„Weiter im Trab!“, rief Sandra Elina und Ida zu, die gerade auf dem Mittelzirkel ritten. Elina schwitzte an diesem Tag besonders unter ihrem dicken Pullover. Es war zwar ein kühler Herbsttag, doch auf dem Pferd wurde ihr immer so schnell warm. Die vielen dicken Kleidungsschichten, die ihre Mutter ihr aufdrückte, waren einfach zu viel. Außerdem ritten sie an diesem Tag wegen des Windes in der Halle. Ida saß im T-Shirt auf ihrer weißen Stute Damura und Elina ahnte, dass sie dafür von ihrer Mutter Ärger bekommen würde. Seit fast einem halben Jahr ritten sie nun gemeinsam einmal pro Woche im Unterricht bei Sandra. Seit Elina Poldi von ihrer Tante geerbt hatte, war viel passiert. Inzwischen war sie dank Sandras Hilfe eine richtig passable Reiterin geworden und hielt gut mit Ida mit. Auch, wenn sie keinen Reitunterricht bekamen, ritten sie ihre Pferde meist gemeinsam. Dass Idas Mutter ihnen manchmal Unterricht gab, brachte sie weiter voran.
„Sehr schön, jetzt könnt ihr die Pferde am langen Zügel im Schritt reiten“, ordnete Sandra am Ende der Stunde an. Elina atmete tief aus. An diesem Tag hatten sie besonders hart gearbeitet und waren viel galoppiert. Poldi schien es zu gefallen, wenn er gefordert wurde. Er schnaubte zufrieden und streckte seinen Hals.
„Damura lief heute schön in der Verbindung“, lobte Sandra Ida.
Im Gegensatz zu Elina durfte Ida schon ohne Hilfszügel reiten. Manchmal war Elina ein bisschen neidisch auf die Reitkünste ihrer Freundin. Doch das war natürlich albern, denn Ida ritt schon von klein auf und war ihr damit um Jahre voraus. Trotzdem wollte Elina einmal genauso gut werden, wie sie.
„Poldi war auch super heute“, meinte Sandra zu ihr. „Du hast deinen Sitz außerdem sehr verbessert.“
Elina strahlte über das Lob, denn Idas Mutter hatte in den letzten Tagen viel mit ihr geübt, damit sie in allen Gangarten einen sicheren Grundsitz bekäme. Manchmal fehlte ihr einfach noch die Körperspannung, um die ganze Stunde lang gerade auf Poldis Rücken zu sitzen. Dass sie sich an diesem Tag besonders viel Mühe gegeben hatte, war ihrer Reitlehrerin also aufgefallen. Das freute sie wirklich.
Im Schritt kam Ida neben sie geritten und meinte: „Das sah wirklich toll aus.“
„Danke, bei dir aber auch“, meinte Elina.
„Danke“, lachte Ida und streichelte zufrieden Damuras Hals.
Eigentlich gehörte die weiße Stute ihrer Mutter. Doch die konnte nach einem Reitunfall noch nicht wieder auf das Pferd steigen, so dass Ida im Moment die Einzige war, die auf Damura ritt. Elina bewunderte ihre Freundin dafür, dass sie ihr Pferd immer so strahlend weiß putzte. Andererseits war sie froh, dass Poldi ein dunkelbraunes Fell hatte, in dem nicht jeder Fleck sofort sichtbar war.
Als Poldi und Damura nicht mehr schwitzten, stiegen Elina und Ida ab und kratzten ihnen die Hufe aus, bevor sie die Halle verließen.
„Hast du Luisa und Nina gesehen?“, wollte Ida leise von ihrer Freundin wissen und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung der Bank hinter der Bande. Hier konnten sich Zuschauer setzen und die Reiter beobachten.
„Ist mir nicht aufgefallen“, gestand Elina grinsend.
Sie ließ sich nicht mehr von den beiden Mädchen einschüchtern. Sie hatten versucht, ihr das Leben im Stall schwer zu machen. Zuerst war es ihnen durchaus gelungen, doch gemeinsam mit Ida hatte Elina sich gewehrt und nun ignorierten sie sich meist.
„Weißt du, warum die immer bei uns herumlungern?“, wollte Ida wissen.
