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1.

Elina und Ida rannten den Weg über den Hof bis zur Stalltür. Der Regen sollte sie auf dem kurzen Weg vom Auto dorthin wenigstens nicht völlig durchnässen. Für Mitte Januar war es ohnehin viel zu nass und viel zu wenig winterlich. Gegen schönen, weichen Schnee hätten sie ja nichts einzuwenden gehabt, aber Regen war gar nicht nach ihrem Geschmack. Schnell schloss Ida die Stalltür hinter ihnen und atmete auf. Als die Mädchen an sich heruntersahen, zweifelten sie jedoch daran, dass ihr kurzer Sprint etwas gebracht hatte. Irgendwie waren sie trotzdem nass geworden. Ida zog die Kapuze vom Kopf, während Elina sich wie ein Hund zu schütteln versuchte.

„Blöder Regen“, schnaufte sie. „Was ist das bloß für ein Winter?“

„Ein sehr nasser“, antwortete Ida knurrend.

„Naja, wenigstens hatten wir zu Weihnachten Schnee“, seufzte Elina und sie schlenderten gemeinsam durch den Stalltrakt der Schulpferde.

Gerade wollte Elina aufatmen, weil sie Nina und Luisa nirgends entdecken konnte, da tauchten die beiden Mädchen doch noch auf. Sie standen vor dem Schwarzen Brett und waren so beschäftigt, dass sie Elina und Ida gar nicht bemerkten. Was konnte dort schon so Spannendes hängen, fragte Elina sich sofort. Auch Ida sah neugierig aus und sie wollte wissen, was es zu sehen gab. Während Elina wahrscheinlich gewartet hätte, bis Nina und Luisa das Feld geräumt hätten, steuerte Ida das Schwarze Brett direkt an. Warten war nicht gerade ihre Stärke.

 

„Was ist das denn?“, wollte Ida ziemlich direkt wissen und schob sich unsanft an Luisa und Nina vorbei.

„Pass doch auf, du Trampel!“, fauchte Nina auch sofort. „Wir waren noch nicht fertig.“

„Das ist bestimmt nicht wichtig für euch“, erwiderte Ida.

Doch die beiden Mädchen blieben stehen und machten nur so viel Platz, wie nötig. Elina stand etwas unsicher hinter Ida und versuchte zu erkennen, was auf dem Zettel stand, der offenbar gerade erst von Sandra angebracht worden war.

„Oh, endlich mal wieder ein Lehrgang“, sagte Ida begeistert.

Sie warf Nina und Luisa einen abwertenden Blick zu, als wollte sie ihnen gleich mitteilen, dass sie dafür bestimmt nicht geeignet wären. Bisher standen auf der Teilnehmerliste, die unter der Ankündigung zum Lehrgang hing, erst die Namen von zwei älteren Mädchen.

„Was ist das?“, wollte Elina von ihrer Freundin wissen. Zwar hatte sie den Text gelesen, doch sie wusste nicht ganz genau, was sie sich darunter vorstellen sollte.

„Ein Lehrgang, das heißt, ein Reitlehrer oder Trainer kommt hier her und gibt an vier Tagen hintereinander Reitunterricht“, erklärte Ida.

„An unseren Halbjahreszeugnisferien“, ergänzte Luisa und schien schon voller Vorfreude zu sein.

„Macht ihr auch mit?“, fragte Elina Nina und Luisa.

„Mit welchem Pferd denn?“, warf Ida patzig ein.

Im Gegensatz zu ihr und Elina ritten Nina und Luisa auf den Schulpferden.

„Wir werden Sandra mal fragen, ob wir mit Scando und Jazzy daran teilnehmen dürfen“, nickte Nina und ignorierte Idas Bemerkung.

„Und unsere Eltern sollten wir auch fragen“, fügte Luisa hinzu. „Schließlich kostet so ein Lehrgang auch ziemlich viel Geld.“

„Auf jeden Fall sollten wir uns bald anmelden, denn Sebastian Böhme ist ein sehr bekannter und guter Reitlehrer“, meinte Ida und wandte sich dann ab.

Sie mussten sich ein bisschen beeilen, um ihre Pferde rechtzeitig für den Unterricht fertig zu machen.

