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Mein Vater

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich über meinen Vater schreiben sollte. Ich tue es jetzt und weiß, dass jeder Text, und wäre er noch so lang, nicht in Worte fassen könnte, wie vielschichtig er ist und auch unser Verhältnis ist.

 

Mein Vater ist ein „richtiger“ Vater. Er tritt gerne auf, wie ein Familienpatriarch, der keine Widersprüche duldet und sich auch auf keine Diskussion einlässt. Er hat das Sagen, er trifft die großen Entscheidungen, er ist der Boss. Ja, er hat die Hosen im klassischen Sinne an. Er kann in dieser Eigenart furchtbar sein, starrsinnig, engstirnig. Aber es ist diese Eigenschaft, die uns auch erzogen hat in einer Linie, die nicht willkürlich war, sondern immer klar.

 

Ja, es gab Momente, da hätte ich meinen Vater auf den Mond schießen können. Und es gab Momente, da hätte ich ihn gebraucht, aber er war nicht da. Aber am Ende ist er mein Vater und ich will ihn nicht verändern. Ich weiß, dass seine negativen Eigenschaften auch seine positiven sind. Und so bescheuert und abgedroschen das klingt: Er meinte Einiges wahrscheinlich wirklich gut.

 

Mein Vater ist der vierte von fünf Jungs, die als erste Generation nicht in Schlesien, sondern in Niedersachsen geboren wurden. Sowohl er, als auch seine Brüder zogen daraus die Lehren, worauf es im Leben ankommt: Beruflicher Erfolg, eine feste Familie und ein eigenes Heim. Und: Ein vollgetanktes Auto, dass immer in Angriffsrichtung vor dem Haus geparkt wird. Man weiß ja schließlich nie, was passiert. Er war Soldat in der Bundeswehr und strebte auch hier nach mehr, als einem einfachen Dienstrang. Panzerfahrer, Unteroffizier, Ausbilder, das normale Maß reichte dem Perfektionisten in ihm nicht.

 

Obwohl er auf der Hauptschule angefangen hatte, studierte er Ingenieurwesen und schaffte es nach ganz oben in Niedersachsens Ministerium für Verkehr (wird immer mal wieder umbenannt). Katholisch wie er ist, mussten viele Kinder her. Da meine Mutter (selbst Ingenieur) nur Kaiserschnitte haben konnte, war nach drei Kindern Schluss. Dabei hätte er sehr gerne noch mehr gewollt. Unsere Erziehung übernahm weitgehend meine Mutter, doch er beschäftigte sich mit uns, so viel es ging. Er spielte mit uns Fußball, reiste mit uns um die halbe Welt, kaufte uns entgegen seiner Überzeugung („Es gibt keine Tiere“) und zum großen Erstaunen meiner Mutter beinahe jedes Tier, das wir uns wünschten-nachdem wir bewiesen hatten, dass wir Verantwortung übernehmen konnten.

Ein guter Vater kann auch eine gute Mutter sein, sagt man.

 

Überhaupt: Verantwortung! Zuerst einmal fühlt mein Vater sich bis heute für uns, also seine Familie, verantwortlich und zwar in jeder Hinsicht. Das macht es zuweilen etwas anstrengend. Aber der Zusammenhalt in der Familie und das Aufpassen auf einander standen schon immer ganz oben. Nestbeschmutzung war unverzeihlich. Wir waren nie perfekt, aber welche Familie ist das schon? Bei uns wird aber auch nichts geheuchelt oder gespielt. Wichtig war, dass man zusammen hielt. Seine Ansprüche waren hoch, er erwartete viel von uns, traute uns aber auch immer viel zu. Wir schafften es alle an die Universität. Selbst ich, die „Dumme“ von uns. In mir sieht er sich selbst, weil wir beide um jeden noch so kleinen Erfolg hart kämpfen mussten.

 

Harte Arbeit setzte er voraus. Er forderte uns nicht auf, bei der Gartenarbeit zu helfen. Nein, er erwartete, dass wir von selbst auf die Idee kamen, zu helfen. Und er bemerkte jede Hilfe, auch wenn er das nicht sofort erwähnte. Das brachte er dann zum Ausdruck, wenn wir etwas von ihm wollten. Dann erinnerte er sich daran, wer wie fleißig gewesen war. Putzpläne gab es nicht, aber wir wussten, dass wir nicht nach der Erlaubnis zum Fernsehen fragen mussten, wenn unser Zimmer aussah, wie Dresden 1945.

 

Manchmal ist er ein anstrengender Weltverbesserer. Er schreibt Leserbriefe bis zum Umfallen, klagt gegen alles, was ihm nicht koscher vorkommt, und reicht mindestens eine Landtagspetition pro Monat ein. Immer dann, wenn ihm etwas faul und ungerecht vorkommt. Aber er hat jedem von uns bisher immer erfolgreich aus der Patsche geholfen, und steckten wir noch so tief drin.

