre und die blauen Augen führten dazu, dass man dies wirklich annahm.

„Oh mein Gott. Miss, das Kleid ist wunderschön.“

Ehrfürchtig sah sie auf mein Kleid und ich lächelte milde.

„Ihres ist ebenso bezaubernd. Möchten Sie dieses, oder ein anderes probieren?“

Sie lief zum großen, bodenlangen Spiegel und drehte sich zur Seite und betrachtete sich.

„Ich liebe dieses Kleid, Miss.“, gab sie ehrlich zu.

„Das freut mich zu hören. Könnte ich ein Foto machen?“

„Natürlich, Miss.“

Ich nahm mein Handy aus der Handtasche und schoss ein Foto von Susanna.

Dann wandte ich mich an die Ladenbesitzerin.

„Madame Dorette, Sie hatten doch noch ein weiteres Kleid für mich.“

Sie kam mit einer weißen Folie zurück.

„Das hier ist von einer wunderbaren Designerin, die normalerweise solch etwas nur für die Königsfamilie schneidert. Ich habe es zum Glück noch geschnappt, bevor es ein anderer tun konnte.“

Wenn sie aufgeregt oder begeistert war, kam ihr Französisch immer mehr zum Vorschein und manchmal merkte sie nicht einmal, dass sie Französisch sprach. Zum Glück hatte ich es in der Schule.

Das Smaragdgrün des Kleides passte farblich zu meinen Haaren und Augen. Die Ärmel -3/4 lang- ganz aus Seide und der Rücken frei.

Das Kleid war lang und wirbelte in der Luft herum, wenn ich lief. Es war ganz aus Seide und einem anderen Stoff, aber der Name fiel mir nicht mehr ein.

Silberne Perlen, die auf den Ärmeln und am Oberkörper verstrickt waren und bis zu meiner Taille reichten, gaben dem Kleid seinen letzten Schliff.

Das Kleid gefiel mir mehr, als ich zugeben konnte und ich freute mich schon auf den Tag, an dem ich es einziehen konnte.

Mit einem Ruck zog ich den Vorhang beiseite und trat auf den Podest vor dem Spiegel, damit das Kleid schon auf den Boden fallen konnte. Ich würde ohnehin an diesem Tag Absatzschuhe tragen. Susanna hatte es sich auf dem Sessel gemütlich gemacht und sah mit großen Augen zu, wie Madame mein Kleid ordnete.

Ich drehte mich im Kreis und bemerkte, dass das Kleid dabei atemberaubend wirkte.

Beim Tanzen würde es schon einmal gut aussehen. Nur was könnte man mit den Haaren machen?

„Madame Dorette, ich habe die Haarklammer in der Umkleide liegen lassen. Würden Sie sie bitte holen? Und am besten noch etwas für die Haare und einige Ketten und Ohrringe.“

„Natürlich.“

Sie lief mit ihren Maßbändern zum Hinterzimmer.

„Was meinen Sie, Susanna?“

Vom Spiegel aus betrachtete ich sie und wartete unerwartet angespannt ihre Antwort ab.

„Das Kleid sieht aus, als wäre es für sie geschaffen worden, Miss.“, flüsterte sie leise und betrachtete mich im Spiegel.

Ich drehte mich leicht zu ihr und lächelte sie an.

„Danke, Susanna.“

Ein neuer Kunde spazierte hinein und die Tür erzeugte erneut diesen hellen Glockenton von sich. Irgendwie fing ich an diesen Ton zu mögen.

„Da bist du ja endlich. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, weil du mal wieder nicht auf meine Nachricht reagiert hast.“, begrüßte Susanna jemanden und verwundert drehte ich mich um.

Der Chauffeur stand in der Mitte des Raumes und sah von Susanna zu mir hinüber. Er blickte überrascht auf mein Kleid, dann in mein Gesicht. Direkt in meine Augen.

Nackt. Genauso fühlte ich mich mit einem Mal, als diese leuchtenden grünen Augen mich betrachteten.

„Hier habe ich alles…oh. Wer sind Sie denn?“

Die erstaunte Stimme von Madame holte mich wieder in die Gegenwart zurück und ich drehte mich wieder zum Spiegel um.

„Das ist der neue Chauffeur, Madame.“, informierte ich sie, woraufhin sie nickte.

„Würden Sie vom Podest herunter kommen, Emma?“

„Natürlich.“

Sie nahm einige Ohrringe und reichte sie mir. Während ich sie anzog, machte sie an meinem Haar herum und ich wartete gespannt auf das Ergebnis.

Schließlich durfte ich wieder vor den Spiegel treten.

„Sollte ich keine Kette tragen?“

„Avec une chaîne?“

Madame Dorette sah nachdenklich zu meinen Schlüsselbeinen.

„Moment.“

Sie nahm mir die Ohrringe ab, den Haarschmuck und band meine Haare von erneut nach oben. Mit den Sachen in den Händen verschwand sie für wenige Augenblicke und kam daraufhin mit zwei wunderschönen, schwarzen Schatullen zurück.

„Ihre blau-grünen Augen würden perfekt dazu passen. Ich hätte niemals erwartet, dass ein Kunde diese zu Augen bekommen würde.“, meinte sie gedankenvoll, während sie die erste von ihnen öffnete.

„Dieser Ring hat den Namen >Précieuses Rose< und ist von Dior Fine Jewellery. Das besondere an ihm ist der Smaragdgrüne Stein, welcher von Rosen aus Brillanten umgeben wird.“

Sie steckte mir den Ring an den Ringfinger und ich betrachtete ihn im Spiegel.

Währenddessen nahm sie einen Collier in die Hand und legte ihn mir um den Hals, dabei fing sie an zu reden.

„Dieser Collier ist von Bulgari und trägt den Namen >High Jewellery Collection<, welcher stolze 10 Smaragde enthält, 36 Diamanten und 81 Brillanten. Er gehört zu meinem liebsten Schmuck.“

Ich trat vor den Spiegel und betrachtete mein Spiegelbild. Vorsichtig fuhr ich über die Kette und neigte den Kopf zur Seite.

Leise atmete ich aus.

„Damit werden Sie die Männer begeistern und die Frauen eifersüchtig machen. Sie werden Sie alle beneiden.“

Madame Dorette sah begeistert zu mir und schließlich nickte ich.

„Ich nehme es.“

Vom Spiegel aus sah Susanna mich mit großen begeisterten Augen an und stieß mit dem Ellbogen gegen Jack. Er sah auf.

Unsere Blicke trafen sich im Spiegel und da ich mich nicht wieder entblößt fühlen wollte, wandte ich mich einfach um und zog mich in der Umkleidekabine wieder an.

Sobald der Bleistiftrock schön an seiner Stelle war, trat ich aus der Umkleide und lief zu Madame.

Sie reichte dem Chauffeur die Kleidungen. Sobald Madame Dorette hinter den Tresen war, reichte ich ihr meine Kreditkarte.

Zum Abschied drückte sie mir zwei typische Wangenküsse. Die Franzosen liebten es einfach jeden und alles zu küssen.

Doch heute machte es mir gar nichts aus und wir liefen zufrieden zum Wagen, welcher schon vor der Gasse parkte.

Vom Rückspiegel aus beobachtete ich, wie der Chauffeur die Sachen im Kofferraum einlud und schließlich einstieg.

„Susanna, Sie werden die Gäste in der großen Halle empfangen. Am besten, Sie ziehen schon einmal das Kleid an und schlüpfen in die Schuhe, die ich Ihnen gekauft habe. Um zehn haben Sie dann Feierabend und können mit den anderen Angestellten mitfeiern, wenn Sie möchten.“

Sie nickte und der Chauffeur fuhr los.

„Fahren Sie mich zu einem Lokal oder Restaurant. Ich habe Hunger.“

Müde sah ich aus dem Fenster und beobachtete die vorbeifahrenden Autos durch die Windschutzscheibe. Mir fiel dabei auf, dass Jack immer wieder die Hände fest am Lenkrad verkrampfte und mich kurz im Ruckspiegel ansah.

„Halten Sie dort vorne, vor der Pizzeria.“, wies ich ihn an und der Wagen hielt vor der Pizzeria mit quietschenden Reifen an.

„Susanna, suchen Sie schon einmal einen Tisch für drei. Ich muss noch einen wichtigen Anruf erledigen.“, wies ich sie an.

Sie warf einen kurzen Blick zu Jack, bevor sie sich abschnallte und ausstieg. Ich wartete so lange, bis sie im Gebäude verschwunden war.

„Wollen Sie mir etwas sagen?“ Auffordernd sah ich ihn im Rückspiegel an.

Er versuchte sich zusammen zu reißen, doch als ich die Augenbraue hob, löste ich in ihm den letzten Geduldsfaden.

„Macht es Ihnen eigentlich Spaß ihre Angestellten zu ärgern?“, zischte er wütend und drehte sich im Sitz zu mir um.

„Das müssen Sie mir schon genauer erläutern.“

„Sie wissen ganz genau, dass Suse heute Geburtstag hat und haben ihr noch nicht einmal gratuliert. Und dann soll sie auch noch an ihrem Geburtstag auf einer Geburtstagsfeier schuften. Ganz ehrlich, Sie sind einfach nur…“

Anstatt zu Ende zu sprechen, sah er wieder nach vorne und starrte aus dem Fenster. Gut, seine Worte hatten mich wütend gemacht. Wie konnte er es überhaupt wagen mich als etwas zu bezeichnen, ohne zu wissen wer ich war?

„Meinen Sie, dass ich schon vorher gewusst habe, dass Susanne zufälligerweise heute Geburtstag hat?“

Stille.

„Und diese Sache geht Sie überhaupt nichts an. Sie haben sich da nicht einzumischen. Wenn Susanna sich dadurch verletzt gefühlt hat, dann kann sie es mir auch selbst sagen.“

Er sah mich aus dem Augenwinkel an. Ich rutschte ein wenig vor.

„Und nur so zur Information: Sie sollen auf Ihre Ausdrucksweise aufpassen. Nur weil ich jünger als Sie bin, heißt das noch lange nicht, dass Sie mit mir reden dürfen, wie Sie möchten. Ich bin immer noch Ihr Boss und kann Sie sofort rauswerfen, wenn Sie sich noch einmal trauen, solch einen großen Fehler zu begehen. Als mein Chauffeur haben Sie nichts zu sagen und stillzuschweigen.“, drohte ich ihm und lehnte mich wieder zurück.

„Sie enttäuschen mich. Ich hatte erwartet, dass Sie länger aushalten. Aber ich bewundere Sie dafür, dass Ihnen ihre Freundschaft mit meiner Angestelltin viel wichtiger ist, als Ihre Arbeitsstelle.“

Mit diesen Worten stieg ich aus dem Wagen und nahm die Dior Tasche in die Hand, während ich zum Restaurant lief und meinen Chauffeur verfluchte.

Am Tisch angekommen, nahm ich sofort Platz und schnappte mir die Speisekarte. Der Appetit war mir eigentlich vergangen, aber Bruno würde mich umbringen, wenn er hören würde, dass ich nichts zu mir genommen hatte.

„Für mich die Spagetti mit Tomatensauce. Zu trinken ein Glas Wasser, bitte.“, gab ich meine Bestellung an die Kellnerin, nachdem Susanna ihre abgegeben hatte.

„Sie können dem Chauffeur sagen, dass er ruhig Mitessen soll. Es wird erst spät etwas zu Essen geben.“

„Er heißt Jack.“, flüsterte Susanna.

„Wie bitte?“

„Ihr Chauffeur heißt Jack, Miss.“

Verwirrt sah ich zu ihr auf und strich die lose Strähne aus meinem Gesicht zur Seite.

„Das ist mir klar.“

„Und warum nennen Sie dann nie seinen Namen?“

Die Kellnerin brachte die Getränke und wir tranken kurz daraus.

„Solange er noch nicht eingestellt ist, brauche ich seinen Namen nicht zu erwähnen.“

Susanna sah auf ihre Hände und wurde etwas blass im Gesicht.

„Hören Sie. Nicht alle Angestellten halten die Arbeitslast in diesem Haus aus und geben früher auf, als die anderen. Drei Monate ist die Pflicht von jedem und erst dann sind sie wirkliche Arbeiter und bekommen einen Vertrag von einem Jahr. Kündigen darf jeder, wann er will. Also denken Sie nicht schlecht von mir, wenn ich einfach nur der Tatsache ins Auge sehe. Der Chauffeur wird nicht lange bleiben, wenn er wie bisher arbeitet und es ist seine Sache, wenn er sich der Arbeit nicht anpassen kann. Ich entscheide aber immer am Schluss, ob er bleiben oder gehen kann. Niemand sonst.“

„Verstehe.“

Stille trat ein.

„Ach. Ich habe vom Chauffeur übrigens erfahren, dass Sie heute Geburtstag haben. Herzlichen Glückwunsch.“

„Vielen Dank, Miss.“, flüsterte sie und nahm ihr Handy aus der Hosentasche und schieb Jack. Das Essen kam, der Chauffeur nicht und schulterzuckend aß ich meine Spagetti auf.

Nach dem Essen ließ ich uns zum Friseur fahren und sah die ganze Zeit über aus dem Fenster und ignorierte jeden und alles.

Ich bekam kaum etwas von dem mit, was ich tat, doch im nächsten Moment wurden mir schon die Haare gewaschen und im anderen saß ich auf einem Stuhl vor dem Spiegel, während die Friseurin meine Haare bis zu Taille kürzte.

Ich hatte den Friseuren mein Handy gereicht, damit sie das Bild von Rose sehen konnten, um sich etwas zum Frisieren und Schminken ausdenken konnten.

Doch nun war alles was ich wollte, Nachhause zu gehen und die Augen vor allem zu verschließen. Am liebsten würde ich mich unter meiner Bettdecke verkriechen und nie wieder hinaus kommen.

Müde flatterten meine Augen. Die letzten Sonnenstrahlen wichen dem dunkelroten Himmel aus und verschwanden hinterm Horizont. Obwohl ich die Blicke der beiden verspürte, sah ich kein einziges Mal zu ihnen, sondern starrte nachdenklich auf die vorbei huschenden Autos und Bäume. Wahrscheinlich dachten sie schon, dass ich keine Lust darauf hatte, mich zu unterhalten. Ich kramte mein Handy – aus der hinteren Hosentasche – heraus und überflog die Nachrichten, die mir einige Freunde zugemailt hatten. Ich sah immer wieder nur Partys oder Schluss mit… und hielt erst an, als ich eine Mail von Ryan erhielt. Stirnrunzelnd öffnete ich sie.

Einen Moment lang war ich darüber geschockt, was ich zu sehen bekam und hätte am liebsten mein Handy aus dem Fenster geworfen, wenn es offen gewesen wäre.

Dieses Schwein.

Auf dem Bild war zu erkennen, wie Ryan gerade eine andere vögelte. Und zwar niemand anderes als die Schulschlampe schlecht hin.

Wütend biss ich mir auf die Unterlippe, bis sie blutete. Mit meinem rechten Zeigefinger tastete ich die Stelle und betrachtete das rote Blut, welches den Zeigfinger hinunter floss. Ich hatte zu fest gebissen. Na toll.

Zum Glück hatte ich in der Tasche einige Taschentücher bereit und tupfte mir damit die Lippe ab. Mein Handy summte.

„Emma Jones.“

„Guten Tag, Miss. Ich wollte Ihnen Bescheid geben, dass wir jetzt zurück fahren werden.“

Es war einer der Fahrer, die für Susannas Familie zuständig waren.

„Gut. Wie lange werden Sie benötigen?“

„Wenn es gut geht, dann etwa zweieinhalb Stunden, Miss.“

Dann war noch genug Zeit, um einige Dinge zu verbessern.

„Fahren Sie langsam und sicher. Wir haben keinen Grund zur Eile. Eine schöne Fahr noch.“

„Danke, Miss.“

Ich legte auf und wählte eine neue Nummer.

„Miss.“

„Bruno, was machen die Vorbereitungen?“, erkundigte ich mich.

„Man hängt noch die letzten Grillanten auf, Miss. Das Zimmer von Susanna wurde fertig gestellt und einige Torten sind eingetroffen. Eher zu viele, Miss.“

Gegen meinen Willen hoben sich die Mundwinkel.

„Bruno?“

„Ja, Miss.“

„Würden Sie mir den Gefallen tun und mir etwas Warmes zu trinken in mein Zimmer bringen? Ich brauche einen kühlen und freien Kopf.“

„Sollte ich einige Kissen und Matratzen aufs Dach legen, Miss?“

„Das wäre wundervoll, Bruno. Ich danke dir.“, flüsterte ich dankbar. Die Erschöpfung machte sich langsam in mir breit und ich genoss es einfach nur mit Bruno zu reden.

„Solange Sie zufrieden sind, Miss, tue ich alles.“

Bei seinen Worten wurde mir warm ums Herz und diesem Moment bemerkte ich, dass Bruno mir ziemlich wichtig war. Nur habe ich es anscheinend nie Bewusst vor Augen gesehen.

„Wie geht´s den Kindern?“

„Helena studiert nun doch Medizin, wie ihre Mutter. Und die beiden Jungs sind gerade dabei eine Hochzeit zu planen.“

„Schon?“

Überrascht sah ich auf mein Handy.

„Ja, Miss. Schon.“, meinte Bruno belustigt.

„Wir sind langsam zu alt für diese Welt. Hätten Sie Lust mit mir einen Grabstein zu teilen, Bruno? Am besten einen, der aus schönem schwarzem Marmor besteht.“, witzelte ich und lachte leise.

„Wenn Sie es sich so wünschen.“

Ich konnte ihn lächeln spüren.

„Ich bin bald wieder Zuhause, Bruno. Bis später und passen Sie gut auf sich auf.“

Ich legte auf und sah unbeschwert auf die dunklen Straßen. Damals waren mit die vorbeiflitzende leuchtende Häuser immer wie ein Wunder vorgekommen, so wie sie die Nacht zum Tag gemacht hatten. Ich liebte diese Stadt und würde nichts an ihr ändern wollen. Aber mit der Zeit veränderte sich alles. Selbst wir Menschen. Und das war etwas, was die ganze Menschheit nicht aufhalten konnte. Bäume konnte man kaum noch erkennen. Nur den Schatten ihrer selbst in der schwärzesten Nacht.

Erinnerungen zuckten in mir hoch und mir wurde sofort so übel, wie noch nie. Jedoch gab ich keinen Mucks von mir, um kurz aus dem Auto zu steigen und mich über einem Busch zu übergeben. Der Wagen fuhr langsamer und ich sah auf. Die Scheinwerfer leuchteten auf die Gitterstäbe, die sich bald darauf öffneten und der Wagen fuhr vor. Sobald er anhielt, stieg ich sofort aus und rannte geradezu aus dem Wagen, Richtung Haus.

Bruno öffnete gerade die Tür, als ich an ihm vorbei stolperte und es mit Mühe und Not gerade noch zur Toilette schaffte.

Meine Haare wurden mir schnell zurück gehalten und schon kotzte ich mir einfach die Seele aus dem Leib. Ich wollte nur noch alles vergessen. Nie wieder diesen Moment erleben.

Erschöpft legte ich mich auf die kühlen Fliesen, welche ziemlich kühl waren. Obwohl ich vor Kälte zitterte, tat sie mir dennoch so gut wie noch nie.

Bald ist es wieder so weit. Gott, wie ich es doch hasse.

„Miss, Sie sollten ins Bett gehen.“, drängte Bruno, doch ich schüttelte einfach nur den Kopf.

„Gehen Sie die Gäste empfangen. Sie sollen zur großen Halle. Der Rest geschieht dann von selbst, wenn Susanna den Raum betritt.“

Ich hörte Bruno frustriert ausatmen.

„Was soll ich nur mit Ihnen tun, Miss?“

„Nichts, Bruno. So bin ich eben nun mal. Und nun gehen Sie Susannas Überraschungsparty mitfeiern. Sie haben es sich am meisten verdient.“

„Nicht bevor Sie im Bett liegen und sich erholt haben, Miss.“

Gegen meinen Willen hob er mich hoch und ich sah einfach nur erschöpft zu ihm auf.

„Bin ich nicht zu schwer?“, flüsterte ich. Mein ganzer Körper zitterte wie dies eines Junkies und meine Atemwege arbeiteten wie die einer alten Frau. Jeder Atemzug tat weh und ich wunderte mich darüber, wie ich überhaupt noch Sauerstoff in die Lungen bekam, wenn ich doch so gut wie nichts einatmen konnte. Er lief aus dem Gästebadezimmer.

„Bringen Sie mich um, Bruno. Bitte.“

Mitten im Flur blieb er stehen und neigte den Kopf zu mir.

Er sah mich mit seinen Augen an – die von Lachfalten umgeben waren – welche in diesem Moment so unendlich traurig aussahen. Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht los zu weinen.

„Ich will das alles nicht mehr, Bruno. Es tut so weh.“

„Ich weiß, Miss. Aber Sie müssen stark bleiben. Für immer.“

Obwohl er mich ernst ansah, hörte sich seine Stimme in meinen Ohren zittrig an.

„Für immer. Okay, das schaffe ich.“, flüsterte ich. Nickend lehnte ich mich an seinen Oberkörper und ließ den Tränen seinen freien Lauf.

„In zwanzig Minuten ist es vorbei, Miss. Dann können Sie und Ihr Herz erst einmal aufatmen.“

Er drehte sich mit mir zur Treppe um, während ich den müden Blick schweifen ließ.

Das Geburtstagskind stand an der Haustür und war an der Schwelle erstarrt. Susanna sah mich an, als hätte sie einen Geist gesehen. Ich an ihrer Stelle hätte wahrscheinlich genauso auf meine Arbeitgeberin gesehen, wenn sie eines ihrer Schwachen Momente hätte.

Bevor Bruno die Treppen hochgehen konnte, sagte jemand etwas. Ich verstand nichts wirklich, da mir drohte schwarz vor den Augen zu werden und mein Kopf kippte leicht nach hinten.

Angestrengt versuchte ich meine Augen offen zu halten.

Jemand trug mich, doch es war nicht Bruno. Dazu waren die Arme zu muskulös und das Gesicht zu Jung. Erneut blinzelte ich. Die Person warf mir einen kurzen Blick, bevor ich erschöpft die Augen zuschloss und versuchte all diese Schmerzen auszublenden.

Grüne Augen. Ich hatte immer angenommen, dass diese ziemlich häufig vorkamen, aber bei ihm strahlen sie so intensiv, dass man sich darüber wunderte, was mit den anderen grünen Augen passiert war.

Ich spürte einen leichten Windzug an meinem Körper und zitterte noch mehr vor Kälte. Etwas Schweres und leichtes über mir nahm das Zittern langsam von meinem Körper weg.

Erschrocken zuckte ich zusammen, als jemand die Tür zuschloss. Erneut, als mir bald darauf etwas Warmes auf die Füße gelegt wurde, nachdem man mir die Schuhe ausgezogen hatte. Es dauerte einen Moment, bis der Schmerz verebbte und ich wieder klar sehen konnte.

Jack stand im Raum mit Bruno und sah mich erschrocken an.

„Gehen Sie raus. Sofort“

Mein Blick fiel auf Bruno, als Jack sich nicht von der Stelle rührte.

„Wie lange?“, flüsterte ich leise, da mir mein Hals wehtat.

Als ich ihn zögern sah, drehte ich mich im Bett um und biss mir erneut so lange auf die Unterlippe, bis sie erneut eine tiefe Wunde und ich einen Blutvollen Mund hatte.

Ohne, dass ich einen Laut von mir gegeben hatte, beeilte sich Bruno zu mir zu kommen und mit einem Taschentuch das Blut einzufangen. Schließlich hob er meinen Oberkörper hoch und lehnte ihn gegen seine Brust, sobald er sich etwas hinter mich gesetzt hatte. Er legte mir ein Glas mit Wasser an die Lippen in der die Tablette schon aufgelöst war.

So fest es ging verschloss ich meine Lippen und schüttelte den Kopf, während mir die Tränen in die Augen traten und mir die Sicht auf vieles nahm.

„Sie müssen, Miss. Bitte. Tun Sie´s für mich.“, bat er mich und ich zwang mich dazu den Mund zu öffnen. Weinend trank ich schnell alles aus, bevor ich schluchzend – in mich zusammengerollt – gegen Bruno lehnte und versuchte das Brennen in meinem Körper auszuhalten. Ich biss mir auf die Zähne, um keinen Laut von mir zu geben. Ich wollte nicht, dass Bruno sich schlecht fühlte, weil ich wegen ihm diese tödliche Dosis genommen hatte.

In diesem Moment wollte ich nur noch sterben. Mein einziger Wunsch in diesem Moment und dennoch ging dieser nicht in Erfüllung, als mich die Schmerzen in meiner Brust überrollten und ich keine Luft mehr bekam.

In mir zogen sich alle Organe zusammen, dessen Schmerzen mich überwältigend überfielen und das Leben hoffentlich bald vorbei war.

„Nur noch diese Tablette, Miss. Die Letzte, versprochen.“

Bruno zu verstehen war ein Kampf und zu verstehen was er meinte, war mein innerlicher Tod. Ich wehrte mich, doch alles brachte nichts.

Er drückte die Tablette gegen meine Lippen und ich öffnete sie erst, als er sie gewaltsam in meinen Mund hineindrückte. Als ich sie hinunter geschluckt hatte, konnte ich wenige Minuten später wieder vor Schmerzen innerlich sterben.

Es fühlte sich an, als würde man mit einem Messer meinen Körper lebendig zerschneiden, gleichzeitig über mich heißes Wasser schütteln und gewaltsam erwürgen.

Ein Schmerzensschrei entwich mir. Er ging mir durch Mark und Bein und erzeugte, dass ich erneut aufschreien musste.

Endlich war der Moment vorbei und ich fiel weinend in mich zusammen, während ich spürte, wie Bruno immer wieder versuchte mich zu beruhigen, indem er mir über die Haare und dem Rücken fuhr und mir immer wieder Dinge sagte, von denen ich kein einziges Wort verstand.

„Wie lange, Bruno? Bitte.“ Schluchzend sah ich ihn an und sah in seine Tränennasse Augen.

„Der erste Anfall zehn Minuten und achtundzwanzig Sekunden, Miss. Der zweite genau  24 Minuten. Es tut mir leid.“

Seine Stimme zitterte, während er mich mit diesem Blick ansah, der mich innerlich zerstörte.

„Okay.“

Ich rutschte von ihm herunter und zog meine Beine an den Körper, während Bruno die Decke sorgfältig über mich legte und den Wärmebeutel an die richtigen Stellen schob.

„Ich würde jetzt gerne alleine sein.“, flüsterte ich ohne Kraft in der Stimme, beinahe schon tonlos. Bruno stand auf und machte eine Handbewegung, die ich Stirnrunzelnd betrachtete.

Und dann hörte ich die anderen Schritte im Zimmer.

Bitte Gott, mach dass es nicht wahr ist.

Ich drehte meinen Kopf zur Tür und sah, wie der Chauffeur gerade durch sie hindurch ging. Er drehte sich um und sah mich an. Dieser Blick…wie ich ihn doch hasste.

Am liebsten hätte ich mich nun von der Brücke geschmissen. Oder lieber vor einen Zug, denn dann ging es schneller.

Ich zog die Decke enger über mich und wandte den Kopf ab. Starr sah ich auf einen Punkt und blieb mehr als eine Stunde drin, bevor ich aufstand und mir meine Bettdecke schnappte und sie um mich herum legte. Mit meinem Handy in der Hand, kletterte ich aus dem Fenster und lief auf den – etwas morschen – Dachziegeln herum, bis zu der Stelle, die Bruno extra für mich eingedeckt hatte.

Damals war ein Riss im Dach und ich hatte dort oben immer meine Zeit verbracht. Bruno musste dank mir seine Höhenangst überwinden und mich jedes Mal dort hinunter holen. Meine Eltern hatten dann zur Sicherheit das Dach einschlagen und mir eine gerade Fläche erschaffen lassen. Der einst Betonklotz war nun eine andere Art eines offenen Baumhauses, aber im Prinzip dasselbe, wenn man davon absah, dass es nicht auf einem Baum stand, sondern inmitten von Dachziegeln drin.

Dieser Platz war vor allem in der Nacht besonders, wenn man einen Sternenhimmel hatte. Zwar kannte ich die Sternenbilder nicht, aber ich sah dafür immer, welcher Stern am stärksten leuchtete.

Ich machte es mir mit meiner Decke in der Kühle bequem und rückte den Schaukelstuhl zurecht, bevor ich langsam anfing mich nach vorne und wieder zurück zu wippen.

Ich schrieb an Tina, dass sie Susanna beim Anziehen des weißen Kleides helfen sollte und sie erst in die große Halle bringen sollte, wenn Bruno den Befehl gab.

Von hier aus betrachtete ich meine Mitarbeiter in der großen Halle durchs große, längliche Fenster. Sie ordneten gerade die Torten. Noch konnte ich die Geburtstagstorte nicht erkennen, aber sobald die anderen sahen, was darauf stand, würde sie den Aufwand verstehen. Wahrscheinlich würden sie ausflippen und mit mir das nächste Mal schimpfen, warum ich ihnen nicht solch eine tolle Geburtstagsfeier beschert hatte.

Ich nahm mir vor –in den nächsten Tagen zumindest- mir die Akten aller Mitarbeiter anzusehen und sie zu studieren. Es wurde Zeit zu wissen, wer überhaupt noch für mich arbeitete und wer die anderen Angestellten waren.

Ich sah die Wägen vor der großen Halle fahren, wo die Familie und Verwandten von Susanna ausstieg und ich sah lächelnd dabei zu, wie gleichzeitig die Torte ihren Platz in der Halle nahm. Die großen Augen, die alle machten, als sie auf die Torten sahen und auf die Familie Cheng, war wunderschön und eine Erinnerung an: Für immer.

Seltsamerweise machte mich der Gedanke gleichzeitig traurig. Ich hoffte, dass ich den nächsten Überfall aushielt. Ich hoffte, dass ich das nächste Mal die Schmerzen besser aushalten würde. Aber Hoffen war etwas, das einfach bei mir nicht eintrat.

Zu oft habe ich gehofft und gewünscht, aber bisher kam kein einziger in Erfüllung.

Vielleicht war mir das Glück im Leben aber einfach nur nicht vergönnt.

Um mich abzulenken, sah ich dabei zu, wie Bruno durch den Raum hetzte und die Menschenmenge zu einem Halbkreis formte. Ich ließ meinen Blick wandern und erkannte Jack in der Ecke.

Er starrte leer durch die Luft, geradewegs auf die Torte und dachte anscheinend nach. Aber der nachdenkliche Ausdruck wechselte in leichtes überraschen, als er sich umdrehte.

Susanna stand an der Tür zur Halle und sah überrumpelt in die Menge. Das Kleid stand ihr Ausgezeichnet und erst jetzt wurde mir klar, was für ein Glück Männer mit ihr hätten, wenn sie Zeit gehabt hätte, welche kennenzulernen.

Ich schweifte vom Augenblick ab.

Susanna umarmte ihre Familie und sah weinend von dem einen zum anderen. Erneut wanderte mein Blick zum Chauffeur. Er sah so aus, als hätte er einen guten Witz gehört und nahm nun lächeln Susanna in den Arm und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Verwirrt sah ich dabei zu, wie er ihr einen Kuss auf die Wangen gab und sie erneut in seine Arme fiel. Ohne es zu wollen, bereitete mir der Anblick der beiden ein Stechen ins Herz.

Mir wurde nie solch ein großes Glück erteilt. Immer wenn ich etwas anfing zu lieben, wendete es sich von mir ab oder starb. Nur Bruno und Ben waren noch die einzige, die bei mir geblieben waren und wie lange sie noch bleiben würden, wusste ich nicht mehr.

Tränen traten mir im Augenwinkel hervor und ich wischte sie schnell weg. So war das Leben nun einmal. Ein einziges Chaos.

Vorsichtig stand ich auf, warf einen letzten Blick auf die Feier und kletterte wieder zurück ins Zimmer, um eine lange Dusche zu nehmen.

 

 

Kapitel 7

 

Das lauwarme Wasser prasselte auf mein Gesicht, während ich gegen die Wand gelehnt einfach nur das Gefühl genoss. Mein inneres und äußeres fühlte sich nach langem Schrubben und waschen endlich wieder sauber an.

Meine Finger tasteten nach dem Wasserhahn und drehten ihn auf eiskalt. Für wenige Sekunden ließ ich das frostige Wasser über meine Haare und meinen Körper fahren, bevor ich den Wasserregen über mir zudrehte.

Ich pustete die angehaltene Luft aus und öffnete die Glastür der Duschkabine. Sobald ich mir meinen schwarzen Wollbademantel überzogen hatte, band ich meine Haare irgendwie nach oben zusammen und fuhr mir einige Strähnen aus dem Gesicht hinters Ohr.

Sobald ich mein Gesicht mit einem prüfenden Blick überzogen hatte, schloss ich die Badezimmertür auf und lief zu meinem Ankleidezimmer, wo ich schnell in frische Unterwäsche und einen schwarzen Nachtkleid schlüpfte.

Er sah dem anderen ähnlich, nur, dass der transparente schwarze Stoff bis zum Boden reichte und ein schwarzes Nachtkleid aus Seide hatte und dieses anders geformt war. Da waren der tiefe V-Schnitt und die Figur betonende Stellen. In allem ein Augenschmaus für jeden.

Ich öffnete die Haare und setzte mich auf mein Bett, wo ich sie langsam durchkämmte. Jemand klopfte. Stirnrunzelnd gab ich die Erlaubnis.

„Miss, möchten Sie etwas trinken?“, fragte Bruno sofort, sobald er im Zimmer erschienen war. Ich blickte aus dem Fenster.

„Ich würde lieber erst einen Spaziergang machen und dann einen warmen Kamillentee in der Küche trinken.“, bat ich ihn und er nickte.

„Kann ich Sie nach unten begleiten, Miss?“ Besorgt sah er mich an und ich nickte.

„Nichts lieber als das.“

Ich zog mir meinen Morgenmantel über. Meine Finger strichen über den weißen Stoff aus kuscheliger Wolle und genossen das Gefühl unter ihrer Haut.

Gemeinsam liefen wir die Treppenstufen hinunter und Bruno reichte mir die Schuhe, die ich mir schließlich überzog. Er öffnete mir die Haustür.

