Cover

Prolog

Maxi zog ihr beiges, schulterfreies T-Shirt mit der glitzernden Aufschrift „New York City Girl“ über und band ihre langen schwarzen Haare zu einem festen Knoten zusammen. Während des Tanzens sollten ihr die Haare nicht ins Gesicht fallen. „Hey, träumst du mal wieder?“, tickte Merle sie von hinten an. „Oh mein Gott, musst du mich so erschrecken?“, zuckte sie vor Schreck zusammen. „Maxi, mach mal hin!“, drängte ihre Freundin. „Nadine wird nicht so begeistert sein, wenn wir wieder die Letzten sind.“ Maxi kontrollierte trotzdem noch mal ihr Aussehen im Spiegel. Der Zopf saß perfekt, ebenso ihr Shirt und ihre schwarze eng anliegende Leggins. „Spieglein, Spieglein an der Wand! Wer ist die Schönste im ganzen Land?“, hörte sie Jennys fiepsige Stimme. „Aber ihr seid keinen Deut besser!“, sprang Merle für sie in die Bresche und funkelte Jenny und ihre Busenfreundin Sarah böse an. „Genau, ihr würdet deutlich besser aussehen, wenn ihr nicht kiloweise Make Up im Gesicht hättet“, fuhr Maxi die beiden Comtessen an. Nur zu ärgerlich, dass alle vier Comtessen in ihrer Tanzgruppe waren. Zum Glück war Magdalena heute krank und Doreen mit ihrer Familie auf Lanzarote. Bevor es losging, schlüpfte Maxi schnell in ihre schwarzen Ballerinas.

 

Nadine, ihre Tanzlehrerin, und die anderen Mädchen wärmten sich gerade im Tanzstudio auf, als Maxi und Merle kamen. Nadine nickte ihnen freundlich zu, während die beiden Freundinnen mit den Gymnastikübungen begannen. Vor den anstrengenden Tanzeinheiten mussten die Sehnen und Muskeln gelockert werden. „So, Mädels, seid ihr bereit für das erste Stück?“, klatschte ihre Tanzlehrerin in die Hände. Ein mehrstimmiges „Ja“ antwortete ihr. Die Tanzschülerinnen gingen in Formation. Maxi durfte an der Spitze der Gruppe tanzen, was sie umso mehr mit Stolz erfüllte. Schließlich war das harte Arbeit und jede einzelne Bewegung musste perfekt sitzen. Die Musik erklang und bald wummerten die Beats durch das hübsche Tanzstudio mit den vielen Fenstern. Was gab es Besseres als Jazzdance. Jeder Schritt und jeder Move saßen, als würde sie jeden Tag tanzen. Maxi fühlte sich fast wie ein Star in einem Musikvideo. Es war der Oberhammer! In ihren Gedanken malte sie sich aus, wie sie an der Seite ihres Lieblingssängers tanzte, der total schnuckelig war. Sie, die coole Tänzerin, die es der ganzen Welt zeigen wollte. Unauffällig kontrollierte sie immer wieder ihre Haltung im großen Wandspiegel. Es war bewiesen, dass Tanz und Musik glücklich machten. Für Maxi war das wie Medizin. Wenigstens konnte sie jetzt Patrick und diesen verdammten Liebeskummer vergessen, der ihr die letzten Tage so zugesetzt hatte. Jetzt war sie wieder die alte Maxi, die meist gutgelaunt war, und die es liebte mit ihren Freundinnen Spaß zu haben. Nun kündigte Nadine den nächsten Tanz an. Da die Mädchen die Formation schon zigmal geprobt hatten, gingen sie von alleine in die Formation.

1. Kapitel

 

Ratter, ratter, ratter. Die Geräusche von Maxis Nähmaschine waren so laut, dass sie den kleinen Fernseher übertönten, wo gerade ein Musikvideo lief. Konzentriert arbeitete Maxi weiter und merkte noch nicht mal, dass sich ihre Katze Luna auf ihrem Himmelbett breit gemacht hatte. Überall lagen weiße und blaue Stoffe herum. Das, was Maxi gerade zusammennähte, sollte ein Eisprinzessinnenkostüm werden, wie es die Menschheit noch nicht gesehen hatte. Oh nein, hatte sie sich da mit dem weißen Tyllstoff verschätzt? Sie hatte ihn total schief geschnitten. Zum Glück hatte sie ihn noch nicht vernäht. Also noch einmal! Diesmal nahm sich Maxi ein langes Lineal und machte mit dem Bleistift eine dünne Markierung auf die Stoffbahn. Es klopfte an der Tür. „Herein!“, murrte Maxi, die momentan eine Ablenkung nicht gut gebrauchen konnte. „Oh Maxi-Schatz, was wird das?“, vernahm sie die Stimme ihrer Mutter. „Ein Kostüm für Fasching“, erwiderte sie. „Das sieht schon mal ganz gut aus“, lobte ihre Mutter und setzte sich gegenüber an ihrem Schneidertisch hin. Eigentlich hasste es Maxi, wenn ihr jemand bei der Arbeit zusah, und ständig Tipps gab. Doch bei ihrer Mutter war es anders. Da sie früher ein Model gewesen war, und seit fünfzehn Jahren als Designerin tätig war, konnte sich Maxi gute Tipps von ihr abholen. „Soll ich dir zeigen, wie man die Träger richtig annäht?“, bot ihre Mutter an und machte es vor, sodass Maxi es von ihr abgucken konnte. Den zweiten Träger schaffte sie schon alleine. „Wenn das fertig ist, siehst du aus wie die Eiskönigin in dem Film“, strahlte ihre Mutter. „Nur, dass ich schwarzhaarig bin und Elsa weißblonde Haare hat“, meinte Maxi und begann einen silbernen Eiskristall auf ihr Kleid zu nähen.

 

„Kind, arbeite nicht mehr allzu lange, es ist kurz nach elf und morgen hast du wieder Schule. Gute Nacht, mein Engel“, verschwand ihre Mutter aus ihrem Zimmer. Ratter, ratter, ratter: So ging es noch einige Zeit weiter. Bis Maxi einen Blick aus dem Fenster warf. Es schneite! Aufgeregt schlüpfte sie in ihre weißen Plüschhausschuhe und schlich zum Fenster. Draußen wirbelten dicke Schneeflocken durch die Luft. Wie dicht der Schneefall war, konnte man anhand des Lichtkegels der Straßenlaterne vor ihrem Fenster sehen. „Man, ist das kalt hier!“, bibberte sie, die nur eine dünne Seidenhose und ein grünes Spagettitop trug. Maxi drehte die Heizung auf und schob die purpurrote Gardine vor die Fenster. Auf einmal musste sie gähnen. Um Himmels Willen, es war kurz vor zwölf und sie hatte sich noch nicht einmal bettfertig gemacht. Hastig eilte sie ins Bad nebenan und putzte sich die Zähne. Zum Duschen war sie zu müde, aber das konnte sie am nächsten Tag noch machen. Deswegen schlüpfte sie nach einer kleinen Katzenwäsche direkt in ihr Nachthemd. Kaum hatte sie sich in ihre Decke eingerollt, schlief sie tief und fest. Ihre Katze machte es sich am Fußende bequem und rollte sich neben einem Plüschkissen ebenfalls zusammen. Während Maxi träumte, schneite es draußen ununterbrochen weiter. Weder das schlafende Mädchen noch die Katze merkten etwas davon.

 

Am nächsten Morgen in der Früh klingelte Maxis Handywecker. Gähnend drehte sie sich wieder um und drückte ihr goldenes Plüschpony an sich, das erstaunliche Ähnlichkeiten mit Fabella hatte. Eigentlich verachtete Maxi Kuscheltiere aller Art, nur noch dieses Plüschpony durfte in ihrem Bett sein. Alle anderen Kuscheltiere hatte sie vor zwei Jahren auf den Dachboden verbannt. „Guten Morgen, Maxi! Du kannst liegen bleiben“, öffnete ihre Mutter die Zimmertür. „Warum denn das?“, setzte sich Maxi aufrecht hin. „Die Schule fällt wegen des Schneesturms aus“, sagte ihre Mutter. „Gerade kam es im Radio, dass bis zu dreißig Zentimeter Neuschnee gefallen sind.“ – „Schneesturm?“, nun war Maxi komplett verwirrt. „Doch, guck mal nach draußen“, zeigte ihre Mutter aus dem Fenster. Schlaftrunken tappte Maxi ans Fenster. Dadurch dass der Schnee das Licht reflektierte, konnte sie mehr sehen, als sonst, und das, obwohl es noch dunkel war. „Ach du lieber Himmel!“, rief sie. „Da sind ja richtig hohe Schneewehen.“ – „Und ich habe nachher noch einen Frisörtermin“, stöhnte ihre Mutter. „Hoffentlich komme ich mit dem Auto hin.“ Müde ging sie wieder ins Bett und deckte sich zu. Bevor sie wieder einschlief, checkte sie ihre Nachrichten auf dem Handy. 123 Nachrichten im Chat! Das lag daran, dass sie seit zwölf Stunden nicht mehr online gewesen war. Allein 79 Nachrichten in dem Lustigen-Hufeisen-Chat, das war schon der Hammer. Dort drehte sich alles um den Schneesturm. „Habt ihr den Sturm heute Nacht auch so laut heulen hören?“, schrieb Klara. „Natürlich, ich bekam kein Auge zu“, schrieb Merle dazu. „Nein, ich habe den Schneesturm komplett verschlafen“, antwortete Maxi. „Hey Mädels, lasst uns um elf am Stall treffen und ne Runde in der Halle reiten“, schrieb Isabelle. Maxi war zu müde, um mit den anderen Mädchen zu chatten, und legte ihr Handy beiseite.

 

Gähnend rollte sie sich zusammen. Genauso konnte das zweite Schulhalbjahr beginnen. Nachdem sie zwei Stunden fest geschlafen hatte, wachte sie von ihrem eigenen Magenknurren auf. „Ich habe seit gestern Nachmittag nichts mehr gegessen“, fiel ihr ein und sie stand auf. Unten in der Küche saß ihre Mutter im Schaukelstuhl und las Zeitung. Dabei hingen ihr ihre langen seidig schwarzen Haare ins Gesicht. Ohne etwas zu sagen lud Maxi sich ein Zimtcrossiant, zwei Brote mit Nutella, ein gekochtes Ei, einen Pfirsich und Trinkjoghurt auf ihr Tablett. Natürlich durfte ein Latte Macchiato nicht fehlen. Maxi liebte die Espressomaschine, die ihre Mutter aus Italien mitgebracht hatte. Pfeifend trug sie ihr Tablett in ihr Zimmer, ohne das etwas herunter fiel. Frühstück im Bett, was konnte es bei so einem Wetter Bessere geben! Wieder über 50 Nachrichten, die nun hauptsächlich aus dem Chat von Patricks Clique. „Juhu, heute keine Schule, das wird ein chilliger Tag. Ich gehe nachher ins hauseigene Spa“, schrieb Juliana. „Juli, darf ich gleich vorbei kommen?“, schrieb Fabienne. Juli und Fabienne gingen in Patricks Klasse und waren früher Maxis beste Freundinnen gewesen. Dass Maxi sich den lustigen Hufeisen angeschlossen hatte, nahmen ihr die beiden Mädchen sehr krumm. Daher sah sie ihre ehemaligen besten Freundinnen nur noch, wenn Patricks Clique entweder ins Kino oder zum Bowling ging und anschließend in der Pizzeria aß. „Was soll’s?“, dachte Maxi bei sich. „Mit den Lustigen Hufeisen habe ich die fünf besten Freundinnen dieser Welt gefunden.“ Da sie ihr Frühstück genießen wollte, legte sie ihr Handy beiseite. Mit jedem Bissen konnte sie klarer denken und das Leben kehrte in sie zurück. Wenigstens war sie nicht mehr so geschwächt, dass sie nachher vom Pferd fiel.

 

„Maxi!“, flog die Tür auf und ihre Mutter stand im Türrahmen. „Wenn du es bis kurz nach zehn schaffst, fertig zu werden, kann ich dich und deine Freundinnen ein Stück bis zum Stall bringen“, bot sie ihr an. „Oh danke, du bist die beste Mama der Welt“, jubelte Maxi und schlich ins Bad. Zuvor hatte sie ihren Freundinnen geschrieben, dass ihre Mutter sie von zuhause abholte und zum Stall brachte. Erstmal musste sich duschen. Mit ihren verstrubbelten Haaren und ihren schlaftrunkenen Augen konnte sie nicht unter Leute. Je länger das warme Wasser über ihren geschmeidigen Körper lief, desto wacher wurde sie. Nachdem sie sich geduscht hatte, kam das Make-up an die Reihe. Auf Schmuck und Ohrringe verzichtete sie ganz. Nur das Lustige-Hufeisen-Armband baumelte an ihrem Handgelenk. Endlich war sie fertig. Da es draußen kalt sein würde, zog sie eine dünne Thermohose unter ihre Reithose und kramte ihren dicksten Fleecepulli aus dem Schrank. „Du bist schneller als ich dachte“, war ihre Mutter angetan, als um Punkt zehn Uhr im Flur erschien. Es ging los. Maxi nahm auf dem Beifahrersitz platz und sang leise zu einem Lied im Radio mit. Auf den geräumten Straßen ließ es sich gut fahren. Zuerst sammelten sie Klara und Ronja ein. Als sie zu Merle in eine kleine Seitenstraße einbogen, die nicht geräumt war, blieb der Wagen stecken. Die drei Mädchen mussten aussteigen und anschieben. Mit vollem Körpereinsatz schafften sie es das Auto aus der Schneewehe zu befreien.

 

Etwa vierzig Minuten später ritten sechs Lustige Hufeisen auf dem Rücken ihrer Pferde durch die Halle. „Hier könnte man mal eine Heizung einbauen“, hatte Maxi auszusetzen. „Ich finde es gar nicht so kalt“, war Wiebke der Meinung. „Du hast deutlich mehr auf den Rippen als ich“, hätte Maxi fast geantwortet, aber zum Glück konnte sie sich die kleine Gemeinheit verkneifen. Auf keinen Fall wollte sie gemein zu Wiebke sein, die mittlerweile eine sehr gute Freundin war. „Wisst ihr was, stellt euch vor, wir hätten Reiten als Schulfach“, schwärmte Isa, die Kandra in den Trab trieb. „Ich wäre dabei!“, rief Merle überschwänglich. „Reiten statt Englisch.“ – „Ich würde Reiten gerne gegen Sport tauschen“, meldete sich Maxi zu Wort. Eigentlich mochte sie Sport, da sie ab und zu mit ihrer Mutter im Kraftraum im Keller trainierte oder mit ihrem Vater Tischtennis spielte. Doch der Sportunterricht war einfach nur öde und dazugehörige Lehrer auch. „Wer will ne Partie springen?“, spornte Merle ihre Freundinnen an und ließ Arthos angaloppieren und über eine mittelhohe Hürde springen. Isa und Klara machten es ihr nach. „Komm Fabella, wir probieren es auch!“, flüsterte Maxi ihrer Araberstute zu. Kurz darauf galoppierte sie Fabella an und flog leichtfüßig über die Stange. „Bravo Maxi!“, applaudierten die Freundinnen. „Danke, man merkt trotzdem, dass ich keine Springreiterin bin“, nahm sie das Kompliment lachend an. Ronja hatte keine Lust zu springen und Wiebke traute sich das noch nicht zu. Merle animierte die Bandenmädchen zu mehreren Wettspielen. Nach einer Stunde wilder Reiterei taten Maxi alle Knochen weh. Lange zu Reiten war sie nach ihrer Verletzung nicht mehr gewohnt. Nachdem sie ihre Pferde versorgt hatten, machten sie sich es im Bandenquartier gemütlich.

 

„Egal, was ihr sagt, wir machen den Ofen an“, bestand Maxi darauf, dass im kalten Raum eingeheizt wurde. Mit ihren klammen Finger machte sie ein Streichholz an und entzündete damit ein Stück Zeitung, welche sie zwischen Holzscheite schob. Nachdem sie mit weiteren brennendem Papier nachgeholfen hatte, knisterte im Ofen ein gemütliches Feuer. „Aber das machen wir nur heute oder an außergewöhnlich kalten Tagen, sonst kannst du mir beim Holzsuchen im Wald helfen, Maxi“, betonte Ronja. Wiebke und Isabelle hatten heißen Tee mitgebracht, der bei diesen Temperaturen sehr gut tat. „Was haltet ihr davon, wenn wir heute Nachmittag rodeln gehen und ein Iglu bauen? Bei mir in der Nähe gibt es einen Rodelberg“, schlug Merle vor. „Hurra, ich komme!“, sprang Klara auf. „Klar, ich bin auch dabei“, schnellte Ronja Hand in die Luft. Allgemein machte sich Begeisterung breit. Nur Maxi hielt sich zurück. War sie für das Schlittenfahren nicht ein wenig zu alt? Vielleicht machte es mit ihren Freundinnen doch Spaß, weshalb sie beim Treffen am Nachmittag zusagte. Kurz darauf klingelte ihr Handy. „Es ist meine Mutter, sie wartet draußen bereits“, sagte Maxi zu ihren Freundinnen. Die Mädchen ließen alles stehen und liegen und eilten nach draußen. Lächelnd kam ihnen Maxis Mutter entgegen. „Wow, sind deine Haare kurz!“, blieb Maxi der Mund offen stehen. „Es musste mal ein Wechsel her, ich kann nicht Jahrzehnte lang wie ein Teenager herum laufen“, lachte ihre Mutter. Maxi fand, dass der kurze Bob ihr stand, so sah sie noch mütterlicher aus.

 

Das Mittagessen verschlang Maxi in einem atemberaubenden Tempo, wodurch sie leichte Bauchschmerzen bekam. Doch um halb drei sollte sie bei Merle sein und bei den hohen Schneebergen dauerte es so seine Zeit, bis sie bei ihr war. Inzwischen hatte sie ihren roten Schlitten mit den kunstvollen Verziehrungen vom Dachboden geholt. Dieser gehörte ihr, seitdem sie denken konnte. Stolz zog sie an der silbernen Kordel hinter sich her und das kleine Glöckchen bimmelte im Wind. Der Weg zu Merle war genauso mühselig, wie sie es sich bereits gedacht hatte. Manchmal musste sie den Schlitten über die Schneewehen tragen. Glücklicherweise kamen ihr die anderen Mädchen entgegen. „Huhu Maxi!“, winkte Klara. „Ich dachte, du kommst nicht mehr.“ – „Aber natürlich komme ich“, rief Maxi. „Es hat nur ein bisschen länger gedauert.“ Der Rodelberg war eine Straße weiter hinter ihrer alten Grundschule. Als die Freundinnen dort ankamen, war schon Hochbetrieb. Meist sausten jüngere Kinder den Abhang hinunter. Klara setzte sich mit Ronja auf ihren Bob und beide jagten im flotten Tempo den Abhang herunter. „Rück mal rüber“, forderte Isa Maxi auf und setzte sich hinter ihr auf den Schlitten. Jauchzend schossen sie den Berg hinunter. „Noch mal!“, raunte Isa und hakte sich bei ihr unter. Oben angekommen hatte Merle die Idee, alle Schlitten zusammen zu binden, und gemeinsam den Abhang hinunter zu fahren. Das Resultat war, dass sich die Schlitten teilweise querstellten und die Mädchen auf halber Strecke lachend in den Schnee purzelten. Nachdem die Lustigen Hufeisen mehrmals gerodelt waren, wollten sie anfangen, ihr eigenes Schneepferd zu bauen. Plötzlich traf Klara ein harter Schneeball am Rücken. „Die Paviane!“, zischte Ronja. „Oh ne, die Deppen haben mir gerade noch gefehlt!“, stöhnte Maxi. Ein weiterer Schneeball traf Isa am Hinterkopf. „Attacke!“, fauchte Isabelle, die sichtlich angefressen war. Felix, Christian und drei weitere Paviane hielten sich die Bäuche vor Lachen, als die Mädchen Jagd auf sie machten. Normalerweise hasste Maxi Schneeballschlachten, doch da sie und ihre Freundinnen attackiert wurden, mischte sie voll mit und schaffte es, Felix genau im Gesicht zu treffen. Wiebke bekam einen Schuss voll auf die Nase, sodass ihr die Brille wegflog und sie vor Schmerzen laut aufheulte. Anschließend krallte sich Maxi Paul, der der Kleinste und Dünnste war, und steckte seinen Kopf in einen Schneehaufen. „Lass dir das eine Lehre sein, dass du Wiebke nie wieder die Brille von der Nase schießt“, zischte sie in einem gefährlichen Tonfall. „Ich tue es nie wieder!“, jaulte er auf. „Bist du dir ganz sicher, du kleiner schleimiger Wurm“, flüsterte sie fast. „Jaaa!“, rief er. Im nächsten Moment schmetterte Florian einen besonders harten Schneeball in Maxis Richtung, der sie an der Backe traf. Aua! Das tat sogar richtig weh und um ein Haar wären Maxi die Tränen in die Augen gestiegen. Isabelle, die alles gesehen hatte, stellte dem größten Pavian ein Bein, sodass er der Länge nach im Schnee landete. „Weg hier!“, wisperte Merle. Schnell sprangen sie auf ihre Schlitten und rauschten davon. Nun hatten die Idioten aus ihrer Klasse ihnen die Rodelpartie gründlich verdorben. Wiebke hatte immer noch rot geweinte Augen, obwohl sie ihre Brille längst wieder gefunden hatten. Zum Glück war sie heil geblieben.

 

Eine halbe Stunde später saßen sie bei Merle im Wohnzimmer. Bei frischen Waffeln, warmem Kakao und Bratapfel mit Vanillesoße langten die Mädchen kräftig zu. „Wir futtern wie Scheuendrescher“, fiel Maxi auf. „Kein Wunder, wir haben uns die ganze Zeit bewegt“, meinte Klara und lud sich die nächste Waffel auf den Teller. Maxi lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die Vanillekerzen verbreiteten ein süßliches Aroma im ganzen Raum und im Kamin knisterte ein Feuer. „Eigentlich hat mir das Schlittenfahren Spaß gemacht, wären nur diese blöden Paviane gekommen“, sagte Isa plötzlich. „Wenn sie beim nächsten Mal auftauchen, verschwinden wir einfach“, schnaubte Merle. „Ihre Schüsse waren unglaublich hart.“ – „Aber ihr habt euch auf das Gefecht mit den Flachpfeifen eingelassen“, sah Ronja Klara und Merle vorwurfsvoll an. „Beim nächsten Mal lassen wir uns was Besonderes für sie einfallen“, funkelten Klaras grünen Augen geheimnisvoll. Während die anderen Mädchen darüber diskutierten, was man mit den frechen Jungs anfangen könnte, war Maxi zwischen Ronja und Merle bereits eingenickt. Es war heute ein toller schulfreier Tag, aber durch die viele Bewegung auch sehr anstrengend.

2. Kapitel

 

Nach einer Woche zusätzlicher Winterferien, bedingt durch den Schneesturm, begann das zweite Halbjahr mit Verspätung. Merle und Maxi waren beide ziemlich spät dran und trafen sich zufällig am Schuleingang. „Oh Gott und ich dachte schon, ich wäre zu spät“, umarmte Merle ihre Freundin zur Begrüßung. „Acht Minuten haben wir noch“, sah Maxi auf ihrem Smartphone nach. „Lass uns trotzdem einen Zahn zulegen, wir können noch einen Augenblick mit unseren Freundinnen quatschen“, hakte Merle Maxi bei sich unter. Arm in Arm liefen die beiden Freundinnen die Treppen hinauf. „Oh lala, da kommt unsere vollbusige Schönheit mit ihrem Gartenzwerg!“, wurden die beiden Mädchen an der Tür zum Klassenraum begrüßt. Natürlich war es Felix, der Boss der Paviane. Seine genauso dämlichen Freunde hatten nichts Besseres zu tun als dämlich zu grinsen. Maxi und Merle streckten ihnen die Zunge raus und schnitten Grimmassen. „Huhu, da seid ihr ja!“, winkte ihnen Klara vom Gruppentisch der Lustigen Hufeisen zu. „Ich bin es gar nicht mehr gewohnt so früh aufzustehen“, ließ sich Maxi auf den Platz neben Isabelle fallen. „Und ich habe dich schon dreimal versucht anzurufen, damit du rechtzeitig aus den Federn kommst“, neckte ihre beste Freundin sie. „Schade um den schönen Schnee“, seufzte Ronja und warf einen Blick nach draußen. Seit kurzem taute es und der schöne weiße Schnee verwandelte sich in graue unansehnliche Matsche. „Aber eine Woche lang Winterferien waren nur zu herrlich“, schwärmte Klara. Dem konnten ihre Bandenschwestern nur zustimmen. In den letzten Tagen hatten sie sich im Stall getroffen, waren ausgeritten und Schlitten gefahren. „Mädels, Herr Older kommt!“, raunte Wiebke den Freundinnen zu.

 

„Guten Morgen, nun beginnt das zweite Halbjahr und ich hoffe, dass ihr euch in den freien Tagen ein bisschen mit Mathematik und Geradengleichungen beschäftigt habt“, begrüßte der Mathelehrer die Klasse. Isabelle und Maxi stießen sich grinsend an. Keine von ihnen hatte in den freien Tagen nur einmal das Mathebuch in der Hand gehabt. Bevor, Herr Older mit dem Unterricht anfangen konnte, klopfte es an der Tür. „Entschuldigung, dass ich störe“, trat Frau Walkenhorst in den Klassenraum. Sie hatte einen kleinen zierlichen Jungen mit aschblonden Haaren bei sich. „Das ist Finley Martens, er wird ab heute bei euch in der Klasse sein“, stellte sie den neuen Mitschüler vor. Finley setzte sich auf einen freien Platz neben Thorben. „Ich habe ihn schon mal gesehen“, raunte Merle ihren Freundinnen zu. „Wirklich? Woher kennst du ihn?“, war Wiebke ganz erstaunt. „Er war vorgestern in der Springstunde dabei“, flüsterte Merle. „Mir ist noch gar nicht aufgefallen, dass bei uns ein neuer Reiter ist“, mischte sich Maxi ins Gespräch ein. „Könntet ihr bitte die Privatgespräche einstellen?“, stand Herr Older mit einem Mal vor dem Gruppentisch. „Ich hätte für Merle und Maxine zwei schöne Aufgaben“ Die Mädchen sahen ihn mit großen Augen an. „An die Tafel bitte!“, bat er und konnte ein süffisantes Grinsen nicht unterdrücken. Auf dem Weg zur Tafel drückte er ihnen ein Stück Kreide in die Hand. Ratlos standen die beiden Mädchen an der Tafel. „Anscheinend habt ihr euch nicht auf die heutige Stunde vorbereitet“, bemerkte ihr Mathelehrer. Im Hintergrund kicherten Doreen und Magdalena. „Ihr löst Maxine und Merle auf der Stelle ab“, sagte der Mathelehrer streng. Nun wurden die beiden Gackerhennen ganz ruhig. „Aufgestanden und nach vorne zur Tafel!“, hakte Herr Older nach. Maxi schmollte den Rest der Stunde und malte Blumen und Pferdeköpfe auf ihr Matheheft. „Was für ein Idiot, wie konnte er uns so vor der ganzen Klasse blamieren?“, regte sich Maxi auf, als der Mathelehrer kurz das Klassenzimmer verließ. „Nimm es nicht so tragisch, immerhin haben Doreen und Magdalena den schwarzen Peter zugeschoben bekommen“, legte ihr Merle die Hand auf die Schulter.

 

In der Pause beschloss Merle, zu Finley zu gehen. „Hi, ich bin Merle“, stellte sie sich vor. „Wir kennen uns doch aus der Springstunde“ – „Oh stimmt, dich habe ich da auch gesehen“, nickte er. „Wie lange wohnst du schon hier?“, fragte sie. „Erst seit sechs Tagen“, erwiderte Finley. „Mein Vater wohnt immer noch bei Hamburg und wird erst kommende Woche zu uns ziehen.“ – „Hallo Finley, ich bin Isabelle“, gab Isabelle, die gerade dazu gestoßen war, ihm die Hand. „Ach ja, ich habe dir noch gar nicht meine Freundinnen vorgestellt“, redete Merle weiter. „Die Große mit den schwarzen Haaren ist Maxine, genannt Maxi. Neben ihr steht Klara mit den roten Haaren. Ronja ist das Mädchen mit den honigblonden Kringellocken und dann ist da noch Wiebke, das Mädchen mit der Brille und den dunklen Haaren“ – „Ich werde mir die ganzen Namen noch nicht auf einmal merken können“, meinte der neue Mitschüler. „Darf ich fragen, wie alt du bist?“, trat Maxi vor. „Ich bin im letzten Herbst dreizehn geworden“, sagte der Junge. „Du bist schon dreizehn?“, staunte Isabelle. „Ja, ist das nicht normal für die siebte Klasse?“, sah Finley sie verdutzt an. Der Junge sah aufgrund seiner kindlichen Gesichtszüge und seiner geringen Körpergröße aus wie elf oder zwölf. „Aus welchem Land kommt dein Vorname?“, wollte Ronja wissen. „Aus Irland“, sagte der Junge, „Meine Mutter ist Engländerin und ich wurde in Cornwall geboren, aber mein Vater kommt aus Norddeutschland“, erzählte er. „Dürfen wir die Schule zeigen?“, bot Merle ihm an. „Gerne“, nickte er. „Thorben will auch mitkommen.“

 

In den letzten beiden Stunden hatte die Klasse Sport bei Herrn Kessler. Maxi und Isa trödelten diesmal besonders in der Umkleidekabine. „Ich habe keinen Bock auf Handball“, moserte Maxi. „Die Paviane versuchen uns jedes Mal abzuwerfen“ – „Da möchte man sich am liebsten hinter dem Mattenwagen verstecken“, meinte Isabelle. „Ihr solltet euch doch beeilen, sonst holt uns der Pascher höchst persönlich aus der Umkleide“, mischte sich Ronja ein, die schon ganz umgezogen war und sich einen Pferdeschwanz band. Mal wieder waren die Lustigen Hufeisen die Letzten. Als die Mädchenbande auf dem Flur erschien, lief ihnen Herr Kessler in seinem ausgeleierten Trainingsanzug entgegen. „Nun aber zackig!“, klatschte er in die Hände. „Fünf Runden warmlaufen und anschließend zehn Liegestütz und zehn Sit ups!“ Als der Sportlehrer sich ungedreht hatte, konnten Maxi, Isabelle und Merle es nicht unterlassen ihm die Zunge raus zu strecken. „Nun seid doch nicht albern, so schlimm ist Sport doch gar nicht“, meinte Klara, die Sportskanone. „Habt ihr gerade ein Kaffeekränzchen in der Umkleidekabine abgehalten?“, konnte sich Christian von den Pavianen nicht zurücknehmen. „Sieh zu, dass da du verschwindest, du Affe!“, zischte Isabelle. „Offenbar haben die Paviane nicht sehr viel Hirnmasse“, bemerkte ihre Cousine Wiebke mit einem Augenrollen. Nach dem Warmmachen und ein paar Ballübungen wurde in der großen Halle auf drei Feldern Handball gespielt. Merle spielte mit Isabelle in einer Mannschaft. Finley wurde bei ihnen im Tor geparkt. Bereits nach wenigen Minuten stand es drei zu null für die Gegner. „Meine Güte, du kannst keinen einzigen Ball halten!“, pflaumte Christian Finley an. „Du kannst noch nicht einmal werfen, bist du ein Ballsportanalphabet?“, schimpfte Paul. Nun reichte es Merle. Wie konnten die Paviane so fies sein, und Finley die Schuld für den Rückstand geben? „Ihr könntet ruhig auch mal besser spielen, anstatt dauernd Alleingänge zu starten, und das Tor nicht zu treffen“, übte sie harsche Kritik an den Jungs. „Genau, wie wäre es, wenn einer von euch ins Tor geht und Finley im Feld spielt?“, schlug Isabelle vor. Zähneknirschend stellte sich Christian zwischen die Pfosten. Als Merle an den Ball kam, warf sie zu Finley, der frei stand. Ihr Klassenkamerad verpasste den Ball und nun waren die Gegner wieder im Ballbesitz. „Warum spielst du ausgerechnet der Flachpfeife den Ball zu?“, beschwerte sich Paul. „Ganz einfach, weil wir nicht bei der Olympiade sind und es hier um nichts geht“, erwiderte Merle schnippisch. Was waren die Paviane nur für Dummköpfe! Sie selbst war auch für ihren Ehrgeiz bekannt, doch sie wusste genau, dass sie im Schulsport keinen Blumentopf gewinnen konnte. „Oh, läuft etwas zwischen dir und dem Milchbubi?“, fiepste Christian mit verstellter Stimme. „Nein!“, fauchte Merle und drehte sich weg. Nur weil sie ihn in Schutz genommen hatte, hieß das noch lange nicht, dass etwas zwischen ihnen lief.

3. Kapitel

 

Nach der Schule beeilte Merle sich, um rechtzeitig in den Stall zu kommen. In letzter Zeit hatten ihre Freundinnen es mit der Arbeit ihrer Pferde nicht besonders genau genommen. Das Herumalbern in der Halle machte zwar auch Spaß, doch Merle wollte mehr erreichen. Arthos, ihr gewaltiger Hannoveraner Fuchswallach, war bei dem kalten Wetter besonders triebig. Er brauchte seine Bewegung und sie wollte ihn nicht aus der Form fallen sehen. Natürlich war es kalt und auch sie wäre lieber zu Hause im Warmen geblieben, doch das zählte nicht. Also zog sie sich mehrere Schichten übereinander an. Ganz unten lange Thermowäsche. Wie ein kleiner Eskimo eingepackt kam sie aus dem Haus, wo ihr der kalte Wind im die Ohren pfiff. Sie konnte sich kaum bewegen, und ahnte schon, dass sie vielleicht ein paar Sachen wieder ausziehen musste, um nicht wie ein Brett im Sattel zu sitzen. Doch auf dem Weg in den Stall wurde ihr schon ein bisschen wärmer. Sie hatte keine Lust, in dem Matsch mit dem Fahrrad zu fahren, und ging lieber zu Fuß, auch wenn das länger dauerte.

 

Im Stall war es schon wesentlich wärmer, als draußen. Der Wind kam nicht herein und die Körper der Tiere heizten ein bisschen. Merle drückte ihr Gesicht an Arthos´ Nüstern, damit sie ihre Wangen mit seinem warmen Atem wärmen konnten. Sie konnte ihre Nase gar nicht mehr spüren. Das tat gut und sie legte gleich noch ihre Arme um seinen kräftigen Hals. Er war wirklich gut in Form und das sollte auch schön so bleiben. Schnell holte Merle ihre Putzkiste. Sie nahm Arthos die Winterdecke ab und begann, ihn zu putzen. Besonders dreckig war er darunter ohnehin nicht. Während sie die Bürsten über sein Fell gleiten ließ, kam auch wieder Gefühl in ihre Finger. Die warmen Winterreithandschuhe hatte sie schon zu Hause angezogen. Inzwischen war ihr schon gar nicht mehr so kalt. Schon bald konnte sie Arthos satteln und wollte gerade ihr Trense holen, als ihr eine bekannte Gestalt über den Weg lief.

 

„Hallo Finley“, rief sie über die Stallgasse zu dem blonden Jungen hinüber. „Oh, hey“, entgegnete er und drehte sich lächelnd zu ihr um. „Merle, richtig?“, fragte er dann etwas schüchterner. Sie nickte erfreut und wollte wissen: „Reitest du auch gleich?“ – „Ja, ich muss nur noch trensen“, antwortete er und Merle hielt vielsagend ihre Trense in die Luft. „Ich auch“, lachte sie. „Hast du etwa auch ein eigenes Pferd?“ Finley wirkte auf einmal ganz stolz und erklärte: „Ja, ich zeige es dir.“ Dann führte er Merle ein paar Boxen weiter. In der Box stand ein großes fuchsfarbenes Pferd. „Darf ich vorstellen, das ist Astral, mein Hannoveraner Wallach“, erklärte er und Merle schaute neugierig in die Box. Das Pferd erinnerte sie sofort an ihren Arthos. Zumindest vom athletischen Körperbau und den wachen Augen. Auch die Größe kam in etwa hin. „Wunderschön“, seufzte sie und schwärmte. „Danke“, lachte Finley. „Er ist erst gestern eingetroffen. Neulich in der Springstunde musste ich ein Schulpferd reiten.“ Jetzt wurde Merle einiges klar. Sonst wäre ihr dieses Pferd doch auch sofort aufgefallen. „Wollen wir ein bisschen springen?“, schlug Finley vor und sah Merle schelmisch an. „Ja, gern“, erwiderte sie begeistert.

 

Wenig später gingen die Beiden mit ihren Pferden in die kleinere der beiden Reithallen. Hier waren im Winter ständig Hindernisse aufgebaut, so dass die Reiter trainieren konnten. „Wo hast du denn deine Freundinnen gelassen?“, wollte Finley wissen, als sie im Schritt um den bunten Stangenwald herum ritten. Merle zuckte die Schultern und meinte: „Ich glaube, die kommen später.“ Doch sie wusste gar nicht, ob die anderen Mädchen es überhaupt schaffen würden. Einmal auf dem Sofa zusammen gerollt, rafften sie sich nicht unbedingt noch einmal auf. „Auch gut, so haben wir die Hindernisse für uns“, grinste Finley. Er sagte das, was Merle dachte. Und sie war sich ohnehin nicht sicher, ob die anderen mit ihr trainiert hätten. Gerade die Ponyreiter wären bestimmt nur wieder rumgezockelt. Schnell schämte sie sich für diesen Gedanken. Es waren eben nicht alle so ehrgeizig, wie sie. Aber manchmal wünschte sie sich einen tollen Trainingspartner unter ihren Freundinnen. „Wie hoch springst du schon?“, wollte Finley wissen. „Meistens A“, antwortete Merle und wusste nicht, ob das gut genug war. Doch der Junge nickte und erklärte: „Ich auch meist.“ Fragend sah sie ihn an. Es klang, als wollte er noch etwas sagen. Und schließlich sagte er es auch: „Wenn meine Mutter mich trainiert, dann auch mal L.“ Anerkennend nickte Merle und fragte: „Reitet deine Mutter auch?“ – „Nicht mehr. Sie war sehr erfolgreich im internationalen Springsport. Aber noch unter ihrem englischen Mädchennamen. Seit einigen Jahren trainiert sie nur noch“, berichtete Finley und Merle kam aus dem Staunen kaum noch heraus. Das klang ja fantastisch. Kein Wunder, dass der Junge ein so tolles Pferd hatte und beim Springen eine so gute Figur machte.

 

„Dann wollen wir mal“, nickte Finley ihr zu und trabte an. Sie nahmen ein paar Trabstangen, dann ein paar Cavalettis und dann ein kleines Kreuz. Obwohl Merle sich selbst für eine sehr gute Reiterin ihres Alters hielt, bewunderte sie Finley. Er war nicht schlecht. Im Gegenteil, er sah wirklich gut aus. Aber sie war ehrgeizig und wusste, dass sie mit Arthos ebenfalls sehr gut war. Ihre Bewunderung versteckte sie, das musste er nicht wissen. Zwischen den Sprüngen machten sie ihre Pferde locker und ritten große Wendungen. Wenn man nicht genau hinsah, hätte man Arthos und Astral auch verwechseln können. „Versuchen wir den kleinen Parcours?“, schlug Finley nach einer Weile vor. Merle nickte selbstsicher und begann. Arthos zeigte sich von seiner besten Seite und machte es ihr leicht, den Parcours fehlerfrei zu reiten. Alle Abstände kamen genau hin, sie kam weder auf groß, noch zu nahe an die Hindernisse heran. Stolz lobte sie ihren Wallach und parierte durch. „Wahnsinn, ihr seid gut“, fand Finley und gab sich ebenfalls alle Mühe. Merle spürte, wie ihre Wangen von dem Kompliment rot anliefen. Dabei war das doch gar nicht ihre Art. „Auch nicht schlecht“, sagte sie zu dem Jungen, als er fertig war. Tatsächlich war er mindestens ebenso gut gewesen, wie sie auf ihrem Pferd.

 

Merle merkte, dass ihr Blick immer häufiger zu Finley wanderte, wenn er mit Astral sprang. Wenn sie selbst an der Reihe war, versuchte sie, alles richtig zu machen. Und doch war sie total verkrampft und hatte Schwierigkeiten, ihre gewohnte Leistung abzurufen. Nur ihr Ehrgeiz hielt sie davon ab, sich in einen kichernden Idioten zu verwandeln, befürchtete sie. Finley schlug immer waghalsigere Sprünge vor, doch sie ließ sich davon nicht beeindrucken. Mit Arthos konnte sie es schaffen. Und wenn Finley es hinbekam, dann sollte sie das wohl auch können. „Hallo Merle!“, rief plötzlich jemand von der Bande aus. Dort standen Wiebke und Ronja. Ausgerechnet die Beiden, dachte sich Merle und winkte den Beiden nur schnell zu. Sie war hoch konzentriert und wollte um jeden Preis gut aussehen. „Was reitest du denn da?“, wollte Ronja erstaunt wissen, als sie die hohen Hindernisse sah. „Jetzt nicht“, knurrte Merle. Gerade hatte Finley den Steilsprung genommen, von dem sie wusste, dass er mindestens auf L-Höhe war. Der Junge grinste sie an und sagte: „Ich bin soweit fertig, ich trabe noch aus.“ Das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. „Das mache ich auch gleich. Nach dem Steilsprung“, versprach sie und galoppierte Arthos an. „Merle, das ist ganz schön hoch“, rief Wiebke ihr zu. Doch sie ignorierte sie und steuerte mit ihrem Wallach das Hindernis an. Okay, es war wirklich ziemlich hoch. Wenn sie es sich genau überlegte, vielleicht zu hoch. Doch es war zu spät, sie wollte keinen Rückzieher mehr machen. Arthos zog schon das Tempo an und kam immer näher an den Sprung. Es musste einfach klappen. Merle riss sich zusammen, machte die Beine zu und flog kurz darauf mit ihrem Pferd über den Steilsprung. Erleichtert ließ sie Arthos austraben und lächelte. Das war doch gut gegangen. „Echt super“, fand Finley. Ob er ihr das zugetraut hätte? Merle war stolz auf sich und auf ihr Pferd. Heute hatten sie sich keine Blöße gegeben.

 

„Darf ich dich einladen?“, wollte Finley von Merle wissen, als sie ihre Pferde mit ihren Abschwitzdecken in die Boxen gestellt hatten. Überrascht sah sie ihn an. „Auf einen Kakao im Reiterstübchen“, sprach er weiter. Merle zögerte. Gerade hatte sie gesehen, wie Wiebke und Ronja in das Bandenquartier gegangen waren. Vielleicht kamen auch die anderen Mädchen noch. Sie überlegte noch einen Moment, dann sagte sie schulterzuckend: „Ja, gehen wir.“ Gemeinsam betraten sie das gut geheizte Reiterstübchen und Finley holte zwei Tassen Kakao, während sie einen Platz suchte. „Danke“, sagte sie und nahm ihre Tasse entgegen, als Finley sich ihr gegenüber hinsetzte. „Du reitest wirklich gut“, sagte er und wieder merkte sie, dass ihr das Kompliment gefiel. „Danke, ich trainiere hart dafür“, entgegnete sie. „Ja, das kenne ich“, seufzte er. „Da bleibt oft kaum Zeit für Freunde.“ – „Die Zeit nehme ich mir schon“, sagte Merle beharrlich. Sie nahm sich fest vor, nach dem Kakao ins Bandenquartier zu gehen. Hoffentlich waren die anderen dann noch da.

 

Doch als sie sich endlich aus dem warmen Reiterstübchen lösten, ritten Ronja und Wiebke in der Halle. Von den anderen Lustigen Hufeisen war nichts zu sehen. „Die Beiden gehen in unsere Klasse, nicht wahr?“, fragte Finley, als sie in die Halle gingen. Merle nickte. Ihr war es auf einmal unangenehm, dass sie die ganze Zeit den Jungen an ihrer Seite hatte. Wie das wohl für die anderen aussah? „Viel Spaß noch, ihr Beiden!“, rief sie Wiebke und Ronja zu. Die Mädchen kamen zu ihr und hielten an. „Gehst du schon? Isa und Maxi wollten vielleicht auch noch kommen“, erklärte Wiebke. „Ich bin schon seit zwei Stunden hier, mir ist kalt und ich muss noch Hausaufgaben machen“, sagte Merle. „Ach so, dann komm gut nach Hause, es schneit wieder“, sagte Ronja fürsorglich und Merle nickte. „Wir sehen uns morgen in der Schule“, meinte sie noch und winkte den Beiden ein letztes Mal. Auch Finley verabschiedete sich höflich von ihnen.

 

„Meine Mutter kann dich sicher nach Hause bringen“, meinte Finley auf der Stallgasse. „Ist okay, ich habe es nicht so weit“, redete Merle sich raus, obwohl es schon ein kleiner Spaziergang bis nach Hause war. „Es macht aber bestimmt keine Umstände“, beharrte der Junge. Irgendwie gefiel ihr die Vorstellung. Sie konnte sich nicht erinnern, dass schon mal ein Junge sie nach Hause gebracht hätte-egal auf welchem Wege. „Okay, danke“, nahm sie das Angebot an und schlang ihren Schal enger und höher. Vor dem Stall stand ein riesiger Geländewagen mit Hamburger Kennzeichen. Der gehörte dann wohl Finleys Eltern. Der Wagen war voller Aufschriften von Firmennamen. Entweder besaß seine Mutter gute Sponsoren oder sie hatte das Fahrzeug tatsächlich bei einem großen Preis gewonnen. Merle schluckte, denn das war ein anderes Niveau der Reiterei.

