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1.

Elina tropfte schon der Schweiß von der Stirn, die an ihrem Reithelm festklebte, während sie Poldi energisch vorwärtstrieb. Obwohl es schon abends war, lag auf dem Reitplatz kein Schatten und die Sonne stand gnadenlos am Himmel. Natürlich konnte Elina nachvollziehen, dass ihr Trakehnerwallach keine große Motivation hatte, bei dieser Hitze unter dem Sattel zu arbeiten. Aber ihre Reitlehrerin Sandra kannte wenig Gnade und forderte von ihren Schülerinnen höchsten Einsatz. Mit einem Blick zu ihrer besten Freundin Ida wollte Elina sich eigentlich absichern, dass es nicht nur ihr zu warm für eine Dressurstunde war. Doch das hätte sie lieber nicht tun sollen, denn Idas Schimmelstute Damura schwebte wieder einmal in perfekter Manier über den Sand, so dass die anderen Pferde daneben wir Trampeltiere wirkten. Elina ahnte, dass das ihr mäßiger Verdienst war, denn Poldi hatte durchaus schon Turniererfolge errungen. Diese Tatsache machte es ihr jedoch nicht gerade leichter, ihn zu reiten. Oft kam sie sich vor, als könnte sie ihm und seinem Talent nicht gerecht werden. Dabei arbeitete sie hart an sich und ritt jede Woche zweimal im Reitunterricht. Ida lächelte ihr im Vorbeireiten zu und Elina hätte am liebsten den Kopf geschüttelt. Wieso nur sah es bei ihrer besten Freundin alles so einfach aus? Es war ein schwacher Trost, dass zumindest Nina auf Scando ebenso zu kämpfen schien, wie sie selbst. Das dunkelbraune Endmaßpony war grundsätzlich kein Freund von einem anständigen Vorwärtstempo. Die hohen Temperaturen taten ihr Übriges, um Scando auszubremsen. Nina versuchte alles, um ihn im Trab anzutreiben, doch es sah aus, als würde er jede Sekunde in den Schritt durchparieren. Selbst die sonst so spritzige gescheckte Stute Jazzy, auf der Luisa saß, hatte an diesem Abend keine Lust, sich mehr als nötig zu bewegen. Elina atmete auf, als Sandra ihnen erlaubte, im Schritt zu reiten. Dabei stolperte Poldi durch den tiefen Sand und sie ahnte, dass er nicht ansatzweise untertrat. Sandras Kritik machte es auch nicht einfacher, den Wallach vorwärts zu bekommen. Deshalb war Elina an diesem Abend besonders erleichtert, als ihre Reitstunde vorbei war. Sie warf einen neidischen Blick zu Ida, die noch immer strahlte, als könnte ihr das Wetter nichts anhaben.

 

„Das haben sie sich verdient“, sagte Nina als sie wenig später mit ihren Freundinnen am Abspritzplatz stand und das kühle Wasser aus dem Schlauch über Scandos Beine fließen ließ.

Elina hätte sich am liebsten gleich dazugestellt. Eine kalte Dusche war genau das, wonach sie sich jetzt auch sehnte. Doch bis dahin würde es noch eine Weile dauern. Zuerst galt es, Poldi zu versorgen. Auch er wollte ein bisschen abgekühlt werden. Dann musste sie noch ihre ganze Ausrüstung auf- und wegräumen.

Geschafft schob sie Poldis Boxentür zu und versuchte, sich aus ihren Reitstiefeln zu schälen, um endlich die bequemen Turnschuhe anzuziehen.

„Das war eine tolle Stunde“, strahlte Ida aus Damuras Box heraus.

„Wie machst du das nur?“, seufzte Elina zur Antwort.

Sie kannte einen Teil der Antwort schon. Ida ritt, seit sie denken konnte. Außerdem trainierte sie wirklich hart. Dazu kam dann noch ein gewisses Talent, dass ihr zumindest Sandra zusprach, und das auch alle anderen schlecht leugnen konnten. Ida wusste einfach, was sie tat, wenn sie in der Nähe von Pferden war, oder auf ihrem Rücken saß. Elina fragte sich oft genug, ob sie jemals auch nur annähernd so gut reiten können würde. Meist schob sie diesen Gedanken dann aber schnell wieder weg, denn einerseits wurde ihr dadurch klar, dass sie noch ein ziemlicher Anfänger war-auch wenn Sandra und ihre Freundinnen ihr gern etwas anderes erzählten. Andererseits fand sie es aber auch nicht gerade nett, so neidisch auf ihre beste Freundin zu sein. Das gehörte sich doch nicht.

