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1. Kapitel

Schlecht gelaunt starrte Isabelle aus dem Fenster. Seit zwei Tagen regnete es nur noch Bindfäden, nachdem ein heftiges nächtliches Gewitter die wochenlange Hitzewelle beendet hatte. „Bald fängt auch noch die Schule an“, dachte sie frustriert. Dabei waren die letzten fünf Wochen ein Traum gewesen. Keine Schule, keine nervigen Lehrer, keine Klassenarbeiten, keine Hausaufgaben und vor allem kein frühes Aufstehen. Fast jeden Tag hatte sie sich in den Ferien mit ihren Freundinnen getroffen. Gemeinsam waren sie ausgeritten, geschwommen, hatten Übernachtungspartys veranstaltet und in der Eisdiele von Maxis Eltern Eis gegessen, so viel sie wollten. Maxi war Isabelles beste Freundin. Obwohl sie eigentlich Maxine hieß, wurde sie nur Maxi gerufen, was sich viel cooler und lustiger anhörte, als Maxine. Erst seit einem Dreivierteljahr gehörte sie zu den Lustigen Hufeisen, einer Mädchenbande, die Isabelle vor einigen Jahren in der dritten Klasse gegründet hatten. Da Maxi erst im vergangenen Schuljahr in die Klasse gekommen war, war Isabelle mit ihr noch nicht so lange befreundet, wie mit den anderen Mädchen. Trotzdem war sie mittlerweile ihre beste Freundin, da sie zu zweit ein Herz und eine Seele waren. Zu Gründungszeiten der Bande hatten die Lustigen Hufeisen nur drei Mitglieder gehabt. Das waren neben Isabelle Klara und Ronja gewesen. In der fünften Klasse auf dem Gymnasium war auch Merle als viertes Hufeisen in den Club aufgenommen worden. Maxi war nun Mitglied Nummer fünf. Obwohl es immer wieder Mädchen gab, die unbedingt bei ihnen dabei sein wollten, schob Isabelle ihnen regelmäßig einen Riegel vor. Um bei den Lustigen Hufeisen dabei zu sein, sollte man mindestens ein eigenes Pferd oder ein Pflegepferd haben. Dennoch war Isabelle als Anführerin der Meinung, dass fünf Mitglieder für eine Bande genug waren.

 

Das Wetter machte keine Anstalten, sich zu bessern. Dicke Tropfen klatschten gegen die Scheiben und heftige Böen pfiffen um das Haus. Dass Isabelle hier drinnen hockte, hatte einen anderen Grund. Erst vor wenigen Tagen hatte die Bande ein paar Hühner von der alten Witwe Lüderitz freigelassen, die direkt neben dem Reitstall wohnte. Durch Marlon, den Sohn der Reitlehrerin, hatten die Mädchen erfahren, dass die Witwe all ihre Hennen schlachten wollte. Als Tierfreundinnen hatten die Mädchen das nicht zulassen können. Innerhalb kürzester Zeit hatte Klara, die für Streiche und Bandenspaß verantwortlich war, einen Rettungsplan ausgeheckt. Bis zu Einbruch der Dunkelheit hatten sich die Mädchen mit ihren Pferden beschäftigt und mit Marlon auf der Veranda Orangenlimonade getrunken. Als die Zeit nahte, waren die fünf Freundinnen wie die Indianer davongeschlichen. Es war ganz schnell gegangen. Isabelle hatte die Stalltür geöffnet. Merle und Klara die fünf Hühner hinausgescheucht, während Maxi und Ronja Schmiere standen. Wie aus dem Nichts war jedoch ein schwarzer Kater aufgetaucht, der sich über die Hühner hermachte. Das Gegacker hatte natürlich die alte Witwe aus dem Haus gelockt. Wäre Merle nicht über einen rostigen Eimer gestolpert, wären die Freundinnen entkommen. Da die Lustigen Hufeisen ein hilfloses Bandenmitglied nicht in Stich ließen, ließen sie zusammen den heftigen Wutausbruch der grantigen Lüderitz über sich ergehen. Selbstverständlich kannte sie einige Eltern der Mädchen, darunter leider auch die von Isabelle. Gleich darauf war sie sie ins Haus zurück ans Telefon gestürzt. Das nächste Donnerwetter hatte Isabelle bereits an der Haustür empfangen. Eine Woche Hausarrest bekam sie für den gut gemeinten Streich aufgebrummt. Noch nicht einmal mit ihren Freundinnen durfte sie telefonieren und zu guter letzt hatte ihre Mutter ihr Handy einkassiert. Darüber hinaus mussten die Lustigen Hufeisen alle toten Hennen ersetzen. Das machte pro Bandenmitglied eben mal 20 Euro, die Isabelle von ihrem Taschengeld bezahlen musste.

 

Kein Wunder, dass ihre Laune stetig tiefer in den Keller ging. Um sich ein wenig aufzumuntern, legte sie ihre Lieblings-CD auf. Musik konnte sie immer ein wenig glücklicher machen, besonders dieser neue Sänger am Popstarhimmel hatte es ihr angetan. Neben den ganzen Pferde- und Katzenpostern hatte sie auch viele Poster von Popstars und schnuckeligen Jungschauspielern an den Wänden hängen. Obwohl Ronja und Merle auf diesen Schauspieler aus einem bekannten Vampirfilm standen, hatte Isabelle bereits ihren eigenen Schwarm. Marlon vom Reitstall, der etwa vierzehn sein musste, und somit zwei Jahre älter als sie war. Jedes Mal, wenn sie ihm begegnete, begann ihr Herz, schneller zu schlagen. Dies war seit knapp drei Monaten der Fall. Anfangs war es ihr sehr peinlich gewesen und sie hatte versucht, ihre Gefühle vor ihren Freundinnen zurück zu halten, was ihr bei Maxi nicht gelang. Ihre beste Freundin, deren Mutter ein italienisches Ex-Model war, kam schnell darauf, dass sie sich in Marlon verschossen hatte. Schließlich war seit zwei Monaten mit Patrick zusammen, der in ihre alte Klasse ging. Allerdings konnte Isabelle diesen machohaften Idioten nicht ausstehen.

 

„Isa, die Gäste sind da!“, drang es leise durch die Tür. Da Isabelle in der Welt der Musik verschollen war, nahm sie die Stimme ihrer Mutter nicht wahr. „Isabelle, muss man dich hundertmal rufen?“, riss ihre Mutter die Tür auf. „Was ist denn los?“, fuhr sie erschrocken hoch. „Mach endlich deine Musik leiser!“, setzte ihre Mutter nach. „Ja, mache ich schon“, erwiderte sie schlecht gelaunt. „Wiebke und Tante Hilda sind gerade angekommen“, sagte ihre Mutter. „Oh, das hatte ich ganz vergessen“, fiel es Isabelle ein. „Dann kämm dir die Haare und zieh dir eine vernünftige Hose an!“, schloss ihre Mutter die Tür hinter sich. Seit wann musste sie sich für Familienangelegenheiten noch schick machen? Normalerweise legte sie schon Wert auf ihr Aussehen, besonders wenn sie zur Schule ging, oder mit ihren Freundinnen abhing. Aber doch nicht für ihre Tante und Cousine. Murrend kämmte sie ihre langen dunkelblonden Haare, bis sie golden glänzten, und band sie zu einem lockeren Zopf zusammen. Im Schrank hing noch eine schwarze Jeans, die sie sonst nur zu festlichen Anlässen trug. „Ich habe sie wirklich vollkommen vergessen“, murmelte sie leise vor sich hin, während sie noch ein blau kariertes Hemd anzog.

 

In der Wohnung unter ihnen tat sich seit Wochen wirklich etwas. Seit ihr Opa im Frühjahr gestorben war, stand die Wohnung leer, da Isabelles Oma mittlerweile im Seniorenheim wohnte. Nun war der Tag gekommen, an dem ihre Tante mit ihrer Tochter Wiebke einziehen wollte. Tante Hilda hatte sich erst vor kurzem von ihrem Mann getrennt. Ihr Vater blieb mit Wiebkes älterem Bruder Johannes in der alten Wohnung, während Hilda mit Wiebke in ihrem Haus Asyl suchte. Isabelle mochte ihre geschwätzige Cousine nicht besonders, wobei Wiebke ein großes Talent darin war, ihre Mitmenschen mit Leichtigkeit zu nerven. Mit zusammengekniffenen Lippen schlurfte Isabelle die Treppe hinunter in die frühere Wohnung ihrer Großeltern. Schon im Flur vernahm sie Hildas markant hohe Stimme. Oh je, wie es wohl werden würde, wenn sie den ganzen Abend dieses Gelaber ertragen musste? Wiebke war auch nicht besser. Wieso konnte sie nicht einfach mit Johannes tauschen? Zwar sprach ihr Cousin nicht viel und interessierte sich für Geschichte, doch das wäre ihr viel lieber gewesen.

 

„Hallo Isabelle, wie schön dich zu sehen!“, flog Hilda auf sie zu und verpasste ihr zwei Schmatzer auf die Wange. „Hallo Hilda!“, zwang sich Isabelle zu einem Lächeln. Hildas Duftwolke gab ihr fast den Rest, wenn sie sich nicht schnell aus der Umarmung befreit hätte. „Ich dachte, du könntest gut neben Wiwi sitzen“, richtete sich ihre Mutter an sie. Och ne, jetzt auch noch das! „Hallo Isa, wie geht es dir?“, plapperte Wiebke auch schon los. „Den Umständen entsprechend“, erwiderte sie neutral. Oh je, wie kindisch sie aussah! Diese neonfarbenen Ohrstecker, diese quadratische Nerdbrille, dieser komische Zigeunerinnenrock und der hohe Pferdeschwanz! Maxi und Merle, die die Modeexpertinnen in der Bande waren, hätten am Boden gelegen vor Lachen. Auch Isabelle hätte mit geschlossenen Augen erkannt, dass dieser Style ein absolutes No Go war. „Hier ich habe noch was für dich!“, überreichte ihre Mutter ein kleines Päckchen an ihre Cousine. Wiebke hatte erst in der vergangenen Woche Geburtstag gehabt. Da war doch was!