 

„Können wir Merle nach Hause bringen?“, fragte Finley beim Einsteigen und seine Mutter meinte: „Aber natürlich!“ Schüchtern kletterte Merle auf die Rückbank und setzte sich neben Finley. Im Kofferraum, der durch ein Gitter vom Rest des Fahrzeugs getrennt war, sprangen zwei große Hunde umher. Finleys Mutter drehte sich um, lächelte streng und gab Merle die Hand zur Begrüßung. Ihr britischer Akzent war noch deutlich zu hören, doch sie sprach gutes Deutsch. Merle wurde immer kleiner in ihrem Sitz, als Finley von seiner Springstunde erzählte. So ein Fachgespräch hätte sie auch gern mit ihrer Mutter führen wollen. Doch die verstand nichts vom Reiten. Finleys Mutter dagegen konnte ihn sogar trainieren, das war der Wahnsinn. Ihre Schüchternheit verschwand erst, als Finleys Mutter vor der Villa ihrer Eltern hielt. „Hier wohnst du?“, fragte der Junge erstaunt und sie nickte. Zwar bildete sie sich nicht sonderlich viel darauf ein, doch die beeindruckten Reaktionen ihrer Besucher erfreuten sie trotzdem. „Ja, hier wohne ich. Vielen Dank, dass Sie mich gebracht haben. Einen schönen Abend noch und bis morgen, Finley“, verabschiedete Merle sich in bester Manier und war froh, endlich zu Hause zu sein.

 

Abends machte Merle es sich mit ihrem Tablet-PC auf ihrem Bett bequem. Gerade hatte sie die brandneue CD ihrer Lieblingssängerin in den CD-Player eingeworfen und die Musik aufgedreht. Ihre Eltern, die unten im Fitnessraum waren, störte es nicht. Sowieso war die Villa für drei Personen fast schon zu groß, so dass man sich beinahe verlaufen konnte. Merle nahm sich einen Keks und kaute genüsslich. Ein paar Sünden waren pro Tag erlaubt, schließlich ging sie fast täglich Reiten und tanzte zweimal pro Woche. Bald war es wieder so weit, die Faschingsparty in ihrem Haus stand an. Schon seit Kindestagen an feierte sie jeden Samstag vor dem Rosenmontag eine hauseigene Faschingsparty. Früher hatte sie alle Kinder aus der Nachbarschaft eingeladen und im Wohnzimmer gefeiert, dabei wurden „Blinde Kuh“ und „Topfschlagen“ gespielt. Diesmal sollte es ganz anders werden. Merle fühlte sich nicht mehr bereit dazu, eine Kinderfete zu geben, zumal ihre meisten Freunde mindestens dreizehn waren. Lieber wollte sie eine ultracoole Karnevalsparty im Discokeller geben und nur noch auserwählte Freunde und Cousins einladen. Die Namen ihrer Bandenfreundinnen schrieb sie als erstes auf die Liste. Natürlich durfte Marlon nicht fehlen. Ihrem Cousin Noah aus dem Nachbarort, der ein Jahr älter war, als sie, hatte sie gestern per Telefon Bescheid gesagt. Ihre Mutter hatte ihre elfjährigen Cousinen Luisa und Sarah und deren großem Bruder Valentin aus Berlin Bescheid gesagt. Schnell hatte sie zehn Namen auf der Liste. Ach ja, da war noch Finley, ihr neuer sympathischer Mitschüler. Zwar kannte sie ihn erst seit einer Woche, trotzdem setzte sie seinen Namen auf die Liste. Als die Liste überflog, fiel ihr ein, dass Maxi eventuell noch ihren Freund mitbringen wollte und Marlon seine Freundin Jasmin. Merle war sich im Klaren darüber, dass Isabelle Jasmin gar nicht leiden konnte, aber so schlimm war Marlons Freundin gar nicht. Ein paar Male hatte sie sich mit Jasmin nett unterhalten. Nun standen dreizehn Namen auf der Liste. Das waren noch mehr Namen als in den letzten Jahren, aber Merle hatte eine Riesenlust auf eine große Party.

4. Kapitel

 

Maxi saß am Samstagmorgen am Frühstückstisch, als ihr Handy klingelte. „Hi, hier ist Maxi!“, meldete sie sich. „Guten Morgen“, meldete sich ihr Freund am anderen Ende der Leitung. „Was gibt es Dringendes, das du mich ausgerechnet beim Frühstück erwischt?“, fragte sie und ging auf den Flur hinaus. „Es tut mir leid, Liebling“, druckste Patrick herum. „Aber ich…“ – „Nun sag schon, was Sache ist!“, machte Maxi ihm Druck. „Ich kann leider nicht zur Faschingsparty kommen“, rückte er mit der ganzen Wahrheit raus. „Warum das nicht?“, war sie mit einem Mal irritiert. „Simon und Flo haben zu einer LAN-Party eingeladen. Jens hat die neusten Games besorgen können“, sagte ihr Freund. „Ist das dein Ernst?“, klang Maxi nun richtig verärgert. „Sorry, das haben wir erst gestern Abend beschlossen, weil wir nicht wussten, ob Kai kommen kann“, entschuldigte sich Patrick. „Willst du mich veräppeln? Du hast mir seit einer Woche versprochen, dass du mit mir zu Merles Party gehst. Ich habe dich bei ihr angemeldet und jetzt wagst du es, so kurzfristig abzusagen? Ich glaube, ich werd nicht mehr!“, schrie Maxi fast in Mobiltelefon. „Dafür können wir morgen einen gemütlichen Kuschelabend auf der Couch machen“, versuchte er sie zu besänftigen. „Ich pfeif auf deinen Kuschelabend und noch mal vielen Dank, dass du mich wegen deiner blöden Computerspiele hängen lässt!“, fauchte sie in ihr Handy und legte auf.

 

„Maxi, was hast du?“, machte ihre Mutter ein besorgtes Gesicht, als sie mit Tränen in den Augen in die Küche zurückkam. Maxi musste erstmal die Tränen runterschlucken, bevor sie antworten konnte. „Patrick geht nicht mit zur Party, weil er heute Abend mit Kumpels zockt“, sagte sie mit belegter Stimme. „Er lässt dich nur wegen irgendwelcher Computerspiele hängen?“, machte ihre Mutter einen enttäuschten Eindruck. „Ich dachte, ihm läge viel an dir.“ – „Habe ich auch gedacht“, zischte Maxi. „Aber in letzter Zeit habe ich sowieso den Eindruck, dass ich ihm egal bin und er dafür seine Kumpels bevorzugt.“ – „Nun komm wieder runter, Tochter!“, mischte sich ihr Vater ein. „Du brauchst dich nicht wegen so einem Idioten aufregen, der sich nicht ansatzweise wie ein Gentleman verhalten kann.“ Maxi hatte genug. Schweigend stand sie auf und ging die Treppe hoch in ihr Zimmer. Seit der Auseinandersetzung mit ihrem Freund war ihr der Appetit gründlich vergangen. Sie griff zu ihrem Handy, um Isa anzurufen. Zwar hatte sie sich wieder etwas beruhigt, aber Patricks Absage saß wie ein schmerzhafter Dorn in ihrem Herz. Nichts hasste sie mehr, als sich mit ihren Freundinnen oder ihrem Freund zu streiten.

 

Deshalb brauchte sie gerade ihre beste Freundin, um sich den Kummer von der Seele zu reden. „Hi Maxi, warum rufst du so früh an, ich liege noch im Bett“, gähnte Isa in den Hörer. Maxi schilderte den kurzen, aber heftigen Konflikt mit Patrick. „Oh man, er ist wirklich ein Blödmann“, sagte ihre Freundin. „Es ist nicht fair, dass er dir so kurzfristig absagt. Ich kann verstehen, dass enttäuscht bist. Aber sieh es doch mal so, wenn er nicht dabei ist, hast du niemanden, der die ganze Zeit an dir klettet. So kannst du viel mehr Zeit mit uns verbringen.“ Das klang schon mal wie Trost und Zuspruch. Isa und Maxi rissen noch einige Witze über Computerspiele und malten sich aus, wie es aussah, wenn Patrick und seine Freunde die Computerspiele in echt nachspielten. Isabelle erfand solch lustige Szenerien, so dass sich Maxi auf ihrem Bett vor Lachen kringelte.

 

Noch am späten Nachmittag schlich Maxi ins Bad. Zuerst gönnte sie sich ein Rosenbad mit Mandelmilch im Kerzenschein. Das sollte für schöne straffe Haut sorgen. Nach dem Bad föhnte sie ihre ellenlangen rabenschwarzen Haare, die ihr bis zur Taille reichten. Nun kam die Anprobe ihres Kleides, das erst vorgestern fertig geworden war, und wobei ihr ihre Mutter zum Schluss noch sehr geholfen hatte. Es saß perfekt! Maxi kam gar nicht aus dem Staunen heraus. Sie holte ihren Schminkkoffer aus dem Schrank und begann, sich dementsprechend zu schminken. Ihre Haare steckte sie mit einer hellblauen Spange hoch und festigte ihre Frisur mit einem Haarspray. Zum Schluss machte sie sich herunterhängende Ohrringe in Form von glitzernden Eiskristallen in die Ohren und setzte sich ein silbernes Diadem mit unzähligen Strasssteinen auf. Im Nu hatte sich das 13-jährige Mädchen in eine Eisprinzessin verwandelt. Natürlich durfte das Hufeisenarmband nicht fehlen, das das offizielle Bandenzeichen war. „Guten Abend, meine Prinzessin, du wirst immer schöner!“, kam ihr großer Bruder auf dem Flur entgegen und gab ihr einen Begrüßungskuss. Es war das erste Mal seit Wochen, dass sich Luigi wieder blicken ließ. Da er in München studierte, kam er nur noch selten nach Hause. „Hat dir Mama schon gesagt, dass ich dich zur Party fahre?“, fuhr er fort, als sie die Treppe runter gingen. „Klar, das hat sie mir vorhin beim Mittagessen gesagt“, nickte sie. Unten zog sich Maxi ihre weißen Ballerinas und ihren Wintermantel an. „Darf ich meine Dame zur Kutsche führen?“, verneigte er sich wie ein Gentleman vor ihr. „Aber gewiss doch“, erwiderte sie gespielt höflich. „Kommen Sie mit, meine Dame“, nahm Luigi ihre Hand und führte sie zur „Kutsche“, die in Wirklichkeit ein dunkelblauer VW war. Maxi bibberte am ganzen Leib. Es war verdammt kalt geworden, seitdem die Sonne untergegangen war. Zum Glück hatte ihr Bruder die Heizung angemacht. Auf dem ganzen Weg zu Merles Haus rissen die Beiden Witze und lachten. Maxi war mehr als glücklich, ihren Bruder wieder zu sehen. Er war ein wahrer Witzbold und konnte alle zum Lachen bringen. „Ist das Merles Haus?“, bremste er etwas zu scharf ab. „Genau, hier wohnt sie“, nickte Maxi und öffnete die Beifahrertür. „Ist es okay, wenn ich dich bis zur Haustür begleite?“, schnallte er sich ab. „Klar!“, willigte sie ein und ließ sich von ihrem Bruder bringen. Bevor sie klingelte umarmte sie Luigi noch mal zum Abschied, der ihr einen schönen Abend wünschte.

 

„Maxiiii!“, freudestrahlend öffnete ihr Merle im Fuchskostüm die Tür. „Sind schon die anderen Mädels da?“, wollte sie von ihrer Freundin wissen. „Nur Ronja und Klara“, erwiderte Merle und zog sie ins Haus. Zuerst brachten sie Maxis Sachen zum Übernachten in Merles Zimmer. Im Flur trafen sie Klara, verkleidet als Pippi Langstrumpf und Ronja im Kostüm einer Wetterhexe. Glücklich fielen sich die Mädchen die Arme. „Na, dann kann die Feier ruhig beginnen!“, gut gelaunt hakte sich Ronja bei Maxi unter. Wieder klingelte es, diesmal waren es Isabelle und Wiebke, die sich ein wenig verspätet hatten. „Ihr könnt schon mal in den Keller gehen. Ich gehe mit Isa und Wiebke in mein Zimmer, um ihre Sachen zu verstauen“, sagte Merle zu Klara, Maxi und Ronja. Unten im Discoraum tanzten schon einige Kinder und Jugendliche zu einem HipHop-Song. Bunte Lichter beleuchteten die Tanzfläche. Maxi kam ein Junge, der sich als Fußballspieler verkleidet hatte, bekannt vor. Das musste einer von Merles Cousins sein. An der Theke entdeckte sie Marlon und seine Freundin Jasmin, die heute als Zombies gingen. Offenbar hatte Merle sie zum Kellnern gebeten. Mit Tabletts gingen sie durch die Reihen und fragten jeden, was er trinken wollte. Zwei etwa elfjährige Mädchen, die sich als Katz und Maus verkleidet hatten, jagten sich gegenseitig über die Tanzfläche. Fast stieß Ronja mit einem Jungen zusammen, der sich als Krokodil verkleidet hatte.

 

„Isaaaa!“, stürmte Maxi auf ihre beste Freundin zu. Lachend fielen sich die Freundinnen um den Hals und wirbelten so lange umher, bis ihnen schwindelig war. Isabelle trug ein bunt bemustertes Indianerkleid und hatte sich zwei lange Zöpfe geflochten. „Das Stirnband habe ich übrigens für Isa gemacht“, sagte Wiebke stolz, die die anderen Mädchen in ihrem Kostüm kaum wieder erkannt hatten. „Das hast du gut gemacht!“, klopfte Isa ihrer Cousine auf die Schulter. „Sag mal, Wiebke, gehst du als Sailor Moon?“, fragte Klara. „Richtig erraten“, nickte Wiebke. „Du hast keine Brille auf“, fiel Maxi auf. „Die passt auch nicht zu meinem Kostüm. Allerdings bin ich dafür blind wie ein Maulwurf. Gerade bin ich fast hingefallen, weil ich eine Stufe nicht gesehen habe“, erwiderte das neuste Bandenmitglied. Maxi musterte Wiebkes auffallenden Ohrringe, das außergewöhnliche Kleid und die blonde Sailor-Moon-Perücke. Nun fielen alle Blicke auf Maxis Kostüm. „Oh Maxi, dein Kostüm ist dir wirklich toll gelungen“, schwärmte Ronja und betastete den Tyllstoff. Von allen Seiten rieselte es Anerkennung und Komplimente, selbst Marlons Freundin und einer von Merles Cousins waren beeindruckt. Im nächsten Moment kam Merle mit jemanden herein, der sich als schwarzer Ritter verkleidet hatte. „Merle, wen hast du da mitgebracht?“, wollte Isabelle wissen. „Hallo, bevor ich euch verwirre, ich bin’s Finley“, nahm der Junge seinen Ritterhelm ab. „Hi Finley!“, begrüßte ihn Maxi. „Schön, dass du auch hier bist!“ Freundlich gaben ihm auch die anderen Lustigen Hufeisen die Hände. „Ich glaube, bevor wir starten, machen wir kurz eine Vorstellrunde, ich bin mir sicher, ihr kennt meine Cousinen und Cousins nicht“, wandte sich Merle an ihre Freunde.

 

Endlich wurde das Fingerfood-Buffet eröffnet. Pizzabrötchen, Lachsspieße, bunte Salate, Bockwürstchen, Kartoffelspalten, Mini-Hamburger, Nachos und Süßigkeiten aller Art machten einen sehr leckeren Eindruck. Maxi konnte es kaum erwarten eine Kleinigkeit zu essen, inzwischen hatte sie wieder Appetit. Durch ihre Freunde konnte sie den Stress mit Patrick vergessen. Zwischen Isa und Klara fühlte sie sich pudelwohl. Gegenüber von ihr saßen Merle und Finley. Maxi mochte ihren neuen Klassenkameraden: Er war richtig nett und anscheinend ritt er auch. Gerade unterhielten sich Merle und Finley angeregt über den Reitsport. Maxi fragte ihn, wie sein Pferd aussah und wie es hieß. „Mein Pferd heißt Astral, er ist ein Fuchswallach, den ich schon seit ein paar Jahren reite“, erzählte der sympathische Junge. „Und er ist ein Hannoveraner“, fügte Merle hinzu. „Wie lange reitest du schon?“, schaltete sich Klara in ihr Gespräch ein. „Seitdem ich auf meinen Beinen stehen kann, also knapp elf Jahre“, antwortete Finley. „Meine Mum hat mir das Reiten beigebracht, sie war früher eine international erfolgreiche Springreiterin“ – „Ich finde es toll, dass es Jungs gibt, die reiten“, fand Ronja: „Mein großer Bruder würde sich weigern, auch nur für eine Minute auf dem Pferd zu sitzen“ – „Ich wurde schon öfter in der Schule gehänselt, weil ich reite und zum Teil etwas mädchenhafte Hobbys habe, da ich Tanzen und Singen mag. Dennoch ziehe ich mein Ding durch und lasse mich nicht beeindrucken“ – „Hast du auch schon mal Fußball gespielt?“, fragte Klara. „Nur zwei Jahre im Verein, aber das war nicht ganz das Richtige für mich, vielmehr liebe ich Hockey“, erwiderte er. „Cool, unsere Hockey-AG braucht dringend neue Spieler. Wir suchen neue Spieler aus den siebten und achten Klassen“, verwickelte Klara ihn über ein Gespräch über Sport.

 

Nach dem Essen wurde die Musik richtig aufgedreht. Noah, einer von Merles Cousins, betätigte sich als DJ und nahm im Minutentakt Musikwünsche entgegen. Isabelle unterhielt sich mit dem Jungen im Fußballtrikot. Valentin hieß er, soweit Maxi es mitbekommen hatte. Er war Merles anderer Cousin und musste ungefähr in ihrem Alter sein. „Komm wir rocken die Tanzfläche!“, nahm Klara Merle und Maxi an die Hand. „Wiebke, Isa und Ronnie, hier sind wir!“, winkte Merle den drei Freundinnen zu, die immer noch am Tisch saßen. Wie übermütige Tierkinder hüpften Maxi, Merle und Klara umher. Einmal verlor Maxi dabei ihren Schuh. Im nächsten Moment enterten Isa und Valentin zusammen das Parkett. „Seht mal, sie flirten schon längere Zeit!“, wisperte Klara aufgeregt. „Ja, das sieht echt süß aus“, fand Maxi. Kurz darauf forderte Merle Finley zum Tanz auf. Maxi war mehr als baff, so kannte sie ihre Freundin überhaupt nicht. Mit einem Jungen befreundet sein, war für Merle nichts Neues, aber dass sie vermehrt Gefühle zeigte, kannten die anderen Lustigen Hufeisen nicht von ihr. Maxi fand, dass die Beiden gut zusammen passten. Finley liebte den Reitsport genauso wie sie und sie waren beide auf der gleichen Wellenlänge. Maxi schätzte Finleys freundliche und höfliche Art. Obwohl er relativ klein und zierlich war, war in Sachen Verhalten und Reife seinen Altersgenossen ein oder zwei Jahre voraus. Die anderen Jungs, vor allem die Paviane waren ziemliche Rüpel und legten teilweise ziemlich miese Verhaltensweisen an den Tag. „Lust eine Runde zu tanzen?“, steuerte der Junge im Krokodilskostüm auf Maxi zu. „Von mir aus gerne“, ließ sie sich auf ihn ein. „Ich bin übrigens Noah, falls ich das noch nicht gesagt habe“, sagte er und schlang seine Arme um ihre Taille. Maxi machte es Spaß mit ihm zu tanzen und fühlte sich dabei geschmeichelt, obwohl sie immer noch die Geschichte mit ihrem Freund im Hinterkopf egal. Egal, Patrick war nicht hier und ihre Freundinnen würden bestimmt niemals weiter verraten, dass sie mit einem von Merles Cousins tanzte. Ein Lustiges Hufeisen trug eben keine Geheimnisse über die Bandengrenze hinaus.

 

Zwischendrin wurden ein paar Spiele gespielt, die Merle zusammen mit Marlon und seiner Freundin vorbereitet hatten. Die größten Renner waren das Mäusespeckschnappen, sowie die Reise nach Jerusalem. Es wurde viel gelacht und gejuchzt. Die Lustigen Hufeisen hüpften und tanzten so viel, dass Maxi sich eine halbe Stunde hinsetzen musste, weil ihr die Füße anfingen weh zu tun. Isabelle und Merle knipsten dutzende Bilder mit ihren Handys. Marlon startete eine Konfettikanone, sodass sekundenlang Papierstückchen in allen Farben zu Boden rieselte. Die Stimmung war auf dem Höhepunkt angelangt, als der Nummer Eins Hit aus den Charts gespielt wurde und der ganze Raum dröhnte. Nach dem Lied wurde das Licht gedimmt, da Merle und Isabelle Knicklichter verteilten, die in den verschiedensten Farben leuchteten. Merle winkte Maxi zu sich nach vorne. „Komm, wir zeigen den anderen den Tanz aus der letzten Tanzstunde!“, raunte Merle ihr zu. Als Vortänzerinnen machten sie eine gute Figur und konnten sogar die Jungs zum Mittanzen animieren. „Mist, ich werde morgen bestimmt Blasen an den Füßen haben“, stöhnte Maxi, als sie sich mit Isa und Ronja eine Pause gönnte. „Das wäre nicht so toll, morgen ist noch das Faschingsreiten“, meinte Isabelle. „Oh verdammt, das habe ich beinahe vergessen“, rief Maxi gegen die Musik an. „Deswegen sollten wir spätestens in einer Stunde ins Bett gehen“, lenkte Ronja ein. „Jaja, wir sollten alle eine gute Figur machen, auch die Hobbyreiter unter uns. Die ganze Reitergemeinschaft und der Reitvorstand werden zugucken, daher ist es wichtig fit und ausgeschlafen zu sein. Morgen wird sich keiner hängen lassen“, betonte Merle, die sich gerade mit Finley an ihren Tisch gesetzt hatte. „Bevor ich das vergesse, Mum hat mir noch eine Flasche Sekt als Gastgeschenk eingepackt“, holte Finley eine Sektflasche aus seinem Rucksack. „Bist du wahnsinnig?“, fuhr Merle ihn an. „Meine Eltern drehen mir den Hals um, wenn sie mitkriegen, dass wir Alkohol trinken. Keiner von uns ist sechzehn“ – „Keine Sorge!“, lachte Finley. „Das ist ein Kindersekt mit Apfel- und Erdbeergeschmack und ohne Alkohol“ – „Puh, ich dachte schon“, gickerte Isa. Merle winkte Klara und Wiebke zu sich rüber. „Wir trinken jetzt eine Runde Kindersekt“, klärte Isa die Freundinnen auf. Merle und Ronja holten ein paar Sektgläser vom Tresen an ihren Tisch. Isa goss jedem etwas ein. „Auf Hoch auf uns!“, stieß Merle mit ihren Freunden an. „Und ein Hoch auf die Party!“, krähte Maxi. Munter stießen die Partygäste an, sodass die Gläser nur so klirrten.

 

Um kurz nach Mitternacht beendeten Merles Eltern die Party. Es war Zeit um ins Bett zu gehen, schließlich stand morgen noch eine Reitaufführung an. „War das eine tolle Fete!“, gähnte Wiebke und ließ sich auf Merles Schreibtischstuhl plumpsen. „Nicht pennen, Cousinchen, wir müssen noch unsere Schlafstätte herrichten“, wurde sie von ihrer Cousine wach gerüttelt. „Solche coolen Partys können wir ruhig öfter feiern, das war gerade richtig lustig“, war Klara der Meinung. „Aber nicht zu oft, schließlich soll das noch etwas Besonderes sein“, sagte Isa dazu. Die anderen Freundinnen waren gerade dabei Matratzen aus dem Nebenraum herbei zu schleppen und zu einem großen Bandenbett zusammen zu schieben. „Finito!“, ließ sich Maxi auf eine der Matratzen fallen und räkelte sich wie eine Katze. Im Nu hatten die Bandenmädchen ihre Nachthemden und Pyjamas an. Damit es gemütlicher wurde, löschte Merle das Zimmerlicht und machte die kleinen Schlaflampen an. „Isa, stehst du auf Merles Cousin?“, stupste Maxi ihre Freundin neben sich an. „Wie kommst du darauf?“, fühlte sich Isabelle offenbar ertappt. „Du hast mit ihm getanzt“, sagte Merle, „Fandest du Noah eigentlich süß?“ – „Naja, ich fand ihn ganz nett und mit ihm konnte ich mich gut unterhalten“, druckste die Bandenanführerin etwas herum und wechselte schnell das Thema. Die Lustigen Hufeisen unterhielten sich über dies und das. Zwischendurch schaute Maxi auf ihr Handy und sah, dass Patrick sie zweimal versucht hatte anzurufen und ihr drei Nachrichten geschrieben hatte. Aber momentan hatte sie keine Lust ihm zu antworten. Bald kuschelten sich die Freundinnen in ihre Schlafsäcke und löschten die Schlaflampen. „Danke, für den wunderschönen Abend, Merle!“, murmelte Ronja verschlafen.

5. Kapitel

 

„Du siehst ja aus wie ein Waschbär!“, lachte Klara am nächsten Morgen über Maxis verwischte Schminke. „Oh nein, ich habe ganz vergessen, mich gestern Abend richtig abzuschminken“, jammerte Maxi nach einem Blick in den Spiegel. Sie war es nicht gewohnt, dass jemand über ihr Aussehen lachte. Im Gegenteil: Normalerweise kannte sie nur Komplimente. Schnell entfernte sie die schwarzen Ränder um ihre Augen. „Wie unnötig, dabei kann ich mich sowieso gleich wieder neu schminken für das Faschingsreiten“, meckerte sie weiter, während die anderen Lustigen Hufeisen erst langsam aus ihrer Bettenburg krabbelten. „Lasst uns doch erst einmal frühstücken“, schlug Merle vor und legte Maxi tröstend einen Arm um die Schulter. „Das ist eine gute Idee“, fand Klara und gähnte. „Müssen wir uns dafür extra anziehen?“, wollte Ronja wissen und Merle schüttelte lachend den Kopf. Sie sollten sich ganz wie zu Hause fühlen. Also wuschen sie sich im Eiltempo und kamen dann im Schlafanzug nach unten zum Frühstück.

 

Merles Eltern hatten den großen Esstisch bereits gedeckt. Isabelle kam sich bei ihrer Freundin immer vor, wie in einem vornehmen Hotel. Es gab eine riesige Auswahl an Brötchen, Müsli und Aufschnitt. Sie konnte sich gar nicht entscheiden und wollte am liebsten von allem ein bisschen essen. Merle reichte eine Flasche Orangensaft herum, damit alle munter wurden. Aufgeregt besprachen sie ihren Auftritt beim Faschingsreiten noch einmal. Sie hatten lange auf Ellen eingeredet, bis sie ihnen erlaubt hatte, als Lustige Hufeisen-Bande zu reiten. So hatten sie eine kleine Extrawurst ergattern können. Wiebke war als Anfängerin ziemlich nervös. „Hoffentlich blamiere ich uns nicht“, murmelte sie immer wieder vor sich hin. „Bleib ganz ruhig, das soll in erster Linie Spaß machen“, versuchte Isa, sie zu beruhigen. „Und es macht auch wirklich Spaß“, verkündete Merle. „Mädels, haut rein“, mischte Maxi sich ein. „Wir müssen uns gleich noch fertig machen.“ Sie beeilten sich mit dem restlichen Frühstück und liefen dann nach oben.

 

„Kannst du mir gleich mal helfen?“, bat Klara ihre Freundin Maxi und hielt ihr die Schminkpalette hin. „Einen Moment, sofort“, antwortete die und beendete gerade erst ihre eigene Verkleidung. „Dieses Glitzer von Maxi ist einfach überall“, lachte Ronja, die eigentlich als eher gruselige Hexe hatte gehen wollen. „Die Kostüme könnt ihr alle in meine Sporttasche legen“, organisierte Merle und deutete auf einen Stuhl, auf dem sie die Tasche platziert hatte. „Wir werden uns in unserem Bandenquartier umziehen, wenn wir die Pferde fertig gemacht haben.“ – „Vergiss nicht die CD mit der Musik für unseren Auftritt“, erinnerte Isabelle sie gerade noch rechtzeitig. Nacheinander gingen die Mädchen ins Bad und schlüpften danach in ihre Reithosen. „Meine Eltern haben angeboten, uns zum Stall zu fahren“, verkündete Merle, als sie beinahe fertig waren. „Sie wollen sich das Faschingsreiten ohnehin ansehen.“ – „Das ist cool“, atmete Maxi auf, denn sie hätten sonst zu Fuß gehen müssen. Schließlich waren sie zur Party gebracht worden. Und als Eisprinzessin in Reithose wollte sie nun wirklich nicht auf der Straße gesehen werden.

 

„Sind die Damen so weit?“, wollte Merles Vater wissen, als sie gerade die Treppe hinunter kamen. „Ja, es kann losgehen“, antwortete Wiebke. Vom Hauswirtschaftsraum ging es in die große Garage. „Wir müssen wohl mit zwei Autos fahren“, seufzte Merles Mutter beim Anblick der sechs Mädchen. „Dann sucht euch mal einen Platz.“ Merle schnappte sich Maxi und Isabelle und sprang in den Wagen ihrer Mutter. Schulterzuckend stiegen Klara, Ronja und Wiebke zu Merles Vater ins Auto. Mit ihm zu fahren, fanden sie immer ziemlich lustig, denn hinter seiner großmütigen Fassade als Geschäftsmann war er ein ziemlich lustiger Kerl. „Nicht, dass ihr die Pferde mit euren Gesichtern erschreckt“, gab er gerade lachend zu bedenken. „Bei Fabella könnte ich mir das sogar vorstellen“, antwortete Klara und war froh, dass Maxi sie nicht hören konnte. Als sie auf den Hof fuhren, standen dort schon viel mehr Autos, als sonst. „Ganz schön viel los“, bemerkte Wiebke und musste schlucken. Hatte sie sich zu viel vorgenommen? „Du wirst sehen, es ist super“, beruhigte Ronja sie. Aus dem Auto ihrer Mutter konnte Merle den protzigen Geländewagen von Finleys Mutter erkennen. Er stand ziemlich dicht am Stall, wahrscheinlich hatte er noch vor dem Faschingsreiten sein Pferd bewegt. Sein Verantwortungsbewusstsein gefiel ihr. Er konnte sie vielleicht verstehen. Wenn sie am Wochenende in aller Frühe reiten ging, stöhnten selbst ihre besten Freundinnen auf. Und auch, wenn sie spät nach der Schule noch trainierte, war sie immer mal wieder allein im Stall. Jedenfalls ohne die anderen Lustigen Hufeisen.

 

„Wir suchen uns einen guten Platz zum Zuschauen“, sagte Merles Mutter und wünschte den Mädchen viel Spaß. „Auf geht’s“, lachte Isabelle und sie zogen unter lautem Hallo in den Stall. Passend zu ihren Kostümen wollten sie auch ihre Pferde noch ein wenig herrichten. Maxi hatte für Fabella eine blassblaue Schabracke, die passenden Bandagen und ein paar Glitzernde Mähnengummies besorgt. Klara war froh, dass sie weniger Arbeit mit ihrem Kostüm hatte. Da sie als Pippi Langstrumpf verkleidet war, musste sie auch ihre Reitbeteiligung Nandu nicht besonders elegant herrichten. Zum Glück war Nandu ohnehin ein Grauschimmel. Er konnte fast schon als kleiner Onkel durchgehen. Nur, dass er im Vergleich zu dem Filmpferd wirklich klein war. Auch Ronja machte sich nicht so viel Arbeit mit Randy. Maxi hatte ihr angeboten, das Pony zu bandagieren, doch das fand sie überflüssig. Mit hautverträglicher Farbe hatte sie dem dunkelbraunen Pony ein Spinnennetz auf die Hinterhand gemalt. Das musste reichen. Isabelle versuchte, aus Kandra ein Indianerpferd zu machen, doch das gelang ihr nur mit mäßigem Erfolg. Die Mähne war einfach zu kurz, um sie aufwendig zu verzieren und so gab sie sich mit einer farbenfrohen Schabracke und etwas urigem Schmuck an der Trense zufrieden. Mit ihrem Kostüm als Fuchs hatte Merle es sich sehr einfach gemacht, denn ihr Arthos war ohnehin fuchsfarben.

 

„Hallo Merle“, hörte sie eine Stimme vor ihrer Box. Überrascht blickte sie auf. Es war Wiebke, die unsicher da stand. „Was ist los?“, hakte sie nach. „Kannst du mir helfen? Ich bekomme die Hilfszügel nicht eingestellt“, stammelte das Mädchen bedrückt. „Ist doch kein Problem, ich komme“, antwortete Merle. Die anderen Lustigen Hufeisen waren alle noch beschäftigt, daher hatte Wiebke überraschenderweise sie um Hilfe gebeten. Ihre Reitbeteiligung, das Schimmelpony Alaska, stand im privaten Stalltrakt. Schließlich gehörte es eigentlich noch Marlons Cousine. Merle schaute sich Alaska einmal genau an. „Ich weiß nicht, ob der Sattel richtig liegt“, murmelte Wiebke. „Das ist in Ordnung so“, meinte Merle und staunte: „Du hast sie ja super geputzt. Sie glänzt richtig.“ – „Danke, ich wünschte, ich hätte mehr mit ihr machen können. Sie ist gar nicht richtig verkleidet“, sagte Wiebke und klang niedergeschlagen. „Arthos ist doch auch nicht verkleidet“, tröstete Merle sie. „Das ist etwas anderes, du gehst ja auch als Fuchs“, gab Wiebke zu bedenken. Merle überlegte einen Moment und fragte dann: „Welche Farbe haben Sailor Moons Stiefel?“ – „Rot“, antwortete Wiebke überrascht. „Gut, warte hier“, rief Merle und verschwand. Verwirrt blieb Wiebke bei Alaska stehen und wusste nicht, was sie davon halten sollte.

 

Es dauerte nicht lange, da tauchte Merle wieder auf. Sie trug einiges an Zeug auf den Armen. „Was hast du da?“, wollte Wiebke neugierig wissen. „Also, ich bandagiere Alaska in rot. Du nimmst diese Farbe, das sind Reste von Ronja. Mal ihr damit das Symbol, oder wie das heißt, von Sailor Moon auf die Hinterhand“, erklärte Merle. Wiebke tat, wie ihr geheißen. So sah das Pony schon ganz anders aus. Sie selbst hatte noch nie ein Pferd bandagiert. Gut, dass Merle ihr half. Dankbar fiel sie ihrer Freundin um den Hals, als sie fertig waren. „Wir sehen uns gleich in der Halle, wenn wir dran sind“, lachte Merle und machte sich auf den Weg zu Arthos. Dort stand Finley mit seiner Mutter. Darauf hätte sie auch verzichten können. Jetzt stand sie wie ein Idiot mit Schminke im Gesicht vor der Frau. „Ich wollte dir viel Spaß wünschen“, erklärte Finley. „Bleibst du nicht hier?“, hakte Merle nach. „Doch, aber ich bin ja nur Zuschauer“, antwortete er. Da er gerade erst hergezogen war, hatte er an den Vorbereitungen zum Faschingsreiten nicht teilnehmen können. „Du kannst nachher bei den Reiterspielen mitmachen“, schlug Merle aufgeregt vor. Skepsis machte sich im Gesicht seiner Mutter breit. „Das macht echt Spaß“, versicherte das Mädchen. „Ich würde es gern versuchen“, überlegte Finley. Doch seine Mutter schien das für keine gute Idee zu halten. „Mach keinen Blödsinn mit Astral. Es wäre unnötig, dass ein Pferd seiner Qualität sich bei einem kindischen Faschingsreiten verletzt“, sagte sie streng. „Er wird sich nicht verletzen, ich passe schon auf“, meinte Finley ruhig. „Das will ich hoffen. Also, viel Erfolg euch allen. Bis später, Finley“, verabschiedete sich seine Mutter zu Merles Erleichterung. Entschuldigend zuckte der Junge die Schultern. „Mütter eben“, seufzte er. Merle vermutete, dass Finleys Mutter in dieser Hinsicht etwas speziell war, aber das behielt sie für sich.

 

„Wir müssen gleich los“, rief Isabelle nach Merle. Sie hatte sich hoffnungslos mit Finley festgequatscht. Zum Glück war wenigstens Arthos schon fertig. „Wir sehen uns später“, sagte sie entschuldigend zu Finley und folgte ihren Freundinnen schnell noch ins Bandenquartier. Dort zogen sie ihre dicken Jacken aus und die Kostüme über. „Hoffentlich werden die Sachen nicht all zu dreckig“, murmelte Klara. „Solange du auf dem Pferd bleibst, sollte das kein Problem sein“, antwortete Maxi grinsend. „Meinst du etwa, jemand fällt runter?“, wollte Wiebke erschrocken wissen. „Nein, das wird schon“, beruhigte Isabelle ihre Cousine schnell, doch Merle meinte: „Denkt aber daran, dass heute alles anders ist. Wir haben viele Zuschauer, von denen manche vielleicht nicht wissen, wie sie sich im Stall zu verhalten haben. Es ist lauter und unruhiger und wir tragen alle seltsame Klamotten.“ Wiebkes Augen wurden immer größer. „Denk daran, dass du auf Alaska reitest und nicht auf Fabella. Wenn du ruhig bleibst, dann wird sie schon brav sein“, redete Ronja auf sie ein. Wiebke nickte. Sie musste nur selbst ruhig bleiben. Wenn das so einfach wäre. Außerdem waren sie die erste Gruppe, die auftrat. Das machte es nicht gerade besser.

 

Die Lustigen Hufeisen holten ihre Pferde, warteten, bis sie aufgerufen wurden, und ritten in die Reithalle ein. Die Anlage spielte schon das Lied ab, das sie sich für ihre Quadrille ausgesucht hatten. Vorne ritten Isa und Merle, dahinter jeweils Maxi und Klara sowie Ronja und Wiebke. Die Mädchen entdeckten unter den Zuschauern ihre Eltern und Geschwister. Aber Merle wollte vor allem vor Finley eine gute Figur machen. Ihre Pferde blieben überraschenderweise ganz ruhig, selbst Fabella ließ sich nicht von den vielen Leuten stören, die zusahen. Isa blickte etwas neidisch zu Maxi hinüber. Sie hatten kaum Zeit gehabt, ihre Pferde aufzuwärmen, und Fabella ging schon wieder so schön in der Verbindung. Kandra dagegen ging eher steif. Vielleicht hätte sie doch lieber Hilfszügel nehmen sollen, überlegte sie. Aber dazu war sie zu eitel. Es ging schließlich auch ohne-es dauerte nur länger, als bei Maxi oder Merle. Die strahlte wie ein Honigkuchenpferd und machte sich auf Arthos richtig groß. Wollte sie jetzt auch unter die Dressurreiter gehen? Isabelle konzentrierte sich auf Kandra und die Aufgabe, die sie ritt. Gerade kam ihr Wiebke entgegen. Sie war so stolz auf ihre Reitbeteiligung Alaska. Und sie sah wirklich toll aus auf dem strahlend weißen Pony. Die Pferde tanzten fast zur Musik und ihre Reiterinnen lächelten sich an, wenn sie sich entgegen kamen. Am Ende stellten sie sich nebeneinander auf die Mittellinie und winkten den Zuschauern, die Applaus aufbranden ließen. Nun zappelte Fabella doch ein bisschen, doch Maxi gelang es, sie unter Kontrolle zu halten.

 

Die Lustigen Hufeisen beeilten sich, ihre Pferde in die Boxen zu bringen. „Lass Alaska gesattelt, halfter sie nur auf und binde sie an“, rief Maxi Wiebke zu. Als das Mädchen erstaunt guckte, meinte sie: „Du brauchst sie nachher noch!“ Also tat Wiebke, was man ihr sagte. Sie nahmen ihren Pferden die Trense ab und halfterten sie auf. Isa wusste, dass sie Kandra auch so in der Box stehen lassen konnte, doch um sicher zu gehen, band sie ihre Stute lieber an. Die anderen kamen lachend aus den Boxen ihrer Pferde. „Das lief doch gut, wir haben uns keine großen Fehler geleistet“, sagte Merle stolz. „Ja, es war super“, strahlte auch Klara. „Kommt, wir holen Wiebke und schauen uns an, was die anderen machen“, schlug Ronja vor. Bald darauf standen sie an der Bande und linsten hinüber. Gerade zeigten die Stallzicken eine Quadrille. „Natürlich haben die sich nicht verkleidet“, lästerte Isabelle. „Dazu sind sie sich wohl schon zu fein.“ Die Mädchen sahen streng herausgeputzt aus und ritten todernst. „Sieht schon toll aus“, gestand Merle sich ein. „Ja, aber nicht sehr nach Spaß“, warf Ronja ein. „Wer weiß, vielleicht macht denen das ja so Spaß“, überlegte Maxi und musste bei ihren Worten doch grinsen.

 

„So reitet man eine Quadrille, ihr Kleinkinder“, sagte Jana herablassend zu den Lustigen Hufeisen, als sie mit ihren Freundinnen die Halle verließ. „Auf einer Beerdigung vielleicht“, feuerte Maxi zurück. „Aber nicht zu Fasching.“ – „Da müsst ihr euch ja auskennen, ihr Clowns“, sagte Charlotte herablassend. „Ja, im Gegensatz zu euch, ihr blöden Spaßbremsen“, meinte Isabelle und beendete das Gezicke damit. „Lassen wir uns von denen nicht den Tag vermiesen“, beschloss Merle und grinste schon wieder wie benebelt. Gerade war Finley um die Ecke gebogen. „Das sah ja toll aus“, lobte er die Vorstellung der Lustigen Hufeisen. „Danke“, sagte Klara und war sich gar nicht sicher, ob sie auch gemeint war. Irgendwie stand Finley schon wieder verdächtig nahe bei Merle. Dabei kam jetzt die Dressurvorstellung von Marlon und ein paar der anderen Turnierreiter. Die Lustigen Hufeisen staunten, wie gut es aussah. „Die reiten eine L-Dressur auf Trense“, erklärte Maxi Wiebke, die fasziniert über die Bande sah. Es folgten ein paar Auftritte der jüngeren Reitschüler, die sich ebenfalls alle große Mühe mit ihren Kostümen gegeben hatten.

 

Schließlich bat Ellen alle, die am Kostümwettbewerb teilnehmen wollten, in die Reithalle. „Los, das machen wir!“, spornte Ronja ihre Freundinnen an. „Meinst du? Ich glaube nicht, dass ich da eine Chance habe“, sagte Merle skeptisch. „Aber es macht Spaß“, erinnerte Maxi sie. „Ja, wenn man so ein Kostüm hat, wie du“, widersprach Merle und Finley sagte: „Ich werde für dich stimmen, Merle.“ Damit war sie überredet und holte Arthos aus seiner Box. „Was für ein Charmeur“, flüsterte Klara Ronja zu, als Finley wieder zu seinem Platz ging. „Ist das vornehm für Schleimer?“, kicherte Ronja und ging zu Randy in die Box. Sie fanden, dass Finley etwas zu dick auftrug. Aber solange es Merle gefiel, sollte es ihnen recht sein. Bald ritten sie zu den anderen Teilnehmern des Kostümwettbewerbes in die Reithalle. Ellen stellte den Zuschauern die Reiter, Pferde und Kostüme vor. Währenddessen wurden Stimmzettel verteilt, damit jeder sein liebstes Paar wählen konnte.

 

„Ihr könnt gleich hierbleiben, wenn ihr auch an den Geschicklichkeitsspielen teilnehmen wollt“, sagte Ellen zu den Lustigen Hufeisen. „Ich weiß nicht, ob das was für uns ist“, murmelte Maxi. In dem Moment schwang die Hallentür auf und Finley kam auf Astral herein. Der Fuchs wirkte eindrucksvoll und war dick bandagiert. Schließlich hatte Finley seiner Mutter versprochen, auf ihn aufzupassen. Marlon, der als schwarzer Ritter verkleidet auf seinem Pferd saß, begrüßte ihn sofort. Es gab nicht viele Jungen im Stall und in ihrem Alter waren sie die einzigen. Ellen erklärte den Reitern, was sie machen sollten. Beim Ringstechen stellte Isabelle sich ziemlich gut an und schaffte es am Ende sogar, zu gewinnen. Beim Slalomreiten auf Zeit überzeugte vor allem Klara auf Nandu, auch wenn es am Ende nur für den dritten Platz reichte. Ellen hatte sich außerdem eine besondere Variante des beliebten Spieles „Reise nach Jerusalem“ ausgedacht. Die Reiter mussten beim Verstummen der Musik möglichst schnell und geschlossen stehen bleiben.