„Es geht mir gut. Wirklich.“

Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ging hinaus in die lauwarme Nachtluft. Meine – noch – nassen Haare wehten leicht im Wind und Gänsehaut überzog meinen Körper. Sofort zog ich mir meinen Morgenmantel enger um den Körper und lief die Ausfahrt hoch. Man konnte leise die Musik hören, welche aus der großen Halle kam und ab und zu hörte ich jemanden belustig aufkreischen. Zufrieden darüber, dass meine Angestellten ein schönes Fest hatten, lief ich immer weiter, bis ich schließlich beim Kirschblütenbaum ankam. Die weißen Blüten würden erst im Frühling schlüpfen. Nun sah man nur noch einen kahlen Baum. Ich ließ meine Hand daran entlang schweifen, während ich um den Baum herum weiter lief und das raue Etwas unter meinen Händen genoss.

Beinahe hätte ich meine Augen zugeschlossen, wenn mich da nicht eine Stimme aufgehalten hätte.

„Wie geht es Ihnen?“

Ich ließ meinen Blick über ihn schleifen und seufzte lautlos auf.

„Gut. Und Ihnen?“, fragte ich höflichkeitshalber nach und blieb wenige Meter vor ihm stehen, die Hände noch immer auf den Ästen. Er stand auf der Ausfahrt, ich gegen den Baum gestützt.

„Warum haben Sie mir heute Nachmittag nicht gesagt, dass Sie eine Überraschungsfeier geplant hatten?“

Es ärgerte ihn Nichtsahnend gewesen zu sein und ein kleines Lächeln erschien auf meinen Lippen.

„Wie Sie es schon sagen. Eine Überraschungsparty. Die Überraschung wäre doch wohl kaum gelungen, wenn ich jedem davon erzählt hätte.“

„Sie haben und alle an der Nase herum geführt, Miss.“

„Dann scheine ich ja gut in meinem Job zu sein.“, bemerkte ich trocken und sah erneut zur großen Halle.

„Warum sind Sie nicht auf der Feier?“, neugierig sah ich zu ihm, dabei legte ich den Kopf etwas schief.

„Weil Bruno mich darum geben hat, nach Ihnen zu sehen und ich ohnehin mit Ihnen reden wollte.“

Natürlich, wer denn sonst. Bruno machte sich zu viele Sorgen.

Moment! Hat er gerade gesagt, dass er etwas mit mir besprechen will?

Ich sah abwartend zu ihm.

„Es wäre besser, wenn wir ins Haus gehen würden, Miss. Ich möchte nicht, dass Sie krank werden.“

„Von Nassen Haaren kann man nicht krank werden. Es schwächt lediglich den Körper.“

„Und dies ist ein weitere Grund, warum ich Sie lieber ins Haus bringen sollte.“

Obwohl ich mich innerlich darüber ärgerte, ging ich mit und schweigend liefen wir nebeneinander zum Haus.

„Haben Sie schon Pläne für Morgen?“

Ich überging den morgigen Tag und schüttelte den Kopf.

„Nicht, dass ich wüsste. Wahrscheinlich wird aber meine Mutter zum Essen vorbeikommen.“

Dass meine Stimme sich kühl anhörte, ließ sich beim zweiten Satz nicht vermeiden und so musste ich einen fragenden Blick von meinem Chauffeur aushalten.

„Sehen Sie mich nicht so an. Das sind persönliche Gründe, die Sie nichts angehen.“

Erneut schwiegen wir und ich war froh, als das Haus schon beinahe vor uns lag. Jack ging vor und öffnete mir die Haustür. Ich bedankte mich bei ihm mit einem leichten nicken und trat ein. Im Flur zog ich mir die Schuhe aus und schob sie mit den Füßen ordentlich hin, dann erst lief ich mit Jack hinunter zur Küche.

Wir traten ein und ich sah, wie Bruno gerade eine Tasse Tee auf dem Tisch abstellte.

„Oh, Sie sind ja auch da, Jack. Möchten Sie eine Tasse Tee?“

„Ja, bitte.“

Während Bruno eine weitere Tasse Tee einschenkte, beobachtete ich meinen Chauffeur genau mit finsterem Blick. Mein Stuhl knarrte leicht, als ich mich auf ihn drauf setzte und sah forschend zu Jack, während ich aus meiner Tasse trank.

Zwar war der Tee heiß, aber man verbrannte sich wenigstens die Zunge nicht dabei. Sobald Jack seine Tasse erhalten hatte, entschuldigte sich Bruno und verschwand aus der Küche. Dieser Verräter. Er wusste genau, dass ich nicht mit ihm alleine sein wollte.

„Warum haben Sie mich angelogen?“

Damit unterbrach ich die Stille und Jack sah überrascht zu mir hinüber.

„Warum sind Sie zu mir gekommen, wenn Bruno Sie gar nicht dazu geben hatte mich aufzusuchen?“

Er lächelte ertappt.

„Sie haben mich erwischt, Miss. Aber ich habe wirklich etwas mit ihnen zu besprechen.“, winkte er ab und ich sah abwartend zu ihm. Er sah erst auf den Tisch, dann auf mich.

„Dürfte ich Sie fragen, was das vorhin war?“

In diesem Moment wurde mir eiskalt.

Genau das war eines der Gründe, warum ich wollte, dass er aus meinem Zimmer ging. Diese Sache ging ihn gar nichts an.

„Nein, dürfen Sie nicht. Und warum sind Sie überhaupt nicht gegangen, als ich es Ihnen befohlen habe?“, verärgert hob ich den Kopf und starrte in seine grünen Augen, als würde ich die Antwort darin finden.

„Nun ja, ich wollte gerade eingreifen, als Bruno Sie dazu gezwungen hatte die Tasse zu leeren und diese Tablette zu schlucken. Außerdem sieht man es nicht alle Tage, dass der Boss solche schlimmen Schmerzen erleidet.“, meinte er beiläufig und ich musste mich dazu zwingen nicht die Faust auf den Tisch zu knallen.

„Warum sind Sie ein Hacker?“, lenkte ich das Thema ab und sah interessiert zu ihm.

„Wie bitte?“

„In Ihrer Akte steht, dass Sie den Sicherheitszugang zum Polizeirevier geknackt und sich in den Computer der Polizei eingeschleust haben. Was wollten Sie denn so unbedingt vernichten oder hinein setzten, dass Sie solch ein großes Risiko auf sich genommen haben?“

Nun war es an seiner Reihe mich mit forschendem Blick zu betrachten.

„Stalkern Sie mich?“

Ernst sag er in die Runde und ich biss mir nachdenklich auf die Unterlippe.

„Sollte ich?“, konterte ich zurück.

„Empfehlen würde ich es nicht.“

„Dann ist es wohl zu spät. Und überhaupt, Stalkern würde ich es nicht nennen, wenn ich mir Ihre Akte angesehen habe. Eine Sache jedoch stört mich dabei.“, gab ich zu.

„Und die wäre.“, verwirrt sah er mich an.

„Warum arbeiten Sie gerade für mich, wenn Sie mit den besten Leuten arbeiten könnten? Warum gerade hier? Was hat Sie hier her geführt?“

Kühl blickte ich ihn an und ließ mir keine einzige Reaktion entgehen, während ich aus der Tasse trank.

Er sah mich ernst an.

„Private Angelegenheiten.“, gab er zu, doch ich spürte, dass es nicht die ganze Wahrheit war. Kopfschüttelnd sah ich auf das Porzellanmuster meiner Tasse. Blumen, Pflanzen und Vögel waren darauf abgebildet worden.

„Würden Sie mir den Gefallen tun und Susanna mit ihrer Familie dorthin fahren, wohin sie auch immer hin möchten?“

„Gerne. Da fällt mir gerade etwas ein. Warum haben Sie denn solch eine große Party für Suse veranstaltet?“

„Weil ich es ihr einfach Schuldig war. Tina hat einen großen Fehler begangen, den ich wieder gerade biegen musste und somit hat sich all dies ergeben. Ende der Geschichte.“ Damit stand ich auf und legte meine Tasse in den Waschbecken.

„Haben Sie mir noch etwas zu sagen?“

„Sie sollten sich vielleicht die Haare föhnen.“

Böse starrte ich ihn an.

„Vielen Dank auch. Gute Nacht.“, gab ich sarkastisch zurück und lief genervt aus der Küche, in mein Zimmer.

Dort angekommen, schmiss ich mich zuerst auf das Bett, dann stand ich auf und blickte in den Spiegel. Meine Haare waren noch nass und mussten wirklich geföhnt werden, wenn ich morgen nicht kaputt im Bett liegen wollte.

Seufzend kramte ich den Föhn aus der Badezimmerschublade heraus und schaltete ihn ein. Nebenbei kämmte ich mir die Haare und genoss die Wärme. Ich schlug die Bettdecke zurück und zog meinen Morgenmantel aus, welchen ich dann auf den Schaukelstuhl schmiss. Müde und erschöpft fiel ich in einen Traumlosen Schlaf.

Kapitel 8

 

 

 

Der Morgenstrahl fiel schon seit einigen Minuten ins Zimmer und das Gezwitscher der Vögel am frühen Morgen war nicht zu überhören. Vor allem, wenn man vergessen hatte das Fenster zu schließen. Und nun lag ich seit – Blick auf den Wecker – einer Dreiviertelstunde im Bett und langweilte mich zu Tode. Am liebsten würde ich aufstehen und schön frühstücken, aber um halb sechs Uhr morgens war keiner außer Bruno schon wach.

Seufzend rollte ich mich auf dem Bett herum, suchte eine Position zum Weiterschlafen, aber zehn Minuten später wurde mir klar, dass ich einfach schon ausgeschlafen war, als dass noch etwas daraus werden würde.

Da ich zu faul war aufzustehen, schmiss ich mich einfach vom Bett hinunter und lag mit schmerzendem Hintern auf dem Kühlen Parkettboden. Nun bereute ich es doch nicht aufgestanden zu sein. 

Gekrümmt stand ich auf und lief ins Badezimmer, wo ich mir erst einmal gründlich die Zähne putzte, schnell die Morgentoilette erledigte und dann zu guter Letzt mir das Gesicht wusch und mir dann die Haare seitlich flocht.

Kurz sah ich zum Morgenmantel, aber der schien mir zu weit entfernt und vor allem zu warm für das Sommerliche Wetter.

Und so machte ich mich noch im Nachtkleid auf den Weg nach unten in die Küche.

Bestimmt schlafen alle noch, da ist es nicht schlimm, wenn Bruno mich so sieht.

Gestern Abend hatte ich Bruno noch eine Nachricht hinterlassen, dass er keinen aufwecken sollte und jeder aufstehen konnte, wann er wolle. Meine Angestellten brauchten auch mal den Ausgeschlafenen Sonntag. Bruno zu sagen, dass er ausschlafen solle, war so, als würde man mit einem Stein reden und nur darauf wartet, dass dieser endlich einem antwortete.

„Morgen, Bruno.“, begrüßte ich ihn, während er sich von der Pfanne abwendete. In der Küche war  es zwar nicht so geräumig wie sonst auch, aber es war nett anzusehen.

„Morgen, Miss.“, murmelte er, während er gerade eine kleine Teigmengen in die Pfanne gab und sie mit einem komischen Stab – welches wie ein T aussah – in der Pfanne kreisförmig verteilte.

„Darf ich fragen, was das werden soll?“

„Eine Überraschung, Miss.“

Verblüfft sah ich ihn an. So kannte ich Bruno ja gar nicht.

„Gibt es auch einen Namen für diese Person, die Überrascht werden soll?“

Lächelnd beobachtete ich seine Arbeit, während ich zum Schrank lief und mir, sowie Bruno eine Tasse hinausstellte.

„Kaffee oder Tee?“

„Tee, bitte. Nun ja, Miss, wenn es doch eine Überraschung ist, dann sollte man doch besser den Namen nicht verraten, nicht wahr?.“, lehnte er ab und ich sah mit erhobener Augenbraue ihn an.

„Jetzt haben Sie mich neugierig gemacht, Bruno. Ich werde Sie so lange beobachten, bis ich herausgefunden habe, wem diese…was auch immer…gehört!“, drohte ich ihm grinsend und gab etwas Wasser in den Teekessel hinein, bevor ich ihn auf den Herd stellte.

„Dies sind französische Crêpes, Miss. Eine Spezialität, vor allem, wenn man sie mit Zucker und Zimt oder Nutella überzieht.“

„Und wie soll das gehen?“ Neugierig sah ich dabei zu und er machte es mir vor.

Er wendete den Teig und gab Zucker und Zimt drüber, während die andere – noch flüssige – Seite vor sich hin briet. Er klappte den Crêpes in eine Hälfte, drückte mit einer Silberklinge – die Aussah wie eine Kuchengabel – auf den Teig jeweils Seitlich und klappte sie zusammen. Er nahm ihn hoch und gab ihn auf einen Teller.

„Voila, cette une Crêpe.“

„Wenn jetzt heraus kommt, dass Sie französische Wurzeln haben, dann wundern Sie sich nicht, wenn ich jeden Morgen um diese Uhrzeit aufstehe und mir etwas von Ihnen beibringen lassen werde.“

Schmunzelnd beobachtete ich ihn dabei, wie er erneut etwas von dem Teig hinein gab und das Spiel sich erneut von vorne Wiederholte.

„Ich habe lediglich vor drei Jahrzehnten in einer französischen Küche in Frankreich gearbeitet, Miss.“

Erstaunt goss ich Wasser in beide Tassen und gab jeweils einen Beutel Kamille hinein.

„Das wusste ich ja gar nicht. Und? Ist Frankreich so schön, wie man es sich erzählt?“

„Nicht alles ist so schön, wie man es auf Fotos sieht, Miss. Es gibt einige Armenvierteln, einige normale und einige mit reichen Menschen. Ich würde Frankreich als ein Land bezeichnen, dass trotz seiner Schönheit dennoch einige Kanten und Macken hat, Miss.“

Ich hatte Bruno noch nie so viel über ein Land sagen hören. Er musste wirklich einige schöne Jahre dort verbracht haben.

„Sie müssen Frankreich ja wirklich lieben.“, neckte ich ihn schmunzelnd und endlich sah Bruno zu mir.

„Nicht so sehr wie diesen Morgen, Miss.“, meinte er liebevoll und schnappte sich seine Teetasse, während ich ihn mit einem strahlenden Lächeln betrachtete.

Lächelnd lief ich an ihm vorbei und schaltete den Fernseher ein. Gerade lief die Serie Tom & Jerry und gespannt verfolgte ich das Spiel zwischen Katze und Maus.

„Für diese Serie wird man wirklich nie zu alt.“, bemerkte ich und sah zu Bruno. Er nickte, während er erneut einen neuen Teiglöffel in die Pfanne gab. Immer wieder fragte ich mich, für wen dieser Teller wohl bestimmt war. Ich wurde mit jeder Minute neugieriger und hielt es beinahe nicht mehr aus, bis Bruno die leere Schüssel in den Waschbecken legte und die Pfanne auskühlen ließ. Meine Wachsamen Augen beobachteten ihn so lange, bis er das Tablett fertig gestellt hatte.

Er nahm das Tablett zu sich und lief damit zu mir. Stirnrunzelnd sah ich auf den Tisch.

Hat er etwas vergessen?

Als Bruno plötzlich das Tablett vor mich hinstellte, sah ich ihn verwundert an.

„Was…?“, fing ich an, als Bruno mich unterbrach, während ich ratlos auf das Tablett starrte.

„Das ist für Sie, Miss. Eigentlich hatte ich vor es ihnen ins Zimmer vorbei zu bringen, aber wenn Sie schon einmal hier sind…Bitte. Greifen Sie zu.“

Überrumpelt sah ich zu ihm auf.

„Für mich?“, fragte ich leise noch einmal nach und sah auf den Haufen Crêpes.

„Ja, für Sie. Ich wollte mich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie gestern so tapfer die Schmerzen ausgehalten haben. Ich bin ziemlich froh darüber, dass es Ihnen nun so gut geht.“

„Ich bin nicht tapfer, Bruno.“

Die Tränen traten mir in die Augen und ich wischte sie weg, senkte den Blick.

„Miss, sehen Sie mich bitte an.“

Die Art, wie er mich ansprach, machte mich sprachlos und ließ die Tränen fließen. Langsam hob ich den Kopf und Bruno hielt mit seinen Händen mein Gesicht.

„Viele an Ihrer Stelle hätten schon aufgegeben. Sehr viele. Und obwohl Sie jedesmal solche Schmerzen aushalten, machen Sie mit dem Leben noch immer weiter. Wenn dies nicht Tapferkeit ist, dann sind Sie eben eine Kämpferin. Verstehen Sie doch endlich, dass Sie wirklich besonders sind, kleine Elisabeth.“

Sein Liebevolles Lächeln gab mir den Rest und ich umschlang meine Arme weinend um ihn und zum ersten Mal in meinem ganzen Leben umarmte ich Bruno.

„Ich habe dich lieb, Bruno. Danke für alles.“, flüsterte ich an seiner Schulter und Bruno drückte mich fester an sich.

„Ich Sie auch, kleine Elisabeth.“

Schließlich löste er sich von mir und ich wischte mir die Tränen von den Augen.

„Du mit Zwanzig, dann würde ich ganz sicher mit dir Durchbrennen. Selbst nach Frankreich.“, witzelte ich lächelnd, um diesen berührenden Moment  zu vertreiben. Ich hatte schon genug Tränen vergossen und ich wollte den Tag nicht damit verbringen, nur herumzuweinen und über alte Zeiten zu schwelgen.

 „Das schaffe ich nicht allein und so wie ich dich kenne, hast du selbst noch nicht gefrühstückt."

Ich stand schnell auf und holte aus dem Schrank einen weiteren Teller und Besteck für Bruno. Sobald es auf dem Tisch mit einigen Crêpes oben drauf lag, fingen wir an zu essen und unterhielten uns dabei gemütlich, während wir nebenbei fern sahen.

Irgendwann war ich zu satt und der Teller leer, das Gesprächsstoff zu Ende.

„Ich gehe draußen ein wenig zeichnen. Sollte meine Mutter da sein, dann wäre es freundlich von dir mir nicht Bescheid zu sagen.“

„Natürlich. Einen schönen Spaziergang.“

Mein Blick fiel auf die Küchenuhr.

„Um halbsieben ist es doch immer am schönsten, Bruno.“

Damit stand ich auf und lief in mein Zimmer, wo ich mich schnell umzog. Die himmelblaue Jeans in ausgewaschener Optik von Rich & Royal passte sich hervorragend an meinem Hintern und langen Beinen an, die weiße Baumwollbluse von Van Lack war in meine Jeans hinein gestopft und obendrüber hatte ich einen Cremefarbenden Pullunder aus Baumwolle-Kaschmir-Mix angezogen, wessen Ärmel ich bis kurz vor den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. Passend dazu auch die Sandalen mit blauen und hellblauen geknotetem Lederriemchen.

Nun fehlte noch etwas Schmuck.

Ich schnappte mir kleine Perlenohrringe, die ich letztes Weihnachten von meinem Vater bekommen hatte. Dazu passend noch das versilberte Gliederarmband von Luis Vuitton und fertig angezogen war ich nun. Meine Haare band ich zu einem hohen Zopf zusammen, sodass die leichten Ringellöckchen an den Spitzen zu sehen waren.

Ich hatte schon immer meine Ringellöckchen geliebt. Normalerweise sah man sie noch bei Kindern, aber bei Jugendlich in meinem Alter, eher selten.

Ich schmierte etwas Creme in mein Gesicht und fühlte mich nach den Zähneputzen schon viel frischer. Nun fühlte ich mich bereit für den sommerlichen Sonntag.

Mit meinem Zeichenblock und dem kleinen Mäppchen, sowie einigen Keksen – die mir Bruno zugesteckt hatte – machte ich mich aus dem Haus und atmete zuerst die frische Morgenluft ein. Mit einem Mal war ich froh so früh aufgestanden zu sein, denn die Brise Wind – die mich empfang – war mehr als nur erfrischend. Ich tat einige Schritte, der Kiesboden unter mir Knirschte, während ich dem fröhlichen Laut der Vögel zuhörte.

Meine guten Augen entdeckten inmitten dieses Kiesbodens eine einzige Blume, die sich gegen die Natur gewehrt hatte.

Es war eine wunderschöne Blume.

Sie war rosa und weißmilchig zugleich. Es sah beinahe so aus, als wären die Blüten Herzen förmig. Neugierig trat ich ein wenig weiter vor und betrachtete sie eingehend.

Sie hatte nur noch ein einziges grünes Blatt an ihrem Stil und dieser war Mittellang und viel wie eine leichte, sanfte Welle auf den Boden.

Sofort setzte ich mich im Schneidersitz auf den Boden und holte aus meinem Mäppchen einige Grafit-, Kohle- und Zeichenstifte, sowie noch andere, die ich vielleicht gebrauchen könnte.

Während ich die Blume abzeichnete, landete ein ziemlich kleiner Vogel seitlich, neben der Blüte. Überrascht sah ich ihr dabei zu, wie sie sich direkt neben der Blüte positionierte und still daneben stand. Obwohl ich mehr als nur verwundert war, blätterte ich die Seite um und begann von erneut zu zeichnen, nur diesmal mit dem Vogel, welcher neben der Blüte geradezu voller Farben trotzte und dennoch so unscheinbar war.

Einfach etwas Wundervolles.

Desöfteren musste ich die Flügel des Vogels verwischen, damit es ein wenig echter, glaubwürdiger hinüber kam. Schon bald darauf war das Bild fertig und nur noch die Farben fehlten. Ich schnappte mir einige Farben aus dem Mäppchen und begann vor allem mit gelb, grün, blau und ein wenig rot zu arbeiten.

Je konzentrierter ich arbeitete, desto besser wurde das Bild.

Erneut sah ich zum Vogel, welcher den Kopf etwas seitlich legte. Mir fiel dabei auf, dass der Hals dabei glänzte. Sofort fing ich erneut an das Bild zu verschmieren und einen glänzenden Hals hinzubekommen.

Erleichtert atmete ich aus, als ich fertig war und sah zufrieden auf meinem Meisterwerk. Später würde ich noch ordentlicher den Kies dazu fügen und die kleinen Grashalmen, welche ebenfalls mutig durch den Boden ragten.

Mit angezogenen Augenbrauen drehte ich dem Vogel das Bild zu und sah dabei zu, wie er näher an das Bild trat. Während ich ihn beobachtete, hoben sich meine Mundwinkel nach oben. Vor allem, weil seine Laufweise einen zum Schmunzeln brachte. Bewegte er einen Fuß, beugte sich der ganze Körper nach vorne und der Kopf zuckte leicht.

Als der kleine Vogel gegen das Zeichenblatt drückte, konnte ich mir ein leises Lachen nicht verkneifen.

Langsam holte ich die Packung Kekse aus meiner vorderen Hosentasche und zerbröckelte etwas davor vor seine Füße. Sofort fing er an einige weg zu picken und aufzuessen.

Doch als aus der Garage einige Geräusche kamen, flog er weg und ich sah auf. Anscheinend war jemand in der Garage und hatte den süßen Vogel vertrieben.

Fragte sich nur noch wer und was so dringend waren, dass es um sieben Uhr morgens sein musste. Neugierig wie ich immer war, schnappte ich mir meine Sachen und umschlang meine Arme um den Block und das Mäppchen. Durch das Garagenfenster konnte ich zwar nicht erkennen wer es war, aber sobald ich den Raum betrat, wusste ich schon, wer der Störenfried war.

Mein Chauffeur bemerkte noch nicht einmal, dass ich überhaupt im Raum war und so machte ich es mir auf einem Stuhl bequem und fing an das Auto abzuzeichnen, welches zurzeit in der Garage war. Ich wusste nur, dass es ein schwarzer Oldtimer war, aber die Marke und der Name sagten mir nichts. Meine Eltern waren Sammler, was es an Autos anging, aber bisher hatte ich selber noch gar kein Interesse daran gefunden. Jack hatte den Rücken zu mir zugewandt und arbeitete gerade an dem Motor des Wagens und obwohl ich davon keine Ahnung hatte, sah es ziemlich interessant aus.

Es gab nur eine Sache, die man machen konnte, wenn das Modell einem den Rücken zugewandt hatte und man zufälligerweise einen Block und ein Bleistift dabei hatte.

Genau. Man konnte schön weiter zeichnen.

Und genau das tat ich. Lange und ohne bemerkt zu werden. Jack drehte sich erst um, als ich schon mit dem Bild fertig war und ihn weiterhin aufmerksam bei der Arbeit beobachtete.

Er schüttelte den Kopf, nachdem er einige Sekunden lang mich erschrocken ansah und nahm etwas heraus, was aussah wie ein Filter.

„Guten Morgen, Miss. Wie lange sind Sie denn schon hier?“, fragte er, während er erneut am Autoinneren herumbastelte.

„So lange, wie Sie schon angefangen haben. Sie haben mich bei einem Rendezvous gestört und da dachte ich mir, dass ich mal bei Ihnen vorbeischauen könnte, wenn Sie doch so viel Spaß bei der Arbeit haben.“, verließ es trocken aus meinem Mund.

„Sie meinen den Vogel?“

Ich biss mir auf die Unterlippe, um ja nicht erwischt zu lächeln. Weiterhin beobachtete ich ihn bei seiner Arbeit und sah stirnrunzelnd immer wieder dabei zu, wie er seine Öligen Finger an seinem weißen T-Shirt schmierte.

„Gehen die Flecken überhaupt wieder weg?“ Verwirrt sah ich auf sein Shirt und legte den Kopf etwas schief.

„Nicht wirklich, Miss. Aber dies ist ohnehin ein altes Oberteil.“, winkte er ab, doch ich ignorierte es einfach.

„Haben Sie denn keine Arbeitskleidung für die Werkstadt?“

Er drehte sich zu mir mit dem Schraubenschlüssel um und sah mich an.

„Nein, Miss. Habe ich nicht.“

„Gab es schon vorher welche?“

„Nein Miss. Nicht soweit ich von Suse weiß.“

Ich sah ihn einen Moment lang forsch an, dann nickte ich und gab ihm eine Handbewegung, damit er seine Arbeit fortsetzen konnte. Er seufzte.

„Nerve ich Sie vielleicht? Soll ich etwa gehen?“, meinte ich kühl lächelnd, während er sich erneut zu mir umdrehte. Er lächelte.

Warum um Himmels Willen lächelt er?

„Mit solch einer netten Gesellschaft kann es einem einfach nie langweilig werden, Miss.“

Die Ironie seiner Stimme war kaum zu überhören. Ich stand auf und schnappte meine Sachen.

„Nun denn. Dann möchte ich Sie weiterhin nicht bei Ihrer Arbeit stören, mein Herr.“

Mit einer kleinen Verbeugung verabschiedete ich mich von ihm und lief aus der Garage. Seltsamerweise gefiel es mir nicht, dass er meine Nähe nicht mochte.

Aber auch nur, weil er nicht gut von dir redet. Du willst doch immer nur, dass jeder dich mag, Emma.

Meine innere Stimme hatte wahrscheinlich wie immer recht. Ich wollte doch nur jeden und alles beeindrucken. Niemand sollte mich je wieder vergessen und so in Erinnerung haben, wie ich nun einmal war.

Eine Frau des 21. Jahrhunderts.

Ich lief zum Hinterausgang des Hauses und lief dabei an der Küche vorbei. Mitten im Lauf blieb ich stehen und machte einige Schritte Rückwärts und trat in die Küche ein.

„Tina. Besorgen Sie doch bitte einige Arbeitsklamotten für die Garage. Es wäre toll, wenn man nicht die eigenen Sachen voller Ölflecke hinterlässt.“, wies ich ihr zu und lief weiter in mein Zimmer, ohne auf ihre Antwort zu achten.

Gerade als ich die Treppen hoch laufen wollte, hörte ich ein Lachen. Kühl drehte ich mich zur Tür um und sah dabei zu, wie meine Erzeugerin die Tür öffnete.

„Ah, mein Spätzchen. Wie geht es dir?“

Ihre fröhliche Stimme ging an mir vorbei und ich sah sie finster an.

„Mutter. Lange her, dass wir uns sehen. Da wird es dich wohl kaum interessieren, wie es mir geht.“

„Wann verstehst du denn endlich, dass ich zu arbeiten habe?“

„Am Besten gar nicht. Guten Tag.“, damit lief ich die Treppenstufen hoch und verschloss mich hinter meiner Zimmertür.

Ich drehte die Musik von Metallica lautstark auf und machte mich dran bis zum späten Abend im Internet zu surfen.

Ich wusste nicht mehr, wie viel Zeit vergangen war, aber bald darauf summte mein Handy immer wieder und ich sah schließlich seufzend auf mein Display und starrte böse drauf, als ich erkannte, dass Ryan mir eine Mail hinterlassen hatte.

Ich legte mein Handy zur Seite und ignorierte ihn soweit, selbst als er mich im Internet anschrieb und immer wieder anrief.  Schließlich schaltete ich es aus und schob es in die hintere Hosentasche. Müde schloss ich einfach die Augen und lehnte mich ein wenig zurück, während ich mit dem Zeigefinger zu den Liedern im Takt tippte. Jemand hämmerte laut an meiner Zimmertür.

Genervt schlug ich meine Augenlieder auf und lief wütend zur Tür, schloss sie auf und knallte sie gegen die Wand, als ich sie öffnete. Beinahe fiel sie aus den Angeln, als sie gefährlich wackelte, doch sie überlebte es.

Ryan stand an der Tür.

„Was?“, knurrte ich wütend. Doch anstatt mir zu antworten, umrundete er mich und schaltete meine Musik aus.

„Was fällt dir ein in mein Zimmer zu kommen, ohne meine Erlaubnis?“, fuhr ich ihn an.

„Ich werde hier so lange warten, bis du mir sagst, wieso du mir nicht auf meine Nachrichten und Anrufe antwortest.“

„Bitte, dann bleib doch so lange wie du willst.“, zischte ich und huschte aus dem Raum, rannte die Treppenstufen hinunter und blieb kurz unten stehen.

„Wer von euch Idioten hat Ryan ins Haus gelassen?“, fragte ich meine Mutter und Bruno, welche gerade im Wohnzimmer waren.

„Ich, mein Schatz. Was ist denn los?“

„Gott. Kannst du dich nicht einmal in meine Sachen einmischen?“, schrie ich sie an und eilte aus dem Haus, so schnell ich konnte. Hoffentlich kam Ryan mir nicht hinterher.

„Emma!“, hörte ich ihn rufen, doch er war noch im Haus. Ich rannte einfach los und blieb zwischen der Garage und der großen Halle stehen.

Schnell rannte ich in die Garage, da Ryan bestimmt denken würd, dass ich mich nicht schmutzig machen möchte. Und überhupt war ich shcließlich nie der größte Fan von kleinen Räumen und Autos gewesen.

Keuchend versteckte ich mich in einer Ecke unterm Fenster und versuchte wieder zu Atem zu kommen.

„Verfolgt Sie dieser Typ, Miss?“, fragend sah Jack mich besorgt an, den ich bisher noch nicht gesehen hatte. Ich fasste mir erschrocken ans Herz und fuhr erleichtert über meine Haare.

„Nein.“, gab ich kurz gefasst zur Antwort und sah so weit aus dem dreckigen Fester, wie ich es mir erlauben konnte, ohne erwischt zu werden. Ryan lief ratlos wieder zum Haus zurück und ich lehnte mich erschöpft gegen die kühle Wand zurück.

Als ich den Kopf hob, bemerkte ich erst jetzt, dass Jack vor mir Kniete und mich genauestens studierte.

„Warum sind Sie dann vor dem Typen abgehauen?“, neugierig sah er mich an und ich atmete die angehaltene Luft aus.

„Ist nur mein Freund.“, erklärte ich mit einem gezwungenen Lächeln und sah ungläubig dabei zu, wie Jack anfing zu lachen und mich belustigt sowie erstaunt ansah.

„Das nenne ich eine Beziehung.“, gab er lachend von sich und ich sah ihn finster an.

„Haha.“

„Tut mir leid, aber das ist das erste Mal, dass ich solch etwas sehe. Sie haben mir den Tag verbessert.“

„Oh, wirklich? Ich dachte, heute Morgen wäre ich die größte Nervensäge die es gibt.“

Kurz darauf herrschte Stelle.

„1:0 für Sie, Miss.“

„Eigentlich 3:0.“, bemerkte ich nebenbei und sah wieder aus dem Fenster. Das Motorrad von Ryan stand noch immer vor der Haustür.

„Nein, 1:0. Da bin ich mir ziemlich sicher.“, wiedersprach mir mein Chauffeur und gewann nun meine ganze Aufmerksamkeit.

„3:0. Ich habe Sie an der Nase mit der Überraschungsparty von gestern geführt und Sie dabei erwischt, wie Sie mich angelogen haben. Ich denke, Sie sollten demnächst ihr Gehirn ein wenig mehr anstrengen.“

„Warum sind Sie eigentlich vor ihrem Freund abgehauen?“

Warum konnte er das Thema nicht einfach vergessen?

„Weil ich keine Lust darauf habe, mich mit meinem Freund zu streiten im Gewissen darüber, dass er mich betrogen hat und ich zurzeit ziemlich wütend bin, weil meine Mutter das Haus betreten hat. Und jetzt hören Sie auf mich die ganze Zeit danach auszufragen!“, zischte ich aufgebracht und sah auf die Decke.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte er mich nach einer Weile und ich sah ihn mit einer erhobenen Augenbraue an.

„Mit Menschen um mich herum, die ich am meisten – im Moment – hasse, geht es mit bestens. Und Ihnen?“, fragte ich sarkastisch und er lächelte verschmilzt.

„Oh, ich fühle mich Zurzeit sehr geehrt.“

Nun war seine Ironie nicht zu überhören.

„Sie meine ich doch gar nicht. Aber wenn Sie so weiter machen, dann landen Sie bald ganz oben auf der Liste.“, drohte ich ihm.

„Freut mich zu hören, dass ich Ihnen doch etwas bedeute. Außerdem steht es 3:1, Miss.“

Fragend sah ich ihn mit schiefgelegtem Kopf an.

„Ein Rendezvous mit einem Vögelchen, Miss. Ich habe aufgepasst.“

Er hatte recht.

„Meinetwegen. Aber denken Sie ja nicht, dass Sie gewinnen werden.“

Wir sahen uns beide finster in die Augen.

„Um was wollen Sie wetten?“, fragte ich ihn und er grinste sofort.

„Wenn ich gewinne, müssen Sie eine Woche lang nett zu mir sein und vor allem Zeit mit mir verbringen.“

Diese Art von Wette hatte ich nicht erwartet. Eher um Dinge, wie Armbänder oder Geld.

„Und wenn ich gewinne…“, fing ich an und dachte nach.