 

Gemeinsam stimmten sie Happy Birthday an. Wiebke strahlte zwischen ihnen wie eine Schneekönigin. Erst zwölf Jahre war sie alt. Wie kindisch-und dann sollte sie mit Isabelle demnächst die siebte Klasse besuchen? Isabelle war auch noch zwölf, obwohl sie in knapp drei Monaten schon dreizehn würde. Das war ein kleiner Unterschied, dennoch ein markanter Unterschied im Alter der Pubertät. Nachdem ihre Mutter ihr einen Kuchen mit 12 Kerzen gebracht hatte, durfte Wiebke das Geschenk auspacken. Der neuste Mangaband einer Serie kam zum Vorschein. Was sonst. Isabelle verstand nicht, wie man auf so einen kindischen Kram abfahren konnte. Wer las schon Mangas? Na gut, ihre Freundin Ronja tat es, doch sie hielt ihre Vorliebe vor ihren Freundinnen eher bedeckt. „Freust du dich schon, mit Isa in eine Klasse zu gehen, und auch am Reitunterricht teilzunehmen?“, wandte sich ihre Mutter mit Engelsstimme an Wiebke. Was redete sie da nur? Isabelle hätte platzen können. Nun hätte sie Wiebke rund um die Uhr um sich herum. Dabei war bereits ein Nachmittag mit ihr zu viel. „Weißt du, dieser neue Band ist der beste!“, suchte Wiebke das Gespräch mit ihr, „Vor allem dieser Luffi ist mein absoluter Liebling von One Piece“ - „Aha!“, entfuhr es Isabelle gelangweilt und sie rollte ein wenig mit den Augen. Wiebke verstand den Wink mit dem Zaunpfahl offenbar nicht. Wie ein Wasserfall begann sie, auf Isabelle einzureden, ohne dabei eine Pause zu machen. Am liebsten hätte sie ihrer Cousine an den Kopf geworfen, dass sie ihre Klappe halten sollte. Noch besser wäre es gewesen, ihr ein riesengroßes Pflaster auf den Mund zu kleben. Doch Isabelle wollte am ersten Tag nicht unhöflich zu ihr sein. Hilflos sah sie sich um. An welchen potentiellen Gesprächspartner könnte sie ihre Cousine nur loswerden. Isabelles neunjähriger Bruder Tim kam nicht in Frage, da er mit dem Nintendo unter dem Tisch herum daddelte. Die Erwachsenen unterhielten sich so angeregt, als gäbe es die Kinder gar nicht. So ein Mist! So blieb Isabelle nur die Flucht auf die Toilette. Eine gesamte Viertelstunde harrte sie dort aus. „Hätte ich bloß mein Smartphone wieder, dann könnte ich mit Maxi chatten“, dachte sie sehnsüchtig. Irgendwann musste sie zurück ins Wohnzimmer, da ihre Familie sie sonst suchen gegangen wäre. Als sie sich zurück an den Tisch setzte, machte ihr Herz einen kleinen Freudehüpfer. Wiebke hatte sich Tim als neues Opfer auserkoren. Isabelle konnte so in Ruhe ihren Kuchen essen, der wirklich gut schmeckte. Das war mit Abstand das Beste am Tag. Ihre Stimmung wurde wieder schlechter, als sie daran dachte, dass ihre Freundinnen nachher ins Kino gingen. „Wieso muss ich die strengsten Eltern von allen Lustigen Hufeisen haben?“, dachte sie frustriert. In einem Moment spürte sie die Tränen aufsteigen. „Jetzt bloß nicht heulen!“, meldete sich ihre innere Stimmung zu Wort.

 

Während Isabelles Vater sich angeregt mit Tante Hilda unterhielt, bereitete ihre Mutter in der Küche das Abendessen vor. Isabelle starrte die ganze Zeit Luftlöcher in die Gegend und ließ ihren Blick durch den Raum wandern. Wie hübsch und ordentlich es im Vergleich zu ihrem Wohnzimmer aussah! Generell sah es oben in ihrer Wohnung seit geraumer Zeit etwas unordentlich aus. Garantiert gaben sich ihre Eltern nur wegen der neuen Mitbewohner die ganze Mühe. Gerade ihr Vater konnte gegenüber Gästen sehr freundlich und höflich sein, während er seine eigene Familie manchmal wie den letzten Dreck behandelt. Besonders, wenn er gestresst von der Arbeit kam, schrie er manchmal Isabelle und ihren Bruder von der Seite an, wenn ihm eine Laus über die Leber gelaufen war. „Isa, wie viele Schüler gehen in deine Klasse?“, wandte sich Hilda an sie. „Ich glaube, das waren 27, aber davon verlassen mindestens drei von ihnen die Klasse“, antwortete sie nach kurzem Zögern. „Sind deine Mitschüler nett?“, horchte Wiebke auf, die sich ungefragt in das Gespräch einmischte. „Die meisten schon“, nickte Isabelle und fügte hinzu: „Obwohl auch einige Kotzbrocken dabei sind“ – „Wer denn zum Beispiel?“, konnte Wiebke ihre Neugierde nicht zurückhalten. „Wirst du schon früh genug sehen“, ging sie nicht näher auf die Frage ein. Gott sei dank, ihre Cousine verstummte wieder und versteckte ihre Nase hinter dem Manga. Dank Tim, der ihr seinen Nintendo lieh, schaffte sie es die Zeit tot zu schlagen. Um acht Uhr gab es Brathähnchen mit Pommes, was allen gut schmeckte. Isabelles Mutter war doch eine ordentliche Köchin, wenn sie nur wollte.

2. Kapitel

„Isabelle!?“, donnerte die Stimme ihrer Mutter durch den Flur. Ertappt blieb Isabelle stehen und setzte ein unschuldiges Grinsen auf. „Wohin des Weges?“, fragte ihre Mutter mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie hätte es leicht erraten können, schließlich trug Isabelle schon ihre karierte Reithose und ihren Stallpulli. „Ich erinnere mich dunkel an Hausarrest“, hakte ihre Mutter nach, sah jedoch gar nicht mehr so streng aus. „Ach komm schon, ich muss das Pferd doch bewegen“, seufzte Isabelle entschuldigend. Ihre Hannoveranerstute Kandra konnte ja schließlich nicht darunter leiden, dass sie einen kleinen Fehler gemacht hatte. Und außerdem hatten sie ja nicht ahnen können, dass ihre Rettungsaktion dermaßen nach hinten losgehen würde. „Na gut, du hast Kandra schließlich auch, um Verantwortung zu übernehmen“, stimmte ihre Mutter gnädig zu und lächelte. Isabelle eilte freudig zur Tür, da fiel ihrer Mutter jedoch noch etwas ein: „Nimm doch Wiebke gleich mit! Vielleicht trefft ihr deine Freundinnen, dann lernt sie schon ein paar Mädchen kennen.“ Isabelles Freude bekam einen mächtigen Dämpfer. „Muss das sein?“, fragte sie genervt. Sie kam allein schon nicht mit ihrer Cousine klar. Wie könnte sie das nur ihren Freundinnen zumuten? „Das muss sein!“, beschloss ihre Mutter und schickte sie nach unten, um Wiebke zu holen.

 

Bald darauf radelten Isabelle und Wiebke gemeinsam in Richtung Stall. „Gibt es viele tolle Pferde bei euch im Stall? Veranstaltet ihr auch Turniere? Haben deine Freundinnen auch eigene Pferde? Denkst du, ich kann eines reiten?“, Wiebke überschüttete Isabelle mit Fragen, während sie gegen den Regen strampelten. Sie ließ ihr kaum genug Zeit um wirklich darauf zu antworten. Als ob der Regen nicht reichen würde, dachte Isabelle. Jetzt mussten sie auch noch mitten im Sommer in der Halle reiten. Sie erreichten den Stall und stellten ihre Fahrräder unter.

 

„Isabelle!“, rief Klara und ging die Stallgasse entlang zu ihrer Freundin. „Du kommst genau richtig. Maxi und ich sind auch gerade eingetroffen. Als ob wir uns abgesprochen hätten“, grinste Klara. Isabelle fiel ihr freudig in die Arme. Dann deutete sie auf ihre Begleitung und stellte sie vor: „Das ist Wiebke, meine Cousine. Sie wohnt jetzt in der Wohnung unter uns.“ Klara und Wiebke beäugten sich einen Moment lang ungewohnt ruhig und gaben sich dann die Hand. „Wo ist denn Kandra?“, fragte Wiebke dann nach Isabelles Pferd. Sie deutete auf eine der Boxen und Wiebke lief los. „Im Stall rennt man nicht!“, fauchte es plötzlich aus einer der anderen Boxen, als ein nahezu goldenes Pferd vor Wiebke zur Seite wich. Maxi trat hervor und funkelte Wiebke an. „Hey Maxi“, sagte Isabelle und begrüßte ihre beste Freundin. „Wer ist denn die Schreckschraube?“, fragte Maxi laut genug, dass Wiebke es hören konnte. „Meine Cousine“, entschuldigte sich Isabelle. „Sie hat Fabella erschreckt“, murrte Maxi und warf einen besorgten Blick auf ihre goldene Shagya-Araber Stute. „Sie wird es überleben“, sagte Klara beruhigend. „Als ob du etwas davon verstehen würdest, mit deinem Kinderpony“, schimpfte Maxi. Doch Klara ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Du reitest Nandu?“, hakte Isabelle nach und Klara nickte. Das Connemarapony war ihre Reitbeteiligung. „Beeil dich, Isa! Dann können wir gleich zusammen in die Halle gehen“, schlug Maxi vor und bandagierte Fabellas Beine sorgfältig. Isabelle nickte und ging zu Kandra weiter.