 

Elina betrat Poldis Box und atmete tief ein. Sie liebte es, einfach in seiner Nähe zu sein. Er hatte sich längst zu ihr umgedreht und seine warmen Nüstern in ihr Gesicht gestupst. Elina nahm Poldi die Winterdecke ab. Dann griff sie nach ihrem Putzzeug und begann, sein weiches Fell zu säubern. Unter der Decke war er kaum dreckig, aber Elina wusste, dass er die Massage genoss und dadurch auch sein Kreislauf in Gang kam. Ihr eigener natürlich auch, denn gerade im Winter tat jede Bewegung gut. In Poldis Box, dicht neben ihm, war es aber auch gar nicht mehr so unangenehm kalt, wie draußen und auf der Stallgasse. In der Nachbarbox kümmerte sich Ida um ihre große Schimmelstute Damura. Es war wesentlich schwieriger, ein schneeweißes Pferd sauber zu bekommen, als den dunkelbraunen Poldi. Elina war immer wieder beeindruckt, wie strahlend weiß Idas Pferd war. Und dabei schien es, als hätte ausgerechnet diese Stute besonderen Spaß daran, sich einzusauen. Weil sie jedoch so viel Zeit am Schwarzen Brett verbracht hatten, machten sie ihre Pferde etwas schneller fertig, als sonst. Poldi nahm es Elina nicht übel und ihr fiel es nicht mehr schwer, denn inzwischen liefen ihre Bewegungen beinahe automatisch ab. Sie musste nicht mehr nachschauen oder nachfragen, sondern wusste schon genau, was sie tat. Bald sattelten und trensten Ida und Elina, schnappten ihre Reitkappen und machten sich auf den Weg in die Halle.

 

Nina und Luisa befanden sich mit ihren Schulpferden bereits in der Halle, waren jedoch noch nicht aufgestiegen. Meist warteten sie damit, bis ihre Reitlehrerin Sandra hereinkam. Ida und Elina führten ihre Pferde eine Runde und stellten sich dann ebenfalls auf die Mittellinie. Allerdings warteten sie nicht mehr auf Sandra. Elina wusste schon lange, wie sie ihre Dreieckszügel einstellen musste. Dann schwang sie sich auf den Rücken ihres Pferdes und ritt neben Ida, die bereits auf dem ersten Hufschlag war. Es dauerte nicht lange, bis Sandra die Halle betrat und sie alle freudig begrüßte. Nach den Winterferien hatte sie beschlossen, dass die vier Mädchen nicht nur in der Springstunde zusammen reiten, sondern von da an auch die wöchentliche Dressurstunde gemeinsam verbringen sollten. Vor allem Ida hatte das zunächst gar nicht gepasst. Ihrer Meinung nach waren Luisa und Nina blutige Anfänger. Die Wahrheit war jedoch, dass die Beiden schon wesentlich länger ritten, als Elina. Und die war ohnehin in einer Gruppe mit Ida. Manchmal wusste Elina nicht genau, was Ida davon überhaupt hielt. Schließlich ritt sie noch nicht einmal seit einem Jahr. Dadurch, dass sie so plötzlich ein eigenes Pferd bekommen hatte, als ihre Tante Hella unerwartet verstarb, hatte Elina in kurzer Zeit sehr viel gelernt. Aber mit den anderen Mädchen, die schon seit Jahren auf dem Pferd saßen, konnte sie nicht immer mithalten. Neuerdings ritten auch Luisa und Nina schon manchmal ohne Hilfszügel. Sandra wollte anfangen, ihnen das Reiten ohne die Dreieckszügel beizubringen. So weit war Elina noch nicht. Obwohl sie wusste, dass das kein Wunder war, weil sie noch nicht so lange ritt, ärgerte sie sich auch manchmal darüber. Dann war sie ein bisschen neidisch auf die anderen.

 

Dabei machte Poldi es ihr wirklich einfach. Er reagierte auf ihre Hilfen, auch wenn sie mal nicht ganz genau gegeben wurden. Er nahm ihr ihre Fehler nicht übel, die ihr gelegentlich noch passierten, und er bot von sich aus immer sehr viel an. Er lief die Linien perfekt, auch wenn Elina schluderte. Außerdem ließ sich der dunkelbraune Wallach durch nichts aus der Ruhe bringen. Während sie noch im Schritt ritten, fragte Sandra ihre Reitschüler:

„Habt ihr den Aushang schon gesehen?“

Natürlich konnten sie nur bejahen, denn das war schließlich das Erste gewesen, das ihnen aufgefallen war.

