Cover

1.

Elina klappte das Tagebuch mit dem hübschen Pferd auf dem Cover zu und ließ den Blick aus ihrem Zimmerfenster schweifen. Es war noch immer ungemütlich draußen. Eben noch Ende Februar, was wollte man da erwarten. Sie konnte es kaum erwarten, dass es endlich wieder wärmer würde. Aber vermutlich dauerte das noch eine ganze Weile. Wenigstens würde sie das gemütliche Haus an diesem Tage nicht mehr verlassen müssen. Das war ein schwacher Trost. Gemeinsam mit Ida war sie schon geritten und Poldi hatte sich von seiner besten Seite gezeigt. Das kalte Wetter ließ ihn fleißiger gehen, aber er war immer artig. Inzwischen hatte Elina schon unzählige Seiten in ihrem Pferdetagebuch vollgeschrieben. Vor allem, wenn es gut gelaufen war, füllten sie die Blätter fast wie von selbst mit ihrer geschwungenen Handschrift. Dann berichtete sie besonders gern, was sie alles erreicht hatte.

 

Ihr Bruder Miko klopfte an ihre Zimmertür und öffnete sie kurz darauf einen Spalt.

„Kommst du zum Essen?“, wollte er wissen, als er sie an ihrem Schreibtisch entdeckte.

„Klar“, entgegnete Elina und stand auf.

Sie war froh, eine kleine Pause vor den anstehenden Hausaufgaben einlegen zu können. Das Abendessen mit ihrer Familie war ein festes Ritual, an dem alle teilnahmen. Dann konnte jeder von seinem Tag berichten und sie saßen gemütlich beisammen.

Auf der Treppe nach unten zögerte Elina jedoch plötzlich. Auch Miko wurde langsamer. Aus dem Erdgeschoss drangen aufgeregte Stimmen nach oben. Es waren ihre Eltern, die ungewöhnlich laut miteinander diskutierten. Elina war es nicht gewohnt, dass es Streit zu Hause gab. Wenn, dann kabbelte sie sich mal mit Miko, aber das war mehr zum Spaß. Besorgt sah sie ihren älteren Bruder an. Der jedoch zuckte nur die Schultern und wollte weitergehen. Energisch hielt Elina ihn zurück. Sie duckte sich auf der Treppe und versuchte, zu lauschen. Besonders stolz war sie nicht darauf, doch sie war einfach zu neugierig. Und meist versuchten die Erwachsenen sowieso, alles runterzuspielen, wenn man sie direkt darauf ansprach. Miko seufzte leise und kauerte sich neben Elina. Tatsächlich konnten sie das Gespräch ihrer Eltern verstehen. Es war kein richtiger Streit. Trotzdem klang ihre Mutter etwas aufgebracht.

 

„Ich dachte, du hättest dich schon längst darum gekümmert“, verkündete sie gerade vorwurfsvoll.

„Das wollte ich ja auch“, entgegnete Elinas Vater schwach.

„Wieso ist dann nichts passiert?“

„Ich habe es einfach vergessen“, behauptete er.

„Vergessen?“, hakte Elinas Mutter nach und schien ihm kein Wort zu glauben.

„Vielleicht auch ein bisschen verdrängt“, gestand er ein.

Einen Augenblick lang blieb es still in der Küche. Miko und Elina hörten bloß, wie ihre Eltern weiter den Tisch deckten. Normalerweise halfen sie dabei selbstverständlich mit, doch nun blieben sie auf ihrem Versteck und gaben keinen Laut von sich.