 

Mein Vater weiß alles, kann alles und hilft mir immer. Ich bin ein Papa-Kind, was vielleicht kein Wunder ist, als Erstgeborene. Meine Mutter traute sich nicht, mich auf den Arm zu nehmen, als ich geboren wurde. Sie hatte Angst, mir wehzutun. Aber mein Papa hat sich vom ersten Moment an um mich gekümmert. Er hat mir alles beigebracht, was er wusste, und mit dieser Mission ist er noch immer nicht fertig. Wenn ich etwas nicht weiß, renne ich zu ihm. Er weiß es. Oder er findet es heraus.

 

So findet man mich bis heute oft im Wohnzimmer: Auf dem Sofa mit einer Tüte Chips :D

 

 

Dabei verfügt er über eine Gerissenheit, die ich beneide. Gelegentlich entdecke ich Züge davon bei mir. Dann fällt mir ein, dass ich diese Dinge von ihm gelernt habe. Manches kam mir auch nie komisch vor, bis mein Freund mich darauf hinwies, dass das niemand außer uns so macht. Aber es sind viele praktische Dinge dabei und ich bin froh, dass mein Vater trotz seines klassischen Rollenverständnisses uns drei Kinder immer gleich behandelt hat. Mein Bruder durfte nicht mehr, als ich, oder länger draußen bleiben. Ich weiß genauso viel über Autos, wie er. Wir spielten alle Fußball, Basketball, lernten Skifahren und Reiten! Ich hatte mehr „männliches“ Spielzeug, als die meisten Jungs in unserer Straße. Entweder war ich damals schon so verrückt nach Autos, oder mein Vater hielt sie einfach für tolle Spielsachen. Mein Freund behauptet, mein Vater hätte mich wie einen Jungen erzogen, aber ich glaube, er hat einfach keinen Unterschied bei uns gemacht.

 

Das klingt jetzt sehr modern, aber eigentlich ist er das gar nicht. Er war immer sehr streng. Auch, wenn es von außen so aussehen kann, als wären wir vor allem materiell sehr verwöhnt, so täuscht das. Ohne Leistung gab es bei uns nichts. Ich musste fünf Freundinnen und deren Eltern unterschreiben lassen, dass sie auf mein-noch nicht vorhandenes-Meerschweinchen aufpassen, wenn wir mal wieder im Urlaub sind. Erst dann wurde diese wichtige Entscheidung überhaupt in Betracht gezogen. Meine Schwester durfte nach Australien fliegen, nachdem sie einen bestimmten Notenschnitt erreicht hatte. Und manchmal kam er ganz unerwartet mit so einer Idee um die Ecke und kaufte mir zum Master ein sauteures Auto. Wir sind viel gereist und hatten teure Hobbies. Aber wir bekamen wenig Taschengeld, durften nur eine Stunde am Tag fernsehen, gingen am Sonntag in die Kirche und hatten auch sonst strenge Regeln, die eingehalten werden mussten. Ansonsten wurden diese Regeln verschärft. Mein Vater kündigte nichts an, was er nicht auch ohne zu zögern umsetzte. Leere Drohungen gab es bei ihm nicht. Man wusste umgekehrt aber auch immer, woran man war.

 

Wer braucht einen Skilehrer? Mit Papa auf den höchsten Berg...

 

 

 

Generell ist mein Vater kein emotionaler Mensch. Und dann wieder schäumen seine Emotionen über-leider auch mal die schlechten. Er erwartet von seinen Mitmenschen einfach immer dieselbe Perfektion, die er scheinbar immer besitzt. Aber wir sind eben nicht alle so. Dennoch, Emotionen sind Mangelware. Das kann Sicherheit geben, das kann aber auch abstoßen. Meine Schwester kommt damit nicht so gut zurecht. Ein bisschen kann ich sie verstehen. Es ist nicht einfach-gerade als Kind-immer funktionieren zu müssen. Aber je älter ich wurde, umso mehr wurde mir klar, dass mein Papa seine Gefühle in erster Linie über seine Taten äußerte.

 

Langsam wird mein Papa alt und das ist kein schönes Gefühl. Das erste Mal wurde mir das wirklich bewusst, als er meinen Bruder bat, auf die Leiter zu klettern, und die Tanne zu kürzen. Es war ein seltsames Gefühl, diesen Rollentausch zu beobachten. Zuvor war immer mein Vater auf die Leiter geklettert und mein Bruder hatte zugesehen-ganz früher auch mein Opa, wenn wir in dessen Garten gearbeitet hatten. Jetzt hat es sich geändert. Manchmal frage ich meinen Bruder, ob er mir hilft, und nicht meinen Vater. Das ist seltsam, wenn man so darüber nachdenkt.

 

Jetzt habe ich ein wenig über meinen Vater geschrieben und doch sagt es nicht viel aus. Je mehr ich nachdenke, umso mehr Dinge fallen mir ein. Gute und Schlechte. Wie viele Zeilen braucht man wohl, um einen Menschen, den man sein ganzen Leben lang an der Seite hatte, zu beschreiben?

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.11.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich würde sagen, da bietet sich nur einer an: Mein Papa.

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