„Sebastian Böhme ist ein sehr guter Reitlehrer und Trainer“, erklärte Sandra. „Ich bin sehr froh, dass ich ihn überreden konnte, einen Lehrgang in meinem Stall anzubieten.“

Die Mädchen nickten und hingen ihren Gedanken nach. Luisa und Nina fragten sich, wie sie wohl ihre Eltern überreden könnten, den Lehrgang zu bezahlen. Elina überlegte, ob sie für so etwas überhaupt schon gut genug wäre. Noch bevor Luisa und Nina fragen konnten, ob sie überhaupt mit Jazzy und Scando an dem Lehrgang teilnehmen durften, sagte Sandra:

„Es ist ein sehr schöner Dressurlehrgang, wie ich finde, der euch allen gut tun würde.“

„Uns allen?“, hakte Nina hoffnungsvoll nach. „Heißt das, wir dürften Jazzy und Scando dafür nehmen?“

„Ja, natürlich“, antwortete Sandra lächelnd. „Das ist eine sehr schöne und lehrreiche Erfahrung für euch alle.“

Elina sah noch immer nicht ganz überzeugt aus. Schüchtern schaute sie auf Poldis Hals hinunter und traute sich nicht, aufzusehen.

„Also wir müssen noch unsere Eltern fragen“, gestand Luisa ihrer Reitlehrerin.

„Macht das“, nickte die verständnisvoll. „Und dann tragt ihr euch einfach ein, wenn es in Ordnung geht.“

Elina wusste, dass sie natürlich auch zuerst ihre Eltern fragen müsste. Aber ob sie überhaupt mitmachen sollte, war ihr noch nicht klar. In ihrer Reitgruppe war sie schließlich die Schlechteste, auch wenn ihr das nie jemand so gesagt hatte. Das war eher ihr eigener Eindruck.

„Was ist mit dir, Ida?“, fragte Sandra. „Bist du nicht sogar schon mal einen Lehrgang bei Sebastian Böhme geritten?“

Ida nickte selbstgefällig und sagte erst gar nichts. Dann aber meinte sie:

„Ich denke, ich werde teilnehmen.“

Sandra fand das toll, denn sie wusste, dass Ida eigentlich lieber Springen wollte. Dass sie trotzdem an einem Dressurlehrgang teilnehmen und demnach stark an sich arbeiten würde, gefiel ihr sehr gut. Immerhin predigte sie den Mädchen auch immer wieder, wie wichtig die tägliche Dressurarbeit war, ohne die schließlich nichts ging.

„Elina?“, rief Sandra plötzlich und sie drehte sich zu ihrer Reitlehrerin um.

„Ja?“

„Hast du schon darüber nachgedacht, ob du auch am Lehrgang teilnehmen möchtest?“

„Ich weiß nicht, ob ich gut genug dafür bin“, gab Elina unsicher zurück.

„Wieso? Luisa und Nina wollen doch auch mitmachen“, warf Ida ein und erntete böse Blicke von den beiden Mädchen.

„Der Lehrgang soll euch ja weiterbringen“, erklärte Sandra. „Es geht nicht darum, schon gut zu sein, sondern noch besser zu werden. Und als Reiter kann man sich immer verbessern.“

Elina verstand, was ihre Reitlehrerin sagen wollte. Also wollte sie es versuchen, wenn ihre Eltern ihre Erlaubnis gaben.

 

Es regnete es noch immer, als Elinas großer Bruder Miko sie und Ida im Stall abholte. Die beiden Mädchen hatten an der offenen Stalltür gewartet, bis er mit seinem Auto auf den Hof gefahren kam. Sie hatten keine Lust gehabt, nasser als nötig zu werden. Nun liefen sie zum Auto und stiegen schnell ein. Miko war extra dicht an den Stall herangefahren.

„Na, wie war es?“, wollte er wissen, als sich die Mädchen anschnallten.

„Es gibt einen Lehrgang, wenn wir Zeugnisferien haben“, plapperte Elina sofort drauf los.

Genau wie sie wusste auch Miko nicht, was er sich darunter vorstellen sollte. Also erklärten die Mädchen es ihm.

„Das hört sich doch toll an“, fand er schließlich.

„Denkst du, Mama und Papa erlauben es mir?“, wollte Elina hoffnungsvoll von ihm wissen.

„Bestimmt“, beruhigte er sie lächelnd. „Wenn dein Zeugnis nicht zu schlecht wird.“

„Mein Zeugnis ist gar nicht schlecht“, entgegnete Elina entschieden.