„Es ist immerhin das Haus meiner verstorbenen Schwester“, sprach Elinas Vater endlich weiter. Er wirkte nun wieder ruhiger. „Es fällt mir nicht leicht, damit umzugehen, wie mit jedem anderen Objekt.“

„Das verstehe ich ja auch“, räumte Elinas Mutter ein. „Aber du hättest mir davon erzählen sollen. Wir sind auch Geschäftspartner.“

Elina fand es immer ein bisschen seltsam, wenn ihre Mutter sich als Geschäftsfrau gab. Ihre Eltern besaßen gemeinsam eine Immobilienfirma. Daher stimmte es, dass sie auch Beide hart arbeiteten, Häuser und Wohnungen kauften, verkauften und vermieteten. Ginge es nach den Kunden, dann hätten die Beiden vermutlich schon lange kein Privatleben mehr. Doch zu Hause war Elinas Mutter einfach nur ihre Mama und da konnte sie sie sich kaum als Geschäftsfrau vorstellen.

„Ich habe es nicht absichtlich vor dir verheimlicht“, sagte Elinas Vater. „Ich hatte es selbst schon vergessen.“

 

Als keine weiteren Worte aus der Küche drangen, trauten sich Miko und Elina langsam nach unten. Ihre Eltern fanden sie umschlungen am Esstisch wieder. Anscheinend hatten sie sich schon wieder versöhnt. Miko sah absichtlich weg und stapelte seinen Teller noch halb im Stehen voller Essen.

„Hinsetzen, junger Mann“, mahnte sein Vater halbernst und er gehorchte.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Elina vorsichtig.

Sie hatte nicht alles ganz verstanden, was ihre Eltern besprochen hatten. Das machte sie unsicher und sie wollte wissen, worum es gegangen war.

„Ja, alles in Ordnung“, nickte ihre Mutter liebevoll und stellte ihr einen Becher Tee hin.

„Was ist mit dem Haus von Tante Hella?“, platze es dann aus Miko heraus, der weniger taktvoll und weniger zurückhaltend war, als seine kleine Schwester.

„So viel habt ihr also doch mitbekommen?“, hakte sein Vater nach.

„War nicht zu überhören“, behauptete Miko und biss herzhaft von seinem ersten Brot ab.

„Es ging tatsächlich um das Haus eurer verstorbenen Tante“, seufzte Elinas Mutter.

 

Nun war auch Elina neugierig und schaute auf. Es war etwas mehr als ein halbes Jahr vergangen, seit Tante Hella, die Schwester ihres Vaters, plötzlich verstorben war. Zwar hatte sie sich nicht besonders gut gekannt, doch sie war ihr immer sympathisch gewesen. Außerdem war Elina so über Nacht zu Poldi gekommen. Denn Tante Hella hatte ihr das Pferd in ihrem Testament vermacht. Dabei konnte Elina damals gar nicht reiten. In Poldi jedoch hatte sie sich sofort verliebt und alles daran gesetzt, so schnell und gut wie möglich das Reiten zu lernen. Zu Anfang hatte sie jeden Tag Reitunterricht bekommen, inzwischen war sie Teil einer Vierergruppe, mit der sie sowohl Dressur- als aus Springunterricht nahm. Manchmal überkam Elina ein seltsames Gefühl von Scham, wenn sie die Zeit mit Poldi so genoss, wo er doch eigentlich ihrer Tante gehört hatte. Zwar beruhigten sie immer alle, und sagten ihr, dass sie sich hervorragend um Poldi kümmerte, doch zumindest ein Rest dieses Gefühls blieb.

 

„Lass mich raten“, sagte Miko. „Das Haus ist noch nicht verkauft.“

„Das stimmt“, räumte sein Vater ein. „Ich habe es bisher nicht geschafft, mich darum zu kümmern.“ „Das ist doch normal“, fand Miko. „Es ist ja auch eine Belastung. Vielleicht möchtest du es ja einfach noch nicht verkaufen. Ich an deiner Stelle würde auch noch Zeit brauchen.“

Elina war erstaunt, wenn ihr großer Bruder sich so verständnisvoll zeigte. Er tat gern besonders cool, aber eigentlich war er schon schwer in Ordnung.