 

Als alle Spiele beendet waren, stand das Ergebnis des Kostümwettbewerbes fest. Voller Erwartungen stellten sich alle um Ellen und das Team der Jury auf, die die Stimmen gezählt hatten. Sie hatten extra zwei verschiedene Altersklassen eingeteilt, so dass zuerst die Gewinner bei den jüngeren Reitern verkündete wurden. Um Tränen zu vermeiden, hatte Ellen aber für alle eine Teilnehmerschleife bereitgehalten, die sie den stolzen Reitern übergab. Dann wurden die Ergebnisse der älteren Reiter verkündet. Wiebke war es gelungen, den dritten Platz zu ergattern. Sie lobte Alaska überschwänglich, als sie die Schleife bekam. Auf Platz zwei war Marlon gewählt worden, dem es anscheinend fast ein bisschen peinlich war. Als dann Maxi zur Siegerin gekürt wurde, war kaum jemand überrascht. Auf ihrem goldenen Shagya-Araber sah sie wirklich aus, wie eine Prinzessin. „Wenigstens etwas“, grinste sie, da die Geschicklichkeitsspiele nicht gerade ihr Ding gewesen war. Dann ritten sie aus der Halle und brachten ihre Pferde in die Boxen. Isabelles Mutter hatte ein paar Karotten mitgebracht, die sie nun im Stall verteilte. „Das haben sie sich alle verdient“, kommentierte Ronja begeistert. „Ich finde, wir haben uns auch eine kleine Stärkung verdient“, stimmte Wiebke ihr zu. „Dann kommt, wir sitzen alle im Reiterstübchen“, meinte Isabelles Mutter und sie folgten ihr.

 

„Kommst du auch mit?“, wollte Merle von Finley wissen und er nickte erfreut. Als sie wenig später alle zusammen saßen und Pommes futterten, sah Maxi neidisch zu Merle rüber. Bis vor Kurzem hatte auch sie mit Patrick Spaß gehabt, Essen geteilt und gekichert. Doch nun herrschte Funkstille. Seit er beschlossen hatte, dass seine Kumpels und die Computerspiele ihm wichtiger waren, als ihre Beziehung. Er hatte zwar versucht, sich zu melden, doch Maxi konnte bockig sein. Und sie war gerade ziemlich bockig und gekränkt. Er würde schon ganz unten angekrochen kommen müssen, wenn er erwartete, dass sie ihm verzieh. Ihre Wut war jedenfalls noch lange nicht verzogen. „Ist alles okay?“, fragte jemand und sie sah auf. Marlon hatte sich zu ihnen gesetzt. Da Merle beschäftigt war, sprach er offenbar nun sie an. „Wo hast du Jasmin gelassen?“, wollte Maxi uncharmant wissen. Er zuckte die Schultern: „Sie macht sich nichts aus Pferden.“ Super, dachte Maxi. Und Patrick machte sich anscheinend nichts aus ihr. Sie hatte irgendwie erwartet, dass er vorbeikommen würde. Aber Fehlanzeige. Sie hatte auch gar keine Lust mehr, Merle beim Turteln zuzusehen. Also bat sie ihre Mutter, sie nach Hause zu bringen.

 

Dort angekommen verzog sie sich in ihr Zimmer und schmollte noch ein bisschen. Plötzlich aber klopfte es an der Tür und ihr Bruder Luigi trat herein. „Tee für dich“, sagte er und stellte ein Tablett auf den Schreibtisch. „Danke“, lächelte sie und erwartete, dass er wieder gehen würde. Doch er blieb. „Was ist denn los mit dir?“, fragte er stattdessen. Und so schüttete sie ihm ihr Herz aus. „Lass den Idioten doch“, wehrte Luigi ab. „Du wirst bessere Kerle treffen, richtige Kerle. Du kannst nun wirklich tollere Typen haben. Sieh dich nur an!“ – „Aber es ist nicht schön, dass mich immer alle nur darauf reduzieren“, protestierte sie. Sie dachte an Merle, die alle immer so cool fanden. Und Klara konnte richtig geheimnisvoll wirken. Ebenso Ronja, die außerdem angesehen war, weil sie so fürsorglich war. Und Isabelle war sowieso beliebt. Aber was war mit ihr? War sie etwa die zickige Maxi, die nur wegen ihrer Schönheit akzeptiert wurde? „So ein Blödsinn“, unterbrach ihr Bruder ihre Gedanken. „Du bist nicht nur schön, sondern auch sehr klug und fantasievoll.“ – „Sag das mal den anderen!“, murrte Maxi. „Das müssen die selbst herausfinden. Und wenn sie nicht darauf kommen, dann sind sie es nicht wert“, erklärte Luigi und reichte ihr den abgekühlten Tee.

6. Kapitel

 

Gähnend drehte sich Merle noch einmal um. Es konnte doch nicht wahr sein, dass der Wecker sie mitten aus dem Traum riss. Grummelnd strampelte sie sich aus der Bettdecke und schlich ins Bad, um sich zu duschen. Gewiss war sie keine Frühaufsteherin. Regen trommelte auf das Dachfenster und draußen war es noch stockduster. Da machte das frühe Aufstehen wirklich keinen Spaß. Erstmal machte sie das Radio an. Wenigstens lief eines ihrer Lieblingslieder. Leise sang sie mit und ließ sich das warme Wasser über den Rücken laufen. Konnte nicht wieder Wochenende sein? Erst vor kurzem hatte sie an Fasching viel Spaß mit ihren Bandenfreundinnen und Finley gehabt. Ein Blick auf die Uhr ließ sie erschrecken. Sie hatte unter der Dusche getrödelt und musste sich richtig beeilen, um überhaupt noch frühstücken zu können. Da das Wetter zum Fahrradfahren zu schlecht war, fuhr sie jeden Morgen mit dem Bus. Eilig schlüpfte sie in ihre Klamotten und verzichtete auf jegliches Styling. „Du kommst aber wirklich ein wenig spät“, sagte ihre Mutter am Frühstückstisch. Wortlos bestrich sich Merle zwei Brötchenhälften mit Nutella und goss sich von dem Maracuja-Mangosaft ein. „Merle, ich habe gleich einen Termin beim Augenarzt, daher könnte ich dich mitnehmen“, sagte ihr Vater. „Danke!“, klang Merle erleichtert und hätte ihn am liebsten umarmt. Somit hatte sie wieder angemessen viel Zeit, um in Ruhe zu essen. „Wie heißt noch mal der Junge mit den blonden Haaren, mit dem ich dich zuletzt gesehen habe?“, erkundigte sich ihre Mutter. „Finley, ein neuer Mitschüler“, sagte sie knapp und hatte keine Lust, näher auf das Thema einzugehen. Hoffentlich wurde jetzt nicht gefragt, ob sie mit ihm zusammen sei. Die Comtessen aus ihrer Klasse zogen sie ständig damit auf, dass Merle in Finley verliebt sei. Langsam nervte es. Gestern als Maxi sie darauf angesprochen hatte, war sie ihrer Freundin unsanft über den Mund gefahren. „Ich wollte gleich losfahren“, legte ihr Vater die Zeitung beiseite. Merle sprang auf und lief ins Bad. Wenigstens die Zähne wollte sie geputzt haben. Als sie wieder im Flur angekommen war, zog sie sich schnell ihren roten Mantel und ihre dunkelblauen Winterstiefel an. Was für ein Glück, dass sie im Auto ihres Vaters saß. Draußen goss es in Strömen, es wehte ein kräftiger Wind und es war immer noch dunkel. Die Fahrt dauerte nur acht Minuten. Mit dem Auto ging es viel schneller als mit dem Bus. „Danke, fürs Mitnehmen, Papa!“, verabschiedete sie sich und rannte auf die Schultür zu. „Wenn Papa mich nicht gebracht hätte, wäre ich jetzt pitschnass“, dachte sie bei sich.

 

Nach zwei Doppelstunden Englisch und einem großen Vokabeltest mit zwanzig Begriffen und Sätzen entließ der Gong die Klasse in die große Pause. „Versuchen wir, einen Tisch in der Cafeteria zu ergattern!“, stürmte Isabelle mit ihrer Cousine vorweg. Merle verschwand kurz auf der Toilette, ehe sie hinterher kam. In der Pausenhalle herrschte großes Gedrängel. Als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, entdeckte sie den Stand, an dem die Rosen für den Valentinstag verkauft wurden. Mindestens jeder zweite Schüler hatte solch eine Rose in der Hand. „Merle!“, jemand zog sie am Ärmel. Erschrocken fuhr sie herum. Es war Finley, der mit einem Mal neben ihr stand. Grinsend zauberte er eine rote Rose hinter seinem Rücken hervor. „Ist die für mich?“, begannen Merles Wangen zu glühen. „Für wen denn sonst?“, grinste er noch breiter. „Vielen Dank, du kleiner Charmeur!“, lachte sie und fiel ihm um den Hals. „Bitte, gerne, meine Lady“, erwiderte er mit übertriebener Höflichkeit. Mit einem Schlag war sie irritiert. Eigentlich hatte sie Finley für einen guten Freund gehalten, vielleicht wollte er noch mehr von ihr. Merle war sich nicht so sicher, ob sie mehr von ihm wollte. Sie fand ihn schon sehr charmant und irgendwie auch süß, aber war sie nicht ein bisschen jung für eine Beziehung. Ihr dreizehnter Geburtstag war erst in vier Monaten. „Wenn du mir eine Rose schenkst, muss ich dir auch eine schenken“, meinte Merle. „Ach was, das musst du nicht unbedingt“, winkte Finley ab. Vor ihnen liefen Maxi und Patrick Hand in Hand. Sie hatten sich auch gegenseitig Rosen geschenkt. Offenbar hatten sie sich wieder vertragen. „So, ich gehe mit Thorben noch mal in die Bücherei“, machte sich Finley aus dem Staub. Merle eilte in die Cafeteria. „Wo warst du die ganze Zeit?“, empfing Isabelle sie. „Ich habe gerade Finley getroffen“, sagte sie. „Ahaaa!“, machte ihre Freundin nur und fügte hinzu: „Jetzt weiß ich, von wem du die Rose hast.“ Neben Isa saßen Ronja und Klara, die beide eine Rose in der Hand hatten. „Woher habt ihr die Rose?“, war Merle ganz perplex. „Wir haben Elias von der Schülerredaktion getroffen, für den wir zusammen manchmal etwas schreiben“, erzählte Ronja. „Er hat allen aus der Schülerredaktion eine Rose geschenkt“, ergänzte Klara mit strahlenden Augen. „Das ist aber lieb von ihm“, meinte Wiebke dazu. Isabelle kniff nur die Lippen zusammen und fragte stattdessen, wo Maxi sei. „Ich habe sie gerade mit Patrick gesehen“, konnte Merle ihrer Freundin Auskunft geben. „Seit wann turtelt sie wieder mit dem Lackaffen herum?“, schnaubte sie verächtlich.

 

Isabelle hatte den ganzen Tag über schlechte Laune. „Ich hasse den Valentinstag!“, sagte sie zu ihrer Stute Kandra, als sie diese gesattelt in die Halle führte, und tätschelte sie am Hals. Ihre Cousine ritt bereits auf Alaska ihre Runden. „Ich hasse dieses Liebesfest! Jeder kriegt eine Rose, nur ich nicht“, klang Isabelle frustriert, als sie neben Wiebke ritt. „Nimm es dir nicht so zu Herzen, dass du keine Rose bekommen hast. Ich bin doch auch leer ausgegangen“, erwiderte sie. „Bei dir ist es auch noch was anderes“, sagte Isabelle leise und ließ ihre Stute antraben, bevor sie zum Frustablass drei Runden durch die Halle galoppierte, sodass der Boden aufgewirbelt wurde. „Immerhin habe ich Kandra“, dachte sie und fühlte sich bei dem Gedanken halbwegs getröstet. „Isa, kommst du nachher mit auf den Jahrmarkt?“, fragte Wiebke. „Weiß ich noch nicht“, murmelte sie. „Große Lust habe ich nicht.“ – „Komm schon, wir treffen uns um sechs Uhr am Riesenrad und alle von uns werden dabei sein“ – „Ich schaue mal, wie es meiner Laune nachher geht“, brummte Isabelle. Die beiden Mädchen ließen ihre Pferde im Trab über vier Stangen gehen, die auf dem Boden lagen. „Liebesfrust ist so eine Sache“, meinte Wiebke. „Ich habe damit noch nie Probleme gehabt, aber schön ist es sicherlich nicht.“ – „Ist es wahrlich nicht!“, kniff Isa die Augen zusammen und konzentrierte sich wieder ganz aufs Reiten. Wenn es eine gute Medizin gegen irgendwelchen Kummer gab, dann waren es Pferde. Die Cousinen ritten noch eine Weile nebeneinander her, bis ihnen kalt wurde und sie sich mit warmen Kakao im Reiterstübchen aufwärmen wollten.

 

Maxi amüsierte sich währenddessen mit Patrick auf der Kirmes. „Was für ein Glück, dass du mir doch noch verziehen hast“, legte ihr Patrick den Arm um die Schulter. „Dieser Streit war fürchterlich, es war kaum zum Aushalten“, seufzte sie. „Ich bin so froh, dass es wieder beim Alten ist.“ Abwechselnd knabberten sie an dem Liebesapfel, den er gerade gekauft hatte. „Ich liebe dich, Maxi-Schatz“, flüsterte er ihr ins Ohr und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss, den sie mit der gleichen Leidenschaft erwiderte. Vom Fahrgeschäft nebenan dröhnte laute Technomusik und bunte Lichter blinkten um die Wette. Schon dreimal saßen sie im Autoscooter und einmal in der Achterbahn. Überraschend hatte Patrick die Fahrten bezahlt, um den Patzer vom letzten Wochenende gut zu machen. Maxi hatte noch ihr ganzes Geld im Portemonnaie. „Was hältst du davon, wenn wir noch mal in den Musikexpress steigen?“, schlug er vor. „Sehr gerne!“, strahlte sie und nahm seine Hand. Patrick besorgte zwei Fahrtchips und sie suchten sich einen schönen Wagen aus, den sie ganz für sich allein hatten. Der Musikexpress setzte sich in Bewegung. Über ihnen drehte sich eine Diskokugel und reflektierte das Licht der bunten Lampen. Es ging immer im Kreis und das Fahrgeschäft wurde immer schneller. „Aaahh, nicht so schnell!“, quietschte Maxi und klammerte sich an Patricks Arm. Lustig wurde es, als sich das Karussell rückwärts drehte. „Das reicht mir erstmal“, taumelte Maxi aus dem Fahrgeschäft. „Okay, wir machen eine Pause“, schlug ihr Freund vor und zog sie zum Schießstand. Da sie keine Lust zum Schießen hatte, guckte sie ihm dabei zu. Patrick gelangen einige Volltreffer, er durfte sich einen Preis aussuchen und nahm zweimal Hasenohren. „Oh Gott, wie das aussieht!“, kicherte Maxi, als sie ein Foto von sich machten. „Aber du bist das süßestes Bunny aller Zeiten“, küsste er sie auf die vollen Lippen. Wie charmant er manchmal sein konnte! Wenn er nicht gerade in der Welt der Computerspiele, des Fußballs oder der Formel1 gefangen war, war er ein echter Traum. „Schatz, ich habe gleich Training, ich muss jetzt den Bus nehmen“, verabschiedete sich Patrick. „Danke, für den schönen Nachmittag!“, strahlten ihre hübschen dunklen Augen. Maxi wippte gutgelaunt zur Musik, die den Platz beschallte. Gleich traf sie sich noch mit ihren Mädels.

 

„Isa, du bist doch mitgekommen!“, fiel Maxi ihrer besten Freundin um den Hals. „Aber erst nach guter Überredungsarbeit meiner Cousine“, zwinkerte Isabelle Wiebke zu. „Was hast du da auf dem Kopf, Maxi?“, wollte Merle wissen. „Das hat Patrick gerade an der Schießbude gewonnen“, erklärte sie ihren Freundinnen grinsend. „Lustig siehst du damit schon aus“, fand Ronja. „Lasst uns die Mission Riesenrad starten!“, lief Klara zum Kassenhäuschen. „Aber natürlich!“, grummelte Merle mit so tief verstellter Stimme, dass die Freundinnen einen Lachflash bekamen. Gerade eben so passten die sechs Freundinnen in eine Gondel. Isabelle konnte es nicht unterlassen zig Bilder zu knipsen. „Klara und Isa, wackelt nicht so!“, machte Wiebke ein etwas ängstliches Gesicht. „Wir stürzen schon nicht ab“, lachte Isa. „Die Gondel ist fest verankert“ – „Ich finde die Aussicht prima!“, schwärmte Ronja. „Aber es ist doch schon dunkel“, gab Klara zu Bedenken. „Trotzdem sind diese vielen bunten Lichter des Jahrmarktes schon toll“, warf Maxi ein. Nach wenigen Minuten hatten die Lustigen Hufeisen wieder festen Boden unter den Füßen. Nun folgte die Mission Achterbahn, wovor insbesondere Wiebke und Ronja Angst hatten. „Diese Achterbahn ist nicht schlimm“, beruhigte Maxi die Freundinnen. „Ich bin sie vorhin mit Patrick gefahren und es gibt viel heftigere Fahrgeschäfte, wie der Fallturm und die Riesenschaukel, die über Kopf geht.“ Nur mit viel Zureden gelang es den Mädchen, ihre beiden Freundinnen zu überzeugen. Wiebke setzte sich neben Isa und Ronja drückte schon vor der Fahrt Maxis Hand ganz fest. Dann ging es los. Ruckelnd setzte sich ihr Waggon in Bewegung. „Wie hoch soll es noch gehen?“, schloss Wiebke die Augen. Ihre Brille hatte sie vorsichtshalber in die Jackentasche gesteckt. „Mach die Augen auf, du wirst etwas verpassen!“, rief Klara, die mit Merle ganz hinten saß. Nach einer Kurve kam die erste Abfahrt. Die Lustigen Hufeisen kreischten hysterisch, solange es bergab ging. Es war schon lustig, wie sie durchgeschüttelt wurden, und bei den ganzen Kurven und Loopings die Orientierung verloren. Maxi spürte, dass ihr der kalte Fahrtwind die Tränen in die Augen trieb. Trotzdem machte es gerade verdammt Spaß. „Ich fahre damit nicht noch mal“, sagte Ronja, als die Bahn zum Stillstand kam. „Ich auch nicht“, schloss sich Wiebke ihr an. „Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich mir es viel schlimmer vorgestellt.“ – „Wenigstens habt ihr euch getraut“, legte Merle ihre Arme um ihre beiden mutigen Freundinnen.

 

Nachdem sich Klara und Wiebke beim Dosenwerfen ausgetobt hatten, fuhren die Lustigen Hufeisen im Musikexpress. Diesmal saß Maxi mit Isa und Wiebke in einem Wagen. „Es läuft gerade mein Lieblingslied“, stieß sie Isa an. „Wirklich? Das Lied dudelt täglich im Radio rauf und runter“, zog ihre Freundin die Stirn kraus. Die Schwerkraft drückte die Mädchen zunehmend nach außen. Auf Wiebke, die ganz außen saß, lastete das meiste Gewicht. „Zum Glück seid ihr nicht so schwer, wie Ronja und ich zusammen“, ächzte sie. Als sie sich rückwärts drehten und von dichtem Nebel eingehüllt wurden, verloren die Mädchen nach und nach ihre Orientierung. „Der Boden wackelt und das Karussell fliegt weg!“, jauchzte Isa. Maxi hatte auch das Gefühl, dass ihre Gondeln aus der Verankerung rissen und hoffte inständig, dass es nicht passierte. Nach der Fahrt war fast allen schwindelig, bis auf Isa und Klara, die noch weitere Fahrten gut verkraftet hätten. „Mädels, ich muss dringend was essen. Ich hatte heute Mittag nur zwei Käsebrote“, gab Klara die Marschroute in Richtung der Fressbuden vor. Sechs hungrige Lustige Hufeisen gönnten sich Waffeln und Crepes. Dazu tranken sie entweder Cola oder Orangenlimonade. An der Süßwarenbude nebenan deckten sie sich fleißig mit Zuckerwatte, gebrannten Mandeln und Weingummitüten ein. „Mein erster Zuckerschock des Lebens kann kommen!“, gickerte Maxi. In ihrem Gesicht klebten bereits ein paar Fäden der pinken und blauen Zuckerwatte. Zu ihrem Ärger machte Klara davon ein Foto. „Du bist gemein!“, stieß sie ihre Freundin an. „Ich hätte dich auch fotografieren können, als Nandu dich letzte Woche in den Sand befördert hat.“ – „Wer fährt mit mir noch eine Runde Autoscooter?“, fragte Isabelle ihre Freundinnen, worauf sechs Hände nach oben zeigte. „Yeah, auf zum nächsten Crash!“, gab Merle Klara einen Highfive.

 

Sie stiegen zusammen in einen hellblauen Autoskooter. Dass Isa und Maxi zusammen in einem Auto saßen war eine Selbstverständlichkeit. Etwas zaghaft und nach kurzem Zögern begaben sich Ronja und Wiebke zum dritten Wagen. Das Startsignal ertönte. Merle und Klara, die die ganze Zeit schon verräterisch kicherten, rammten mit voller Wucht den Wagen mit Ronja und Wiebke, die vor Schreck anfingen zu kreischen. „Da vorne fahren Felix und Christian im roten Autoskooter“, raunte Isabelle Maxi zu. Die beiden Mädchen konnten die Chaoten aus ihrer Klasse überhaupt nicht leiden. „Los, crash sie!“, spornte Maxi ihre beste Freundin an. Isa beschleunigte und fuhr mit einer ungeheuren Geschwindigkeit bei den beiden Jungs hinten auf. Als Felix sich irritiert umdrehte, kringelten sich die beiden Lustigen Hufeisen vor Lachen. „Ihr kriegt es zurück, ihr Zimtzicken!“, hob Christian drohend den Zeigefinger. Isa brauste davon und Maxi konnte nicht unterstehen ihnen eine Pinocchionase zu drehen. Am wildesten fuhren immer noch Klara und Merle, die sich sogar rückwärts im Kreis drehten und johlten was das Zeug hielt. „Ich glaube ich hatte genug Action“, war Wiebke danach ganz bleich im Gesicht. „Oh nein, ist dir schlecht?“, wandte sich Isa besorgt an ihre Cousine. „Es geht, nur ich bräuchte mal eine Pause“, sagte Wiebke. „Ich wäre für Autokino, das ist sogar ganz gemütlich“, warf Klara ein. „Gemütlich, naja!“, runzelte Ronja die Stirn und ergänzte, „Müssten wir nicht eigentlich langsam nach Hause?“ „Falls du es vergessen hast, wir haben morgen zur dritten Stunde“, erinnerte Maxi sie, „Heute müssen wir ihn um neun oder zehn Uhr ins Bett“ „Trotzdem wird meine Mutter mich um halb neun abholen“, meinte Merle. „Cool, darf ich mitfahren?“, bettelte Klara. „Aber sicher, Mama wird mit unserem großen Auto kommen und dort passen wir alle hinein“, versicherte ihr Merle.

7. Kapitel

 

Maxi hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt. Nicht erst, seit Patrick sie allein auf die Faschingsparty hatte gehen lassen, weil ihm ein Abend mit seinen Kumpels und Computerspielen wichtiger gewesen war. Was noch nicht einmal so schlimm gewesen wäre, wenn er sie nicht kurzfristig trotz seiner Zusage hätte sitzen lassen. Nein, ehrlich gesagt hatte Maxi sich schon zuvor nicht mehr ganz sicher gefühlt. Patrick war ein netter Kerl, manchmal etwas verpeilt. Anfangs hatte sie das irgendwie süß gefunden, aber inzwischen nervte es sie immer mehr. Mal ließ er den Vorzeigefreund raushängen, dann meldete er sich wieder gar nicht. Und manchmal kam Maxi sich vor wie eine Trophäe. Ein Mädchen zum Angeben, zum Vorzeigen vor seinen Freunden. Auch wenn sie romantisch war, fand sie 0815-Kitsch total einfallslos. Wer sie erobern wollte, musste sich mehr einfallen lassen, als ein paar Rosen. Sie war ein besonderes Mädchen. So wollte sie auch behandelt werden und daher brauchte sie einen bestimmten Freund. Aber im Moment wollte sie gar keinen mehr. Jedenfalls nicht Patrick.

 

Während sie das Gefühl hatte, sich in letzter Zeit weiter zu entwickeln, wurde Patrick alberner. Er wirkte immer mehr möchtegern cool. Dabei wollte sie einen Freund, der sich nicht verstellte. Und einen, bei dem sie sich nicht verstellen musste. Auch, wenn sie immer wieder schöne Zeit miteinander verbrachten, merkte sie, dass sie ihn einfach nicht mehr liebte. Es war ihr sogar richtig unangenehm, ihn zu treffen. Wie eine lästige Pflicht. Dass er gar nicht merkte, dass in ihr etwas so Entscheidendes vorging, machte sie beinahe traurig. Er glaubte wohl, alles wäre toll. Er könnte sie auf Abruf erreichen und Zeit mit ihr verbringen. Wenn er sie brauchte, war sie da. Und wenn nicht, dann ignorierte er sie einfach. Aber was war mit den Tagen gewesen, an denen sie ihn gebraucht hätte?

 

Mit wackeligen Knien machte Maxi sich auf den Weg. Sie musste es hinter sich bringen, sonst wäre sie ewig unglücklich. Sie schnappte sich ihr Fahrrad, sagte niemandem ein Wort und radelte los. Es würde wohl das letzte Mal sein, dass sie diesen Weg fuhr-zu Patrick. Wenn sie richtig lag, dann war er im Moment zu Hause. Seine Eltern hatten ein Reihenhaus, in dem sie viel Zeit mit ihm verbracht hatte. Heute wollte sie es allerdings kurz machen. In ihrer Tasche hatte sie ein paar Taschentücher, seinen Pulli, den er ihr geliehen hatte, und ein paar andere Sachen, die ihm gehörten. Vor dem Reihenhaus stellte sie ihr Fahrrad ab. Hier brauchte sie es nicht anzuschließen. Und außerdem wollte sie auch nicht lange bleiben. Mit Herzklopfen trat sie an die Tür und klingelte. Bald war es geschafft, dachte sie und knetete aufgeregt ihre Hände.

 

Patrick öffnete die Tür und sah sie überrascht an. „Was machst du denn hier?“, wollte er erstaunt wissen. „Ich muss mit dir reden“, begann Maxi nervös. So schwer hatte sie sich das gar nicht vorgestellt. „Klar, komm rein“, meinte er unbedarft. Er merkte wohl wirklich nichts. Als Maxi sagte, dass sie ihre Jacke und Schuhe lieber anbehalten wollte, wurde er skeptisch. „Was ist denn los?“, fragte er sie. Da er sie nicht in sein Zimmer bat, vermutete Maxi, dass ihm vielleicht doch etwas schwante. Plötzlich wusste sie nicht mehr, was sie sagen sollte. Dabei hatte sie zu Hause vor dem Spiegel und in ihren Gedanken immer wieder überlegt, wie sie es sagen sollte. „Es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein“, brachte sie es endlich über die Lippen. „Du machst Schluss?“, entfuhr es Patrick fassungslos. Maxi konnte nur nicken. Ihr war schon lange nicht so unwohl gewesen. „Ich liebe dich einfach nicht mehr. Da ist kein Gefühl…“, stammelte sie. Doch er ließ sie nicht ausreden. „Du liebst mich nicht mehr? Einfach so?“ – „Ja, es ist viel Zeit vergangen und…“, Maxi stockte. „Ich kann das nicht mehr.“ Langsam gab sie ihm seine Sachen. Über ihr Gesicht kullerten die ersten Tränen. Eben noch war er ihr so vertraut gewesen und jetzt baute sich zwischen ihnen eine Wand auf. „Es tut mir leid“, wiederholte sie. „Ich wünschte auch, es wäre anders. Aber ich liebe dich nicht mehr.“ Patrick sah aus, als käme diese Erklärung ziemlich plötzlich. Daher wollte Maxi ehrlich sein: „Ich habe schon länger das Gefühl, dass wir uns voneinander entfernen. Und ich wollte das auch nicht. Aber es ist passiert.“ – „Okay“, stammelte Patrick. Sie hatte erwartet, dass er sich aufregen würde. Vielleicht würde er das später machen. „Ich gehe dann mal“, murmelte Maxi, da er auch nichts sagte. Und auch, als sie hinaus trat, brachte er kein Wort über die Lippen. Fast hätte sie sich gewünscht, dass er sie anschreit oder anfleht, nicht zu gehen. Aber er blieb stumm. Dabei wurde ihr klar, dass er ihr nicht genug gewesen war.

 

Dennoch weinte sie auf ihrem Fahrrad weiter. Die Leute, denen sie begegnete, mussten sie für verrückt halten. Aber sie fühlte sich auch wahnsinnig erleichtert. Es würde eine ganze Weile wehtun. Aber es würde auch weiter gehen. Sie würde darüber hinweg kommen. Und es war besser so, das wusste sie. Er würde ihr als Freund fehlen, aber sie fühlte sich schon jetzt frei und wohl, wie schon lange nicht mehr. Ihr Ziel war der Stall. Sie wollte zu Fabella und sich ablenken. Wenn sie sich ein bisschen beruhigt hätte, würde sie mit ihren Freundinnen reden, doch im Moment wollte sie allein sein.

 

Sie betrat Fabellas Box und fiel ihrer Stute um den Hals, die nervös den Kopf hob. „Ist ja gut“, murmelte Maxi und hockte sich ins Stroh. Eine Weile saß sie dort und dachte nach. Sie trauerte, weinte leise, verfluchte die Liebe und dann wurde sie ganz erschöpft von den vielen Gefühlen. Langsam stand sie auf und verließ die Box. Sie wollte in ihr Bandenquartier gehen, sich beruhigen und vielleicht ihren Freundinnen eine Nachricht schreiben. Vor der Tür zu ihrer Kammer blieb sie stehen. War sie völlig verrückt geworden, oder hörte sie von drinnen Geräusche? Besonders vorsichtig öffnete sie die Tür und sah erst einmal hinein. Es war völlig dunkel. Mit gemischten Gefühlen schaltete Maxi das kleine Licht an und erschrak.

 

„Klara, was machst du denn hier? Ich habe einen riesigen Schrecken bekommen“, seufzte Maxi erleichtert und schloss die Tür hinter sich. „Warum? Darf ich nicht hier sein?“, wollte Klara pampig wissen. „Natürlich, aber warum hast du denn hier im Dunkeln gehockt?“, fragte Maxi perplex. Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihre Freundin völlig fertig aussah. „Hast du geweint?“, wollte sie wissen. „Ja, habe ich! Und du?“, gab Klara zurück. Auch ihr war nicht entgangen, dass Maxi durch den Wind war. „Ja, ich auch“, gestand Maxi und setzte sich zu ihrer Freundin. „Warum?“, fragte Klara. „Ich habe mit Patrick Schluss gemacht“, erklärte sie und griff nach einem Taschentuch. Irgendwie spürte sie, dass Klara wichtigere Probleme hatte. Obwohl sie sagte, dass es ihr für Maxi leid tat. Sie fragte weder, warum, noch wie es ihr ging. Aber das war okay, Maxi musste nicht unbedingt darüber reden. Das könnte sie später mit Isa machen. „Was ist denn bei dir los?“, wollte sie stattdessen wissen. „Nandu soll verkauft werden“, heulte Klara.

 

„Wieso das denn auf einmal?“, fragte Maxi erschrocken. Klara ritt das Connemara Pony bestimmt schon seit drei oder vier Jahren wie ihr eigenes. Nandus Besitzerinnen waren ihm entwachsen und hatten sich doch nie ganz von ihm trennen können. Sie hatten den Schmied, den Tierarzt und die Stallmiete bezahlt, und waren ansonsten selten im Stall gewesen. „Sie haben meine Mutter vorhin angerufen, und ihr gesagt, dass sie ihn jetzt doch verkaufen wollen. Er ist 15 Jahre alt, ein gutes Kinderreitpony und wird nichts mehr wert sein, wenn er noch älter wird. Es stimmt ja auch, dass sie nichts von ihm haben. Die Mädchen, denen er gehörte, studieren in anderen Städten, und besuchen ihn nur hin und wieder. Warum sollten ihre Eltern ein Pony für mich bezahlen?“ So weit konnte Maxi die Logik der Erwachsenen verstehen. „Und wenn Ellen ihn kauft, damit er ein Schulpony wird? Dann könntest du ihn bestimmt immer noch reiten“, schoss es Maxi durch den Kopf. „Die Idee hatten seine Besitzer auch schon, aber Ellen sagt, dass sie genug Ponys hat, und aktuell eher Großpferde für die Reitschule braucht“, erklärte Klara weinend. Außerdem könnte sie es nicht ertragen, andere Mädchen auf ihrem Nandu zu sehen. Maxi ahnte, dass ihre nächste Frage überflüssig sein würde, aber sie musste sie einfach stellen: „Hast du deine Eltern mal in Ruhe gefragt, ob sie Nandu kaufen würden? Möchtest du das überhaupt?“ – „Natürlich habe ich das gefragt, schon hundert mal. Was glaubst du, was ich auf meinen Wunschzettel schreibe? Da steht seit Jahren nur noch ein Wort und das ist Nandu“, heulte Klara laut auf. „Ich will gar kein anderes Pony oder Pferd reiten! Ich bin noch nie mit einem anderen klar gekommen. Vor Nandu hatte ich sogar überlegt, ganz aufzuhören. Aber ihm vertraue ich. Vor den großen Pferden und den wilden, frechen Ponys habe ich Angst. Ich weiß, dass ich keine mutige und tolle Reiterin bin, wie du und Merle, aber mir reicht das, was ich mit Nandu mache. Und ich weiß auch, dass ihr glaubt, in ihm steckt mehr. Aber in mir eben nicht!“ Maxi nahm Klara in den Arm und drückte sie ganz fest. „Was soll ich denn bloß ohne ihn machen?“, fragte sie verzweifelt und hielt Maxi fest. „Ich kann gar nicht ohne ihn leben!“ – „Beruhige dich erst einmal“, murmelte Maxi und sammelte die wilden Gedanken ein, die in ihrem Kopf herum schossen. „Klara, sieh mich an“, bat sie ihre Freundin und sie gehorchte. „Wir geben Nandu nicht kampflos auf, glaub mir.“ – „Was hast du vor?“, fragte Klara ungläubig. „Meine Eltern werden sich doch nicht so einfach umstimmen lassen.“ – „Einfach nicht, aber ich habe ein paar Ideen. Lass mich mit der Bande reden“, sagte Maxi bestimmt. „Ich weiß nicht, ob ich ihnen davon erzählen will“, murmelte Klara. „Ich mache das schon“, versprach Maxi.

 

Als Maxi nach Hause kam, gab es gerade Abendessen. Sie zog ihre Schuhe aus, hing ihre Jacke auf und ging in die Küche. An der Spüle wusch sie ihre Hände und setzte sich neben ihren Bruder, der in letzter Zeit verdächtig oft zu Hause war. Sie hatte schon vermutet, dass es ein Mädchen war, das ihn so häufig in seine Heimatstadt kommen ließ. Aber er verriet ihr nichts. „Na, ist alles klar?“, wollte ihr Vater von ihr wissen, als sie sich den Teller voll schaufelte. „Naja, ich habe mit Patrick Schluss gemacht“, sagte sie wie beiläufig. Ihre Eltern sahen sie erschrocken an und wussten nicht, was sie sagen sollten. „Aber das ist nicht so wichtig. Ich muss einer Freundin helfen“, plapperte Maxi weiter. Sie schlang das Abendessen hinunter und wollte aus der Küche stürmen. „Bist du sicher, dass es dir gut geht?“, wollte ihre Mutter in einem letzten Anlauf wissen. „Ja, wirklich, aber ich habe zu tun“, wehrte sie ab und lief in ihr Zimmer. In ihrem Kopf hatten sich die Ideen angesammelt, und sie musste sie aufschreiben, damit sie sie nicht vergaß. Und dann musste sie eine Bandensitzung einberufen, ganz dringend. Eine Notfallsitzung genau genommen. Aus ihrer Schublade zog sie Stift und Papier und begann, Stichpunkte zu schreiben. Sie war selbst erstaunt, wie viele Punkte ihr einfielen. Es musste einfach klappen. Noch am selben Abend informierte sie alle Mädchen außer Klara davon, dass es am nächsten Tag eine außerordentliche Bandensitzung bei ihr zu Hause geben musste. Sie betonte, wie wichtig es war, und dass die Mädchen alle anderen Aktivitäten notfalls verschieben oder ausfallen lassen mussten. Sie hatte so etwas noch nie gemacht, aber diesmal war Eile geboten. Sie durften keine Zeit verlieren. Ihre Mutter klopfte zaghaft an die Tür und lugte in Maxis Zimmer. „Willst du darüber reden?“, fragte sie vorsichtig. „Ich meine, über die Trennung.“ – „Im Moment nicht, vielleicht ein anderes Mal“, erklärte Maxi. Gerade wollte ihre Mutter gehen, da fiel Maxi etwas ein: „Mama, sag mal, wie gut kennst du eigentlich Klaras Mutter oder Klaras Vater?“

 

Nachts drehte sich ihr Gedankenkarussell kontinuierlich weiter und wollte nicht zum Stehen kommen. Was wäre wenn die Lustigen Hufeisen keine Lösung fänden und Nandu weg wäre? Dies würde Klara das Herz brechen. Allein wegen ihrem geliebten Pony blieb sie ihrem Hobby Reiten treu. Wäre Nandu nicht mehr da, stünde Klara ohne Pferd da. Kein Pferd zu haben war der größte Alptraum jedes Lustigen Hufeisens! Vielleicht würde Klara sogar bei den Lustigen Hufeisen aussteigen. Nein, nein, nein! So weit durften sie es nicht kommen lassen! Mit aller Macht schob sie die düsteren Gedanken beiseite, die sich am Horizont wie schwarze Gewitterwolken türmten. Schlaftrunken knipste Maxi ihre Nachttischlampe an und angelte nach ihrem Handy. Schon halb zwei. Um diese Uhrzeit war keiner ihrer Freundinnen mehr online. Mist! An Schlafen war bei dieser Aufregung auch nicht zu denken. Dann kam noch hinzu, dass sie vorhin mit Patrick Schluss gemacht hatte. Isa hatte Recht: Patrick war ein unreifer Lackaffe, der sich genauso kindisch verhielt, wie die Paviane aus ihrer Klasse. In einer kleinen Ecke ihres Herzens begann es doch leicht zu schmerzen, bis sich der Schmerz sich immer deutlicher bemerkbar machte. Das war der Liebeskummer, der sich jetzt wieder bemerkbar machte. Nicht, dass sie Patrick vermisste. Nein, dieser Kerl konnte ihr gestohlen bleiben, nachdem er mehrfach angedeutet hatte, dass ihm Zocken, Kumpel und Fußball wichtiger waren als ihre Beziehung. Da half kein Valentinstag mit Rosen und vorgespielter Liebesromantik auf dem Jahrmarkt. Das war nur Fassade gewesen!

8. Kapitel

Direkt nach der Schule gingen die Lustigen Hufeisen am nächsten Tag in den Stall, um zu reiten. Klara versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dass sie Nandu verlieren könnte, brach ihr fast das Herz. Sie hatte es noch nicht geschafft, den anderen Mädchen davon zu erzählen. Nur Maxi wusste Bescheid und sie sollte es vorerst für sich behalten. Doch es war gar nicht so einfach, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung. Wenigstens waren die Zicken alle schon fertig und nach Hause gefahren. Zu sechst war es in der Reithalle auch schon ziemlich voll. Wir sollte sie denn zwischen all den lachenden und spaßenden Mädchen ihre letzten Tage mit Nandu genießen? Ein Pony wie er würde sicher schnell neue Besitzer finden. Sie versteckte ihr Gesicht in seiner dicken Mähne, damit die anderen nicht merkten, wie elend es ihr ging. Sicher dachten sie nur, dass sie mit Nandu kuschelte. Je fröhlicher die anderen Mädchen waren, umso elender fühlte Klara sich. Sie lachten und kabbelten und hatten einen riesigen Spaß-als wäre nichts. Aber für sie war ja auch nichts. Klara blieb für sich und machte Nandu in Ruhe fertig.

 

„Bist du soweit?“, wollte Isabelle von ihr wissen und schwang sich albern an der Tür in ihre Box. „Ja, ich komme“, murmelte Klara und führte ihr Pony hinter den anderen her. Sie hatte nicht mal mehr richtig Lust, zu reiten. Das hatte ja alles gar keinen Sinn mehr. Wenn sie Nandu doch nicht behalten konnte, dann wollte sie damit nichts mehr zu tun haben. Sie stieg in der Reithalle schnell auf und drehte im Schritt ihre Runden. Isabelle und Merle alberten noch immer herum und fochten einen Gertenkampf, der Fabella und Maxi gleichermaßen aus der Fassung brachte. Nandu trottete vor sich hin und wusste von nichts. Was würde er wohl denken, wenn Klara ihn einfach so verließ? Er konnte das doch gar nicht verstehen. Seit einiger Zeit war sie seine einzige feste Bezugsperson. Sie war diejenige, die jeden Tag gekommen war, ihn bewegt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit ihm gearbeitet hatte. Sie war immer für ihn da gewesen, bei Wind und Wetter. Und jetzt reichte das plötzlich nicht mehr und er musste weg. Das war nicht fair!

 

Die Mädchen begannen zu arbeiten. Schon bald ließ Fabella sich fallen und schwebte an Klara vorbei. Sie sah wundervoll aus. Isabelle und Kandra taten sich etwas schwer, aber wenigstens hatten sie ihren Spaß. Merle hatte sich vorgenommen, ihr Pferd nur locker zu bewegen und Klara fand, dass sie dafür ziemlich viel machte. Aber darüber gingen bei ihnen die Meinungen auseinander, was „nicht viel“ bedeutete. Wiebke ritt Alaska mit Hilfszügeln und war meistens damit überfordert, die Bahnregeln einzuhalten. Aber die anderen nahmen Rücksicht darauf und dachten für sie mit. Und Ronja war ohnehin nicht dafür bekannt, Randy zu hart ranzunehmen. Das Pony war genauso unehrgeizig, wie seine Reiterin. „Willst du gar nicht anfangen?“, wollte Merle von Klara wissen. „Ja, gleich“, knurrte die nur als Antwort. Sie wollte sich nicht auch noch streiten, aber das ganze fröhliche Getue war ihr einfach zu viel. Also trabte sie Nandu an, um nicht weiter aufzufallen. Maxi hatte anscheinend wirklich nichts verraten. Das war ihr nur recht und irgendwie wurde sie wütend, als sie die anderen so sah. Ihre Welt war super toll, sie hatten eigene Pferde, abgesehen von Ronja und Wiebke. Wieso war ihr das nicht vergönnt? Was machte Isabelle, Maxi und Merle so viel besser? Sie riss sich zusammen, denn sie wollte ihr Elend nicht an Nandu oder ihren Freundinnen auslassen.

 

Doch nach dem Reiten hielt sie es nicht mehr aus. Sie beeilte sich, Nandu fertig zu machen, und verabschiedete sich damit, dass sie rechtzeitig zum Essen zu Hause sein musste. Kaum war sie verschwunden, da trappelten die restlichen Lustigen Hufeisen in ihr Bandenquartier. Maxi hatte ihnen gesagt, dass Klara nichts davon erfahren durfte. Daher war ihnen klar, um wen es ging. Doch was genau der Anlass für dieses geheimnisvolle Treffen war, wussten sie noch nicht. Neugierig setzten sie sich auf die Plätze und sahen Maxi erwartungsvoll an. Die vergewisserte sich zunächst, ob Klara auch wirklich weg war, und nicht noch einmal zurückkam, weil sie etwas vergessen hatte. Dann schloss sie die Tür zu ihrem Bandenquartier und begann: „Es geht um Klara, sie braucht unsere Hilfe!“ – „Das haben wir uns schon gedacht, aber was ist denn los?“, wollte Ronja besorgt wissen. „Nandu soll verkauft werden“, eröffnete Maxi ihren Freundinnen. „Nein!“ – „Das darf nicht wahr sein!“ – „Aber wieso?“ Die Mädchen schnatterten aufgeregt durcheinander und konnten es nicht fassen. Maxi verriet ihnen alles, was sie wusste. „Und was sollen wir jetzt tun?“, wollte Wiebke erschrocken wissen. Das erschien ihr doch eine Nummer zu groß. Wie sollten sie den Verkauf von Nandu verhindern? „Am Besten wäre es doch, wenn Klaras Eltern ihn kaufen würden“, stellte Merle fest. „Aber das wollen sie nicht“, warf Maxi ein. Merle zuckte die Schultern. Dann wusste sie auch nicht weiter. „Kommt schon, wir müssen ihre Eltern überreden. Wie habt ihr das damals hinbekommen?“, fragte Ronja ihre Freundinnen mit den eigenen Pferden.

 

Isabelle antwortete als Erste: „Ellen meinte, dass man nur mit einem konstanten Pferd weiter kommen würde. Ab einem gewissen Level entwickelt man sich sonst kaum weiter. Daher habe ich Kandra bekommen.“ Ihr wurde klar, dass sie es relativ einfach gehabt hatte. Merle ging es ähnlich. „Ich brauchte ein ordentliches Sportpferd und habe eins bekommen“, erklärte sie. „Und du, Maxi?“, wollte Wiebke wissen. „Ich hatte erst eine Reitbeteiligung und musste meinen Eltern beweisen, dass es mir wirklich ernst ist, und ich die Verantwortung tragen kann“, berichtete sie. „Dann habe ich Fabella bekommen.“ – „Das hilft uns kaum weiter“, fand Wiebke, doch Maxi war anderer Meinung: „Ich glaube schon, dass uns das hilft! Ich habe schon angefangen zu planen.“ Aus ihrer großen Tasche zog Maxi ein Plakat und hielt es in die Luft. „Wahnsinn, was ist das denn?“, wollte Isabelle erstaunt wissen. „Mein Schlachtplan. Aber er hat mehrere Ebenen“, erklärte Maxi stolz.