 

Vor Kandras Box wartete Wiebke schon und bot ihre Hilfe beim Putzen an. „Maxi hat aber ein schönes Pferd“, fand sie. Isabelle nickte nur. Ihr selbst gefiel Kandra viel besser, aber die meisten Leute waren wirklich beeindruckt von Fabella, die eine unglaubliche Eleganz ausstrahlte. Typisch Araber eben. Als Hannoveraner war Kandra aber auch nicht zu verachten. Die braune Stute war Isabelles ganzer Stolz. Sie mochte es nicht, wenn jemand anders auch nur in ihre Nähe kam. Dass Wiebke sich jetzt aufdrängte, gefiel ihr nicht. „Benutzt du gar kein Glanzspray für den Schweif?“, fragte die gerade. „Nein, das ist ja kein Barbie-Pferd“, entgegnete Isabelle. „Und bist du dieses Jahr auf Turniere gefahren?“, wollte Wiebke wissen. „Nein, ich war zu viel mit den Mädchen unterwegs“, antwortete Isabelle ausweichend. „Und deine Freundinnen?“ – „Merle war auf Turnieren. Ihr gehört Arthos“, erklärte Isabelle. „Arthos ist auch Hannoveraner. Du solltest mehr aus Kandra machen“, fand Wiebke und erntete böse Blicke von ihrer Cousine.

 

„Seid ihr so weit?“, wollte Klara wissen und führte Nandu auf die Stallgasse. „Ja, wir kommen“, antworteten Maxi und Isabelle im Chor. Kurz darauf zogen sie zusammen in die Reithalle. „Du kannst dich da hinter die Bande setzen“, erklärte Isabelle ihrer Cousine. „Darf ich später auch mal reiten?“, wollte Wiebke sofort wissen. „Vielleicht“, murmelte Isabelle. Das wollte sie eigentlich ganz und gar nicht. Aber ihre Mutter wäre sicher nicht begeistert, wenn sie von Wiebke hören würde, dass Isabelle ihr geliebtes Pferd nicht teilte. Mit lautem Rumpeln machte sich Wiebke auf der Bank hinter der Bande breit. Fabella tänzelte nervös. „Muss deine Cousine hier sein?“, hakte Maxi nach. „Ich wollte sie ja auch nicht mitnehmen, aber meine Mutter hat mich gezwungen“, seufzte Isabelle und schwang sich in den Sattel. „Wie schlimm wird sie schon sein?“, warf Klara ein, doch ihre Freundinnen sahen sie nur vielsagend an. „Du wirst sehen, wie schlimm sie sein kann“, warnte Isabelle sie. „Sie soll sich ruhig verhalten, sonst kann ich nicht arbeiten“, nölte Maxi und saß ebenfalls auf. Klara zuckte nur die Schultern. Ihre Reitbeteiligung ließ sich nicht aus der Ruhe bringen-genau wie sie. Und auch Kandra verhielt sich lieb, als Isabelle schließlich zu traben begann.

 

„Isabelle! Du sitzt auf dem Pferd, wie ein Sack“, kommentierte Wiebke ungefragt den Sitz ihrer Cousine, als diese begann, mit Kandra zu arbeiten. Wütend richtete Isabelle sich ein bisschen mehr auf. Wie konnte sie nur so etwas sagen? Sie hatte sie nicht um ihre Meinung gebeten. „Bei Maxi sieht das viel besser aus“, fand Wiebke weiter. Ja, bei Maxi sah die Dressur immer besser aus, dachte Isabelle mit einem neidischen Blick auf ihre beste Freundin. Der elegante Araber war das geborene Dressurpferd und Maxi die ungeschlagene Dressurqueen in der Bande. Das hieß aber nicht, dass Isabelle ihre Stute nicht auch in die Verbindung reiten konnte. Wenigstens war Kandra viel weicher zu sitzen. Da musste es doch irgendwie möglich sein, so ruhig zu sitzen, wie Maxi das auf Fabella schaffte. Zwischen ihnen zuckelte Klara auf Nandu ihre Runden. Sie ritt noch mit Hilfszügeln auf dem Pony. Doch Klara ließ sich nicht stören.

 

Bis es plötzlich einen lauten Rumms von der Bande aus gab. Fabella schoss aus der perfekten Verbindung aufgeschreckt hoch und raste quer durch die Halle. Nur mit Mühe gelang es Maxi, auf dem Rücken ihres Pferdes zu bleiben. Auch Kandra hatte ein paar erschrockene Sätze gemacht und sogar Nandu hatte empfindlich reagiert. „Was ist eigentlich dein Problem?“, fauchte Maxi Wiebke an, die der Verursacher des lauten Geräusches war. „Mir ist nur etwas runtergefallen. Kein Grund, so auszurasten“, meinte Wiebke achselzuckend. „Das ist ein Reitstall und kein Zirkus! Lass diesen Clown das nächste Mal zu Hause!“, sagte Maxi wütend zu Isabelle. „Ich kann doch nichts dafür…“, verteidigte die sich schwach. Doch Maxi hatte ihre Entscheidung schon getroffen. Wiebke war unter ihrer Würde und nervte schon jetzt.

 

„Was zieht ihr denn für Gesichter?“, wollte Ronja von ihren Freundinnen wissen, als Isabelle, Maxi und Klara ihre Pferde nach dem Reiten absattelten. Ronja und Merle waren gerade ebenfalls gekommen, um zu reiten. „Isabelle hat jemanden mitgebracht“, verkündete Maxi mit süffisantem Lächeln. Neugierig sah Merle auf. „Wen denn?“, fragte sie. „Meine Cousine Wiebke“, antwortete Isabelle mit hängendem Kopf. Sie stand irgendwie zwischen den Stühlen. Wiebke kam um die Ecke und wurde Merle und Ronja vorgestellt. „Sind eure Pferde schon fertig?“, fragte Merle und ihre Freundinnen nickten. „Dann können wir ja kurz ins Bandenquartier, wo wir uns schon alle hier treffen“, schlug sie weiter vor. Isabelle verzog das Gesicht, denn sie wollte das Bandenquartier ungern ihrer Cousine zeigen. Doch es war schon zu spät.

 

Das Bandenquartier war ein kleiner Raum neben der Sattelkammer und dem Reiterstübchen. Niemand hatte ihn gebraucht und so war er von den lustigen Hufeisen in Beschlag genommen worden. Hier hatten sie eine gemütliche Sitzecke mit Tisch geschaffen, an dem sie gern zusammen saßen und Kuchen verdrückten. An der Wand hingen fünf Hufeisen. In jedem von ihnen war ein Foto eines der Bandenmitglieder angebracht und natürlich durften auch Fotos von ihren vierbeinigen Lieblingen nicht fehlen. „Ein bisschen kindisch mit den Pferdebildern, oder?“, kommentierte Wiebke den Wandschmuck auch sofort. „Kindisch? Guck dich mal an!“, entgegnete Maxi mit einem Blick auf Wiebkes Klamotten. „Stallklamotten eben“, sagte die nur schulterzuckend. „Hört auf zu streiten und setzt euch“, ordnete Merle an. Normalerweise hatte Isabelle das Kommando, doch an diesem Tag stand sie etwas neben sich. Als sich alle gesetzt hatten, begann Merle: „Schön, dass wir alle hier sind. Bald ist der Hausarrest ja auch vorbei, dann…“ – „Ihr habt Hausarrest wegen eurer peinlichen Hühneraktion, oder?“, unterbrach Wiebke sie. Klara legte Maxi beruhigend eine Hand auf den Arm, als die laut hörbar ausatmete. „So peinlich war das gar nicht“, sagte Merle und beäugte Wiebke kritisch. Ihr Bild von Isabelles Cousine hatte sich gerade gefestigt. „Nicht so peinlich wie du“, sagte Maxi zu Wiebke, die so tat, als hätte sie es nicht gehört. „Wenn es in den nächsten Tagen nicht regnet, können wir ja mal wieder ausreiten“, versuchte Klara, ein neutrales Thema zu finden. „Wir müssen uns nur absprechen, aber bald haben wir ja unsere Handys wieder.“ – „Ihr reitet aus? Eure Pferde sind doch in der Halle schon so unruhig“, bemerkte Wiebke spitz. „Ich will keine ordentliche Bandensitzung machen, solange die da hier ist“, entfuhr es Maxi plötzlich und sie deutete auf Wiebke. Erstaunt sahen die anderen Mädchen sie an. Dann sprang Merle ihr zur Seite: „Das finde ich auch!“ Isabelle sah fragend von einem Bandenmitglied zum anderen. „Was erwartet ihr denn jetzt von mir?“, wollte sie unsicher wissen. „Schick sie weg!“, forderte Merle sie auf.

 

„Ist das dein Ernst? Wir haben doch gar keine Bandensitzung. Wir haben uns hier nur kurz reingesetzt“, meinte Isabelle. „Ist mir egal, die da gehört nicht dazu“, entgegnete Merle. „Ja, schick sie weg“, pflichtete Maxi ihr bei. „Sie ist immer noch meine Cousine…“, murmelte Isabelle. „Dann mache ich das eben“, beschloss Maxi, deutete auf die Tür uns sagte entschieden zu Wiebke: „Auf so etwas wie dich können wir hier verzichten. Auf hoffentlich-nicht-Wiedersehen!“ Wiebke schien genauso geschockt zu sein, wie Klara und Ronja. Sie warf einen letzten prüfenden Blick auf Isabelle, die sich nicht rührte. Egal, was sie nun tun würde, jemand wäre sauer auf sie. Entweder ihre Freundinnen oder ihre Cousine. Also blieb sie wie gelähmt sitzen und sah zu, wie Wiebke ihre Sachen nahm, und unter weiteren Beleidigungen von Maxi und Merle das Bandenquartier verließ.