„Wahrscheinlich hast du Recht“, sagte auch Elinas Mutter. „Aber wir müssen nun eine Entscheidung treffen, was wir damit machen wollen.“

Elina merkte, dass es vor allem ihrem Vater gar nicht leicht fiel, darüber zu reden oder gar eine Entscheidung zu treffen. Er vermisste seine Schwester, auch wenn er ebenfalls nur wenig Kontakt zu ihr gehabt hatte. Vielleicht bereute er das sogar ein bisschen. Sie hatte sich nicht getraut, ihn danach zu fragen.

Elinas Mutter dagegen war auf jeden Fall praktisch veranlagt. Sie wollte wissen, was mit dem Haus passierte. Sollte es nicht verkauft werden, so musste sich jemand darum kümmern. Außerdem fand sie, dass ihr Mann bereits lange genug gewartet hatte. In all den Monaten hätte er sich durchaus schon einmal Gedanken darüber machen können, wie es weiter gehen sollte. Vor allem vor der vielen Arbeit graute es ihr. Der Verkauf sollte so schnell wie möglich über die Bühne gehen. Doch natürlich war sie rücksichtsvoll genug, das nicht ganz so deutlich zu sagen, wie sie es dachte.

„Ich werde noch ein paar Nächte darüber schlafen, wenn das in Ordnung ist“, seufzte Elinas Vater schließlich. „Mir ist ja auch klar, dass das Haus nicht verfallen soll. Wir brauchen es im Moment nicht, aber ich weiß nicht, ob ich mich schon davon trennen kann.“

Seine Familie wusste, dass sie ihn jetzt nicht drängen sollte. Doch vor allem der Winter, in dem das Haus unbewohnt gewesen war, hatte ihm bestimmt nicht unbedingt gut getan. Miko war gar nicht begeistert, wenn er überlegte, dass er seinen Eltern beim Säubern des Grundstückes und Gartens helfen sollte.

 

Während Elina noch versuchte, sich vorzustellen, wie es ihrem Vater wohl ging, hatte Miko eine ganz andere Idee:

„Darf ich mit meinen Freunden in dem Haus eine Party feiern?“

„Wie kommst du denn jetzt darauf?“, wollte seine Mutter schockiert wissen.

„Ich meine ja nur, das Haus steht leer, wir hätten einen Platz für uns in Ruhe“, zählte er auf und sah kaum von seinem vollen Teller auf.

Elina war ebenfalls erstaunt. Und doch fand sie die Idee gar nicht so schlecht.

„Und danach können wir das ganze Haus grundrenovieren, so weit kommt es noch“, warf Elinas Vater ein. „Wer weiß, was ihr da anstellt.“

Miko tat beleidigt.

„Haben wir jemals etwas kaputt gemacht?“, wollte er dann wissen.

Er hatte bereits ein paar Mal mit seinen Freunden im Keller feiern dürfen. Und auch im Garten hatte es ein paar Partys gegeben. Elina war leider nie besonders lange dabei geblieben. Miko wollte sie nicht dabei haben und ihre Eltern fanden es auch unpassend. Aber sie hatte bis spät in die Nacht die laute Musik gehört und sich vorgestellt, wie alle dazu tanzten. Sie war ein bisschen neidisch darauf, dass ihr großer Bruder überhaupt so unglaublich viele Freunde hatte.

„Ich gebe zu, dass ihr euch bisher immer anständig benommen habt“, sagte Elinas Mutter nun zu Miko. „Aber wenn ihr ausgerechnet an einem Verkaufsobjekt etwas zerstören würdet, wäre das eine Katastrophe.“

„Das haben wir ja gar nicht vor“, seufzte Miko. „Es geht doch nur darum, dass wir einen Ort für uns haben, an dem wir niemanden stören.“

„Und an dem wir euch nicht stören?“, ergänzte sein Vater grinsend.

„Vielleicht auch das“, murmelte Miko.

Doch seine Eltern waren noch nicht bereit, diese Erlaubnis zu erteilen. Da sie sich nicht einmal sicher waren, was nun überhaupt mit dem Haus von Tante Hella passieren sollte, konnten sie sich nicht zu einer Entscheidung hinreißen lassen. Irgendwann gab Miko vorerst auf und ließ seine Eltern damit in Ruhe. Dabei fand er die Idee super, denn gerade im Winter konnte er sich mit seinen Freunden ja schlecht irgendwo in einem Garten zusammensetzen. Sein Zimmer war auch nicht gerade groß genug für alle.