„…dann müssen Sie…schwierig. Es muss etwas ziemlich fieses sein. Hätten Sie eine Idee?“, fragte ich meinen Chauffeur und dieser dachte tatsächlich nach.

„Eine Woche keine Süßigkeiten, nicht sprechen, ihnen etwas kaufen,…“, ratterte er eine Liste hinunter und ich hob abwehrend die Hand. Sofort verstummte er.

„Stopp. Lassen Sie mich lieber nachdenken.“

Es herrschte Stille, während ich nachdachte.

„Okay, den Wetteinsatz lege ich irgendwann mal später fest, wenn ich gewonnen habe. Mir fällt gerade keiner ein. Was meinen Sie, bis zu Fünf oder Zehn Siegen?“

„Zehn.“

Ich hielt ihm meine Hand hin.

„Die Wette gilt.“

Er schlug ein und mit einem Mal durchzog mich ein heftiges Kribbeln durch den Körper, direkt auf mein Magengehege. Einerseits fühlte es sich unwohl an und ich hatte leichte Bauchschmerzen und anderseits war es faszinierend, solch etwas durch eine einfache Berührung zu fühlen.

Aber fühlen war etwas, das ich am Besten nicht tun sollte und so zog ich schnell meine Hand zurück.

„Sie sollten sich die Hände waschen.“, meinte ich mit einem Blick auf seine dreckigen Hände. Schulterzuckend wischte er sie an seiner Hose ab.

„Machen Sie etwa schon den ganzen Tag lang am Auto rum?“

„Nein, Miss. Ich habe heute – wie befohlen – Suse und ihre Familie in der Stadt herumgefahren. Ich bin eben erst angekommen und habe gerade angefangen weiter zu machen, als Sie aufgetaucht sind.“

„Aha.“, gab ich nicht gerade klug von mir.

Von draußen hörte man den lauten Motor eines Motorrads. Ich sah nach draußen und konnte gerade noch rechtzeitig erkennen, dass Ryan wegfuhr.

„Da ist er weg, ihr Nazifreund.“, meinte er und ich sah seufzend zu ihm.

„Oder bald Ex-Freund. Meine Sie, dass es fies wäre, wenn ich durch eine SMS Schluss machen würde?“

„Nein. Aber ich verstehe nicht, warum Sie ihm nicht einfach eine Ohrfeige geben und ihn vor allen bloß stellen. Das wäre eine bessere Art des Schlussmachens.“

„Sie müssen ja Ahnung von Beziehungen haben.“, trocken sah ich ihn an und atmete durch.

„So bin ich nun einmal nicht und das ist auch nicht meine Art. Mir ist es lieber, wenn alles schnell und einfach geht. Weniger Probleme, weniger Konfrontationen.“, schob ich die Sache beiseite und holte mein Handy aus der Hosentasche und fing bald darauf an eine Mail zu schreiben und das Foto zu Posten, welches er mir versehentlich geschickt hatte. Oder jemand, der zufälligerweise an seinem Handy war.

„Aber so leben Sie das Leben doch nicht wirklich.“

Erneut bekam er gegen meinen Willen meine Aufmerksamkeit.

„Das ist mein Leben. Und wenn ich das Leben spüren will, dann mache ich etwas verrücktes, wie mich zu betrinken und auf eine Feier zu gehen. Aber ich möchte es nicht spüren. Am besten wäre es, wenn ich gar nichts fühle, solange ich am Leben bin. Weniger Gefühle heißt weniger Probleme und das heißt, dass ich einen freien Kopf habe.“

„Lieben Sie überhaupt jemanden?“

Seine Stimme klang beinahe enttäuscht, sodass es einige Sekunden dauerte, bis ich dazu fähig war. Aber andererseits brauchte ich auch so lange, da ich erst einmal über seine Frage nachdenken musste, ob ich es ihm anvertrauen könnte.

„Ich liebe Bruno, Ben und meinen Bruder.“, meinte ich ehrlich und verstand nicht ganz, warum er erneut den Kopf schüttelte.

„Nein, das meinte ich eigentlich nicht. Lieben Sie denn Ihren Freund?“

„Nein.“

Noch immer verwirrt schüttelte ich den Kopf.

„Sie waren nicht einmal Zufälligerweise Verliebt oder in einer Rosaroten Phase?“

Ich dachte kurz nach. Erneut schüttelte ich stirnrunzelnd den Kopf.

„Nein. War ich nicht.“

Während er mich nachdenklich betrachtete, fühlte ich mich nicht ganz wohl in meinem Körper. Es schien geradezu so, als würden meine Hände nach ihm greifen wollen, um sicher zu gehen, dass er Real war und ich hier tatsächlich nach einigen Jahren mit einem Menschen unterhielt, der sich nicht meiner Gesellschaftsschicht anpasste. Zur Sicherheit legte ich sie auf meinen Schoß und machte es mir ein wenig gemütlicher auf dem Boden.

„Neue Wette. Ich wette, dass ich es schaffen werde Sie das Leben spüren zu lassen und sich in jemanden zu verlieben.“

„Ach wirklich. Und wer sollte das denn sein?“, fragte ich ihn belustigt und ironisch zugleich.

„Etwa in Sie?“, schmunzelnd sah ich zu ihm und er nickte langsam.

„Warum denn nicht?“

Schockiert sah ich ihn an. Abrupt sprudelten mit empört die Worte aus dem Mund.

„Nein danke.“

Schnell erhob ich mich vom Boden und klopfte mir den Dreck vom Hintern weg. Mein Chauffeur stützte kurz seine Hände auf den Oberschenkeln ab und richtete sich auf.

„Zu Feige, Miss?“, provozierte er mich und ich sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.

„Na gut. Dafür möchte ich im Gegenzug, dass Sie sich nicht in mich verlieben.“

„Der Wetteinsatz?“

„Unsere Herzen. Der Verlierer wird eben über den Verlust hinweg sehen müssen, wenn der Andere etwas nicht von dem Einen möchte. Deal, mein Herr?“

Erneut steckte ich meine Hand aus und er schlug ein.

„Deal, Miss.“

„Nennen Sie mich doch Emma.“, bot ich ihm lächelnd an.

Und wie er sich in mich verlieben wird. Ich gewinne immer.

„Jack.“, stellte er sich vor und schien mich genauestens zu beobachten.

„Ich weiß.“, meinte ich zuckersüß und lief zum Wagen.

„Was tun Sie denn da genau?“

Ich deutete mit dem Zeigefinger auf den Motor,

„Lassen Sie das sein. Wir wissen beide ganz genau, dass es Sie gar nicht interessiert. Wie wäre es mit einem Abendspaziergang, Miss?“

„Sie scheinen mich ja ziemlich lange zu kennen. Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“

Mein Sarkasmus war nicht zu überhören.

„Sie sind meistens eigentlich leicht zu durchschauen, Miss.“

Sein geheimnisvolles Gesicht ließ mich etwas unwohl fühlen. Ich mochte es nicht, wenn man mich durchschaute.

„Ein Spaziergang hört sich hervorragend an.“, lenkte ich schnell das Thema ab.

Gemeinsam liefen wir nebeneinander die Auffahrt hoch. Innerlich verfluchte ich mich dafür, dass ich mich provozieren haben ließ und Äußerlich tat ich so, als würde ich die Umgebung bewundern. Irgendwie schaffte es schließlich mein Auge unbewusst auf Jack zu landen und ihn genauer in Visier zu nehmen.

Schwarzes, gewelltes und gelocktes Haar, Moosgrüne Augen, leicht hervorgehobene Wangenknochen, ein markantes Kinn, zu weit abstehende Ohren – aber nur leicht, sodass es kaum auffiel –, dichte Wimpern, schöne rote Lippen, die gleichzeitig blass wirkten, einen hellen Teint. Immer mehr kleine Merkmale fielen mir auf, wie ein kleines Muttermal an seinem Hals und aufm Nacken, kaum sichtliche Sommersprossen, die aber so klein und unscheinbar waren, dass ich es erst einige Blicke später realisierte. Und erst jetzt fiel mir auf, dass er auf der Wange eine schwarze Spur Öl hinterlassen hatte.

„Sobald wir fertig mit diesem Spaziergang sein sollten, würde ich Ihnen raten, dass Sie sich erst einmal das Gesicht waschen sollten.“

Männer, eben. Die lieben wirklich alles, was schmutzig ist.

„Ich hätte da noch einige schmutzige Finger, die gerne eine Bekanntschaft mit Ihrem sauberen Gesicht machen würden.“

Er hob die Finger und sofort sprang ich zur Seite.

„Das würden Sie nicht wirklich tun.“

Entsetzt starrte ich auf seine Finger, die immer näher kamen. Obwohl ich immer weiter Rückwärts lief, kam er immer schneller mit seinen Fingern auf mich zu, bis er es tatsächlich schaffte meine Stirn mit Motoröl zu beschmieren.

Böse blickte ich ihn an, während er mich mit einem triumphierten Lächeln betrachtete. Obwohl ich liebend gerne mit der Hand die Sauerei wegwischen wollte, riskierte ich es lieber nicht mit Ölverschmierten Händen durch die Gegend zu wandern.

„Sieht doch eigentlich gut aus, Miss. Das Schwarz passt hervorragend zu Ihren Haaren.“

„Das werden Sie mir büßen, Jack.“, zischte ich gefährlich und lief zum Haus. Jack lief neben mir, als wäre nichts geschehen und beobachtete mich belustigt.

„Geht das überhaupt mit Wasser und Seife weg?“, wandte ich mich besorgt an meinen Chauffeur und spürte leichte Panik in mir aufsteigen. Mit diesem Fleck im Gesicht war es unmöglich für mich in die Öffentlichkeit zu treten. Die Leute würden darüber reden, sich lustig über mich machen.

„Natürlich, Miss. Ansonsten würde ich niemals so sauber vor Ihrer Matte stehen.“, beruhigte er mich glücklicherweise.

„Sollte herauskommen, dass Sie gelogen haben, dann werden Sie es wirklich bitter bereuen.“

„Ich freue mich schon, Miss.“, meinte er herausfordern und ich lief durch die Haustür.

„Kindchen. Wie siehst du denn aus?“, fragte meine Mutter überrascht.

„So wie man nach einem Wettkampf mit seinem Chauffeur aussieht. Irgendwelche weiteren Beschwerden über mein Aussehen, oder dürfte ich mir endlich das Gesicht auswaschen?“

Sie schluckte und schüttelte den Kopf, bevor sie einen Schluck von ihrem Rotwein nahm.

Mit einem letzten Blick auf Jack, lief ich die Treppenstufen hoch und knallte meine Tür gegen die Wand. Zuerst besuchte ich eiligst das Badezimmer und machte mich mit einem Schwamm dran das Öl mit Seife und Wasser von meiner Stirn wegzubekommen. Sobald ich nach gründlichem Reinigen in mein Spiegelbild sah, bemerkte ich, dass dank der ganzen Aufregung meine Wangen leicht rosa wirkten. Sie waren sogar beinahe rot.

Überrascht trat ich einen Schritt vom Spiegel und fand mit einem Mal, dass es ziemlich hübsch an mir aussah, auch wenn ich es ziemlich ungewohnt fand.

Schnell ging ich meinen Körper abduschen, zog mich an und legte mich ins Bett.

Noch immer fragte ich mich, ob es eine dumme Idee war, bei dieser Wette mit einzuschlagen, aber ich kam nicht umhin Vorfreude auf den nächsten Tag zu haben.

Langsam bekam ich Spaß an dieser ganzen Sache.

 

 

 

Kapitel 9

 

Als mein Radiowecker mich am Morgen mit Aerosmith und ihrem Lied Crazy aufweckte, schlug ich gespannt die Augen auf. Durch die geschlossenen Vorhänge drängte kein Sonnenlicht ins Zimmer. Müde rollte ich mich auf die andere Seite des Bettes und blieb weiterhin liegen.

Müde schloss ich meine Augen und öffnete sie eine Minute später.

Kaputt – wie ich war – setzte ich mich auf meinem Bett auf und sah auf mein Handydisplay. Keine Nachrichten. Meine Augen wanderten ein wenig höher.

Mit einem überraschten Schrei, sprang ich aus dem Bett und raste ins Badezimmer, wo ich mich schnell abduschte, mir die Zähne putzte, die Morgentoilette erledigte und mir das Gesicht und die Hände gründlich abwusch. Im Ankleidezimmer angekommen, nahm ich mir schnell die schwarze Spitzenunterwäsche heraus und nahm wahllos einen hellen, hautfarbenden, knielangen Lederrock. Darüber zog ich mir schnell einen roten Kaschmirpulli an und stopfte es in den Rock, sodass das Oberteil an meinem Oberkörper wie eine zweite Haut wirkte. Um den Hals drum herum einen goldenen Strasscollier von Gabriele Frantzen, über die Nase eine creme- und helllilafarbende Brille mit einem 70-er Look, sowie die „Tank Solo“ Armbanduhr von Cartier.

Schnell lief ich zu meinem Schuhschrank und suchte schnell ein passendes Paar Pumps.  Da blieben mir nur die weiß-hellbraunen, welche einen Absatz mit Metallic-Optik hatten. Jetzt fehlte nur noch eine Handtasche.

Die Henkeltasche aus mintfarbendem Leder war das einzige was zu meinem heutigen Look passen würde nach langem überlegen – das würde ich am liebsten vermeiden, wenn ich zu spät zur Schule kam. So schnell ich durchs Zimmer raste und meine Schulsachen in die Handtasche beförderte, mir meinen Laptop mit einer Roségefärbten Hülle schnappte und sie in die andere Hand nahm. Eiligst erklomm ich die Treppenstufen und kam bald darauf mit rasender Geschwindigkeit in der Küche an.

„Sie sind spät, Miss.“, meinte Jack amüsiert, als ich gehetzt die Küche betrat und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Wenn Sie doch so viel Zeit haben, Jack, dann könnten Sie ja auch schon einmal den Wagen starten.“, knurrte ich böse und schnappte mir schnell mein Schulbrot. Normalerweise brachte mir Bruno alles ins Esszimmer, wo ich normalerweise frühstückte, aber heute würde daraus nichts werden.

Gerade war ich dabei aus der Küche zu eilen, als Bruno mich zurück rief.

„Miss?“

„Ja , Bruno?“

„Sie haben noch nichts gegessen.“, warf er mir vorwurfsvoll zu und ich stöhnte auf.

„Sie sollten wirklich etwas essen.“,  pflichtete Jack bei, doch ich ignorierte ihn für Erste.

„Kann ich es denn nicht im Auto tun? Bitte, Bruno. Ich habe in der ersten Stunde den Schulleiter und da wird es wohl kaum zu empfehlen sein, wenn ich noch später als ohnehin dort ankomme.“

So schnell, wie die Wörter aus meinem Mund prasselten, umso schneller atmete ich danach. Ein Blick auf Brunos Gesicht, ließ mich mürrisch zum Tisch laufen, mich nach einem Sandwich greifen und einmal hineinbeißen. Kauend sah ich Bruno und Jack finster an, die sich anscheinend beide gegen mich verschworen hatten.

Sobald ich das Brot stehend aufgegessen hatte, gab ich Jack ein Zeichen, dass er nun endlich kommen sollte. Zum Glück folgte er mir und so machten wir uns auf den Weg zum Wagen. Diesmal nahm ich am Beifahrersitz Platz und schaltete die Musikanlage an.

Ein mir unbekanntes Lied schwirrte im Wagen herum und verbesserte mir Schlagartig die Stimmung. Ich bückte mich zu meiner Tasche nach vorne und nahm die Wasserflasche hinaus und trank einige Schlucke davon, bevor ich sie wieder zurück an ihrem Platz verschwinden ließ. Leise summte ich zum Lied mit und fand, dass die Melodie einfach, aber gut war.

„Das Lied heißt Best I Ever Had, Miss. Es ist von der Band State of Shock.“

Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und ließ kurz den Blick über ihn schweifen, bevor ich wieder nach vorne sah.

„Gut zu wissen. Aber es wirklich ein sehr nettes und angenehmes Lied.“

„Und vor allem geht es um die Liebe, Miss.“

Schelmisch grinste er mich an und am liebsten hätte ich ihm eine Torte ins Gesicht geklatscht, nur damit er für die nächsten zwanzig Minuten unsere Wetten vergessen sollte.

„Wann fangen Sie eigentlich an mir das Leben zu zeigen?“, neugierig sah ich ihn an.

„Angefangen habe ich schon gestern.“

„Wann denn bitte schön…oh, die Auktion mit dem Motoröl. Nicht schlecht. Aber was sollte es mir denn bitte spüren lassen?“

„Dass Sie ein Mädchen sind.“

Abrupt wandte ich mich zu ihm um.

„Was sollte dass denn Bitte heißen?“

„Sie sind kein Mann, Miss. Kein Grund zur Sorge.“, schob er das Thema beiseite und abwartend sah ich ihn an, dabei konnte ich es nicht verhindern, dass meine Augenbrauen nach oben wanderten.

„Sie sind viel zu streng und zu ernst. Sie hatten gestern Spaß an der Sache genauso wie ich. Ansonsten hätten Sie niemals bei den Wetten eingeschlagen.“

Kurz machte er eine Pause, um durchzuatmen.

„Aber gestern haben Sie mir nicht wirklich Befohlen, mit meinen Öligen Händen auf Sie zuzugehen. Sie haben für einen Moment vergessen, dass Sie mein Boss sind, Miss. Und ich möchte, dass Sie das für längere Zeit vergessen.“

„Oh, verstehe.“

Tatsächlich verstand ich es und musste zugeben, dass ich noch nicht einmal daran gedacht hatte.

„Warum möchten Sie mir eigentlich das Leben zeigen? Es mich spüren lassen?“

„Waren Sie schon einmal in der Großstadt, Miss? Vielleicht shoppen oder einfach nur einkaufen mit Freunden oder der Familie?“, lenkte er das Thema ab und verwirrt dachte ich nach.

Ehrlich schüttelte ich den Kopf.

„Meine Eltern sind zu beschäftigt um mit mir wohin zu gehen. Wirkliche Freunde habe ich nicht. Die sind nur dazu da, um Schulsprecherin zu werden oder Verbindungen zu knüpfen. Aber ansonsten…nein. Noch nie.“

Er hielt vor einer roten Ampel an und sah mich schockiert an.

„Noch nie?“

„Nein.“, flüsterte ich unsicher und fühlte mich ziemlich unwohl in meinem Körper.

„Sie überraschen mich immer wieder, Miss.“, meinte er und ich fragte mich sofort im positiven oder negativen Sinne.

„Was tun Sie normalerweise in Ihrer Freizeit, Miss?“

„Meinen Sie nicht, dass Sie mich ziemlich ausfragen?“

Ich sah ihn finster an, dann auf die rote Ampel, die einfach nicht umschalten wollte.

„Mich können Sie nicht so schnell ablenken, Miss. Also, was tun Sie in Ihrer Freizeit?“

Sein Interesse und seine Neugier waren kaum zu überhören. Warum war die Schule nur nicht in Sicht? Ich erkannte den Kiosk am Eck und wusste, dass es noch fünf Minuten dauern würde. Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass ich noch genügend Zeit hatte.

Warum fuhr er nur nicht? Weil die Ampel noch immer Rot ist, du Dummerchen!

Sein Blick brannte auf mir, meine zweite innere Stimme nervte mich und ich gab schlussendlich seufzend auf.

„Ich lese Bücher, Lektüren, Theaterstücke. Musik höre ich eigentlich ununterbrochen, vor allem wenn ich schlecht gelaunt bin. Meistens gehe ich am Wochenende auf Veranstaltungen und Firmenessen, sowie Verwandtschaftsbesuche. Nach der Schule kommen die Hausaufgaben. Ich kellnere zweimal die Woche in einem fünf Sterbe Restaurant.“

Kurz atmete ich durch.

„Was wäre denn da noch? Ähm, in meiner Freizeit zeichne ich sehr gerne und entwerfe Portraits oder besuche Museen, sowie Kunstausstellungen ein bis zweimal im Monat. Das wäre eigentlich alles, wenn ich mich nicht täusche, bis auf die Projekte für die Schule. Um Schülersprecherin zu werden, versuche ich alles in die Wege zu leiten um den Schülern das Gefühl zu geben, gut aufgenommen zu sein.“

Die Schule kam langsam in Sicht und am Straßenrand parkte schließlich Jack.

„Damit lässt sich doch etwas anfangen, Miss.“

„Was denn anfangen?“

Er zögerte.

„Sie kommen zu spät zum Unterricht, Miss.“

Einen Moment lang sah ich ihn forsch an, bevor ich mich abschnallte und aus dem Auto ausstieg, sobald ich meine Handtasche, sowie meinen Laptop geschnappt hatte.

Noch einen letzten Blick warf ich auf meinen Chauffeur, welcher im selben Moment an mir einfach vorbeifuhr.

Er hatte noch nicht einmal abgewartet, bis ich im Gebäude war.

Wütend lief ich ins Schulgebäude. Zu meinem Glück schaffte ich es noch gerade Rechtzeitig vor dem Läuten auf meinem Platz zu sitzen, den im selben Moment trat der Schulleiter ins Klassenzimmer.

„Guten Morgen.“, wünschte er uns und wir fingen an einen Text über die Geschichte unseres Landes zu lesen und wie es dazu kam, dass heute unser König unser Land regierte.

In Mathematik kamen Formeln dran, die ich so langsam nicht mehr verstand und gab mir mein bestes, um allem soweit zu folgen, wie es nur ging. Nach der Stunde lief ich zur Lehrerin und ließ mir noch einmal alles von vorne erklären, bevor ich in die nächste Stunde eilte.

Sandra kam zu mir, da sie ebenfalls den Mathematikstoff nicht verstand und ich versprach ihr, ihr nach  der Schulstunde zu helfen.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit Sandra alles zu erklären und zudem auch noch bei einigen anderen Fächern. Sie könnte sich die Begriffe im Buch nie erklären.

Ich riet ihr auch dabei immer wieder die Lehrer nach der Stunde anzusprechen und nachzufragen. Zwar zögerte sie, aber sie nahm es sich zum Glück vor.

Erschöpft lief ich aus dem Schulgebäude und sah schon vom weiten den Wagen warten. Mich interessierte es brennend, was mein Chauffeur heute Morgen meinte.

Aber dass er seit der Wette so normal mit mir redete, gefiel mir eigentlich. Ich fühlte mich dabei wohl, wenn auch seine Fragen und Antworten nicht die nettesten waren. Oder sich nicht ausweichen ließen. „Emma.“, rief jemand nach mir und ich drehte mich um. Sandra kam mit einigen Freundinnen auf mich zugerannt.

„Hallo, Sandra. Kann ich noch etwas für dich tun?“, fragte ich höflich und sah dabei zu, wie sie erst ihre Freundinnen ansah, dann auf mich.

„Also, du bist doch ziemlich gut in allen Fächern...“, fing sie an und ich nickte.

„Nicht die beste, aber ich bemühe mich.“

„Wir wollten dich fragen, ob du mit uns vielleicht einmal die Woche lernen könntest. Wann ist egal, aber wir verstehen den Stoff seit langer Zeit nicht mehr und du kannst einfach nur toll Erklären. Deshalb wollte ich dich fragen, ob du uns in Zukunft vielleicht helfen könntest? Wir würden dir natürlich bei allen anderen Dingen helfen, sollten wir es können oder was auch immer du verlangst. Bitte.“, wandte sie noch schnell ein und ich sah überrascht zu Sandras Freundinnen, welche bekräftigend zur Aussage nickten.

„Ich muss erst einmal nachsehen, ob es überhaupt Zeitlich her klappen würde.“

„Weißt du was, ruf mich einfach an, wann es dir passt. Wir würden uns dann alle frei nehmen.“, meinte Sandra und nahm riss aus ihrem Block ein Stück Blatt hinaus und kramte in der Tasche nach einem Stift.

„Hier bitte.“, damit reichte ich ihr den Stift, den ich in der Vordertasche meiner Handtasche hatte und sah dabei zu, wie sie ihre Handy- und Hausnummer drauf kritzelte.

„Du kannst mich Rund um die Uhr erreichen.“

„In Ordnung. Einen schönen Tag noch.“, wünschte ich ihnen und sie erwiderten dasselbe, sagten noch etwas, doch das verstand ich leider nicht mehr, da ein Motorrad lautstark vorbeifuhr.

Ryan, wer denn sonst.

Ich winkte den Mädchen zum Abschied zu und machte mich drauf und dran zu gehen, mit dem Stück Papier in meiner Hand. Jack hielt mir die Autotür auf, ich bedankte mich und schon bald saßen wir beide angeschnallt im Auto und der Motor brummte los, als mein Chauffeur vom Parkplatz raste.

„Und? Werden Sie sich mit ihnen treffen, Miss?“

„Woher wollen Sie denn wissen, ob ich mich mit den Mädchen treffen werde?“

Großes Misstrauen machte sich in meiner Stimme breit.

„Ich brauche keine James Bond Spielzeuge, um erkennen zu können, dass diese Mädchen anscheinend Ihre Hilfe benötigen, Miss. Und?“

„Wahrscheinlich werde ich im Laufe der nächsten Woche Nachhilfe geben. Das können Sie nun übrigens mit zu meinen zukünftigen Freizeitbeschäftigungen dazu zählen.“, murmelte ich und bald darauf wurde es Still zwischen uns beiden.

„Sie hören Rock-Metal?“

Mehr als überrascht sah ich zu meinem Chauffeur.

„Das Lied kam gerade nur Zufällig. Um ehrlich zu sein, hasse ich Metal Lieder. Sie sind mir zu brutal. Ich stehe auf gute Texte, gute Sänger und gute Melodien.“

Meine Hoffnungen auf einen gemeinsamen Musikfreund wurden innerhalb vier Sätzen zunichte gemacht. Anscheinend schien niemand meine Freude für Rock und Metall Lieder zu teilen.

„Hören Sie überhaupt Linking Park, Metallica oder Parkaway Drive?“, fragte ich entsetzt.

„Ich habe diese Namen noch nie gehört. Kennen Sie vielleicht Vivaldi und seine Vier Jahreszeiten?“

„War das nicht einer der toten Komponisten wie Mozart und Beethoven?“

„Na gut, das lassen wir mal gelten. Er war eigentlich ein Meister seines Werkes. Ich habe noch nie in meinem Leben solch wunderbare Sonaten und Melodien zu Ohren bekommen. Schubert, Bach und Hayden sind dagegen beinahe gar nichts.“

„Ein klassischer Musikfan, wie ich sehe. Und was sollte denn dort bitte gut an den Texten sein? Da kommen so gut wie keine vor und wenn, dann singt man sie ziemlich krass.“

„Krass?“

„Ja, krass.“, meinte ich trotzig und richtete weiterhin meinen Blick auf den Chauffeur.

„Gibt es auch Bands vom heutigen Jahrhundert, die Ihnen gefallen?“

Er dachte nach, dabei kräuselte er leicht die Lippen und tippte leicht mit dem Finger gegen das Lenkrad.

„OneRepublic, Miss.“

„Die sind wirklich gut. Und wer noch?“

„Bon Jovie hat einige gute Lieder, aber ebenso Elton John, Bruce Springsteen, 3 Doors Down, Coldplay oder U2.“

„Lieblings Sängerin?“

Mein Interesse war geweckt.

„Ich bin immer beeindruckt von den Stimmen von Whitney Houston, Beyonce, Christina Auguilara und Amy Winehouse gewesen. Aber die eine Sängerin – die mich mit allem fasziniert – ist Adele.“ Ehrlich sah er kurz zu mir und ich lächelte unbewusst.

„Sie scheinen ja doch Geschmack für einen Mann zu haben. Wie steht es mit den Männern?“

„Lassen Sie mich kurz nachdenken, wenn Sie nicht wollen, dass ich nun jemanden von den One Direction wähle.“, zügelte er mich, doch ich schüttelte nur etwas belustigt den Kopf.

Mich wundert es eher, dass er überhaupt One Direction kennt.

„Es Sheeran.“, meinte er aus der Pistole geschossen, sodass ich leicht zusammen zuckte.

„Wer ist das?“

Dank seinem Blick hatte ich das Gefühl, als würde es tatsächlich Zeit werden, dass ich endlich mal wieder hinaus gehen musste. Am besten gleich heute Abend.

„Am liebsten würde ich Sie in einen Musikshop bringen und Sie jedes Lied von seinen Alben hören lassen. Haben Sie jemals seine Stimme gehört, seine Texte?“

„Keine Ahnung. Der Name sagt mir jedenfalls nichts.“

„Gut. Wer ist dann Ihr Lieblingssänger? Oder haben Sie ein Lieblingslied?“

„Ich habe keinen wirklichen Lieblingssänger. Ich mag das Lied 9 Crimes von Damien Rice sehr, aber er ist es nicht. Ich kann Ihnen ein Lied in meinem Zimmer abspielen, welches mich jedesmal aufs Neue Sprachlos macht. Ich kenne weder den Sänger noch den Titel. Aber das Lied ist wunderschön.“

„Warum haben Sie es nicht einfach gegoogelt? Man muss nur einige Sätze vom Lied eintippen und schon wissen Sie, wer es singt.“

„Ich wollte die Seifenblase nicht zerstören.“, gab ich zu und fuhr mir über meine Haare.

„Seifenblase?“

„Es ist ein Lied, das man nicht durch andere Lieder von ihm zerstören möchte. Wenn dies das einzige vernünftige Lied von ihm ist, habe ich wahrscheinlich eine andere Sicht als vorher und sobald ich seinen Namen herausfinden würde, würde ich alles über ihn ausfindig machen. Was ist, wenn er ein verkorkstes Leben hat? Wenn er sich schon vor Jahren umgebracht hat? Oder wenn er einfach die Musik aufgegeben hat? Dazu kommt noch, dass seine Lieder vielleicht gut sein könnten und ich dieses besondere Lied nicht mehr mögen würde, weil es in Vergessenheit neben seinen anderen Liedern geraten würde. Dieses Risiko gehe ich lieber nicht ein.“

Entschlossen erwiderte ich seinen Blick, als er hinter einem wartenden Auto anhielt.

„Bisher ist mir niemand begegnet, der Angst davor hat, dass seine Seifenbase dadurch zerplatzt. Aber es ist ziemlich interessant, es mal auf diese Weise zu sehen.“, gab er zu, währender um die Kurve bog.

„Es gibt immer ein erstes Mal.“ Schulterzuckend sah ich von ihm auf das Autoradio.

Leise Musik ertönte und es hörte sich verdächtig nach einem Lieder von Jason Mrz. Ich drehte lauter auf und lehnte mich zurück, während wir immer näher an unserem Zielort ankamen. Sobald wir die Sprechanlage hinter uns gelassen hatten und am Gitter vorbei gefahren waren, boten uns grüne Bäume auf beiden Seiten ein schönes Bild ab.

Es erinnerte mich an diese typischen Hollywood Filme. Bisher war mir das noch nie aufgefallen. Blinzelnd beugte ich mich vor und sah auf einen weißen Wolkenhimmel. Na toll, später würde es regnen.

Jack parkte den Wagen geschmeidig ein.

„Holen Sie mich kurz vor vier Uhr ab. Klopfen Sie einfach an meiner Zimmertür.“

„In Ordnung, Miss.“

„Sie wissen schon, dass Sie auch Emma zu mir sagen können, oder? Sie können das Miss weglassen, wenn wir alleine sind.“

„Eine Geheime und heiße Affäre. Ein toller Anfang für eine Beziehung, Emma.“

Mit belustigtem Gesichtsausdruck und angehobenen Augenbrauen sah ich ihn an.

„Träumen Sie weiter, Jack. Bis später.“

Ich stieg mit meinen Sachen aus und lief mit einem >Hallo, Bruno. Bis später Bruno< an ihm vorbei. Da ich keinen Hunger hatte, lief ich einfach am Esszimmer vorbei und ignorierte meine Mutter, welche im Flur stand und mich anscheinend begrüßen wollte.

Das kann sie sich in den Arsch schieben.

„Miss? Möchten Sie nichts essen.“, fragte mich Bruno, kurz bevor ich die oberste Treppenstufe erreicht hatte.

„Vielleicht später, Bruno. Keine Sorge, vor der Arbeit schaue ich noch in der Küche nach.“, versicherte ich ihm lächelnd und hüpfte die letzten beiden Treppenstufen hoch. Im Zimmer angekommen, machte ich in Windeseile die Hausaufgaben und da ich nun weniger als anderthalb Stunden Freizeit hatte, setzte ich mich an meinen Laptop.

Gerade als ich dabei war einen Bericht über den Hiroshima Anschlag zu schreiben, hörte ich jemanden im Flur laufen, direkt auf meine Zimmertür zu.

Ein Blick auf die Uhr genügte, um zu erkennen, dass ich nur noch eine halbe Stunde Zeit hatte, mich fertig anzuziehen, etwas zu essen und loszufahren.

„Kommen Sie herein.“, sagte ich, bevor mein Chauffeur auch nur die kleinste Chance hatte anzuklopfen. Die Tür wurde geöffnet und ein Kopf mit schwarzen Haaren und zwei grünen Augen, sowie einem leichten Bartschatten lugte hinein.

„Ich wollte Ihnen nur von Bruno Bescheid geben, dass Sie am besten jetzt etwas essen sollten. Sollten Sie mich suchen, ich bin in der Küche.“, informierte er mich und ich nickte.

„In Ordnung. Bis gleich.“

Er schloss erneut die Tür hinter sich zu und ich speicherte meinen Text ab und schaltete den Laptop aus.

Ich nahm meine frisch gebügelten Arbeitsklamotten – welche in durchsichtiger Folie eingepackt waren – und nahm mein Handy, ein Haargummi, sowie mein Geldbeutel mit. Schnell flitzte ich die Treppen hinunter und wäre beinahe gegen meine Mutter gestoßen.

„Ich muss los.“, meinte ich schnell, bevor sie noch mit mir ein Gespräch darüber führen konnte, in dem der Inhalt nur darum ging, was für eine schlechte Mutter sie doch wäre und dass die Arbeit sich nun einmal aufhalten ließ.

Jedesmal dasselbe, aber ich hatte einfach keine Lust mehr.

„Miss. Endlich sind Sie da. Möchten Sie etwas Richtiges oder etwas Leichtes zu essen?“

„Etwas Leichtes wäre gut. Ein Brot oder so was.“, bat ich Mareike, unsere Köchin, nachdem ich meine Arbeitskleidung sorgfältig auf ein Stuhl gelegt hatte.

„Sofort, Miss.“

Währenddessen füllte ich mir ein Glas mit Heißwasser und gab einen Beutel Kamillentee hinein. Jack saß schon am Tisch und nahm mein Handy in die freie Hand, während die andere versuchte nichts von dem Tee zu verschütten.