 

„Was für Ebenen?“, lachte Ronja und kam sich vor, wie im falschen Film. „Wir werden uns aufteilen, aber ihr müsst die Sache ernst nehmen. Es geht um Klara und Nandu und für mich gehören sie untrennbar zusammen“, meinte Maxi. Ihre Freundinnen nickten und lauschten ihr gespannt weiter. „Zunächst einmal muss es geheim bleiben, was wir hier planen. Selbst, wenn Klara euch erzählt, dass Nandu verkauft werden soll, dürft ich nichts von unseren Plänen verraten.“ Die Lustigen Hufeisen nickten ernst. Es musste einfach klappen. „Ronja, du stehst Klara sehr nahe. Du hältst dich an sie und versuchst, herauszufinden, wie ernst es ihr mit einem eigenen Pferd ist. Ob sie dafür auf andere Dinge verzichten würde, ob sie etwas Geld gespart hat, ob sie einen Nebenjob suchen würde, um sich an den Kosten zu beteiligen“, erklärte Maxi. Ronja war sofort einverstanden. „Dann müssen wir jemanden von unseren Eltern finden, der mit ihren Eltern darüber spricht. Erwachsene vertrauen Erwachsenen sicher mehr, als uns. Etwas Überzeugungsarbeit wird sicher nötig sein“, sprach Maxi weiter. „Vielleicht meine Mutter?“, schlug Isabelle vor. „Ich weiß, dass sie Klaras Eltern schon lange kennt und manchmal mit ihnen sprich.“ – „Was ist mit meinen Eltern?“, wollte Merle wissen. „Nichts gegen dich, aber ich glaube, Isas Eltern sind besser geeignet. Deine wirken schnell etwas abgehoben“, lachte Maxi und Merle stimmte ihr kichernd zu. „Generell müssen wir ihren Eltern nahebringen, was hier eigentlich so abgeht. Ich habe gedacht, wir filmen Klara und Nandu unauffällig ein bisschen“, schlug Maxi weiter vor. „Du bist einfach ein Genie!“, rief Wiebke überschwänglich. „Ein Video sagt mehr als Worte. Und dazu machen wir ein bisschen traurige Musik.“ – „Du hast den Job“, sagte Maxi und Wiebke grinste. Damit kannte sie sich aus, ein paar Videos hatte sie schon gemacht, von ihren Lieblingsserien. „Es gibt noch etwas. Nandus Besitzer sollten wir einweihen und um etwas Zeit bitten, das Ganze zu klären. Vielleicht können wir einen guten Preis rausschlagen. Schließlich haben sie auch etwas davon. Nandu kommt in gute Hände und bleibt hier, so dass sie ihn immer sehen können“, meinte Maxi. „Das finde ich gut, dann sollten wir auch Ellen Bescheid sagen. Sie kennt Nandus Besitzer und kann uns vielleicht sogar helfen, Klaras Eltern zu überreden“, warf Isabelle ein. „Gute Idee“, fand Maxi. „Das ist der Wahnsinn, das muss einfach klappen“, rief Wiebke aufgeregt. Sie kamen sich plötzlich gar nicht mehr so klein und hilflos vor. Endlich gab es etwas, das sie tun konnten. „Es wird sicher nicht einfach“, bremste Maxi ihre Freundinnen. „Aber wir müssen es einfach versuchen. Für Klara und für Nandu.“ – „Für die Lustigen Hufeisen!“, riefen die anderen laut dazwischen. Maxi nickte und erntete Applaus für ihre grandiosen Ideen. Maxi dachte daran, wie gut all die Mädchen zu ihren eigenen Pferden passten. Klara und Nandu waren schon immer ein Dreamteam gewesen und mussten es bleiben. Da gab es kein Pardon! Wiebke öffnete eine Flasche Cola und goss jeder Freundin ein. „Auf unseren kommenden Kampf um Nandu!“, hob Isabelle ihr Glas. Nickend prosteten sie sich zu.

 

Abends kam Isabelle mit zum Abendessen zu Maxi nach Hause. Nachdem es zum Abendbrot selbstgemachte Pizza gegeben hatte, machten es sich die beiden Freundinnen mit Kakao und Keksen auf der Couch in Maxis Zimmer bequem. „Du scheinst doch schon über das Beziehungsaus hinweg gekommen zu sein“, meinte Isa. „Nicht wirklich, ich lasse mir nur wenig davon anmerken. Ich habe viel geweint, wenn keiner von euch dabei war“, entgegnete ihr Maxi. „Ich trauere nicht unbedingt Patrick nach, aber den alten Zeiten, als es noch Liebe war und er mich noch richtig geliebt hatte“ – „Ich kann mir vorstellen, wie das schmerzt“, nahm Isa ihre Hand. „Unerfüllte Liebe tut einfach verdammt weh, das geht mir mit Marlon immer noch so, nur ich lasse mir nichts anmerken. Ich kann nur hoffen, dass er irgendwann mit dieser merkwürdigen Jasmin Schluss macht“ – „Anfangs war es keine unerfüllte Liebe“, holte Maxi tief Luft. „Es war nur so, dass wir uns voneinander entfernt haben und nicht mehr zusammenpassten. Das ist es, was so schmerzlich ist. Ich habe das Gefühl, dass Patrick sich zu einem Kleinkind zurückentwickelt, während ich reifer geworden bin und lieber einen richtigen Gentleman haben will“ – „Einen Gentleman bekommt man in unserer Altersklasse sehr schwer“, sagte ihre beste Freundin. „Ich kenne nur einen einzigen Gentleman, der zwischen dreizehn und vierzehn ist und das ist Finley“, musste Maxi plötzlich grinsen. „Ich finde Finley ganz nett, aber schon zu abgehoben“, fand Isa. „Wenigstens ist er höflich und zuvorkommend, während die anderen Jungs, die bei uns in der Schule herumlaufen, wie sich wie Affen benehmen“, war sie der Meinung.

 

Die beiden Mädchen kamen zu dem Entschluss, dass Jungs und Beziehungen noch schwieriger waren, als alle Naturwissenschaften zusammen. „Wenigstens haben wir unsere Bande“, fühlte sich Maxi glücklich. „Ja, auch wenn Klara vielleicht austreten wird“, nickte Isabelle und wirkte leicht traurig. „Quatsch, das wird nicht passieren“, versuchte Maxi ihr Mut zu machen. „Wir werden solange auf Klara einreden, bis sie ein anderes Pferd reitet, falls ihr Pony den Hof verlässt, denn es gibt nicht nur Nandu“ – „Hast du eigentlich unseren Plan vergessen?“, kniff Isa sie in den Arm. „Wir werden es nicht so weit kommen lassen, dass Nandu den Stall verlässt“ – „Natürlich habe ich das nicht vergessen“, schüttelte Maxi den Kopf. „Aber unser Rettungsplan muss erst Schritt für Schritt gelingen, bevor am Ende jubeln können.“ – „Das ist mir auch klar“, murmelte Isabelle. „Wir fangen morgen schon damit an, Nandu zu retten. Wiebke hat eine hochwertige Digicam von ihrem Vater geschenkt bekommen und außerdem hat sie viel Ahnung, wie man Videos zurecht schneidet. Sie ist nicht umsonst unser kleiner Nerd in der Bande.“ – „Deswegen habe ich sie damit beauftragt“, nickte Maxi. „Sie scheint darin ein richtiges Ass zu sein.“ Die beiden Freundinnen unterhielten sich, bis es fast zehn Uhr war. Maxi tat die Unterhaltung richtig gut, endlich schien ein gewisser Teil von der Last von ihr abgefallen zu sein. Isa war nicht nur ihre allerbeste Freundin, sondern auch eine gute Zuhörerin und konnte sich sehr gut in sie hineinversetzen.

 

9. Kapitel

 

Am nächsten Tag hatte Klara Geburtstag. Ihre Laune war immer noch verdammt im Keller und sie konnte sich nicht freuen, als sie den großen Kuchen mit den dreizehn Kerzen und die vielen Geschenke auf dem Wohnzimmertisch entdeckte. Von ihrer Mutter bekam sie ein neues Halfter mit einem Führstrick und einen schicken Putzkasten geschenkt. „Wozu das alles?“, dachte Klara bei sich. „Ich höre sowieso mit dem Reiten auf, wenn Nandu verkauft wird.“ – „Ist etwas nicht in Ordnung mit dir? Du redest so wenig“, setzte sich ihre Mutter neben sie auf das Sofa. „Nein, alles okay“, versicherte ihr Klara. „Ich bin frühmorgens noch nicht richtig wach.“ In den anderen Geschenken befanden sich ein neues Kleid, Ohrringe, eine modische Handyhülle, die CD ihrer Lieblingsband, ein MP3-Player und karierte Reitsocken. Trotzdem wollte Klara nicht glücklich sein und am liebsten hätte sie sich wieder in ihr Bett verkrochen, wenn sie nicht zur Schule hätte gehen müssen. Ihr einziger großer Wunsch lautete Nandu! Aber ihre Eltern machten nicht die geringsten Anstalten, ihr Lieblingspony zu kaufen. Es war egal, wie sehr sie sich das wünschte. Angeblich war es finanziell nicht drin. Klara wusste, wie teuer ein Pony in der Anschaffung und im Unterhalt war. aber so schlecht ging es ihnen nun nicht. Aus der Küche roch es verführerisch nach Blaubeerpfannkuchen, die sie immer schon liebte, und die es seither zum Frühstück gab, wenn sie Geburtstag hatte. Heute hatte sie genauso wie an den vorigen Tagen wenig Appetit und schaffte es gerade mal, einen Pfannkuchen zu verdrücken.

 

Die anderen lustigen Hufeisen gratulierten ihr in der Schule und Wiebke hatte ihr sogar Erdbeermuffins gebacken. Dennoch tat sich Klara schwer, ein Lächeln über die Lippen zu bringen. In den ersten beiden Stunden hatten sie Geschichte, ein Fach, das nicht gerade zu ihren Lieblingsfächern zählte. Vielmehr regte sie sich darüber auf, dass Merle und Finley sich die ganze Zeit über ihren Kopf hinweg unterhielten. Sie waren ununterbrochen am Tuscheln. Seit der neuen Sitzordnung saß sie ausgerechnet zwischen ihnen. „Seid doch endlich mal leise!“, schnauzte sie die Beiden an. „Hey, was ist denn nur los mit dir?“, machte Merle fast einen schockierten Eindruck. Sie war es nicht gewohnt, dass Klara sie so derart anschnauzte. „Ich habe meinen Eltern versprochen, dass sich meine Noten im zweiten Halbjahr verbessern, aber das ist nicht möglich, wenn wegen euch kaum ein Wort verstehe“, nörgelte Klara. „Ihr könnt gerne vor die Tür gehen, wenn ihr in meinem Unterricht eine Meinungsverschiedenheit ausfechten wollt“, sah Frau Wiebrock, ihre Geschichtslehrerin sie streng an. „Sorry, wir wollten den Unterricht echt nicht stören“, entschuldigte sich Finley kleinlaut. „Letzte Verwarnung, beim nächsten Mal seid ihr vor der Tür“, sagte die Lehrerin und setzte ihren Tafelanschrieb fort.

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit klingelte es zur großen Pause. Isabelle und Maxi stürmten voraus, um ihren Lieblingstisch in der Cafeteria zu ergattern. Schwatzend und gutgelaunt setzten sie sich auf ihre Stühle und Wiebke teilte munter ihre Muffins aus. Merle hatte sogar Finley mitgebracht. „Warum muss er die ganze Zeit mit uns rumhängen?“, dachte Klara bei sich. Eigentlich mochte sie den Jungen ganz gerne, aber es ging ihr mittlerweile schon auf die Nerven, dass er ständig mit ihrer besten Freundin zusammengluckte.

 

Am Nachmittag beschloss Klara, wieder in die Reithalle zu gehen. Jeder Tag mit Nandu musste noch ausgekostet werden. „Ich will dich nicht verlieren, mein Junge!“, fiel sie ihm um den Hals, als sie in seiner Box stand und fuhr mit ihren Fingern durch seine Mähne. Sanft stupste er sie mit seinen Nüstern an, als wollte er ihr Trost spenden. In wenigen Wochen sollte es soweit sein, dass der Verkauf über die Bühne gehen konnte. Ein Pony wie Nandu würde sicher schnell einen neuen Besitzer finden. Und spätestens Mitte März würde Nandu weg sein. Dieser Gedanke zerriss Klara innerlich. Warum sollte sie noch zu den Lustigen Hufeisen gehören, wenn sie kein Pferd mehr hatte, und nicht mehr reiten wollte? In Isabelle, Merle und den anderen Mädchen hatte sie in den letzten Jahren sehr gute Freundinnen gefunden, die sie um keinen Preis verlieren wollte, genauso wenig wie ihre Bande. „Nandu, wir dürfen nicht getrennt voneinander sein!“, hauchte sie und versteckte ihr Gesicht in seiner Mähne. Stumme Tränen liefen ihr über das Gesicht und sie war krampfhaft bemüht, um nicht laut los zu schluchzen. Garantiert war sie nicht alleine im Stall und sie hatte keine Lust darauf, dass jemand mitbekam, wie sie sich hier die Augen aus dem Kopf weinte. Wann hatte schon jemals so einen traurigen Geburtstag erlebt? Dies war der bitterste Geburtstag aller Zeiten.

 

Wiebke und Isabelle saßen zur selben Zeit im Reiterstübchen und gönnten sich eine Cola und eine Waffel mit Sahne. „Ist deine Kamera bereit?“, fragte Isa ihre Cousine. „Aber sicher, rate mal, was ich die ganze Zeit gemacht habe. Es ist alles soweit eingestellt“, nickte Wiebke. „Ich habe Klara vorhin ganz kurz gesehen, also muss sie da sein“, fuhr Isabelle fort. „Wenn wir sie gleich filmen, müssen wir aufpassen, dass sie uns nicht sieht“ – „Das ist mir schon klar“, murmelte Wiebke. „Bekommen wir überhaupt genug Material für das Video zusammen?“- „Aber sicher, ich habe noch alte Bilder und Videos von Ausritten, auf denen Nandu und sie zu sehen sind. Ich werde dir heute Abend die Bilder und Videos auf den Stick ziehen, sodass du damit arbeiten kannst“, versprach ihr Isabelle. „Komm nun, lass mal schauen, wo Klara steckt“, stand Wiebke auf und lief zur Glastür, die auf dem Stallgang führte. Wie zwei Indianerinnen schlichen sie die den Gang entlang. „Ich sehe ihren roten Haarschopf in Nandus Box!“, wisperte Wiebke. „Bleib hier stehen, du kannst mit deiner Cam weiter heranzoomen“, erwiderte Isa im Flüsterton. „Jetzt habe sie ganz drauf. Man sieht, wie sie ihr Gesicht in Nandus Mähne verbirgt“, murmelte ihre Cousine. „Ja, sie scheint gerade zu weinen“, nickte Isa. „Das reicht! Wir verschwinden wieder ins Reiterstübchen. Nicht dass, wir gesehen werden“ – „Aber wir filmen sie auf jeden Fall, wenn sie gleich doch noch reiten sollte“, beschloss Wiebke und folgte ihr ins kleine Café.

 

Nachdem sie sich beruhigt hatte, beschloss Klara, doch noch zu reiten. Noch immer sahen ihre Augen verdächtig rot aus. Hoffentlich kamen ihr gleich niemand von ihren Freundinnen oder gar Marlon entgegen. Ihr Herz machte einen Hüpfer, als sie sah, dass die Halle frei war. Klara schwang sich in den Sattel und ritt im Schritt an der Bande entlang. „Du bist das beste Pony der Welt!“, flüsterte sie ihm zu. „Ich reite nur mit dir und niemand anderes.“ Zweifelsfrei war ihr Pflegepony ihr bester Freund, dem sie seit fast vier Jahren vertraute. Klara ritt seit sie in der zweiten Klasse war. Als sie einmal schwer gestürzt war und kurz darauf von einem zickigen Schulpferd gebissen wurde, gab sie ihr Hobby fast auf. Zum Glück aber gab es Nandu, der ihr Herz im Sturm erobert hatte, und ihr das nötige Selbstvertrauen zurückgab. Seither ritt sie kein anderes Pferd mehr. Ihr Blick fiel die ganze Zeit auf ihre linke Hand, wo sie mehrfach in der Schule Nandus Namen draufgekritzelt hatte. Sowohl ihre Lehrer als auch ihre Freundinnen hatten sich beklagt, dass sie momentan schwer erreichbar war, und in ihrer eigenen Welt lebte. Nun war es nun mal so, dass der Abschied näher rückte, und Klara immer verzweifelter wurde. „Komm, Junge, wir geben noch mal Gas!“, raunte sie ihrem Wallach zu und trieb ihn vom Trab in den Galopp. Nandu wurde immer schneller, als wollte er dem Schicksal davon rennen. Klara hielt mit ihm auf eine kleine Hürde zu, die für ihr Connemara Pony kein Problem war. Mit einem Satz sprang er über die beiden Stangen. Klara fühlte sich zum ersten Mal an diesem Tag richtig frei. Es war nur die Frage, wie lange die Freiheit noch andauerte, bis sie ihr wieder genommen wurde.

 

Nach dem Abendessen ging Isabelle runter zu ihrer Cousine ins Zimmer. Als sie in Wiebkes Zimmer eintrat, hatte ihre Cousine den Rechner hochgefahren und die Kamera angeschlossen. „Schau dir das mal an!“, klickte Wiebke eines der Videos an. „Es sieht fantastisch aus, wie sie auf Nandu galoppiert.“ Klaras roten Haare wehten nach hinten, während sie mit ihrem Pflegepony die Bahn entlang galoppierten. „Sie sieht fast aus wie eine Elfe!“, hauchte Wiebke, die immer noch ganz beeindruckt war. „Für mich steht fest, dass Klara eine gute Reiterin ist, die Nandu behalten muss“, sagte Isabelle mit Nachdruck. „Ja, die Rettung ist gerade im Anmarsch“, klang Wiebke ganz zuversichtlich. Isa händigte ihr den Stick aus, damit Wiebke noch mehr Material hatte. Dann begannen sie, die Videos zu schneiden, und fügte noch ein paar Bilder von früher ein. „Hast du dafür schon eine passende Musik?“, hakte Isabelle nach. „Aber logo“, öffnete ihre Cousine eine Musikdatei. Es war ein bekanntes Klassikstück mit aufbrausender Musik, die am Ende immer trauriger wurde. Isabelle wusste, dass es ein Musikstück aus irgendeinem Kinofilm war. „Jetzt kommt der finale Klick und dann haben wir die Musik mit dem Video zusammen“, fügte Wiebke die Musikdatei dem Video an. Schnell fügten die Mädchen noch den Text ein und ließen das Video in seiner vollen Länge abspielen. Ihnen traten die Tränen in den Augen, als sie sich ihr Werk anschauten. Mit der Musik, dem Text und den emotionalen Videos ging es ihnen ziemlich unter die Haut. „Wir müssen diesen Kampf unbedingt gewinnen“, bebte Wiebkes Stimme. „Das spornt uns sogar noch mehr an“, musste Isa schlucken. „Wir werden das Video auf jeden Fall Ellen und Klaras Eltern zeigen“ – „Wer dann nicht merkt, wie tief die Liebe zwischen den Beiden ist, muss wohl gefühlsblind sein.“

 

Klara war es leid, seit Tagen ihre schlechte Laune an ihren Freundinnen aus zu lassen. Sie konnten nichts dafür, dass Nandu verkauft wurde. Ihre Eltern hatten ihr Geld gegeben, damit sie mit ihren Freundinnen am Freitag ins Kino gehen, und anschließend Pizza essen konnte. Nachdem sie Freitag nach der Schule in der Halle geritten waren, trafen sie sich am frühen Abend vor dem Kino wieder. Klara versuchte, fröhlicher zu wirken, obwohl es ihr verdammt schwer fiel. Sie musste alle ihre schauspielerischen Fähigkeiten dafür einsetzen, um bei den Albereien und Späßen mitzulachen. „Auf einen reinen Mädelsabend im Kino!“, gab Maxi allen Anwesenden einen Highfive. Klara und Isa zogen los, um die Kinokarten zu besorgen. Maxi und Merle kauften am Snackstand sechs Tüten Popcorn, Limonade und zwei große Dosen Chips. „Was treibt ihr da?“, kicherte Isabelle, als sie zurückkamen. „Siehst du doch!“, grinste Merle und versuchte mit ihrem Mund ein Popcorn zu fangen, den ihr Maxi zu zuwarf, der aber von ihrer Stirn abprallte. „Raubtierfütterung!“, fügte Maxi grinsend hinzu. „Maxi, warum fütterst du die da und mich nicht?“, versuchte Klara empört zu klingen. „Hier!“, ihre Freundin warf ihr ein Popcorn zu, der einen Meter über ihren Kopf hinweg flog, und bei einem fremden Mädchen in der Kapuze landete. „Könnt ihr eure Kindereien nicht woanders austragen?“, blaffte die Freundin des betreffenden Mädchens sie an. „Sorry, ich wollte sie nicht treffen“, entschuldigte sich Maxi. Ronja und Wiebke posierten vor Pappfiguren aus aktuellen Kinofilmen und ließen sich fotografieren. „Lasst uns doch mal ein Gruppenbild machen“, schlug Klara vor. Merle holte ihr Handy aus ihrer schicken Handtasche mit den vielen Blumen. „Alle mal lächeln!“, grinste sie schief in die Handykamera. „Cheese!“, erwiderte ihre Freundinnen im Chor. „Langsam sollten wir uns auf den Weg machen“, drängte Wiebke. „Der Film fängt in fünf Minuten an.“ – „Ach was, da läuft vorweg immer eine halbe Stunde Werbung“, drehte sich Maxi zu ihr um. „Trotzdem könnten wir uns schon mal zu unserem Saal begeben“, warf Ronja ein, die sich bei Merle und Isabelle unterhängte, und folgte Wiebke, die ihnen schon voraus gelaufen war. „Ich bleibe hier noch einen Moment sitzen. Ich bin gerade zu faul um von diesem gemütlichen Sofa aufzustehen“, beschloss Maxi und legte ihre schlanken Beine übereinander. „Stimmt, hier kann man sich noch ungestört unterhalten, während man im Saal fast flüstern muss“, stimmte ihr Klara zu. „Was gibt es Neues in Bezug auf Nandu?“, wollte ihre Freundin wissen. „Nichts Neues“, seufzte Klara traurig. „Meine Eltern meinen, dass wir es uns nicht leisten können, ein Pony zu halten.“ – „Das ist echt mies!“, sah Maxi sie geknickt an. „Aber wir bleiben auf jeden Fall dran.“ – „Wie meinst du das?“, runzelte sie die Stirn. „Segreto!“, flüsterte Maxi, was auf Italienisch Geheimnis hieß.

 

„Au backe!“, wisperte Maxi im nächsten Augenblick und versteckte sich hinter Klaras Rücken. „Was ist denn los?“, erwiderte Klara irritiert. „Patrick ist auch da“, fuhr ihre Freundin im Flüsterton fort. „Und er hat ein Mädchen an seiner Seite“ – „Kennst du sie?“, fragte Klara. „Ja, sie heißt Julia und ist seit einem Monat in meiner Dressurgruppe. Ich hasse diese eingebildete Kuh“, raunte ihr Maxi zu. „Oh nein!“, entfuhr es ihr. Klara konnte ihren Blick nicht von dem Mädchen mit den blonden Engelslocken lassen, die ununterbrochen auf Maxis Ex-Freund einredete, und sich an ihn heran warf. „Man kann nur hoffen, dass sie nicht mit uns im gleichen Kino sind. Ich kann weder ihn leiden, noch Julia“, sah Maxi nun richtig besorgt aus. Es war erst eine Woche her, dass Maxi mit ihm Schluss gemacht hatte. „Mach dir nichts draus und lass den Idioten links liegen!“, legte Klara ihr die Hand auf die Schulter. „Offenbar hat er sehr schnell Ersatz für mich gefunden“, raunte Maxi und machte ein leicht verbittertes Gesicht. „Egal, du hast es jetzt hinter dir“, sagte sie leise. „Zum Glück, jetzt darf sie sich mit ihm rumärgern“, nickte ihre Freundin. „Wo bleibt ihr eigentlich?“, stand Merle plötzlich außer Atem vor ihnen. „Der Film beginnt gleich und ihr hättet euch noch länger fest gequatscht und hättet alles verpasst, wenn ich nicht gekommen wäre.“ – „Soweit wäre es nicht gekommen, ich habe die Uhr sehr wohl im Auge“, meinte Klara dazu. Merle zog ihre beiden Freundinnen vom Sofa hoch und rannte mit ihnen Hand in Hand die Treppen hinauf in den Kinosaal. Gerade als sie sich neben ihren anderen Freundinnen niedergelassen hatten, ging das Licht aus und der Vorhang öffnete sich. „Ich dachte schon, ihr wolltet den Film verpassen“, wisperte Isa. „Das habe ich zu verhindern gewusst“, erwiderte Merle. Klara lehnte sich zurück und griff ab und an in ihre Popcorntüte. Nun waren alle ganz ruhig, selbst Maxi und Isa, die bei jeder Gelegenheit miteinander tuschelten. Nun hieß es Vorhang auf für den Film, der von einer fünfköpfigen Mädchenclique von einer amerikanischen High School und ihren ersten Liebesbeziehungen handelte.

 

Nach dem Film lud Klara ihre Freundinnen noch ins kinoeigene Pizzarestaurant ein. Sie hatte sich sogar einen Tisch in der hintersten Ecke reserviert, so dass die Lustigen Hufeisen relativ ungestört waren. „Wen fandet ihr besser Ron oder Zac?“, fragte Wiebke in die Runde. „Definitiv Ron, er ist so verdammt süß“, schwärmte Isabelle. „Oh ja, er ist richtig schnuckelig mit seinem blonden Lockenkopf“, stimmte ihre Cousine ihr zu. „Wenn ich ehrlich bin, ist Marco eher mein Typ“, gestand Maxi. „Wer war noch mal Marco?“, fragte Ronja. „Der Mexikaner mit den pechschwarzen Haaren und den strahlendweißen Zähnen“, antwortete Merle. „Er war der Lover von Kelly, der nachher eine andere hatte.“ – „Ach stimmt, der war das, dieser untreue Hund“, fiel es Ronja wieder ein. Klara fand keinen der Jungs aus dem Film richtig toll, obwohl Zac ganz ansehnlich war. Aber sie waren allesamt zu klischeehaft. „Steht ihr bei Jungs auf ein bestimmtes Aussehen?“, fragte sie nach einer Weile, nachdem sie nicht am Gespräch teilgenommen hatte. „Ich mag natürlich dunkle Haare, obwohl ich blond auch nicht schlecht finde“, meldete sich Maxi zu Wort. „Wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich noch gar nicht, wie mein Traumtyp aussieht“, zuckte Isa mit den Achseln. „Und was ist mit Marlon?“, stupste Merle sie an. „Ja, aber der hat doch eine Freundin“, murrte sie. „Wisst ihr, mir ist das Aussehen nicht so wichtig“, begann Ronja. „Mir kommt es auf das Innere an. Ich will später einen Freund haben, der mich so liebt, wie ich bin und für den ich mich nicht verstellen muss.“ – „Ich hatte am Ende bei Patrick das Gefühl, dass er nur noch wegen meines Aussehens scharf auf mich war. Und dabei hatten wir uns zum Schluss kaum noch etwas zu sagen“, murmelte Maxi und spielte mit einer langen Strähne ihres glänzenden Haares herum.

 

„Fast hätten wir etwas Wichtiges vergessen“, sagte Isabelle und holte ein kleines Geschenk aus ihrer Tasche. Behutsam packte Klara es aus. Darin befand sich eine Tasse mit einem Foto der Lustigen Hufeisen und ihren Pferden. Merle überreichte ihr einen großzügigen Klamottengutschein. Ronja schenkte ihr ein Fotoalbum mit vielen Bildern von Nandu und ihr. Klara musste sich zusammenreißen, als die Tränen ihren Weg in ihre Augen bahnten. Schnell schluckte sie es runter. In der Schachtel, die von Maxi stammte, befand sich eine silberne Kette mit einem hübsch verzierten Medaillon. „Mach mal das Medaillon auf“, forderte Maxi. Klara blieb der Mund offen stehen, als sie den Anhänger der Kette öffnete. Minutenlang schaute sie sich das Foto von Nandu an, das Maxi in das Medaillon geklebt hatte. „Willst du mein Geschenk gar nicht auspacken?“, machte Wiebke erste Anstalten ihr Geschenk wieder in ihre Tasche zu packen. „Aber klar doch!“, begann Klara das Papier von dem letzten Geschenk zu wickeln. Eine Fashionbox kam zum Vorschein. „Was ist das denn?“, hob sie die Kiste leicht an. „Alles Mögliche ist da drin“, meinte Wiebke. „Über Haarbänder, Glitzerspangen, Perlen, Armbänder bis hin zu zehn Nagellackfarben.“ Klara versuchte ein skeptisches Gesicht zu unterdrücken, schließlich wurde sie dreizehn und nicht zehn. „Ich finde es cool“, nahm Ronja ein glitzerndes Haargummi heraus und begann Klara einen Zopf in die Haare zu flechten. „Damit kannst du auch Nandus Mähne verzieren“, wandte Isa ein. Klara bedankte sich noch vielmals für die tollen Geschenke. Ihre Freundinnen fingen an, sich ebenfalls gegenseitig kleine Zöpfchen in die Haare zu flechten, und fotografierten sich mit ihren neuen Frisuren. Im nächsten Moment kam ihre Freundschaftspizza um die Ecke, ein großes Pizzablech mit sechs unterschiedlichen Belägen. Bevor sie anfingen zu essen, stießen mit ihren Gläsern an. „Auf die nächsten dreizehn Jahre!“, strahlte Wiebke. „Uff, da sind wir schon sechsundzwanzig und bestimmt mit dem Studium fertig“, musste Merle grinsen. „Vielleicht gibt es schon ein erstes Lustiges-Hufeisen-Baby“, schmunzelte Maxi. „Bis dahin ist noch viel Zeit und soweit können wir gar nicht vorausschauen“, meinte Ronja dazu. Bevor die Pizza kalt wurde, schnitt Klara sie in mehrere Stücke und lud jeder Freundin ein Stück mit dem gewünschten Belag auf ihren Teller. „Lasst euch es schmecken“, wünschte sie ihren Freundinnen und schob sich das erste Stückchen in den Mund.

10. Kapitel

Am Montag trafen sich Isabelle, Merle und Maxi mit ihren Pferden auf dem Reitplatz. Es war der erste schöne warme Tag des Frühjahrs und dies wollten sich die Freundinnen nicht entgehen lassen. „O sole mio, die Sonne scheint!“, legte Maxi ihren Kopf in den Nacken und atmete tief durch. „Man sieht’s, du bist eine astreine Sonnenanbeterin“, grinste Isa. „Tja, ich bin halt Italienerin“, meinte Maxi. „Aber nur zur Hälfte, dein Vater ist Deutscher“, merkte Merle an. „Seid ihr euch so nervös, wegen dem Gespräch mit Ellen? Ich habe das Gefühl, ich mache Kandra dadurch ein bisschen unruhig“, wandte sich Isabelle an ihre Freundinnen. „Natürlich, das geht mir genauso“, bestätigte Maxi. „Wenn ich schon daran denke, wird mir richtig flau im Magen.“ – „Mädels, lasst zur Not mich sprechen“, warf Merle ein, die nicht selten den Eindruck machte, als sei sie die Anführerin der Bande. „Aber das Video zeige immer noch ich“, beharrte Isabelle. „Das können wir doch zusammen zeigen, immerhin spielen wir es über meinen Laptop ab“, sagte Merle dazu. „Aber es ist mein Stick und ich habe das Video zusammen mit Wiebke geschnitten“, ließ Isa nicht locker. „Zerbrecht euch doch nicht schon jetzt die Köpfe darüber, wer was sagt“, mischte sich Maxi ein. „Wir lassen es ganz einfach auf uns zukommen.“

 

„Jetzt darf wirklich nichts schief gehen“, wiederholte Isabelle mehrfach, als sie die Pferde absattelten. „Wenn ich dich so reden höre, spreche ich gleich“, klang Merle leicht genervt. „Wer ist die Anführerin der Lustigen Hufeisen? Du oder ich?“, fuhr Isa sie pampig an. „Im Gegensatz zu dir rutscht mir nicht immer gleich das Herz in die Hose. Langsam solltest du es als Anführerin unserer Bande lernen, dass du in solchen Situation gelassener bist, und mutiger auftrittst“, erwiderte Merle schnippisch. „Und mir geht es echt gegen den Strich, dass du so eine große Klappe hast!“, zischte Isa und funkelte ihre Freundin wütend an. „Bitte fangt jetzt keinen Streit an!“, ging Maxi dazwischen. „Es sei denn, ihr wollt Fabella und mich in den Wahnsinn treiben. Ist es nicht geschickter, wenn wir zusammenhalten?“ – „Da sagst du was“, pflichtete Merle ihr bei. „Wie heißt es so schön, eine für alle und alle für eine.“ – „Genau, schließlich kämpfen wir gemeinsam um Nandu“, stimme Isabelle ein und der Streit war im Nu beigelegt.

 

Einen Moment später saßen die Freundinnen bei Ellen in der Küche am großen Eichentisch. Ihre Reitlehrerin bot ihnen Früchtetee an und hatte ihnen einen Marmorkuchen hingestellt. „Steht es schon fest, wer Nandu kaufen will?“, fragte Isabelle. „Soweit ich von seinen jetzigen Besitzern weiß, gibt es schon ein paar Interessenten“, erwiderte ihre Reitlehrerin. „Haben sie dir gesagt, wer ihn eventuell kaufen will?“, hob Maxi neugierig ihren Kopf. „Ich weiß nur, dass ein Familienvater mit dem Gedanken spielt, Nandu für seine vierzehnjährige Tochter zu kaufen. Der Haken ist, dass seine Tochter ein Internat besucht und nur am Wochenende kommen könnte“, fuhr Ellen fort. „Das lohnt sich nicht wirklich“, gab Merle zu bedenken. „Für ein Pferd muss man fast jeden Tag da sein.“ – „Ich kann da leider nicht viel mitreden“, zuckte Ellen mit der Schulter. „Es ist immer noch die Sache von Nandus jetzigen Besitzern, wem er sein Pferd verkauft“ – „Kannst du ihn notfalls nicht für deine Reitschule kaufen?“, meldete sich Isabelle wieder zu Wort. „Ich würde ihn gerne kaufen, aber wir haben schon genug kleine Schulpferde“, sagte ihre Reitlehrerin. Maxi zog eine kleine Leinwand aus ihrer großen Umhängetasche und reichte sie Ellen. „Wer hat das gemalt? Ist das ein Porträt von Klara und Nandu?“, fragte sie überrascht. „Richtig erkannt“, nickte Maxi. „Das hat Ronja gemalt.“ – „Das ist ja schön geworden“, schwärmte Ellen. „Eure Freundin ist eine richtige Künstlerin“ – „Könnte ich das wieder haben?“, bat Maxi. „Wir wollen es noch Klaras Eltern zeigen“ – „Aber sicher, vielleicht könnt ihr damit noch etwas Großes bewirken“, händigte sie Maxi die Leinwand wieder aus. „Könnten wir dir noch etwas zeigen, Ellen?“, hatte Merle ihren Laptop auf den Tisch gestellt. „Von mir aus“, nickte sie und setzte sich zu den Mädchen auf die Holzbank. Merle klickte das Video an und ließ es abspielen. Die traurige Musik bewirkte, dass den Mädchen und Ellen fast Tränen in die Augen stiegen. Es war nicht zu übersehen, wie sehr Klara und Nandu miteinander vertraut waren und die gemeinsame Zuneigung teilten. „Ich hatte noch nie solche einfallsreichen Mädchen, wie euch“, hatte Ellen einen Kloß im Hals. „Ich finde es sehr rührend, wie ihr euch für Klara einsetzt. In den letzten beiden Jahren hat sie sich zu einer guten Reiterin entwickelt und ich gönne es ihr von Herzen, dass sie Nandu weiterhin reiten kann.“ – „Da lässt sich doch was machen!“, klimperte Maxi mit ihren langen Wimpern. „Ich werde versuchen, mit Klaras Eltern und Nandus Besitzern zu sprechen“, versprach Ellen. „Es gibt sicher ein paar gute Argumente, einen fairen Preis für Nandu auszuhandeln. Und viele gute Gründe, ein Pony zu kaufen.“ Ellen zwinkerte ihnen zu. „Und ich bewundere immer noch euren Einsatz“, sagte Ellen. „Langsam müssten wir los, bald gibt es Abendessen“, sah Isabelle auf die Uhr über dem Kühlschrank. Die Freundinnen verabschiedeten sich von ihrer Reitlehrerin und gingen durch die Diele hinaus auf den Hof.

 

„Ende der Woche ist meine Mutter bei Klaras Mutter zum Kaffeetrinken eingeladen und ich werde mitkommen“, offenbarte Isa ihren Freundinnen, als sie Fahrräder aufschlossen. „Ist das nicht kontraproduktiv? Sie kriegt doch dann alles mit“, wandte sich Maxi an sie. „Überhaupt nicht, Klara ist dann bei einem Hallenwettkampf mit der Leichtathletikmannschaft unserer Schule und wird erst abends wieder kommen“, konnte Isa sie beruhigen. „Gut, dann bleibt es wenigstens eine Überraschung, was wir planen“, meinte Merle dazu.

 

Eigentlich war Isabelle nicht der Typ für ein langweiliges Kaffeetrinken mit den Erwachsenen. Doch diesmal galt es, Opfer zu bringen. Schließlich war dies ihr Beitrag zum Kampf um Nandu. Und sie hatte lange mit dem Plan gerungen. Ihre Mutter war zuerst gar nicht begeistert gewesen. Doch schließlich hatte sie sich von Isabelle breitschlagen lassen. Zwar war es ihr ein bisschen unangenehm gewesen, sich selbst nach so langer Zeit einmal wieder bei Klaras Mutter zum Kaffeetrinken einzuladen, doch am Ende hatte Isas Mutter gelächelt, und gesagt, dass sie sich fast wie ein Mitglied der Lustigen Hufeisen fühlte. Dann hatte sie eilig einen Kuchen gebacken und sich herausgeputzt, wie sie es selten tat. Doch Klaras Mutter war manchmal ein bisschen vornehm, da wollte sie gut aussehen. Und auch Isabelle war aufgeregt, denn sie wollte sich ebenfalls von ihrer besten Seite zeigen. Als sie das Haus verließen, trafen sie auf Wiebke, die Isabelle zuwinkte, und ihr den Daumen nach oben zeigte. „Du schaffst das!“, flüsterte sie ihr schnell zu. Isabelle nickte ihr siegessicher zu. Was hatte Merle gesagt? Sie musste in solchen Situationen mutiger sein? Also gut, das müsste sie doch hinbekommen. Gerade kam ihr Vater auf seinem Fahrrad von der Arbeit angerauscht. Bewundernd schaute er seiner Frau nach, die ihm eine Kusshand zuwarf und ins Auto stieg. „Habe ich etwas verpasst?“, wollte er von Isabelle wissen. „Nein, alles gut“, antwortete die nur knapp. „Wir kommen bald, Tante Hilda kocht Abendessen für alle.“ Zuerst hatte es Isabelle mächtig genervt, dass ihre Tante mit ihrer Tochter Wiebke bei ihnen eingezogen war. Doch inzwischen konnte sie es sich gar nicht mehr anders vorstellen. Sie waren eine große Familie geworden und es gefiel ihr richtig gut. Mit Wiebke hatte sie beinahe eine Schwester bekommen. Sie stieg zu ihrer Mutter ins Auto und es ging los.

 

Klaras Mutter empfing sie tatsächlich sehr höflich an ihrer Haustür. „Das ist eine so nette Idee, dass Sie vorbeikommen“, sagte sie herzlich und gab Isas Mutter die Hand. Auch Isabelle begrüßte sie so erwachsen, wie sie nur konnte. Beinahe hätte sie noch einen Knicks gemacht. „Ich habe auch eine Kleinigkeit mitgebracht. Genau genommen war das Isabelles Idee“, behauptete Isas Mutter und stellte wenig später den Kuchen auf den kleinen Tisch im Wohnzimmer. „Ganz reizend“, fand Klaras Mutter. „Bitte setzen Sie sich.“ Isabelle und ihre Mutter gehorchten und bewunderten das elegante Wohnzimmer. Genau, wie Klara gegenüber Maxi angedeutet hatte, konnten sie es sich kaum vorstellen, dass der Unterhalt eines genügsamen Ponys die Familie finanziell so stark belasten würde. Eine ganze Weile unterhielten sie sich über relativ belanglose Dinge und Klaras Mutter interessierte sich sehr für die Trennung von Wiebkes Mutter. Irgendwie waren Erwachsene immer ganz wild auf solche Scheidungsgeschichten. Isas Mutter wollte sie nicht enttäuschen und spielte mit. Sie tranken Kaffee und Isabelle bedankte sich überschwänglich für das Glas Wasser, das sie herunter würgte. Das war ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack. Opfer bringen, schoss es ihr immer wieder durch den Kopf.

 

Ganz nach Plan entschuldigte Isabelle sich schließlich vornehm und erklärte, sie würde das Bad aufsuchen. Doch kaum hatte sie das Wohnzimmer verlassen, da stellte sie sich mit dem Rücken an die Wand, und lauschte dem Gespräch der beiden Frauen. Hoffentlich würde ihre Mutter das hinbekommen. Sie hatte leider die Angewohnheit, etwas schusselig zu sein. „Frau Gärtner“, begann Klaras Mutter jedoch, bevor Isabelles Mutter etwas sagen konnte. Isa konnte das Erstaunen ihrer Mutter förmlich durch die Wand hindurch spüren. „Sagen Sie, Ihre Tochter besitzt ein eigenes Pferd? Ein richtig großes?“, wollte Klaras Mutter wissen. „Ja, das ist ganz richtig“, erklärte Isabelles Mutter. „Aber ist das denn nicht sehr teuer?“ – „Es geht schon, wie haben eine Operationsversicherung, die uns gegen unerwartet hohe Kosten absichert. Der Unterhalt ist gar nicht so furchtbar teuer.“ Isabelle atmete auf, als sie hörte, wie ihre Mutter für Klaras Mutter zusammenrechnete, was alles bezahlt werden musste. Sicher, die Boxenmiete und die laufenden Kosten für Impfungen und Wurmkuren. Dann die Ausrüstung, doch die besaß Nandu bereits. Sicher könnte man die dazukaufen. Und auch der Schmied kostete nicht viel für ein Pony, das ohne Hufeisen lief. Gespannt lauschte Klaras Mutter den Ausführungen. „Wir reden doch von Nandu, oder?“, wollte Isabelles Mutter schließlich wissen und tat ahnungslos. „Ja, ein anderes Pony gibt es für Klara nicht“, seufzte deren Mutter. „Sie wollen Ihn kaufen?“, hakte Isabelles Mutter nach. „Nein, eigentlich nicht. Mein Mann und ich haben uns dagegen entschieden“, erklärte Klaras Mutter. „Denken Sie doch bloß an all die Zeit, die die Mädchen ohnehin schon im Stall verbringen!“ Isabelle musste in ihrem Versteck grinsen. Sie hatte ihre Mutter auf all diese Einwände vorbereitet. Diese Diskussionen hatte sie schließlich auch führen müssen, als es darum ging, ob sie ein eigenes Pferd bekommen sollte.

 

„Ist Klara nicht sowieso jeden Tag im Stall?“, wollte Isabelles Mutter wissen. „Ja, das stimmt wohl.“ – „Und was glauben Sie, was die Mädchen in dem Alter sonst machen würden? Ständige Dates mit Jungs“, schürte Isabelles Mutter die Angst. Diese Vorstellung war für eine elegante Dame wie Klaras Mutter einfach furchtbar. „Meinen Sie wirklich?“, hakte sie ungläubig nach. „Ja, bestimmt. Aber für Jungs hat Isabelle dank ihres Pferdes keine Zeit“, erklärte ihre Mutter. „Isabelle ist wirklich ein sehr wohlerzogenes Mädchen“, lobte Klaras Mutter. Isabelle verzog das Gesicht. So hatte sie nun wirklich noch niemand genannt. Ihr Vater würde sich kaputtlachen, wenn er das hörte. Sie musste sich auf die Lippen beißen, um selbst ruhig zu bleiben. „Vielen Dank, das liegt auch an Kandra“, behauptete ihre Mutter. Sie hatten sich vorgenommen, die Pferde beim Namen zu nennen, damit es für Klaras Mutter nicht zu abstrakt klang. „Wieso denn das?“, wollte die nun neugierig wissen. „Sie glauben ja gar nicht, wie viel Verantwortung und Reife die Mädchen zeigen, wenn sie sich um ein solches Tier kümmern“, lautete die Antwort. „Ich sehe das ja auch bei meiner Nichte. Es ist eine tolle Entwicklung.“ Das war zwar sehr weit hergeholt, doch es war schließlich eine Notlüge. Und nicht zuletzt durch die Pferde hatte Wiebke endlich Anschluss an ihrem neuen Wohnort gefunden. „Selbstverständlich ist es viel Verantwortung und wir müssen als Eltern auch Einiges übernehmen. Ein Kind kann nicht allein ein Pferd besitzen“, sprach Isabelles Mutter weiter. „Und auch die Schule darf natürlich nicht darunter leiden.“ Diese Meinung unterstützte Klaras Mutter ganz unbedingt. „Isabelle bekommt wegen ihres teuren Hobbys wenig Taschengeld. Wenn sie mehr haben möchte, muss sie es sich dazuverdienen. So bekommt sie ein Gefühl dafür, was die Dinge wert sind“, erklärte Isas Mutter weiter. Isabelle hätte zu gern das Gesicht von Klaras Mutter gesehen.