Elina schüttelte den Kopf und war überfragt. Sie hatte auch eigentlich aufgehört, darüber nachzudenken, was Luisa und Nina wollten. Die beiden Mädchen suchten ja sowieso fast nur Ärger.
„Ich glaube, die stehen auf Miko“, wisperte Ida ihr zu.
Elina machte große Augen, als sie das hörte. Miko war ihr fünf Jahre älterer Bruder. Da er schon seinen Führerschein und ein eigenes Auto besaß, das seine Eltern ihm geschenkt hatten, wurde er meist losgeschickt, um Elina in den Stall zu bringen und abzuholen. Da Idas Mutter noch nicht so gut Autofahren konnte, nahm Miko auch sie meist mit.
„Meinst du wirklich?“, hakte Elina nun ungläubig nach.
Sie konnte es sich kaum vorstellen, schließlich war Miko viel älter, als sie.
„Doch, sie warten immer, bis er uns abholt“, sagte Ida überzeugt von ihrer Theorie.
Elina dachte nach und ihr fiel auf, dass Ida Recht hatte. Luisa und Nina drückten sich schon seit einer Weile immer auffallend in der Stallgasse oder auf dem Hof herum, wenn Miko kam, um sie abzuholen. Sie hatte sich auch schon gefragt, was das zu bedeuten hatte.
Poldis Box lag direkt neben der von Damura in einer speziellen Stallgasse, in der die Privatpferde untergebracht waren. So konnten Ida und Elina sich auch weiter unterhalten, während sie ihre Pferde absattelten. Elina legte gerade Poldis Gamaschen in eine dafür vorgesehene Tasche, als Luisa und Nina auf sie zukamen. Normalerweise hatten sie hier nichts zu suchen und das wussten sie auch. Obwohl Elina ihnen schon einmal die Stirn geboten hatte, war sie in ihrer Gegenwart noch immer unsicher. Daher war sie erleichtert, als auch Ida aus der Box ihres Pferdes auf die Stallgasse trat. Ida war wesentlich selbstbewusster, auch wenn Elina sich dank Poldi schon etwas verbessert hatte, was das betraf. Außerdem war Ida schlagfertiger, denn ihr fiel immer ein flotter Spruch ein.
„Was wollt ihr denn hier?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue.
„Wir wollten nur fragen, ob ihr auch in die Springgruppe kommt, die Sandra gründen möchte“, sagte Nina arrogant und kam kurz vor Ida und Elina mit ihrer Freundin zum Stehen.
„Welche Springgruppe?“, hakte Ida misstrauisch nach.
„Habe ich doch gesagt“, seufzte Nina genervt. „Sandra gründet eine Springgruppe und wir werden dabei sein.“
„Und wie es aussieht, werdet ihr beiden nicht dazu gehören“, meinte Luisa herablassend.
„Ich brauche keine Gruppe, um zu springen“, sagte Ida schnell. „Ich habe nämlich ein eigenes Pferd und kann jederzeit springen.“
„Wenn du meinst“, sagte Luisa und die beiden Mädchen wandten sich zum Gehen.
Elina sah ihnen noch eine Weile nach, während Ida sich wieder ihrem Pferd widmete. Damura trug schon eine leichte Decke über Nacht, damit sie kein dickes Winterfell entwickelte. Auch Elina kümmerte sich weiter um Poldi und hing ihren Gedanken nach.
„Warum hat Sandra ausgerechnet die Beiden gefragt?“, überlegte Elina, als sie ihre Sättel in die Sattelkammer brachten.
„Sag mir bitte, dass dich das nicht wirklich mitnimmt“, seufzte Ida und tauschte ihre Stiefel gegen Turnschuhe.
„Nein, aber es wundert mich eben“, meinte Elina und war sich nicht ganz sicher. Vielleicht machte es ihr doch etwas aus. So viel besser als sie waren Luisa und Nina nun auch wieder nicht. Warum sollten ausgerechnet die Beiden in eine Springgruppe aufgenommen werden? Was sprach gegen sie und Ida. Okay, sie selbst war vielleicht einfach noch nicht so weit. Aber Ida ritt schon wesentlich länger und war sogar schon auf Turnieren gesprungen. Das ergab doch gar keinen Sinn.
„Das möchte ich ja gerne sehen, wie die Beiden auf den Schulponys über die Hindernisse wackeln“, lästerte Ida, als sie den Stall verließen.