 

„Ihr wart ganz schön hart“, fand Klara als Erste ihre Stimme wieder. „Sie war aber auch ganz schön nervig“, verteidigte Maxi sich. „Aber sie ist Isabelles Cousine“, warf Ronja vorsichtig ein. „Vielleicht sollten wir uns alle ein bisschen beruhigen und…“ Sie wurde von Isabelle unterbrochen, die tonlos verkündete: „Ich glaube, ich muss nach Hause.“ – „Auch gut, ich will jetzt trainieren“, beschloss Merle und sie verließen gemeinsam das Bandenquartier. Isabelle verabschiedete sich von Kandra und ging zu ihrem Fahrrad. Wiebke war schon losgefahren. Sie konnte es ihr nicht verübeln. Andererseits konnte sie auch ihre Freundinnen verstehen. Es fühlte sich an, als hätten sie sich gestritten. Aber sie konnte sich auch nicht zu sehr gegen ihre Cousine stellen. Was würden nur ihre Eltern und ihre Tante sagen, wenn Wiebke damit kam, dass Isabelle sie gemein behandelte? Auf keinen Fall hatte sie Lust, sich den nächsten Einlauf einzuhandeln.

 

„Hey Wiebke, nimm mal ein bisschen Dampf raus!“, schrie sie so laut sie konnte. In der Ferne vernahm sie ein zaghaftes Quietschen. Das war bestimmt die Bremse von Wiebkes halbverrosteten Kinderfahrrad, das mittlerweile schon zwei Nummern zu klein für sie war. Tatsächlich war ihre Cousine stehen geblieben, so konnte Isabelle problemlos zu ihr aufschließen. „Was willst du?“, sah Wiebke sie leicht irritiert an. Fast wirkte es so, als ginge sie ein wenig auf Distanz, was sie sonst nie tat. „Ehm…Ich wollte nur sagen, dass es nicht so gemeint war“, begann Isabelle stammelnd. „Wie meinst du das?“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück. „Meine Freundinnen reagieren immer ein wenig über, wenn sich jemand neues bei ihnen einschleichen will. Du musst wissen, wir sind ein sehr eingeschworener Verein. Kaum jemand hat eine Chance bei uns dabei zu sein, nicht einmal die anderen Reitschüler“, erklärte sie ihr. „Trotzdem hatte ich gerade das Gefühl, dass ihr mich nicht dabei haben wolltet“, ging Wiebkes Stimme wieder ins Schnippische über, „Die Schwarzhaarige und die Kleine mit dem hellblonden Pferdeschwanz haben ziemlich vom Leder gezogen“ – „Kann schon sein“, nagte Isabelle an ihrer Unterlippe. Warum konnten ihre Freundinnen in diesem Moment nicht anwesend sein? Merle und Maxi trauten sich wenigstens, ihr ordentlich die Meinung zu geigen. Klara und Ronja waren nach ihrem Geschmack ein wenig zu freundlich zu Wiebke. „Na komm schon, wir können nicht im Wald festwachsen. Gleich gibt es Abendbrot und da können wir es uns nicht leisten zu spät zu kommen“, wurde Isabelle ungeduldig. „Du bist doch diejenige, die keine Anstalten macht, sich fortzubewegen“, schob ihre Cousine einen Kommentar hinterher. Isabelle kniff ihre Lippen zusammen. Warum konnte Wiebke nicht einmal die Klappe halten?

 

Die beiden Mädchen kamen gerade pünktlich zurück. „Du musst dich auf jeden Fall umziehen und deine Haare kämmen, Isabelle“, empfing ihre Mutter sie an der Haustür. Natürlich bekam Wiebke nichts Negatives zu hören. Beinahe kam in ihr das Gefühl auf, dass ihre Mutter ihre Cousine als Tochter adoptiert hatte. Schlechtgelaunt polterte sie die Treppe in ihr Zimmer hinauf. In Windeseile zog sie sich um und säuberte ihre Haare von den letzten Strohresten. Ihr Appetit war bereits vergangen, als ihr einfiel, dass sie zusammen mit Hilda und Wiebke zu Abend aßen. „Hey, ich habe gerade erfahren, dass Wiebke noch nicht einmal auf dem Pferd sitzen durfte“, wurde sie von ihrer Mutter empfangen, als sie das Wohnzimmer betrat. „Wir hatten eben nicht die Zeit dazu“, rechtfertigte sich Isabelle und setzte sich neben ihren Bruder. „Was ich noch schlimmer finde, deine Freundinnen sollen angeblich ziemlich fies gewesen sein“, fuhr ihre Mutter im strengen Tonfall fort. „Das sind Merle und Maxi gegenüber Neulingen oft“, zuckte sie mit der Schulter. „Müsst ihr immer noch darauf herumkauen?“, erhob Tim seine Stimme, „Wiebke hat mir gerade eben die ganze Zeit die Ohren voll gejammert.“ In diesem Moment hätte Isabelle ihren kleinen Bruder herzen und drücken können. Wenigstens hackte er nicht auf ihr herum. Während des Essens war Wiebke ungewöhnlich still. Da hatte der erste Dämpfer bereits ziemlich gut gewirkt.

3. Kapitel

 

Eine Woche später riss ein Piepsen Isabelle in aller Frühe aus dem Halbschlaf. Was war das nur? Halbverschlafen richtete sie sich auf. Mist, das war der Wecker! Heute ging die Schule wieder los. Gähnend kuschelte sie sich wieder in ihre Decke. Erster Schultag, verdammt noch mal! „Warum muss man aufstehen, wenn man glatt noch im Stehen einschlafen könnte?“, dachte sie todmüde. Anscheinend war es doch keine so gute Idee gewesen, am Vortag Maxi und Ronja zu einem DVD-Abend einzuladen, und sich alle Folgen der Twilight-Saga reinzuziehen. „Hey Isa, willst du gar nicht aufstehen?“, hörte sie Tims Stimme von draußen. „Klar, ich komme gleich“, rief sie und war mit einem Satz aus dem Bett. Was sollte sie sich heute anziehen? Es war der erste Schultag und ein modischer Fehltritt käme da nicht besonders gut. Besonders, wenn sie Wiebke als lästiges Anhängsel mit in die Klasse brachte. Da es draußen wieder ziemlich warm war, konnte sie kurze Hosen tragen. Am liebsten hätte sie eine ihrer Hotpants angezogen, die alle Mädels in ihrer Bande so liebten. Garantiert wäre ihre Mutter im Dreieck gesprungen und hätte ihr gesagt, dass sie es nicht zuließe, dass ihre zwölfjährige Tochter in derart aufreizenden Klamotten zur Schule ging. Lieber entschied sie sich für eine karierte kurze Hose, die nach ihrem Geschmack nicht zu knapp war. Zudem wählte sie ein rotes Tanktop mit einem halbdurchsichtigen beigen T-Shirt. Beinahe vergaß sie aus Zeitdruck, ihre Haare zu machen, daher musste ein einfacher Pferdeschwanz erstmal reichen.

 

Was für ein Glück, dass sie in ihrer eigenen Wohnung frühstückten. „Du bist schon reichlich spät dran, meine Tochter“, sah ihre Mutter von der Zeitung auf. „Ach was, dass schaffe ich schon“, entgegnete ihr Isabelle, die sich zwei Scheiben Toast nahm, und ein Glas Orangensaft in fast einem ganzen Zug leerte. Dass sie ihren Schulweg mit Wiebke antreten musste, ließ ihre Laune wieder auf den Nullpunkt sinken. Hoffentlich würde ihre Cousine sie nicht vor der ganzen Klasse blamieren? Mit ihrer penetranten Art und ihren merkwürdigen Klamotten war dies bereits vorprogrammiert. Nach dem Zähneputzen schlüpfte sie in ihre Riemchensandalen und klingelte unten an der Wohnungstür. „Guten Morgen, Isa!“, riss Wiebke die Wohnungstür auf. „Ich bin gespannt, was der neue Tag bringt“ – „Ich auch“, sagte Isabelle in Gedanken. „Viel Spaß in der neuen Schule, Liebling!“, gab Hilda ihrer Tochter einen Abschiedskuss. „Mein Gott, wie kindisch!“, dachte Isabelle bei sich. Ihre Hoffnungen, dass sich Wiebke besser kleiden würde, wurden beim ersten Augenblick zunichte gemacht. Waren das etwa Bärchenohrringe, die an ihren Ohrläppchen baumelten? Dann diese unmöglichen giftgrünen Sandalen! Zudem eine karierte Hose, die ganz und gar nicht zu ihrem gestreiften T-Shirt passte! Das schlimmste waren immer noch ihre beiden wippenden Zöpfe mit den goldenen Schleifchen. Da fehlte nur noch die Schultüte! Fast wirkte Wiebke wie eine Erstklässlerin, aber nicht wie eine Gymnasiastin. Oh je, wieder hätten ihre Freundinnen einen Grund sich über ihre Cousine zu beömmeln.