 

Nach dem Essen zogen sich Elinas Eltern noch einmal zurück, um weiter über das Haus zu diskutieren. Elina konnte sich vorstellen, dass es eine Belastung war, doch sie verstand nicht genau, warum ihre Mutter nun so plötzlich eine Entscheidung von ihrem Vater erwartete. Miko versuchte, es ihr zu erklären. Er war ihr einfach in ihr Zimmer gefolgt und hatte sich auf ihrem Bett breit gemacht.

„Es geht ums Geld, ist doch klar“, sagte er cool. „Das Haus hat einen Wert, der weniger wird, wenn es länger unbewohnt ist, und dadurch noch Reparaturen anfallen.“

Elina nickte und bekam wenigstens einen Anflug einer Vorstellung. Zumindest verstand sie, dass es Arbeit machte, das Haus immer in Schuss zu halten, und für mögliche Interessenten herzurichten. Vor allem, wenn diese spontan zu einer Besichtigung kommen wollten.

„Kennst du das Haus eigentlich gut?“, wollte Elina von ihrem Bruder wissen.

„Ich bin mit Papa ein paar Mal da gewesen, als wir den ganzen Papierkram zum Anwalt gebracht haben“, antwortete der. „Ich glaube, vieles steht dort noch so, wie Tante Hella es hinterlassen hat.“

Nachdenklich wickelte Elina eine ihrer braunen Haarsträhnen um ihren Finger. Sie selbst hatte das Haus noch gar nicht gesehen. Ihre Eltern hielten sie noch für zu jung, um sie damit zu belasten, das wusste sie. Sie meinten es einfach gut. Und trotzdem fand sie es nun seltsam, dass sie nicht einmal wusste, wo Tante Hella eigentlich gelebt hatte. Zumindest jetzt war ihre Neugierde geweckt. Ob es dort viel zu entdecken gab?

„Was machst du eigentlich an deinem Geburtstag?“, unterbrach Miko sie in ihren Gedanken.

Elina schrak auf und sah ihn dann grinsend an.

„Was soll ich da schon machen?“, fragte sie zurück und zuckte die Schultern.

„Wie wäre es mit einer Geburtstagsparty?“, schlug Miko vor.

Er kannte seine kleine Schwester eigentlich gut genug, um zu wissen, dass sie das nicht vorhatte, aber diesmal wollte er nicht locker lassen.

„Ich und wer?“, wollte Elina spöttisch wissen. „Die Idioten aus meiner Klasse, die mich immer ärgern?“

„Du und Ida vielleicht?“, meinte Miko.

„Das wäre ja wirklich eine große Party“, seufzte Elina und streckte ihrem Bruder die Zunge heraus. Es war wirklich nicht mehr lange hin, bis sie endlich Geburtstag hätte. Genau genommen erfüllte sie dieser Tag jedes Jahr mit Grauen. Während alle anderen Mädchen sich mit tollen Feiern zu übertrumpfen versuchten, konnte sie nicht mithalten. Es gab niemanden, den sie hätte einladen können. Ihre letzten Partys hatte ihre Mutter für sie ausgerichtet, obwohl sie gar keine Lust darauf gehabt hatte. Es waren auch bloß ein paar Kinder von Freunden ihrer Eltern gekommen. Wahrscheinlich eher aus geschäftlichen Gründen. Die Eltern hatten es sich vermutlich nicht mit Elinas Eltern verscherzen wollen. Entsprechend langweilig waren die Feiern dann auch gewesen. In den letzten Jahren dann hatte Elina ihrer Mutter glücklicherweise

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 10.08.2017
ISBN: 978-3-7438-2789-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Perón, der seine wahre Seelenverwandte gefunden hat

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