Luisa und Nina ritten meist die Haflinger von Sandra im Reitunterricht, weil sie keine eigenen Pferde besaßen.
„Ist es dir wirklich egal?“, hakte Elina ungläubig nach.
Ida zuckte die Schultern und meinte: „Sandra wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Wir können außerdem wirklich jederzeit springen.“
„Aber ich habe das noch nie gemacht“, warf Elina ein.
„Das lernst du schon noch“, beruhigte Ida sie.
Elina verstand nicht, wie ihre Freundin so ruhig bleiben konnte. Sie war wirklich neidisch, dass Luisa und Nina gefragt worden waren. Sie hätte es auch gern probiert und Poldi war ohnehin ein Springpferd. War sie einfach noch nicht gut genug?
Als Miko sie abholte, konnte sie nicht aufhören, darüber nachzudenken. Er merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Sobald er Ida nach Hause gebracht hatte, fragte er seine kleine Schwester aus und sie erzählte ihm, was passiert war.
„Und das ärgert dich jetzt so sehr?“, wollte er erstaunt wissen.
„Ja, wieso werde ich nicht gefragt?“, jammerte Elina.
„Vielleicht kommt das ja noch“, vermutete Miko schulterzuckend.
„Und warum hätte Sandra das nicht gleich heute machen sollen?“, fragte Elina vorwurfsvoll.
„Sie kann es ja auch vergessen haben“, meinte ihr Bruder ruhig.
Elina schnaubte und konnte ihm das nicht abnehmen. Eigentlich war es gar nicht ihre Art, aber es störte sie wirklich, dass ausgerechnet Luisa und Nina gefragt worden waren. Sie mochte die beiden Mädchen nicht und fand den Gedanken furchtbar, dass sie bevorzugt werden konnten.
„Soll Ida denn in der Springgruppe dabei sein?“, fragte Miko ganz vorsichtig, als er sein Auto vor dem Haus ihrer Eltern abstellte.
„Nein, sie wurde auch nicht gefragt“, antwortete Elina gekränkt.
„Vielleicht soll die Gruppe ja nur für die Reiter der Schulpferde sein“, überlegte Miko als sie ausstiegen. Der Wind pfiff ihnen sofort wieder um die Ohren und Elina setzte auch für den kurzen Weg zur Haustür lieber ihre Kapuze auf. Auf den Gedanken war Elina noch gar nicht gekommen, aber da konnte vielleicht etwas Wahres dran sein. Dennoch wäre sie enttäuscht, wenn ihr diese Art der Förderung verwehrt bliebe. Gerade, weil sie ein eigenes Pferd hatte, wollte sie doch noch so viel lernen.
„Mach dir nichts daraus, das wird sich bestimmt bald ganz einfach aufklären“, tröstete Miko sie im Windfang. „Ida scheint sich ja auch nicht davon stören zu lassen.“
„Das wundert mich allerdings auch“, seufzte Elina, denn eigentlich war ihre Freundin die impulsivere von ihnen beiden.
Ihr Ärger war aber noch nicht verklungen und so ging sie direkt nach dem Abendessen in ihr Zimmer und kramte unter ihrem Bett das Pferdebuch hervor, das ihre Mutter ihr geschenkt hatte, als sie Poldi bekam. Es war ein Tagebuch, in dem Elina alles notierte, was sie mit Poldi und auch sonst im Stall erlebte. Meist waren das sehr schöne Dinge, doch diesmal wollte sie auch ihre Enttäuschung aufschreiben. Vielleicht ging es ihr danach wenigstens ein bisschen besser.
Die Ferien hatte Elina wirklich genossen, denn da waren ihr Luisa und Nina wenigstens nur gelegentlich im Stall begegnet. Doch abgesehen davon waren die beiden Mädchen auch in ihrer Klasse. Leider ging Ida auf eine ganz andere Schule, so dass Elina den Beiden hier allein ausgesetzt war. Schon bevor Elina Poldi bekommen hatte, war sie den Mädchen lieber aus dem Weg gegangen, weil sie sich für ganz besonders toll hielten und das auch jeden spüren ließen. Damals hatten sie ihr allerdings auch keine Beachtung geschenkt. Das hatte sich nun leider geändert. Weil Elina generell nicht zu den beliebtesten Mädchen in ihrer Klasse gehörte, hatte sie einen Platz am Rande einer Sitzreihe bekommen. Luisa und Nina saßen direkt vor ihr und drehten sich bei jeder Gelegenheit um, um sie zu nerven. An diesem Tag waren sie besonders penetrant.