„Möchten Sie auch etwas Tee?“, fragte ich ihn und er schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Danke, aber nein. Miss, soll ich Sie um neun Uhr Abends abholen?“, fragte er und ich trank schnell einen Schluck aus meiner Tasse, da sich mein Mund so trocken anfühlte.

„Haben Sie meine Handynummer? Dann rufe ich Sie einfach zehn Minuten vor Arbeitsschluss an und gebe Ihnen bescheid. Dann müssen Sie nicht umsonst im Auto warten, wenn es ein wenig länger dauern sollte, als erhofft.“, schlug ich vor und er kramte sein Handy aus seiner Hosentasche. Ein Blackberry.

Das der überhaupt noch existiert mit seinen vielen Tastaturen.

„Wäre es in Ordnung, wenn ich schnell meine Handynummer eintippe?“

Er reichte mir wortlos das Handy und lehnte sich zurück. Schnell war die Nummer eingegeben und nur noch der Name fehlte.

„Soll ich Boss, Emma oder fieser Teufel schreiben?“

Beim dritten Namen zuckten seine Mundwinkel belustigt nach oben.

„Das dritte hört sich ziemlich interessant an, Miss. Aber ich selber würde fieses Schneewitschen draus machen.“

„Nettes Kompliment.“

Augenverdrehend tippte ich als Namen Fieses Schneewitschen ein und überreichte es ihm, sobald ich mich selber angerufen hatte.

Nachdem auch seine Nummer abgespeichert war, sah ich zu ihm nachdenklich hoch.

„Welcher Name würde besser passen? Wettkönig oder geheime, heiße Affäre?“

„Nun, gegen die Namen hätte ich ganz und gar nichts einzuwenden, Miss. Aber das letzte ist mein persönlicher Favorit.“, meinte er grinsend und ich wunderte mich, wie jung er auf einmal aussah. Dabei war er gute fünf Jahre älter als ich selbst.

Obwohl ich den Kopf über seine Antwort schüttelte, gelang es mir einfach nicht das kleine Lächeln von meinen Lippen wegzubekommen. Schließlich übernahm ich den Favoritennamen und speicherte ihn bei den Kontakten ein.

Mareike kam mit ihrem leicht beschmutzen Kochkittel zu mir und legte ein Sandwichbrot auf den Tisch vor mir.

„Danke schön.“

Etwas Hungrig biss ich in das Sandwich und kaute einige Male, bevor ich alles mit Kamille hinunter spülte. Ein einfaches Gurkensandwich, wie ich es am liebsten hatte.

Schweigend aß ich und Jack sah sich währenddessen die Nachrichten an. Es schien mir geradezu so, als ob ich jeden Morgen und Mittag mit ihm am Tisch sitzen würde und solche Gespräche führen. Schließlich sagte ein Blick auf die Uhr, dass wir losgehen mussten, wen ich es noch rechtzeitig in die Umkleide schaffen wollte.

Ein halber – und vor allem leckerer – Sandwich lag noch auf dem Teller, aber ich musste nun einfach los, sodass ich ihn schlicht und einfach ignorieren musste.

Ich zeigte auf die Klamotten auf dem Stuhl.

„Die Kleider in der Folie müssen ins Auto gehängt werden. Wenn ich nicht zu spät kommen möchte, dann sollten wir jetzt los und uns sputen.“

Damit stand ich auf, trank noch einen letzten Schluck aus meinem Tee und machte mich drauf und dran endlich aus dem Gebäude zu kommen und gleichzeitig immer wieder auf meine Uhr zu schauen. Zu meinem Glück war das Auto schon geöffnet und ich setzte mich schnell auf den Rücksitz, schnallte mich an, holte mein Handy hinaus und begann über meine Nachrichten zu sehen.

Theo hatte mich noch nicht angerufen, was hieß, dass ich wie immer meine Schicht hatte und heute nicht allzu viel los war.

Von draußen hörte ich ein knallen, dann wieder Ruhe und gleich daraufhin stieg mein Chauffeur ein und machte sich sofort auf den Weg.

„Haben Sie die Adresse schon in das Navigationssystem eingegeben?“

„Ja, Miss.“

„Gut. Könnten Sie vielleicht ein wenig schneller fahren? Aber Passen Sie gut auf. Ich habe heute keinen Nerv für einen Unfall.“, murmelte ich vor mich hin, während ich wieder eine Mail weiterscrollte. Kurz darauf hielt der Wagen zu abrupt an, sodass ich beinahe nach vorne schleuderte, wäre der Sicherheitsgurt nicht dagewesen.

„Alles in Ordnung, Miss? Da ist ein Auto aus dem Nichts aufgetaucht und hätte uns beinahe erwischt.“

„Ja, alles in Ordnung. Fahren Sie einfach weiter.“

„Natürlich, Miss.“

Obwohl wir einige Kurven zu scharf bogen, hielt ich weiterhin meinen Blick auf das Handy und schrieb einige Geschäftsmails, die Hauptsächlich darum gingen, dass ich wieder auf diesen Veranstaltungen oder Festen teilnehmen sollte und wo demnächst das nächste Geschäftsessen meines Vater sein würde.

„Haben Sie einen Kalender für die Arbeit?“, fragte ich und schaute vom Bildschirm auf.

„Ja, Miss.“

Er klang etwas verwirrt.

„Dann Maile ich Ihnen eine Liste, wann Sie mich an welchem Tag wohin bringen müssen. Demnächst sind ein Geschäftsessen, eine Wohltätigkeitsveranstaltung, eine Spendenauktion, ein Maskenball und ein Ball auf dem Plan. Wahrscheinlich werde ich wieder shoppen müssen oder Madame Dorette darum bitten, dass Sie mir doch ein paar weitere Kleider schicken sollte.“, meinte ich ganz versunken in Gedanken und speicherte alle Termine im Kalender ein, schickte eine Kopie an Jacks Handy und lehnte mich zur Entspannung zurück.

Mit Zeigefinger und Daumen fuhr ich mir immer wieder am Nasenrücken entlang und dachte nach, was an welchem Tag stand und wann die nächsten Veranstaltungen in der Schule waren und wann das Free Hugs Projekt starten würde.

Irgendwelche Schüler wollten unbedingt sich auf den Gehweg stellen und Plakate heben, auf denen stand, dass sie kostenlose Umarmungen erhalten würden. Es war ein Internetvideo, welches sie dazu getrieben hatte.

Zum Glück war der Schulleiter soweit damit einverstanden und hatte uns einen freien Tag gegeben, an dem wir es veranstalten konnten.

Noch nicht einmal bemerkte ich, wie der Wagen anhielt und der Chauffeur mir die Tür öffnete. Erst als er mich ansprach.

„Miss? Geht es Ihnen gut?“

„Hm?“, ziemlich verwirrt sah ich auf und entdeckte ihn an der linken Tür.

„Oh. Wir sind ja schon da.“

Sofort schnallte ich mich ab und stieg aus dem Wagen. Nach und nach kam ich wieder zurück in die Gegenwart und nahm von Jack meine Kleidungen ab.

„Ich sehe Sie dann in vier Stunden. Schönen Tag noch.“, meinte ich freundlich und lief um das große Gebäude herum – welches ein ziemlich bekanntes fünf Sterne Hotel war – und zwar direkt auf die Hintertür zu.

Sobald ich das Passwort für die Angestellten eingegeben hatte, öffnete sich die Tür mit einem Surren, sodass ich schnell ins Gebäude spazieren konnte.

In der Umkleide zog sich gerade die letzte und neue Sicht um und ich machte mich auch dran mich aus meinen Klamotten zu schälen und in die Arbeitsklamotten zu schlüpfen.

Heute waren einige Geschäftsmänner und Seiche unter den Gästen, sowie ein Verwandter der Königsfamilie. Recht wichtige Leute.

Mit meinem Tablett lief ich zum Tisch Fünf und stellte dort sorgfältig das Wasserglas ab, füllte ihn vor den Augen des Kunden und stellte schließlich die Wasserkanne auf dem Tisch ab.

„Haben Sie noch einen weiteren Wünsch, Mr.?“, fragte ich höflich auf Englisch und lächelte freundlich. Er schüttelte den Kopf und so ging ich zwei Schritte Rückwärts und drehte mich schließlich um und verschwandt in der Küche, um eine weitere Bestellung zu Tisch zu bringen.

Gegen Ende der Schicht wurde es immer voller und ich hatte alle Hände voll zu tun. Heute Nachmittag war – im Gegensatz zu den vorherigen Stunden – die Hölle los. Dicht drängelten sich die Leute an mir vorbei und die Bar war ziemlich voll.

Normalerweise war solch ein Wirbel nur am Wochenende los, doch wie es aussah, schien heute für alle ein wichtiger und bedeutungsvoller Abend zu sein.

Kleine Schweißperlen tropften mir von der Stirn und ich war mir ziemlich sicher, dass ich mich noch nie so kaputt gefühlt hatte auf der Arbeit, wie heute.

Am liebsten würde ich nun in mein Bett kriechen und wenigstens meine schmerzenden Gliedmaßen ausruhen lassen, aber ich hatte noch mehr als eine halbe Stunde vor mir. Die Zeit schien den ganzen Abend nicht weiter gehen zu wollen, obwohl sich der rote Zeiger noch immer bewegte.

Seltsam.

Endlich sagte mir die Uhr –nach gefühlten fünf Stunden –, dass ich endlich Feierabend hatte und ins Bett gehen durfte. Schnell läutete ich bei Jack, damit er mich abholen konnte und gab ihm kurz auf der Mailbox und per SMS bescheid.

So froh wie noch nie, lief ich in die Küche, stellte dort mein Tablett ab und wandteu

„Kann ich etwas für dich tun, Lars?“, fragte ich müde und dieser nickte.

„Ich möchte, dass du bei deiner nächsten Schicht eine Stunde früher kommst. Wir haben uns für eine neue Speisekarte entschieden und gehen alles noch einmal sorgfältig durch. Außerdem musst du in der Küche aushelfen. Wäre das in Ordnung für dich?“

„Ja, klar. Ich muss mich jetzt aber anziehen.“

„Pass auf. Draußen Schüttet es wie aus den Eimern.“

Ein Donner war zu hören und ein lauter Knall.

„Ich hab´s dir gesagt.“, meinte er schulterzuckend und nervös zog ich mich um, während ich immer wieder nach draußen sah. Ein Blick auf der Uhr sagte, dass ich seit einer halben Stunde nun schon aus hatte.

Jack wartet bestimmt schon.

Ich öffnete die Hintertür. Überall schüttete es nur und es sah beinahe so aus, als würde es bald Hochwasser geben. Schnell rannte ich auf die Straße zu, die Handtasche über dem Kopf, da ich keinen Regenschirm dabei hatte und nicht damit rechnete einen zu gebrauchen. Blinzelnd versuchte ich nicht aufs Gesicht zu fallen, sondern so schnell wie möglich am Straßenrand anzukommen und ins Auto einzusteigen.

Kaum war ich dort angekommen, sah ich mich um, doch kein Auto war weit und breit zu sehen. Leise Fluchte ich einige unschöne Wörter, doch mein Chauffeur ließ sich nicht auffinden.

Ob es Glück war oder nicht, aber ein Taxi hielt gleich darauf neben mir an. Sofort stieg ich ein, sobald er die Sachen des Paares ausgeladen hatte und gab ihm wütend die Adresse.

„Tun Sie mir den Gefallen und reden Sie nicht mit mir, wenn Sie nicht wissen wollten, wie wütend ich gerade bin.“, bat ich den Fahrer und er richtete schnell seine Mütze, bevor er losfuhr. Als ich mich im Rückspiegel sah, biss ich fest die Zähne zusammen und hätte am liebsten wie ein Tieger geknurrt, doch ich konnte mich noch rechtzeitig zurückhalten.

Sofort wählte ich die Nummer der heißen Affäre, doch obwohl es klingelte, nahm niemand das Telefon ab.

Tief durchatmen. Nicht durchdrehen. Es wird alles gut werden.

Doch gerade diese Gedanken waren es, die mich düster auf die vorbeifahrenden Autos sehen ließen. Meine Vorstellungen, Jack in Stücke zu zerschneiden oder zu bestrafen, gefielen mir besonders gut und unbewusst dachte ich schon darüber nach, wie ich ihn zur Sau machen konnte.

Sollte dies zu seinem nervigen Plan gehören, mich das Leben spüren zu lassen, würde ich ihm zeigen, was es hieß zu fühlen.

Mein Blick senkte sich und als ich etwas auf dem Boden sah, wuchs in mir der Ekel auf. Eine Bierflasche lag auf dem Boden, Essenstüten wurden unter die Stühle gequetscht und einige Süßigkeiten hatten es sich neben mir gemütlich gemacht. Von den Krümeln und Flecken brauchte ich erst nicht mal zu denken.

In diesem Moment wurde mir zum ersten Mal klar, dass ich noch nie mit einem Taxi gefahren war. Am liebsten würde ich sofort aussteigen, nur um das Auto gründlich auswaschen zu lassen. Ich schluckte laut, kramte aus meiner Tasche mein Portmonee und mein Handy. Zwar würde es noch einige Minuten dauern, bis wir angekommen waren, doch ich ließ es nicht aus meinen Chauffeur ein erneutes Mal anzurufen.

Erneut sprach mich die Mailbox an. Zornig legte ich auf und ich hatte Mühe meine Gesichtszüge zu verändern.

Sobald das Taxi angehalten hatte, drückte ich ihm einen Zweihunderterschein in die Hand.

„Der Rest ist für die Reinigung des Wagens.“

Bevor ich mich weiterhin Ekeln konnte, nahm ich meine Tasche und stieg schnell aus, um das Tor zu öffnen und ins Haus zu kommen.

Noch immer prasselte der Regen auf meine Haare und mein Gesicht, nässte meine Kleidungen ganz durch und mit jedem Schritt in den Schuhen hatte ich das Gefühl auszurutschen. Die Geräusche, die die Sohlen von sich gaben, beunruhigten mich immer mehr, bis ich im trockenen stand und Bruno mich überrascht ansah.

„Kein Wort, Bruno! Wo ist dieser Jack, der sich als meinen Chauffeur ausschimpfen lässt?“, fuhr ich ihn zischend an und löste die Schuhe von meinen Füßen und knallte sie zornig auf den Boden.

„Miss, beruhigen Sie sich.“

Abrupt hob ich meinen Kopf.

„Nicht heute Bruno. Wo ist er?“, verlangte ich zu wissen und er deutete dort hin, wo die Küche lag. Ich lief Barfüßig die Treppen hinunter, während ich mich aus meinen Nassen Sachen schälte und die Haare zu einem Zopf band.

In der Küche entdeckte ich ihn schließlich lachend mit einigen anderen Kollegen, doch sie verstummten sofort, als ich die Tür gegen die Wand schlug und ganz alleine meinen Chauffeur beobachtete, der mein Aufzug besonders Amüsant fand.

Das Lächeln wird dir schon noch vergehen, Freundchen!

„IN MEIN BÜRO, JACK“, fuhr ich ihn Zornig an. Zwar hörte er auf zu lächeln, aber er sah meiner Meinung nach zu sehr zufrieden mit der Situation aus.

Ohne auf ihn zu warten, lief ich den ganzen Weg wieder zurück und stampfte wütend ins Büro. Bruno reichte mir Wortlos ein Handtuch und ich löste den Zopf, um meine Haare zu trocknen. Doch viel brachte es nicht, sodass ich es sein ließ und mich gegen den Tisch lehnte, während ich versuchte meine Atmung und meinen Puls zu beruhigen. Fest biss ich mir auf die Unterlippe und schloss die Augen, während ich spürte, wie mein Pulli an meinem Oberkörper klebte, als wolle es sich mit meiner Haut vereinen und eins werden.

Es klopfte an der Tür, obwohl sie noch immer geöffnet war und ich blickte auf, direkt in die Augen vom Chauffeur.

„Warum haben Sie nicht auf meine Anrufe reagiert? Mich vom Arbeitsplatz abgeholt? Nur weil wir eine Wette haben, bedeutet das noch lange nicht, dass Sie sich alles erlauben dürfen, Jack. Sie können froh darüber sein, dass Sie noch eine Chance haben zu beweisen, dass Sie ihren Platz hier verdient haben, ansonsten könnten Sie ihre Sachen packen und gehen.“

Er sah mich stumm an, trat dann aber lächelnd etwas näher zu mir, was mich einen Moment lang aus dem Konzept brachte.

Es schien ihm gar nichts auszumachen, dass ich ihn anfuhr und auch nicht, dass sein Job auf der Klippe stand.

„Sie sind wohl zum ersten Mal mit dem Taxi gefahren, Emma.“, stellte er fest. Mein Augenwinkel zuckte leicht, mein Körper war angespannt und ich packte die Kante der Holztischplatte etwas fester.

„Kommen Sie mal mit, Miss.“

Er lief aus dem Zimmer. Auch wenn ich wütend war, fand die Neugier an vorderster Stelle Platz und so lief ich ihm nach, auch wenn ich noch immer finster drein schaute.

Wir kamen im Flur an, wo er vor dem großen Spiegel anhielt. Erschrocken atmete ich ein, als ich seine Hand auf meiner Taille spürte und wie er mich nach vorne beförderte.

„Was soll das werden?“, fragte ich erstaunt, doch er deutete in den Spiegel. Stirnrunzelnd folgte ich seinem Blick und betrachte mein Spiegelbild.

Meine Haare waren ein einiges Chaos, nichts war ordentlich und die Strähnen klebten leicht auf der Wange. Einige Haare weinten noch immer und nässten den Boden. Der ganze Körper war angespannt, als würde er sich nie mehr beruhigen und meine Kleidung zeigte mir, dass ich mich so nicht weiterhin blicken lassen durfte. Mein Aussehen war einfach unmöglich.

Während ich mich betrachtete, bekam ich kaum mit, wie Jack sich hinter mich stellte und mich ebenfalls im Spiegel beobachtete.

„Was sehen Sie, Miss?“, flüsterte er und ich betrachtete mich erneut.

„Mich. Und Sie.“

Er schmunzelte aus irgendeinem Grund, doch ich konnte ihm nicht folgen. Verwirrt beobachteten meine wachsamen Augen ihn weiterhin im Spiegel. Er trat einen kleinen Schritt weiter vorn und ich glaubte fast seinen Körper an meinem zu spüren. Es war ein ungewohntes Gefühl.

„Was sehen Sie noch außer mir? Was hat sich an Ihnen verändert?“

Erneut betrachtete ich mich.

„Mein Aussehen ist schlampig und unordentlich. Die Kleidung und Haare sind nass, nichts sieht…“

Mein Mund wollte die Worte nicht beenden, da mir die Worte für die Bezeichnung meines Aussehens fehlten. Auf jeden Fall war es nichts Gutes.

„Und genauso ist das Leben, Miss. Ein Chaos.“

Seine Worte ergaben keinen Sinn für mich und ich wandte den Kopf leicht in seine Richtung.

„Das verstehe ich nicht.“, gab ich zu und biss mir auf die Unterlippe.

„Sie haben Farbe im Gesicht, Emma. Das wollte ich nur sehen. Rote Wangen, leuchtende Augen, ein Körper, der seine Gefühle ausspricht.“, raunte er in mein Ohr und ich zuckte leicht zusammen.

„Ich könnte Sie wegen sexuellen Annährungen rauswerfen.“, drohte ich ihm, doch er lachte nur leise auf.

Merkwürdig war es, dass sein Lachen eine Ruhe in mir auslöste, die ich ziemlich nötig gebraucht hatte. Mein Körper entspannte sich Augenblicklich und ich konnte ausatmen.

Mir fiel erst gar nicht auf, wie er verschwandt, sondern starrte wieder auf mein Gesicht und stellte fest, dass er recht hatte.

Hatte mein Ich schon seit längerem den Glanz verloren?

Blinzelnd senkte ich den Kopf und verstand die Welt nicht mehr.

Verunsichert darüber, was ich nun wusste und darüber empfand, lief ich in mein Zimmer und sorgte dafür, dass ich wieder so aussah, wie ich das Haus verlassen hatte.

Mich so zu sehen war nicht gut.

Ich wollte keine Veränderungen mehr im Leben.

Nie mehr.

 

 

Kapitel 10

 

„Alles Gute, Emma. Sie haben es sich wirklich verdient.“, gratulierte mir Rektor Roitfeld  und reichte mir die Hand, während um uns herum das Blitzgewitter startete. Man hatte es sich nicht nehmen lassen die Presse zu rufen und mich als neue Schülersprecherin zu präsentieren.

„Vielen Dank. Es ist eine große Ehre überhaupt gewählt worden zu sein.“

Dankbar erwiderte ich den festen Händedruck und richtete mich mit ihm den Kameras zu.

Auf einer einfachen Schule fuhr man wahrscheinlich weiterhin mit dem Unterricht fort, doch hier war es eine Art Festtag. Die Eltern und Verwandten waren da, bestaunten die Schule und mit welchen Projekten wir die Schule und Bedürftigen unterstützt hatten.

Sobald ich mein Zertifikat überreicht bekommen hatte, konnte ich nicht anders, als daran zu denken, weiter so zu arbeiten, um mehr zu erreichen.

Meine Augen wanderten im Raum herum, suchten nach meinen Eltern, doch jedesmal, wenn ich dachte, dass sie es wären, waren sie es doch nicht. Keine Sekunde lang verzog ich die Miene und hatte nicht vor, dadurch sentimental zu werden.

Sie hatten besseres zu tun, als auf ihre Tochter anzustoßen.

Die Stufen knarrten, als ich die Bühne verließ und schließlich viele Glückwünsche annahm und mit einigen wichtigen Leuten Gespräche führte. Es war eine große Ausnahme, aber ich führte sogar einige Interviews. Wenn man etwas gerne gesehen hatte in Zeitschriften, dann dass die Tochter reicher Multimillionäre es geschafft hatte selbst ihren eigenen Weg weit hoch hinaus ins Businessgeschäft einzuschlagen. Die Leute sahen mich schon als Geschäftsfrau mit mehreren Tausenden Arbeitern in einem Weltweitem Unternehmen. Und ich gab mein Bestes, um diesen Wunsch zu erfüllen und zu verwirklichen.

Wenn einige etwas nicht wussten, dann, dass mir dieses Zertifikat in der Hand die Türen für jedes großes Unternehmen öffnen würde. Zur Sicherheit hielt ich es ein wenig fester und schüttelte die nächsten Hände. Obwohl es mir erlaubt war Bier zu trinken und andere Getränke mit wenigem Alkoholgehalt, lehnte ich es ab und prostete artig mit meinem Wasser den Firmeneigentümern von Google zusammen.

Es war ein toller Abend, man machte neue Bekanntschaften und ich lernte sogar jemanden kennen, der meinen Ex-Freund auf Dauer ersetzen konnte, bis er selbst auf der Liste landen würde.

Peter drückte mir einen Kuss auf die Wange, als wir uns verabschiedeten und winkte mir noch zu, als ich in den Wagen einstieg und mich von Jack wegfahren ließ. Sofort ließ ich das Lächeln sein und holte mein Handy heraus und überprüfte, ob alles bereit für die nächste Veranstaltung war.

„Ich brauche sie sofort nächste Woche…Nein, keine Ausnahmen. Wenn es nicht klappt, werde ich jemand anderen beauftragen…ja. Ich werde mich bald wieder melden. Schönen Tag noch.“, beendete ich das Gespräch mit dem Geschäftsführer der Zeitschrift Focus, die Landesweit exportierte und verlangte, dass auf allen Titelblättern meine Auszeichnung erschien.

„Fahren Sie mich zum Hotel meiner Mutter.“, verlangte ich von meinem Fahrer und wurde gleich darauf von einer Kurve beinahe auf die andere Seite geschleudert.

„Fahren Sie vorsichtig. Keine Eile.“

Es dauerte nicht lange, da kamen wir auch schon an und ich verlangte von ihm, dass er warten sollte.

Gerade als ich schon einige Schritte getan hatte, lief ich wieder zurück und klopfte an die Scheibe der Fahrerseite. Die Scheibe fuhr hinunter und ich sah ihn abschätzend.

„Sie haben gesagt, dass Sie mich mit meiner schlechten Laune aushalten können. Sind Sie noch immer dieser Meinung?“

Er sah mich ruhig an, bevor er nickte.

„Natürlich, Miss.“

Abschätzend sah ich ihn an.

„Das Halten Sie keine Stunde aus. Aber das werden wir ja noch sehen. Bis gleich.“, wünschte ich ihm und betrat den Eingang des Hotels Jones.

Wie immer war alles im Hochbetrieb, als ich die Etagen nach unten fuhr und mich zu meiner Mutter führen ließ. Bald darauf kam ich in der Suite an und drückte energisch auf die Klinge. Man hörte, wie sie aufstand und die Tür öffnete und ich konnte an beiden Händen ausrechnen, wie lange sie allein dafür braucht, um mir die Tür zu öffnen.

„Schon wieder betrunken?“, begrüßte ich sie, sobald ich in die Wohnung konnte und ihr das Rotweinglas aus der Hand schnappte, woraufhin ich es direkt in der Spüle ausleerte.

„Emma.“, begrüßte mich meine Mutter enthusiastisch, was sich keineswegs so anhörte, als würde sie sich wirklich über meinen Besuch freuen. Ich tat es jedenfalls nicht und brauchte nicht so zu tun, als ob.

„Lass es sein. Ich wollte dir nur sagen, dass du heute meine Schulfeier verpasst hast, wie sonst auch. Wie immer habe ich es geschafft und bin Schülersprecherin geworden. In den nächsten Wochen werden Titelseiten, Interviews und Fotos vom heutigen Tag erscheinen und du wirst es mit der Presse zu tun haben. Tu mir nur den Gefallen und sei dabei nicht betrunken und erfinde einige schöne Dinge über unsere Familie.“

Ich schnappte mir eine Traube und ließ sie in meinem Mund zerplatzen, als ich auf ihr kaute. Mein Blick schweifte und ich hielt sofort inne, als ich etwas vom Schlafzimmer aus hörte.

Plötzlich wurde meine Mutter panisch und sah mich mit großen Augen an. Entschlossen durchquerte ich den Raum und öffnete die Tür.

Ein mir fremder Mann, der nicht mein Vater war, stand im Zimmer mit nur einem Handtuch um die Leibesmitte geschlängelt und sah ebenso ruhig zu mir auf, wie ich ihn betrachtete.

„Ihre Reaktion sagt mir, dass diese Affäre schon länger läuft. Mehr muss ich nicht wissen.“

Mit diesen Worten schloss ich die Tür hinter mir zu und sah enttäuscht zu meiner Mutter.

„Und du willst dich Ehefrau und Mutter nennen. Mich siehst du nie wieder.“

„Schatz, warte.“, schrie sie mir nach, doch ich zeigte ihr einfach nur den Mittelfinger, während ich das Zimmer verließ.

Vor meinen Augen schien meine ganze Welt zu verschwinden. Ich fühlte mich wieder in die Vergangenheit zurückgesetzt. Es schien mir, als würde sich alles wiederholen und wenn ich eines nicht mehr hatte, dann war es Kraft um dies überhaupt zu verarbeiten.

Ohne darauf zu warten, dass Jack mir die Wagentür öffnete, riss ich sie auf und gab ihm das Zeichen sofort loszufahren. Er stieg ein und startete den Motor, während er sich darauf auf machte durch die Straßen zu kämpfen.

„Kann ich Sie wohin bringen, Miss?“

Ich sah eine Weile in die Dunkelheit, bevor ich entschlossen zu ihm sah.

„Bringen Sie mich dorthin, wo eine ganz tiefe Schlucht aufzufinden ist. Am Meer, wenn möglich.“, verlangte ich und ignorierte seinen Ausdruck im Rückspiegel, sondern sah starr auf meine Hände, die sich zu Fäusten in den Leder der Sitze gekrallt hatten.

„Alles umsonst. Gott.“, murmelte ich vor mich hin und konnte nicht ganz begreifen, was ich mitbekommen hatte. Sofort wählte ich die Nummer meines Vaters.

Er ging sofort heran und wusste vielleicht sogar bescheid, so wie sich seine Stimme anhörte.

„Prinzessin?“, meldete er sich besorgt und ich konnte nicht anders, als ein verächtliches Lachen von mir zu geben.

„Sei ehrlich. Wusstest du es? Die ganzen Monate über?“

Er schwieg und ich konnte es einfach nicht glauben.

„Wir sehen uns in der Hölle, Dad. Schick mir wenigstens Blumen zum Todestag.“

Mein Handy brach auseinander, als ich es aus dem Fenster schmiss und die Scheibe wieder hochfahren ließ.

„Schauen Sie nicht so. Fahren Sie einfach weiter Halten Sie jedoch vorerst bei jemandem an, der mir mein Testament erstellen wird. Heute noch!“

Obwohl er mit seinen Gefühlen aushandelte, fuhr er dort hin, wo ich mich auffinden wollte und stürzte in das Büro.

„Schreiben Sie mein Testament.“, wies ich den Mann hinter der Theke an, welcher erschrocken auf den Flur vor mir zeigte.

„Zweite Tür, rechts.“

„Sie sollten das nicht tun, Miss. Es ist falsch.“, versuchte mich Jack aufzuhalten, doch ich schüttelte einfach nur den Kopf und lief zu der Tür und klopfte dreimal fest.

„Sagen Sie mir nicht was Richtig oder was Falsch ist. Darüber denke ich schon seit Jahren.“

„Miss…“, versuchte er noch einmal, doch ich starrte ihn zornig an.

„Sie haben sich nicht einzumischen. Es ist mein Leben!“

Ebenso wütend erwiderte er meinen Blick und die Tür wurde in dem Moment geöffnet, als er sich abwendete und den Körper an die Wand lehnte.

„Für Ihre Mühe möchte ich mich aber bedanken. Sie sind Morgen Millionär, sollte ich die Nacht überleben. Meine Glückwünsche.“

Trocken verließen die Worte meinen Mund und ich trat in das Zimmer ein, in dem ich mit dem Anwalt eine Stunde lang alles ausdiskutierte. Er war zwar nicht ganz zuversichtlich mit der Sache, dass eine Minderjährige ein Testament wollte und rief zur Sicherheit meine Eltern an. Sie stimmten nach langer Pause zu und meinten, dass ich es mir aber noch einmal überlegen sollte.

Einen Wimpernschlag später landete das Telefon zerbrochen im Mülleimer und ich entschädigte den entsetzten Anwalt mit einer Geldrolle, die genug war um sich einen Tag lang alles leisten zu können.

Sobald meine Unterschrift gesetzt worden war, verließ ich depressiv das Zimmer und achtete gar nicht auf meinen Chauffeur, der mir die Tür aufhielt und ebenso schlecht gelaunt schien, wie ich in diesem Moment auch herüberkam.

Einige Minuten später wies ich ihn an mich zur Apotheke zu fahren und kramte einige Unterlagen aus meinem Geldbeutel hervor, die ich vor einigen Wochen und Monaten vom Arzt verschrieben bekommen hatte. Es waren Kopfschmerztabletten, Magentabletten, Schlafmittel und irgendwelche Filmtabletten, die mir hoffentlich weiter helfen würden.

Die Tabletten klapperten in der Tüte herum, als ich zwei Läden weiter den Kiosk mit seinem ganzen Alkohol ausräumte und die Sachen auf den Sitz neben mir warf.

„Sie können es vergessen, dass ich Sie sonst wohin fahren werde.“, lehnte Jack ab, doch ich schüttelte nur belustigt den Kopf.

„Mehr Mut, Junge. Sie wollten meine Laune aushalten, dann tun Sie´s auch. Fahren sie zur Schlucht oder ich heuere eine andere Person an, die mich ohne zu zögern dorthin begleiten wird.“, stellte ich ihm zur Auswahl und als ich hörte, wie er mit schneller Geschwindigkeit über die Autobahn fuhr, hoffte er sehr wahrscheinlich darauf von Polizisten angehalten zu werden, um diesen Moment aufhalten zu können.

Das Handy vom Fahrer klingelte. Er warf einen kurzen Blick darauf und reichte es mir schließlich. Bens Nummer war darauf abgebildet und sofort nahm ich ab.

„Du wirst es nicht tun.“, verlangte er sofort und hörte sich fuchsteufelswild an.

„Mein Tod hat sich schon vor Jahren entschieden. Er wäre stolz darauf zu erfahren, dass du es in den Himmel schaffst, so wie er. Vielleicht begegne ich ihm ja, auf dem Weg in die Hölle.“

„Tu es nicht, Emma.“, flüsterte er kraftlos.

„Ich liebe dich, Ben. Du bist und warst ein toller Bruder.“

Sofort legte ich auf, als ich meine zitternde Stimme wahrnahm und gleich darauf eine bedrückende Enge in der Kehle verspürte. Schnell sah ich zur Seite aus dem Fenster und beobachtete, wie die Sonne langsam unterging und ihren rosafarbenden Strahl auf mein Gesicht niederließ.

Schweigend fuhr er weiter und es wurde spät in der Nacht, als er schließlich langsam den Berg hinauf fuhr. Angestrengt versuchte ich etwas dank der Scheinwerfer zu erkennen, doch die Umgebung wurde vollständig von der Dunkelheit umgeben. Vor allem, da um uns herum die dichten Bäume und der Wald wenige Meter entfernt standen.

Der Motor erstarb und das Licht im Auto löschte sich bald daraufhin von allein. Vollständig im Dunkeln eingehüllt, bis auf die leichten Strahlen des Vollmondes weiter entfernt, sah ich hinaus. Meine Hände tasteten sich über die Sitzbänke und ich schnappte mir zwei Flaschen und die Medikamente. Kurz und Schmerzlos mit einem Sprung auf die Felsen im Meer.

Mich danach Lebend herauszufischen, war geradezu unmöglich und gerade das wollte ich. Zeigen, dass ein Leben nach diesem Sprung unmöglich war. Es war der Tod.

Der Wind peitschte, als ich die Tür öffnete. Meine Haare wehten zur Seite und ich nahm die Sachen, während ich mich bis zum Rand der Felsen mühte.

Das Meerwasser schlug mit seiner ganzen Kraft gegen den 30 Meter hohen Felsen auf dem ich stand und zeigte, wie sehr das Wasser doch wütete und grausam sein konnte. Doch der Anblick erschreckte mich nicht. Es löste keine Gefühle in mir aus, die mich dazu führen würden die Sache abzublasen.

Sache…! Ja, mein Leben ist nur noch zu einer Sache geworden.