„Ihr wart doch auch nicht schlecht heute“, behauptete Ida als sie ihre Putzkisten wegbrachten.

„Du bist eine schlechte Lügnerin“, lachte Elina. „Wir sind heute fast im Sand stecken geblieben, so langsam waren wir.“

Ida lachte mit und sagte nichts mehr dazu. In der Sattelkammer sah sie Elina durchdringend an und verkündete:

„Meine Mutter kann uns morgen in den Stall fahren.“

Elina schaute sie überrascht an und wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Seit einiger Zeit hatte Idas Mutter begonnen, ihre weiße Stute Damura wieder zu reiten. Zuerst nur ein bisschen im Schritt, doch nun war der Mittwoch wieder zu dem Tag geworden, an dem Damura nur ihr gehörte. Ida gefiel das ganz und gar nicht. Außerdem befürchtete sie, dass es nicht bei diesem einen Tag bleiben würde. Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, Damura ganz für sich zu haben, dass sie sie nur schwer wieder loslassen und mit ihrer Mutter teilen konnte.

 

Ida machte ein ziemliches Geheimnis daraus, warum sie am nächsten Tag mit ihrer Mutter zusammen in den Stall fahren konnten. Elina wusste, dass ihre beste Freundin manchmal mehr Wind um etwas machte, als nötig. Doch diesmal war sie wirklich neugierig. Ein paar Mal hatte sie versucht, etwas aus ihr herauszubekommen-doch erfolglos. Ida hatte bloß geheimnisvoll gesagt, sie solle sich überraschen lassen. Wenn sie ehrlich war, war Elina gar kein Freund von Überraschungen. Da wusste man nie, woran man war. Doch Ida war hartnäckig geblieben und so spekulierte Elina am Abend, als sie vor ihrem Pferdetagebuch saß, was sie wohl am nächsten Tag erwartete. Zumindest ihr großer Bruder Miko hatte sich darüber gefreut, dass er nicht den Chauffeur für die beiden Mädchen spielen musste. Außerdem hatte er Elina versucht zu beruhigen. Was konnte schon so Spannendes los sein?

 

Als Elina am nächsten Tag nach der Schule zu Hause abgeholt wurde, hüpfte Ida wie ein durchgedrehter Hase aus dem Auto ihrer Mutter, damit Elina sich auch bloß beeilte. Sie konnte es kaum erwarten, in den Stall zu kommen. Elina bezweifelte zwar, dass sich das dadurch beschleunigte, dass Ida ausstieg, anstatt einfach im Auto auf sie zu warten, aber das behielt sie lieber für sich.

„Möchtest du Elina nicht langsam aufklären?“, fragte selbst ihre Mutter auf dem Weg in den Stall.

„Aber es soll doch eine Überraschung sein“, protestierte Ida.

„Ist es das nicht sowieso schon?“, wollte Elina wissen. „Seit gestern zerbreche ich mir den Kopf, warum du so scharf darauf bist, heute in den Stall zu fahren.“

„Rate mal!“, forderte Ida sie auf, doch Elina lehnte entschieden ab.

„Also gut“, sagte Ida dann gewichtig und drehte sich zu Elina um. „Ich darf heute ein anderes Pferd reiten!“

Elina wusste im ersten Moment gar nicht, wie sie auf diese Information reagieren sollte. War das nun etwas Gutes?

„Du musst schon etwas mehr erzählen“, half ihr Idas Mutter.

„Bering! Ich darf Bering reiten!“, verkündete Ida. „Das ist das Pferd von Thomas, den kennst du aus dem Reiterstübchen.“

Elina überlegte, ob ihr der Name des Pferdes oder seines Besitzers etwas sagte. Tatsächlich wusste sie, dass Bering ein hübscher, sehr heller Fuchswallach war. Ein Sportpferd, soviel war klar. Und Thomas war zumindest auch ein alter Bekannter von ihrer verstorbenen Tante Hella, denn er hatte ihr im Reiterstübchen ein paar Geschichten aus der Vergangenheit erzählt. Genau genommen hatte sie Thomas bisher nur im Reiterstübchen gesehen und nie auf dem Pferd. Er war ein Mann, dessen Alter sie schwer einschätzen konnte. Vielleicht war er ein bisschen älter als ihre Eltern, aber das konnte sie nicht mit Sicherheit sagen.

„Wieso darfst du Bering reiten?“, wollte Elina etwas lahm wissen.