Sie war zwar nicht unter den allerbesten Schülern in ihrer Klasse, aber für ihr Zeugnis brauchte sie sich nicht zu schämen. Sie hatte fast nur Zweien darauf stehen.

„Wer macht noch bei dem Lehrgang mit?“, fragte Miko weiter, während er durch den Regen fuhr.

„So wie es aussieht unsere beiden besten Freundinnen“, sagte Ida sarkastisch. „Luisa und Nina.“

„Das wissen wir doch noch gar nicht“, bremste Elina sie.

Ida knurrte etwas Unverständliches und murmelte dann:

„Ich weiß gar nicht, was die da wollen, sie haben doch gar kein eigenes Pferd.“

„Vielleicht wollen sie sich trotzdem noch weiter verbessern“, überlegte Miko.

„Und sie reiten ja sowieso immer Scando und Jazzy, da können sie ja auch mit den beiden am Lehrgang teilnehmen“, meinte Elina.

Idas Meinung nach war das Blödsinn, aber Ida mochte Luisa und Nina auch einfach nicht. Deshalb war in ihren Augen fast alles Blödsinn, was die beiden Mädchen machten. Vor allem, wenn sie Ida dabei in die Quere kamen. Elina fand es gar nicht so schlimm. Sie war froh, dass Luisa und Nina aufgehört hatten, bei jeder Gelegenheit einen blöden Kommentar über sie und ihre Reitkünste abzugeben. Das war alles, was sie gewollt hatte. Dafür gifteten Ida und die beiden Mädchen sich in letzter Zeit immer heftiger an. Darauf hatte Elina eigentlich gar keine Lust und sie wünschte sich, dass Ida damit aufhören würde-denn die fing oft genug damit an.

 

Noch am Abend wollte Elina ihre Eltern um Erlaubnis bitten, an dem Lehrgang teilzunehmen. Ein bisschen aufgeregt war sie schon, schließlich war ihr Hobby Reiten schon teuer genug. Aber Dank Tante Hellas Erbe war zumindest für Poldis Stallmiete, seine Tierarzt- und Schmiedkosten immer gesorgt. Sie hatte ein Konto für ihr geliebtes Pferd angelegt, damit immer für Poldi gesorgt wäre. Außerdem wusste Elina, dass ihre Eltern nicht jeden Cent ganz genau umdrehen mussten, wie zum Beispiel die Eltern von Luisa und Nina. Und trotzdem hatte sie manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre Eltern so offen um etwas bat. Das tat sich auch wirklich selten. Seit sie Poldi hatte, gab es erst recht weniges, worum sie gebeten hätte. Es fehlte ihr ja auch an nichts.

 

Beim Abendessen erklärte Elina ihren Eltern erst einmal, was ein Lehrgang überhaupt war. Ihre Eltern wussten das zwar, hatten aber keine Ahnung, was es bezogen auf das Reiten bedeutete.

„Also kommt einfach nur ein anderer Reitlehrer zu euch in den Stall?“, hakte ihre Mutter nach.

„Ja, er soll wirklich gut sein“, nickte Elina.

„Ist Sandra denn nicht gut?“, fragte ihre Mutter sofort.

„Natürlich ist Sandra gut, aber sie hat gesagt, es schadet nicht, wenn man die Chance nutzt, bei einem so erfahrenen und guten Reitlehrer zu lernen“, antwortete Elina schnell.

„So ist das doch bei jedem Lehrgang“, warf Miko ein.

„Ich meine ja nur, dass du schon zweimal pro Woche im Unterricht reitest“, sagte Elinas Mutter.

„Einmal springen wir und einmal ist es Dressur“, erklärte sie und wusste nicht, ob ihrer Mutter das noch so viel sagte.

Es war eben etwas anderes, als ein richtiger Dressurlehrgang. Ganz genau wusste Elina es ja auch noch nicht, schließlich hatte sie noch nie an so etwas teilgenommen. Aber es klang gut und Ida hatte ihr erzählt, dass sie schon an mehreren Lehrgängen mit Damura teilgenommen hatte.

„Das ist eben etwas intensiveres Training, als sonst“, meinte Elina. „Über vier Tage werden wir jeden Tag bei Herrn Böhme Dressur reiten.“

Elinas Eltern sahen sich an und tauschten einen Blick aus.

„So ehrgeizig kenne ich dich gar

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 13.08.2016
ISBN: 978-3-7396-6883-3

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Péron, der seine wahre Seelenverwandte gefunden hat

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