 

„Weißt du, wen wir als Klassenlehrer kriegen?“, belatscherte Wiebke sie sofort. „Da wissen wir noch nicht“, schüttelte Isabelle den Kopf. Jetzt durfte sie auf keinen Fall zu spät kommen, gerade am ersten Schultag hinterließ das keinen guten Eindruck. Isabelle trat heftig in die Pedale. Durch den Fahrtwind lösten sich einige Strähnen aus ihrem Zopf und wehten ihr um den Kopf. Zwischendrin versicherte sie sich, dass ihre Cousine hinter ihr fuhr. Trotzdem wäre sie Wiebke in diesem Moment am liebsten davon gerauscht. Mit so einem Clown machte sie sich nachher selber noch lächerlich in der Klasse. Ohne viel abzubremsen bog sie auf den Fahrradparkplatz ein. „Meine Güte, mussten wir so rasen?“, japste Wiebke. „Ja, sonst wären wir wegen deiner Laberei noch zu spät gekommen“, knurrte Isabelle. Anhand der anderen Fahrräder erkannte sie, dass ihre Freundinnen schon da sein mussten. Schweigend gingen sie über den Schulhof. „Isaaaa!“, hörte sie eine vertraute Stimme rufen. Isabelle erkannte Klaras rote Haare in der Schülermenge. „Hi Klärchen! Sind unsere anderen Freundinnen auch schon da?“, fiel sie ihrer Freundin um den Hals. „Aber sicher, die sind dahinten bei der Tischtennisplatte“, nickte Klara. Es gab ein großes Hallo. Nacheinander umarmte Isabelle ihre Freundinnen. „Ich sehe, du hast wieder die Nervensäge dabei!“, konnte Maxi sich einen gemeinen Kommentar nicht verkneifen und warf ihre langen schwarzen Haare in den Nacken. „Wo müssen wir hin? Wo ist unser Klassenraum?“, plapperte Wiebke los. „Mach mal halblang!“, unterbrach Klara ihren Redefluss. „Wir müssen doch eh zu dieser Veranstaltung, wo die neuen Klassenlehrer bekannt gegeben werden“, meinte Ronja. Zu fünft unterhakt machten sich die Freundinnen auf den Weg ins Schulgebäude. Wiebke trottete einige Meter alleine hinter ihnen her.

 

Die Aula war schon ziemlich voll, so dass die Lustigen Hufeisen sich erst einen Weg durch die Menge bahnen mussten, bevor sie einen Platz gefunden hatten, von dem aus sie eine gute Sicht hatten. Isa schielte vorsichtig zu einer Gruppe Jungs, die ein Stück von ihnen entfernt Erlebnisse ihrer Ferien austauschten. „Na, hast du Marlon entdeckt?“, zischte Merle ihr zu und winkte dem Sohn ihrer Reitlehrerin unbeschwert zu. Freundlich erwiderte Marlon den Gruß. Auch Isa nickte ihm zu. Bei Merle sah es immer so einfach aus, sie kam einfach gut mit Marlon klar, man konnte sie sogar als Freunde bezeichnen. „Wer war das?“, wollte Wiebke neugierig wissen und drängte sich zwischen Isa und Merle. „Das geht dich mal gar nichts an“, wehrte Merle sofort ab. „Komm schon, Isa! Stehst du auf ihn?“, nervte Wiebke ungehemmt weiter. „Natürlich nicht, wie kommst du denn darauf?“, stammelte Isabelle ertappt. So weit kam es noch, dass Wiebke erfahren musste, was sie für Marlon empfand. „Sieht ganz danach aus. Aber wenn du meinst“, antwortete Wiebke schulterzuckend. „Pssst, es geht gleich los“, mahnte Klara ihre Freundinnen zu Ruhe. „Hoffentlich bekommen wir einen netten Lehrer“, seufzte Ronja besorgt. Beruhigend legte Maxi ihr einen Arm um die Schulter und sagte: „Ganz bestimmt.“ Gespannt warteten die Lustigen Hufeisen mit den anderen Schülern darauf, aufgerufen zu werden.

 

Eine gut gelaunte, charmante Frau um die vierzig betrat die Bühne in der Aula und war den lustigen Hufeisen sofort sympathisch. „Guten Morgen, liebe Schüler!“, rief die Dame und ein ungewöhnlich lauter Chor antwortete. „Mein Name ist Frau Walkenhorst und ich werde die Klasse 7c übernehmen“, fuhr die Lehrerin fort. „Das sind wir“, jubelte Klara und war begeistert von der Frau. „Glück gehabt“, seufzte Ronja und Maxi sagte selbstbewusst: „Habe ich doch gesagt.“ Nach dem allgemeinen Begrüßungsgeplänkel und unzähligen langweiligen Reden von Schulleitung und Elternvertretern strömten die Schüler in mittelmäßigem Chaos durch die Gänge der Schule, um ihre neuen Klassenräume in Beschlag zu nehmen. Maxi drängelte ungeniert sich weit vor, um gute Plätze zu sichern. Ihr gelang es sofort, eine ganze Reihe für sich und ihre Freundinnen in der Mitte des Raumes zu belegen. „Das sind ja gar keine Gruppentische mehr“, stellte Ronja enttäuscht fest. Stattdessen gab es einzelne Tische, die zu langen Querreihen aufgestellt waren. „Macht doch nichts“, behauptete Maxi. „Komm einfach in unsere Mitte.“ – „Ach, nein“, wehrte Ronja ab und nahm einen Platz am Rande ein. Für die Mitte fühlte sie sich einfach nicht gemacht. „Super, Maxi!“, freute sich Isabelle und warf ihre Schultasche einnehmend auf den Tisch neben ihrer besten Freundin. Stolz sah Maxi die anderen Hufeisen an, die nach und nach in die Klasse kamen. „Tut mir leid, schon besetzt“, sagte sie zu jedem, der einen vorsichtigen Blick auf „ihre“ Reihe warf.

 

„Wo kann ich hin?“, wollte Wiebke von den Mädchen wissen und stand etwas planlos vor ihnen. „Wieso fragst du das uns?“, gab Maxi herablassend zurück. „Also wirklich, als ob du dazu gehören würdest“, fand auch Klara. „Du dackelst uns jetzt schon die ganze Zeit hinterher“, bemerkte Merle. „Wir haben dich mit in unsere Klasse genommen, jetzt such dir eigene Leute, du bist doch sonst so kontaktfreudig“, riet Isa ihrer Cousine und rückte näher zu Maxi. Frau Walkenhorst bat die Schüler um Ruhe und bemerkte Wiebke, die als einzige noch planlos im Raum stand. „Das ist meine Cousine, sie ist neu“, verkündete Isabelle so trocken, dass sie lautes Gelächter erntete. „Na, dann haben wir ja etwas gemeinsam. Ich bin auch neu hier an der Schule. Setz dich doch in diese Reihe hier. Da hast du deine Cousine direkt hinter dir“, schlug Frau Walkenhorst Wiebke vor und platzierte sie in der Reihe vor den Lustigen Hufeisen. „Ging es nicht noch ein bisschen näher?“, ätzte Isabelle genervt. Wiebke würde sich bestimmt bei jeder Gelegenheit umdrehen. „Fängt sie auch nur einmal an zu sabbeln, dann stopfe ich ihr eigenhändig das Maul“, raunte Merle, die zwei Plätze von Isabelle entfernt saß. Mit in der Reihe von Wiebke saßen Doreen, Sarah, Magdalena und Jenny, die sich die Comtessen nannten. Die Lustigen Hufeisen mochten die Comtessen überhaupt nicht. Ständig imponierten sie dem anderen Geschlecht und hielten sich obendrein für etwas Besseres. Obwohl sie auch zwischen zwölf und dreizehn waren, hätten sie locker auf 15 oder 16 geschätzt werden können. Klamotten, Schminke, Jungs und ihr Cheerleaderkram waren alles, das was für sie zählte und natürlich das Verbreiten irgendwelcher merkwürdigen Gerüchte. Zwischen den frühreifen Zicken wirkte Wiebke noch wie ein Kindergartenkind. Klara und Merle bekamen einen Kicheranfall als sie Wiebkes Etui sahen, ein pinkes mit Cinderella-Motiv. Isabelle hatte vor Jahren so ein ähnliches gehabt, allerdings ging sie damals in die erste Klasse.

 

Von der anderen Seite des Klassenzimmers das hohle Gelächter der Paviane zu den Lustigen Hufeisen zu den lustigen Hufeisen rüber. „Kein bisschen reifer geworden!“, war Maxi genervt, „Sie sind angeblich dreizehn, obwohl sie geistig drei sind“ – „Genau deshalb heißen sie auch die Paviane, sie sind richtige Affen“, lästerte Isabelle. „Könnt ihr eure Privatgespräche einstellen?“, bat Frau Walkenhorst um Aufmerksamkeit. „Sag mal, bringt deine Cousine wirklich noch Stofftiere mit zur Schule?“, flüsterte Maxi Isabelle ins Ohr. Tatsächlich hielt Wiebke unter dem Tisch eine kleine weiße Stoffmaus in der Tasche. „Ich bin dafür, dass sich unsere beiden Schüler Wiebke und Florian vorstellen“, fuhr die neue Klassenlehrerin fort und holte die beiden Neulinge nach vorne. „Ich bin Wiebke Charlene Erlenbek. Ich bin vor zwei Wochen zwölf geworden und wohne seit kurzem im gleichen Haus wie meine Cousine“, stellte sich Wiebke vor. Vor den neuen Mitschülern wirkte sie nicht mehr so selbstsicher und vorlaut. „Bist du acht oder erst sechs?“, kommentierte Felix von den Pavianen. Seine Kumpels Christian, Paul und Lars schnitten fiese Grimassen. Obwohl Isabelle Felix´ Clique nicht ausstehen konnte, musste sie in diesem Moment grinsen. Wiebke war nun einmal wirklich eine Blamage. „Ruhe!“, Frau Walkenhorst ließ ihre Hand auf den Tisch sausen, „Es ist unfair zu lachen, wenn eine Mitschülerin vor euch steht, und etwas sagen will!“

 

Neben Wiebke stand ein kräftiger Junge, der einen Kopf größer war als sie. Florian war schon vierzehn und wirkte um Jahre älter als seine Klassenkameraden. „Wieder mal ein Sitzenbleiber!“, kommentierte Merle herablassend. „Sei ruhig, ich bin auch schon mal sitzen geblieben!“, fauchte Maxi in ihre Richtung. „Wer von euch mag unsere beiden Schüler in der großen Pause durch die Schule führen?“, wandte sich die Klassenlehrerin an die Schüler. Die Paviane erklärten sich sofort bereit, Florian die Schule zu zeigen. Bei Wiebke blieben alle Finger unten, bis sich Lilly und Nora erbarmten. „Gott sei dank ist der Kelch an uns vorüber gegangen“, dachte Isabelle erleichtert. Ihr taten stattdessen Lilly und Nora leid, die Wiebke nun an den Hacken hatten. Ihre Cousine war wirklich eine Zumutung. Frau Walkenhorst teilte die Stundenpläne aus und besprach bis zur Pause viel Organisatorisches. Als es klingelte, blieben die Lustigen Hufeisen ein Stück hinter Wiebke. „Oh je, sie sülzt gerade Lilly voll!“, wisperte Klara. „Die Arme tut mir bereits jetzt leid“, meinte Merle. „Meine Cousine kann im Normalfall nicht für eine Minute ruhig sein“, warf Isabelle in einem spöttischen Tonfall ein. „Lasst sie doch“, nahm Ronja sie in Schutz. „Es ist heute ihr erster Tag an dieser Schule.“ – „Ronnie!“, zischte Maxi und gab ihr einen leichten Seitenstoß. „Ich will nichts gesagt haben“, gab Ronja kleinlaut zurück und wickelte sich eine honigblonde Locke um ihren Zeigefinger. Sie war Isabelles zweitbeste Freundin, da sie sich seit dem Kindergarten kannte. Manchmal war sie für Isabelles Geschmack zu lieb und zu schüchtern. Trotzdem war Ronja wegen ihrer Einfühlsamkeit und ihres Gerechtigkeitssinn recht beliebt bei ihren Freundinnen.