„Weil Thomas jemanden für ihn braucht, seit seine Tochter zum Studieren in eine andere Stadt gezogen ist“, erklärte Ida. „Er ist Arzt und schafft es nicht jeden Tag in den Stall.“

Und wenn er dort ist, sitzt er im Reiterstübchen, fügte Elina grinsend in Gedanken hinzu. Glücklicherweise deutete Ida ihr Grinsen anders und sagte: „Ich wusste, dass du dich für mich freust.“

„Auf jeden Fall“, nickte Elina und das war die Wahrheit. Normalerweise hasste Ida den Mittwoch, weil es der einzige Tag in der Woche war, an dem sie nicht reiten konnte. Zwar beschäftigte sie sich dann intensiv mit den beiden Ponys, die Sandra vor kurzem gerettet hatte, doch die waren noch nicht bereit für einen Reiter, auch wenn Ida schwor, dass es nicht mehr lange dauern konnte.

 

„Weißt du, was das Beste ist?“, wollte Ida von Elina wissen, als sie auf dem Reitplatz nebeneinander im Schritt ritten.

„Dass du mit deiner Mutter zusammen reiten kannst, ohne dass ihr euch ein Pferd teilen müsst?“, überlegte Elina.

Denn während Ida auf dem hellen Fuchswallach saß, ritt ihre Mutter auf Damura. Sie traute es sich seit einiger Zeit wieder zu, mit der Stute auf dem Platz zu reiten, und machte weiterhin Fortschritte. Wenn sie sich gut fühlte, galoppierte sie sogar schon ein paar Runden. Doch ihre Verletzungen bremsten sie meist nach einer halben Stunde aus. Dann war die Belastung doch zu groß und sie blieb lieber im Schritt. Aber wenn sie mit Damura arbeitete, dann sah es noch besser aus, als bei Ida. Eine Tatsache, die Elina ihrer besten Freundin natürlich niemals gesagt hätte.

„Nein, das Beste ist, dass Thomas mich gefragt hat“, erklärte Ida.

Elina stand etwas auf dem Schlauch.

„Wie meinst du das?“, fragte sie, während sie feststellte, dass auch dieser Tag für ihren Geschmack zu warm war.

„Er ist auf mich zugekommen und hat gefragt, ob ich Bering reiten möchte“, sagte Ida. „Er hat mich reiten sehen und gedacht, dass ich eine gute Wahl wäre.“

„Ach so“, nickte Elina. „Da hat er ja auch recht.“

„Danke“, lächelte Ida. „Aber es gibt so viele gute Reiter im Stall, von denen viele auch älter sind, als ich.“

Elina verstand, was ihre Freundin meinte. Ein erwachsener Pferdebesitzer war so überzeugt von Idas Reitkünsten, dass er ihr anbot, sein eigenes Pferd zu reiten. Sie musste zugeben, dass sie davon durchaus auch beeindruckt war. Zwar war es naheliegend, einen Schüler um Hilfe zu bitten, weil diese tendenziell mehr Zeit hatten, als die arbeitenden Erwachsenen, doch Elina wusste, dass es auch ältere Schüler im Stall gab, die sich über ein solches Angebot gefreut hätten. Ida konnte also zu recht stolz auf sich sein. Sie hatte Eindruck hinterlassen und Thomas wirkte auf Elina nicht, als würde er jeden auf sein Pferd lassen. Er vertraute Ida, was eine große Ehre war. Elina konnte sich jedenfalls nicht vorstellen, jemanden auf Poldi reiten zu lassen. Einzige Ausnahme war auch für sie Ida. Aber immerhin war sie ja auch ihre beste Freundin und noch dazu die beste Reiterin, die sie kannte.

 

Dass Thomas eine gewissenhafte Reiterin ausgewählt hatte, stellte Ida auch an diesem heißen Tag unter Beweis. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie sich an Bering gewöhnt und ritt ihn in allen Gangarten über den Reitplatz.

„Er ist ein Traum“, schwärmte sie im Trab auf dem Zirkel.

„Lass das mal nicht Damura hören“, grinste Elina, die schon spüren konnte, wie ihr das Blut vor Anstrengung in den Kopf schoss.

Sie wusste, dass Ida der Meinung war, Damura wüsste, dass sie ihre Nummer eins war. Trotzdem konnte Elina sich nicht vorstellen, ein anderes Pferd als Poldi zu reiten. Sie bekam schon ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich mit ihren Freundinnen um Castor und Pollux kümmerte.