 

„Wissen Sie, Frau Gärtner“, begann Klaras Mutter noch einmal. „Vor wenigen Tagen rief mich Ellen an. Das ist doch die Stallbesitzerin, nicht wahr?“ Da Isa die Antwort ihrer Mutter nicht hören konnte, ging sie davon aus, dass sie nickte. „Sie sagte, dass der Kaufpreis für ein so altes Pony sicher nicht hoch wäre. Und dass es sicher ein gutes Angebot gebe, weil die Besitzer Nandu bei Klara in guten Händen wüssten, und ihn weiter besuchen könnten.“ Isa sog jedes einzelne Wort auf. Ellen hatte ihr Versprechen gehalten. Und sie hatte keine Zeit verloren, sondern bereits Kontakt zu Klaras Eltern aufgenommen. „Ellen ist eine ganz wundervolle Betreuerin für die Mädchen“, versicherte Isas Mutter und Isa konnte sich denken, wie schräg sie sich bei diesem gestelzten Gespräch vorkommen musste. „Sie hat auch gesagt, dass die Mädchen ab einem gewissen Ausbildungsstand ohne eigenes Pferd kaum weiter kommen. Ist das richtig?“, wollte Klaras Mutter wissen. „Ja, das stimmt wohl. Den Eindruck haben wir bei Isabelle auch und Sie müssen wissen, dass auch Merle und Maxine ganz ausgezeichnete Reiterinnen sind, seit sie mit ihren eigenen Pferden arbeiten“, erzählte Isas Mutter. Eine Weile herrschte Schweigen. „Merle und Maxine besitzen auch eigene Pferde?“, hakte Klaras Mutter nach. „Ja, ganz recht.“ – „Das wusste ich gar nicht. Ich bin nicht ganz im Bilde darüber, wer eine Reitbeteiligung hat, und wer über ein eigenes Pferd verfügt“, gestand sie.

 

Isabelle wartete noch einen Augenblick, dann schlich sie sich zum Bad. Sie betätigte die Spülung und schloss die Tür so laut, dass es bis ins Wohnzimmer zu hören war. Dann setzte sie sich wieder zu den beiden Frauen, die schnell das Thema gewechselt hatten. Doch sie hatte gerade noch mitbekommen, wie Klaras Mutter ihre Mutter eindringlich gebeten hatte, nichts von ihrem Gespräch zu verraten. Isabelle wich schnell auf ein anderes Thema aus und tat, als hätte sie von alldem nichts mitbekommen.

 

„Das lief ziemlich gut“, fand Isabelle, als sie mit ihrer Mutter nach Hause kam. „Ich komme mir ein bisschen benutzt vor“, entgegnete die. „Ach was, außerdem hat Klaras Mutter das Thema angeschnitten“, erinnerte Isabelle sie. „Ja, das war erstaunlich“, stimmte ihre Mutter ihr zu. „Ich muss sofort Maxi anrufen“, beschloss Isa. Als ihre Freundin ans Telefon ging, klang sie niedergeschlagen. Bestimmt hatte sie wieder an Patrick denken müssen. Doch dann entschied Isa: „Ich berufe sofort eine Notfallsitzung ein! Können wir zu dir kommen, Maxi?“ – „Von mir aus“, stimmte ihre Freundin zu und informierte die anderen Mädchen mit Ausnahme von Klara. „Bringst du mich bitte zu Maxi?“, bat Isa ihre Mutter. „Na gut, aber macht bitte nicht zu lange.“ – „Versprochen.“ Und das an einem Freitag, dachte Isa murrend, doch sie sagte nichts. Ihre Mutter hatte ihr geholfen, da wollte sie nicht undankbar sein. Schon gar nicht, nachdem sie gerade als ausgesprochen wohlerzogen bezeichnet worden war.

 

11. Kapitel

 

Wenig später saßen die Lustigen Hufeisen beinahe komplett bei Maxi im Zimmer. Isa berichtete ganz aufgeregt von dem Gespräch der Erwachsenen. Immer wieder mussten ihre Freundinnen sie beruhigen, weil sie so schnell redete. „Der Reihe nach!“, bremste Ronja sie lächelnd. Aber Isa hatte gerade einen Höhenflug und hörte gar nicht mehr auf. „Das hört sich doch ganz gut an“, resümierte Maxi schließlich. „Bis auf den Teil, dass Klaras Eltern sich bereits dagegen entschieden haben“, erinnerte Merle sie. Enttäuscht sahen die anderen Mädchen sie an. „Tut mir leid, aber das hat Isa doch gerade gesagt“, entschuldigte sie sich schnell. „Ja schon, aber sie hätte doch meine Mutter nicht so ausgefragt, wenn die Entscheidung schon endgültig wäre“, warf Isa ein. Ihr Optimismus war riesig. „Vielleicht sieht sie sich dadurch auch nur in ihrer Entscheidung bestätigt“, überlegte Merle weiter. Ronja und Maxi seufzten genervt auf. Fragend sahen sie Isa an, die erklärte: „Nein, es klang anders. Es klang, als wäre sie ehrlich interessiert.“ Sie hatte das Gespräch immerhin selbst gehört und versucht, sich jedes Detail zu merken. „Sogar Ellen hat schon mit ihr gesprochen und versucht, zu vermitteln!“, erklärte sie. „Trotzdem klingt es nicht so gut, wie ich gehofft hatte“, murmelte auch Maxi. „Natürlich sind Klaras Eltern eine harte Nuss“, räumte Isa ein. „Das war aber klar, denn sonst hätte Klara es längst selbst geschafft, sie zu überzeugen.“ Da gaben ihre Freundinnen ihr Recht.

 

„Wo bleibt eigentlich deine Cousine?“, wollte Maxi plötzlich von ihr wissen. Wiebke brauchte eindeutig länger als nötig. So weit war der Weg zu Maxi nun auch wieder nicht. Die Mädchen sahen besorgt auf ihre Handys, doch keine von ihnen hatte eine Nachricht von Wiebke erhalten. „Ob ihr etwas passiert ist?“, wollte Ronja erschrocken wissen. „Ach was, die trödelt bestimmt nur“, beruhigte Isa ihre Freundin und sich selbst. Ganz wohl war ihr bei der Sache nicht, doch sie wollte auch nicht gleich den Teufel an die Wand malen.

 

Trotzdem waren sie alle erleichtert, als es endlich an der Tür klingelte, und Wiebke vor ihnen stand. Überschwänglich fielen sie ihr um den Hals. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht“, verkündete Ronja, während Wiebke ihre Schuhe auszog. „Ach, das müsst ihr doch nicht“, wehrte die ab und folgte den Mädchen bald darauf in Maxis Zimmer. Es sah aus, wie in einem Hauptquartier einer Geheimorganisation. Maxis Schlachtplan lag ausgebreitet auf dem Boden, duftende Teelichte verbreiteten eine geheimnisvolle Atmosphäre und sie saßen auf Kissen und Decken im Kreis. Merle ließ sich genervt nach hinten fallen, als Isabelle nur für Wiebke alles, was beim Kaffeetrinken gesprochen worden war, noch einmal erzählte. Maxi lauschte genauso aufmerksam, wie beim ersten Mal. Sie wollte nichts verpassen und machte sich sogar Notizen.

 

„Und wo warst du nun so lange?“, wollte Merle von Wiebke wissen, als sie endlich im Bilde war. Inzwischen war es spät geworden und sie hatten ihren Eltern schließlich versprochen, nicht zu lange weg zu bleiben. „Ich habe meinen Teil zum Plan ausgeführt“, antwortete die strahlend. Mit einem Mal schraken die Lustigen Hufeisen auf. „Du hast was?“, hakte Maxi erschrocken nach. „Ich habe das Video abgeliefert“, erklärte Wiebke, als wäre das ganz klar. „Was? Wie?“, fragte Isa verwirrt. „Ich habe es an Klaras Eltern adressiert und in einem Umschlag in den Briefkasten geworfen“, meinte Wiebke. „Aber das war doch gar nicht so geplant!“, rief Maxi außer sich. Ihr ganzer schöner Plan war dahin. „Wir wollten das Video doch gemeinsam zeigen“, stammelte Merle. „Ich war einfach nicht zu bremsen“, sagte Wiebke schulterzuckend. „Du hast alles kaputt gemacht!“, warf Maxi ihr vor und war den Tränen nahe. „Jetzt übertreib mal nicht“, meinte Wiebke. „Sie sollten das Video sehen und sie werden es ja nun sehen.“ – „Aber wir können es ihnen nicht erklären und nicht ihre Reaktionen sehen“, fauchte Merle sie an. „Das ist nicht nötig, das Video spricht für sich“, behauptete Wiebke. Sie war sich keiner Schuld bewusst. „So war das nicht abgesprochen“, murmelte selbst Ronja enttäuscht. „Aber es ist doch halb so wild“, begann Wiebke. Sie wurde jedoch unterbrochen, weil es an der Tür klingelte.

 

„Erwartest du noch jemanden?“, wollte Merle grinsend von Maxi wissen, die rot wurde. „Nein, natürlich nicht“, sagte sie entschieden. „Das ist bestimmt nicht für mich.“ Wie in letzter Zeit so oft war auch ihr Bruder Luigi wieder einmal zu Hause. Vielleicht war an ihrer Vermutung, dass das an einem bestimmten Mädchen lag, ja doch etwas dran. Als es kurz darauf an Maxis Zimmertür klopfte, zuckten die Lustigen Hufeisen zusammen. Luigi öffnete langsam die Tür und lugte hinein. „Na, ihr Streithennen“, sagte er und klang doch sehr sanft. „Ich habe gehört, hier fehlt noch jemand im Bunde.“ Erschrocken sahen sie ihn an und wussten nicht, ob sie ihn richtig verstanden. „Hat jemand von euch Klara Bescheid gesagt?“, flüsterte Isabelle und schaute in die Runde. Stumm schüttelten die anderen den Kopf. Luigi öffnete die Tür ganz und schob langsam Klara in den Raum. Sie sah völlig fertig aus.

 

„Was ist passiert?“, wollte Ronja wissen und sprang auf. Klaras Augen waren verheult und ihre Nase lief unkontrolliert. Merle reichte ihr wortlos ein Taschentuch von Maxis Kommode. „Lasst sie sich erst mal beruhigen“, schlug Luigi vor. Da seine Eltern beide noch bis spät in der Pizzeria arbeiteten, war er der älteste im Haus und fühlte sich verantwortlich. Maxi schaffte es, Klara auf einem der Kissen zu platzieren. Gerade wollte sie anfangen, zu erzählen, da fiel ihr Blick auf Maxis Schlachtplan. „Was ist das denn?“, wollte sie aufgebracht wissen. „Nichts?!“, gab Maxi hilflos zurück und wollte das Blatt weglegen. Doch Klara war schneller. Sie warf einen Blick darauf und erkannte, was vor sich ging. „Du hast versprochen, niemandem davon zu erzählen!“, fuhr sie Maxi an. „Und was machst du? Du malst gleich ein Plakat?!“ – „Ich wollte nur helfen“, stammelte Maxi. „Das war nicht böse gemeint“, sprang Isa ihrer Freundin bei. „Wir wollten verhindern, dass du Nandu verlierst.“ – „Ach ja?“, schrie Klara außer sich. „Ihr habt alles nur noch schlimmer gemacht!“ Verzweifelt wollte Ronja einen Arm um ihre Freundin legen, doch sie schob ihn energisch weg und sprang auf. „Wie denn das? Wir haben gar nichts angestellt“, sagte Merle. „Und wer hat Ellen auf meine Eltern gehetzt? Das wart doch ihr?“, wollte Klara wissen. „Wir haben sie doch nur gebeten, mit deinen Eltern zu reden. Erwachsene hören ja doch nicht auf uns“, verteidigte sich Isabelle. „Hast du deshalb auch deine Mutter zu uns geschleppt?“, fauchte Klara sie an. „Ja, schon“, stammelte Isa und wusste nicht, was daran so schlimm sein sollte. „Meint ihr wirklich, wenn ich es nicht schaffe, meine Eltern zu überzeugen mit Nandu zu kaufen, dann schafft ihr das einfach so?“, fragte Klara verächtlich. „Nicht einfach so“, korrigierte Maxi sie. „Wir hatten einen ausgefeilten Plan.“ – „Dann lasst euch sagen, der ist grandios schief gegangen“, heulte Klara auf. „Willst du uns nicht mal sagen, was passiert ist?“, hakte Ronja vorsichtig nach. „Das weiß ich ja selber nicht“, schrie Klara. „Als ich nach Hause kam, hatten meine Eltern einen riesigen Streit. Es ging um Nandu und mich, so viel habe ich mitbekommen. Und dann hat meine Mutter gesagt, sie geht jetzt. Sie ist aus dem Haus gelaufen und mit dem Auto davongerauscht. Mein Vater hat mich noch angeschrien, dass das alles meine Schuld wäre. Dann hat er mir das hier vor die Füße geworfen.“ Aus ihrer Tasche zog Klara eine CD. Schuldbewusst zuckten ihre Freundinnen zusammen. „Was zum Teufel ist das?“, wollte Klara wissen. „Ein Video von dir und Nandu. Es sollte deinen Eltern zeigen, wie viel er dir bedeutet, und wie sehr ihr euch braucht“, erklärte Wiebke mit hängenden Schultern. „Wir wollten dir wirklich nur helfen“, fügte Merle hinzu. „Es hat aber nichts gebracht! Ich werde Nandu nie bekommen. Stattdessen bricht gerade meine ganze Familie auseinander! Vielen Dank auch“, rief Klara. So aufgebracht hatten ihre Freundinnen sie noch nie gesehen.

 

Klara sah die Mädchen böse an und verkündete: „Ich bin so enttäuscht von euch!“ Dann lief sie aus dem Zimmer. „Warte!“, rief Isa und wollte ihr folgen. Beinahe wäre sie gestürzt, als sie eilig aufsprang. Luigi fing sie an der Tür ab. „Lasst mich das machen“, sagte er, schloss die Tür und folgte Klara. Die Lustigen Hufeisen sahen sich betreten an. „Das wollte ich nicht“, murmelte Wiebke und hatte ebenfalls Tränen in den Augen. „Das ist nicht deine Schuld“, tröstete Maxi sie überraschend. „Ich hätte es euch einfach nicht verraten sollen.“ – „Du wolltest nur helfen“, beruhigte Isa sie. „Dass es so endet, konnten wir doch nicht wissen.“ Sie waren plötzlich ganz ruhig. „Was machen wir denn jetzt?“, wollte Ronja wissen und sah in die Runde. Niemand hatte eine Idee. „Ob wir Klaras Eltern anrufen können?“, überlegte Merle. „Ich glaube, da sollten wir uns lieber raushalten. Wir haben schon genug angestellt“, fand Isa. „Wahrscheinlich hast du Recht“, meinte Maxi und sah gedankenverloren auf den Boden. Eine Weile saßen sie schweigend da. „Wir sollten nicht in Selbstmitleid baden, sondern uns bei Klara entschuldigen“, beschloss Merle schließlich. „Ob sie mit uns reden will?“, wunderte sich Wiebke.

 

Kaum hatte sie den Gedanken ausgesprochen, da ging die Tür erneut auf. Mit hängendem Kopf kam Klara herein. „Es tut mir so leid“, sagte Maxi ehrlich und stand auf, um sie in den Arm zu nehmen. Diesmal wehrte Klara sich nicht. „Was machen wir denn jetzt?“, wollte Wiebke hilflos wissen und kam sich auf einmal ganz klein vor. „Ihr beruhigt euch jetzt erst mal“, ordnete Luigi an, der hinter Klara das Zimmer betrat. „Ich habe bei Klara angerufen, um Bescheid zu sagen, dass sie hier ist. Als niemand ans Telefon gegangen ist, habe ich auf den Anrufbeantworter gesprochen“, erklärte Maxis großer Bruder. „Am besten bleibt Klara erst einmal hier, bis sich alles geklärt hat.“ – „Sind Mama und Papa einverstanden?“, wollte Maxi wissen. „Nicht nur das, sie haben sogar vorgeschlagen, dass ihr alle hier bleibt und auf Klara achtet“, meinte Luigi schmunzelnd. „Ich glaube nicht, dass meine Eltern das für eine gute Idee halten“, murmelte Isa. „Bestimmt verstehen sie das, wenn du ihnen kurz erzählst, was passiert ist“, sagte Wiebke. Nacheinander riefen die Mädchen bei ihren Eltern an und fragten, ob sie spontan bei Maxi bleiben durften. Isas Eltern zögerten kurz, ließen sich dann aber von Wiebke überreden. Maxi verteilte Jogginghosen, Schlafanzüge und Schlaf-Shirts und sie machten es sich bequem.

12. Kapitel

 

Während die anderen irgendwann eingeschlafen waren, hatte Klara die ganze Nacht über kaum ein Auge zubekommen. Immer wieder hatte sie auf ihr Handy geschaut und auf eine Nachricht von ihren Eltern gehofft. Doch es war nichts passiert. Auch ihre Brüder hatten sich nicht gemeldet. Irgendwann war der Akku aufgebraucht, und doch hatte Klara noch lange wachgelegen. Am nächsten Morgen war sie als erste erwacht und hatte sich unauffällig Maxis Lagekabel von deren Nachttisch genommen, um ihr Handy wieder aufzuladen. Als sie es endlich wieder hochfahren konnte, stellte sie enttäuscht fest, dass sich noch immer niemand bei ihr gemeldet hatte.

„Du bist ja schon wach“, murmelte Ronja verschlafen, als sie Klara entdeckte, die sich aufgesetzt hatte. „Ja, ich kann nicht schlafen“, entgegnete die. „Und niemand macht sich anscheinend Sorgen um mich.“ – „Deine Eltern wissen sicher, dass du bei Maxi bist. Luigi hat schließlich auf ihren Anrufbeantworter gesprochen“, versuchte Ronja sie zu trösten. Draußen ging gerade erst die Sonne auf, als die beiden Mädchen sich zusammenkuschelten. Es schien kein besonders schöner Tag zu werden. Die ersten Sonnenstrahlen wurden bald von dunklen Wolken verdeckt. „Was soll ich denn bloß machen?“, stammelte Klara. „Ich würde gern nach Hause fahren und andererseits kann ich es nicht ertragen, dort rumzusitzen.“ – „Warte noch ein paar Stunden, bis alle ausgeschlafen sind“, riet Ronja ihr. „Dann rufen wir noch einmal bei dir zu Hause an. Bestimmt hat sich schon alles beruhigt.“ Doch Klara war skeptisch. „Ich kenne meine Eltern gar nicht so aufbrausend. Es kommt mir fast so vor, als würde es um mehr gehen, als nur um Nandu.“ Fragend sah Ronja sie an. Sie konnte sich nichts anderes vorstellen. Allerdings konnte Klara das auch nicht. Es war einfach ein Gefühl, das sie langsam beschlich, wenn sie das Geschehene immer und immer wieder vor ihrem geistigen Auge ablaufen ließ.

 

Nach und nach wachten die anderen Lustigen Hufeisen auf. „So ein blödes Wetter“, beschwerte sich Merle. „Ich dachte, es wird endlich mal wärmer.“ Isabelle wandte sich an Klara und fragte besorgt: „Wie geht es dir?“ – „Ich habe kaum geschlafen und wüsste gern, wie es bei mir zu Hause aussieht“, erklärte Klara. „Dann rufen wir dort an, es ist schon spät genug“, schlug Maxi vor und die anderen waren einverstanden. Sie hockten sich alle noch enger zusammen und Klara rief mit klopfendem Herzen die Festnetznummer ihrer Eltern an. Nach einer Weile wurde der Hörer abgenommen. Am anderen Ende meldete sich Klaras großer Bruder. „Schön, dass du dich mal meldest“, sagte er und es war schwer einzuschätzen, ob er das ernst meinte, oder längst mit einem Anruf gerechnet hatte. „Mama und Papa sind noch verschwunden“, erklärte er, ohne dass Klara zu Wort gekommen war. „Papa ist gestern Abend mit dem zweiten Auto weggefahren und bisher haben sie sich nicht gemeldet.“ Klara bekam einen Schrecken. „Sie sind seit gestern Abend beide weg?“, fragte sie panisch. „Ja“, antwortete ihr Bruder knapp. „Aber müssen wir dann nicht langsam die Polizei informieren?“, wollte Klara wissen. „Die melden sich schon, ich glaube nicht, dass ihnen etwas passiert ist“, beruhigte ihr Bruder sie. „Aber das haben sie noch nie gemacht“, protestierte Klara. Ihr standen bereits wieder Tränen in den Augen. Was war denn bloß los? Und alles nur, weil sie unbedingt versucht hatten, Nandu für sie zu bekommen. Sie wünschte sich inzwischen, sie hätten einfach gar nichts unternommen. „Warte mal kurz“, sagte ihr Bruder plötzlich und sie gehorchte. Stumm hielt sie ihr Handy ans Ohr gepresst und versuchte, mitzubekommen, was bei ihr zu Hause geschah. „Ich habe eine Nachricht auf mein Handy bekommen“, erklärte ihr Bruder und las vor: „Uns geht es gut, macht euch keine Sorgen. Wir kommen später. Haben euch lieb. Mama und Papa.“ Nachrichten von ihren Eltern klangen erfahrungsgemäß sehr nach einem alten Telegramm und endlich huschte ein kleines Lächeln über Klaras Gesicht. „Die Nachricht hast du bestimmt auch erhalten, du wirst es sehen, wenn wir auflegen“, tröstete ihr Bruder sie. „Bist du noch bei Maxi?“ – „Ja, bin ich. Aber ich komme nachher nach Hause“, versprach Klara und legte bald darauf auf.

 

„Es geht ihnen gut“, stellte sie lächelnd fest, als auch sie die Nachricht ihrer Eltern immer und immer wieder las. „Und sie scheinen ja irgendwo zusammen zu sein. Gott sei Dank“, murmelte sie dann. Für Nandu war nach dem Schrecken gar kein Gedanke mehr frei. „Ist es sehr taktlos, wenn ich sage, dass ich Hunger habe?“, meldete sich Merle zu Wort. Ihre Freundinnen kicherten. „Ist schon okay, wir können ja Frühstück besorgen“, schlug Maxi vor. Sie wollten sich schon anziehen, als es an ihrer Tür klopfte. „Seid ihr schon wach?“, wollte Maxis Mutter wissen und steckte den Kopf hinein. Als sie die Mädchen in guter Laune sah, war sie erleichtert. „Sollen wir Brötchen holen?“, wollte Maxi wissen und ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Das Frühstück ist schon fertig, ihr könnt runter kommen.“ Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Beim Essen musste Klara noch einmal in Ruhe erzählen, was passiert war. Jetzt, wo sie wusste, dass es ihren Eltern gut ging, war sie gleich viel besser gelaunt.

 

Nach dem Frühstück verkrochen sich die Lustigen Hufeisen wieder in Maxis Zimmer. „Es tut mir leid, dass ich euch gestern so angebrüllt habe“, sagte Klara. „Ich war nur so aufgewühlt und habe mir solche Sorgen gemacht.“ – „Das verstehen wir“, sagte Merle großzügig. „Ich wäre auch fertig, wenn mir jemand Arthos wegenehmen wollte.“ Verständnisvoll nickten die anderen Mädchen. „Ihr habt euch ja wirklich Müge gegeben mit eurem Plan“, seufzte Klara mit einem Blick auf Maxis Schlachtplan. „Natürlich, wir wollten um jeden Preis verhindern, dass er verkauft wird“, erklärte Isa. „Und wir haben die Schlacht auch noch nicht verloren“, erinnerte Merle sie. „Ich glaube, da lässt sich nicht mehr viel machen. Ich werde meine Eltern damit nicht mehr belästigen. Am Ende trennen sie sich noch meinetwegen“, meinte Klara. „Aber das bedeutet, dass du Nandu verlierst“, rief Wiebke erschrocken. „Als ob wir je eine Chance gehabt hätten“, murmelte Klara. „Es ist uns eben nicht gegönnt.“ – „Aber wir können doch nicht einfach aufgeben“, protestierte Isa. „Doch, das ist für alle das Beste“, beschloss Klara. Maxi wollte widersprechen, doch sie sah ihrer Freundin an, dass sie es ernst meinte. „Ich liebe Nandu, aber ich werde nicht zulassen, dass meine Familie daran zerbricht“, sagte Klara ernst. Traurig nickten die Lustigen Hufeisen und verarbeiteten langsam den Gedanken, dass das der Abschied von einem so liebenswerten Ponys sein sollte. „Ich glaube trotzdem, dass ihr für einander bestimmt seid“, flüsterte Wiebke.

 

Eine ganze Weile saßen sie noch zusammen, dann sagte Merle: „Reiten wir heute gar nicht?“ Mit einem Blick auf die Uhr stellte Isa fest: „Du hast recht, es wird Zeit, in den Stall zu fahren.“ – „Kommst du mit, Klara?“, wollte Wiebke wissen. „Ja, natürlich“, murmelte Klara. „Dann fahren wir jetzt alle nach Hause, ziehen uns um und treffen uns dann im Stall?“, schlug Merle vor. „Alles klar“, nickte Maxi. „Ich kann dich auf meinem Gepäckträger mitnehmen, Isa“, kicherte Wiebke und ihre Cousine stimmte ihr zu. Bald brachen sie alle in verschiedene Richtungen auf.

 

Isabelle und Wiebke kamen klatschnass zu Hause an. Die dunklen Wolken waren nicht bloß so vorbei gekommen, sondern hatten den Moment genutzt, in dem die Mädchen unterwegs waren, um sich zu entladen. „Danke fürs Mitnehmen“, kicherte Isa, als sie die Haustür aufschloss. „Gerne“, lachte Wiebke. Der Regen war nur halb so schlimm, wenn man zu zweit war. „Beeilen wir uns“, schlug Isa vor, als ihre Tante die Wohnungstür der unteren Wohnung öffnete. „Wie seht ihr denn aus?“, schlug sie die Hände in die Luft. „Halb so wild, das ist nur Wasser“, meinte Wiebke. „Wir gehen gleich in den Stall.“ – „Muss das sein? Ihr seid ja gar nicht mehr zu Hause“, rief Isas Mutter von oben herunter. Sie hatte sie also auch kommen hören. „Ja, das muss sein“, antwortete Isa bestimmt. „Kandra wartet bestimmt schon.“ – „Dann zieht euch schon um. Ich werde euch in den Stall bringen“, entschied Isas Mutter. „Gut, dann hole ich euch nachher ab“, beschloss Wiebkes Mutter, die seit Kurzem wieder ein kleines Auto besaß. „Danke!“, rief die Mädchen im Chor und sprinteten in ihre Zimmer.

 

Wenig später sprangen sie im Stall aus dem Auto von Isas Mutter und liefen durch den strömenden Regen in den schützenden Stall. Kurz nach ihnen tauchten auch Merle, Maxi und Ronja auf. „Super Timing“, fand Isa. „Fehlt nur noch Klara“, seufzte Ronja, die als einzige mit dem Fahrrad gekommen war, und schüttelte das Wasser aus ihren blonden Engelslocken. Kaum hatte sie es ausgesprochen, da kam Klara ihnen aus der Stallgasse entgegengelaufen. Ihr Gesicht war tränenüberströmt. „Was für ein Wechselbad der Gefühle“, flüsterte Merle, die nicht gerade für ihr Einfühlungsvermögen bekannt war. „Was ist denn passiert?“, wollte Maxi erschrocken wissen und Klara fiel ihr wortlos in die Arme. „Nandu ist weg!“, rief sie außer sich. „Was meinst du mit weg?“, hakte Wiebke nach und bekam eine Gänsehaut. Irgendwie ahnte sie es schon. „Seine Box ist leer, er ist nicht draußen, er ist nicht…“, Klaras Worte stockten. „Ich kann ihn nirgends finden, er muss verkauft sein.“ – „Meinst du denn, seine Besitzer hätten dir nicht Bescheid gesagt?“, wollte Maxi vernünftig wissen. „Für die bin ich doch nicht wichtig!“, heulte Klara. „Das glaube ich nicht so richtig“, meinte Isa und drückte Klara. „Kommt mit!“, forderte die sie auf und sie gingen gemeinsam zu Nandus Box. Sie war tatsächlich leer und jetzt fiel Ronja noch etwas auf. Sein Namensschild war von der Tür verschwunden. „Seine Sachen! Sind sie noch in der Sattelkammer?“, fragte Isa fast panisch. „Ich weiß es nicht“, gestand Klara. Dort hatte sie noch gar nicht nachgesehen. Hilflos standen sie vor der leeren Box. Maxi konnte es nicht fassen. Eben noch hatte sie geglaubt, das Ruder irgendwie herum reißen zu können, und jetzt war Nandu weg. Einfach so! Das sah den Erwachsenen mal wieder ähnlich. „Wir müssen Ellen fragen, ob sie weiß, was hier los ist“, beschloss Maxi. „Du meinst, damit wir traurige Gewissheit bekommen?“, hakte Wiebke nach. Irgendwie wollte sie das gar nicht hören.

 

Als plötzlich die Stalltür schwungvoll geöffnet wurde, glaubten die Lustigen Hufeisen, einen Geist zu sehen. Nandu, das Schimmelpony mit dem grauen Maul, betrat die Stallgasse. Und geführt wurde er von Klaras Mutter. Vor Schreck konnten die Mädchen sich gar nicht rühren. „Klara, komm her, bring du ihn bitte in die Box!“, rief ihre Mutter ihr aufmunternd zu. Wie in Trance ging Klara auf das seltsame Gespann zu. Ein paar Leute folgten Nandu, doch darauf achtete sie noch gar nicht. Sie nahm wortlos die Zügel von Nandus Trense und das Pony ging wie gewohnt mit ihr mit. Langsam stellte sie ihn in seine Box und wusste nicht, wie ihr geschah. „Was ist denn hier los?“, wollte Maxi neugierig wissen und sprach damit aus, was alle dachten. „Wir haben Nandu gekauft“, erklärte Klaras Mutter. „Wirklich? Ihr habt ihn wirklich für mich gekauft?“, rief Klara und konnte es gar nicht fassen. Sie fiel dem Pony um den Hals und hätte es am liebsten nie wieder losgelassen. „Komm her, damit wir es dir in Ruhe erklären können“, forderte ihr Vater sie auf. Klara kam nur widerwillig aus der Box ihres Ponys. Wie das klang, ihr ganz eigenes Pony. Das hörte sich wunderbar an!

 

Erst jetzt bemerkte Klara all die Leute, die auf der Stallgasse standen. Ellen war da und Nandus alte Besitzer. Und dann war da noch ein alter Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. „Klara, wir wollen dir jemanden vorstellen“, begann ihre Mutter. Sie deutete auf den alten Herrn und sagte: „Das ist mein Vater, dein Opa Henry.“ Klara klappte die Kinnlade runter. Das konnte doch nicht wahr sein! „Du hast immer gesagt, er wäre…“, stammelte sie und brachte den Satz nicht zu Ende. Der sanfte Ausdruck im Gesicht ihres Opas ließ sie verstummen. Sie wollte ihn nicht verletzen. Ihre Mutter hatte behauptet, Opa Henry wäre tot. Längst gestorben, als Klara nicht einmal geboren war. Eine eiskalte Lüge. „Er hat dir Nandu gekauft“, erklärte Klaras Vater. „Danke!“, rief sie und wusste nicht, ob sie ihm die Hand geben oder ihn umarmen sollte. Nandus Vorbesitzer sahen Klara an und meinten: „Danke, dass du dich immer um ihn gekümmert hast. Du hast ihn verdient und wir werden ihn bestimmt auch weiter besuchen kommen.“ Dann verabschiedeten sie sich und gingen.

 

„Du kennst mich nicht einmal und kaufst mir ein Pony?“, wollte Klara von ihrem Opa wissen. „Nun, deine Mutter stand gestern Abend überraschend vor meinem Hof und wollte das erste Mal seit fast 20 Jahren mit mir reden“, begann der alte Mann zu erzählen. Dahin war ihre Mutter also nach dem Streit mit ihrem Mann gefahren. „Später kam auch dein Vater dazu. Sie erzählten mir, dass ich eine pferdeverrückte Enkelin hätte, die sich nichts mehr wünscht, als dieses eine Pony“, erzählte er weiter. Die Lustigen Hufeisen hingen gespannt an seinen Lippen. „Das musste ich mir unbedingt einmal ansehen, denn als ich jung war, habe ich selbst Connemara Ponys gezüchtet. Wir waren gerade in der Longierhalle, um uns Nandu mal in Aktion anzusehen. Du hast einen guten Blick für Pferde. Nandu ist wirklich toll“, lächelte Opa Henry. „Ich habe einen Opa, der Ponys züchtet, und keiner sagt mir das?!“, war Klara empört. Ihr Opa schien sich zu freuen. „Ich habe seit einigen Jahren keine Ponys mehr. Schließlich wollte ja niemand die Zucht übernehmen“, sagte er mit einem Blick auf Klaras Mutter. „Du weißt, dass ich Angst vor Pferden habe. Und Geschwister habe ich auch nicht“, verteidigte die sich. „Aber jetzt haben wir wieder einen Pferdenarr in der Familie“, stellte Opa Henry fest. „Und ich habe Nandu“, strahlte Klara. Die Lustigen Hufeisen fielen sich erleichtert um den Hals. „Klara, herzlichen Glückwunsch zum eigenen Pony!“, rief Isabelle und sie sprangen vor Freude im Kreis herum.

 

„Hier hast du ein neues Namensschild für Nandu. Du musst unbedingt deinen Namen eintragen“, sagte Klaras Opa. „Ich glaube, meine Hand zittert noch zu sehr“, kicherte Klara. Sie kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus. „Dann machst du es eben in Ruhe zu Hause. Ich würde gern noch deine Brüder kennen lernen“, sagte Opa Henry. Klara sah ihre Freundinnen an. „Ich glaube, ich muss nach Hause. Tut mir leid.“ – „Das muss dir doch nicht leid tun!“, sagte Merle. „Genieß den Tag, du hast ein eigenes Pony“, lachte Wiebke und war innerlich ein kleines bisschen neidisch. Aber sie gönnte es Klara von ganzem Herzen. „Und du hast einen neuen Opa“, lachte Maxi. Das kam auch nicht alle Tage vor. Klara verabschiedete sich von ihnen und von Nandu ganz besonders. Dann folgte sie ihren Eltern nach draußen. „Wir haben das Auto deines Großvaters genommen, damit du uns nicht gleich bemerkst“, gestand ihr Vater grinsend. Er schien damit einverstanden zu sein, dass Klara Nandu bekam. Schließlich würde sich Opa Henry auch an den laufenden Kosten beteiligen.

 

„So ein Happy End“, seufzte Isa erleichtert, als sie wenig später bei Kandra in der Box stand. „Ja, das war Rettung in letzter Sekunde“, meinte Maxi und war noch ganz aufgeregt. „Und wisst ihr was“, rief Wiebke. Fragend sahen die anderen Mädchen sie an. „Was denn?“, wollte Ronja wissen. „Ich wette, unser Plan hat seinen Teil dazu beigetragen, dass ihre Eltern sich für den Kauf von Nandu entschieden haben“, verkündete Wiebke. „Da hast du wahrscheinlich sogar Recht“, fand Merle, als sie so darüber nachdachte. „Wir haben es geschafft, wir haben Nandu für Klara erkämpft“, rief Maxi und Fabella sah sie an, als würde sie sie für verrückt halten. „Wir sind auch unzertrennlich“, flüsterte Maxi ihrer goldenen Stute ins Ohr, doch die Schnaubte nur.

13. Kapitel

 

In diesem Jahr fiel Maxis Geburtstag auf den Ostersonntag. Klara, Isabelle, Merle und Ronja waren bereits früh am Morgen im Stall, um das Bandenquartier zu schmücken. „Kommt Mädels, wir müssen Fabella noch ein bisschen schick machen“, rief Isabelle. „Ist das dein Ernst?“, zog Merle die Stirn kraus. „Ach was, Maxi freut sich bestimmt, wenn sie Fabella besonders schön gemacht vorfindet“, wandte Ronja ein. „Cool, ich habe die Schmuckbox dabei, die mir Wiwi zum Geburtstag geschenkt hat“, sprang Klara übermütig von einer hölzernen Sitzbank auf, die direkt am Eingang des Stalles stand. „Verdammt, ich habe die Blumen vergessen!“, fasste sich Merle an den Kopf. „Da habe ich schon eine Idee!“, grinste Klara. „Die alte Witwe Lüderitz hat doch so viele Blumen, da fällt es garantiert nicht auf, wenn wir ein paar davon pflücken.“ – „Hm, ich halte das für keine gute Idee“, lehnte Ronja ab. „Ihr wisst doch, was für einen Ärger wir bereits mit dieser Dame hatten.“ – „Doch, ich finde es super, dass wir der alten Hexe wieder einen Besuch abstatten“, widersprach ihr Merle und kicherte leise. „Ja, wir müssen diese Vogelscheuche ein bisschen ärgern“, pflichtete ihr Isa bei. „Na gut, während ihr die Blumen besorgt, mache ich unser Bandenquartier schön“, verschwand Ronja um die Ecke. „Diesmal lassen wir uns nicht erwischen, wie im letzten Sommer“, schwor sich Merle. „Nein, nein, das auf keinen Fall prustete“, Isabelle los. „Beherrsch dich, Isa!“, zischte Merle. „Jaja, das tue ich schon“, gluckste diese. Zu dritt zogen sie los. Die alte Witwe wohnte direkt neben Ellens Reiterhof, sodass die Mädchen öfter an ihrem Haus vorbei kamen. Da die alte Frau dafür bekannt war, nicht gerade freundlich zu sein, hatte sie bei den Lustigen Hufeisen einige fiese Spitznamen weg.

 

„Wow, seht euch nur das bunte Blumenmeer an!“, schwärmte Klara, als sie vor dem Holzzaun standen, der den Vorgarten von der schmalen Straße trennte. „Oh ja, man sieht, dass die Alte sehr viel Zeit im Garten verbringt“, sagte Isabelle dazu. „Daher fällt es nicht auf, wenn ein paar Blümchen für Maxis Blumenstrauß fehlen“, murmelte Klara und stieg vorsichtig über den Gartenzaun. „Bring bitte Narzissen mit“, ordnete Merle an. „Und ein paar von den wunderschönen Tulpen dürfen auch nicht fehlen“, fügte Isa hinzu. „Klar, ich sammle von allem etwas“, nickte Klara, die schon ein paar Blumen in der Hand hatten. Isabelle und Merle pflückten in der Zeit ein paar Blumen, die am Zaun wuchsen. „Wunderbar, das wird ein toller Blumenstrauß“, war Merle zufrieden. „Bestimmt wird der noch viel hübscher, als der den ich gekauft habe und nun zuhause herum liegt.“ Gerade als die Mädchen nicht damit rechneten, hörten sie die alte Witwe heraneilen. „Verdammt, schnell weg hier!“, zischte Isabelle. „Oh nein, nicht auch noch das!“, fluchte Merle und die beiden Mädchen rannten los. „Wartet auf mich!“, wisperte Klara aufgeregt und kletterte in Windeseile über den Zaun, doch ihre Freundinnen waren schon los gesprintete. Klara wetzte ihnen hinterher. Es zeichnete sich ab, dass sie in der Leichtathletikmannschaft ihrer Schule war, und sie hatte sie noch vor dem Einfahrtstor mit den beiden goldenen Pferdeköpfen eingeholt. „Weiter, wir sind erst in Sicherheit, wenn wir den Stall erreicht haben!“, keuchte Isa, die wie eine alte Dampflok schnaubte.

 

„Was ist nur in euch gefahren? Ihr seht so fertig aus“, sah Ronja von der kleinen Herdplatte auf, während sie das Rührei weiter umrührte. „Die alte Hexe hat uns auch fast erwischt“, sagte Merle außer Atem. „Gut, dass wir so schnelle Läuferinnen sind“, schmunzelte Klara. „Wenn ihr mich dabei gehabt hättet, wäret ihr wegen mir erwischt worden“, meinte Ronja. „Wie wäre es, wenn ich dir ein Einzeltraining verpasse, Ronnie?“, schlug Klara vor. „Im Ernst? Ich bin doch in Sachen Sport ein hoffnungsloser Fall“, lachte ihre Freundin kurz auf. „So, Klara und ich machen uns jetzt an Fabella zu schaffen“, beschloss Isa und verließ das Bandenquartier. „Hier, ein paar Blümchen für ihre Mähne kannst du auch mitnehmen“, gab ihr Merle eine Hand voll Blumen auf den Weg. „Isa und Klara, könnt ihr wenigstens eure Sachen, die ihr mitgebracht habt, auf den Tisch stellen?“, bat Ronja. Klara stellte ihre Schale mit dem Obstsalat auf den Couchtisch und Isa platzierte daneben ihren Teller mit den Tomate-Mozarella-Scheiben. „Merle, bleibst du bei mir und hilfst mir?“, fragte Ronja. „Na klar, ich habe noch einiges dabei“, nickte Merle und packte ihren prallgefüllten Rucksack aus. „Käsescheiben, Wurst, Salami, Lachs, Trinkjoghurts, Bockwürstchen, Gurke, Paprika, Orangensaft und sogar frische Brötchen“, zählte Merle auf, während sie ihre Sachen dazu stellte. „Damit können wir eine ganze Fußballtruppe versorgen!“, machte Ronja große Augen. „Ich besorge eben eine Kanne Kakao aus dem Reiterstübchen“, flitzte Merle los. Im nächsten Augenblick schlug Wiebke im Bandenquartier auf. Zuerst kontrollierte sie den Sitz ihrer Brille und richtete ihre beiden geflochtenen Zöpfe. „Mensch Wiwi, wo warst du nur?“, begrüßte Ronja ihre beste Freundin. „Sorry, ich habe eine ganze Stunde verschlafen“, gähnte sie. „Du kannst zumindest die Girlande mit den Pferdeköpfen aufhängen, die Kerzen anzünden, ein paar Luftschlangen im Raum verteilen, die Luftballons aufpusten und auf jeden Teller einen Schokoladenosterhasen legen“, ordnete Ronja an. „Ihr Befehl wird ausgeführt!“, gickerte Wiebke und machte sich an die Arbeit.

 

„Na, ist unsere Langschläferin auch schon wach?“, betrat Isa mit einem breiten Grinsen den Raum und schaute dabei ihre Cousine an. „Aber dafür hast du den Geburtstagskuchen stehen lassen, den mir deine Tante im Treppenhaus in die Hand gedrückt hat“, neckte Wiebke sie zurück. „Übrigens, Fabella ist fertig. Wollt ihr sie mal sehen?“, schneite Klara herein. Die Freundinnen folgten ihr und blieben mit einem erstaunten Blick vor Fabellas Box stehen. „Wow, sie sieht aus wie ein Märchenpferd“, schwärmte Ronja. „Ich habe mir den Scherz erlebt und feines Glitzerpuder in ihr Fell gestriegelt“, grinste Isabelle. „Jetzt weiß ich, wer mein Glitzer gestohlen hat!“, posaunte Wiebke durch die Stallgasse, sodass Fabella erschrocken zurückwich. „Hey, nicht so laut, wir sind hier nicht im Fußballstadion!“, wies Merle sie zurecht. „Seht ihr, wir haben auch ein paar Blumen und Perlen in ihre Mähne geflochten“, fuhr Klara fort. „Fehlt nur noch ein glänzendes Horn“, lachte Merle. „Sie sieht auch wie ein Einhorn aus, auch wenn ihr das Horn fehlt“, war Wiebke der Meinung. „Ich habe gerade mit Maxi telefoniert. Sie kommt in wenigen Minuten, sie ist schon auf dem Weg zum Stall“, meldete sich Isabelle zu Wort, „Ronja und Merle, könntet ihr sie vor dem Stall abfangen und die Augen verbinden?“ – „Aber natürlich, Majestät!“, sagte Merle gekünstelt und hakte sich bei Ronja unter. „Endlich hat das Warten ein Ende, ich habe so einen Hunger“, schnappte sich Klara ein Bockwürstchen. „Hey, das Buffet ist noch gar nicht eröffnet!“, merkte Isabelle an. „Das hat keiner gesehen, okay?“, grinste Klara frech. „Jedenfalls ist mein Hunger stärker als mein höfliches Benehmen.“

 

„Maxiii!“, wurde das Geburtstagskind stürmisch empfangen, als Maxi von Merle und Ronja in den kleinen Raum geführt wurde. „Ihr seid die Besten! Cool, habt ihr das extra für mich gemacht?“, strahlte Maxi, nachdem sie ihre Augenbinde abgenommen hatte. „Na klar, du bist doch das Geburtstagskind, meine liebe Maxi! Alles Gute noch mal!“, fiel Isa ihr um den Hals. Nach und nach umarmten die anderen Bandenmitglieder Maxi und gratulierten ihr. „Und so viele Leckereien!“, riss Maxi ungläubig ihre dunklen Augen weit auf. „Ja, wir werden heute alle noch platzen“, scherzte Merle. „Los, lasst uns anfangen, ich könnte ein ganzes Pferd verschlingen“, ließ sich Klara auf einen der beiden Sessel fallen. „Mein Pferd lässt du bitte ganz und Nandu auch, nachdem wir ihn gerettet haben“, erwiderte Isabelle lachend. Maxi, Wiebke, Isa und Merle nahmen auf der Couch Platz, während Ronja im Ohrensessel niedersank. „Hier sind noch meine Müslimuffins!“, holte Wiebke eine Tupperbox aus ihrem Rucksack. „Oh Gott, das wird echt zu viel!“, stieß Maxi aus. „Ich glaube, dann brauche ich meine Waffeln erst gar nicht auf den Tisch stellen“, murmelte Ronja, die allen etwas Rührei mit Schminken auftat. „Mädels, nun mal halb lang! Es gibt auch noch den Nachmittag und wenn wir nachher vom Ausritt wiederkommen, haben wir bestimmt wieder Hunger.“ Die Mädchen langten kräftig zu, als wären sie jahrzehntelang auf Diät gesetzt worden. „Vielen Dank für alles, ihr seid wirklich die besten Freundinnen der Welt! Grazie, le mie amiche!“ – „Seit wann sprichst du italienisch mit uns?“, lachte Klara kurz auf. „Maxi hat halt zwischendrin ihre italienischen Momente“, schmunzelte Isa. „Aber sie ist nur Halbitalienerin“, erinnerte Merle sie. „Das ist doch egal“, warf Wiebke ein. „Die Vorfahren von Isa und mir kommen aus Ostpreußen.“ – „Wo liegt das?“, fragte Klara. „Im heutigen Polen“, wusste Wiebke Bescheid. „Wusstet ihr, dass meine Mutter irische Großeltern hat?“, meldete sich Klara zu Wort. „Aha, daher kommen deine roten Haare“, kommentierte Merle. „Keine Ahnung!“, zuckte Klara mit den Achseln. „Laut meines Vater sollen einige meiner Vorfahren aus Dänemark kommen“, meinte Merle. „Und meine Urgroßmutter war Holländerin“, fügte Ronja hinzu. „Seht ihr, wir sind bis zu einem gewissen Grad international“, schmunzelte Maxi.