 

„Hey, lasst uns nach Marlon und seinen Kumpels Ausschau halten“, schlug Klara vor. „Au ja!“, jubelte Isabelle. Auf den Weg durch die Pausenhalle hängte sie sich bei Klara und Maxi ein. Marlon war draußen auf dem Basketball wieder zu finden, dies war seine zweite Leidenschaft neben Springreiten. Mit ein paar Klassenkameraden zielte er auf die Körbe und zeigte ein paar lässige Tricks. Jedes Mal wenn Isabelle ihn sah, kribbelte es heftig in ihrem Bauch. Fast so würde in ihr ein ganzer Schmetterlingsschwarm freigelassen werden. Seine hellblauen Augen, seine dunklen, fast schwarzen Haare, sein hübsches ovales und vor allem pickelfreies Gesicht, einfach alles war an ihm zauberhaft. „Hi Schatzi!“, überraschte Patrick Maxi von hinten und gab ihr einen dicken Schmatzer auf den Mund. „Du bist aber braun geworden, Patty!“, entfuhr es Maxi und ließ sich in die Arme ihres Freundes fallen. „Drei Wochen Malle!“, grinste er, sodass seine schneeweißen Zähne zum Vorschein kamen. Isabelle rollte mit den Augen. Warum musste ihre beste Freundin mit so einem Lackaffen zusammen sein, der sich kiloweise Gel in die Haare schmierte und nur auf ihr bombiges Aussehen abfuhr?

 

In der dritten und vierten Stunde hatten sie Englisch bei Frau Walkenhorst, die Isabelles Lieblingsfach neben Biologie unterrichtete. „Gleich kriegt sie noch einen steifen Arm, wenn sie sich bei jeder Frage meldet“, deutete Maxi auf Wiebke. Isabelles Befürchtungen, dass ihre Cousine eine waschechte Streberin war, bejahten sich leider von Anfang an. „Very good, Wiebke!“, lobte Frau Walkenhorst, nachdem ihr Wiebke einen gefühlt mehrminütigen Vortrag auf Englisch gehalten hatte. „Sabbeln kann sie sogar auf Englisch sehr gut“, tickte Klara Isabelle an. „Wie kann man nur so penetrant sein!“, dachte Isabelle bei sich. „Wieso muss die ganze Klasse wissen, dass wir Cousinen sind?“ Vorhin hätte sie Felix am liebsten eine geklatscht, nachdem er zu ihr gesagt hatte, ob sie neuerdings immer so komische Leute anschleppen würde. Lieber dachte sie an die kommende Reitstunde im Vielseitigkeitsreiten am Nachmittag. Endlich würde sie mal wieder daran teilnehmen, nachdem sie wochenlang Spaß mit ihrer Bande gehabt hatte. Vielleicht würde sie dann endlich mal an Turnieren teilnehmen können und Wiebke würde sie nicht mehr dauernd ausquetschen, wann sie ihr erstes Turnier reiten würde.

 

Ein Kichern ihrer Freundinnen holte sie in die Gegenwart zurück. Merle feuerte ein kleines weißes Papierkügelchen in Wiebkes Richtung. Ein Papierknüller hatte sich bereits in ihren dunklen Haaren verfangen. Isabelle konnte ein leises Kichern nicht unterdrücken. Erst, als ihre Klassenlehrerin einen warnenden Blick zuwarf, beherrschten sich die Mädchen. Es wäre nicht besonders gut sich gleich am ersten Tag den Ruf zu versauen. In der Zwischenpause erklärte sich Wiebke bereit, die Tafel zu putzen. Florian, der sich hervorragend mit den Pavianen verstand, streckte ihr die Zunge raus. Maxi und Merle taten das Gleiche. „Seid doch nicht immer gleich so fies! Ihr macht ihr hier das Leben noch zur Hölle“, ermahnte Ronja ihre Freundinnen. „Mensch Ronja, du bist manchmal viel zu nett“, verdrehte Isabelle die Augen. „Du kannst dich ja gleich mit Wiebke anfreunden, dann beschwere dich nicht, wenn sie dich pausenlos volllabert“, setzte Merle nach, worauf sich Ronja beleidigt wegdrehte und ihre Nase hinter einem dicken Buch versteckte.

 

Isabelle ließ die letzte Stunde wie in Trance über sich ergehen. Irgendwie war es total ungewohnt, nach sechs Wochen Ferien wieder dem Unterricht zu folgen. Nach dem Unterricht musste Isabelle auf ihre Cousine warten, da sie noch zur Toilette wollte, und sich hinten an der langen Schlange anstellen musste. In der Zwischenzeit unterhielt sie sich mit Lilly, Paula und Nora. „Ist deine Cousine immer so nervig?“, wollte Lilly von ihr wissen. „Oh ja, leider habe ich sie nun dauerhaft um die Ohren“, seufzte sie. „Oh du Arme!“, klopfte ihr Paula auf die Schulter. „Dann hast du nie deine Ruhe.“ – „Auf jeden Fall ist ihr Kleidungsstil unter aller Sau“, fand Nora. „Willst du nicht mit deiner Cousine shoppen gehen?“ – „Das habe ich nicht vor“, schüttelte Isabelle lachend den Kopf und sah sich schon im Geiste mit Wiebke in der Kleinkinderabteilung. „Cool, dass ihr auf mich gewartet habt!“, kam Wiebke zurück. „Werdet ihr für Englisch einen langen Text schreiben? Bereitet ihr euch auf die Fächer vor, die wir morgen haben? Was für eine AG wählt ihr?“, überschüttete sie die Mädchen mit weiteren Fragen.

 

Unglücklicherweise aß Isabelles Familie mit Wiebke und Hilda zu Mittag. Heute war ihre Tante mit dem Kochen dran und tischte Nudeln mit einer pikanten Tomatensoße auf. Es schmeckte richtig gut, sodass sich die Kinder noch einen Nachschlag nahmen. Tante Hilda war wirklich eine gute Köchin, das musste man ihr lassen. „Wie war der erste Tag, Wiebke?“, erkundigte sich Isabelles Mutter. „Meine neue Schule ist toll. Besonders Frau Walkenhorst, unsere neue Klassenlehrerin, ist richtig nett und der Unterricht ist ziemlich spannend“, geriet Wiebke ins Schwärmen. „Wie kommst du mit deinen neuen Mitschülern zurrecht?“, hakte ihre Mutter nach. „Ich habe vier neue Freundinnen gefunden“, fingen Wiebkes braungrünen Augen an zu glänzen, „Am meisten mag ich Lilly, die mir zusammen mit Nora die Schule gezeigt hat. Ihre Freundinnen Paula und Manon sind ebenfalls sehr freundlich zu mir.“ – „Das freut mich für dich, Liebling!“, war Tante Hilda froh. „Wenn Wiebke nur wüsste, wie ihre „Freundinnen“ hinter ihrem Rücken über sie redeten?“, dachte Isabelle spöttisch und sah zu, dass sie auf ihr Zimmer kam. Ihre kleine Englischhausaufgabe machte sie lieber sofort, damit sie nachher noch pünktlich zum Stall kam. Zu ihrem Unbehagen fiel ihr ein, dass ihre Cousine auch anwesend sein würde, da sie heute ihre erste Longenstunde hatte. Wahrscheinlich würde Wiebke sie am Abend vollsülzen, wie toll es wäre, auf einem Pferd zu sitzen. Isabelle hatte auf einmal große Lust, ihr dabei zu zusehen, wie sie wie ein Sack Mehl seitlich am Pferderücken herunter hing.