„Du musst dir nichts dabei denken, dass du nicht in die Springgruppe kommst“, sagte Nina arrogant wie immer.
„Ja, du bist einfach noch lange nicht so weit“, pflichtete Luisa ihr sofort bei und sah Elina fast schon mitleidig an.
Elina atmete tief durch und ignorierte sie. In ihrem Kopf zählte sie langsam bis zehn, um sich zu beruhigen. Dabei spürte sie, wie ihr Gesicht langsam rot anlief, weil sie ihren Ärger hinunterschluckte. In ihrer Federmappe hatte sie ein Bild von Poldi kleben, das sie ansah, um sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Wenn doch bloß Ida bei ihr wäre. Die hätte bestimmt sofort gewusst, was sie kontern sollte. Aber ihr selbst fiel wieder einmal nichts ein, was sie sagen konnte.
„Es ist auch viel zu gefährlich für einen solchen Anfänger“, redete Nina ungefragt weiter und verdrehte die Augen.
„Ja, du kannst ja kaum richtig galoppieren“, lachte Luisa abfällig.
Elina ballte die Hand zu einer Faust und wusste, dass ihr Kopf inzwischen rot leuchtete. Wie konnten sie so einen Blödsinn reden. Sie hatte Poldi im Galopp gut unter Kontrolle. Natürlich war sie noch kein Profi, aber das konnten die Beiden nun auch nicht von sich behaupten. An Ida kamen sie jedenfalls lange nicht heran. Und trotzdem überlegte Elina, ob sie nicht Recht hatten. Es musste ja einen Grund dafür geben, dass Sandra sie nicht gefragt hatte. Wahrscheinlich traute sie ihr einfach noch nicht zu, dass sie springen konnte. Langsam verflog der Ärger und Elina beruhigte sich wieder. Sie nahm all ihren Mut zusammen, sah Luisa und Nina an und sagte: „Ruhe, ihr Schulponyreiter!“
„Anfänger!“, knurrten sie zur Antwort und drehten sich endlich um.
„Was für eine Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, wollte Ida wissen, als ihr Mutter Elina am Nachmittag zu Hause abholte. Wenn es ihr Zustand zuließ, nahm sie Miko eine Fahrt ab und fuhr die Mädchen in den Stall.
„Ach, Luisa und Nina haben mich genervt“, murmelte Elina und sah auf ihre Finger.
„Und sonst nichts?“, hakte ihre Freundin nach.
Elina zuckte die Schultern und sagte nichts. Es hatte ja doch keinen Sinn, darüber zu reden. Außerdem ahnte Ida, was ihr auf die Stimmung schlug. Es war das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Darüber half ihr auch kein eigenes Pferd hinweg.
Ida wollte Elina nicht auch noch nerven und sagte lieber nichts. Das kam selten genug vor und sorgte für eine unangenehme Stimmung im Auto.
„Viel Spaß ihr Beiden“, rief Idas Mutter ihnen nach, als sie auf dem Hof ausstiegen. Ida und Elina winkten ihr und liefen durch den Nieselregen in das Stallgebäude.
Dort angekommen schüttelte Ida ihre goldblonden Locken aus wie ein Hund und lachte Elina an. Sie konnte nicht anders, als mitlachen. Und endlich ging es ihr wieder besser. Sie wollte die Zeit mit Poldi genießen und Ida nicht die Stimmung verderben, wenn sie im Stall waren. Das wäre dann doch zu egoistisch. Abgesehen davon hatte sie Luisa und Nina noch nicht entdeckt und war froh darüber. Kichernd holten sie ihre Ausrüstung aus der Sattelkammer und postierten sie vor ihren Boxen. Poldi kam freundlich an die Tür, als er Elina entdeckte. Sie freute sich immer, wenn er sie begrüßte. Es schien fast, als wartete er auf sie. Diesen Gedanken liebte Elina besonders. Dass er sie vielleicht ebenso mochte, wie sie ihn. Sie nahm ihr Putzzeug und betrat
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 06.03.2016
ISBN: 978-3-7396-4171-3
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Péron