 

„Ich habe genug gegessen, ich falle sonst gleich vom Pferd“, stöhnte Isa, nachdem sie noch ein paar Ostereier aus Schokolade verdrückt hatte. „Veranstaltet Ellen eigentlich wie jedes Jahr das Ostereiersuchen im Garten?“, fragte Klara. „Ich denke schon“, nickte Merle. Kaum dass sie davon sprachen, klopfte es an der Tür. „Ach du bist es, Marlon!“, öffnete ihm Maxi die Tür. „Ich denke, ihr wisst doch, worum es geht, oder?“, schaute er die sechs Mädchen an. „Klar, wir kennen das Ritual schon“, nickte Merle. „Hä? Was denn?“, hob Wiebke fragend ihren Kopf. „Jedes Jahr lädt Ellen ihre Reitschüler am Ostersonntag zum Eiersuchen in ihren Garten ein“, klärte Isabelle ihre Cousine auf. „Cool, ich bin schon mal dabei“, war Wiebke sofort Feuer und Flamme. „Okay, ihr wärt die letzte Gruppe, die Jüngeren waren schon vor euch an der Reihe“, sagte Marlon. „Eigentlich bin ich dafür schon fast zu alt“, raunte Maxi Isa zu. „Egal, es ist eine Tradition“, erwiderte diese. Die Mädchen folgten ihm und wurden auf dem Hof von Ellen empfangen, die ihnen frohe Ostern wünschte. „Cool, dass ihr doch mitmacht“, freute sich ihre Reitlehrerin. Neben ihr stand Finley, der in diesem Moment etwas schüchtern wirkte. „Ich wurde auch eingeladen“, raunte er Merle und Isabelle zu. „Hast du schon mit Astral trainiert?“, wollte Merle wissen. „Ja, ich hatte von acht bis neun Uhr den Platz komplett für mich allein“, nickte er. „Ihr kennt das Spiel schon“, wandte Ellen sich an die Mädchen, „Ich drücke euch Körbe in die Hand und ihr geht im Garten auf die Suche.“ – „Klar doch, ich kenne es schon“, nickte Isa. Ellen hatte nicht nur Ostereier und Hasen aus Schokolade versteckt, sondern auch Schminkartikel und Nagellack. Das Gelächter war groß, als Finley eine kleine Lidschattenpalette fand, die er freiwillig an Merle abtrat. „Ich habe zwar ein Pferd“, lachte er. „Aber noch schminke ich mich nicht.“ – „Das sähe nur zu witzig aus“, gickerte Maxi. „Dürfen wir dich denn wenigstens einmal schminken, Finley?“ – „Nein, ich sage dazu nur, no make up form me!“, lehnte er rigoros ab. „Verdammt, ich sehe, dass wir kaum noch Zeit für den Ausritt haben“, sah Isabelle auf ihre Uhr. „Isa, wir müssen um halb eins zuhause sein“, zog Wiebke sie am Ärmel. „Oh nein, wir müssen wir der Stelle los“, seufzte ihre Cousine. „Lasst ihr uns jetzt hängen?“, machte Maxi ein empörtes Gesicht und konnte dabei ein Grinsen nicht unterdrücken. „Ist doch nur Eiersuchen“, erwiderte Wiebke lässig. „Aber das ist doch so schwer“, ächzte Klara und tat so, als hätte sie Backsteine im Korb. „Wartet mal!“, rief Merle die beiden Cousinen zurück, „Wenn ihr mögt, können wir heute Nachmittag ausreiten und danach trinken wir Kaffee. Ich muss gestehen, dass ich Maxis Geschenk zuhause vergessen habe“ – „Merle, was ist nur in dich gefahren? Sind das schon erste Anzeichen von Demenz?“, nahm Klara sie hoch. „Ich musste an so viel denken“, erwiderte Merle. „Die ganze Organisation blieb natürlich an mir hängen“ – „Jetzt mach dich mal nicht so wichtig“, wies Ronja sie an. „Wir haben genauso viel getan wie du.“

 

Am späten Nachmittag ritten die lustigen Hufeisen aus. Die Sonne kam raus und der Frühling lag unüberriechbar in der Luft. Seit einigen Wochen erwachte die Vegetation zu neuem Leben, schon schien die Umgebung viel grüner als sonst. „Wir haben es doch noch auf die Rücken unserer Vierbeiner geschafft“, war Klara überglücklich. „Oh ja, das macht den Tag umso schöner. Und es war total cool von euch, dass ihr Fabella schick gemacht habt. Sie glänzt mehr als jedes Goldstück und dazu noch die Blumen in ihrer Mähne“, strahlte Maxi, die mit Isabelle an der Spitze ritt. „Wollen wir galoppieren?“, schlug Klara vor, als sie eine offene Wiese fanden, und feststellten, dass der Boden schon trocken war. „Ja, super Idee“, zeigte sich Merle begeistert. „Ich fordere euch zum Wettrennen der Lustigen Hufeisen auf!“, rief sie übermütig. „Nein, ich mache da nicht mit“, schüttelte Wiebke heftig den Kopf. „Du bist nicht gezwungen mitzumachen, zumal du noch Anfängerin bist“, sagte Isa zu ihrer Cousine. Ronja bot an, bei Wiebke zu bleiben, damit Alaska nicht unruhig würde. Den Weg zur Wiese legten die Freundinnen im Trab zurück. Kaum hatten sie die große erreicht, trieben die Mädchen ihre Pferde in den Galopp. Nur Ronja und Wiebke brachten ihre Ponys mit einiger Mühe zum Stehen. Beherzt griff Ronja in Wiebkes Zügel, damit Alaska den anderen nicht wild folgen konnte. Bald darauf hörte man das Donnern der Hufe. Maxi, die mit Abstand das schnellste Pferd hatte, setzte sich gleich an die Spitze. Merle und Isabelle folgten ihr und dann kamen weit abgeschlagen Klara und Nandu. Zum Glück warteten sie hinten an der Hecke auf sie.

 

Im Trab wollten Klara und Wibke ihren Freundinnen folgen. Dabei hatten ihre Ponys viel mehr Lust auf einen kleinen Galopp. „Sei kein Angsthase!“, sagte Wiebke in Gedanken zu sich. In der Halle und auf dem Platz war sie bereits mehrere Male galoppiert. Warum sollte es hier draußen nicht klappen? „Komm, Alaska, wir zeigen es denn anderen!“, raunte sie der kleinen Schimmelstute zu. Erst nachdem sich Wiebke innerlich überwunden hatte, gab sie dem Pony die Galopphilfe, und galoppierte sachte an. Es fühlte sich wunderbar an, fast wie Fliegen. „Wiwi, galoppierst du wirklich?“, vernahm sie Klaras Stimme, die ihr bald im Galopp folgte. An der Hecke bremste Alaska von allein ab und kam neben Ronja und Randy zum Stehen. „Bravo, du traust dich was!“, lobte Maxi. „Ich bin echt beeindruckt von dir!“, schloss sich Isabelle ihr an. „Wäre ich kein Lustiges Hufeisen, könnte ich noch nicht mal halb so gut reiten“, meldete sich Wiebke zu Wort, die vor Verlegenheit ganz rot geworden war. „Ja, in unserer Bande zu sein, trainiert ganz schön“, bestätigte Ronja. „Obwohl meine Eltern schon am Meckern sind, dass ich zu wenig trainiere“, sagte Merle. „Ich hatte einfach andere Sorgen, vor allem wegen Nandu, und bin dann nicht mehr regelmäßig zu den Reitförderstunden gegangen“ – „Das geht mir genauso“, nickte Maxi. „Zumal Merle und ich mit der Tanzschule ein Broadway-Musical aufführen und die Premiere ist schon am nächsten Samstag.“ – „Stimmt, es ist manchmal wirklich stressig, Schule, Pferde und andere Hobbies unter einen Hut zu kriegen“, meinte Isabelle dazu. „Meine Gitarrenlehrerin war neulich unzufrieden, dass ich die neuen Griffe nicht konnte.“ – „Zum Glück haben wir unsere Vierbeiner, sodass wir im stressigen Alltag für ein paar Stunden abschalten können“, schätzte sich Ronja glücklich. „Oh ja, Nandu ist mein Glück auf vier Beinen“, lächelte Klara und tätschelte ihrem Connemara Pony liebevoll den Hals. „Seht ihr, Klara ist wieder die Alte nachdem wir Nandu gerettet haben“, raunte Maxi Wiebke und Isa zu. Es war nun fast drei Wochen her, dass sie Nandu für ihre Freundin erkämpft hatten, seitdem waren all die Zweifel und Klaras Traurigkeit in Luft aufgelöst. Eine verbitterte und verzweifelte Klara war genauso wenig auszuhalten, wie zehn Klassenarbeiten auf einen Schlag.

 

Die Mädchen wählten den Rückweg über den Weiher. „Ich muss dir etwas erzählen, Wiebke“, begann Merle. „Du warst relativ weit hinten, als wir das Rennen untereinander entschieden haben, daher hast du es wahrscheinlich nicht gesehen. Ich habe…“ - „Sei still, Merle!“, fauchte Maxi. „Ich habe das Wettrennen vor Maxi gewonnen“ – „Was kann ich dafür, dass sich Fabella vor einem Kaninchen erschreckt, dass unseren Weg kreuzen musste“, echauffierte sich Maxi. „Fabella ist zur Seite ausgebrochen und ein Stück in die falsche Richtung gelaufen, bis ich sie wieder unter Kontrolle hatte.“ – „Oha, dein Pferd würde mich wahnsinnig machen. Fabella wäre eindeutig nicht mein Fall“, rollte Merle mit den Augen. „Das ist halt Fabella und ich liebe sie so, wie sie ist. Weder Mensch noch Pferd ist perfekt“, nahm Maxi ihre Stute in Schutz. Ihr wäre es eindeutig zu langweilig mit einem lahmen Verlasspony. Ihr Pferd brauchte ein gewisses Temperament-genau wie sie selbst. „Die Welt wäre auch langweilig, wenn alles perfekt wäre“, meinte Wiebke dazu. Die Mädchen genossen den Ritt durch die Natur. „Seht, am Weiher sind total viele Vögel. Wahrscheinlich sind darunter viele Zugvögel. Schade, dass ich mein Bestimmungsbuch nicht dabei habe, sonst könnte ich die meisten Arten bestimmen“, deutete Ronja auf den kleinen See. „Jetzt fang bloß damit nicht an, wir sind nicht im Biounterricht“, murmelte Merle und verdrehte die Augen. „Musst du immer solche spöttischen Kommentare von dir geben?“, mischte sich Maxi ein. „Ronja freut sich doch nur, dass die Natur wieder zum Leben erwacht“ – „Ganz genau, du machst ständig abwertende Kommentare, Merle“, bekräftigte Isa. „Aber ich meine das doch gar nicht böse“, musste Merle schlucken. „Es rutscht mir manchmal so raus. Ich entschuldige mich schon mal im Voraus, falls ich ein loses Mundwerk habe.“ – „Wie gesagt, niemand ist perfekt“, meinte Klara nur. Ohne viel zu reden, ritten sie im Schritt den schmalen Pfad entlang und sogen dabei jede Frühlingsimpression in sich ein. „Nachher lassen wir den Lustigen-Hufeisen-Tag am Feuer ausklingen“, freute sich Isa auf das bevorstehende Osterfeuer.

 

Im Bandenquartier wartete der wichtigste Part des Tages. Maxi durfte alle vierzehn Kerzen auf ihrem Geburtstagskuchen auspusten und bekam ihr Geschenk überreicht. „Wenn ihr mir zu fünft ein Geschenk macht, muss es wohl ziemlich teuer sein“, hielt sie die Schachtel in der Hand. „Mach einfach auf“, forderte Klara. Langsam hob sie den Deckel ab und fand zunächst eine Tüte Haribo und zwei Tafeln Schokolade vor. „Das ist Nervennahrung, das ist nur nebensächlich“, sagte Wiebke. Als nächstes fand Maxi eine Flasche mit dunkelrotem Nagellack vor. „Passt wunderbar zu meinem neuen Oberteil“, hielt sie die Nagellackflasche an ihren schulterfreien weinroten Pullover. „Jetzt hol den Umschlag raus!“, drängte Isabelle. Einen Moment später hüpfte Maxi übermütig auf und ab. „Danke, danke, danke! Das ist so ein cooles Geschenk! Ein Fotoshooting? Ist das euer Ernst? Wisst ihr, wie teuer das ist?“, plapperte sie drauf los. „Meine Eltern haben das größtenteils bezahlt und jede von uns hat noch zehn Euro draufgelegt“, erzählte Merle. Maxi, die vor Freude außer sich war, drückte jede Freundin ganz fest. Isa lief los, um warmen Kakao aus dem Reiterstübchen zu bunkern. Schließlich durfte Maxi ihren Kuchen anschneiden und tat allen ein Stückchen auf. „Wisst ihr was?“, begann Merle, „Jedes Mal wenn wir Geburtstag feiern, lassen wir uns etwas ganz Besonderes einfallen. Für mich steht fest, dass ich an meinem Geburtstag eine richtige Poolparty feiern werde“ – „Natürlich, du hast auch im Sommer Geburtstag“, nickte Ronja. Isa schenkte jeder Freundin Kakao ein, damit sie zusammen anstoßen konnten. „Auf Maxi!“, stießen die Freundinnen anschließend mit den Kakaotassen an.

 

Als es dunkel war, entzündete der Mann von Ellen auf der Wiese hinter dem Reitplatz das Osterfeuer. Inzwischen waren viele Freunde, Bekannte und Familienmitglieder der Lustigen Hufeisen gekommen und von Minute zu Minute kamen neue Leute. „Ich sehe Finley!“, raunte Merle aufgeregt. „War ja klar, dass du kein Halten mehr kennst, wenn du ihn siehst“, frotzelte Isa. „Blödsinn, er ist nur mein bester Kumpel“, fuhr Merle ihr über den Mund. Maxi, Isa und Klara tauschten vielsagende Blicke aus. Bei Merle und Finley steckte mehr dahinter, als nur Freundschaft. „Hi, so sieht man sich wieder“, begrüßte Finley die Mädchen. „Hi, bist du alleine hier?“, fragte Wiebke. „Nein, meine ganze Familie ist hier, aber meine Eltern unterhalten sich eben mit anderen Erwachsenen“, schüttelte er den Kopf. „Ausgerechnet meine Mutter unterhält sich mit seinen Eltern“, klang Merle nicht besonders begeistert. „Stellt euch vor, sie würden sich über Pferde unterhalten. Davon hat Mama überhaupt keine Ahnung und würde sich blamieren“ – „Vielleicht unterhalten sie sich auch darüber, was zwischen euch beiden läuft“, konnte Maxi nicht verhindern, dass sie loskichern musste. „Haha, sehr witzig!“, fauchte Merle. „Zwischen uns läuft gar nichts.“ – „Meine Güte, niemand behauptet, dass du mit ihm zusammen bist“, legte Ronja beruhigend den Arm um sie. „Hättet ihr Lust auf Pommes und Bratwurst?“, fragte Finley die Lustigen Hufeisen. „Gerne, bevor die Würstchen nachher ausverkauft sind“, nickte Klara. „Irgendwie kannst du immer essen wie ein Scheunendrescher“, tickte Isabelle sie an. „Na und? Ich mache genügend Sport, sodass ich in Form bleibe“, erwiderte ihre Freundin. Merle und Finley lotsten sie zu einem freien Biertisch, wo sie sich hinsetzen konnten. „Merle und ich besorgen Pommes und Bratwürstchen“, beschloss Finley. Isabelle und Maxi liefen zum Getränkewagen, um Cola und Limonade zu besorgen. „Irgendwie bin ich müde“, gähnte Wiebke. „Du und müde? Du hast von uns am längsten geschlafen“, sah Klara sie eindringlich an. „Ich kann es aber verstehen, schließlich haben wir viel gemacht“, meinte Ronja, die ebenfalls nicht mehr die Munterste war.

 

Während sie aßen, gesellte sich Marlon zu ihnen. „Hi, wie geht es euch?“, erkundigte sich er. „Soweit ganz gut“, antwortete Merle für alle. „Astral wird bei jedem Training immer besser“, meldete sich Finley zu Wort. „Das ist doch super“, freute sich Marlon. „Ich kann mir vorstellen, dass du im Juni mit ihm beim Juniorenturnier teilnimmst. Dieses Jahr findet es bei uns auf dem Hof statt, quasi ein Heimspiel“ – „Cool, daran will ich auf jeden Fall teilnehmen“, leuchteten Merles Augen. „Das ist auf jeden Fall möglich, ihr habt noch ein bisschen Zeit, um es euch zu überlegen.“ Marlon verschwand kurz, um sich selber etwas zu Essen und zu Trinken zu holen, und setzte sich anschließend neben Maxi und gratulierte ihr zum Geburtstag. „Hast du die Trennung inzwischen verkraftet?“, fragte er sie. „Inzwischen schon“, bejahte sie. „Obwohl ich mich trotzdem danach sehne, dass ein Junge mich richtig liebt.“ – „Das kann ich verstehen, die Zeit während der Trennung muss hart gewesen sein“, nickte er verständnisvoll. „In den ersten Tagen habe ich abends oft in meinem Zimmer gesessen und geweint, obwohl ich diejenige war, die die Beziehung beendet hat. Aber es tut enorm weh, wenn man sich eingestehen muss, dass die Beziehung gescheitert ist, weil man nicht mehr zueinander passt“, erzählte sie und fragte nach einer Weile: „Ist Jasmin gar nicht hier?“ – „Doch, sie war bis gerade eben noch hier“, erwiderte Marlon. „Sie musste nach Hause, weil ihre Oma krank ist“ – „Weißt du, dass wir in der Tanzgruppe zusammen mit Jasmins Gruppe trainieren?“, schnitt Maxi ein neues Thema an. „Oh ja, Jasmin ist eine wahre Tanzmaus“, nickte er. „Tanzen ist ihr Ding, dafür steht sie nicht so auf Pferde. Ich habe sie nur zweimal während unserer Beziehung aufs Pferd bekommen, ihr sind die Tiere einfach zu groß“ – „Wusstest du, dass nächsten Samstag in der Stadthalle die Premiere unseres Musicals stattfindet?“, hakte sie nach. „Aber logo!“, bejahte er, „Mama und ich haben schon Karten gekauft“ – „Cool, das ist ja sensationell“, freute sich Maxi. „Feierst du deinen Geburtstag auch noch mit deiner Familie?“, wollte er wissen, als sie sich kurz angeschwiegen hatten. „Auf jeden Fall. Morgen kommen noch meine Verwandten und wir werden in unserem Restaurant essen“, sagte sie. „Stimmt, haben deine Eltern nicht eine Eisdiele?“, forschte er nach. „Ja, die wird von meinem Onkel und meiner Tante betrieben, obwohl meinen Eltern die Eisdiele eigentlich auch noch gehört. Aber zwei Sachen sind einfach zu viel, deshalb konzentrieren wir uns mehr auf das Restaurant. Manchmal helfe ich auch in der Eisdiele aus, wenn ich mal Zeit dazu habe. Wir sind halt ein richtiges Familienunternehmen.“ – „Merle hat mir erzählt, dass deine Mutter früher ein bekanntes Model war“, griff Marlon das nächste Thema auf. „Aber das war noch lange vor meiner Geburt, aber dadurch hat sie sich eine goldene Nase verdient, weswegen wir unser teures Haus bauen konnten. Ab und zu ist Mama als Designerin tätig, aber das eher nebenbei“, erzählte sie. „Du magst ihn anscheinend sehr gerne“, flüsterte ihr Ronja ins Ohr. „Er ist auch ein netter Kerl, viel reifer und erwachsener als die Jungs in unserem Alter“, raunte sie ihrer Freundin zu.

 

Je später es wurde, desto kälter wurde es. Obwohl die Lustigen Hufeisen dicke Jacken und Reitwesten trugen, begannen sie trotzdem zu frösteln, und gingen näher an das Osterfeuer heran. „Wer von uns wohl die kältesten Hände hat?“, streckte Merle ihre Hände aus, sodass jeder einmal fühlen konnte. Finley hatte von allen die wärmsten Hände, weshalb Merle ihre klammen Finger bei ihm aufwärmte. „Seht ihr, es funkt!“, wisperte Klara, sodass es ihre beste Freundin nicht hören konnte. „Oh Gott, sieh mal, wer da herum läuft!“, packte Maxi Isabelle am Ärmel. Im Schein des Feuers war zu erkennen, dass Patrick und Julia an ihnen vorbei liefen. „Ist doch klar, dass diese blöde Tussi sich an seinen Arm klammert“, flüsterte Maxi ihrer besten Freundin ins Ohr. „Für dich ist Patrick Geschichte! Du brauchst dir daraus nichts mehr zu machen“, erwiderte Isa achselzuckend. „Trotzdem ist das so ein merkwürdiges Gefühl“, seufzte sie. „Als ich mit Patrick zusammen war, ließ er sich nie auf dem Reiterhof blicken. Plötzlich saß er am Montag während der Dressurstunde auf der Zuschauertribüne, um Julia zu zugucken.“ – „Mach dir nichts aus dem Idioten, du hast ihn zum Glück rechtzeitig abserviert. Bestimmt hat Julia ihn mit irgendetwas bestochen, damit er hier her kommt“, mutmaßte Isabelle, worauf die beiden Freundinnen grinsen mussten.

14. Kapitel

 

 „Hier sind unsere Plätze“, navigierte Isabelle ihre Freundinnen durch die vorderen Sitzplatzreihen der sich mit Menschen füllenden Stadthalle. „Oha, ein Wunder, dass wir uns bei den vielen Leuten nicht bereits verloren haben“, hielt sich Wiebke an Isas Arm fest. „Mädels, guckt mal, da vorne ist Finley!“, raunte Ronja ihren Freundinnen zu. „Wem er bloß nur zuschauen will?“, grinste Klara süffisant. „Und seine Eltern und seine Schwester hat er offenbar auch mitgebracht“, nickte Isa. „Ach hallo, ihr auch hier!“, drehte sich  der  Halbengländer zu ihnen um. „Natürlich, wir lassen uns Maxis und Merles Auftritt nicht entgehen“, bejahte Ronja. „Das freut mich, ich finde, dass  Cats ein cooles Musical ist“ – „Aber du bist auch wegen Merle da“, platzte es aus Wiebke heraus, wofür sie sich einen heftigen Rippenstoß von ihrer Cousine einhandelte. „Na klar guck ich mir den Auftritt auch wegen ihr an“, bestätigte er nickend. „Schließlich ist Merle eine gute Freundin von mir.“ Nur eine gute Freundin? Wiebke und Klara  tauschten vielsagende Blicke aus, aber sagten nichts dazu. Schließlich wollte sie sich nicht in eine unangenehme oder gar peinliche Situation bringen. „Okay, wir wollen uns zu Merles  Eltern setzen“, blies Isabelle zum Aufbruch und schob ihre Freundinnen vorwärts. „Tschüss, vielleicht sehen wir uns später“, verabschiedete sich der Junge, während die vier Freundinnen ihm hinterher winkten.  „Hallo, da seid ihr ja“, rief ihnen der Vater von Merle zu. „Schön, dass ihr gekommen seid“, begrüßte Merles Mutter sie. Neben Merles Eltern saßen die Verwandten von Maxi. „Ich soll euch ausrichten, dass Maxis Familie uns nachher in ihr Eiscafé einlädt“, teilte der Vater von Merle den Lustigen Hufeisen mit.

 

Die Mädchen ließen sich auf ihren Plätzen nieder. „Hoffentlich wird das nicht so eine langweilige Show“, murmelte Klara und faltete ihre Eintrittskarte. „Ach was!“, entgegnete ihr Ronja. „Ich habe Cats schon mal im Fernsehen gesehen, da haben sie nur durchgehend gesungen, und die Musik war so öde“, fuhr Klara mit einem leicht gelangweilten Blick fort. „Man kann jedes Musical anders interpretieren und die Darstellung verändern“, versuchte Ronja ihr zu erklären. „Ich glaube, es wird schon toll.“ – „Seid leise!“, legte Isabelle ihren Zeigefinger auf die Lippen. Der Vorhang öffnete sich und rund zwanzig Darsteller standen in Katzenkostümen auf der Bühne. Die Musik legte los und die Katzen begannen zu tanzen und sich akrobatisch zu verrenken. „Und wer von ihnen ist Merle oder Maxi?“, flüsterte Wiebke. „Das kann ich noch nicht sagen“, zuckte Isabelle mit den Achseln. Obwohl jeder Darsteller ein leicht abgewandeltes Kostüm trug, war es schwer, sie voneinander zu unterscheiden. Erst nach einer Weile stellten die Lustigen Hufeisen fest, dass Maxi eine edle schwarze Katzendame verkörperte, und Merle im Kostüm einer weißorangen Tigerkatze steckte. Klaras Befürchtung, dass während des Musicals nur gesungen wurde, bestätigte sich nicht. Theaterszenen, Tanz und Gesang wechselten sich immer ab. „Ich finde diese Produktion viel besser, als das was ich im Fernsehen gesehen habe“, sagte Klara in der Pause, als sie sich Limonade besorgten. „Ja stimmt, das ganze Ensemble hat sich sehr viel Mühe gegeben, das so toll umzusetzen“, pflichtete ihr Ronja bei. Gerade als die vier Mädchen sich wieder in Richtung Zuschauerraum begaben, wurden sie von hinten angesprochen. „Hallo Marlon!“, drehte sich Isabelle überrascht um. „Hast du vergessen, dass ich auch hier bin?“, grinste er verschmitzt und fügte hinzu: „Ellen ist auch hier, aber sie unterhält sich gerade mit einer Mutter von einer Reitschülerin, die ebenfalls bei diesem Musical mitmacht“ – „Ist es zufällig Maxis Mutter?“, grinste Wiebke, die ihre Reitlehrerin im Getümmel entdeckt hatte. „Das ist sie“, nickte Isa.

 

Nach einer Viertelstunde Pause ging es weiter. Die Mädchen machten heimlich Bilder mit ihren Handys und drehten kurze Filmchen, während Merles Vater die gesamte Vorführung mit seiner Kamera aufnahm. „Maxi ist heute richtig in Topform“, fand Klara. „Nur zu schade, dass sie zurzeit keinen Verehrer hat.“ – „Aber Merle ist mindestens genauso gut wie Maxi“, warf Ronja ein. „Allgemein hat die Tanzschule ein gutes Ensemble.“ – „Könnt ihr mal leise sein?“, zischte eine Frau um die vierzig genervt. „Sorry, wir wollten nicht stören“, flüsterte Isabelle so leise, dass man es kaum verstehen konnte. Das nächste Lied, das kam, wurde von Maxi als Solo gesungen. Den Lustigen Hufeisen blieb fast die Spucke weg, ihre Freundin hatte wirklich eine geniale Stimme. Maxi war nicht nur die geborene Tänzerin, sondern allgemein eine Vollblutkünstlerin, die ihre Stärken auch im Singen, Malen und Schauspielern hatte. Merle hingegen wirkte fast ein bisschen hölzern, aber zugleich frech und mutig in ihrer Rolle, die auf sie zugeschnitten war. Selbstbewusst und mutig, so war Merle auch im richtigen Leben. Nach anderthalb Stunden Vorführung schloss sich der Vorhang kurz, bevor er sich danach wieder öffnete. Alle Darsteller standen dahinter in einer langen Reihe und mussten sich mehrmals verbeugen, da die Zuschauer nicht aufhörten zu klatschen und eine Zugabe forderten. Schließlich trat eine der älteren Tanzschülerinnen auf der Bühne und sang den Titelsong noch einmal.

 

Nach dem Auftritt trafen sich die Lustigen Hufeisen im Eiscafé von Maxis Familie. Damit nicht jeder beliebige Kunde in die Eisdiele kam, wurde ein Schild aufgehängt, dass es sich um eine geschlossene Gesellschaft handelte. Maxis Eltern hatten unzählige Verwandte, Freunde und Bekannte eingeladen, selbst die Eltern von Maxis Freundinnen waren anwesend. Um die Stimmung zu heben, wurde Musik angemacht. Aber nicht zu laut, da man sich noch unterhalten wollte. Isabelle fiel auf, dass das kleine Lokal mit vielen Blumen, Duftkerzen und Herzgirlanden geschmückt war. „Meine Eltern feiern heute ihren 15. Hochzeitstag“, grinste Maxi. „Davon hast du uns aber nichts erzählt, du Geheimniskrämerin!“, stieß Merle sie an und tat so, als wäre sie empört. „Sollte auch eine Überraschung werden“, strahlte ihre Freundin. „Ich habe gestern meine Eltern überreden können, dass ich ein paar meiner Freunde einladen darf“ – „Nochmal vielen Dank!“, fiel ihr Wiebke um den Hals. Die Mädchen gingen zum großen Tisch, wo ein großes Eisbüffet aufgebaut war. Aus über zwanzig verschiedenen Eissorten, mehrere Arten von Soßen, Waffeln, Früchten, Süßigkeiten und Crêpes konnten sie sich ihre eigenen Eisbecher zusammenstellen. Zu trinken gab eine große Auswahl von Fruchtsäften, Cocktails, Softdrinks und alkoholischen Getränken. Luigi, der zusammen mit zwei seiner Kumpels kellnerte, schenkte jedem Gast entweder  Sekt oder Orangensaft zum Anstoßen ein.

 

„Sieh mal einer an, die Jungs haben uns schon einen Tisch reserviert“, grinste Merle und zeigte auf den Tisch am Fenster. „Hast du Finley und Marlon auch eingeladen?“, klang Isabelle erstaunt. „Ja, ich habe meiner Mutter gesagt, dass sie auch kommen dürfen, schließlich gehören sie irgendwie dazu“ – „Das stimmt, hier ist man wie in einer großen Familie“, strahlte Klara und legte ihre Arme um Ronja und Wiebke. „Oh ja, ihr seid ein Teil meiner Familie“, nickte Maxi. „Sind auch deine Verwandten aus Italien da?“, fragte Wiebke, da am Nachbartisch Italienisch gesprochen wurde. „Ja, da sind Nonna und Nonno“, begann Maxi ihre Verwandtschaft vorzustellen. „Was?“, machte Klara ein fragendes Gesicht. „Oma und Opa“, übersetzte Isabelle schnell. „Ihnen sitze meine Tante Rosina, mein Onkel Marco und meine neunjährige Cousine Livia gegenüber“, fuhr Maxi fort. „Können sie auch Deutsch?“, fragte Merle. „Na klar, Livia lernt es seit der ersten Klasse.“ Während sie ihre fantasievoll gestalteten Eisbecher genossen, kamen sie auf das Musical zu sprechen. Besonders Maxi bekam wegen ihrer tänzerischen und musikalischen Darstellung von allen Seiten Komplimente, sogar von Erwachsenen, die an ihrem Tisch vorbei gingen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ihr so gut seid“, war Marlon immer noch beeindruckt. „Na klar, was denkst du denn von uns?“, mischte sich Merle ein. „Du kennst uns nur vom Reiten. Übrigens die Tanzaufführung ist der Grund, wieso ich nicht mehr regelmäßig zum Springtraining gekommen bin. Ich bin sowieso mit vielen Dingen beschäftigt, daher überlege ich mir, ob ich vielleicht erst im Herbst an einem richtigen Turnier teilnehme.“ – „Das musst du wissen“, meinte ihr Kumpel dazu. „Wichtig ist nur, dass du dir nicht zu viel  Stress machst. Es finden auf jeden Fall noch weitere Turniere auf unserem Hof statt und wenn ihr an einem Hobbyturnier teilnehmen wollt, habt ihr in zwei Monaten die Gelegenheit dazu, denn da findet unser Sommerfest statt.“

 

Isabelle und Maxi beobachteten die ganze Zeit, wie Finley und Merle miteinander turtelten, und sich gegenseitig mit Kirschen und Schokoladenplättchen fütterten. „Ich sag doch, dass sie zusammen sind“, flüsterte Maxi ihrer besten Freundin ins Ohr. „Ich finde die beiden zusammen total süß“, grinste Isa. Gerade als sich Merle mit Klara und Ronja unterhielt, näherte sich ihr Finley von der Seite und versuchte, sie zu küssen. Als sich ihre Lippen fast berührten, stieß Merle ihn unsanft von sich weg. „Lass das!“, fauchte sie. Dann stand sie auf und verließ das Café. „Lass uns ihr nachgehen“, raunte Maxi und zog Isabelle hinter sich her. Draußen vor dem Eiscafé saß Merle an einem der ungedeckten Tische. „Finley ist voll peinlich, das hat gerade bestimmt jeder gesehen“, beklagte sich Merle, als sie ihre beiden Freundinnen entdeckte. „Mach dir nichts daraus, das war nur ein Liebesbeweis“, legte ihr Maxi den Arm um die Schulter. „Ich hatte meinen ersten Kuss schon mit elf.“ – „Du bist auch ein anderer Fall als ich“, murrte Merle. „Ich werde erst im übernächsten Monat dreizehn und ich will einfach noch keine Beziehung. Ich merke, dass ich noch nicht so weit bin, dass ich mich darauf einlassen kann.“ – „Lass einfach dein Herz sprechen. Sag Finley, dass du mit ihm befreundet sein willst, aber noch nicht mit ihm gehen möchtest“, redete Isabelle auf sie ein. „Ich will  ihn aber auch nicht verletzen“, seufzte Merle. „Ich weiß, das kann ich verstehen“, sah ihr Maxi in die Augen. „Mir wäre es auch unangenehm, aber manchmal muss die Wahrheit raus.“

 

Als sich Merle wieder beruhigt hatte, ließ sie sich von Maxi und Isa wieder nach drinnen führen. Allerdings tauschte sie ihren Platz mit Isabelle, weil sie für den Rest das Abends nicht mehr neben Finley sitzen wollte, der sich gerade mit Klara über das letzte Hockeyspiel unterhielt, da beide in der Schulmannschaft spielten. „Hi Sorella, das war ein fantastischer Auftritt von dir! Weiter so!“, kam Luigi zu ihrem Tisch und legte Maxi die Hand auf die Schulter. „Was heißt Sorella?“, zog Ronja die Stirn kraus. „Das ist Schwester auf Italienisch“, wusste Isabelle Bescheid. „Dass die beiden immer italienische Vokabeln in ihren Wortgebrauch einfügen müssen“, bemerkte Wiebke. „Man hat den Eindruck, dass sie eine Geheimsprache haben.“ – „Eventuell lästern sie noch in ihrer Sprache über uns“, mischte sich Klara grinsend ein. „Aber nein, so ist unsere gute Maxi zum Glück nicht.“ Den Mädchen entging nicht, dass hinter Luigi eine zierliche Frau um die zwanzig Jahre stand, die ihre mittelblonden Haare zu einem Zopf gebunden trug. „Luigi, ist das deine neue Flamme?“, konnte Maxi ihre Neugierde nicht länger bremsen. „Du hast es erraten“, lachte ihr Bruder auf. „Das ist Mareike, sie ist zwei Jahre älter als ich, und studiert Pharmazie. Vielleicht interessiert es euch, dass sie eine begnadete Dressurreiterin ist, genauso wie Maxi.“ – „Hallo, ich bin Maxi und die Mädels an meinem Tisch sind meine besten Freundinnen, mit denen ich in eine Klasse gehe“, gab Maxi der jungen Frau die Hand und begann gleich ihre ganze Tischrunde vorzustellen. „Freut mich euch kennen lernen zu dürfen“, lächelte die Freundin ihres Bruders. „Er hat mir schon einiges von euch erzählt. Dass ihr eine richtig coole Bande seid, die jede freie Minute bei den Pferden im Stall verbringt. Insofern passt ihr sehr gut zu mir, ich habe nämlich auch ein eigenes Pferd.“ – „Ja, wir sind die Lustigen Hufeisen“, bestätigte Merle.

 

Es wurde ein richtig schöner und ausgelassener Abend. Maxis Vater und ein paar seiner Freunde schoben Tische und Stühle beiseite, damit getanzt werden konnte. Ein befreundeter DJ sorgte dafür, dass die Gäste durchgehend in Tanzlaune waren. Die Lustigen Hufeisen schwangen das Tanzbein und halfen beim Ausschenken der Getränke. Ab und zu unterhielten sie sich mit Mareike, die auf Anhieb einen freundlichen Eindruck machte. Allerdings war auffällig, dass Merle Finley stehen ließ. Isabelle und Maxi beschlossen, ihm Gesellschaft zu leisten, als er neben einem Palmenkübel mutterseelenallein in der Ecke stand. „Ich weiß auch nicht, warum sie auf einmal so abweisend ist“, zuckte er mit den Achseln, als Maxi ihn darauf ansprach. „Keine Sorge, Merle beruhigt sich wieder. Sie muss sich erst wieder einkriegen, wenn sie sauer ist. Ich kenne das, ich bin schon einige Jahre mit ihm befreundet“, versuchte Isa ihm Mut zu zusprechen. Er nickte nur und spielte auf seinem Handy. Maxi forderte ihn auf, das Handy wegzulegen. Anschließend nahmen die beiden Mädchen seine Hände und zogen ihn auf die Tanzfläche, damit er nicht so im Abseits stand, und er doch seinen Spaß hatte.

 

Zwei Tage lang hatte Merle weder mit Finley gesprochen noch geschrieben. Sie ließ ihn einfach links liegen, auch als sie sich zufällig im Stall trafen. „Ich will nicht, dass alle von mir und Finley denken, dass wir ein Paar sind. Er ist Samstag einfach zu weit gegangen und manchmal habe ich das Gefühl, er drängt sich regelrecht auf“, hatte sie zu Ronja und Isabelle gesagt, als sie den schönen Frühlingstag für einen Ausritt genutzt hatten. Selbst am Montag und Dienstag ließ Merle Finley in der Schule einfach stehen. Glücklicherweise war Finley mit Thorben befreundet, so war er wenigstens nicht ganz alleine. Am Mittwoch fasste sich Finley ein Herz nach der Schule. „Merle, hast du einen Augenblick Zeit?“, fragte er sie. „Ja, worum geht es?“, blieb sie überrascht stehen. „Ich wollte mich entschuldigen für den versuchten Kuss am Samstag in der Eisdiele“, begann er stockend. „Können wir kurz woanders hingehen, damit uns nicht alle sehen?“, bat sie. „Schämst du dich etwa, dass wir miteinander befreundet sind?“, klang er leicht verletzt. „Nein, es nervt mich nur so, dass die halbe Klasse schon Gerüchte über uns streut, dass wir ständig knutschen und ein Paar sind“, murmelte sie verlegen. „Ignorier die Idioten doch einfach“, erwiderte Finley. „Ich finde die Mehrheit unserer Klassenkameraden nicht besonders nett, ganz besonders Christian, Felix, Doreen, Magdalena und deren Anhang. Hier an der neuen Schule habe ich nur mit Thorben, Nikolas und eurer Clique Freundschaft geschlossen. Den anderen habe ich nun mal nichts zu sagen.“

 

Merle musste einen Augenblick nachdenken, was sie darauf erwidern sollte, und sagte voller Nachdenklichkeit, „Ich wünschte mir manchmal, ich wäre genauso wie du. Dass mich die Meinungen der anderen nicht interessieren. Ich bin für meine Freunde immer die coole und selbstsichere Merle, aber ich bin ab und zu genauso verunsichert und klein wie jeder andere auch.“ – „Du brauchst dich aber nicht dafür zu rechtfertigen“, redete der Junge auf sie ein. „Ich würde dich aber auch nicht so toll finden, wenn du nur cool und so eine oberflächliche Zicke wärst. Du bist ein kluges, hilfsbereites und ehrliches Mädchen.“ – „Danke“, murmelte sie verlegen und war in dem Moment sehr dankbar für seine Worte. Es nervte sie manchmal sehr, dass sie sich cool geben musste, obwohl sie Gefühle hatte, wie jedes andere Mädchen in ihrem Alter. „Ich muss jetzt los, mein Bus kommt gleich“, wurde sie im nächsten Moment leicht unruhig. „Ist es okay, wenn mein Papa dich mitnimmt?“, fragte er. „Klar, das wäre echt nett“, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Finley und Merle nutzten die Gelegenheit, während sie warteten ein Gespräch über den Reitsport zu führen. Mittlerweile war der Schulbus gekommen und hatte die Mehrheit der Schüler mitgenommen. Merle war sichtlich erleichtert, dass sie kaum jemand beobachten konnte. Einen Augenblick später kam Finleys Vater mit einem Mercedes um die Ecke, in den sie schwatzend einstiegen. „Hallo Finley, wen hast du denn mitgebracht?“, wollte sein Vater wissen, der wesentlich lockerer drauf war, als seine Frau, und einen beschwingten Fahrstil an den Tag legte. „Das ist Merle, eine Klassenkameradin von mir“, stellte Finley sie vor. Merle fiel nicht nur die offene Art von Finleys Vater auf, sondern auch die ganzen Fanartikel vom HSV. „Seid ihr wirklich Fans vom HSV?“, rümpfte Merle die Nase. „Kann man so sagen“, nickte Finley. „Mein Vater viel mehr als ich, aber wir waren schon öfter im Stadion und ich habe auch schon selbst eine Zeit lang gespielt, bis ich einen total blöden Trainer bekam. Seither kicke ich mal bei Gelegenheit mit Kumpels auf dem Bolzplatz, aber Reiten und Hockey hat einen viel höheren Stellenwert für mich“ – „Fußball ist wirklich nichts für mich“, verzog Merle ihr Gesicht und musste an ihren eigenen Vater denken, der jeden Samstag die Sportschau sah, und regelmäßig Wutausbrüche bekam, wenn die falsche Mannschaft die Tore schoss. Nein, dieser grobe Ballsport war nicht ihr Terrain. Deshalb schaltete sie sich aus dem Gespräch aus, als Vater und Sohn über den letzten Spieltag der Bundeliga fachsimpelten.

15. Kapitel

Verdammt, es war schon Viertel nach! Erschrocken sprang Maxi von ihrem gemütlichen Sessel auf und pfefferte ihre Zeitschrift auf ihren Nachttisch. In einer Dreiviertelstunde begann die Dressurstunde und sie hatte sich noch überhaupt nicht fertig gemacht. Wie konnte sie nur die Zeit so aus den Augen verlieren? Schwer war das nicht, wenn man sich im Sessel gemütlich machte, eine trendige Zeitschrift las und nebenbei die Musik der Lieblingsboygroup hörte. Maxi zog in Rekordzeit ihre Reithose, ihre karierten Kniestrümpfe und einen Stallpulli an. Ein Pferdeschwanz musste genügen, da sie keine Zeit für das Frisieren ihrer Haare hatte. Sie polterte in einem atemberaubenden Tempo die Treppe runter, sodass sie fast über ihren Hund Snoopy stolperte, der sie unschuldig mit seinen braunen Kulleraugen anschaute. Rasch schlüpfte sie in ihre Stiefelletten und schwang sich auf ihr Fahrrad. Verdammt, war es warm! Bereits am Ende ihrer Straße musste sie ihren Pullover ausziehen, da sie sonst vor Hitze zerflossen wäre. Den übrigen Teil der Strecke fuhr sie im Tempo eines Rennradfahrers bei der Tour de France. Normalerweise war Maxi nicht als Sportskanone bekannt, aber wenn es drauf ankam, gab sie alles. Endlich war sie am Stadtrand angekommen und die ersten Wiesen kamen in Sicht. Jetzt musste sie nur noch rechts abbiegen und ein Stückchen durch den Wald fahren. Der Tacho ihres Fahrrads zeigte an, dass sie noch gut fünfundzwanzig Minuten hatte.