4. Kapitel

 

„Bravo, wie hast du es geschafft ohne dein nerviges Anhängsel zu kommen?“, klatschte Maxi Isabelle am nächsten Tag im Stall ab. „Ganz einfach, sie verbringt dieses Wochenende bei ihrem Vater“, strahlte Isabelle über das ganze Gesicht. „Yeah!“, gab ihr Maxi einen Highfive. „Ich bin sie los, ich bin sie los, ich bin sie los!“, tanzte sie im Stallgang auf und ab. „Hey, komm mal wieder runter! Du machst Fabella ganz verrückt“, meinte Maxi, die ihre Araberstute inzwischen aus ihrer Box geholt hatte. Kandra war noch nicht annähernd so nervös wie Maxis Pferd, deshalb bestand ihre Freundin darauf, dass sich jeder im Stall friedlich verhielt. Eigentlich alberten die Lustigen Hufeisen gerne herum, doch in der Gegenwart ihrer Pferde mussten sie sich zusammenreißen, und bloß nicht zu hektisch reagieren. „Halli Hallo!“, gut gelaunt betrat Klara mit Ronja den Stall. „Hi ihr beiden, habt ihr Merle auch noch mitgebracht“, sah Isabelle zu ihnen auf, da sie gerade Kandras Hufe auskratzte. „Ist sie denn noch gar nicht hier?“, wunderte sich Klara. „Und ist Wiebke auch nicht dabei?“, hakte Ronja nach. „Vermisst du sie denn?“, bemerkte Maxi spitz. Die Freundinnen sahen es Ronja an, dass sie sich ihre wahre Antwort verbiss, um ja nichts Falsches in der Gegenwart ihrer Freundinnen zu sagen. „Ich glaube ihre ständigen Redeflüsse brauchen wir nicht zu vermissen“, schaltete sich Klara schnell ein, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Darf ich eben meine schwere Tasche in unserem Bandenraum abstellen?“, bat Ronja. „Klar mach ruhig“, nickte Klara. „Bravo Ronnie, was hast du uns Feines mitgebracht?“, freute sich Isabelle. „Sei doch nicht immer so neugierig, Isa!“, raunte Klara ihr zu. „Ihr werdet erst nach dem Ausritt sehen, was ich dabei habe“, erwiderte Ronja, die ihr Bandenquartier aufschloss.

 

Merle kam mit hochrotem Kopf hineingestürmt, als die anderen Mädchen ihre Pferde bereits ausrittfertig gemacht hatten. „Auf Mütter kann man sich nie verlassen!“, schimpfte sie wie ein Rohrspatz. „Wieso? Was ist denn los?“, ließ Ronja vor Schreck den Striegel fallen. „Stellt euch vor, Mama wollte mit mir nach dem Mittagessen zum Möbelladen fahren, um uns eine neue Möbelgarnitur auszusuchen. Dafür bot sie mir an, dass sie mich zum Hof bringt. Nun hat Mama im ersten Laden keine einzige Couchgarnitur gefallen. Dann sind wir zum nächsten Laden gefahren, dort fand sie erst nach gefühlten Jahren etwas, das ihr gefiel. Als sie die Möbelgarnitur bestellt hatte, war es bereits vier Uhr. Ist doch klar, dass sie mich nicht mehr rechtzeitig hier absetzen konnte“, ereiferte sich Merle weiterhin. „Mensch Merle, merkst du gar nicht, dass du mit deinem Geschimpfe Fabella total verrückt machst?“, nörgelte Maxi los. Merle kriegte sich schnell wieder ein, als sie ihren ganzen Dampf ablassen konnte. Damit sie schneller zum Reiten kamen, war es eine Teamaufgabe, Merles Pferd fertig für den Ausritt zu machen. Klara und Ronja putzten das Fell. Isabelle kratzte die Hufe aus, während Maxi das Stroh aus der Mähne entfernte. Merle holte in der Zwischenzeit Sattel und Zaumzeug. „Seit wann braucht man fünf Leute, um ein einziges Pferd fertig zu machen?“, bemerkte Charlotte hochnäsig. „Wahrscheinlich sind sie alleine dazu nicht in der Lage“, meinte ihre beste Freundin Jana. „Ich sag doch, das sind Reitanfänger“, steuerte Melanie, die Dritte im Bunde bei. „Von wegen“, schnaubte Maxi. „Ich glaube, von Teamwork versteht ihr nichts, ihr Egomaninnen!“ Das Stallzickentrio, wie die Lustigen Hufeisen sie nannten, war nicht viel älter als sie. Von Marlon wusste Isabelle, dass sie ungefähr vierzehn sein mussten, obwohl sie mit Leichtigkeit zwei oder drei Jahre älter aussahen. Maxis Verteidigung hatte gesessen, die drei Freundinnen trollten sich wieder. „Tschüssikowski!“, winkte Klara ihnen zuckersüß lächelnd hinterher, worauf die ganze Bande einen Kicheranfall bekam. „Ich sag doch, du hast sie erfolgreich vertrieben, Maxi“, gluckste Isabelle. „Dafür bekommt sie einen Heiligenschein“, setzte Klara obendrauf. Isabelle und Ronja mussten nun noch mehr lachen. „Jetzt kriegt euch wieder ein!“, wurden sie von Maxi beschwichtigt. „Fabella sieht so aus, als machte sie gleich einen Satz, wenn ihr das Gegacker nicht einstellt“

 

Klara führte als erstes ihr Connemarapony auf den Hof. Die anderen Freundinnen folgten ihr. „Endlich mal ein Ausritt bei Sonnenschein!“, freute sich Merle. Tatsächlich hatte sich der Sommer in den letzten Tagen zurück gekämpft, obwohl es nicht mehr so heiß wie in der Mitte der Ferien war. Die Lustigen Hufeisen schwangen sich auf die Rücken ihrer Pferde. „Hey, ich weiß, welche Route wir heute nehmen könnten“, schlug Isabelle vor und ritt an die Spitze des Trupps. Während sie die schmale Straße entlang ritten, die zum Hof führte, hörten sie das Geklacker der Pferdehufe auf dem Asphalt. Ein Geräusch, welches Isabelle liebte, da es ihr so vertraut war. Kurz darauf bogen sie in einen Reitweg ab, der in den Wald führte. Hier zu reiten war deutlich angenehmer als auf der Straße. Isabelle ließ Kandra antraben, ihre Freundinnen taten es ihr nach.

 

Obwohl Maxi ihre Stute weitgehend im Griff hatte, hielt sie sich im Gelände gern an ihre Freundin. Neben Isabelles Pferd fühlten sie und Fabella sich gleichermaßen sicher. „Ellen hat mich gefragt, ob ich in der Turniergruppe am Springtraining teilnehmen möchte“, berichtete Merle und konnte ihren Stolz nicht verbergen. „Aber du bist auch in der Dressur schon in der Fördergruppe“, bemerkte Maxi, die dort auch selbst dabei war. Merle nickte eifrig und sagte: „Ich glaube, im Springen bin ich noch mehr zu Hause, und für die Drei-Tage-Turniere muss ich alles gut können.“ Isabelle schluckte. Merle musste immer um den ersten Platz kämpfen. Dafür arbeitete sie auch wirklich hart. Dennoch wünschte sich Isabelle, dass es etwas gebe, in dem sie einmal die Beste war. „Das ist wirklich super“, fand Ronja und Merle grinste. „In der Gruppe reitet auch Marlon, oder?“, hakte Klara nach. Genau das hatte Isabelle auch schon gedacht. So würde Merle die Gelegenheit haben, noch mehr Zeit mit ihrem Kumpel Marlon zu verbringen. „Vielleicht solltest du auch versuchen, in die Gruppe zu kommen“, schlug Klara ihr jetzt auch noch vor. Obwohl sie es nicht böse meinte, fühlte Isabelle einen kleinen Stich. Sie zuckte nur die Schultern. Sie war keine schlechte Reiterin und Kandra kein schlechtes Pferd. Aber ob sie genug Ehrgeiz für diese Gruppe hatte, wusste sie nicht.

 

„Können wir ein Stück traben?“, wollte Merle wissen und ihre Freundinnen waren einverstanden. Zu zweit nebeneinander ließen sie ihre Pferde und Ponys durch den Sand traben. Isabelle atmete tief ein und genoss die Bewegung ihrer Stute. Endlich Zeit mit ihren Freundinnen und ohne Wiebke zu verbringen, war ein Traum. Mit einem Blick nach hinten versicherte sie sich, dass Klara und Ronja mit ihren Ponys hinterher kamen. Ihr Blick traf den von Maxi, die ebenfalls über das ganze Gesicht strahlte. Und auch Fabella schien vor lauter Spaß ihre Schreckhaftigkeit vergessen zu haben. Nach einer Weile parierten sie wieder durch zum Schritt. „Unsere Lieblingswiese ist offen, da können wir galoppieren!“, stellte Merle begeistert fest, als sie am Rande des Waldes entlang ritten. „Um die Wette?“, fragte Maxi herausfordernd. „Gerne“, nahm Merle sofort an. Gemeinsam ritten sie auf die geöffnete Wiese. Sie war ebenerdig mit flachem Gras, so dass die Wahrscheinlichkeit für Löcher im Boden gering war. Außerdem befand sich am anderen Ende eine hohe Hecke, an der die Pferde gut gebremst werden konnten. „Sind alle bereit?“, fragte Isabelle, deren Stute schon voller Vorfreude tänzelte. „Ja, okay“, kam es von Ronja als letzter. „Dann mal los, passt auf euch auf“, rief Klara und damit war das Rennen eröffnet.

 

Während Maxi, Merle und Isabelle ihre Pferde sofort in den Galopp trieben, ließen Klara und Ronja ihre Ponys erst antraben und dann galoppieren. Doch dann gab es auch für sie kein Halten mehr. Wie üblich aber kämpften die Großpferde um die Spitze. Merle forderte von Arthos alles ab und rief ihm aufmunternd vom Rücken aus zu. Doch gegen einen schnellen Shagya-Araber hatte der Hannoveraner keine Chance. Maxi kam mit ihrer goldenen Fabella als Erste an der Hecke an, wo sie die Stute mit aller Kraft anhielt. Hinter ihr tauchte Merle auf, dann Isabelle und dahinter Klara noch vor Ronja. Eigentlich war die Reihenfolge keine Überraschung. „Wieder nichts“, sagte Maxi grinsend zu Merle. „Irgendwann kriegen wir euch“, murrte die halbernst. „Nicht mit einem Warmblut“, antwortete Maxi und lobte Fabella, die elegant den Schweif aufgestellt hatte. „Ach, das macht einfach nur Spaß“, schwärmte Klara und streichelte Nandu den Hals. Sie war froh, dass sie das Pony beinahe wie ihr eigenes reiten durfte, seit seine Besitzerin zu groß für ihn geworden war. „Wollen wir noch zur Geländespringstrecke?“, fragte Merle. Doch ihre Freundinnen waren dagegen. „Nicht mehr heute“, fand Ronja. Stattdessen wählten sie einen gemütlichen Weg durch den Wald zurück zum Hof.