„Treten Sie nicht näher, Miss.“, bat Jack, doch ich schüttelte einfach nur den Kopf und setzte mich auf den Rand der Schlucht. Die Beine baumelten frei in der Luft herum und zeigten, wie wenig doch fehlte, um dort unten zu landen.

„Sie sollten die Situation ausnutzen und mich runter werfen, solange ich noch nichts zu mir genommen habe. Dann würden Sie schneller an ihr Geld kommen und meinen Tod vergessen, indem Sie sich großzügig Wein einschenken.“, forderte ich ihn leise.

„Ihr Geld ist mir scheiß ega!l“

Es wunderte mich, dass er mich trotz des lauten Windes gehört hatte und selbst zu mir seine Antwort dazu ins Ohr drang.

„Das Sagen Sie jetzt. Morgen genießen Sie ihr Leben.“

Während ich sprach, öffnete ich die Flaschen. Auch wenn ich wusste, dass es ziemlich widerlich schmecken würde, nahm ich dennoch einige große Schlucke aus der Flasche.

Mein Gesicht verzog sich geekelt und ich musste einen Hustanfall unterdrücken. Mein brennender Hals erleichterte auch wieder nicht die Sache, sondern führte nur dazu, dass bei mir die Tränen einsetzten und ich sie frustriert wegwischen musste.

Erneut setzte ich die Flasche an und ignorierte das Stechen im Kopf, sondern trank einfach weiter, bis mir die Flasche weggenommen und weggeschleudert wurde.

„BIST DU VÖLLIG VON ALLEN GEISTERN?“, wütete Jack und ich zuckte erschrocken zusammen.

„Kein Duzen, Jack.“, murmelte ich und öffnete die nächste Flasche. Diese fand ihren Weg die Schlucht hinunter und zerplatzte beim Zusammentreffen mit dem Felsen. Still lehnte ich mich etwas vor und beobachtete, wie die Wellen den Alkohol mit sich wegspülten.

Plötzlich wurde ich an den Händen gepackt und fand mich auf beiden Beinen wieder, dabei zerrte mich Jack zum Auto hinunter.

„JACK!“, schrie ich wütend und trat ihm aufs Schienbein. Er zeigte keine Regung und drückte meinen Körper fest gegen den Wagen. Die Arme kreuzte er über meinem Kopf, sodass ich sie nicht mehr bewegen konnte ohne einen steckenden Schmerz zu spüren. Gerade als mein Knie seine Genitale begrüßen wollte, drängte er meine Beine mit den seinen zurück und verhinderte damit, dass ich mich überhaupt wehren konnte.

„Hören Sie auf mit der Scheiße. Sie haben sich da nicht einzumischen.“, stellte ich klar, doch er ignoriert es einfach und ließ mir keine Bewegungen zu, außer zu Atmen.

Aus lauter Zorn sammelten sich langsam die Tränen in meinen Augen, doch sie taten meiner Stimme nichts ab.

„Lassen Sie mich einfach sterben.“, bat ich ihn leise und senkte den Kopf, soweit es möglich war.

„Niemals. Du bist zu jung, um überhaupt daran zu denken. Nenn mir einen wirklichen Grund, warum  du dein Leben vernichten möchtest.“

Mein Bluthochdruck stieg und mein Puls raste, als ich in seinem Blick etwas erkannte, das mich für einen Moment inne halten ließ.

„Susanna hat recht. Meine Eltern sind schrecklich.“

Verächtlich schnaubte ich leise, während ich ihm weiterhin in die Augen sah.

„Morgen wird es in allen Zeitungen, Klatschmagazinen und Webseiten veröffentlich werden. Schlagzeile: Millionärstochter erhält Auszeichnungen ohne Eltern, Scheidung der Eltern, Hotelbesitzerin hat eine langjährige Affäre, Ehemann wusste über Affäre bescheid, Scheidungskrieg zwischen den Jones, Mutter ist Alkoholikerin – Arme Tochter, Familiengeschichte aufgedeckt. Nicht zu vergessen, Emma Jones Selbstmord – Schuld?“

Meine Augen wanderten auf seine Brust hinunter, da mein Nacken wehtat, wenn ich aufsehen wollte.

„Das sind keine Gründe, um ein Leben zu beenden. Man hat immer eine Wahl – das ist keine.“

Sein Griff lockerte sich und er nahm meine Arme herunter, wenn er sie auch immer noch gegen die Autotür presste, um mir die Situation zu erleichtern. Ein leises Lachen entfuhr mir, als ich seine Worte wahrnahm.

„Ein Wahl. Wie gern ich doch eine hätte.“, flüsterte ich sehnsüchtig und schloss die Augen.

„Mein Leben wurde von allen Menschen bestimmt, als ich die ersten Schritte getan hatte. Überall die Presse, die Veranstaltungen, die Aufgebaute Zukunft für mich. Ich bin nur die Puppe, die sich der Öffentlichkeit präsentiert und allen zulächelt, als würde niemals wieder Unordnung herrschen.“

Lächelnd öffnete ich die Augen.

„Wer hätte gedacht, dass eine Puppe zerbrechen könnte?“

„Man kann die Puppe wieder zusammenflicken.“, beharrte er darauf, doch ich schüttelte einfach nur den Kopf.

„Und dennoch trägt es eine Narbe, die man mit einer Schere wieder aufreißen kann. Mein Leben ist schon vorbei, seitdem Simon seinen letzten Atemzug getan hatte. Was meinen Sie denn, warum ich diese Anfälle habe? Ich ertrage die Erinnerungen daran nicht, die Träume die mich verfolgen. Mein Herz hört manchmal auf zu schlagen, die Medikamente helfen nicht mehr und auch will ich nicht mehr kämpfen. Wie weit soll es noch gehen, bevor ich sterbe? Noch mehr Schmerzen und Leid? Sag es mir Jack. Entscheide ich mich falsch, nur weil ich die Schmerzen nicht mehr ertrage?“

Die Sicht wurde etwas verschwommen, als ich die Tränen versuchte aufzuhalten und zwang mich dazu keinen Ton zu geben.

„Ich könnte dabei helfen die Schmerzen verstummen zu lassen.“, flüsterte er leise, doch ich schüttelte einfach nur den Kopf.

„Du könntest nichts verstummen, was auch nicht alle Medikamente und Therapien es geschafft haben. Sei einfach froh, wenn ich doch endlich meinem Leid ein Ende führe.“

„Das möchte ich aber nicht.“, meinte er Dickköpfig, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als zu schweigen und auf den Boden zu starren.

„Niemand möchte die Umweltverschmutzung und dennoch werfen sie den Müll in den Wald. Keiner möchte den Krieg, aber man findet immer wieder Grund einen anzufangen. Hier geht es nicht ums möchten. Es geht ums beenden. Und das geht nur, wenn ich endlich meine Ruhe haben darf.“

Sofort löste ich mich von ihm, da er versehentlich seinen Griff locker gelassen hatte, ohne es zu bemerken und rannte auf die Klippe zu.

Vorsichtig nährte er sich mir, doch ich stellte mich mit dem Rücken dem Meer entgegen, sodass ich ihn beobachten konnte.

„Rette nichts, was nicht mehr zu retten ist, Jack. Selbst du wirst es nicht schaffen meine Gefühle auszulöschen“, riet ich ihm weinend und schnappte mir die Medikamenten vom Boden und das Alkohol. Angewidert öffnete ich die Schachtel und füllte sie wie Bonbons in meinen Mund und ersetzte das Wasser durch die Flasche Wodka. Heftig hustete ich und zwang mich alles bis auf das letzte Stück herunterzuschlucken, doch es war einfach so widerlich. Die Hälfte davon spukte ich wieder aus und da die Medikamente mir nicht sehr angetan waren, füllte ich meinen Körper mit Wodka.

Blinzelnd versuchte ich das warme Gefühl im Körper zu genießen, doch es gelang mir nicht wirklich, da sich die Sicht um mich herum drehte. Eine starke Windprise brachte mich beinahe zum Stolpern, doch ich konnte mich noch rechtzeitig aufhalten. Wenn ich hinunterspringen würde, dann betrunken und nicht bei Verstand.

Es dauerte nicht lange, bis ich mich glücklich fühlte, ganz von allen Problemen und Sorgen befreit. Lächelnd senkte ich die Augen und streckte die Arme leicht aus. Jacks Stimme ertönte im Hintergrund, doch ich verstand nicht was er sagte und ich wollte es nicht einmal hören. Ich wollte mich nicht anders entscheiden, nur weil er mich als Letzter aufhalten könnte.

Alle Erinnerungen spulte ich ein letztes Mal vor meinen Augen und ließ den Tränen seinen freien Lauf. Gequält schloss ich die Augen und entschied letztendlich einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen.

Jetzt heißt es Aufatmen, Emma.

Endlich ließ ich mich fallen.

Kapitel 11

 

Ein Ruckartiger Schwung um meine Taille herum ließ mich erschrocken die Augen aufschlagen. Verwirrt musterte ich den Rücken der Person, während sich der Bereich meines Bauches sich unwohl fühlte, da er gebogen auf etwas Hartem lag.

Ich verstand nichts mehr und als ich sah, dass ich mich dem Wagen näherte - sobald ich mich ein wenig aufrichtete - wehrte ich mich und schlug auf Jacks Rücken. Er gab keinen Ton von sich, während er mich wie ein kleines Kind zum Auto führte, doch ich spürte den Angespannten Rücken unter mir.

„Lass mich runter, verdammt nochmal.“

Meine Worte bewirkten nur, dass er mich fester anpackte und schneller zum Auto transportierte. Meine Wut war endlos und so verwendete ich all meine Kraft aus allen Teilen meines Körpers, um mich zu wehren und ihm auf den Rücken zu schlagen. Da Jack meine Beine mit den Armen umklammerte, kamen die Hände am meisten zum Einsatz, doch es bewirkte nichts. Vielleicht nur einen schmerzenden Rücken, doch nicht mehr.

Muss er trainiert sein und diese Muskeln haben?

„Lass mich runter, du Idiot. Ich befehle es dir.“

„Du hast mir nichts mehr zu befehlen.“, widersprach er mir und öffnete ruckartig die Autotür. Schnell lud er mich auf dem Rücksitz ab, bevor er meine Hände fest am Rücken presste.

„Was tust du da?“, beschwerte ich mich entsetzt, als er mit der freien Hand seinen Gürtel öffnete. Er schwieg und fesselte fest meine Hände damit, sodass ich keine Möglichkeiten hatte mich zu rühren. Als er es schließlich auch noch schaffte meine Füße zu fesseln, schrie ich frustriert auf.

„Jack, ich bringe dich um. Binde mich wieder los.“

„Damit du mich umbringen kannst? Nein, danke.“,  lehnte er ab und ich fluchte laut, als er mich ordentlich auf den Sitz setzte. Auch wenn es schwer war sich zu wehren, schaffte ich es, dass sein Kopf gegen das Autodach knallte.

Wütend funkelten seine Augen und ich konnte erkennen, wie viel Mühe er hatte, um mich nicht gegen einen Baumstamm zu fesseln, sondern ruhig zu bleiben und die Situation unter Kontrolle zu erhalten.

„Glaub mir, morgen findest du mich hier wieder und jeden verdammten Tag auch, wenn es nicht klappen sollte, weil du Arschgesicht mich aufhältst.“, versprach ich und wand mich unter seinen Händen, als er den Sicherheitsgurt fest um mich legen wollte.

„Hände weg von mir.“

Er reagierte nicht darauf, sondern schloss einfach die Autotür und setzte sich hinters Steuer, sobald er die Medikamente aufgesammelt hatte und sie in den Kofferraum beförderte.

Die Autolichter blendeten, als wir über die Autobahn fuhren und verbreiteten mir Kopfschmerzen, doch ich sagte nichts. Auch nicht, als er mir aus dem Wagen half, sobald er vor meinem Zuhause anhielt und mich meinen Eltern ausliefern wollte.

Seltsamerweise war ich mehr als nur Enttäuscht von ihm und wollte einfach nichts mehr mit ihm zu tun haben. Auch nichts mit Ben, meinen Eltern oder Bruno. Mit niemanden mehr.

Der Wagen in der Einfahrt sagte mir, dass Ben und mein Vater die Geschäftsreise unterbrochen hatten und weiter weg erkannte ich das rote Cabrio meiner Mutter.

„Würdest du dich bitte nicht wehren, wenn ich dich losbinde?“, fragte er durch die Nacht hindurch und als ich einfach zur Seite sah und nichts erwiderte, löste er die Gürtelriemen von meinen Armen.

„Tut mir leid. Du wirst einige Abdrücke und Blutergüsse davon ertragen. Am Besten, Bruno schmiert die Stelle mit etwas Creme oder einer Salbe ein, wenn ihr welche im Haus habt. Ansonsten besorge ich welche.“, meinte er besorgt und fuhr über die Abdrücke des Gürtels. Als meine Beine ebenso frei waren, rührte ich mich dennoch nicht von der Stelle, sondern starrte weiterhin sturr in die Dunkelheit. Solange ich ihm nicht ins Gesicht sah, würde ich auch nicht sprechen oder ausrasten.

„So wird das nichts, Emma. Du wirst mir eines Tages dankbar dafür sein, dass ich dich gerettet habe. Ein Leben ist wertvoll. Versteh es doch, bitte.“

Stille.

„Ich werde dich ins Haus tragen, wenn du erlaubst.“

Er atmete frustriert aus, als ich noch immer nicht antwortete und hob mich aus dem Wagen und trug mich auf beiden Armen ins Haus, sobald er die Autotür mit dem Fuß zugetreten hatte.

Mein Körper schwang leicht zu dem Takt seiner Bewegungen mit, während er sich den Stimmen nährte, die aus dem Haus kamen. Ich wollte nicht dort hin und dennoch wehrte ich mich nicht, sondern blieb still in seinen Armen liegen.

Erschöpft schloss ich die Augen, als ich ein letztes Mal auf den Vollmond über mir gestarrt hatte und mich darüber wunderte, warum er nicht mit mir erloschen war. Alles  in mir war vorbei und ich verstand einfach nicht, wie solch ein Mond weiterhin leuchten konnte, wenn er doch nur aus Gesteinen und nicht erforschten Teilen bestand.

Was hatte er, dass ihn zum Leuchten brachte, mich aber nicht?

Die Sonne.

Wo war meine Sonne?

Warum ließ sie mich so im Dunkeln zurück?

Interessierte sie sich nicht dafür, ob ich leuchten wollte?

Oder war mir selbst dieses Schicksal nicht vergönnt?

Es waren zu viele Fragen, die ich nicht beantworten und herausfinden konnte. Ich ließ sie einfach sein und gab mich dem Schlaf hin. Was sonst noch passierte, bekam ich nicht mehr mit, aber ich wusste, dass das Leben nicht mehr so sein würde wie vorher.

 

 

Kapitel 12

 

Der Strom der Schülermassen lief an mir vorbei, grüßte mich oder war in eine Unterhaltung vertieft, die den neusten Klatsch enthalten würde. Es war wie immer dieselben Dinge, doch mir kamen sie so vor, als würde ich erst jetzt bemerken, wie der Schultag so ablief.

Den Lehrern hatte ich mit einem selbstgeschriebenen Brief bescheid gegeben, dass ich starke Halsschmerzen hätte und nicht in der Lage war zu sprechen. Zu meinem Glück fragte sie die nächsten Wochen nie nach und ich verbrachte den Schultag wie immer. Nur Schweigend.

Die Schulglocke läutete und entließ uns Schüler vom Schulalltag. Ich hatte schon seit einer Schulstunde Schulschluss, doch ich fand einfach keinen Grund Nachhause zu fahren und so wartete ich einfach ab, bis die späteste Schulstunde endete, bevor ich mich auf den Schulhof traute. Das tat ich von nun an jeden Tag.

Lediglich ein einziger Wagen stand fahrbereit auf der gegenüberliegenden Straßenseite, während ich in langsamen Schritten den Schulhof durchquerte.

Der neue Fahrer wartete mit einem höflichen Lächeln vor der Tür und öffnete sie mir, sodass ich mich kaum bewegen musste, um einzusteigen. Mich anzuschnallen ließ ich sein, da ich seit Wochen etwas gegen den Sicherheitsgurt hatte und nur darauf wartete einen Autounfall mitzuerleben. Es war mir egal, was für Schmerzen ich dabei hinnehmen musste. Solange ich dabei starb waren mir alle Mitteln recht.

„Miss?“                              

Die Stimme von dem fremden Chauffeur ließen mich aufsehen und erst jetzt bemerkte ich, dass wir vor meinem Zuhause geparkt hatten. Sofort stieg ich aus und lief mit der Schultasche in der Hand  ins Haus, sobald Bruno sie mir geöffnet hatte. Wie immer wartete er auf mich, um mir dann die Sachen abzunehmen, aber ich ignorierte es und lief mit den Sachen in mein Zimmer.

Dort schälte ich mich aus den Schuhen und legte sie ordentlich in den Schuhschrank in meinem Ankleidezimmer. Die Schultasche fand ihren Platz am Schreibtisch, wo ich gleich darauf anfing die Hausaufgaben zu machen und den Rest des Tages damit verbrachte leer durch die Gegend zu starren. Das Zeichnen hatte ich aufgegeben, wie auch sonst irgendwo hinzugehen und beinahe auch das Essen. Selbst Brunos Ausdruck brachte mich nicht dazu mehr zu mir zuzunehmen, sodass ich mit jedem Tag immer mehr abnahm.

Das Haus war still.

Langsam gewöhnte ich mich daran, dass nichts mehr die Ruhe störte, wenn es nichts zu tun gab. Wenn ich nichts tat, dann konnten die Angestellten wohl kaum etwas für mich tun.

Mit ihnen hatte ich auch kein Wort ausgetauscht. Nicht mehr seit über zwei Monaten.

Am Anfang hatten sie versucht mich wieder zum Sprechen zu bringen, doch ich wollte nicht mehr. Kurz darauf hatte ich einen neuen Fahrer für mich eingestellt, der mich anstelle von Jack überall hinfuhr und keine Fragen stellte, wenn ich  keinen Ton von mir gab.

Die unbequeme Position erinnerte mich wieder an meine Rückenschmerzen, doch ich bewegte mich nicht vom Fleck, sondern starrte einfach nur aus dem Fenster.

Wenn ich mich einst für die Natur interessiert hatte, dann war es vorbei. Bei ihrem Anblick verspürte ich nur gähnende Leere und keinen einzigen Drang dazu, dieses Bild zu erweitern und mit meiner Fantasie zu vervollständigen.

Es klopfte an meiner Zimmertür und jemand trat ein.

„Das Abendessen steht bereit, Miss.“, informierte mich Bruno tonlos, als er mich auf dem Bett liegen sah.

Er würde sich sehr wahrscheinlich niemals an den Anblick gewöhnen, mich so leblos im Bett liegen zu sehen, aber das wollte ich gerade. Leblos sein.

Wenn ich schon nicht sterben konnte, dann sollte wenigstens mein ganzes Ich in sich zusammenfallen und nicht mehr existieren. Nach dem Tod hätte auch mein ganzes Wesen nicht  mehr etwas von sich geben können und ich tat ihm den Gefallen, indem ich die Tote war.

Meine Augen wanderten zur Decke.

Sie wirkte genauso kahl und farblos, wie ich im Inneren auch. Was für eine Ironie.

„Miss, Sie müssen etwas Essen.“

Da tauchte sie erneut auf. Brunos Stimme.

Sie drang jedesmal so lange zu mir hindurch, bis ich mit ihm ins Esszimmer lief und an dem leeren Tisch meine Mahlzeit zu mir nahm. Heute gab es frische Lasagne, so wie sie am liebsten hatte. Aber anstatt sie zu essen, stocherte ich mit der Gabel in ihr herum und trank lediglich aus meinem Glas Wasser.

Zu mehr hatte ich keine Lust, egal wie viel Mühe sich die Köche gaben, um mich zum Essen zu bewegen.

Die Uhr tickte leise in gleichmäßigen Abständen, während die Sonne unterging und das Zimmer mit Schwärze ausfüllte, als die letzten Strahlen hinter dem Horizont erloschen.

Bei mir war auch das Licht erloschen. Und nun herrschte in mir diese Schwärze, die sich mit jeder Nacht ein wenig mehr in meinem Körper verbreitete.

Stimmen sprachen leise heftig miteinander, doch ich achtete nicht auf sie. Ich stand einfach nur auf und öffnete die Haustür. Meine Beine trugen mir weiter weg, direkt zum Kirschblütenbaum, welcher schon längst seine Blätter verloren hatte.

Mein Körper lehnte sich gegen ihn, während ich es mir dort gemütlich machte und darauf wartete, dass erneut ein weiterer Tag begann.

Von überall hörte ich leise Tiergeräusche. Heuschrecken, Fliegen, Bienen, Vögel. Sie waren überall, obwohl ich sie nicht sah, so wie jede Nacht auch.

Der Uhu gab seine vertrauten Geräusche von sich, sodass ich mich leicht entspannte. Mir war bis vor einigen Wochen gar nicht aufgefallen, dass hier überhaupt einer lebte.

Schritte kamen näher.

„Miss, es ist Zeit ins Bett zu gehen.“, erinnerte mich Bruno. Wie jeden Abend ging er danach wieder ins Haus, während mir noch einige Minuten draußen an der frischen Luft vergönnt waren.

Meine müden Augenlieder erschwerten mir das Sehen, sodass ich ins Haus lief, um schlafen gehen zu können. Doch anstatt mich ins Bett zu legen, verbrachte ich einige Stunden damit am Laptop die Berichte über das Schicksal durchzulesen und mich zu fragen, was wohl meines war.

Das heiße Badewasser half mir auch nicht dabei, während ich darin wie jede Nacht auch darauf wartete bis meine Haut in sich zusammenschrumpfte und das Wasser kalt wurde. Das lange Nachtkleid aus schwarzer Seide fühlte sich nicht mehr so wunderbar an, wie einst. Es war für mich ein Stoff wie jeder andere geworden.

Die Uhr sagte mir, dass ich am Samstag ausschlafen konnte, wenn ich wolle, doch wie immer wusste ich, dass die Träume mich in wenigen Stunden aufwecken würden.

So wie jede Nacht auch.

Die Fenster ließ ich die ganze Nacht lang geöffnet, damit der sanfte Lufthauch über meinen Körper gleiten konnte. Es erinnerte mich daran, wie es sich angefühlt hatte, als ich vor der Schlucht stand. Dabei hatte ich doch nur endlich Ruhe haben wollen.

Anscheinend war mir selbst dies nicht vergönnt.

Blinzelnd schlug ich die Augen auf, als ich die Matratze quietschen hörte. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass eine Person neben mir saß und auf die Ziffern meiner Uhr starrte.

Weder wurde ich panisch, noch erschreckte ich mich oder gab einen Laut von mir, da ich das Gesicht erkannte.

Jack.

Es schien, als hätte er seinen Namen in meinem Kopf gehört, denn er sah mir mit einem Mal in die Augen. Sie betrachteten mich genauso still, wie ich die seine.

Er wusste genauso gut wie ich, warum ich nicht mehr redete oder mit irgendjemandem sprechen wollte. Er hatte mich einfach nicht sterben lassen.

Seine Finger strichen mir die Strähne aus dem Gesicht, die dorthin geweht wurde, als ein frischer Frühlingswind ins Zimmer strömte. Die Berührung hatte etwas Vertrautes.

Er ließ von mir ab und stand auf. Ich konnte hören, wie er das Fenster schloss und den Vorhang zur Seite schob, sodass mir ein Blick auf die Nächtlichen Sterne nicht erspart blieb.

Der Himmel gefiel mir seit Tagen nicht mehr, da er viel zu sehr Leuchtete, wenn ich hinaussah. Wenn es nicht die Sonne war, dann der Mond. Und wenn der sich nicht blicken ließ, dann tauchten die Sterne auf. Sie schienen mich zu verfolgen – die Lichter.

Schweigsam beobachtete ich Jack dabei, wie er seine Schuhe auszog und seine Jacke auf dem Stuhl neben meinem Bett ablegte. Mein Schaukelstuhl.

Es war lange her, seitdem ich ihn benutzt hatte.

Die Matratze senkte sich, als er sich neben mir legte und ebenso still durch die Gegend starrte, bis sich unsere Blicke trafen.

„Schlaf. Ich passe auf dich auf, Emma.“

Sein Flüstern erfüllte den Raum mit einem ehrlichen Versprechen und ich erwiderte weiterhin seinen Blick. Ohne auf meine Reaktion abzuwarten, zog er mich an sich und umschlag meinen Körper mit seinen Armen. Mein Herz klopfte etwas schneller, als mein Körper seine Brust berührte und dort auch nach einer Weile seine Ruhe fand, während ich ihm noch immer in die Augen starrte.

Unbewusst erwiderte ich seine Umarmung und schloss die Augen, während in mir sich das Gefühl ausbreitete wieder Zuhause angekommen zu sein.

Seit langem verfolgten mich keine schlimmen Träume mehr und dafür war ich ihm dankbar.

 

 

 

Kapitel 13

 

 

Grell leuchteten die Sonnenstrahlen ins Zimmer, sodass ich mich etwas im Halbschlaf regte. Eine Tür schloss sich leise, sodass ich beinahe geglaubt hatte, dass ich noch träumte, doch als all die Erinnerungen an die letzte Nacht mich überfielen, richtete ich mich sofort auf und sah zur Tür.

Leise Schritte waren zu vernehmen, welche die Treppe hinunter spazierten.

Er ist die ganze Nacht über geblieben.

Die Tatsache überraschte mich und machte mich gleichzeitig glücklich. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich gähnte leise. Die Uhr zeigte an, dass es Mittag war und das Essen bald serviert wurde. Schien ein langer Schlaf gewesen zu sein –  ein guter Schlaf wohlbemerkt.

Mein Spiegelbild – im Badezimmer – ließ mich für einige Sekunden verharren, als ich mich mit den angehobenen Mundwinkeln auffand. Ich hatte nicht erwartet mich so wieder in den nächsten Monaten aufzufinden. Um ehrlich zu sein , auch nicht in den nächsten Jahrzehnten oder Jahrhunderten - sollte ich so lange einsam und verlassen leben.

„Guten Morgen.“, grinsend betrat ich die Küche und drückte Bruno einen Kuss auf die Wange. Er verschluckte sich an seinem Tee, bekam aber wieder die Fassung, als ich ihn einige Rückenschläge verpasste, um Luft in die Lunge zu fördern.

Er begrüßte mich mit rotem Kopf zurück und sicherheitshalber reichte ich ihm ein Glas Wasser. Seit langem nahm ich wieder ein herzhaftes Frühstück in mich auf und genoss es einen gefüllten Magen zu haben. Noch nie hatte ich Bruno und die anderen Angestellten so glücklich gesehen, wie an diesem Tag. Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus, als mir dies bewusst wurde.

Zufrieden lief ich ins Wohnzimmer und zappte durch die Kanäle, während ich nach der Richtigen Sendung suchte und sie gespannt mit verfolgte. Lachend verfolgte ich die Serie King of Queens und holte mir während der Pause einige Früchte zum Essen.

Nun hieß es wieder meinen Körper mit Vitaminen und etwas Fruchtzucker zu beglücken. Nach einigen Stunden später und den verpassten Serien aus den damaligen Zeiten - wie Friends -, aß ich zu Abend und führte sogar ein Gespräch mit meinen Eltern, die seit langem mal mit mir am Tisch aßen.

„Alles in Ordnung mit dir, Prinzessin?“, hakte mein Vater nach, sobald wir beim Nachtisch angekommen waren und ich genoss es das Eis auf meiner Zunge zerschmelzen zu lassen.

„Ja. Es hat etwas gebraucht, aber jetzt bin ich wieder die Alte.“, winkte ich die Sache ab. Als mich plötzlich Stille umgab und meine Eltern die Blicke austauschten und nervös durch die Gegend sahen, räusperte sich mein Vater. Mit einem Mal fühlte ich, wie eine gefährliche Spannung in der Luft lag.

„Wir wollten dir es schon früher sagen, aber es hat sich kein günstiger Zeitpunkt dafür aufgefunden.“, begann er die Unterhaltung und gespannt wartete ich ab, was er zu sagen hatte.

„Versprich uns, dass du nicht wieder zur Stummen montierst und nicht ausrastest.“

„Erst wenn ich weiß worum es geht.“, forderte ich und sah zu meiner Mutter, die einen tiefen Schluck aus dem Glas nahm. Heute war es mal Wasser, was mich erst recht die Stirn runzeln ließ.

„Du erinnerst dich doch noch an deinen Zukünftigen?“

Obwohl ich bei seiner Antwort nickte, verspürte ich nach und nach die Farben in mir verschwinden.

„Was ist mit ihm?“

Meine Mutter legte ihre Hand beruhigend auf meine, doch es löste bei mir nur Verwirrung auf.

„James und du habt euch doch so gut verstanden, erinnerst du dich noch dran?“, ging er der Sache auf den Grund und ich erinnerte mich. Wir waren Freunde gewesen, bevor seine Mutter krank wurde und er in der Öffentlichkeit dafür sorgen musste, die Ruhe über den Tod seiner Mutter zu bewahren, während er bald zum König werden würde, wenn sein Vater den Thron an ihn weiterreichte.

„Ja natürlich, Vater. Er ist ein Kronprinz und mein zukünftiger Ehemann, da werde ich mich doch sehr wohl an ihn erinnern. Würdet ihr bitte zum Kernpunkt des Themas kommen?“

Meine Mutter verzog gequält das Gesicht, als sie die Worte meines Vaters abwartete und zur Sicherheit löste ich die Hand meiner Mutter von mir.

„Was ist los? Was wollt ihr mir sagen?“

„Er wird dich in wenigen Wochen fragen, ob du seine Frau werden möchtest. Die Hochzeit wird am Königspalast stattfinden.“, meinte er ganz Sachlich und bemerkte dabei nicht einmal, wie er auf den zusammengeflickten Glasscherben trat, bis eine von ihnen Splitterte.

„Warum jetzt? Ich nahm an, dass ich noch Zeit hätte auf die Universität zu gehen und eine Firma zu gründen.“

Wie tonlos doch mit einem Mal meine Worte waren.

„Ihr wurdet einander versprochen, Schatz, das weißt du doch. Außerdem, wolltest du nicht schon immer eine Prinzessin sein? In einem Schloss leben und von den Bediensteten verwöhnt und gesorgt werden? Um die Welt reisen und Kulturen kennenlernen?“

Mein Blick schellte zu meiner Mutter und ich konnte nicht fassen, was ich hörte. Das Gefühl mich gleich übergeben zu müssen war groß, doch ich hielt mich zurück.

„Das mit der ganzen freuen Zukunft war doch nur gelogen! Seit wann ist die Hochzeit bestimmt?“, verlangte ich zu wissen und erhielt keine Antwort.

„WANN?“, schrie ich und schmiss den Stuhl um, auf dem ich gerade noch gesessen hatte.

„Seit Simons Tod an. Als…wir befürchteten uns nicht mehr von seinem Tod erholen zu können und dich in guten Armen zu wissen. Aber…eine Ablehnung der Hochzeit ist unmöglich und kann nicht verhindert werden. Es tut mir leid, mein Kind. An deinem 18.Geburtstag wird es soweit sein. Er wird dich im Schloss vor der ganzen Familie fragen.“

Meine Beine trugen mich fort, während tausend Gedanken und Gefühle mich gleichzeitig durchströmten. Die Haustür flog zur Seite und ich lief über den Hof, an den Bäumen vorbei.

Es war unmöglich diese Hochzeit zu unterbinden, das wusste ich. Man konnte nicht einfach die Scheidung reichen, wenn man einem Prinzen versprochen wurde. Es war ein Gesetz, das nicht schlichte und einfach nicht gebrochen werden durfte.

Ansonsten wurde man von allen verstoßen, wenn man Glück hatte. Die Erinnerung an die letzte Frau, die dies getan hatte, war weder schön, noch hilfreich. Sie wurde von der eigenen Familie zum Henker gebracht. Obwohl dies vor einigen Jahrhunderten geschehen war, konnte man nie wissen. Der  Adel war noch immer aldmodisch, was Gesetzt anlangte. Zwar hatte ich sterben wollen, aber wenn, dann nicht auf diese Art und Weise.

„Jack!“

Er war gerade dabei einen Reifen auszuwechseln und beobachtete mich stirnrunzelnd, als er meine atemlose Stimme wahrnahm. Sein Oberkörper drehte sich zu mir um, während er in den Knien gerade die Schrauben am Wagen befestigte.

„Zeig mir das Leben. Sofort!“

Er stand auf und schnappte sich ein Tuch, um seine schmutzigen Hände zu säubern, doch es brachte wenig. Schlussendlich verteilte sich die schwarze Farbe auf der ganzen Hand oder aufm T-Shirt.

„Kein Grund zur Eile.“, meinte er belustigt, doch ich schüttelte hektisch den Kopf.

„Die habe ich aber, weil mir nicht mehr viel Zeit übrig bleibt.“

Nun sah er ernst drein und trat etwas näher, während ich mich gegen das geöffnete Garagentor lehnte und auf seine Erwiderung abwartete.

„Emma, wie oft soll ich es dir noch sagen: Ich werde nicht zulassen, dass du dir das Leben nimmst.“

Ich winkte die Sache weg.

„Das ist Schnee von gestern. Komm. Zeig mir die Stadt und alles, was ich verpasst habe, bevor ich keine Möglichkeit mehr dazu habe.“

„Würdest du mich bitte Aufklären?“, bat er mich und ich atmete tief durch, bevor ich ihm antwortete. Fest blickte ich ihm in die Augen und ballte unbemerkt die Hände zu Fäusten, als auch schon die Worte meinem Mund entwischen.

„Scheiße…es tut mir leid, aber ich kann es nicht. Es…ich werde bald heiraten.“

Die Worte kamen ruhiger heraus, als ich glaubte zu fühlen und kurz darauf hämmerte mir mein Blut durch die Venen, als ich Jacks düsteren Blick auffing, als er den Kopf zur Seite abwendete.

„In einigen Wochen wird er hier sein und mich zur Braut nehmen. Mein Vater hat mir damals die Verlobung arrangiert, das heißt, ich weiß von ihm…bescheid, aber wir hatten noch keine Zeit dazu. Er nimmt mich früher zur Ehefrau, als ich mir vorgestellt habe…und jetzt habe ich keine Zeit mehr.“, flüsterte ich, noch immer fassungslos und hob gleich darauf wieder den Blick, als ich ihn versehentlich gesenkt hatte.

„Mir bleibt keine Zeit mehr. Du musst mir helfen zu leben, bevor ich keine Möglichkeit mehr dazu habe es zu tun.“, bat ich ihn.