 

Geschafft! Maxi war mehr als froh, als sie endlich den Stall erreichte, und noch genügend Zeit hatte, um Fabella in Ruhe fertig zu machen. Mit einem freundlichen „Hallo“ betrat sie die Stallgasse. Komisch, warum grüßte keiner zurück? War Ellen noch nicht da? Auf dem Stallgang entdeckte sie Julia, die aus der Sattelkammer kam. Maxi zwang sich zu einem Lächeln, obwohl sie Julia überhaupt nicht ausstehen konnte. Damit es nicht ganz so still war, fragte sie Julia, ob sie Ellen bereits gesehen hätte. „Nein, ich weiß auch nicht, wo sie ist“, zuckte das Mädchen mit den Achseln und beschäftigte sich weiter mit seinem Pferd. Auf der Bank neben dem Reiterstübchen saß Patrick auf einer Bank und daddelte mit seinem Handy. „Hast du dein Anhängsel wieder dabei?“, konnte Maxi ein zuckersüßes Lächeln nicht verkneifen. Seit ihr Ex-Freund mit Julia zusammen war, tauchte er unheimlich oft im Stall auf, was zu Zeiten ihrer Beziehung nie der Fall war. „Wieso? Er kommt halt gerne mit“, erwiderte Julia schnippisch und fügte hinzu: „Er ist ein Superkerl, der immer für mich da ist. Ich verstehe nicht, warum du ihn verlassen hast. Im Nachhinein ist das gut für mich.“ – „Bitteschön, dann wünsche ich dir viel Spaß mit einem unreifen Riesenbaby, das sich wie ein Dreijähriger benimmt“, konterte Maxi schlagfertig und begann Fabellas Fell zu striegeln. Ein richtiges Gespräch war mit Julia nicht drin. Meist endete es so wie gerade eben.

 

Gerade als Maxi den Sattel herbei schleppte, blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen. War das nicht Mareike? Beim genaueren Betrachten entpuppte sich die junge Frau wirklich als die Freundin ihres Bruders. Es war inzwischen zwei Wochen her, dass sie Luigis Freundin zum ersten Mal gesehen hatte. „Hallo, was machst du denn hier?“, rutschte es ungebremst aus ihr raus. „Hallo Maxi, ich übernehme ab heute die Dressurstunden“, lächelte die sympathische junge Frau. „Wirklich? Wieso das denn?“, war Maxi immer noch ganz baff. „Hat Ellen das euch nicht letzte Woche gesagt?“, sah Mareike sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Letzte Woche war ich nicht da“, schüttelte Maxi den Kopf. „Ich soll Ellen ein wenig entlasten, da sie mit den vielen Reitgruppen alle Hände voll zu tun hat. Meine beste Freundin Lisa soll die Reitstunden für die jüngsten Reitschüler übernehmen und bietet zusätzlich Voltigierstunden an“, erwiderte Mareike und drückte ihr einen kleinen Zettel in die Hand. „Was ist das?“, wollte Maxi wissen. „Ein Gutschein für eine Schnupperstunde Voltigieren“, meinte die neue Reitlehrerin. „Ihr könnt mit Ellen oder Lisa einen Termin ausmachen.“ – „Oh cool, vielen Dank! Ich werde meine Freundinnen fragen, ob sie Lust dazu hätten“, bedankte sich Maxi und machte sich wieder an die Arbeit, damit sie noch pünktlich in der Reithalle aufkreuzte. Zu ihrer Verwunderung liefen ihr Ronja und Wiebke über den Weg. „Wir wollen dir ein bisschen zugucken“, sagte Wiebke, bevor Maxi etwas sagen konnte. „Wir sind bis gerade eben in der kleinen Halle geritten und haben uns gedacht, dass wir dir ein bisschen Gesellschaft leisten können“, fügte Ronja hinzu. „Oh danke, ihr seid so lieb! Dann bin ich nicht so alleine mit den Zicken“, lächelte Maxi und fragte ihre beiden Freundinnen, ob sie bereits wüssten, dass Mareike die Dressurgruppe in Zukunft übernahm. „Nein, davon wusste ich noch nichts“, war Ronja ziemlich überrascht. „Übrigens man lädt uns zur einer Probestunde Voltigieren ein“, zeigte Maxi ihnen den Gutschein. „Stimmt, so einen Gutschein haben wir von Ellen auch bekommen“, nickte Wiebke.

 

Maxi betrat mit Fabella die Halle, während ihre Freundinnen sich auf die Bank hinter der Bande setzten. Sie fanden es spannend, den fortgeschrittenen Dressurreiterinnen zuzugucken. Ein wenig Abseits von Ronja und Wiebke saß auch Patrick. Maxi nahm sich fest vor, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Doch Fabella bemerkte ihren beschleunigten Herzschlag schon jetzt. Maxi stellte sie auf der Mittellinie hin, doch als sie aufsteigen wollte, drehte Fabella sich auf der Vorderhand. „Nicht jetzt, Süße“, flüsterte Maxi und wurde nur noch unruhiger. Musste ihre Stute ausgerechnet heute rumalbern?

 

Jana und Melanie kamen mit ihren braunen Warmblütern herein und warfen ihr direkt spöttische Blicke zu. Wahrscheinlich ahnten sie schon, dass Maxi gerade ihre Mühe hatte. „Na, kommst du nicht mal hoch?“, wollte Jana schließlich mit einem blöden Grinsen im Gesicht wissen. Maxi kochte innerlich und dabei half ihr das gerade gar nicht weiter. Sie riss sich zusammen, drehte Fabella einmal, schob sie energisch ein Stück rückwärts und lobte sie, als sie brav stehen blieb. Noch einmal atmete Maxi tief durch. Sie wartete einen Moment, in dem ausgerechnet auch Julia hereinkam. Sie nahm die Zügel auf und wollte aufsteigen, doch Fabella war anderer Meinung und drehte sich wieder. „Das ist ja lächerlich, jetzt setz dich doch mal durch!“, sagte Melanie von ihrem Pferd herab zu Maxi. Sie wusste es besser. Fabella würde nicht ruhiger werden, wenn Maxi jetzt ihre ganze Autorität auspackte. Stattdessen redete sie beruhigend auf ihre goldene Araberstute ein und beruhigte sich damit auch selbst. Normalerweise gab sie sich alle Zeit der Welt, wenn Fabella sie nicht aufsteigen ließ. Das kam nun auch nicht so oft vor. Meist klappte es beim zweiten Anlauf spätestens. Doch nicht an diesem Tag. Maxis Stress übertrug sich direkt auf ihr empfindsames Pferd.

 

Ronja kam ihr zu Hilfe. „Ich kann sie festhalten“, bot sie an und betrat die Halle. Maxi hasste es, doch im Moment war es die einfachste Lösung. „Danke“, knurrte sie wenig dankbar. „Mach dir nichts daraus“, flüsterte Ronja ihr zu und packte Fabella am Zügel, während Maxi aufstieg. „Ich versuche es“, gab sie zurück und ritt an, damit ihr Pferd sich nicht noch weiter aufregte. Jana und Melanie ritten nebeneinander und tuschelten. Es war irgendwie klar, dass sie über Maxi lästerten. Obwohl sie das wahrscheinlich nie zugegeben hätten. Julia machte ihr eigenes Ding, was sie aber auch nicht freundlicher erscheinen ließ. Ihr schwarzer Wallach Othello war ein Endmaßpony. Julias Beine wirkten in den langen Dressurbügeln ein Stück zu lang für ihn. Selbst Fabella sah daneben groß aus.

 

Maxi ließ den Blick über die Bande schweifen und beobachtete Patrick, als er nicht hinsah. Wieso kam er für Julia ständig in den Stall? Für sie hatte er sich nicht einmal die Zeit genommen, an einer Faschingsparty teilzunehmen. Und jetzt war er auf einmal nicht mehr von der Seite seiner neuen Freundin zu bekommen. Das war schon komisch. Allerdings nicht so, dass man davon lachen musste. Vielmehr versetzte es Maxi einen ziemlichen Stich im Herzen. Ronja und Wiebke lächelten ihr aufmunternd zu. Doch Maxi bekam zur Antwort nur ein schiefes Grinsen zustande. Jana und Melanie wechselten die Hand und die anderen beiden Mädchen folgten ihnen. Maxi wollte ihnen nur aus dem Weg gehen, was nicht so einfach war, wenn man gemeinsam eine Dressurstunde ritt. Ständig warfen Jana und Melanie ihr blöde Blicke zu. Gerade wollte Maxi etwas sagen, da wurde die Bande geöffnet und Mareike kam herein.

 

„Schön, dass ihr schon Schritt reitet“, stellte sie fest und sah sich die Mädchen in ihrer Gruppe an. „Ich bin Mareike und werde Ellen ein wenig entlasten, und euch in der Dressur trainieren“, erklärte sie weiter und ging in die Mitte der Halle. „Mit meinem Pferd reite ich selbst bis L-Dressur und habe nun auch einen Trainerschein gemacht“, sprach Mareike weiter. Sogar Melanie und Jana hingen an ihren Lippen. Sie hielten sie also auch für würdig, sie zu unterrichten. Das war doch schon mal etwas. „Wer so weit ist, nimmt die Zügel auf und trabt leicht“, ordnete Mareike an. „Und dann verratet mir doch mal etwas über euch und eure Pferde.“ Der Reihe nach unterhielt sie sich mit Jana, Melanie und Julia über ihre Pferde, den Ausbildungsstand und ihre Ziele. Dann wandte sie sich an Maxi, von der sie schon fast alles wusste. Trotzdem wollte sie sie nicht außen vor lassen. Im Leichttraben ließ sie die Mädchen locker reiten. Mareike gab ein paar Sitzkorrekturen an und beobachtete ansonsten erst einmal.

 

„Stell dein Pferd noch nicht so eng ein, Julia“, rief sie schließlich. „Aber er ist schon so weit“, entgegnete die patzig. Anscheinend nahmen die Mädchen ihre neue Reitlehrerin doch noch nicht einfach als Autorität ernst. „Das meinst du nur, weil er es dir anbietet“, entgegnete Mareike. „Aber du musst in der Reihenfolge der Ausbildungsskala bleiben, sonst liegt er dir später nur auf dem Zügel.“ Maxi schielte zu ihrer Kontrahentin hinüber. Othello ging an einem sehr kurzen Zügel und schien einen schönen Hals zu machen. Aber er trat kein Stück unter und es fehlte jeglicher Schwung. Mareike hatte das sofort erkannt. „Melanie, wenn du noch nicht aussitzen kannst, dann lass es noch“, riet Mareike dem Mädchen. „Sonst störst du Tamila in ihrer Bewegung und bekommst selber Rückenschmerzen. Davon habt ihr nichts. Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht. Und die ist bei jedem Pferd und Reiter anders.“ Maxi wusste das schon. Fabella hatte keine besonders weichen Gänge und eine für Araber typische hohe Knieaktion. Es dauerte meist, bis sie aussitzen konnte. Jana sah ziemlich gut auf ihrem Wallach Quinn aus. „Schönes Vorwärts-Abwärts“, kommentierte Mareike anerkennend und Jana strahlte. Obwohl Maxi zu den besseren Dressurreitern im Stall gehörte, war die Konkurrenz groß. Und das war eindeutig nicht ihr Tag. Es machte sie nervös, dass sie eine neue Reitlehrerin hatte, die auch noch mit ihrem Bruder zusammen war. Außerdem war da Patrick-warum auch immer! Und die blöden Zicken grinsten sie immer so überheblich an.

 

„Kannst du Fabella aussitzen?“, wollte Mareike schließlich von Maxi wissen. „Du musst das Tempo ein bisschen rausnehmen, aber den Schwung behalten.“ – „Welchen Schwung?“, fragte Melanie gehässig im Vorbeireiten. Maxi schluckte. Sie setzte sich hin, war aber so verkrampft, dass sie den Preis der Miss-Schwabbelbein hätte gewinnen können. „Ruhige Hand und langes Bein“, sagte Mareike zu ihr. „Ich weiß“, zischte Maxi so leise, dass es nur Jana hören konnte, die innen an ihr vorbei trabte. „Warum machst du es dann nicht?“, wollte die sofort von ihr wissen. Maxi sah auf, aber da war Jana auch schon auf den Zirkel abgewendet.

„Ich weiß, dass Ellen davon nicht so begeistert ist, aber wie steht ihr mit euren Pferden zu einem kleinen Lösungsgalopp?“, wollte Mareike von den Reiterinnen wissen. „Quinn fällt mir dabei auseinander, wenn ich das zu früh mache“, erklärte Jana. Melanie und Julia zuckten die Schultern. Ihnen machte das nichts aus. „Und bei dir?“, fragte Mareike Maxi. „Manchmal tut es Fabella gut und manchmal läuft sie sich nur heiß“, antwortete Maxi zurückhaltend. „Also gut, wer das ausprobieren möchte, der fügt in seine Arbeit kleine Galoppstrecken und Trab-Galopp-Übergänge ein“, verkündete Mareike. „Aber bleibt dabei im Arbeitsgalopp.“

 

Maxi blieb lieber noch eine Weile im Trab und baute Schritt-Trab-Übergänge in ihre Arbeit ein. So hoffte sie auch, einen ruhigeren Sitz zu bekommen. Doch Melanie fand es besonders lustig, immer direkt hinter Fabella anzugaloppieren. Bald war Maxi damit beschäftigt, ihr auszuweichen. „Passt ein bisschen auf, wo ihr reitet, und dass ihr niemanden stört“, sagte Mareike in die Gruppe. Es fühlte sich jedoch niemand angesprochen. Als Maxi endlich vernünftig im Sattel saß, knallte eines der jüngeren Mädchen die Tür des Reiterstübchens so laut zu, dass Fabella einen erschrockenen Satz machte. Die Stute war an diesem Tag ohnehin ziemlich aufgeregt. Selbst für ihre Verhältnisse stellte sie sich besonders an. Das lag natürlich auch an Maxi, die einfach nicht zur Ruhe kam. „Ist alles gut?“, wollte Mareike von ihr wissen. „Ja, es ist nichts“, gab Maxi zurück. Von so einem kleinen Satz ließ sie sich nicht aus dem Sattel werfen. Fabella geriet ihr wieder aus der Verbindung. In ihrem Frust wollte sie eine harte Parade mit der Hand geben, ließ es dann aber doch. Das hätte Fabella am Ende doch noch dazu gebracht, sie aus dem Sattel zu katapultieren. Und den Triumph wollte sie den anderen nicht gönnen.

 

Maxi seufzte leise und parierte zum Schritt durch. Sie brauchte eine Pause, sonst könnte sie auch gleich aufhören. Wieder traf ihr Blick Patrick. Wie er Julia anschmachtete. Das war ja nicht auszuhalten. Ronja und Wiebke sahen noch recht fröhlich aus. Wahrscheinlich erkannten sie als Anfänger gar nicht, welche Probleme Maxi gerade hatte. Für sie sah das alles toll aus. Und dabei vergeigte sie es gerade. Dabei konnte sie es doch viel besser. Beinahe wären ihr Tränen in die Augen gestiegen. Wieso musste Fabella ausgerechnet an diesem Tag so schlecht drauf sein? Neidisch schaute Maxi zu Julia hinüber. Moment mal.

 

Plötzlich fiel ihr auf, dass das gar nicht so gut aussah, wie sie gedacht hatte. „Ich habe dir ja gesagt, dass er von hinten kommen muss“, belehrte Mareike sie gerade. Julia sah trotzig aus. „Es reicht nicht, dass du ihn vorne festhältst. Du muss das alles nachtreiben.“ Othello trug den Kopf tief, zu tief beinahe. Und es war offensichtlich, dass er seinen Kopf auf den Zügel legte. Was war mit Melanie? Sie versuchte sich an Seitwärtsgängen, die nicht klappen wollten. Das lag an ihrer Hand-Bein-Koordination, wie Mareike behauptete. Und Jana? Quinn ging bei Jana zwar recht gut, aber ihr fehlte langsam die Kraft und sie forderte fast jeden Schritt mit der Gerte nach. Maxi fasste neuen Mut. Das konnte sie besser. Selbst an schlechten Tagen konnte sie das besser. Sie musste an sich glauben.

 

Mit lockerer Hand trabte sie Fabella an. Sie blieb energisch mit dem Bein dran, doch in der Hand war sie ganz weich. Fabella schwebte seitwärts an den anderen Pferden vorbei. Dann ließ sie ihre Stute angaloppieren und ritt sie in eine enge Volte. Das war schon fast S-Niveau, das wusste sie. Doch am Bein war Fabella immer sehr aufmerksam. Sie konnten das und würde niemals ausfallen. Maxi ritt aus der Volte in einen großen Mittelzirkel und ließ die Zügel überstreifen, um zu zeigen, dass sie Fabella nicht bloß festhielt, wie Julia das tat. Während sie sich so auf ihr Pferd konzentrierte, verbesserte sich ihr Sitz fast von allein. Sie stellte die Hand auf und machte sich noch gerader. Im Trab verlängerte sie die Tritte und wechselte die Hand. Es fühlte sich so gut an. So ging Fabella normalerweise bei ihr. Sie konnte es nicht lassen, jetzt sollten alle wissen, was sie konnte. Im Arbeitsgalopp ritt Maxi drei Bögen durch die Bahn und ließ Fabella in jedem Bogen einen fliegenden Galoppwechsel springen. Am Ende parierte sie durch zum Schritt und lobte Fabella.

 

Mareike stand mit offenem Mund auf der Mittellinie und auch die anderen Mädchen sahen sie stumm an. „Du bist ja so eine arrogante Angeberin“, fand Melanie. „Hast du ernsthaft die ganze Zeit so getan, als könntest du es nicht, nur um jetzt so eine Schau abzuliefern?“, wollte Jana herablassend von ihr wissen. „Das ist armselig.“ Julia sagte nichts, doch ihr Blick sprach Bände. Sie war nicht begeistert von Maxis Alleingang. „Wo hast du denn so etwas gelernt?“, wollte Mareike schließlich von Maxi wissen. „Das habe ich mir selbst beigebracht“, antwortete sie ehrlich. „Fabella ist auch sehr gelehrig.“ – „Das sah wirklich gut aus“, lobte Mareike. „Es hat ein bisschen gedauert, normalerweise sind wir schneller locker“, erklärte Maxi. „Normalerweise sind wir schneller locker?“, wiederholte Melanie sie in einem ekeligen Tonfall. „Für wen hältst du dich bloß?“ Maxi wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie wusste nicht einmal, warum die Zicken sich so aufspielten. Sie hatte ihnen doch gar nichts getan. Allerdings wäre ihr selbst jeden Moment der Kragen geplatzt. Doch kurz bevor sie den Zicken die Meinung sagen wollte, kam Mareike ihr zuvor.

 

„Wie alt seid ihr eigentlich? Ihr benehmt euch wie eifersüchtige Kleinkinder, denen der Schnuller gestohlen wurde!“, sagte sie zu Jana und Melanie. Julia fühlte sich zumindest nicht angesprochen. Und irgendwie war es auch Maxi peinlich, dass sie sich nicht selbst verteidigen konnte. „Wenn ihr in meiner Gruppe reiten wollt, dann reißt euch zusammen!“, sagte Mareike streng. „Ihr müsst hier alle keine Freunde werden, aber ich dulde nicht, dass jemand gemobbt wird.“ Jana und Melanie waren sich keiner Schuld bewusst. „Wir mobben doch niemanden“, behauptete Jana. „Ich merke doch, dass ihr Maxi die ganze Zeit blöd anmacht“, erwiderte Mareike. „Also lasst den Blödsinn, wenn das hier funktionieren soll.“ Dann gab Mareike jeder von ihnen noch ein bisschen Einzelunterricht der Reihe nach. Am Ende verabschiedete sie sich und ließ die Mädchen allein Trockenreiten.

 

„Da hast du dich ja toll eingeschleimt“, sagte Melanie gehässig zu Maxi, kaum dass sie allein waren. „Das habe ich im Gegensatz zu euch gar nicht nötig“, gab Maxi schlagfertig zurück. Jetzt, wo sie wieder wusste, dass sie sich auf ihr Können und Fabella verlassen konnte, fühlte sie sich gleich doppelt stark. „Was für eine peinliche Nummer“, fand Julia im Vorbeireiten. „Peinlich ist es, wenn man zu groß für sein Pony ist!“, konterte Maxi. „Er ist ein Pferd“, fauchte Julia. „Endmaßpony höchstens“, wusste Maxi. Julia hatte die Nase voll, sagte nichts mehr und verließ bald die Halle, um mit Patrick herum zu turteln. Doch auch Jana und Melanie wussten anscheinend ausnahmsweise einmal nicht mehr, was sie sagen sollten. Bald machten auch sie sich aus dem Staub, als ein paar erwachsene Privatreiter die Halle betraten.

 

„Machst du noch lange?“, wollte Wiebke von Maxi wissen. „Bin gleich fertig“, antwortete die. Sie hatte keine Lust, die blöden Zicken und Patrick gleich wieder in der Stallgasse zu treffen. „Wir helfen dir auch und dann können wir zusammen nach Hause fahren“, verkündete Ronja. Es war zwar nur ein Stück des Weges, den sie gemeinsam teilten, doch besser als nichts. „Denen hast du es gezeigt“, fand Wiebke, als sie Fabella den Sattel abnahm, während Maxi die Bandagen aufwickelte. „Findest du?“, hakte Maxi nach. So war es ihr nun auch wieder nicht vorgekommen. „Ja, du warst super“, fand Ronja. „Na, wenn ihr meint“, murmelte sie und dachte mit Grauen an die bevorstehenden Stunden. Hoffentlich hatte Mareikes Einlauf etwas gebracht. Sie wollte bestimmt nicht jede Woche das Opfer der Zicken sein.

16. Kapitel

 

„Ich bin sowieso die Erste, die vom Pferd purzelt“, jammerte Ronja, als Isabelle am Samstagnachmittag mit Lisa die Voltigierstunde vereinbart hatte.  „Mach dir keine Gedanken darüber, das vermiest dir den ganzen Spaß daran“, redete Maxi auf sie ein und nahm ihre Hand, als sie in die kleine Reithalle hinter der Scheune gingen. Hier fanden normalerweise die Reitstunden für die Anfänger statt und in Zukunft sollte hier auch voltigiert werden. „Ich bin so unsportlich, ich kann doch nicht mal vernünftig Bockspringen“, moserte Ronja weiter. „Mach dir nicht ins Hemd, Lisa wird keine atemberaubenden Sachen von uns verlangen“, sagte Isabelle aufmunternd. „Yeah, da seid ihr schon!“, winkte ihnen Merle zu, die mit Finley bereits an der Halle stand. Finley war ebenfalls mit von der Partie, obwohl er genauso wenig Lust hatte wie Ronja. Nur, weil Merle ihn lang genug überredet hatte, kam er mit. „Hi, ich bin Lisa!“, tauchte eine kleine rothaarige Frau vor den Lustigen Hufeisen auf. „Hallo Lisa!“, gab Isabelle ihr die Hand. „Freut ihr euch schon auf die bevorstehende Voltigierstunde?“, fragte Lisa, die voller Motivation zu sein schien. „Ich bin auf jeden Fall gespannt“, nickte Klara, die die Sportskanone der Bande war. „Das freut mich“, lachte die gutgelaunte Frau. „Ich hätte nie gedacht, dass Lisa so jung aussieht“, flüsterte Wiebke ihren Freundinnen zu. „Stimmt, sie sieht für ihr Alter sehr mädchenhaft aus, obwohl  sie auf jeden Fall über zwanzig ist“, nickte Isabelle.

 

Merle traute sich als Erste auf das große Voltigierpferd namens Nepomuk, als es aufgewärmt war. Auch mit den Mädchen hatte Lisa ein paar Dehnübungen gemacht. An der Longe ließ Lisa Nepomuk im Kreis laufen. Merle saß auf dem dicken Pad und fühlte sich in die Bewegungen ein. Die großen Schritte waren nicht so leicht zu sitzen. Sie vermisste ihre Steigbügel. „Lass mit beiden Händen die Griffe los und strecke die Arme waagerecht aus“, gab Lisa die erste Anweisung. „Das sieht ja popelig aus“, wisperte Klara. „Das wird selbst Ronja noch können.“ Als Nächstes musste Merle eine Mühle machen und sich einmal auf dem Pferderücken um sich selbst drehen, indem sie ihre Beine über die Kruppe schwang. Nun folgten weitere einfache Figuren, die Merle genauso wenige Probleme bereiteten. Aber bisher war Nepomuk auch im Schritt gegangen. „Das sieht bei ihr aus wie ein Kinderspiel“, murmelte Wiebke, die gleich als Nächste aufs Pferd wollte. Bei Wiebke sah es nicht mehr so elegant aus, als sie auf Nepomuks Rücken thronte. Ihre Bewegungsabläufe waren deutlich langsamer und einmal sah es so aus, als würde sie seitlich herunterrutschen. „Los Ronja, du kannst es auch!“, klopfte Klara ihrer Freundin auf die Schulter. „Na gut!“, presste sie ihre Lippen aufeinander und ließ sich von Maxi und Wiebke aufs Pferd helfen. Die Mädchen begannen, ihre Freundinnen anzufeuern. Ronja, die sonst als eher ungeschickt galt, stellte sich hierbei sogar relativ geschickt an und meisterte die Fahne, wobei sie mit den Knien auf dem Pferderücken saß und ein Bein nach hinten und einen Arm nach vorne ausstreckte. Nur als sie die Mühle machen sollte, wollte sie unbedingt, dass Nepomuk dabei stand. „Juhuu, du hast es geschafft!“, jubelte Maxi, als Ronja wieder Boden unter den Füßen hatte. „Es war doch eine ziemlich harte Überwindung“, wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Ihr war anzusehen, dass sie ziemlich erleichtert war, dass sie heile vom Pferd steigen konnte. Der Reihe nach kamen die restlichen Lustigen Hufeisen und Finley an die Reihe. „Bei Maxi, Merle und Klara sah es natürlich am besten aus“, fand Wiebke. „Kein Wunder, Klara ist sowieso die Nummer Eins im Sport und bei Merle und Maxi zahlt sich die gute Haltung durch das jahrelange Tanzen aus“, sagte Ronja dazu.

 

Im nächsten Durchgang nahm Lisa für jede Übung Freiwillige an die Reihe. Diesmal traute sich Ronja, als sie den freien Sitz im Trab und Galopp vorführen sollte, und wurde von ihren Freuden mit einem Beifall belohnt. Wiebke versuchte es mit der gleichen Nummer und ritt sogar eine Runde auf den Knien, während Nepomuk galoppierte. Klara und Merle trauten sich, sogar auf dem Pferderücken zu stehen, auch wenn es nicht eben elegant aussah. Maxi glänzte mit dem Prinzensitz und anschließend mit Bank rücklings. „Ich frag mich, wie sie so dabei so gut aussehen kann?“, sah Wiebke fast ein wenig neidisch aus. Isabelle kam als nächstes an die Reihe und bewies ihren Freunden, dass sie ohne Schwierigkeiten einen Aufsprung in die Hocke konnte. „Traut sich jemand an den Standspagat?“, fragte Lisa herausfordernd. „Ich kann es versuchen“, zeigte Finley zögernd auf, nachdem Merle ihm einen ermutigenden Stoß in die Seite gegeben hatte. Die lustigen Hufeisen kicherten leise, als Finley sein Bein soweit es ging nach oben streckte. Ulkig sah es schon irgendwie aus. „Nicht lachen! Das verunsichert den armen Kerl umso mehr!“, raunte Ronja ihren Freundinnen zu. „Okay, ich versuche es, aber es sieht nur zu herrlich aus“, gluckste Maxi. Für die nächsten beiden Übungen wurden jeweils zwei Personen gebraucht. „Ich habe für heute genug“, ging Ronja ein paar Schritte zurück. „Ich würde gerne noch einmal reiten“, zeigte Wiebke auf. „Wen würdest du gerne als Partner haben?“, fragte Lisa. „Maxi!“, entschied Wiebke kurzerhand. Die beiden Mädchen kletterten auf den Pferderücken. Wiebke kniete sich hin, während Maxi sich auf Wiebkes Rücken setzte und dabei elegant die Arme ausstreckte. „Wow, ihr seid prima!“, klatschten ihre Freunde begeistert. Zum Schluss absolvierten Merle, Klara und Isabelle zu dritt eine Übung auf dem Pferderücken. „Vielen Dank, dass ihr so  toll mitgemacht habt“, bedankte sich Lisa nach der Stunde, „Es hat sehr viel Spaß gemacht, mit euch zu arbeiten, und ich hoffe, dass ich euch in den kommenden Stunden wiedersehe.“ – „Vielen Dank, dass du uns zur Schnupperstunde eingeladen hast“, bedankte sich Isabelle ebenfalls. „Es hat uns auch Spaß gemacht, und wir lassen uns es durch den Kopf gehen, ob wir uns für das Voltigieren anmelden.“ Lisa verabschiedete sich von den Lustigen Hufeisen und Finley und ließ Nepomuk noch ein paar Runden im Schritt gehen.

 

„Darf ich die Damen noch auf ein Stück Kuchen einladen?“, fragte Finley. „Gerne, es gibt wieder Erdbeerkuchen“, nickte Isa begeistert und leckte sich die Lippen. „Willst du uns wirklich alle einladen?“, wirkte Ronja sehr erstaunt. „Klar, so teuer ist das nun auch nicht“, erwiderte der Junge. „Aber nur, wenn ich noch zwei Kannen Kakao spendieren darf“, stellte Merle die Bedingung. „Juhuu, auf einen Kaffeeklatsch im Reiterstübchen!“, jubelte Klara, die sich bei Wiebke und Isabelle einhängte. „Kakaoklatsch muss das heißen“, verbesserte Maxi sie, worauf ihre Freundinnen einen Lachanfall bekamen. Im Reiterstübchen war es ziemlich leer. Nur zwei Privatreiterinnen, die über vierzig waren, saßen neben der Theke und unterhielten sich über ihre Ehekrisen. Die Freunde setzten sich weit genug von ihnen weg, damit sie sich nicht belauscht fühlten. Maxi und Isa schoben zwei Holztische zu einem großen Tisch zusammen, damit sie zu siebt dran passten.  Merle und Finley besorgten inzwischen den Kuchen und den Kakao. Wiebke holte eine Packung Streichhölzer hervor und zündete das kleine Windlicht an. „Auf einen schönen Nachmittag!“, freute sich Ronja. „Hm, der Kuchen ist wirklich himmlisch“, schwärmte Klara. „Ich könnte davon das ganze Blech verputzen.“ – „Dann los, ran an die Aufgabe“, gab ihr Isa einen leichten Rippenstoß. „Dann wirst du nachher so rund sein, dass wir dich wie ein Fass nach Hause rollen können“, spann Merle den Faden weiter. Wieder kicherten die Freunde los, sodass die beiden Frauen an der Theke sich genervt zu ihnen umdrehten. „Oh man, draußen regnet es schon wieder“, schob Wiebke die rotweiß karierte Gardine ein Stück zur Seite. „Typisch Aprilwetter!“, verdrehte Klara die Augen. „April, April, der macht, was er will“, murmelte Isabelle vor sich hin. „Sagt mal, werdet ihr euch zum Voltigierunterricht anmelden?“, fragte Klara in die Runde. „Ich nicht, das ist nicht mein Terrain“, verneinte Finley sofort und Ronja schüttelte ebenfalls den Kopf. „Ich wäre gerne dabei, es war heute richtig cool“, meldete sich Wiebke zu Wort. „Ich wäre auch so gerne dabei, aber ich habe einfach nicht die Zeit dazu. Meine Freizeit ist durch Fabella, Tanzen und Dressur schon sehr ausgebucht, sodass ich dazu kaum noch Zeit habe“, machte Maxi einen leicht geknickten Eindruck. „Bei mir ist es so ähnlich“, fügte Merle hinzu. „Was ist mit dir, Isa?“, hakte Klara nach. „Bei mir ist es das Gleiche wie bei Maxi und Merle, es passt zeitlich einfach nicht“, erwiderte diese. 

 

„Ja, wir haben einfach schon zu viel um die Ohren“, seufzte Maxi. „Vor allem, weil bald das Maifest ansteht.“ – „Ellen hat ein kleines Turnier vorbereitet“, erinnerte Merle sie. Natürlich trainierte sie schon seit Wochen noch härter. Wenn es um einen Wettkampf ging, kannte sie keinen Spaß. Sie wollte auf jeden Fall erfolgreich sein. Und Finley ging es genauso. Daher trainierten sie oft zusammen. „Neben den Dressur- und Springprüfungen wird es auch wieder Spaßwettkämpfe geben“, erklärte Wiebke. Sie träumte davon, auch einmal gut genug reiten zu können, um an einem Turnier teilzunehmen. Aber in ihrer Anfängerreitgruppe war sie die Älteste und würde bestimmt nicht an den Wettbewerben für die kleinen Kinder teilnehmen. Wenigstens musste sie sich Alaska nicht mit den anderen Reitern teilen. Sie war allein ihre Reitbeteiligung. „So ein Juxturnier würde mir gefallen“, schwärmte Klara. Sie wusste, dass Nandu mehr Potential besaß, als sie abrief. Das wäre eine tolle Möglichkeit, Spaß und Wettbewerb zu vereinen. „Für eure Ponys sind solche Reiterspiele ja auch kein Problem“, seufzte Maxi. Fabella würde vermutlich durchdrehen, wenn sie in einem Verlassparcours stünde. „Es scheint ja für jeden etwas dabei zu sein“, fasste Finley zusammen. Wiebke schluckte, denn sie war sich da nicht so sicher. Auch Isabelle zögerte noch. Bisher hatte sie sich nicht angemeldet. Alle anderen schienen genau zu wissen, was sie machen wollten. Ob auch für sie wirklich etwas dabei wäre?

17. Kapitel

 

Am Abend saßen Wiebke und Isa zusammen an den Hausaufgaben und versuchten, sich einen Reim auf Mathe zu machen. Meist fiel es Wiebke ganz leicht, doch an diesem Tag war sie einfach nicht ganz bei der Sache. Ständig passierten ihr dumme kleine Fehler. Isa war auch nicht besser drauf. Wäre Wiebke nicht gewesen, hätte sie vermutlich ganz auf die Hausaufgaben verzichtet. Aber ihre Cousine hatte ja unbedingt beim Abendessen auf die Aufgaben hinweisen müssen. Und so saßen sie nun dort und zerbrachen sich den Kopf. Als sie endlich fertig waren, setzte Isa sich auf und atmete tief durch. „Ist alles okay?“, hakte Wiebke nach. Isa seufzte und deutete auf einen Zettel, der auf ihrem Schreibtisch lag. Neugierig nahm Wiebke das Blatt. „Das ist die Turnieranmeldung für das Maifest“, stellte sie fest. Isa nickte. „Ich dachte, du hättest das schon bei Ellen abgegeben“, meinte Wiebke lächelnd. Nun schüttelte Isa den Kopf. Wieso nur bedrückte es sie so? Ihre Cousine verstand das Problem zunächst nicht.

 

„Ich weiß einfach nicht, ob ich mit Kandra antreten soll“, murmelte Isabelle. „Aber warum denn nicht?“, hakte Wiebke nach. Isa hatte das große Glück, ein eigenes Pferd zu besitzen. Und dann zweifelte sie so. „Es gibt nichts, was ich richtig gut kann“, jammerte Isa weiter. „Du und Kandra, ihr seid ein tolles Team“, bestärkte Wiebke sie. „Ihr seid eben vielseitig.“ Isa schnaubte verächtlich. Vielseitig half ihr nicht weiter. „Dann wähl doch einfach das aus, was dir am meisten Spaß macht“, riet Wiebke ihr. „Du musst ja nicht wie Merle und Maxi den Schleifen nachjagen. Wenn du mit Kandra Spaß hast, und ihr eine tolle Erfahrung macht, dann reicht das doch.“ – „Meinst du wirklich?“ – „Natürlich! Also, worauf hättest du Lust?“, fragte Wiebke. Isabell las das Blatt wieder und wieder durch. „Ich weiß es einfach nicht“, murmelte sie langsam.

 

„Oh man, du hast echt Probleme“, meinte Wiebke und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was soll ich denn sagen?“ Verwundert sah Isa auf. „Was ist denn mit dir?“, wollte sie dann wissen. „Ich habe kein eigenes Pferd“, begann Wiebke. „Und wenn es überhaupt eine Disziplin gibt, in der ich mit Alaska antreten kann, dann ist die Konkurrenz ein Haufen kleiner Kinder. Die sind wahrscheinlich auch noch besser, als ich.“ Isabelle kam sich plötzlich ziemlich undankbar vor. Ihre Cousine hatte ganz andere Sorgen, als sie. „Es gibt bestimmt etwas, das du reiten kannst“, munterte sie Wiebke auf. „Was denn? Das ist alles nichts für einen Anfänger, wie mich“, maulte sie. Erneut nahmen die beiden Mädchen sich den Zettel vor. „Mounted Games, das könnten wir als Paar machen“, schlug Isa vor.

 

„Was ist das?“, wollte Wiebke neugierig wissen. „Eine Art Ponyspiel. Hier steht, dass paarweise geritten wird. Ellen wandelt es jedes Mal etwas ab, damit es nicht zu schwierig ist. Ein bisschen, wie Staffellauf“, erklärte Isabelle begeistert. „Und du meinst, das kann ich schaffen?“, fragte Wiebke weiter. Ihre Cousine nickte: „Das schaffst du! Wir werden auch ein bisschen trainieren.“ Wiebkes Laune besserte sich langsam und auch Isa war froh, endlich etwas gefunden zu haben. Das würde sicher Spaß machen. Schnell machten die beiden Mädchen sich daran, die Anmeldung auszufüllen. Es war gar nicht mehr lange hin, bis zu dem Maifest.

 

Am nächsten Morgen berichteten sie ihren Freundinnen in der Schule sofort von ihrem Plan. „Schön, dass ihr euch auch endlich angemeldet habt“, fand Merle. Sie selbst war schon seit langem angemeldet. Und sie wollte unbedingt in der Dressur und im Springen erfolgreich sein. Zusammen mit Finley trainierte sie sogar noch mehr, als sonst. Auch er wollte im Springen antreten, ebenso Marlon. „Was wollt ihr denn reiten?“, fragte Ronja neugierig. „Die Mounted Games“, erklärte Isa. „Da machen wir auch mit“, rief Klara begeistert und Ronja nickte fröhlich. Maxi und Merle warfen sich abschätzende Blicke zu. Davon hielten sie nicht besonders viel. Für sie zählten nur die klassischen Disziplinen. „Ist das alles, was du mit Kandra vorhast?“, wollte Merle schließlich wissen. Isabelle nickte unsicher. Ihre Freundin sagte nichts mehr, doch sie ahnte, was sie dachte. Immer wieder hieß es, sie würde nicht genug aus Kandra machen. Aber am Ende hatte Wiebke Recht und es ging darum, was ihr Spaß machte.

 

Auch in der großen Pause ging es bei den Lustigen Hufeisen um nichts anderes mehr. „Wozu hast du dich angemeldet?“, wollte Maxi kritisch von Merle wissen. „Ich reite die kleine Dressur und das Springen“, antwortete das Mädchen. „Die kleine Dressur?“, hakte Maxi nach und zog eine Augenbraue bedrohlich hoch. „Ellen hat gesagt, es gibt eine A-Dressur“, erklärte Merle ahnungslos. „Ja, die reite ich auch“, knurrte Maxi. Von wegen kleine Dressur. Abgesehen von ihr und vielleicht Merle würden die anderen Mädchen aus ihrer Bande da gnadenlos scheitern. „Springst du auch?“, wollte Ronja von Maxi wissen. „Nein, ich reite nur die Dressur.“ Es war typisch für Merle, dass sie es nicht bei einem Wettkampf beließ. Ebenso war es nicht überraschend, dass Ronja und Klara sich für den spaßigen Teil des Turniers entschieden hatten. Sie waren nicht ganz so ehrgeizig. Klara hatte Ronja regelrecht drängen müssen, mit ihr zusammen zu starten. Finley kam lässig an ihnen vorbei geschlendert. Merle gab sich Mühe, sich ganz normal zu verhalten. Nicht, weil ihr Finley egal wäre, sondern weil sie wusste, dass ihre Freundinnen sie ganz besonders beobachteten, wenn sie sie zusammen sahen. „Sehen wir uns nachher im Stall?“, wollte er von den Lustigen Hufeisen wissen. Hinter ihm tauchte auf einmal auch Marlon auf. Er warf Maxi einen fragenden Blick zu, doch sie wusste damit nichts anzufangen. „Wir wollen nachher die Geschicklichkeitsübungen trainieren“, verriet Klara. „Für die Mounted Games?“, hakte Marlon auffällig interessiert nach. „Ja“, nickte Ronja. „Ihr könnt ja auch kommen.“ Marlon nickte cool, doch Finley antwortete höflich: „Ja, sehr gerne. Wartet mit dem Aufbau, wir helfen euch damit.“ Nun musste Merle doch grinsen. Er war so ein Gentleman.

 

„Als ob wir die Jungs zum Aufbauen bräuchten“, knurrte Isabelle, als die Lustigen Hufeisen am Nachmittag in den Stall kamen. „Es war doch nur lieb gemeint“, beruhigte Maxi sie. Neugierig betraten sie die Reithalle und stellten fest, dass Marlon und Finley schon fast fertig waren. „Ich konnte meiner Mutter ein bisschen Zeit abquatschen“, sagte Marlon grinsend. „Wir haben bis um fünf Uhr Zeit, dann muss die Halle wieder frei sein.“ Wiebke sah sich um und versuchte, herauszufinden, was von ihr erwartet wurde. Isa hatte ihr zwar ein bisschen erzählt, aber besonders viel hatte sie sich nicht vorstellen können. „Das ist gar nicht so wild“, sagte Ronja zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Wir erklären dir alles“, meinte auch Merle. „Dann lasst uns mal unsere Pferde fertig machen“, schlug Marlon vor. Sie gingen in die Stallgasse zurück. Mit gemischten Gefühlen beobachtete Isabelle, wie Wiebke mit Marlon im Stalltrakt der Privatpferde von Ellen verschwand. Da Alaska einer Cousine von Marlon gehörte, stand sie noch immer in diesem Teil des Stalles. Manchmal versetzte es Isa noch immer einen Stich. Sie hatte sich eben mehr mit Marlon vorgestellt. Doch nun konzentrierte sie sich auf Kandra. Wiebke war nun wirklich niemand, dem sie es zutraute, sich Marlon zu angeln. Außerdem hatte der schließlich eine Freundin. Sie brachte Kandras Fell zum Glänzen und begann ein Gespräch mit Maxi in der Nachbarbox.

 

Als sie alle zusammen in die Reithalle gingen, waren sie eine ziemlich große Gruppe. „Wir haben jede Station nur einmal aufgebaut, aber beim Maifest soll es jede davon dreimal geben“, erklärte Marlon. „Sonst dauert es ja ewig und das macht auch mehr Spaß  im direkten Vergleich.“ Fabella sah sich unsicher um. Pylonen, Cavalettis und Eimer standen herum. Für das Pferd ergab das keinen Sinn. Schnell begann Maxi, kleine Volten zu reiten, und die Shagya Araber Stute abzulenken. Während sie warmritten erklärte Marlon, was gemacht werden musste. Sie wollten Slalom um die Pylonen reiten, dann folgte ein Labyrinth durch Hindernisstangen, die auf dem Boden lagen und schließlich mussten sie vom Pferd auf ein Cavaletti steigen, hinüber balancieren und am anderen Ende wieder aufsteigen. Eine weitere Disziplin war das Werfen von Tennisbällen in einen der Eimer. „Beim Maifest wird es noch Sackhüpfen geben“, lachte Marlon. Merle sah zu Finley und fragte sich, ob er wohl mit ihr zusammen an dem Reiterspiel teilnehmen würde.

 

Als sie ihre Pferde warmgeritten hatten, meinte Klara: „Los, probieren wir es!“ – „Willst du anfangen?“, fragte Finley und sie nickte. „Also gut, dann reite so schnell du kannst durch den Slalomparcours der Pylonen, dann durch die Hindernisstangen und dann balancierst du über das Cavaletti, während du Nandu führst“, meinte Marlon. Klara nickte. Das hatte sie schon verstanden, so schwer war es schließlich nicht. Sie ritt mit Nandu an und überlegte, in welcher Gangart sie an beste hindurch käme. Sie entschied sich für Trab und ließ Nandu um die Pylonen laufen. Er war sehr wendig und reagierte sofort auf ihre Hilfen. „Sie reißt doch nur in seinem Maul rum“, meckerte Maxi und rief Klara zu: „Reite das mal vom Bein!“ Den Weg durch die Hindernisstangen nahm Klara im Schritt, dann galoppierte sie zu dem Cavaletti, sprang von ihrem Pony und balancierte der Länge nach über das Cavaletti. Am Ende schwang sie sich wieder auf Nandu und galoppierte zurück zum Start. Ihre Freundinnen klatschten und auch Marlon und Finley stimmten ein. „Das macht Spaß!“, verkündete Klara begeistert und lobte Nandu. „In welcher Gangart müssen wir denn reiten?“, wollte Wiebke unsicher wissen. „Das ist egal, das kannst du frei wählen“, meinte Merle. „Nimm die, in der du dich sicher fühlst, und dein Pony ruhig unter Kontrolle bleibt.“ Wiebke nickte und streichelte Alaskas Hals.