Obwohl auch Idas Mutter nicht besonders viel mit Damura machte, kam Elina sich zwischen den beiden wieder einmal vor, als würde sie gar nichts richtig machen. Poldi trug seinen Kopf nicht in einer leichten, schönen Anlehnung. Er trat nicht so weit unter, wie Damura und Bering, er schwebte nicht, er trottete eher vor sich hin. Und dabei ritt Elina, so gut sie nur konnte. Sie versuchte, trotz der Hitze alles zu geben, ihn vorwärts zu reiten, die Wendungen und Übergänge einzubauen, wie Sandra es ihr gezeigt hatte. Aber Poldi wirbelte immer mehr Sand auf, weil er einfach nicht die Beine hob. Elina wusste, dass der Wallach manchmal im Schritt dermaßen schlurfte, dass er tatsächlich Schleifspuren im Sand hinterließ. Das war ihr sehr peinlich und sie versuchte es zu verhindern, aber das war gar nicht so einfach.

 

„Macht nicht zu viel, es ist so warm“, rief Idas Mutter den Mädchen schließlich zu, als sie selbst schon eine ganze Weile am langen Zügel Schritt ritt.

Elina nickte dankbar und beendete die Arbeit bald darauf ebenfalls. Besser würde es ja doch nicht mehr, da war sie sich inzwischen sicher. Ida hingegen ritt noch eine ganze Weile weiter. Sie sah sichtlich zufrieden aus mit Bering. Der Fuchs machte allerdings auch eine gute Figur unter ihr. Und dabei wurde er das erste Mal von Ida geritten. Trotzdem wirkten die beiden schon jetzt wie ein echt gutes Paar. Elina klopfte Poldi gedankenverloren den Hals, während sie ihre beste Freundin beobachtete. Es sah einfach nur super aus, das konnte man nicht anders sagen. Elina wäre froh gewesen, wenn sie ihr eigenes Pferd so schön hätte reiten können. Und Ida stieg einfach auf ein fremdes Pferd und ritt es besser, als Elina es mit Poldi je hinbekam. Seufzend schob Elina den hässlichen Neid weg, der sich in ihre Gedanken geschlichen hatte.

„Er ist ein tolles Pferd“, schwärmte Ida beim Trockenreiten. „Vielleicht kann ich ihn ja öfter reiten, als nur einmal in der Woche.“

„Es sah wirklich super aus“, meinte Elina.

„Danke“, freute Ida sich. „Er hat es mir leicht gemacht.“

So bescheiden war Ida sonst nicht immer, deshalb wunderte Elina sich ein bisschen. Aber sie freute sich auch sehr für ihre Freundin, die nun nicht mehr jeden Mittwoch schlechte Laune haben musste, weil ihre Mutter Damura ritt.

 

 

„Ich habe wirklich schon viel mit ihm geübt“, sagte Ida stolz, als sie am nächsten Nachmittag gemeinsam mit ihren Freundinnen und ihrer Reitlehrerin zu den beiden Ponys Castor und Pollux in die separate Stallgasse gingen.

Elina war noch völlig fertig davon, dass sie gerade noch mit Poldi auf dem Reitplatz gearbeitet hatte. Auch Ida war dabei gewesen und hatte Damura bewegt. Doch anders als Elina schien das Mädchen mit den blonden Engelslocken nicht zu bremsen. Elina wischte sich die schweißnassen Haare von der Stirn und beneidete Luisa und Nina, die gerade erst von zu Hause in den Stall gekommen waren.

„Was hast du geübt?“, wollte Luisa misstrauisch wissen. Sie hatte noch immer das Gefühl, dass Ida sich etwas mehr in den Mittelpunkt drängte, als es nötig war. Dabei hatte Ida doch wirklich genug Pferde zum Reiten. Sie hatte es auch Nina und Luisa direkt auf die Nase gebunden, dass sie Bering reiten durfte.

„Wer hat, dem wird gegeben“, hatte Nina dazu nur gesagt. Allerdings hatte Ida nicht den Eindruck gemacht, als hätte sie diesen Kommentar verstanden. Zumindest war sie nicht weiter darauf eingegangen.

„Na, ich habe Castor verschiedene Decken aufgelegt, damit er sich daran gewöhnt, dass etwas auf seinem Rücken liegt“, erklärte Ida.

Sandra warf ihr einen prüfenden Blick zu und Ida sagte schnell:

„Ich habe ganz vorsichtig mit ihm gearbeitet und nie lange.“

Sie erreichten die Box, die sich die beiden hellen Füchse teilten, weil sie nach so langer gemeinsamer Zeit, in der sie nur einander

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 23.03.2020
ISBN: 978-3-7487-3293-8

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Peròn, der seine wahre Seelenverwandte gefunden hat

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