Er schwieg und wusste anscheinend nicht recht, was er dazu erwidern sollte.

„An wen wirst du versprochen?“, verlangte er zu wissen und ich sah ihn müde an.

„Das kann ich dir leider nicht sagen. Versteh mich nicht falsch, aber es ist mir Verboten darüber sprechen. Ich kann dir aber nur so viel sagen: Er ist verdammt reich, besitz viel Land und Gut, wir von jedem Menschen Respektiert. Jede Frau würde sich solch einen Ehemann wünschen, der ihr alles zu Füßen legt.“

Meine Stimme verriet mehr, als ich wollte. Die Worte verließen meinen Mund, als hätte ich Spinnen gegessen. Oder erneut die Zeiten durchlebt, an denen ich einfach nicht mehr leben wollte.

Dabei wollte ich nie eine Prinzessin oder gar Königin werden.

Meine Mutter rief mich energisch, genauso wie Bruno, sodass ich mich von Jack verabschiedete.

„Morgen, bitte. Gib mir eine Gelegenheit die Welt dort draußen zu erkunden - so wie ich sie noch nicht kenne.“, flehte ich ihn an und er nickte geistesabwesend. Dies war Antwort genug, sodass ich wieder zurück zum Haus lief und die Nächsten Stunden damit verbrachte die Mitteilung zu verarbeiten. Zur Sicherheit durchforstete ich die ganzen Internetseiten, um herauszufinden, ob es eine Lücke gab, um diese Hochzeit zu stoppen oder zu verlängern.

Es muss doch etwas geben.

Mein Atem stockte, als ich einen Bericht auffand.

Man schrieb darüber, dass bis vor einigen Jahren das Gesetz es noch erlaubte den Prinzen zu heiraten, aber nach einer Frist von 10 Jahren Ehe sich wieder scheiden zu lassen. Jedoch hatte ein Antrag des Königspalastes dies abgelehnt. Kein weiterer verriet mir jedoch, dass man die Verlobung oder Hochzeit aufschieben konnte.

All meine Hoffnungen verschwanden dahin und ich wusste, dass ich nie mehr Glücklich sein werden würde, sobald ich dem Prinz mein Ja-Wort gegeben hatte. All die kleinen Träume, etwas durch meine eigene Hand zu erschaffen, nur durch eisernen Willen, zerstreuten sich wie die Blüten einer Pusteblume.

Da half es nur noch, wenn ich das Leben lebte und es irgendwie schaffte kurz vor der Hochzeit zu verschwinden. Ansonsten könnte ich mich gleich umbringen.

Ich sah mir ein Bild nach dem anderen vom Kronprinzen an und konnte mir auf keinster Weise vorstellen mit diesem Mann glücklich zu werden.

Er sah nett aus, aber mehr nicht. Er hatte auf den Fotos nichts Anziehendes an sich, nichts, was mein Interesse auf sich erwecken ließ. Er war einfach nur ein Prinz, der sich seinem Volk so präsentierte, wie sie ihn auch haben wollten.

Unwillkürlich musste ich auflächeln.

Eine Gemeinsamkeit gibt es wohl doch.

Kapitel 14

 

„Das ist also das Innere der Stadt?“, verlangte ich zu wissen, während mein Körper sich weiter nach vorne beugte, um einen besseren Ausblick auf die große Bevölkerung zu haben. Überall sah ich Menschen laufen, mit dem Fahrrad fahren und sogar in einem Wagen, der einem Reisebus oder Wohnwagen ähnlich war, nur viel, viel Größer. Wie ich von Jack erfuhr war es ein Lastkraftwagen für die Baustelle. Kurz: Ein Lkw.

„Ja, ist es. Hier versammeln sich die Leute zum Einkaufen und Zeitvertrieb, für Verabredungen. Vor allem die Geschäfte in den Straßen werden dich beeindrucken. Dort drüben ist ein beliebtes Kino.“

Stirnrunzelnd starrte ich auf das große Gebäude mit den Leinwänden, die die kommenden Filme präsentierten. Eine ganze Meute von Menschen hatte sich vor den Gebäuden versammelt.

„Und da schauen die einen Film? Miteinander?“ Entsetz sah ich zu ihm und er nickte amüsiert, während er im Kreisel abbog.

„Es ist harmloser als es aussieht, denn es gibt mehrere Saalräume. In jedem ist eine große Leinwand und Platz für mehrere Hundert Menschen, die gemeinsam den Film ansehen. Später können wir uns einen Film ansehen, aber zuerst ist es wichtig, dass wir dich in das Alltägliche Leben normaler Bürger einführen.“, erklärte er und ich nickte. Leichte Aufregung machte sich in mir breit.

Ein erschrockener Laut verließ meinen Mund, während ich mit aufgerissenen Augen und offenem Mund schockiert auf das Teil sah, welches mir regelrecht den Atem wegnahm. Ein Wagen auf Schienen raste weiter weg über den Köpfen der Menschen vorbei und keinen schien es zu stören.

„Da…was ist das…das da gewesen?“

Das Auto hielt ruckartig an. Zu unserem Glück war hinter uns langsamer Verkehr, sodass niemand bemerkt hatte, wie Jack aus reiner Reaktion heraus auf die Bremse getreten hatte.

„Du hast noch nie eine Achterbahn gesehen? Einen Freizeitpark?“

Sofort schüttelte ich verunsichert den Kopf und wandte den Blick ab.

„Was ist das genau?“, sprudelte es leise aus mir heraus, bevor ich meinen Mund davon abhalten konnte erneut aufzuklappen, als ich ein Riesenrad sah.

Bisher hatte ich nur in einem Prospekt aus England darüber gelesen, dass es dort einen gab, aber ich hatte selber noch nie einen bestiegen. Leider hatte ich nie die Möglichkeit gehabt einen auszuprobieren.

„Ein Ort, wo der Spaß an erster Stelle steht.“

„Wie bitte!? Da sind doch kleine Kinder…“

Entrüstet beobachtete ich meinen Chauffeur dabei, wie er sich vor lauter lachen nicht mehr zusammenreisen konnte.

Hab ich was Falsches gesagt?

„Hierbei geht es nicht um…“

Erneut musste er lachen und räusperte sich kurz entschuldigend.

„Das ist ein Ort, wo man verschiedene Spiele ausprobiert. Es gibt Wasserrutschen, Autoskooter, Zuckerwatte, Geisterhäuser und noch vieles Mehr. Das ist ein Freizeitpark für Touristen und Bewohner der Stadt. Lediglich im Winter schließen die, aber ansonsten ist hier immer etwas los. Morgen oder später am Abend kannst du ja gerne mal etwas ausprobieren. Hier geht man gerne mit Freunden oder dem Partner hin, auch mt der Familie, aber das trifft mehr zu den kleinen Kindern zu.“

Der Freizeitpark verschwandt von meinem Blickfeld und stattdessen fuhr er in ein Gebäude und nahm ein Ticket vom Schalter, bevor er weiterfahren konnte. Der Grund war eine Stange, die sich anscheinend erst hob, wenn er das Ticket genommen hatte.

Ziemlich überrascht über all die Autos, die sich unter dem Haus versammelten, wartete ich lieber ab, bis Jack parkte, bevor ich weitere Fragen stellen konnte.

„Was ist das für ein Gebäude und warum sind hier so viele Autos?“

Sein Blick musterte mich einige Sekunden lang, bevor er sich über die Haare fuhr.

„Hast du überhaupt jemals im Leben etwas gesehen?“, verlangte er zu wissen und ich zuckte nur mit der Schulter.

„Was ich sehe ist das Geschäft, mein Zuhause und die Veranstaltungen. Der Rest würde nur ablenken, denke ich. Also, was ist das für ein Gebäude?“, ließ ich nicht los und stieg aus, als er mir die Tür aufhielt.

„Ein Parkhaus. Dieses Ticket hier erlaubt uns mit Gebühren hier zu parken, ganz ohne, dass wir eine Strafzettel aufgeklebt bekommen. Das Erspart mir die Nerven.“, gab er zu und ich musste schmunzeln. 

„Musst ja ein hartes Leben haben.“, kommentierte ich belustigt und mit einem Hauch Sarkasmus.

„Das einzige Mal, dass ich etwas von der Stadt gesehen habe, sind die Graffitis von Straßenkünstlern gewesen. Kunst scheint viele zu verbinden, denn ich habe einige Schüler an meiner Schule kennengelernt,  die das ziemlich beeindruckend fanden, aber solch etwas nicht machen dürfen, da die Eltern von solch etwas nichts hielten. Jetzt hat jeder seinen Platz an der Schulmauer und darf darauf sprühen, wonach ihm Lust ist.“, fing ich an zu erzählen und lief einige Treppenstufen hinauf, auf die Jack deutete.

„Mein bestes Projekt überhaupt.“, gab ich zu und nickte einem alten Herren freundlich zu, der mir einen guten Tag wünschte.

„Dann muss ich mir ja unbedingt deine Mauer ansehen.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Bei mir ist noch nichts drauf. Mir fehlen dafür die Zeit und Ideen. Außerdem würde ich ohnehin richtige Farbe benutzen und keine Spraydosen. Die Farbe möchte ich nicht auf meinen Händen kleben haben.“

Er seufzte.

„Gerade jetzt würde ich dich am liebsten dorthin entführen, wo man einfach nur schmutzig werden kann. Emma, ein Mensch braucht Schmutz. Als Kind haben wir doch alle im Sandkasten getobt und im Regen fangen gespielt, da ist es nur ganz normal, dass es uns nichts ausmacht, wenn wir mit ein wenig Farbe bekleckert sind.“, meinte er, doch ich wiedersprach ihm.

„Das habe ich als Kind nie gemacht. Meine Mutter hat mich Zuhause aufbewahrt, während eine Frau mir dabei half das Lesen und Schreiben zu lernen oder sich um mich gekümmert hat. Bis vor einigen Jahren wusste ich nicht einmal, dass ein Kindergarten gibt oder Spielplätze. Außerdem hat meine Mutter nie Schmutz an unserer Kleidung und im Haus geduldet. Ich scheine wohl doch keinen Schmutz zu gebrauchen, was?“

Seine Antwort daraufhin bekam ich nicht mehr mit, da ich von einem Strom von Menschen umfasst wurde und unbewusst mit ihnen auf die andere Straßenseite lief. Panik stieg in mir auf, als ich einen Mann mit befleckter Kleidung auf mich zulaufen sah und trat einige Schritte zurück. Ich stieß versehentlich gegen Jack, der anscheinend die ganze Zeit über dicht hinter mir geblieben war.

Wir schlenderten über die Straßen, dabei war ich froh, dass mir Jack geraten hatte einfache Kleidung zu tragen, denn hier sah es nicht so aus, als wäre hier sonst wer wirklich reich. Viel mehr kam es mir so vor, als würde zwischen den Fußgängern und Bewohnern eine eigene Sprache existieren, die ich nicht verstand.

Von überall schrie man, dass es dort die besten Produkte gab und vieles mehr, aber ich ließ mich nicht beirren und lief hinter Jack her.

Die große Menge an fremden Menschen, die nichts mit mir gemein hatte, machte mir Angst. Andauernd glaubte ich, dass jemand mich nach etwas fragen wolle, ich der Person aber nicht weiterhelfen könnte, da ich nicht verstand, was er meinte. Schließlich kannte jemand wie ich erst seit dem heutigen Tage ein Parkhaus und den Freizeitpark. Die weiteren Entdeckungsreisen fühlten sich an wie ein Sprung ins kalte Wasser.

„Stopp.“

Jack hielt an und sah mich fragend an. Schnell trat ich an seine Seite und hakte mich bei ihm unter. Er sagte nichts dazu, aber ein Gefühl verriet mir, dass er wusste, wie ich mich fühlte.

„Wohin wollen wir eigentlich gehen?“, fragte ich ihn, während wir uns wieder in Bewegung setzten und ich einige Male in der Luft schnuppern musste, um die verschiedenen, aber gut riechenden Düfte aufzunehmen.

„Mich interessiert eine Sache schon seit längerem. Warum kellnerst du eigentlich?“

„Ganz ehrlich: Vor allem für mich und das Geschäft. Meine Noten und Auszeichnungen werden die Menschen beeindrucken, aber wenn sie erst einmal schwarz auf weiß habe, dass ich auch schon für längere Zeit gearbeitet habe, wird es sie begeistern. Sie werden Achtung haben und mich respektieren. Das Problem heutzutage ist, dass man sich beweisen muss, je größer desto besser. Ich suche nach den unscheinbaren kleinen Dingen, löse ihre Probleme und starte ein Projekt oder eine Organisation dafür. Mir ist aufgefallen, dass solche Dinge die Menschen mehr beeindrucken, wenn man einen hohen Stand hat und sich auch für unwichtige Dinge Interessiert. Damit tue ich nur den Menschen etwas Gutes, sondern habe es auch geschafft einen Schritt weiter zu kommen, während andere Erben zwei zurück weichen.“, gab ich zu und lächelte ihn siegessicher an.

„Außerdem hält es doch keiner bei mir Zuhause aus, ohne dass die Wände einem näher rücken, wenn man nichts tut.“, verwarf ich die Sache und sah mich begeistert um.

Es gefiel mir vor allem, wie ordentlich hier alles gehalten wurde, auch wenn einiges an Müll auf dem Boden lag. Jedoch nahm ich an, dass dies etwas Natürliches in solch einer Gegend war. Zumindest waren es nicht dieselben Gebäude wie auf meiner Staße oder überhaupt in meinem Vorort.

„Dort vorne.“

„Hm?“

Er deutete auf einen Laden, der getrocknete Pflanzen anbot.

„Wir brauchen frischen Tee.“

Auch wenn ich es niemals zugeben würde, aber es überforderte mich ein wenig in einen Laden zu gehen und zuzusehen, wie die Menschen miteinander sprachen und umgingen.

Wenn ich etwas besorgen wollte, dann bekam ich meist alles sofort. Wenn ich aber selbst auf die Suche ging, dann standen mir alle Hände bereit zu helfen und die Sachen zu tragen.

„Hier ist es also normal Einkäufe herumzutragen?“

Gerade saßen wir bei einem Lokal, der unser Essen zubereitete und hob die Tüten, damit er verstand, was ich meinte. Wir hatten einige Lebensmittel in einem überfüllten Supermarkt gekauft. Der erste, den ich je betreten hatte.

Er nickte und verfolgte den herumfliegenden Flyer nachdenklich.

„Nicht jeder hat einen Chauffeur oder Butler. Manche verfügen nicht einmal über ein Auto oder Fahrrad. Außerdem ist es viel schöner, wenn man zu Fuß spazieren geht.“

„Stimmt.“, fiel mir auf und ich konnte nicht anders, als faszinier die Menschen zu beobachteten.

„Warum kennst du solche Freizeitparks nicht? Gab es keinen Moment, als du mit jemandem irgendwohin gegangen bist, um das Leben zu genießen.“

Seine Frage verblüffte mich und ich wusste nicht ganz, was ich darauf antworten sollte.

„Als Kind war es wichtig sich erst einmal an das Klima im Haus zu gewöhnen, die Wüsche der anderen in den Augen abzulesen. Nach Simons Unfall, nun ja, da habe ich erst recht nicht daran gedacht etwas für mich zu tun und hatte es erst auch gar nicht vor. Vor rund vier Jahren bekam ich einen Zettel in die Hand gedrückt. Es war ein Ausschnitt eines Berichtes. Darin schrieben sie, wie tragisch doch das Leben der Familie Jones sei. Und einfach, weil ich solch etwas nicht mehr hören und lesen wollte, entschied ich mich dazu mich so zu präsentieren, wie man mich haben wollte. Meine Noten wurden besser, ich lernte mehr über die Wirtschaft und über das Geschäft. Nach einigen Praktiken und Veranstaltungen räumte ich die ersten Preise ab, fing an mich mehr für Projekte zu interessieren. Mir blieb zwar viel Freizeit, aber ich beschäftigte mich um andere Dinge, da ich nie gelernt habe solch etwas zu tun.“

Mit einer Handbewegung deutete ich auf den Ort.

„Aber wenn ich jetzt auf die Leute hier sehe frage ich mich ernsthaft, warum ich mich nicht schon früher hinaus gewagt habe. Irgendwie total anders, aber ich mag es. Solche Düfte würde man nirgend in einem berühmten Restaurant finden. Oder die Art der Kommunikation. Es ist verblüffend. Die Menschen unterhalten sich hier wirklich, dabei dachte ich immer, dass in den Büchern etwas Unwahres steht, weil ich es nie miterlebt habe.“

Räuspernd trank ich einen kleinen Schluck aus meinem Glas.

Mir wurde mit einem Mal das Essen von einer Kellnerin serviert und ich starrte hilflos auf meinen Teller.

„Es gibt auch andere Sachen außer Hamburger und Pommes.“

Überrascht sah ich auf meine Teller. Bei der Wahl des Essens hatte ich ihm die freie Hand gelassen und musterte es genauestens.

„Das ist das bekannte Fast Foot?“

Jacks Blick war nicht zu identifizieren und langsam kam ich mir wie der reinste Idiot vor. Es war eine dumme Idee gewesen überhaupt in die Stadt zu kommen und Unbekanntes Essen zu erkundigen.

„Dein erster?“

„Mein erster.“, bestätigte ich seine Zweifel und musste kichern. Er war so freundlich und machte es mir mit seinem Hamburger vor, wie ich ihn zu essen hatte. Zwar war ich ziemlich amüsiert von dem Anblick, dass er Ketschup im Gesicht hatte, doch traute mich so gar nicht von meinem zu probieren.

„Trau dich.“

Jack sah gespannt dabei zu, wie ich zögernd den Hamburger in die Hand nahm und einen kleinen Bissen davon probierte. Kauend versuchte ich nicht die Miene zu verziehen, während er mich beobachtete, als sei ich ein großes Experiment. Was nicht ganz so falsch war. Schließlich war jede Sache für mich neu, wie kurz darauf die Pommes.

„Und die bestehen wirklich aus frittierten Kartoffeln?“, versicherte ich mich, sobald ich meinen Hamburger weggelegt hatte, der besser schmeckte als erwartet.

„Ja, das tun sie. Du kannst sie mit Ketchup oder Curry essen. Spritz dir einfach etwas neben den Teller oder über die Pommes und probier es.“

„Und wenn ich kein Ketchup oder Curry mag? Jedenfalls nicht so sehr? Dann ist es doch möglich sie ganz normal zu essen, oder?“

„Du kannst sie essen, wie du möchtest.“, pflegte er ruhig zu sagen bei und beobachtete mich ziemlich neugierig. Selbst sein Körper hatte sich etwas nach vorne gebeugt und seine Ellenbogen stützten sich an der Tischkante ab.

„Dir macht das Spaß, oder? Dass ich hier wie ein Versuchskaninchen sitzen.“

Ertappt grinste er.

„Wem würde dies denn nicht Spaß machen?“, fragte er rein rhetorisch und in diesem Moment könnte ich ihn verfluchen. Doch ich tat es nicht und nahm mir mit der Gabel ein Stück Pommes, schnitt sie Mundgerecht zu und wollte sie mir in den Mund nehmen, als Jack laut vor sich hin fluchte.

Überrascht und schockiert darüber, dass es solche Flüche kannte und ich nicht, und dass er mich ungläubig anstarrte, senkte ich die Gabel und sah ihn unsicher an.

„Hab ich etwas falsch gemacht?“

Es sah so aus, als hätte er Kopfschmerzen und müsste gleichzeitig schmunzeln. Dann lehnte er sich vor, die Arme parallel auf dem Tisch abgestützt und nahm mir mein Besteck weg. Verwirrt beobachtete ich ihn dabei, wie er sie auf seine Tischseite legte.

„Und jetzt iss bitte ganz normal. Mit den Händen.“

Es schien mir geradezu so, als ob er noch seine Fassung aufbewahren müsste, um nicht gleich zu meinem Zuhause zu rennen und meine Eltern eine Lektion zu erteilen, warum sie mich nicht schon eher hier her gebracht hatten.

Unsicher starrte ich auf meine Pommes und griff zögernd nach einer. Bevor ich sie in den Mund schob, sah ich zu Jack, der mich erwartungsvoll ansah und biss drauf.

Der Geschmack gefiel mir, vor allem das ganze Salz darüber.

Kurz verzog ich das Gesicht, als mir eine besonders saure Stelle den Rachen hinunter wanderte. Schnell trank ich etwas aus meinem Glas, schluckte das Salzige Etwas weg und kniff leicht die Augen zusammen.

„Die sind echt sauer.“, brachte ich tonlos hervor und räusperte mich. Mit dem Finger deutete ich auf die Pommes und wandte mich lieber an meinen Hamburger zu. Überrascht bemerkte ich, dass ich weinte, als etwas Nasses auf meine Wange fiel. Stirnrunzelnd wischte ich sie weg. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich weinte.

Doch als immer mehr Tränen auf meinem Gesicht fielen, hob ich den Kopf hoch und entdeckte über mir eine riesengroße, graue Wolke, die über uns von sich ein Brummen gab.

Obwohl sich alle Passanten unter den Dächern versteckten oder gar flüchteten, blieb ich im Regen sitzen und starrte weiterhin hinauf.

Du wirst mir nicht meinen Tag vermiesen. Ich habe noch so vieles zu lernen und zu sehen, solange ich noch Zeit habe. Bitte.

Als hätte die riesengroße Wolke auf meine Bitte gehört, verstummte das Gewitter von dort oben und ich durfte dabei zusehen, wie sie sich langsam auflöste und weiterzog.

Ein Blick auf mir hinunter reichte aus, um noch einmal wütend auf den Himmel zu starren und meine triefend nassen Haare hinter die Ohre zu schrieben, während meine ganze Kleidung an mir Klebte. Das Essen konnte ich vergessen. Seufzend sah ich zu Jack, der aufgestanden und unters Dach gegangen war. Sein Grinsen war einerseits fies und andererseits ließ es selbst meine Mundwinkel heben, als ich aufstand und mich zu ihm gesellte.

„Und was sollte mir diese Erfahrung beibringen?“, fragte ich ihn und drückte das ganze Wasser aus meinen Haaren heraus.

„Nun ja, dass jeder deinen BH sehen kann. Hübsch, gefällt mir.“, gab er schmunzelnd von sich und lief ins Lokal. Mit hochrotem Kopf senkte ich den Blick und bemerkte erst jetzt, dass man meinen schwarz-blauen Spitzen-BH hindurch sehen konnte, da ich den Fehler gemacht hatte ein einfaches weißes Top anzuziehen. Die Jeans sah auch nicht besser aus und ich zupfte an meiner Kleidung herum, um etwas Ordnung zu finden, doch es war unmöglich. In meiner Tasche suchte ich nach meiner Ersatzkleidung, die ich immer einpackte, doch fand sie nicht auf. Da fiel mir, dass ich heute beschlossen hatte sie nicht mitzunehmen. Wie dumm von mir.

Mit verschränkten Armen betrat ich das Lokal und wartete auf Jack, der gerade die Rechnung bezahlte. Also gesellte ich mich zu ihm und starrte auf die Kasse, bis mir der Kassierer auffiel, der meinem Chauffeur den Kassenbon überreichte.

„Hallo, mein Name ist Emma. Ich bin zum ersten Mal hier und habe ihre Pommes probiert. Ich würde Ihnen und der Küche raten, dass sie viel weniger darauf tun oder das Salz in Tüten verpacken sollten, damit man sich aussuchen kann, in welcher Menge man Salz auf seiner Pommes haben möchte.“, riet ich ihm und sofort nickte er und lief rot an.

„O…Okay.“

Begeistert hoben sich meine Mundwinkel und ich strahlte den Kassierer an. Seine Augen waren beinahe in einem goldenen Ton, was ich persönlich sehr faszinierend fand.

Jack zerrte mich aus dem Laden, sodass ich Mühe hatte ihm zu folgen.

„Was soll das, Jack?“

Er blieb stehen und sah mich fassungslos an.

„Was sollte DAS werden?“, fragte er und deutete in das Lokal hinein. Er meinte den Kassierer.

„Ich habe ihm doch nur einen Tipp gegeben.“, setzte ich mich leise zur Wehr, doch ich hörte mich nur wie ein kleines Kind an. Wobei ich nicht wirklich sagen konnte, wie sich ein kleines Kind anhörte.

„Dir ist doch wohl bewusst, wie du auf Männer wirkst, wenn du einen so anlächelst.“

„Wie wirke ich denn auf Männer, wenn ich so lächele?“

Interessiert trat ich einen Schritt vor und musterte ihn genauestens.

„Probier es vorm Spiegel aus und du wirst es wissen.“, meinte er nur und lächelte mich plötzlich an.

„Außerdem ist sich doch eine Frau wie du doch ganz bewusst, wie sie ihre Reize zeigen muss, um das zu bekommen, was sie möchte. Beim letzten Einkauf hattest du kein Problem damit die Männer in deine Finger einzuwickeln.“

Er lief weiter und steuerte auf die grün geschaltete Ampel zu, während ich mich ein wenig entblößt fühlte. Langsam nervte es, dass er mehr über mich herausfand, als ich über ihn.

Dann wird es wohl mal wieder Zeit etwas aus ihm herauszubekommen. Irgendein Geheimnis wird er doch haben, welches er vor allen schützt.

Auf der anderen Straßenseite hielt ich ihn auf.

„Jack, ich brauche frische Kleidungen. Außerdem will ich morgen nicht total erschöpft im Bett herumliegen, weil ich mir eine Erkältung geholt habe.“

Er brachte mich zu einem Geschäft, wo ich Kleidungen fand, die unter dem Preiswert meines nassen Tops waren und nur darauf warteten von hier hinaus zu kommen. Ich schob ein Kleidungsstück nach dem anderen Beiseite, welches ich auffand und suchte weiter. Es gab nicht wirklich etwas in meiner Größe und wenn, dann war es nicht hübsch oder zwickte am ganzen Körper.

Frustriert suchte ich weiter, doch fand nicht wirklich was.

Enttäuscht lief ich zu Jack zurück, der sich gerade von der Verkäuferin beraten ließ und ihr aufmerksam zuhörte, während er ein Kleidungsstück nach dem anderen zur Seite schob.

Dieses Bild, welches er und die Frau abgaben, ließen in mir ein klein wenig Neid erklimmen, den ich nicht einmal ignorieren wollte.

Ich passte einfach nicht in diese Welt, trug auch nicht solche Kleider, aß nicht dasselbe und auch mit der Kommunikation stand ich mit ihnen nicht auf derselben Wellenlänge.

Ich gehörte nicht hier her und dennoch wünschte ich es mir von ganzem Herzen.

Kapitel 15

 

Es klopfte am Schaufenster, sodass ich mich umdrehte und Sandra hindurch erkennte, die mir freudig zuwinkte, sodass ich überrascht diese Geste erwiderte.

Die Tür klingelte, als sie eintrat und mich begrüßte.

„Hallo, Emma. Schön dich zu sehen. Wie geht es dir?“

„Gut, vielen Dank. Und dir?“

Sie verdrehte theatralisch die Augen und zog eine leichte Grimasse, als sie auf ihre Einkäufe deutete.

„Ich bekomme einfach nicht genug von den Sachen hier. Es ist schon das dritte Mal in dieser Woche, dass ich hier so beladen eingekauft habe. Langsam werde ich wohl süchtig.“, gab sie zu und seufzte.

„Was tust du denn eigentlich hier? Versteh mich nicht falsch, aber ich hätte dich hier niemals erwartet. Entschuldige, es geht mich bestimmt nichts an.“

Sie sah verlegen zur Seite, doch ich schüttelte den Kopf.

„Keine Sorge, es ist in Ordnung wenn du fragst. Jack möchte mir beibringen wie das Stadtleben so ist, weswegen ich heute zum ersten Mal in der Stadt bin. Zwar ist es ziemlich ungewohnt, aber ich gebe mein bestes. Vor allem der Hamburger hat es mir angetan.“

Sprachlos sah sie mich an und immer wieder versuchte sie etwas zu sagen, doch kein Laut ertönte hervor.

„Wow.“, schaffte sie es noch und ihre Körperhaltung würde entspannter. Nun konnte ich nicht anders, als hinter versteckter Hand Lachen zu müssen. Grinsend sah mich Sandra an und schüttelte ebenso belustigt den Kopf.

„Tut mir leid, aber so sieht man dich nicht alle Tage. Ich hatte viel ehr erwartet, dass du dein Lebensstil nicht aufgeben wirst.“, meinte sie ehrlich und ich gab ihr insgeheim recht.

„Ich ebenso wenig. Aber um ehrlich zu sein, fühle ich mich immer unwohler. Das ist wie eine andere Welt für mich. Ich meine, die Leute hier benehmen sich so anders, wie ich es gewohnt bin. Und sie reden so nett miteinander, als wären sie gute Bekannte und nicht fremde.“

Sie musste plötzlich Kichern, sodass ich sie nur noch verwundert ansehen konnte.

„Tut mir leid, aber du sprichst mir aus der Seele. Wenn du wüsstest, dass mir diese Welt bis vor einigen Jahren genauso fremd gewesen ist, hättest du nicht so verwundert reagiert. Also, was tust du denn hier?“

Sie sah sich im Geschäft um und nahm ein Kleidungsstück in die Hand, um es zu begutachten.

„Meine Kleider sind nass und ich brauche frische Kleidung, doch irgendwie lässt sich kein Ersatz finden. Überhaupt ist dieses Geschäft nicht nach mein Geschmack.“

Sie hielt ein Kleid vor sich und betrachtete es im Spiegel.

„Sind doch recht hübsch. Vor allem das Kleid hier.“

Sofort schüttelte ich den Kopf, eilte zum Ende des Geschäftes und nahm den Einteiler heraus, welchen ich kurz davor entdeckt hatte.

„Das Kleid passt nicht zu deinem Aussehen. Das hier ist besser. Vertrau mir.“, riet ich ihr und hielt es ihr hin. Sie betrachtete zunächst mich eingehend, dann den Einteiler.

„Ich muss zugeben, dass er ziemlich gutaussieht.“

„Er passt zu deinen Augen. Für die Arme könntest du goldenen Schmuck verwenden und hellbraune High Heels tragen. Die Haare solltest du entweder zu einem Zopf flechten oder zu einem Dutt zusammenbinden. Es würde dir dann gut stehen und sehr gelegen für offene Veranstaltungen sein. Vielleicht solltest du dazu einen Gürtel tragen, der deine Taille betonen würde.“

„Kannst du es mir garantieren?“

„Ansonsten hätte ich dir das Kleid empfohlen.“

„Nun, dann werde ich es wohl kaufen. Danke sehr.“

„Habe ich gerne getan. Bis du öfters hier in der Stadt?“

Neugierig beugte ich mich leicht vor.

„Ja, bin ich. Meine Freundinnen und ich haben in der Nähe ein Café entdeckt, der mir den besten Latte Macchiato zubereitet, den ich je in meinem Leben probiert habe. Du solltest irgendwann mitkommen, wenn du für uns Zeit freischeffeln kannst.“

„Emma, ich habe dir einige Kleider in die Umkleide bringen lassen.“, sagte Jack, ehe ich auf Sandras Angebot etwas erwidern konnte. Ich drehte mich zu Jack um, der auf uns zukam und Sandra genauestens musterte, als versuche er sich an ihr Gesicht zu erinnern.

„Sandra, das ist Jack mein Chauffeur. Jack, das ist Sandra Meyer. Sie ist eine gute Schulkameradin und die Tochter von John Meyer, dem Filialleiter der Firma Meyer GmbH.“, stellte ich sie einander vor und sie schüttelten sich die Hand.

„Lange her, seitdem wir uns das letzte Mal getroffen haben, …Jack.“

„Wie klein unsere Welt doch ist, Sandra. Wie geht es deiner Familie?“, erkundigte er sich, sodass ich nicht umhin kam die beiden Fragend anzusehen und den Blick immer wieder zwischen den beiden huschen ließ.

„Es geht uns immer gut, auch wenn es in letzter Zeit ein wenig hektisch ist. Wir haben letzte Woche erst einen großen Exportschlager hat, weswegen Dad ein wenig in Stress ist. Sie sind gerade dabei ein Produkt zu entwickeln, welches die Möglichkeit hat eine Wunde von selbst nach fünf Minuten zu verschließen, da steht man eben unter Druck. Aber wie geht es dir? Deiner Familie? Hab euch schon seit längerem nicht mehr beisammen gesehen.“

Um ehrlich zu sein, verstand ich die Welt nicht mehr, weswegen ich ein wenig froh war, dass mich die Beraterin in die Umkleide rief, sodass ich mich nicht die ganze Zeit fragen musste, woher die beiden sich kannten.

Gut möglich wäre es, dass sich die beiden Familien kannten, aber dass Sandra gleich über solche Informationen in aller Öffentlichkeit sprach, bewies mir nur, dass die beiden sich schon seit längerem gut kannten. Zudem war es ein wenig merkwürdig, dass ein einfacher Mann wie Jack und ein Mädchen wie Sandra sich des Öfteren begegnet waren.

Da ich nicht weiterhin über Dinge grübeln wollte, die mich ohnehin nichts angingen, zog ich einfach die nächstbeste Kleidung an und ließ mir von der Beraterin dabei helfen die Knöpfe an meinem Rücken zuzuknöpfen, bevor ich sie wieder hinausschickte.

Ein einfaches Spitzentop, mit etwas Wolle und Knöpfen auf dem Rücken, die elegant wirken sollten. Doch je länger ich das Kleid im Spiegel betrachtete, umso mehr zweifelte ich an Jacks Modischem Geschmack. Das Oberteil war schlicht und einfach hässlich.

„War ja klar, dass er keine Ahnung hat.“, murmelte ich vor mich hin und suchte aus dem Kleiderstapel etwas zusammen, was auch nur ansatzweise normal aussah. Oder viel eher normal für mich.

Kein einziges. Kein einziges Kleidungsstück war normal. Oder hübsch – geschweige denn anziehbar.

„Wir sehen uns in der Schule, Emma. Bis bald und danke nochmals.“, rief Sandra durch das Geschäft, was ich schnell erwiderte und sie verabschiedete. Nach einer Weile suchte ich meine Kleidungen zusammen, zog mich wieder um und verließ die ziemlich kleine, bedrückende Umkleidekabine, die nur von einem Vorhang getrennt wurde. Dieser Laden hatte anscheinend noch nie etwas von Aufklapptüren gehört.