 

„Darf ich jetzt?“, wollte Merle ungeduldig wissen. Ihre Freundinnen nickten und sie legte los. Natürlich gab es nur eine richtige Gangart für sie und das war der Galopp. Aus dem Stand ließ sie Arthos angaloppieren und wendete ihn geschickt um die Pylonen. Selbst Maxi nickte anerkennend vor sich hin. Merle war wirklich gut. Auch durch das Labyrinth schoss sie geradezu hindurch-und dennoch berührte Arthos nie die Stangen. Allerdings purzelte Merle unelegant von der Cavalettistange. Arthos wich erschrocken zur Seite. „Mein armer Po“, jammerte Merle und rieb sich den Hintern. „Ist alles in Ordnung?“, wollte Isabelle besorgt wissen. „Ja, ich bin nur blöd gefallen“, meinte sie. „Kann ich es noch einmal versuchen?“ Die Mädchen lachten. Das war typisch Merle. Gerade hatte sie sich noch wehgetan, da wollte sie auch schon wieder loslegen. Sie war einfach nicht zu stoppen. „Nur auf das blöde Cavaletti kann ich verzichten“, knurrte sie. „Alles oder nichts“, rief Marlon ihr zu. Merle streckte ihm die Zunge raus, ritt den Parcours noch einmal, und sprang mit Arthos über das Cavaletti, statt darüber zu balancieren. „Du bist unglaublich“, lachte Klara. Merle lachte mit und machte sich nichts daraus. Das Balancieren konnte sie immer noch üben.

 

Nacheinander ritten die Lustigen Hufeisen durch den Übungsparcours. Wiebke blieb im Schritt und trabte nur einmal an. Auch Ronja ließ es eher ruhig angehen. Aber sie wollte ihr Tempo unbedingt noch steigern. Marlon und Finley machten natürlich gleich einen kleinen Wettkampf daraus und wollten, dass Isabelle ihre Zeit stoppte. Da sie jedoch beide ebenfalls auf dem Cavaletti stürzten, gab es keinen eindeutigen Gewinner. Nur Maxi hielt sich zurück. Das war einfach nichts für sie. Und für Fabella schon gar nicht. Als Ronja und Klara versuchten, vom Pony aus mit den Tennisbällen die Eimer zu treffen, flippte Fabella aus. Nur mit Mühe konnte Maxi sich oben halten. „Muss das jetzt sein?!“, fauchte sie ungehalten. Schuldbewusst hörten die beiden Mädchen auf. „Das wollten wir nicht“, meinte Ronja entschuldigend. Maxi beruhigte ihre Stute langsam wieder und ritt sie in kleinen Wendungen herum. Doch Fabella glotzte die Eimer an und schnaubte unruhig. Sie war nicht in die Nähe dieser gefährlichen Dinger zu bekommen. „Willst du es nicht mal versuchen, Maxi?“, schlug Marlon vor. „Sehr witzig!“ gab sie pampig zurück. „Das war nicht böse gemeint“, verteidigte er sich. Doch Maxi hatte genug. „Ich gehe in die kleine Halle“, verkündete sie und verschwand mit Fabella.

 

„Meint ihr, sie ist sehr böse?“, wollte Klara wissen. Isabelle zuckte die Schultern und meinte: „Ich glaube, sie wusste vorher, dass das nichts für sie ist.“ – „Oder nichts für Fabella“, meinte Merle. Ihr selbst gefiel es viel besser, als sie es erwartet hatte. Noch ein paar Mal ritt sie durch den Parcours und merkte, wie sie sich verbesserte. Arthos schien es auch Spaß zu machen, denn er stand gut an den Hilfen und machte schön mit. Nur das Cavaletti machte ihr immer Schwierigkeiten. Als sie ihre Pferde versorgt hatten, halfen die Lustigen Hufeisen den Jungs beim Abbau des Parcours. Als Merle noch einmal versuchte, über das Cavaletti zu balancieren, bot Finley ihr seine Hilfe an. Erfreut nahm sie seine Hand und stellte fest, dass es so schon viel besser ging. Gerade, als sie gemeinsam die letzte Hindernisstange auf die Bande hievten, ertönte eine strenge Stimme: „Finley! Finley Martens!“ Der Junge zuckte sofort zusammen. An der Tür stand seine Mutter und sah wieder einmal aus, als wäre sie einem Landhaus Katalog entsprungen. „Ich muss los“, entschuldigte er sich und eilte zu ihr. „Was ist denn los?“, rief Merle ihm erstaunt nach, doch er antwortete ihr nicht.

„Was war das denn?“, wunderte sich Isabelle und trat zu ihrer Freundin. Merle zuckte hilflos die Schultern und meinte: „Das war seine Mutter, aber warum sie so wütend war, weiß ich auch nicht.“ Langsam verließen sie die Halle. „Ist Maxi noch da?“, wollte Ronja wissen. „Sie ist in der Sattelkammer“, wusste Wiebke. „Ich sehe mal nach ihr“, beschloss Isabelle. Ihre Freundinnen wollten in der Stallgasse warten. Langsam betrat Isa die Sattelkammer und entdeckte Maxi, die gerade ihre Stiefel gegen Turnschuhe tauschte. In Gedanken spielte Isabelle durch, was sie sagen könnte, doch ihr war noch nichts Gutes eingefallen. Es kam immer gut bei Maxi an, wenn sie sich entschuldigte. Aber wofür sollte sie sich bloß entschuldigen? „Hey Isa“, meinte Maxi und drehte sich um. Sie sah nicht gerade glücklich aus. „Maxi, wir wollten Fabella wirklich nicht erschrecken…“, begann Isabelle. Maxi lächelte und sagte: „Ist schon okay. Ich hab ja gewusst, dass das nichts wird. Aber ich wollte es so gerne mal ausprobieren.“ Isabelle traute ihren Ohren nicht. „Du wolltest es ausprobieren?“, wiederholte sie ungläubig. „Ja, es sah lustig aus“, meinte Maxi. „Aber ich habe einfach nicht das Pferd dafür.“ Isabelle wusste gar nicht, was sie dazu sagen sollte. Aber Maxi schien auch keine Antwort zu erwarten. Gemeinsam verließen sie die Sattelkammer und Isabelle wunderte sich noch immer über ihre Freundin.

 

„Ist alles in Ordnung?“, wollte Klara von Maxi wissen, als sie sich auf der Stallgasse trafen. Maxi nickte und lächelte. „Wenn du es wirklich mal ausprobieren möchtest, kannst du doch eines unserer Pferde nehmen“, schlug Isabelle ihr vor. „Nein, ist schon in Ordnung, so wichtig ist es mir nicht“, wehrte Maxi an. „Hat jemand eine Ahnung, was jetzt mit Finleys Mutter los war?“, fragte Marlon in die Runde. Die Mädchen sahen auf ihre Handys. Vor allem Merle erwartete irgendwie eine Erklärung von dem Jungen, doch er hatte sich nicht gemeldet. „Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert“, murmelte Ronja mitfühlend. „Dann wäre seine Mutter sicher nicht wütend gewesen“, meinte Marlon. „Jedenfalls hat es Spaß gemacht. Bis dann“, verabschiedete er sich und ging. Die Lustigen Hufeisen warteten noch einen Moment lang unschlüssig, dann machten auch sie sich auf den Weg.

 

„Er wird schon kommen“, beruhigte Isabelle ihre Freundin Merle am nächsten Morgen. Sie standen alle zusammen vor der Schule und warteten auf Finley. Gerade waren schon die Klassenzicken vorbeigekommen und hatten dämliche Kommentare abgegeben. Doch die Lustigen Hufeisen hatten keine Zeit für diesen Kinderkram. „Er war auch nicht im Bus“, berichtete Ronja, die als letzte zu ihnen stieß. Als endlich der Geländewagen von Finleys Mutter rücksichtslos um die Ecke geschossen kam, sprangen die Mädchen erschrocken zur Seite. Die elegante Frau trug eine riesige Sonnenbrille und redete energisch auf ihren Sohn ein, der trotzig aussah. „Was ist da bloß los?“, fragte sich Wiebke und winkte Finley dennoch freundlich und unbedacht zu. Er sprang aus dem Auto und seine Mutter rauschte im Wagen davon.

 

„Finley, Hallo“, rief nun auch Klara. Er näherte sich ihnen und setzte ein Lächeln auf, das sie ihm nicht abkauften. „Hallo Leute“, meinte er und sie wandten sich zum Gehen. Schließlich würde bald der Unterricht beginnen. „Du hast Ärger, stimmts?“, flüsterte Merle ihm von der Seite zu. Er nickte kaum merklich. Wiebke war weniger zurückhaltend: „Was ist denn jetzt los bei dir?“ Finley zögerte. Es schien ihm unangenehm vor den Mädchen zu sein. Er wollte nicht unbedingt seine Probleme von zu Hause mit ihnen erörtern. Weil Merle merkte, dass er herumdruckste, wollte sie ihm helfen. „Finley, ich wollte dich etwas fragen“, begann sie und alle sahen sie erstaunt an. „Ich wollte dich auch etwas fragen“, entgegnete er und lächelte echt. Klara verdrehte bei so viel Romantik die Augen, musste aber auch kichern. „Wollen wir bei den Mounted Games mitmachen?“, fragte Finley schließlich zuerst. Merle nickte überschwänglich. „Ja, das wollte ich auch fragen“, rief sie. „Ich muss nur noch das Balancieren lernen.“ – „Gut, und ich muss meine Mutter beruhigen. Sie ist strikt dagegen“, gestand Finley. Merle sah geschockt aus und er versicherte ihr: „Ich bekomme das schon hin.“ – „Was hat sie denn dagegen?“, fragte Ronja unbeholfen. „Astral könnte sich verletzen. Es ist ein unnötiges Risiko in ihren Augen“, meinte Finley genervt. Die Lustigen Hufeisen fanden das ziemlich übertrieben, schließlich waren es einfache Reiterspiele, bei denen nichts Gefährliches von ihnen verlangt wurde.

18. Kapitel

 

Das Maifest auf Ellens Hof war immer etwas ganz Besonderes. Die Lustigen Hufeisen freuten sich schon seit Wochen darauf. Immer wieder trainierten sie für die Wettkämpfe, die an dem Tag stattfinden sollten. Aber sie halfen auch beim Schmücken, denn jedes Jahr wurden viele Besucher erwartet, vor allem neugierige Mädchen mit ihren Eltern. Auch ihre eigenen Familien wollten sich das Spektakel ansehen. Das machte vor allem Klara nervös. Ihr Opa, der Nandu für sie gekauft hatte, wollte vorbei kommen. Jetzt, wo sie wusste, dass er Ahnung von Pferden hatte, wollte sie sich vor ihm auf keinen Fall blamieren. „Auch, wenn er sich mit Pferden auskennt, ist er ja doch dein Opa“, versuchte Ronja sie zu beruhigen. „Ich weiß, aber ich möchte mit Nandu eine gute Figur machen“, meinte Klara und wirkte richtig eingeschüchtert. „Das wirst du!“, versprach Wiebke. „Das machst du immer, ihr seid einfach füreinander geschaffen.“ Klara nickte schwach. Das sagten immer alle, aber wenn sie ehrlich war, kam sie sich neben Maxi und Merle immer sehr klein vor. Und auch Wiebke hinterließ auf ihrem glänzend weißen Reitbeteiligungspony bleibenden Eindruck. „Deine Familie wird nur Augen für dich haben, das weißt du doch“, versicherte Isabelle ihr. Sie war selbst immer etwas unsicher mit Kandra. Aber für ihre Eltern war das egal, die achteten nicht auf die anderen Mädchen oder deren Pferde.

 

„Die ersten Besucher kommen schon“, verkündete Marlon und betrat die Stallgasse. Maxi fragte sich unwillkürlich, wo er seine Freundin gelassen hatte. Im nächsten Moment zuckte sie zusammen, weil Julia mit Patrick hereinstolziert kam. Wie schaffte sie das bloß immer, ihn mitzunehmen? Dann erschien Finley, der aus der Sattelkammer kam. Er hatte ebenfalls lange beim Aufbau geholfen. „Ich habe meinen Programmzettel verloren“, meinte er. „Aber die Dressur ist doch als erstes, oder?“, wollte er dann von den Lustigen Hufeisen wissen. Maxi nickte zur Bestätigung. „Gut, dann habe ich ja noch Zeit“, stellte er fest und sah sich um. „Deine Mutter kommt auch?“, wollte Merle wissen. „Ja, ich glaube schon“, murmelte er. Bis zuletzt war seine Mutter strikt gegen seine Teilnahme an den Reiterspielen gewesen. Dabei handelte es sich wirklich nicht um eine gefährliche Aktion. Aber sie wollte nicht, dass Finley riskierte, sein wertvolles Sportpferd dabei zu verletzen. Er hatte sich durchsetzen können und sich als Team mit Merle angemeldet.

 

Maxi war schon damit beschäftigt, Fabella zu putzen. Auch Merle fing damit an und Finley half ihr, die Mähnenzöpfe zu kontrollieren. Einige hatten sich in der Nacht gelöst und mussten neu geflochten werden. Ein paar Boxen weiter machte auch Julia ihr Pferd fertig. Maxi wusste, dass auch die Stallzicken Melanie und Jana an der Dressur teilnehmen würden. Doch davor hatte sie keine große Angst. Überhaupt rechnete sie mit einem der ersten Plätze. Da es ein vereinsinternes Turnier war, war die Konkurrenz für sie überschaubar. Sie wusste, dass ihre Freundinnen der Dressur nicht allzu viel abgewinnen konnten, doch sie würden sie trotzdem unterstützen. Als sie wenig später sah, mit dem sie gemeinsam starten sollte, war sie weniger enthusiastisch. Ausgerechnet Julia sollte mit ihr die A-Dressur reiten. „Das nervt ja mal“, stöhnte Maxi auf. „Das kann dir doch egal sein“, fand Klara. „Du bist ohnehin viel besser, als sie.“ – „Aber Fabella kann Othello nicht ausstehen, dieses eingelaufene Pferd“, knurrte Maxi. „Fabella kann eigentlich kein Pferd so richtig ausstehen“, erinnerte Isabelle sie und erntete einen bösen Blick. „Ich habe Melanie, gegen die ich reite“, stellte Merle fest. Das war auch nicht gerade das, was sie sich gewünscht hatte. „Wieso kann Ellen nicht einfach uns beide zusammen in die Halle schicken?“, beschwerte sich Merle und deutete auf Maxi. „Regt euch nicht auf, das ist doch nicht wichtig“, beschwichtigte auch Finley sie. „Auf einem anderen Turnier hättet ihr auch nicht gewusst, gegen wen ihr reiten müsst.“ – „Das wäre mir wesentlich lieber, als diese Zicken in der Bahn zu haben“, meinte Maxi.

 

Doch sie riss sich zusammen und machte sich auf den Weg, um Fabella abzureiten. Merle folgte ihr mit Arthos. Inzwischen waren die Plätze auf der Bank hinter der Bande und im Reiterstübchen fast alle belegt. Im Stall liefen Kinder mit ihren Eltern herum und zeigten ihnen ihre Lieblingspferde. Auch die Lustigen Hufeisen suchten sich einen Platz bei ihren Eltern im Reiterstübchen. Von dort aus wollten sie unbedingt sehen, wie sich Maxi und Merle machten. Schließlich kam Maxi mit Julia eingeritten. Die beiden Mädchen warfen sich böse Blicke zu, als sie sich auf die Mittellinie stellten, und die Richter grüßten. „Das sieht doch gut aus“, murmelte Ronja beeindruckt. Aber bei Maxi war das auch keine Überraschung. Dass Julia mit ihr in der Halle war, spornte sie wahrscheinlich noch weiter an. Doch auch Merle schlug sich ziemlich gut, als sie wenig später gemeinsam mit Melanie die A-Dressur ritt. „Das wird wirklich spannend“, fand Klara, als sie auf die Siegerehrung warteten. Die Zuschauer kannten die Wertnoten, die im Stall ausgehangen wurden, noch nicht. „Für mich sah das alles gleich aus“, sagte Wiebke schulterzuckend. „Lass das bloß nicht Maxi und Merle hören“, kicherte Isabelle. Doch auch sie konnte die feinen Unterschiede kaum sehen. Am Ende überreichte Ellen die Schleife für den ersten Platz Maxi. Fabella fand das gar nicht lustig. Sie ließ nicht zu, dass die Schleife an ihrer Trense befestigt wurde. Maxi nahm sie daher gleich in die Hand. Merle, die den zweiten Platz belegte, zog ein Gesicht, als hätte sie versagt. „Sie ist immer so ehrgeizig“, sagte Finley lächelnd. Die Lustigen Hufeisen fanden es irgendwie niedlich, dass er ihr diese Eigenschaft nicht übel nahm. Er mochte sie anscheinend sogar. Schließlich war er selbst auch sehr ehrgeizig.

 

Im Stall nahmen die Lustigen Hufeisen Merle und Maxi in Empfang. „Das war der Hammer!“, rief Isabelle enthusiastisch und umarmte die siegreichen Reiterinnen. Maxi strahlte und sah immer wieder stolz zu Fabella. „Es war wirklich super“, meinte sie und brachte das Pferd in die Box. „Du warst auch super“, sagte Finley zu Merle, die etwas bedrückt aussah. „Wäre ich super, hätte ich gewonnen“, konterte die. „Lass sie, sie beruhigt sich wieder“, rief Isabelle Finley. Doch der folgte Merle zu Arthos Box. Er wollte sie lieber aufheitern. „Es war wirklich knapp“, gestand Maxi. „An ihrer Stelle würde ich mich auch ein bisschen ärgern.“ – „Aber viel wichtiger ist doch, dass ihr die blöden Stallzicken besiegt habt“, fand Wiebke und bewunderte Maxis Schleife. So etwas hätte sie auch zu gern zu Hause am Schrank hängen. Sie hatte noch nie etwas gewonnen. Das lag wohl daran, dass sie nie irgendwo die Beste war. Oder auch nur eine der Besten. Sie seufzte und überlegte, ob sie wohl in den Reiterspielen eine Chance hätte.

 

„Da ist mein Opa!“, rief Klara erfreut und lief an ihren Freundinnen vorbei zu dem Mann, der gerade den Stall betreten hatte. Sie musste Opa Henry unbedingt zeigen, wie gut Nandu in Form war. „Sehr schön“, murmelte der, als er vor der Box des Ponys stand. „Er sieht wirklich gut aus.“ Klara freute sich über sein Kompliment. „Essen Sie mit uns zusammen eine Kleinigkeit?“, wollte Ronja von ihm wissen. „Ihr braucht mich doch nicht Siezen. Nennt mich Henry“, lächelte er und folgte den Mädchen. Gemeinsam betraten sie das Reiterstübchen, wo sie sich zu ihren Familien an den großen Tisch setzten. Sie waren bei weitem die größte Gruppe. Die Mädchen rückten eng zusammen und teilten sich ein paar Portionen Pommes. Sie wollten vor den Wettkämpfen am Nachmittag nicht zu viel essen. Klaras Eltern waren froh, als Opa Henry zu ihnen stieß. „Was habe ich denn bisher verpasst?“, wollte er neugierig wissen und die Mädchen erzählten ihm von der A-Dressur, die ausgetragen worden war. Gerade fand ein Führzügelwettbewerb statt, in dem sich die jüngsten Reiter messen konnten. Marlon, der am Nachbartisch mit seiner Freundin saß, erzählte ihnen schmunzelnd, dass Ellen für jeden der Nachwuchsreiter eine Schleife besorgt hatte, um sie nicht zu demotivieren. „Das finde ich eine schöne Idee“, fand Wiebke und erkannte ein paar der Kinder aus ihrer Anfängerreitstunde. Merle schien noch ein bisschen daran zu knabbern, nur den zweiten Platz belegt zu haben. Die Lustigen Hufeisen wussten aber, dass sie sich auch beruhigen würde.

 

Nach dem Essen machten sie sich auf den Weg zu ihren Pferden. Ellen hatten gemeinsam mit vielen Helfern den Parcours für die Reiterspiele aufgebaut. Bis auf Maxi wollten alle Lustigen Hufeisen daran teilnehmen. Immer drei Pärchen wurden gleichzeitig in die Halle gerufen, um wie bei einem Staffellauf gegeneinander anzutreten. Dabei wurde von allen Paaren die Zeit genommen und auf einer großen Tafel notiert. Maxi stand hinter der Bandentür und lugte bei jedem erfolgten Durchgang auf die Ergebnisse. „Das könnt ihr schaffen“, sagte sie enthusiastisch zu ihren Freundinnen. Klara wollte unbedingt zeigen, was sie und Nandu konnten. Vor ihrem Opa musste sie einfach eine gute Figur abgeben. Zwar war sie generell eine Sportskanone, doch im Reiten sah sie mehr den Spaß. Heute aber war das anders. Neben dem Spaß sollte bei ihr der Erfolg stehen. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie mit Ronja die beste Partnerin gewählt hatte. Auch Wiebke war nervös. Alle würden zusehen. Was, wenn sie sich total blamierte? Sie konnte nicht durch den Parcours galoppieren, wie die anderen. „Isabelle, Wiebke!“, rief Maxi von der Tür. „Ihr seid dran!“ Dann rief sie noch zwei weitere Paare in die Halle.

 

„Mach dich nicht verrückt, Wiebke“, flüsterte Isa, als sie sich vor ihrem Parcours aufstellten. „Alaska ist ein tolles Pony und du hast so viel trainiert.“ – „Aber wenn ich versage, dann sehen es alle“, murmelte sie. „Konzentrier dich auf Alaska“, riet Isa ihr. „Willst du lieber anfangen?“ Wiebke zögerte. Was war denn besser? Darüber hätte sie mal eher nachdenken sollen. „Fang du an“, sagte sie zu Isa. Dann konnte sie sich noch einen Moment lang sammeln. Das Startsignal ertönte und Isa galoppierte Kandra aus dem Stand an. Das hätte Wiebke nie hinbekommen. Kandra schoss im Slalom um die Pylonen und im Trab durch das Stangenlabyrinth. Dann balancierte Isabelle über das Cavaletti und stieg am anderen Ende schwungvoll wieder auf. An der nächsten Station musste sie von Kandras Rücken aus drei Tennisbälle in die dafür vorgesehenen Eimer werfen. Das letzte Stück schließlich wurde das Pferd geführt, während Isa in einem großen Jutesack neben ihr her hüpfte. Sie kam keuchend ins Ziel gestolpert und fiel auf die Knie. Wiebke startete, so schnell sie konnte. Alaska machte bei dem unerwartet heftigen Schenkeldruck einen richtigen Satz nach vorn. aber Wiebke hielt sie im Trab und passierte so die Pylonen und das Labyrinth. Beim Balancieren holte sie viel Zeit auf und auch das Werfen lag ihr gut. Das letzte Stück hüpfte sie besonnen, denn sie wusste, dass sie sich bei zu viel Eile nur langmachen und Zeit verlieren würde. Als ihre Zeit am Ende aufgeschrieben wurde, sah sie erstaunt ihre Cousine an. Das war doch nicht möglich! „Wiebke! Wir führen die Liste an!“, kreischte Isabelle fassungslos vor Freude. Kaum hatten sie die Halle verlassen, da fielen sie sich um den Hals. „Es kommt nur noch eine Gruppe!“, rief Isabelle aufgeregt. Das hieß, nur noch drei Paare konnten ihnen den Sieg streitig machen.

 

In dieser Gruppe waren allerdings auch Merle und Finley, die das Ganze sehr ernst nahmen. Finley hatte bis zuletzt gehofft, seine Mutter unter den Zuschauern zu finden. Doch sie war nicht aufgetaucht. Damit wollte sie wohl ihren Unmut über seine Teilnahme an dem Reiterspiel ausdrücken. Dabei hatte er das auch so schon gut verstanden. Allerdings hätte Finley sich gefreut, wenn auch sie ihn verstanden hätte. Neben ihm und Merle standen Ronja und Klara mit ihren Ponys. Merle sah verkniffen auf die Tafel. Ausgerechnet Isa und Wiebke sollten hier gewinnen? Das konnte doch nicht sein. Finley und Ronja sollten in ihren Teams jeweils beginnen. Sie stellten sich auf und warteten auf das Startzeichen. Finley jagte seinen Hannoveraner durch den Slalom und das Labyrinth. Ronja lag auf Randy hinter ihm, holte aber beim Balancieren wieder auf. Finley hatte dafür beim Bällewerfen die Nase vorn. Im Endspurt beim Sackhüpfen lagen sie fast gleichauf. Merle konnte es kaum abwarten, loszulegen. Kaum hatte Finley die Ziellinie überquert, da schoss sie mit Arthos los. Doch Klara war auf ihrem Grauschimmel schneller. Die Ponys waren einfach viel wendiger im engen Parcours. Klaras rotes Haar wehte unter ihrer Reitkappe, als sie von Nandu auf das Cavaletti sprang und elegant hinüberlief. Merle lag schon ein Stück hinter ihr. Außerdem war ihr das Balancieren noch immer unheimlich. Aus Angst zu fallen bewegte sie sich nur langsam hinüber. Klara sprang auf Nandu, während der schon angaloppierte. Kurz vor Arthos kam sie an den Eimern an. Im Nu waren alle Bälle geworfen und sie zog sich den Jutesack über die Beine. Merle war ihr dicht auf den Fersen, doch sie ließ sich nicht beirren. „Komm schon, Nandu!“, rief sie und hüpfte mit aller Kraft. Merle konnte es nicht fassen, dass sie gerade von zwei Ponyreitern geschlagen wurden, die sich sonst nie besonders viel Mühe beim Reiten gaben. Als sie dann auch noch stolperte und fiel, stiegen ihr beinahe Tränen in die Augen. Schnell rappelte sie sich auf und hüpfte weiter. Doch Klara hatte sie abgehängt.

 

Die Zuschauer jubelten über das knappe Rennen und Klara und Ronja jubelten, als ihr Ergebnis bekannt wurde. Sie hatten die Reiterspiele mit der besten Zeit gewonnen. Merle musste schlucken, als sie sah, dass sogar Wiebke und Isa noch vor ihr und Finley auf Platz zwei gelandet waren. Die Lustigen Hufeisen kamen in die Halle gestürmt, um sich gegenseitig zu gratulieren. „Klara, das sah großartig aus!“, rief Maxi begeistert. „Ja, du warst ganz in deinem Element, oder?“, lachte Wiebke. „Der Wahnsinn!“, fand auch Finley und erntete einen bösen Blick von Merle. „Danke“, lachte Klara und lobte Nandu ausgiebig. Jetzt hatten alle sehen können, wie gut sie zusammenpassten. Ihr Opa wäre sicher stolz auf sie. Als Ellen die Schleifen verteilte, freute sie sich auch besonders für Klara. „Gut, dass Nandu bei dir gelandet ist“, sagte sie und gratulierte ihnen ganz herzlich. Klara kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus. Ihre Eltern winkten vom Reiterstübchen aus. „Unsere Ponys sind super“, fand auch Ronja und gab Klara High Five.

 

Wiebke und Isabelle hatten den zweiten Platz erreicht und vor allem Wiebke war so stolz darauf, auch eine Schleife gewonnen zu haben. Die würde einen Ehrenplatz in ihrem Zimmer erhalten. Nur Merle war alles andere als glücklich. Wenn sie bei einem Wettkampf antrat, dann hatte sie immer das Ziel, zu gewinnen. Alles andere reichte ihr nicht. an diesem Tage war sie jedoch schon zweimal auf die Plätze verwiesen worden. Das war nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. Finleys Versuche, sie aufzuheitern, schlugen allesamt fehl.

 

In der Stallgasse nahm Opa Henry Klara in Empfang. „Das war ein atemberaubender Ritt“, sagte er und drückte sie fest an sich. „Deine Mutter konnte kaum hinsehen.“ Klara lachte und freute sich über das Lob. Auch ihre Freundinnen umringten sie und Nandu. „Ihr seid so ein perfektes Paar“, fand Maxi. „Danke, danke“, kicherte Klara. Sie wurde ganz rot vor Freude. Ihre Eltern kamen um die Ecke und bewunderten ihre Schleife. Vor allem ihr Vater war sichtlich stolz auf Klara. Ihre Mutter wirkte noch ein bisschen blass und traute sich kaum in die Stallgasse. „Ich glaube, wir machen uns auf den Weg nach Hause“, erklärte sie schließlich. Klara nickte und verabschiedete sich. Sie selbst wollte auf jeden Fall noch bleiben. Denn bald stand noch das A-Springen an. Das wollte sie unbedingt sehen.

 

Merle ging den Parcours zusammen mit Finley ab und knurrte: „Wir hätten gewinnen müssen.“ – „Haben wir aber nicht“, sagte er ruhig. „Die Ponys waren viel wendiger.“ Merle nickte mit zusammengebissenen Zähnen und ging die Sprünge zwischen zwei Steilsprüngen ab. „Finley!“, rief plötzlich seine Mutter von der Bande aus. Er winkte kurz und zog ein wenig begeistertes Gesicht. Mit großen Schritten näherte sich die Frau ihnen. „Hallo Frau Mertens“, sagte Merle höflich aber ohne zu lächeln. „Wie lief es bisher?“, wollte die elegante Frau wissen. „Wir haben den dritten Platz belegt“, antwortete Finley. „Und dafür riskierst du die Gesundheit deines Pferde“, murmelte seine Mutter. „Ein kleiner Slalomparcours und ein Stangenlabyrinth sind ja wohl keine große Gefahr“, konterte Finley. „Ein dritter Platz ist aber auch nicht gerade rühmlich, wenn es so einfach war“, hielt sie dagegen. „Das stimmt“, murrte Merle ohne aufzusehen. Dann konzentrierte sie sich auf den Parcours. Es ging um den Sieg. Die letzte Möglichkeit, siegreich zu sein. Als sie fertig war, sah sie auf. „Hat deine Mutter noch einen Tipp für uns?“, wollte sie von Finley wissen. „Ich habe sie weggeschickt“, sagte der. Merle sah ihn an, als wäre er verrückt geworden. „Warum?“, fragte sie fassungslos. „Weil ich das allein kann“, meinte Finley. Merle glaubte es nicht. Da hatte er eine Mutter, die eine international erfolgreiche Springreiterin war, und hielt sich für zu gut, um Tipps anzunehmen. Hinter ihnen ging Marlon. Doch er wirkte nicht besonders konzentriert. Immer wieder warf er einen Blick auf die Tribüne hinter der Bande. „Suchst du etwas?“, fragte Merle ihn patzig. Erstaunt sah er sie an. Normalerweise war sie keine solche Zicke. „Nur meine Freundin“, entgegnete er.

 

Das Feld der Teilnehmer am A-Springen war überschaubar. Nur wenige junge Reiter hatten sich dazu angemeldet. Merle und Finley standen mit ihren Pferden in der kleinen Halle. Sie waren nur ein paar Probehindernisse gesprungen. Schließlich hatten Arthos und Astral schon an den Reiterspielen teilgenommen. Marlon kam schlecht gelaunt aus dem Parcours wieder. Merle traute sich gar nicht, ihn zu fragen, wie es gelaufen war. Auch Charlotte riss mit ihrer Stute Ebony zwei Hindernisse. Heimlich freute Merle sich darüber sogar. Das ließ ihre Chancen auf den Sieg weiter steigen. Als Ellen verkündete, dass sie als letzte starten sollte, grinste sie. Das lag ihr besonders gut. Unter Druck lief sie meist zu Hochformen auf. Finley war vor ihr an der Reihe. Seine Mutter ließ es sich nicht nehmen, ihn auf Schritt und Tritt zu verfolgen, obwohl er sie eigentlich weggeschickt hatte. Bis zur Tür der großen Reithalle brachte sie ihn.

 

Als Finley wieder kam, redete seine Mutter wild auf ihn ein. Merle wusste, dass sie sich beeilen musste, doch sie konnte nicht anders. „Finley!“, rief sie. Er sah auf und seine Mutter verstummte. „Wie war es?“, fragte sie. „Fehlerfrei“, antwortete er. Verdutzt sah Merle seine Mutter an. Was gab es denn dann zu meckern? „Seine Zeit war eine Katastrophe!“, fand die Frau. „Fast hätte er auch noch einen Fehler eingebaut. Das kommt davon, wenn man sich durch Ponyspiele ablenken lässt.“ Merle lächelte Finley an. Erstaunt lächelte er zurück. Sie ritt ein, grüßte die Richter und begann, als die Glocke läutete. Arthos war in Bestform. Er würde nicht reißen. Merle kannte den Weg und wusste, wie viel Sprünge sie brauchte. Und sie wusste, dass Arthos besser in der Zeit lag. Sie spürte es einfach. Nach der Hälfte des Parcours hatte sie ein sehr gutes Gefühl. Ein paar Hindernisse weiter hörte sie ihre Freundinnen schon auf der Tribüne hinter der Bande jubeln. Es fehlten nur noch ein Steilsprung und ein Oxer. Doch nach dem Steilsprung nahm Merle Arthos zurück. Erstaunt verstummten die Lustigen Hufeisen. Merle wurde immer langsamer und ritt Arthos in eine Volte. Dann erst ließ sie ihn das letzte Hindernis nehmen und beendete ihre Runde.

 

„Was war das denn?“, wollte Isabelle draußen von ihr wissen. „Was?“, tat sie ahnungslos. „Du weißt genau, was  ich meine“, beharrte das Mädchen. „Nein, weiß ich nicht.“ – „Merle, sogar ich habe gesehen, was du da gemacht hast“, behauptete Wiebke. „Ach ja?“, fragte sie trotzig. „Du hast Finley gewinnen lassen“, keuchte Ronja. „So ein Quatsch, ich musste Arthos zurücknehmen, weil…“, stammelte Merle. Ihre Freundinnen sahen sie an und glaubten ihr kein Wort. „Das war sehr großzügig von dir“, sagte Frau Mertens, die mit Finley zu ihnen stieß. „Ich habe gar nichts gemacht“, wehrte Merle ab. „Natürlich“, sagte Finleys Mutter und verschwand. „Danke“, sagte er. Merle sagte nichts, lächelte aber. Sie hatte ihm den Sieg überlassen. Er hatte ihn dringender gebraucht, um seine Mutter ruhig zu stellen. „Das hätte ich ihr nie zugetraut“, wisperte Klara leise, als Merle, Finley und Marlon zur Siegerehrung ritten.

19. Kapitel

 

 

Am Abend trafen sich die Lustigen Hufeisen bei Klara, um sich für die Reithallenparty schick zu machen, die das Maifest würdig ausklingen lassen sollte. Wenigstens ein bisschen wollten sie sich aufhübschen und nicht in ihrem normalen Stalllook auftauchen. Maxi half ihren Freundinnen dabei, Haare und Make Up hinzubekommen. „Viel mehr haben wir nicht zu zeigen“, seufzte sie immer wieder. Denn natürlich brauchten sie noch ihre Jacken und flache Schuhe für den Boden in der Reithalle. Wenigstens hatte es aufgehört zu regnen. Aber besonders warm war es trotzdem noch nicht. Klaras Eltern hatten angeboten, die Mädchen in den Stall zu fahren. Dafür sollten Isas und Wiebkes Mutter sie später nach Hause bringen.

 

Noch immer war Klara der Held des Tages. Ihr Ritt mit Nandu war einfach beeindruckend gewesen. Im Auto waren sie total aufgedreht und konnten sich gar nicht einkriegen. „Wir sind schon ziemlich erfolgreich gewesen“, fand Wiebke. „Jeder von uns hat mindestens eine Schleife gewonnen“, stellte Merle fest. Auch, wenn es nicht so gelaufen war, wie sie es sich gedacht hatte, war sie inzwischen stolz auf sich und Arthos. „Das hätte ich auch nie gedacht“, lachte Wiebke. „Merle hat sogar drei Schleifen bekommen“, staunte Ronja ehrfürchtig. Merle lächelte froh. Am Ende des Tages war ihr das gar nicht mehr so wahnsinnig wichtig. Viel mehr fragte sie sich, ob auch Finley zu der Party kommen durfte. Sie hatte sich nicht getraut, ihn danach zu fragen. Wer wusste, wie streng seine Mutter war.

 

Als sie die Reithalle betraten, wurden sie von lauter Musik empfangen. An den Seiten waren Tische und Stühle aufgebaut worden und eine kleine Bar. In der Mitte tanzten einige Erwachsene bereits wild. „Gut, dass unsere Eltern nicht hier sind“, lachte Ronja. „Meine Eltern könnten auch so peinlich tanzen“, kicherte Merle. Sie hielt Ausschau nach Finley und versuchte, das unauffällig anzustellen. „Holen wir uns etwas zu trinken“, schlug Klara vor. Gemeinsam steuerten sie die Bar an und ließen sich jeder einen Becher Cola geben. Ellen kam herein und brachte eine ganze Menge Luftballons mit. Sie drückte den Lustigen Hufeisen einige davon in die Hand und fragte: „Habt ihr Marlon gesehen?“ – „Nein“, antwortete Isabelle für sie alle. Ellen seufzte genervt, wünschte ihnen viel Spaß und verschwand. „Was war das denn?“, wunderte sich Ronja. „Keine Ahnung, ist nicht unser Problem“, fand Klara und bewegte sich zum Takt der Musik hin und her. Ihr war nach Feiern zumute und Tanzen. Als ihre Becher leer waren, begannen sie herum zu hüpfen. „Ihr seid so albern“, kommentierte Jana hochnäsig. „Und ihr seid langweilig“, konterte Wiebke und drehte sich extra im Kreis um die Stallzicken. „Hör auf damit!“, fauchte Melanie und die Zicken suchten sich einen anderen Ort. „Was die immer haben“, wunderte sich Maxi und tanzte wild umher. Sie entdeckte Julia, allerdings ohne Patrick. Das war seltsam, denn sonst hatte sie ihn fast immer bei sich. Fast tat ihr das Mädchen ein bisschen leid. Sie hatte im Stall keine Freunde. Nicht einmal die Zicken ließen sie in ihre Nähe. Merle war ihrem Blick gefolgt und sagte energisch: „Denk nicht mal daran!“ – „Woran?“ – „Sie aus Mitleid zu uns zu holen“, erklärte Merle. Maxi schüttelte den Kopf. So weit würde es nicht kommen. Bald darauf war Julia auch verschwunden.

 

Nach einer Weile brauchten die Lustigen Hufeisen eine kleine Pause. „Ich könnte schon wieder etwas essen“, gestand Wiebke. „Ich auch“, murmelte Isa kleinlaut. „Wir können ja sehen, ob wir im Reiterstübchen noch etwas bekommen“, schlug Maxi vor. Ihre Freundinnen stimmten ihr zu und so machten sie sich auf den Weg. Tatsächlich konnten sie noch etwas zu Essen ergattern. Mit Sandwiches auf der Hand machten sie sich auf den Weg zurück. „Können wir kurz in den Stall?“, bat Klara. „Du bekommst von Nandu gar nicht mehr genug, was?“, kicherte Ronja und sie nickte. Leise betraten sie die Stallgasse und blieben verwundert stehen, als sie Stimmen hörten. Wie die Detektive drückten sie sich an der Wand entlang. Es klang nach Streit. Merle stieß Ronja an und zischte: „Sieh mal nach!“ Vorsichtig beugte sich das Mädchen vor und riskierte einen Blick. „Julia und Patrick“, hauchte sie und lehnte sich wieder zurück. Klara legte den Finger auf die Lippen, damit sie mithören konnten. „Du bist ja nur im Stall“, beschwerte sich Patrick gerade. „Natürlich, ich muss mich ja wohl um mein Pferd kümmern“, erklärte sie ihm. „Aber das ist total langweilig“, protestierte er. „Dann bleib halt weg und geh zu deinen blöden Computerspielen“, rief Julia aufgebracht. „Das werde ich auch“, verkündete Patrick und verschwand. Bald darauf verließ auch Julia den Stall.

 

„Da hat er sich also doch nicht geändert“, seufzte Maxi. „Warum sollte er auch?“, meinte Merle schulterzuckend. Sie glaubte nicht, dass jemand sich so schnell so stark verändern konnte. Sie besuchten ihre Pferde und gaben ihnen ein paar Leckerlies. Dann machten sie sich wieder auf den Weg in die Reithalle. Immer mehr Reiter und Reiterinnen tanzten in der Mitte der Halle. Die Lustigen Hufeisen holten sich noch etwas zu trinken und beobachteten das wilde Treiben. Merle nippte an ihrer Cola und ließ die Tür nicht aus den Augen. Es war schon nach neun Uhr. Isas und Wiebkes Eltern würden sie um zehn Uhr abholen. Von Finley war nichts zu sehen. Dafür entdeckte sie jemand anderes. Marlon kam mit seiner Freundin Jasmin herein. Diesmal stieß Merle Ronja so stark an, dass diese ihren halben Becker Cola verschüttete. „Hey!“, motzte Ronja. „Ich kauf dir eine neue“, wehrte Merle ab. „Aber seht doch mal!“ Sie deutete mit dem Kopf in Richtung Tür. Maxi zuckte zusammen, als sie das Paar sah. Das hatte sie gar nicht sehen wollen. Doch dann verstand sie, was Merle meinte. Jasmin hatte sich total aufgebrezelt und trug High Heels mit Pfennigabsätzen. „Sehr intelligent“, kommentierte Klara. Sie mussten kichern, als Jasmin wie ein Storch durch die Halle stokelte. Marlon folgte ihr und versuchte, den amüsierten Blicken der anderen Reiter auszuweichen. Allerdings hörten sie auf zu lachen, als das Mädchen stecken blieb und umknickte. „Das sah böse aus“, murmelte Ronja. „Aber auch lustig“, fand Wiebke taktlos. Marlon wollte seiner Freundin aufhelfen, doch sie schubste ihn weg. Dann zog sie die Schuhe aus und schrie ihn an: „Du bist so ein dämlicher Bauerntrampel!“ – „Was habe ich denn getan?“, wollte Marlon wissen. „Du hängst nur hier im stinkenden Stall rum und schleppst mich zu dieser Misthaufenparty!“, beschwerte sie sich. Bevor er etwas entgegnen konnte, ließ sie ihn stehen und verschwand.

 

„Marlon! Komm her!“, winkte Merle ihn zu sich herüber. Sie war eine gute Freundin von ihm und keines der anderen Mädchen hätte sich getraut, ihn einfach so zu sich zu rufen. Aber er gehorchte und kam niedergeschlagen auf sie zu. „Hey, habt ihr Spaß?“, wollte er wissen. „Dank dir schon“, meinte Merle. „Du solltest Jasmin mal Patrick vorstellen, der hat Julia das Gleiche vorgeworfen“, erklärte Ronja ihm. „Ihr habt sie gehört?“, hakte er nach. „Ich glaube, fast jeder hier hat sie gehört“, sagte Klara grinsend. „Lass dir die Laune nicht verderben“, riet ihm Maxi. Er lächelte sie an und fragte: „Ich würde mir gern etwas zu trinken holen. Hast du Lust, mich zu begleiten?“ Maxi sah ihre Freundinnen prüfend an. „Jetzt geh schon!“, sagte Isa und drängte sie in seine Richtung. „Okay, aber wir sind gleich wieder da“, versprach Maxi.

 

„So viel Streit an einem Abend“, seufzte Klara. „Gut, dass ich keinen Freund habe. Das macht ja alles nur komplizierter.“ Isabelle dachte daran, wie ihre Mutter behauptet hatte, Klara würde keine Zeit für Jungs haben, wenn sie ein eigenes Pferd bekäme. Anscheinend funktionierte es. Oder Klara hatte allgemein noch kein Interesse an Jungen. „Ja, wie gut“, murmelte Merle und sah verträumt zur Tür. Gerade kam Finley mit seinen Eltern herein. „Du willst uns also auch verlassen?“, spottete Wiebke und deutete auf Finley. „Nein, er soll zu mir kommen“, lachte Merle und winkte ihm. „Kannst du mir auch mal so einfach einen Jungen herwinken?“, fragte Isabelle kichernd. „Ich kann es versuchen. Welchen hättest du denn gern?“, wollte Merle wissen und sie prusteten los. Finley kam zu ihnen und auch Maxi und Marlon stießen wieder zu ihrer Gruppe dazu. „Danke noch mal, dass du mich gewinnen lassen hast“, sagte Finley zu Merle. „Sag das doch nicht immer, sonst glaubt es noch jemand“, wehrte Merle ab. „Es wissen sowieso alle“, meinte Marlon und sie streckte ihm die Zunge raus. Sie schlürften eine Weile ihre Cola und tauschten die Erlebnisse des Tages aus. Das Highlight war noch immer Klaras Ritt, mit dem sie alle begeistert hatte. Sie stießen auf Nandu an und stürmten dann die Tanzfläche. „Das wird ein super Sommer!“, rief Klara voller Vorfreude. „Mit den besten Freundinnen der Welt!“, fügte Wiebke hinzu und umarmte Ronja. „Und der coolsten Bande!“, rief Isabelle und hüpfte aufgedreht herum. Ein bisschen Zeit hatten sie noch, bis sie abgeholt werden sollten. Und die Zeit wollten sie auf jeden Fall gut nutzen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.11.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Svenni widmet dieses Buch ihrem Freund, ihrer besten Freundin und allen pferdebegeisterten Mädels. Betty widmet dieses Buch Nele.

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