„Möchtest du alle Kleider kaufen?“, hakte Jack nach, der gerade von einem Zettel aufsah und den Stapel argwöhnisch betrachtete. Gereizt und verärgert über die verschwendete Zeit in einem Laden, dessen bester Artikel bei einem Kleid von 120 Euro lag. Ich fühlte mich verarscht.

„Dein Modegeschmack ist …ähm, ohne es verletzend auszudrücken…so schlimm, dass ich mit dem Gedanken spiele diesen Stapel in Feuer zu setzten.“

Er sah mich ratlos an.

„Es ist eine Katastrophe, was du rausgesucht hast. Ich gehe Nachhause, das ist doch einer verdammt schlechter Witz. Und ich habe mich auch noch überreden lassen,…“

Während ich vor mir her fluchte, um seine Auswahl zu beleidigen, hängte ich die Kleider an den nächstbesten Kleiderstand und verließ den Laden, nachdem ich der Kassiererin geraten hatte einige neue Kollektionen ins Haus zu bringen. Zusätzlich lagen nun einige Hundert Dollar Scheine auf dem Tresen, damit sie die Kunden wenigstens ein wenig Glücklich machte und nicht mit solch einem Haufen, der schlimmer aussah, als der dreckigste Kartoffelsack.

Ob ich heute oder morgen eine Erkältung bekommen würde, war mir egal, alles was ich wollte, war diesem Laden den Rücken zuzukehren und etwas anderes zum Ablenken zu finden.

Jack folgte mir schweigend – glaubte ich zumindest.

Ein Blick nach hinten, und ich fand ihn vor einem Geschäft auf, wo er eine Jacke nach der anderen wegschob. Er nahm eine heraus, lief mit ihr in den Laden hinein und verschwand dort für eine Weile. Obwohl ich keine Lust hatte auf ihn zu warten und hier zu frieren, da die Sonne sich hinter den Wolken verbarg, sowie der Wind um mich herum wehte, als sei dieser eben erst zum Leben erwacht, blieb ich stehen und lehnte mich gegen eine kühle Hauswand. Nach und nach spürte ich einen Abdruck an meinem Arm, welcher Rot wurde, sodass ich in Sorge um meine Haut kam und wieder gerade aufrecht stand. Immer wieder fuhr ich über die rote Stelle, bis ich befürchtete Blasen oder Entzündungen zu sehen.

Vielleicht war an der Stelle Schimmel, gefährliche Bakterien – die mein Immunsystem nicht bekämpfen konnte, Tiere, die sich nach und nach durch meine Haut fres…

„Was tust du denn da? Dein Arm ist ja beinahe schon aufgekratzt.“

Er meinte die Spure, die ich beim wegwischen und wegreiben verursacht hatte.

„Mein Arm ist plötzlich rot geworden, als ich mich gegen die Hauswand gelehnt habe. Es könnte sein, dass es sich entzündet, mein Arm abgetrennt werden muss, sollte es etwas sein das in mein Blut eindringt. Das ist alles deine Schuld. Hätte ich nicht auf dich gewartet, würde ich jetzt nicht um mein Leben bangen, oder eine Infektion befürchten.          Ich werde sterben, weil du überhaupt erst auf die Idee gekommen bist, mich in Versuchung zu bringen, zu Leben. Soll das deiner Vorstellung entsprechen: Das ein fehlender Arm zu neuem Leben verhelfen …warum lachst du?? Das ist nicht komisch!“

„Es ist sehr wohl komisch. Worüber du dir Gedanken machst.“

Er strich über meine Haare, als sein ich ein braves Haustier und tätschelte es sogar auch noch.

„Und jetzt behandelst du mich wie ein Hund. Finger weg!“

Sofort nahm ich aus meiner hinteren Hosentasche mein Handy heraus und überprüfte es im Spiegelbild. Sobald überall einmal für Ordnung gesorgt wurde, steckte ich es wieder ein und starrte mit finsterem Blick zu ihm auf.

Doch statt ihn zu sehen, versperrte mir eine Jacke den Blick. Eine hässliche Jacke.

„Oh Gott, wo hast du denn diesen absonderlichen Mantel gefunden?“

„Er bewirkt Wunder. Zum Beispiel hindert er dich davor zu Frieren oder deine Haut vorm röten. Der Grund allein für die Rötung ist schließlich das kalte Wetter und der eisige Wind. Keine Infektionen, kein amputierender Arm.“

Seine Stimme war ein wenig leise und es war merkwürdig mich mit jemand zu unterhalten, der mir eine Jacke vors Gesicht hielt. Ohne ein Danke zu sagen, nahm ich es aus seiner Hand und streifte es mir über. Etwas beleidigt lief ich vor und zielte dem Parkhaus zu, als mir etwas einfiel und ich die Richtung änderte. Ich machte mich auf den Weg zum Kino, welches in der Nähe war. Dieses Gebäude machte mich schrecklich neugierig.

 

Kapitel 16

 

Wie merkwürdig es doch war. Diese Leute lachten, schwiegen, schmunzelten, erschraken, schrien während des Films, aber wenn sie es taten, dann gemeinsam. Als würden alle Zuschauer dieselben Emotionen durchleben und zu Ausdruck bringen wollen. Jedoch nicht beabsichtigt.

Wenn jemand Angst hatte, dann hielten sie Händchen oder klammerten sich an ihren Partner, vergruben meist sogar das Gesicht hinter der Hand oder hinter der Schulter des Sitznachbars.

Und wenn jemand lachte, lachte der Sitznachbar auch, man sah sich an und lachte erneut los, als wäre ein unendlicher Witz mit ihnen verbunden.

Und vor allem erst die Körpersprache. Niemand saß Ruhig, keiner war still – und wenn, nur bei bestimmten Momenten im Film –, keiner konnte irgendwelche Emotionen verbergen.

Als wäre dieser Ort dafür gemacht zu leben.

„Du verpasst noch den Film.“, flüsterte mir Jack zu, welcher neben mir saß. Ich wandte meinen Kopf zu ihm, um ihm kurz zu mustern. Während des Filmes war mir aufgefallen, dass er auch in diesem Ort auflebte. Nur ich schien als einzige die Sprache des Lebens nicht verstanden zu haben.

Wie wollte er denn da noch mir beibringen zu leben, wenn ich nicht einmal an einem solch emotionalen Ort anfing etwas zu verspüren?

Alles was ich tat, war die Menschen zu analysieren und ihre Verhaltensweise zu verstehen. Oder viel mehr, wie sie nur so viel essen und trinken konnten. Sehr selten stand jemand auf, um auf die Toilette zu gehen, aber ansonsten schien der Film sie in einem Bann zu halten.

Jack beugte sich zu mir herunter, senkte leicht den Kopf, sodass ich seinen Atem an meiner Kehle verspürte.

„Dieser Ort mag zwar verwirrend für dich sein, aber wenn du den Film nicht mit verfolgst, dann wirst du es nie verstehen.“, raunte er mir zu und hielt mir auffordernd die Popcorntüte hin, welche so viel Zucker in sich enthielt, dass ich sie erst gar nicht wirklich probiert hatte.

Zögerlich griff ich – nachdem ich unsicher zu Jack gesehen hatte – hinein und wandte meinen Kopf wieder zur Leinwand, während ich ratlos auf den abspielenden Film starrte.

Die Handlung war mir bekannt, vor allem, da sie einigen Romanen ähnelte, die ich vor Jahren gelesen hatte. Was mich jedoch wunderte, war, dass der Film mich nach einer Weile faszinierte. Ich konnte kaum meinen Blick von der Leinwand lösen, so sehr hielt er mich in seinen Bann.

Doch ich lachte, schwieg, weinte, freute, schmunzelte nicht. Ich tat nichts von allem, was die Zuschauer an Emotionen zeigten. Sie wollten einfach nicht aufleben.

Als mir dies ein wenig später bewusst wurde, verschwand meine Faszination sofort dahin und ich entschuldigte mich bei Jack, dass ich auf die Toilette gehen müsste.

Mit meinen Sachen in der Hand, zog ich den Mantel enger um mich und verließ das Kino. Vor dem Gebäude gab es ein nachgebautes amerikanisches Diner, wo ich mich in die hinterste Ecke platzierte.

Als meine Bestellung von einer heißen Schokolade und einem Teller Kekse ankam, vibrierte mein Handy. Schnell fischte ich es heraus und erkannte den Anrufer auf dem Display.

Die geheime, heiße Affäre rief mich an.

Kurz spielte ich mit dem Gedanken wegzudrücken, doch ich brachte es nicht über mich, vor allem, da er heute wirklich nett zu mir war und dies nicht verdient hätte. Meine Mutter – ja. Aber Jack? Niemals.

Ich nahm ab, schwieg jedoch.

„Wo steckst du?“

Schweigen.

„Ich komme.“

Verblüfft starrte ich das Handy an, sobald ich es vom Ohr genommen hatte und lauschte dem Tuten.

Sein Verhalten machte mir Angst. Er verhielt sich so, als würde er mich kennen, würde wissen, was mit mir los war. Als wären wir Freunde, Vertraute.

Nachdenklich und in Gedanken versunken, trank ich aus meiner Tasse und biss vom Cup-Cake ab.

Eine Freundschaft zwischen Arbeiter und Chefs sollte nicht vorhanden sein. Oder doch?

Wenn ich eines wusste, dann dass ich keine Ahnung hatte und keinen blassen Schimmer zu haben, war in letzter Zeit zur Gewohnheit geworden.

Bevor er mich entdecken konnte, sah ich ihn schon in meine Richtung spazieren. Er öffnete wie selbstverständlich die Ladentür, suchte im Lokal nach mir ab und kam zum Tisch gelaufen, als ob wir eine Verabredung gehabt hätten.

Und dass er meinen Gedanken erraten konnte, mich in diesem Lokal zu verstecken, war ein wenig erschreckend und merkwürdig, aber auch vertraut. Und vertraut war ein recht seltenes Wort, welches ich an Personen Anhang. Es waren Menschen, bei denen ich mich wohl fühle, mich nicht verstellen und formen lassen musste.

„Sind wir Freunde, Jack?“

Diese Frage brauchte seine Zeit, weshalb wir eine Weile lang nichts gesagt hatten – ich hatte meine Tasse umklammert und auf den Tisch gestarrt, und er – glaube ich – hat einfach nur darauf gewartet, dass ich doch nur etwas sagen würde.

„Ja, das sind wir.“, antworte er schlicht, doch ich sah den ernsthaften Ausdruck in seinen Augen, sobald ich unerwartet aufsah. Meine geöffneten Haare kitzelten an der Wange, sodass ich sie hinters Ohr schob, bevor ich zu einer weiteren Frage aufsetzte.

„Woran erkennt man das?“

„Das man befreundet ist?“, hakte er nach und ich nickte.

„Indem man miteinander spricht. Nicht auf die Weise, wie mir einer Respektperson, sondern wie mit einer ebenbürtigen Person. Man respektiert und vertraut einander, lacht und schweigt gemeinsam, kaum eine Unterhaltung ist unangenehm und vor allem aus freiem Willen. Natürlich wird man ab und an zu einer Antwort gedrängt, aber überhaupt etwas auszusprechen, kann befreiend sein. Zudem ist ein Freund jemand, der einen allein durch die Körpersprache versteht und in deinen Augen verschiedene Emotionen lesen kann.“

„Was konntest du bei mir lesen?“

„Vorhin?“

„Ja.“

Er starrte mich nachdenklich an.

„Woran denkst du?“

„Ob du es verkraften könntest, dass jemand dich kennt. Du dich dann entblößt fühlst, wenn ich dir erzähle, was ich bemerkt habe.“

„Warum sollte ich dies nicht verkraften könne? Ich bin nicht schwach.“

Er lächelte, doch es wirkte entschuldigend und gleichzeitig versöhnlich.

„Davon habe ich nicht gesprochen. Ich rede davon, dass du dich daraufhin wieder vor mir verschließen und dich verstecken wirst, als würdest du mich nicht kennen oder gar bemerken. Unsere Gespräche würden nicht mehr so sein wie vorher, deshalb zweifle ich Momentan an der Situation.“

„Und mit einem Kompromiss?“

„Welchem denn?“

„Dass ich folgende Dinge verspreche, wie: Ich werde dich nach deiner Offenbarung über mich nicht ignorieren. Dieses Gespräch wird nichts an der Situation ändern, zumindest nicht bei mir. Und, dass ich dich nicht feuern werde, solltest du mir etwas sehr Intimes verraten.“

„Und welcher wäre meiner?“

Interessiert musterte er mich und stibitzte einen Keks, während er mich kein einziges Mal während unseres Gesprächs aus den Augen ließ. Seine Augen schienen leicht glasig zu sein, was mich für einige Sekunden irritierte, doch dies hielt mich nicht davon ab meine Forderungen zu stellen.

„Dass du ehrlich bist und nichts verheimlichst. Das ist meine einzige Bitte an dich.“

Er überdachte alles gut, sodass ich mir schon ausmalte, wie bestimmte Rädchen in seinem Kopf arbeiteten, um schließlich mit einer leuchtenden Glühbirne belohnt zu werden.

„Na gut, du hast gewonnen. Ich gehe das Kompromiss ein. Aber lass mich dir noch einmal klar sagen, dass ich dich gewarnt habe.“

„Sag mir einfach, was du gesehen hast.“

„Ein Küken.“, flüsterte er.

Irritiert runzelte ich die Stirn.

„Wie meinst du das?“

„Du schienst mir wie ein Küken. Ein frisch geborenes. Das Kino war der Hühnerstall, die Menschen die Hühner und Hähne. Dein Platz war dein Nest, die Leinwand die Bildung.“

„Vergleichst du mich gerade mit einem Küken?“

„Lass mich doch bitte erst einmal ausreden. Du wolltest meine Meinung hören.“

Entschuldigend zog ich mich zurück und deutete mit einer kleinen Geste, dass er meine volle Aufmerksamkeit hatte.

„Du siehst zum ersten Mal diesen Ort voller Menschen – beim Küken sind es dir Hühner im Stall gewesen. Sie reden miteinander, bewegen sich und scheinen eine Sprache zu sprechen, die du noch lernen musst. Eigentlich geht es ganz einfach, aber da du nicht weißt, wann und wie du sie einsetzten sollst, hast du nur beobachtet – sie analysiert. Das Küken lernt erst später richtig zu laufen, nicht jedoch gleich von der ersten Sekunden an. Du hast dich versucht dem Laufen anzupassen, schwankst jedoch dabei, weswegen du geduldig abwartest und mehr darüber lernen möchtest – begreifen willst, wie es funktioniert. Du tust es leider nicht, weswegen du die Tatsache ignorierst, dass du es eigentlich bereit kannst. Du lässt dich nicht gehen. Das ist alles. Aber mit ein wenig Übung, willst du das Laufen schnell erlernen und dich den großen Hühnern anpassen können.“

„Und das alles hast du in meinen Augen erblickt?“

„Nein darin habe ich nur gesehen, wie sehr du gerne laufen lernen möchtest, aber Angst hastest es zu wagen. Du wolltest es mehr als alles andere, aber dennoch hast du es ignoriert, als du gegangen bist und es aufgegeben hast, bevor du dich auch nur wirklich getraut hast. Zudem hast du nicht verstanden, warum wir in einem Stall waren.“

Lange starrte ich ihn an.

„Und wie hätte das Küken genau laufen gelernt, ohne zu schwanken? Hätte es rennen können, wenn es nur mehr …es selbst war?“

Unsere Blicke trafen sich, versuchten aus den Augen des anderen abzulesen.

„Ich nehme an, dass es sehr wohl es selbst war, aber das Innere zu verwirrt gewesen ist. Hätte das Küken die Bildung von Anfang an mitverfolgt, würde es schon längst watscheln können.“

Ich verstand was er mir sagen wollte, doch eine Sache störte mich dabei.

„Aber war die Bildung nicht auch ein Teil dessen, das sie die Hühner bei Ihrem Gang beobachten musste? Sie hätte allein nur durchs Hören verstehen können, was sie miteinander beredeten. Ein Baby lernt schließlich auch zu sprechen, bevor es Wörter gelesen hat.“

„Nein, sie ahmt nur die Worte nach, welche sie wahrnimmt, wie das Küken das Watscheln. Wenn man aber immer wieder diese Wörter wiederholt, konzentriert es sich aber viel mehr darauf zu lernen, wie es geht. Sie erhält somit die erste Bildung, indem sie sie von Anfang an mit verfolgt. Es braucht seine Zeit, bis das Baby die ersten Wörter entwickelt, den ersten Satz aufsagt und schließlich mit einem sprechen kann. Doch da wird es schon ein Kind sein – was wiederrum beweist, dass es manchmal braucht bis man lernt zu sprechen.“

„War es bei dir zum ersten Mal auch so gewesen, dass du nicht Laufen konntest? Oder hast du gleich gelernt das Schwanken unter Kontrolle zu erhalten?“

„Ich habe schlimmer geschwankt als du, das kann ich dir versichern.“

„Ehrlich?“

„Ehrlich.“

Vielleicht kam es mir auch nur so vor, doch ich hatte das Gefühl, als würde ihn das lange Sprechen erschöpfen. Als sei seine Zunge schwer geworden und sein ganzer Körper.

Aber für mich sah er nicht so aus, als sei etwas mit ihm. Nur kleine Schweißtropfen waren an seiner Stirn, aber schließlich war auch die Klimaanlage defekt.

Er senkte sein Augenlid, als er nachdenklich auf den Tisch starrte und über etwas anscheinend grübelte.

„Worüber denkst du nun nach?“

Meine Frage stellte ich nach zwei Minuten des Schweigens. Er schien in seiner Welt gesunken zu sein, denn als er blinzelnd zu mir aufsah, erkannte ich, dass sich seine Pupillen erweitert hatten. Er schien High zu sein. Doch da ich solch etwas sehr bezweifelte, lehnte ich mich ein wenig nach vorne und legte meine Hand auf seine Stirn. Sie schien mehr als nur zu glühen und seine Stirn war schweißnass. Er hatte hohes Fieber.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du dich nicht gut fühlst!? Du glühst ja richtig. Am besten wir fahren sofort Nachhause.“

Ohne darauf zu achten, dass er protestieren wollte, schnappte ich unsere Sachen, legte einen Geldschein auf den Tisch und achtete alle zwei Sekunden darauf, dass Jack sein Gleichgewicht nicht verlor oder das Bewusstsein verlor.

„Mir geht es gut, Emma. Schau nicht so besorgt.“

Mein Gesicht wurde von besorgt zu wütend.

„Ich schaue so besorgt, weil du mir nichts gesagt hast. Stattdessen erklärst du  mir etwas darüber, wie ich lerne Emotionen freien Lauf zu lassen und einen Film von Anfang an mit zu verfolgen. Dir geht es nicht gut, und du als Hahn solltest aufpassen, dass ich als Küken nicht vor Sorge sterben, weil mein Mentor dem Tode naht.“

„Wow, die Emotionen scheinen wirklich mit dir hindurch zu gehen.“, meinte er lachend, sodass ich ihn empört ansah und daraufhin nichts mehr erwiderte, sondern ihn zum Parkhaus kutschierte, sobald ich mich bei ihm schweigend untergehakt hatte.

Als wir schließlich vorm Wagen zu stehen ankamen, steckte ich fordernd meine Hand aus. An seinem Blick war zu erkennen, dass er nach einen weiteren Ausweg suchte, seine Gesundheit zu leugnen, doch ich ließ es nicht zu, sodass ich einfach in seine Hosentasche griff, sein Geldbeutel in die meine Hand nahm und dort den Parkschein herausholte. Kurz daraufhin fischte ich den Autoschlüssel aus der anderen Hosentasche, sobald ich ihn umrundet hatte, bevor ich schließlich einsteigen konnte.

Zwar war sein Anblick die ganze Zeit amüsierend, doch ihm ging es nicht gut und es wäre besser, wenn ich mich beeilte, denn ich machte mir immer mehr Sorgen um ihn.

„Wie komme ich aus dem Gebäude hinaus?“, fragte ich, sobald ich den Wagen aus der Parklücke herausfuhr und nach einem weiteren Auto suchte, welches mir vielleicht den Weg abschneiden könnte.

„Dort vorne rechts kannst du eine Spur auf dem Boden erkennen, der zur Ausfahrt führt. Folge ihr, aber vorher müssen wir das Ticket in den Automaten werfen, damit wir die Zeit abbezahlen können, die unser Wagen hier verbracht hat. Dann folgst du der Spur weiterhin, steckst das Ticket in den Schalter hinein und schließlich kommst du dann aus dem Gebäude.“

„Gut, dann lass mich mal zu diesem Automaten fahren, bevor ich noch aus dem Konzept gerate.“

Gesagt, getan. Der Wagen lief noch, da ich mich beeilen wollte.

Zu meinem Glück waren direkte Anweisungen am Parkscheinautomaten abgebildet, sodass ich keine Minute brauchte, um zurück zum Wagen zu gehen. Am Schalter steckte ich das Parkscheinticket hinein und siehe da, die Absperrung erhob sich.

Mit der Hilfe von Jack fand ich bald daraufhin auch noch den Weg zur Autobahn, sodass ich ein wenig mehr aufs Gaspedal drückte.

Die Landschaft zog sich an uns vorbei, bis endlich nach der Ausfahrt die ersten Häuser und Wohnungshäuser, Hotel, Motels erschienen und einen vertrauten Anblick von sich gaben.

Einige Minuten verstrichen, bevor ich vor unserem Haus anhielt und auf die Sprechanlage drückte.

„Hey, Alter. Ich öffne dir gleich die Tür, dann kannst du mir mal erzählen, wie es mit dem Killer-Schneewitschen gelaufen ist.“

Das Tor öffnete sich und ich spürte die ganze Zeit über seinen Blick auf mir, während ich vor dem Haus parkte und schließlich den Motor abstellte.

Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und musste hinter der Hand versteckt kichern.

„Euer ernst? Killer-Schneewitschen?“

Lachend löste ich den Gurt und stieg kopfschüttelnd aus dem Wagen, um seine Tür zu öffnen und ihm hinaus zu helfen.

„Unsere Rollen scheinen im Moment vertauscht zu sein, nicht wahr?“

Er beäugte mich einen Moment lang, doch es konnte mir mein Lächeln aus dem Gesicht nicht wegzaubern.

„Das will ich doch hoffen. Denn wenn nicht, dann bist du mit deiner Wette einen Schritt näher dran, als ich es bisher bin. Überhaupt, ich gehe sogar noch zwei Schritte rückwärts und einen zur Seite. Pass ja gut auf mein Herz auf.“, witzelte ich und lief mit ihm zum Haus.

„Das bleibt unser Geheimnis, oder?“

„Ja, das bleibt es.“

Wir lächelten uns zufrieden an.

„Und jetzt lass mich dich in ein Bett bringen und um dich Sorgen.“

„DAS höre ich gerne.“

Ich verpasste ihm einen leichten Schlag, legte aber schmunzelnd den Weg Nachhause zurück. Meine Angestellten kümmerten sich drum, damit er wieder in Ordnung kam und ich besuchte ihn einige Male, aber schließlich beschloss ich ihn mal in Ruhe zu lassen, damit er sich ausruhen konnte.

Sobald ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen hatte, öffnete das Internet und suchte nach dem Film, welchen ich heute im Kino angesehen hatte.

Er kostete mich 10 Euro, doch ich fand es recht wenig dafür, dass er ziemlich frisch im Kino gestartet war.

Durchatmend schloss ich die Augen, öffnete sie und drückte auf Play.

 

 

Kapitel 17

„Alles in Ordnung?“

„Hm?“ Ein leichter Wind blies mir durchs Gesicht, als ich zu Ben aufsah. Sein Hemd flackerte leicht auf, während seine Augen zur Abenddämmerung glitten. Die letzten Strahlen verwandelten den Himmel zu einem Feuerball.

„Die Sicht von hier Oben ist wunderschön.“

„Ja, das ist sie.“

Er setzte sich zu mir – in meinem kleinen Versteck auf dem Dach – und legte mir einen Arm um die Schulter. Müde lehnte ich mich gegen ihn und schloss die Augen.

„In manchen Momenten, wenn ich hier alleine bin und die Augen schließe, mich nur auf die Geräusche und das Gefühl verlasse…dann glaube ich fast, dass außer mir keiner mehr existiert. Es macht mir Angst und gleichzeitig fühle ich mich so wohl wie noch nie.“

Sein Daumen strich mir über die Schulter und ich hörte ihn leise reden.

„Dasselbe hat Simon auch behauptet, wenn er auf dem Hügel auf der anderen Seite war und sich auf die einsame Bank gesetzt hatte. Der Wind wäre sein einziger Zuhörer, der es sich nicht nahm die Mundharmonika-Melodie  fortzutragen und sie durch die Welt zu tragen. Das hat er immer gemeint, selbst wenn sein Tag noch so schlecht endete.“

Er deutete mit dem Zeigefinger auf die weit entfernte Landschaft.

„Ihm war es wichtiger als alles andere jeden Tag dort hinauf zu wandern und zu spielen. Selten ließ er mich zuhören, aber wenn, dann nahm mich die Melodie ein und ich fühlte mich wieder Neugeboren.“

„Das hast du mir nie erzählt.“, murmelte ich lächelnd und legte den Kopf in den Nacken, um ihm in die Augen sehen zu können.

„Weil es sein Geheimnis war und ich immer das Gefühl hatte niemandem davon erzählen zu dürfen.“

„Tut es gut?“

„Was meinst du denn damit genau?“

„Na das Geheimnis auszusprechen?“

Er sah mich schweigend an und nickte schließlich, bevor er mir einen Kuss auf die Schläfe drückte.

„Mehr als nur gut.“, flüsterte er und wir sahen noch zum Himmel auf, als auch schon die Sterne auftraten. Nicht eine Sekunde lang versuchte ich einzuschlafen, sondern genoss es hier draußen mit Ben zu sitzen. Es war schön ihn wieder bei mir zu haben, ihn in meiner Nähe zu spüren. Es war wie an den Abenden mit meinem Bruder, wenn ich wieder einmal unbedingt eines meiner Höhlen unter Decken und Kissen bauen wollte. Immer hatten wir so wenig Platz gehabt, dass wir nahe einander rüken mussten und mit einer Taschenlamoe Geschichten erzählten. Die Liebsten waren mir schon immer Märchen gerne gewesen, weil sie einfach nur für die Guten Personen gut ausgingen.

„Benjamin?“

„Was ist denn, Emma?“

Mein Mund fühle sich trocken an, als ich ihm die Frage stellte, die sich seit Tagen in meinen Kopf eingeschlichen hatte. In letzter Zeit hatte ich über so vieles Nachgedacht, die Erinnerungen immer wieder im Gedächnis vor und zurück gespult.

„An dem Tag, als ich mich umbringen wollte – wie soll ich sagen? – da hast du nicht sehr…naja …aufgebracht gewirkt, als ich mich von dir verabschiedet habe. Da habe ich mich gefragt, warum gerade du nicht? Warum nicht der Mensch, der mir am Nahesten steht?“

Seine Antwort kam nicht und ich wusste mir in derselben Sekunde die Frage zu beantworten. Es war nie so gewesen, wie ich es mir in den letzten Tagen ausgemalt hatte. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht überrascht oder in Inneren Aufruhren gewesen, als er mir lediglich Tu es nicht, Emma zuflüsterte.

Er hatte schon lange – schon lange vor dem Tag – mit solch etwas gerechnet. Stattdessen hatte er geglaubt mich auf dem Freidhof neben meinem Bruder aufzufinden. Aber er hatte nicht damit gerechnet mich wieder lebend zu sehen, geschweige denn mit neuem Lebensmut.

Mir wurde schrecklich übel und ich schloss ganz fest die Augen zusammen, um die Panik aus meinem Körper zu verscheuchen. Hektisch atmete ich ein und aus, versuchte Fassung zu bewahren.

„Es tut mir so leid.", flüsterte er schluchzend.

„Alles was geschehen ist, tut mir schrecklich leid. Ihr seid immer das Wichtigste in meinem Leben gewesen, aber ich werde es in Ordnung bringen. Das verspreche ich dir, Emma.“

Bevor ich ihn fragen konnte was er damit meinte, umarmte er mich lange und fest. Wenige Sekunden später war er fort und ich spürte einen Kloß in meiner Kehle, der mich zu Tränen rührte. Ohne zu wissen warum ich das starke Bedürfnis hatte weinen zu wollen, verbrachte ich die ganze Nacht schluchzend auf dem Boden. Irgendwann tröstete mich Bruno, als er mich in diesem Zustand auffand und brachte mich anschließend ins Bett, als ich Mühe hatte vor Erschöpfung nicht umzufallen.

Warum nur, Ben? Warum musst du mich gerade jetzt verlassen? Du bist immer wie ein Bruder für mich gewesen und nun verschwindest du aus meinem Leben, von einem Schlag auf den anderen wie Simon.

Andauend wachte ich vom kleinsten Geräusch auf, fühlte mich irgendwann so ausgelaugt, dass nur noch Medikamenten mir beim Einschlafen halfen.

Der späte Nachmittag war angebrochen und ich fasste schlurfend meine Sachen zusammen. Unter der Dusche ließ ich das kalte Wasser über mein Gesicht gleiten, blieb mehrere Minuten unter dem Strahl stehen und wusch mir die Tränen von der Haut.

Angezogen begab ich mich ins Esszimmer, doch ich bekam nichts herunter, egal wie oft meine Eltern auf mich einredeten. Ihre Stimmen verwandelten sich zu einem leisen Rauschen im Hintergrund, als ich das Esszimmer ohne eine Entschuldigung verließ und durch das Haus lief. Susana redete auf mich ein, doch ich verstand nicht was sie mir sagen wollte.

„Kann ich zu Jack gehen?“, fragte ich nur und sie nickte, dabei fielen mir ihre traurigen Augen nicht einmal mehr auf.

Seit Tagen hatte ich ihn nicht mehr sehen dürfen, da seine Grippe schlimmer geworden war und er die meiste Zeit mit Fieber im Bett verbrachte. Selten hatte ich nach ihm gesehen, doch nicht immer war er bei Bewusstsein gewesen und wenn, dann hatte er Mühe beim Sprechen.

Diesmal war es nicht anders, als ich sein Zimmer betrat und  sein schlafendes Gesicht musterte. Langsam trat ich näher an sein Bett und beobachtete die Schweißtropfen, die von seiner Stirn herunter perlten. Still tauchte ich mit einem Tuch ins Eiswasser und sorgte dafür, dass das Fieber nicht Hand gewann.

Ein schwaches Tippen auf meiner Schulter ließ mich Aufsehen. Susana nahm mir den Lappen ab und ohne ein Wort zu wechseln, kümmerten wir uns abwechselnd um ihn, ohne jedoch das Zimmer zu verlassen – wenn dann, um Eiswasser zu besorgen oder weil der Arzt seinen Körper untersuchen musste.

Gerade wurde er mit der Hilfe von Bruno gebadet, sodass ich das Bett neu Bezog und das Zimmer lüftete. Normalerweise war dies nicht meine Arbeit, aber die meiner Angestellten, doch seltsamerweise interessierte es mich nicht mehr. Es war ja kein Weltwunder, wenn ich die Arbeit übernahm. Außerdem war es ein gutes Training, mich genauso wie alle anderen zu benehmen.

„Wie geht es Ihnen?“, fragte irgendwann Susanna, als wir in der Küche Platz nahmen und einen Tee serviert bekamen.

„Das Gefühl kann man nicht wirklich in Worte fassen. Aber es ist als würde ich in eine tiefe Grube fallen und mit Erde zugeschüttet werden, ohne dass jemand auf meine Schreie eingeht. Man sieht auf mich herab und schüttelt noch mehr Erde auf mich zu.“

Als sich ihre Hand auf meine legte, zuckte ich zusammen. Susanna lächelte mich mitleidig an und ich nahm mir einen Schluck aus der Tasse.

„Ihnen scheint ein schlimmes Schicksal nach dem anderen zu widerfahren. Dabei haben Sie es nicht einmal verdient. Und jetzt ist auch noch Ben kurzfristig in den Urlaub gefahren, obwohl sie ihn bräuchten.“

„Er wird nie mehr zurückkommen. Er hat sich von mir verabschiedet.“ Den Blick auf den Tisch gesenkt, blinzelte ich die Tränen weg. Susanna stammelte vor sich hin, wurde schlagartig Still und umfasste schließlich mit beiden Händen meine Hand.

„Bitte, Sie müssen nicht noch länger in diesem Haus verweilen. Packen Sie ihre Sachen und hauen Sie noch ab, bevor Sie alles Pech der Welt einholt. Kein Mensch hat es verdient so viel durchzumachen.“

Vorsichtig löste ich meine Hände von ihr und verschränkte sie unter dem Tisch.

„Nein, ich muss hier verweilen. Ich habe Verpflichtungen und muss mich auf meine Zukunft konzentrieren. In weniger als fünf Wochen werde ich an der Seite von jemand anderem sein, da kann ich mir solch etwas nicht erlauben.“

Ihr Mund klappte auf und sie sah mich erschrocken an.

„Sie haben einen Freund? Entschuldigen Sie, das ist mir ausgerutscht.“

„Er ist mein versprochener Ehemann, der mich in wenigen Wochen zu seiner Ehefrau nehmen wird. Bei ihm wird mir an nichts fehlen.“

„Sie sind aber doch so jung.“ Abwinkend nahm ich einen weiteren Schluck Tee.

„Das Alter spielt bei einer bestimmten Ehe keine Rolle und es ist zwar lange her, seitdem ich ihn zuletzt gesehen habe, aber er wusste sich schon immer wie ein Prinz zu benehmen. Er wird mir alles bieten, was ich zum Leben brauche und ich werde ihm die Ehefrau sein, die er verient zu haben.“

„Aber ist es auch das, was sie wollen? Miss, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber wenn er nicht der Richtige ist?“

„Was ich möchte ist nicht von Wichtigkeit, nur er darf im Vordergrund meiner Gedanken stehen. Sie werden das nicht begreifen, aber es ist eine große Ehre für mich ihn heiraten zu dürfen. Eines Tages werden sie das hoffentlich verstehen können.“

Mühsam stand ich auf und streckte mich kurz, da meine Glieder eingefroren waren und stellte mein Geschirr ins Waschbecken.

„Und wenn nicht, dann lernen Sie aus meinen Fehler. Zu irgendwas muss mein Pech auch gut sein.“

Susana saß noch immer regungslos auf ihrem Stuhl, als ich ihr einen letzten Blick zuwarf und hätte schwören können, dass Tränen auf ihrer Wange hinunterflossen.

 

Kapitel 18

 

Stöhnend richtete ich mich mit geschlossenen Augen auf und tastete nach meinem Handy, welches laut vor sich hin vibrierte.

„Hallo?“

Das Schluchzen einer Person ließ mich irritiert aufblicken. Diese Stimme war mir fremd und ich kannte die Person nicht, aber als ich nach und nach ihr Gestammel verstand, wünschte ich nicht abgenommen zu haben. Das Handy tutete noch immer an meinem Ohr, als ich in Ohnmacht fiel.

 

 

„Ich danke Ihnen, dass Sie so zahlreich auf der Beerdigung von Benjamin Freudig erschienen sind.“, begann der Pastor und erzählte von Bens Schicksal. Er zitierte einige Verse aus der Bibel, redete über das Paradies und Gott, bevor er einige nach vorne bat, um eine Rede zu halten.

Bens Mutter erzählte von seiner Kindheit und seinem guten Herzen, die Geschwister von einem tollen großen Bruder und meine Eltern über einen weiteren verlorenen Sohn.

In der ersten Reihe klammerte sich meine Mutter weinend an meinen Vater und ließ sich von ihm trösten, während der Pastor mit seiner Rede fortsetzte.

„Er möge in Frieden ruhen, aber weiterhin in unseren Herzen bleiben und nie in Vergessenheit geraten.“

Nach diesen letzten Worten trat ich hinterm Baum hervor und sah dabei zu wie Bens Sarg neben dem Grab meines Bruders eingelassen wurde. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt hier zu erscheinen, doch unbewusst war ich am Friedhof gelandet und hatte mich hinter einem Baum versteckt.

Bevor die Trauernden sich auf den Weg zu Bens Zuhause machten, beeilte ich mich von diesem Ort zu verschwinden.

„EMMA!“, schrie jemand nach mir, als ich die Abzweigung abbog. Als ich mich umdrehte, erkannte ich Jack auf mich zukommen. Kopfschüttelnd versuchte ich ihn daran zu hindern, dass er mir näher kam, doch er lief einfach weiter.

„Geh wieder zurück, Jack. Vergiss, dass du mich hier gesehen hast.“

Panisch lief ich eiligst weg und ignorierte seine Rufe nach mir. Durchatmend verschnaufte ich auf einer Holzbank im großen Park um die Ecke. Zur Sicherheit war ich zu einer entfernten Ecke gelaufen, die beinahe von Bäumen und Büschen zugewachsen wurde, sodass man mich nicht erkennen konnte. Schließlich zog ich die Beine an und umschlang sie mit den Armen, um mein Kopf auf sie zu betten.

„Hab ich dich gefunden.“

Erschrocken öffnete ich die Augen auf und rappelte mich umständlich auf, doch ich hatte nicht mit seiner Hand gerechnet, die mich am Handgelenk festumgriff. Anstatt mir irgendeine Predig zu halten, sah er mich einfach nur an und ich konnte nicht anders, als seinen Blicke ebenfalls zu erwidern.

„Bitte, bleib. Leiste mir ein wenig Gesellschaft.“, bat er flüsternd, woraufhin ich zögerlich mit einer Kopfbewegung zustimmte. Vorsichtig, als sei ich aus empfindlichem Porzellan, führte er mich zur Bank und ging vor mir in die Hocke.

„Wir haben dich dort vermisst. Man hatte erwartet, dass du die Rede als erste eröffnen würdest, aber seit Tagen bist du spurlos verschwunden.“

Schweigend sah ich zu ihm herab und wusste keine Antwort zu geben.

„Aber du bist dennoch aufgetaucht.“

Langsam nickte ich und öffnete den Mund, bevor ich ihn wortlos verschloss. Meine Augen wanderten hilflos über sein Gesicht herum, bevor ich in die Falle seiner Augen tappte. Sie schlugen mich in einen Bann und ließen meinen Willen in sich zusammenfallen.

„Vor seiner Beerdigung wollte er – er wollte…“

Mühsam schluckte ich den Kloß herunter.

„Er versprach mir alles wieder in Ordnung zu bringen und entschuldigte sich. Das Schlimme ist nur, dass dieser Idiot wirklich geglaubt hat mit seinem Tod alles wieder ins Lot zu bringen. Wie kann man nur so dumm sein?“, flüsterte ich leise, verhaspelte mich immer wieder.

„Ben wollte mir folgen und da du mich aufgehalten hast, brachte das seinen Plan ins Wanken. Jetzt ist er tot und ich…die Schuldgefühle ließen niemals bei ihm nach. Er hat Simon so sehr geliebt.“

„Dich hat er auch geliebt.“

„Ja, das hat er. Große Brüder lieben immer ihre kleine Schwester.“

„Was ich aber nicht verstehe, ist – es war ein Unfall. Sein Motor hatte einen Schaden und das Bremspedal funktionierte nicht mehr.“

„Du bist blind, Jack.“ Lächeln schüttelte ich den Kopf und strich mir eine Strähne von der Wange.

„Jedesmal, bevor wir losfahren, prüft Benjamin das Auto zur Sicherheit, so wie er es all die Jahre seit dem Unfall getan hat. Der Unfallort ist derselbe gewesen, keine zwei Meter weiter entfernt. Der Wagen, den er fuhr – es war derselbe von damals. Ben hat ihn repariert und bei sich Zuhause in der Garage bewahrt, das habe zufällig herausgefunden. Aber eine Sache spielt eine besondere Rolle.“

Fragend sah Jack mich an, sodass ich die Pause nicht weiter hinauszögerte.

„Der Tag an dem der Unfall geschah, es war Simons Todestag.“

Sprachlos senkte er seinen Blick. Seine Augen verrieten mir, dass er versuchte zu fassen, was ich ihm gerade aufgetischt hatte.

„Wie geht es dir?“, fragte er besorgt, als das Schweigen beinahe schon die Umgebung eingenommen hatte. Ein Mann auf dem Fahrrad raste an uns vorbei und ich sah fasziniert hinterher.

„Ich möchte es auch erlernen.“

„Was? Das Fahrradfahren?“

„Meine Mutter hat es mir in meiner Kindheit verboten, da sie sich davor fürchte, dass Schürfen an meinen Knien den Gästen nicht gefallen würden und sie als schlechte Ehefrau darstellen.“

Sein schweres Schlucken war laut und deutlich zu hören.

„Nur unter der Bedienung, wenn du mit mir Essen gehst und eine Runde ausschläfst.“

„Den kann ich nachholen, sobald ich das gelernt habe allein Fahrrad zu fahren.“

„Tust du es für mich, wenn ich dich drum Bitte?“

Unsicher nagte ich auf der Unterlippe, bevor ich seufzend nachgab.

„Ich stimme der Bedienung zu. Du musst aber wissen, dass die Albträume in letzter Zeit schlimmer geworden sind. Deshalb schlafe ich kaum noch.“

„Ich weiß. Du hast schon einige Male das Haus aufgeweckt, als du noch mit uns unter einem Dach lebtest und nicht spurlos abgetaucht bist.“

„Weshalb höre ich da Ärgernis und Wut in deiner Stimme heraus?“

„Vermutlich, weil ich es nicht gern habe, wenn man ohne ein Wort zu sagen abhaut und man per Anruf gleich darauf erfahren muss, dass ein Kollege verstorben ist!“

„Vergiss nicht, dass dich die Privatsphäre deines Bosses nichts angehen.“

„In diesem Moment habe ich mir nur Sorgen um meine neue Freundin gemacht.“

„Dafür werde ich mich aber nicht entschuldigen.“

So ging es den ganzen Weg bis zum Taxistand weiter und die ganze Autofahrt.

 

 

„Worauf wartest du?“

„Dass du endlich weinst.“

„Das wird nicht geschehen.“

„Du lügst mich an.“

„Ja, das tue ich. Das ist aber noch lange kein Grund, dass du mit dabei sein musst, wenn das passiert.“

„Oh, es wird in meiner Anwesenheit passieren. Heute Nacht übernachte ich mit dir im Zimmer, mein Bett ist schon gerichtet. Bruno muss das Essen für dich organisiert haben, so wie es hier riecht.“

„Das ist nicht dein – Moment, du wirst nicht in meinem Zimmer übernachten! Und woher weiß Bruno, dass ich heute kommen würde?“

„Sagen wir mal, dass er ziemlich gut geraten hat.“

„Du hast ihm Gesims?“

„Jep. Jetzt guck nicht so böse, es war von Nöten, dass du endlich mal was isst. Du bist viel zu dünn geworden.“

„Meine Figur hat dich einen Dreck anzugehen. Und was meintest du damit, dass dein Bett schon gerichtet ist? Ich komme dahinter, wenn du etwas auslässt.“

„Seit einigen Tagen – seit deinem Verschwinden drei um genau zu sein – habe ich die Erlaubnis mich dort aufzuhalten, falls du aufkreuzen solltest. Deine Eltern wollten mir wirklich ein großes Sümmchen dafür bezahlen, dass ich sie bei deiner Ankunft alarmiere.“

„Jetzt tu ja nicht so, als hättest du mir einen Gefallen getan, nur weil du das Angebot abgelehnt hast – obwohl das ziemlich dumm gewesen sein muss. Sie haben bestimmt viel geboten.“

„Hmmm.“

„Rück schon raus.“

„Nee.“

„Jack. Du willst doch nicht, dass ich wieder abhaue und jemand anderen anheure mit das Fahrradfahren beizubringen?“

„Du wirst ohnehin ohne mich nichts neues Versuchen.“

„Jetzt sei nicht so selbstgefällig. Rück endlich mit der Sprache aus – wie viel?“

Er betrachtete mich eine Weile von der Seite, während wir noch immer die Auffahrt entlang liefen. Das Anwesen war fast noch einen halben Kilometer weit entfernt, als wir am Kirschbaum abbogen und uns weiter in die Diskussion hinein henkten. Der Taxifahrer hatte uns eiligst vorm Tor raus gelassen, als er unserem Gezanke leid wurde.

„Muss das sein? Geldbeträge interessieren dich doch gar nicht. Du hast erst letztens für einige Hundertausend einen einzigen Ring gekauft.“

„Komm mir nicht damit, Jack. Spuck schon aus.“

Er sprach unverständlich, sodass ich es nicht verstand.

„Vielleicht versuchst du es noch einmal, nur Lauter, damit die Ameisen auch noch was verstehen.“

Er sah mich seufzend an.

„10.000 Euro.“

Versehentlich verschluckte ich mich irgendwie beim Einatmen, sodass es einige Sekunden dauerte, bis ich wieder krächzend sprechen konnte.

„Gott, du bist solch ein Idiot. Ruf sie sofort an und forder von ihnen die doppelte Summe, aber nenne erst unseren Aufenthaltsort, sobald sie sich einverstanden erklärt haben.“

„Nur über meine Leiche. Dann bin ich lieber ein Idiot, als meine Arbeitgeber zu erpressen, nur weil ihre durch geknallte Tochter es von mir verlangt.“

„Na gut, lass mich sie wenigstens anrufen. Sobald sie wissen, dass es mir gut geht, beruhigt sich die Lage sofort.“

Artig streckte ich meine Hand aus und er reichte mir sein Handy. Sogleich wählte ich ihre Nummer und sprach, sobald man sich meldete.

„Mir geht es gut, ich bin bei Jack. Überweist ihm 20.000 Euro  bis morgen – Jack verpiss dich – überweist es auf sein Konto. Er hat mich aufgehalten und nach Hause gebracht. Sehen möchte ich euch heute trotzdem nicht mehr.“

Fuchsteufelswild starrte er mich an, doch ich lief einfach warte.

„Gern geschehen.“

„Dafür werde ich nicht danken. Noch solch eine Auktion und ich rede nicht mehr mit dir.“

Lächelnd drehte ich mich halb im gehen um und schüttelte den Kopf.

„Als ob du das aushalten würdest. Überhaupt, wie möchtest du mit mir kommunizieren, sollte es heute Nacht zu einer Heulattacke kommen, oder wenn ich doch das Essen verweigere?“

„Mit Blicken.“, meinte er und kniff die Augen zusammen, als würde er mich in Visier haben.

Kichernd drehte ich mich um und lief beschwingter zum Haus zu.

Bruno öffnete lächeln die Tür.

„Es ist schön Sie hier wieder zu sehen, Miss.“ Sofort schmiss ich mich in seine Arme und umarmte meinen liebsten Freund.

„Ach Bruno, du weißt ja nicht wie sehr du mir gefehlt hast.“

„Sie mir auch, kleine Elisabeth.“

Er führte uns ins Esszimmer, doch ich winkte ab.

„Emma wenn es sein muss, dann binde ich dich an einen Baum und füttere dich dick.“

„Hättest du mich sprechen lassen, dann wüsstest du, dass ich gerne in der Küche essen würde. Unten ist es mir lieber als in diesem Zimmer.“

„Natürlich, Miss. Wenn Sie mir bitte folgen würden.“

In der Küche schien Hektik ausgebrochen zu sein. Von jeder Seite schrie man, Töpfe wurden umgestellt und Teller gewaschen, während sich ein Dunstnebel in der Küche ausbreitete. Selten hatte ich die Köche in solch einem Tempo erlebt, sodass ich alles in Ruhe beobachtete, sobald wir uns an den Tisch gesetzt hatten. Ein Gefühl der Ruhe füllte mich aus, während ich meinen Köchen bei der Arbeit zusah.

Bruno stellte vor uns einige gefüllte Teller und das Besteck ab, schenkte uns ein Getränk der Wahl ein und setzte sich zu uns, sobald ich ihn drum leise bat. Die ganze Zeit über redeten wir über belanglose Dinge, genossen die Stimmung um uns herum. Selbst als ich satt war, nahm ich es mir nicht das Nachtisch zu essen. Das Essen hatte mir noch nie so gut geschmeckt, wie an diesem Tag. Vermutlich war ich auch am verhungern gewesen, aber ich konnte es mir nicht nehmen den Köchen ein seltenes Kompliment zuzubereiten.

Es wurde später Nachmittag, während ich schon bei der fünften Tasse Tee angelangte und hörte aufmerksam den Gesprächen meiner Angestellten zu, die sich nach und nach zu uns gesetzt hatten. Man sprach über Mythen, Familien, Feste, Erinnerungen und noch vielem mehr, aber das ließ sich alles nicht Zusammenfassen. Einer der Fahrer – Lukas – packte mich völlig in eine andere Welt, als er mir von einer unglaublichen Geschichte erzählte. Wie gebannt hang ich an seinen Lippen, ließ mir immer mehr von ihm erzählen und irgendwann hörte ihm jeder zu, wie das Märchen vom König Drosselbart erzähle.

Glücklich über das Ende lächelte ich noch bis zum späten Abend und trocknete mein nasses Haar. Durch die heiße Dusche und das ordentliche Säubern war meine Haut rot geworden, sodass selbst das Nachtkleid es nicht überdecken konnte. Als ich das Badezimmer verließ, fand ich Jack in meinem Zimmer vor. Da ich keinen BH unter dem Kleid trug, verschränkte ich die Arme davor und hüpfte schnell ins Bett, während er es sich auf dem Boden mit der Luftmatratze gemütlich machte.

Schweigend löschte ich das Licht der Nachttischlampe und legte mich auf den Rücken. Ab und an hielt ich unbewusst den Atem, als würde ich nur darauf warten, dass Jack etwas sagen würde, doch er schwieg lediglich. Es war unglaublich frustrierend.

„Jack?“, flüsterte ich, doch ich erhielt keine Antwort. Beinahe hätte ich nachgesehen, ob er schon eingeschlafen war, doch ich hielt mich gerade so noch zurück.

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich dir in vielen Situationen dafür dankbar bin dich als Freund zu haben. Ohne dich wäre ich vermutlich noch immer eine hochnäsige  Ziege gewesen.“

Lächelnd zog ich mir die Bettdecke ein Stückchen höher.

„Danke, dass du solch eine große Geduld mit mir hast. An deiner Stelle hätte ich vermutlich schon längst aufgegeben und mich auf andere Dinge konzentriert, mich meiner Zukunft angewandt. Aber nun – ich merke zum ersten Mal wie schon es ist einfach nur da zu sein. Die Menschen um mich herum sind mir wichtiger geworden, als ich es überhaupt für möglich gehalten hätte und sie kümmern sich um mich, selbst wenn ich sie nicht einmal drum bitte. Sie zeigen mir Emotionen, die ich normalerweise nicht von ihnen gewöhnt bin. Es überrascht mich immer wieder, was mir alles entgangen ist, als ich wie ein hohler Stein gelebt habe. Noch ungewohnt, aber ich denke dran Gefallen zu finden.“

Sein tiefer gleichmäßiger Atem verriet mir, dass er längst eingeschlafen war und alles was ich tat, war darüber zu lächeln.

„Gute Nacht, meine geheime, heiße Affäre.“

Kapitel 19

 

Ich musste nicht einmal die Augen öffnen, um zu wissen, dass ich im Schlaf geweint hatte. Rasch wischte ich mir mit dem Bettlaken über die Augen und setzte mich auf. Es war noch mitten in der Nacht. So leise es ging tapste ich zum Badezimmer und verschloss die Tür hinter mir zu. Die verweinten, geröteten Augen waren das auffälligste mit den hervor scheinenden Augenringen in meinem Gesicht.

Das Rauschen des Wasserhahns kam mir in dieser Stille zu laut vor. Eiligst wusch ich mir mein Gesicht und setzte mich anschließend auf den Klodeckel, mehrfach fuhr ich mir über die Augen. Mir war bewusst, dass die Träume nichts weiter als irgendwelche Fabrikationen des Gehirns waren, aber mit all den Erinnerungen gemischt lösten sie in mir undenkbare Schmerzen aus.

Das Zittern in meinen Händen hörte nicht mehr auf und immer wieder bebte meine Unterlippe. Das Gefühl weinen zu wollen war so groß, dass es beinahe Unerträglich für mich wurde. Seit Bens Abschied hatte ich nicht mehr geweint, weil ich Stark geblieben war, doch nun – ich hatte einfach keine Kraft mehr. In den letzten vier Tagen hatte ich die Zeit damit verbracht ihn zu verfluchen und die Erinnerungen zurückzuhalten. Nun überschwemmten sie mich mit einer Wucht und ich hatte Mühe überhaupt noch ordentlich Luft zu bekommen.

„Emma?“

Erschrocken zuckte ich zusammen und atmete tief durch.

„Alles in Ordnung.“, sprach ich mit kräftiger Stimme, kräftiger als ich es mir zugemutet hatte.

„Wenn was ist, ich bin hier.“

„Okay, ich habe verstanden. Geh schlafen, Jack, ich komm gleich nach.“

Seine Schritte entfernten sich und ich atmete leise auf. Innerlich zählte ich bis Dreißig, bevor ich aufstand, die Tür öffnete, das Badezimmer Licht löschte und in mein Bett stieg. Jack schien wieder eingeschlafen zu sein, was ich als gutes Omen anerkannte.

Mühe hatte ich schon immer nach solchen Träumen, sodass ich nach einigen Minuten noch immer nicht einschlafen konnte. Unruhig versuchte ich es immer wieder mit einer anderen Position, doch es brachte nichts, sodass ich es irgendwann einfach aufgab. Bald daraufhin lauschte ich Jacks gleichmäßigem Atem zu und starrte müde auf dem Fenster.

 

„Jack?“, flüsterte ich und tippte leicht auf seine Schulter. Er rührte sich kurz, doch scheinbar war er in der nächsten Sekunde wieder eingeschlafen.

„Hm“, gab er weggetreten von sich und ich ging vor seinem selbstgemachten Bett in die Knie.

„Jack, kann ich bei dir schlafen?“ Sein Brummen nahm ich als Bestätigung an und so hob ich die Decke hoch und legte mich neben ihn. Normalerweise würde ich solch etwas nicht tun, doch ein weiterer Albtraum füllte mich seit Minuten voller Angst, dass ich keinen anderen Ausweg fand.

Bei Ben hatte ich das auch schon einige Male getan, da ging es in Ordnung, wenn Jack die Rolle für eine Nacht übernahm.

Still lag ich da und betrachtete sein Gesicht. Die Haare waren gewachsen und kringelten sich auf der Stirn, dass ich nicht anders konnte, als meine Hand auszustrecken um mich zu versichern, dass sie echt war. Es war eine perfekte kleine Locke, die sich um meinen Zeigefinger kringelte, als ich sie aus seinem Gesicht strich. Sanft fuhr ich mit dem Finger über seine Stirn, die dichten Augenbrauen und dann zu seiner Schläfe. Von dort setzte sie den Weg weiter über seinen Nacken, die Schulter und zuletzt das Schlüsselbein. Immer wieder zeichnete ich unsichtbare Muster, während ich sein Gesicht weiterhin erkundigte. Als Seitenschläfer war es sehr praktisch, dass sein Gesicht vollständig zu mir zugewandt war.

Jedoch war ich so sehr damit beschäftigt die Linien zu führen, dass mir sein wachsamer Blick entging. Das Muttermal an seinem Hals umfuhr ich zweimal kreisend, bevor sich mein Weg wieder nach oben bahnte und auf der Wange ein frei erfundenes Muster entlangfuhr, einmal die Nase und dann bemerkte ich seinen Blick, gerade als ich über die Augenlider wollte. Ertappt zog ich meine Hand zurück und presste sie gegen meinen tobenden Herzschlag. Als ich nicht länger seinen Blick erwidern konnte, senkte ich ihn. Doch was er dann tat, verbreitete Gänsehaut an meinem Körper aus.

Sein Zeigefinger bahnte sich von meiner Wange über meinen Kinn, den Hals, die Schultern, bis zum Arm herunter und wieder zurück. Ergriffen schloss ich die Augenlider, konzentrierte mich vollkommen auf den wandernden Finger, während sich ein Schauer über meinen Körper ergoss und die Gänsehaut verstärkte.

Auf meiner Unterlippe blieb er zuletzt stehen und strich sanft drüber. Zögernd hob ich den Blick und versuchte aus seinen schönen grünen Augen schlau zu werden, welche meine mit demselben Vorhaben musterten.

„Wir sollten das lieber nicht tun.“, flüsterte er und zog seinen Finger zurück. Nickend zog ich mich zurück und legte mich auf die andere Seite seitlich hin. Eine merkwürdige Stimmung machte sich im Raum breit und ich wusste einfach nicht, was zum Teufel ich mir dabei gedacht hatte meinen Chauffeur küssen zu wollen. Leider sah ich ihn nicht mehr wie ein Chauffeur oder Angestellter an, sondern als einen Ritter in einer schimmernden Rüstung, immer da um mich vor der Gefahr und vor mich selbst zu retten.

Ja, das war er. Mein Ritter in einer schimmernden Rüstung.

 

 

„Verdammt, JACK!“ Fluchend versuchte ich das Gleichgewicht zusammenzuhalten, aber das verdammte Teil liebte die Schwerkraft und die Annährung meines Hinterns mit dem kalten Asphaltboden. Bevor ich mich noch mehr verletzte, setzte ich die Füße auf dem Boden ab und stieg von dem verfluchten Ding herunter. Das Fahrrad starrte ich eine geschlagene Minute lang böse an.

„Das Teil fährt nicht von selbst, wenn du es nur anstarrst.“

„Haha, Jack. Drauf bin ich auch schon gekommen.“, giftete ich ihn an und starrte weiterhin auf das Teil.

„Hey, das ist erst dein dritter Versuch gewesen.“, versuchte er mich zu beruhigen, doch er griff daneben.

„Zwei Versuche zu viel für mich. Und überhaupt, du wolltest es mir beibringen und mit mir üben. Stattdessen fährst du vor und lässt mich schon wieder im Nichts zurück.“ Was er dran so lustig fand, dass er lachen musste, verstand ich nicht, aber es frustrierte mich nur umso mehr.

„Beruhig dich und setzt dich wieder auf den Sattel.“, meinte er amüsiert und ich war nahe dran den Stinkefinger mal auszuprobieren. Da ich aber nicht ganz so frech war und wirklich Fahrradfahren erlernen wollte, setzte ich mich auf den Sattel, doch stützte mich mit den Füßen ab. Jack stieg von seinem Fahrrad herunter und stellte sich hinter mich.

„Schau nicht nach unten, hast du verstanden. Drück fest, aber auch gleichmäßig in die Pedale und fixiere deine Augen auf einen anderen Punkt – wie diesen Baum. Ich laufe hinter dir her, bis du einwandfrei dein Gleichgewicht halten kannst. Den Rest musst du erledigen.“

Um es kurz zu fassen, Jack musste unendliche Male hinter mir joggen gehen, bis ich es konnte. Immer wieder fuhr ich die Runden übers Hof und konnte nicht fassen, was für einen Spaß das machte. Das Gefühl frei und beschwingt zu sein strömte durch meine Adern und verzauberten mich. Als mir die Fläche zu klein wurde, bog ich in die Auffahrt ab und genoss den Wind, der sanft über meine Wange strich. Leider bemerkte ich zu spät, dass sich das Auffahrtstor geöffnet hatte und ein Auto auf mich zukam. Gerade rechtzeitig stürzte ich mich vom Fahrrad, als es vom Auto überfahren wurde und durch die Luft flog.

Ich löste die Arme vom Kopf, die ich schützend davor gelegt hatte und hörte nur noch Lärm. Das Auto quietschte bei seiner Vollbremsung, Türen wurden aufgerissen und Stimmen holten die einst friedliche Ruhe ein.

„Emma, mein Kind.“

Die Arme meines Vaters umschlangen mich fest und ich wurde mehr grob als recht gegen seine Brust gedrückt. Dann nahm er mein Gesicht in beide Hände und untersuchte es auf Verletzungen.

„Mir geht es gut, Papa. Nichts passiert.“

So aufgelöst hatte ich ihn nicht mehr seit Jahren gesehen und ich wusste nicht ganz damit umzugehen, dass Tränen in seinen Augen aufblitzten. Hilflos hob ich die Arme, doch ließ sie gleich darauf wieder fallen. Vorsichtig legte ich meine Hand auf die seine, die noch immer mein Gesicht berührte und streichelte sie leicht, um ihn zu beruhigen.

„Es geht mir wirklich gut. Vielleicht ein paar Kratzer, aber nicht mehr.“

Er blinzelte einige Male, bevor er nickend zurücktrat und schluckte den Kloß herunter. Sein Gesicht schloss alle Gefühle wieder aus, sodass der Mann vor mir stand, der sich mit einem unechten Lächeln dafür entschuldigte nicht Nachhause über Weihnachten gekommen zu sein. Im selben Moment gefror mein Herz zu einem Stein und ich musste mich zwingen nicht sofort wegzulaufen, weit weg von dieser unechten Familie. Für wenige Sekunden hatte ich wirklich geglaubt, dass ich meine Eltern wieder bei mir hätte, diejenigen, die mich als Kind immer in ihr Bett genommen hatte, wenn ich einen bösen Albtraum hatte oder trösteten, sobald ich hinfiel und mir das Knie aufschürfte. Es ist schon traurig zu wissen, dass ich noch Hoffnung darin habe die Eltern zu haben, die noch vor Simons Tod existiert hatten.

„Was zum Teufel hast du dir nur dabei gedacht? Ist dir nur eine Sekunde lang der Gedanke daran gekommen, dass dir etwas hätte geschehen können? Was für eine dumme Idee, mit dem Fahrrad hier herum zu fahren.“

Wut kroch in mir auf. Mit geballter Faust wandte ich mich um und verschwandt. Alles was ich nur noch wollte, war weit weg von diesem Ort zu sein!

„EMMA.“ Meine Eltern riefen mir hinterher, doch ich kümmerte mich nicht drum. Am liebsten hätte ich in etwas eingeschlagen, was mich gleichzeitig auch erschreckte. Normalerweise gehörte ich nicht zu den Menschen, die so Aggressiv waren und die Situation nutzte, um sich zu prügeln, doch in diesem Moment wollte ich es nur allzu sehr. Da kam es mir sehr recht, als ich wenige Meter weiter eine Gruppe Männern begegnete, die mich dämlich anmachten.

„Haltet die Klappen. Ansonsten werdet ihr es bereuen.“

„Oho…die Kleine hat ganz schön Feuer unterm Arsch.“, brüllte er zu seinen Kumpels hinüber, die ebenfalls auf mich zukamen. Der große Fehler der Kerle war dann, als mir einer einen Schlag auf den Hintern verpasste.

„Ich hab dich gewarnt, Großer.“ Meine Faust landete im Gesicht eines Kerles, der auch Boxmeister hätte sein können und es war mir egal. Bevor seine Freunde eingreifen konnten trat ich ihm in die Magengegend, sodass er gleich darauf Blut spuckte.

„Hast du einen Knall, DU SCHLAMPE!“, schrie einer von ihnen. Sofort holte ich mit der Hand aus und verabreichte ihm eine Ohrfeige, welche jedoch in letzter Sekunde von einer Hand abgehalten wurde. Böse blickte ich auf den Fremden Körperteil und wollte den Kerl blöd anmachen, als ich Jacks Stimme wahrnahm.

„Es reicht, Emma. Siehst du denn nicht, was du angerichtet hast?“ Als er mir in die Augen sah…– ich  wusste nicht was mit mir geschah, nur dass ich am liebsten nicht mehr hier sein wollte. Vor Scham konnte ich ihm nicht einmal in die Augen sehen.

„Es tut mir leid, dass sie eben euren Freund zusammengeschlagen hat. Wir werden natürlich die Krankenhauskosten übernehmen, sollten Sie keine Krankenversicherung haben.“

Während er alles mit ihnen abklärte und sogar eine Visitenkarte überreichte, wollte ich nur noch in Grund und Boden versinken.  Das wohl schlimmste war dann auch noch, dass ich mich bei ihnen entschuldigen musste, was ich dann auch schuldbewusst tat.

Eine Zeit lang liefen wir beide schweigend nebeneinander. Ich wusste weder was ich sagen noch tun sollte. Dieses Gefühl, es war nicht nur die Scham. Es war so vieles mehr, was man nicht in Worte fassen bzw. beschreiben konnte. Immer wieder geriet ich in den nächsten Minuten in einen inneren Konflikt mit meinem Gewissen und Herzen. Da die ganze Wut von vorhin noch immer nicht verraucht war, fand ich, dass der Kerl es verdient hatte so vermöbelt zu werden. Andererseits sagten mir meine Gefühle, dass ich niemals meine Wut an andere hätte auslassen sollen – solch ein Mensch war ich einfach nicht. Vor meinen Augen spiegelte sich die Situation ab, die tatsächlich in Kraft getreten wäre, wenn Jack nicht da gewesen wäre und ich spürte das Anwidern in mir.

„Wie geht es dir?“ Mit dieser einfachen Frage unterbrach er meinen eigenen Konflikt. Er sah mich nicht an, was die Situation viel schwerer machte als sie ohnehin schon war.

„Ich fühle mich nicht gut.“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Eine Weile sagte er nichts, was mich dazu brachte weiterzusprechen.

„Ich wollte es, okay! Es hat sich für wenige Sekunden gut angefühlt diese Wut so loszuwerden. Als diese Kerle mich blöd angemacht haben…da, da habe ich einfach nur noch Rot gesehen!“

Hilflos blieb ich stehen und starrte auf die Rückenansicht meines Freundes.

„Bitte, sei nicht so abweisend zu mir. Bei allen halte ich das aus, aber…aber nicht bei dir.“ Er drehte sich langsam um, kam einen Schritt auf mich zu, doch hob nicht den Blick vom Boden.

„Du hast keine Ahnung wie Enttäuscht ich bin, Emma. Ich hätte niemals geglaubt, dass du einfach so die Kontrolle verlierst. Wenn du betrunken gewesen wärst, dann hätte ich noch drüber hinwegsehen können, aber du warst dir bei dieser Tat bei vollem Bewusstsein! Nach dem ersten Schlag hättest du aufhören können, doch das hast und wolltest du nicht!“

Er packte mich an den Armen und sah mir in die Augen.

„Warum nicht, Emma? Warum zum Teufel hast du nicht aufgehört?“

Als ich in seinen Augen das Gefühlschaos sah, wurde meine Kehle trocken und meine Augen wässrig. Seine Wut auf mich tat seelisch weh und ich wünschte ich hätte die dumme Aktion vorhin nicht gestartet.

„Es tut mir leid.“ Obwohl ich wegschauen wollte, hielt mich sein Blick gefangen, sodass ich nicht die Augen von ihm lösen konnte.

„Es wird nie wieder vorkommen, das verspreche ich.“ Was in dieser Sekunde mit mir geschah, konnte ich nicht sagen, nur dass sich sein Blick veränderte und ich mit einem Mal das Gefühl hatte in Flammen zu stehen. Die Wärme kroch durch meine Adern, pumpte meinen Puls hoch und ich spürte nur noch den schnellen, immer wieder stockenden Herzschlag. Seit langem wurde mir wieder einmal der intensive Blick seiner  grünen Augen bewusst. Zuletzt hatte er mich so angesehen, als – Dieser Augenblick wurde von einem vorbeifahrenden Lkw zerstört, der Laut an uns vorbeiraste. Blinzelnd löste ich meinen Blick von ihm und fragte mich, was zum Himmels Willen gerade geschehen war, als er auch schon seinen Griff um meinen Armen löste. Räuspernd trat er einen Schritt zurück.

„Wir sollten Nachhause gehen. Die Frühlingszeit beginnt schon bald, sodass es langsam recht kühl sein wird. Es dauert keine halbe Stunde bis Sonnenuntergang. Wir sollten uns lieber beeilen, wenn wir nicht erfrieren wollen.“

„Ich will nicht zurück. Dieses Haus ist ein Fluch, der jedem verbietet auch nur wenige Minuten der Glückseligkeit zu empfinden.“

„Wie wäre es mit einem Hotelapartment?“

„Niemals!“ Mit angehobener Augenbraue sah er mich nachdenklich an, doch zuckte nur mit der Schulter.

„Hast du einen Vorschlag, wo du hingehen möchtest?“, richtete er die Frage an mich du ich dachte nach.

„Ich möchte nur an einen Ort, an dem man das Gefühl hat Zuhause angekommen zu sein. Mir ist es auch egal, wenn ich deshalb in einer alten, verrotteten Hütte schlafen muss, solange ich mich dort wohl fühle.“

In seinen Augen blitzte für wenige Sekunden ein Leuchten auf, woraufhin ein Lächeln auf seinen Lippen erschien.

„Komm, ich kenne einen Ort, der deiner Beschreibung nahe ist.“        

Verwundert nickte ich und folgte seinem enthusiastischen Schritten hinterher.

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.03.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Das Buch ist frei geschrieben, alle Figuren wurden erfunden. Ich widme das Buch den Leuten, die erst noch lernen müssen zu leben, damit sie sich selbst spüren.

Nächste Seite
Seite 1 /