 

Nachdem ihre Pferde versorgt waren, drängten sich die Lustigen Hufeisen in ihr Bandenquartier. „Ich habe mächtigen Kohldampf“, seufzte Klara, als sie sich auf die Bank fallen ließ. „Ja, seit dem Mittag gab es nichts“, stimmte Ronja ihr zu und packte ihre Tasche aus. „Es gibt Brötchen mit Bouletten und ich habe Früchtetee mitgebracht“, verkündete sie. „Oh, her damit“, forderte Merle begeistert und verteilte das Essen. „Du bist ein Schatz“, sagte Maxi dankbar zu Ronja und biss beherzt zu. „Nächstes Wochenende soll das Wetter noch einmal richtig schön werden. Wir könnten einen Ausritt zum See mit Picknick machen“, schlug Isabelle vor. „Nur wir fünf?“, hakte Maxi nach. „Natürlich“, lachte ihre beste Freundin und griff nach einem Becher Tee. „Dann sollten wir das für uns behalten, damit uns Wiebke nicht aufs Auge gedrückt wird“, fand Klara ernst. „Ja, sie ist eine echte Landplage“, ergänzte Merle und berichtete: „Marlon hat erzählt, dass sie ihn nach ihrer Longenstunde im Stall getroffen und total genervt hätte.“ – „Wann hat er das denn erzählt?“, hakte Isabelle nach und versuchte, nicht zu schockiert zu klingen. „Wir haben geschrieben“, sagte Merle schulterzuckend, als wäre nichts dabei. „Oh“, machte Isabelle und widmete sich mit übertriebener Aufmerksamkeit ihrem Brötchen. „Also gut, großer Lustiger Hufeisen-Ausritt am nächsten Wochenende. Wir könnten alle bei mir übernachten. Dann muss Isabelle auf keinen Fall Wiebke mitnehmen und wir können unseren Proviant zusammen zubereiten!“, plante Merle enthusiastisch. Selbst Isabelle musste lächeln. Das klang wirklich fantastisch. „Bandenfreundinnen für immer!“, rief sie lachend und hob die Hand. Ihre Mädels stimmten sofort mit ein. „Einmal Hufeisen, Hufeisen für immer!“, rief Ronja fröhlich, die sonst die Ruhigste der Mädchenbande war. Unter ihren Freundinnen konnte das Mäuschen tatsächlich auch mal aufdrehen. „Dann habe ich noch eine wichtige Regel für euch!“, bat Isabelle um Aufmerksamkeit, „Keine Details mehr über uns und unsere Anliegen gegenüber Wiebke preisgeben. Notfalls lügen wir sie bis zum Abwinken voll.“ – „Oh ja, das tue ich gerne“, klang Klara begeistert, die wirklich lügen konnte, ohne rot zu werden.

 

Als Isabelle kurz zur Toilette verschwand und anschließend wieder kam, steckten ihre Freundinnen die Köpfe zusammen und tuschelten leise. „Darf ich auch mitreden?“, räusperte sie sich, nachdem sie eine Weile unbemerkt vor ihnen gestanden hatte. „Es geht nur um dich und Marlon“, druskte Ronja herum. „Ach was, da läuft doch nichts“, wehrte Isabelle ab. „Doch, doch!“, versicherte ihr Maxi. „Keinem von uns ist dein Blick entgangen, als uns Marlon vorhin auf dem Hof begegnet ist.“ – „Ich habe zuhause noch einige betörende Düfte für dich und für ihn“, fügte Merle mit einem verschmitzten Grinsen hinzu. „Und was soll das bringen?“, sah Isabelle sie verständnislos an. „Vielleicht, dass ihr euch gegenseitig noch anziehender findet“, wurde Merles Grinsen noch breiter. „Blödsinn, wenn ich erstmal aus Kandras Box komme, rieche ich zehnmal stärker nach Pferd als nach diesem Parfüm“, schnitt ihr Isabelle das Wort ab. „Ich bin der Meinung, wir sollten es mit einem Liebestee versuchen“, war Ronja der Meinung. Ronja, die ab und zu beiläufig die Kräuterhexe genannt wurde, kannte sich sehr gut mit Kräutern, Pflanzen, Heilmitteln und Teemischungen aus. „Ich finde, wir müssen unbedingt Ronnies und Merles Vorschlag ausprobieren“, war Klara überzeugt. Zufrieden ließ sich Isabelle wieder zwischen Merle und Ronja auf dem Sofa nieder. Ihre Freundinnen wollten nur das Beste für sie. Alleine würde sie sich niemals trauen, Marlon anzusprechen, daher musste ein Plan her.

5. Kapitel

 

„Heute Nachmittag werde ich Wiebke ein wenig bei der Reitstunde über die Schulter schauen“, wisperte Isabelle Maxi zu. „Willst du dich da wirklich hinstellen, sodass man dich sieht, wie du sie beobachtest?“, entgegnete ihre beste Freundin. „Quatsch, so offensichtlich nun auch nicht!“, zischte sie. „Ich werde auf Kandra in der freien Hälfte der Halle meine Runden drehen. Da für heute Nachmittag Regenschauer angekündigt sind, kann ich eh nicht auf dem Platz reiten und Kandra verlangt ihre tägliche Portion Bewegung“ – „Maxine und Isabelle, wie wäre es, wenn ihr meinem Unterricht lauschen würdet?“, blieb Herr Older, ihr ätzender Mathelehrer, vor ihrem Tisch stehen. Zeitgleich wurden die beiden Mädchen ruhig. Mit einem triumphierenden Grinsen drehte sich Wiebke zu ihnen um. Maxi war anzumerken, dass sie Isabelles neunmalkluger Cousine am liebsten das Mathebuch um die Ohren gehauen hätte. „Wer mag mit der folgenden Rechnung fortfahren?“, wandte sich Herr Older wieder an die gesamte Klasse. Blitzschnell meldete sich Wiebke, die selbstverständlich an die Reihe kam, und feinsäuberlich die Rechnung an die Tafel schrieb. Merle und Maxi stöhnten leise. „Diese Streberin!“, wisperte Klara. Isabelle presste ihre Lippen zusammen. Warum musste ihre Cousine sich mit dem Lernen so leicht tun und wie ein wandelndes Lexikon auftreten? Gerade Mathematik war nicht Isabelles Fach, auf dem letzten Zeugnis stand mit Ach und Krach noch eine schwache Drei. In den anderen Fächern, bis auf Physik und Geschichte, war sie deutlich besser. Ihre Eltern waren mit ihren Noten soweit zufrieden, nur in diesen drei Fächern sollte sie sich dieses Schuljahr noch mehr anstrengen.

 

In der Pause verzogen sich die fünf Lustigen Hufeisen so rasch, dass Wiebke keine Chance hatte, sich ihnen anzuschließen. Zu ihrer großen Enttäuschung hatten noch nicht einmal Lilly, Paula und Nora auf sie gewartet. Hastig kramte sie in ihrem Ranzen nach ihrem Apfel. „Ich will nicht drängen, aber die Pause hat bereits vor drei Minuten angefangen“, vernahm sie Herrn Olders Stimme. „Ich komme sofort“, nickte sie und schnappte sich ihren Apfel und ein Mangaheft. Draußen war der Flur fast leer. Wohin sollte sie nur gehen? Es war gerade mal ihr dritter Tag an dieser Schule und noch hatte sie nicht die beste Orientierung. Ihr Weg führte zuerst zur Mädchentoilette. Zu ihrer Überraschung traf sie dort Ronja, allerdings ohne ihre Freundinnen. „Hallo Ronja!“, grüßte sie ihre Mitschülerin. „Hi!“, grüßte Ronja zurück. Wiebke kramte in ihrem Hirnkasten nach, was sie am besten sagen sollte, um ein Gespräch aufzubauen. Dann fiel ihr ein, dass sie Ronja einmal mit einem Mangaheft gesehen hatte, welches sie in einer Zwischenpause las. „Liest du auch Mangas?“, fragte sie. „Na klar, sogar sehr gerne“, nickte Ronja. „Welche Mangas liest du am liebsten?“, wollte Wiebke wissen. „Ich mag vor allem Naruto, Detektive Conan, Sailor Moon und One Piece“, meinte ihre Klassenkameradin. „Du hast wirklich einen guten Geschmack“, stellte Wiebke anerkennend fest. „Ich habe gerade den neusten Narutoband dabei. Wenn du magst, kann ich ihn dir jetzt ausleihen.“ – „Danke, jetzt nicht“, lehnte Ronja ab. „Aber meinetwegen gerne nach der Schule. Ich habe gerade keine Tasche dabei und müsste es die ganze Zeit in der Hand halten.“ Ronja trocknete ihre Hände ab und verschwand wieder. Wiebke blieb alleine zurück. Warum wollte sie das Heft erst nach der Schule haben? Hatte sie etwa Angst, dass ihre Bandenfreundinnen sie komisch beäugen würde, wenn sie sie mit einem Mangaheft in der Hand sahen? Die Pause verbrachte sie damit, die Lustigen Hufeisen zu finden. Bestimmt waren sie wieder am Basketballfeld und schauten Isabelles Schwarm zu.

 

Damit lag Wiebke goldrichtig. Zu fünft gluckten sie zusammen und tuschelten leise. Wiebke näherte sich so unauffällig wie möglich, doch leider hatte Maxi sie bereits aus einer Distanz von knapp fünf Metern erspäht. Ruckzuck trollte sich die Mädchenbande. Wiebke blieb mit hängenden Kopf stehen. Sich ihnen anzuschließen war quasi unmöglich, selbst ihre anderen Mitschülerinnen hielten sie gut auf Abstand. „Hi Wiebke, grenzen dich diese kindischen Bandenmädels wieder aus?“, tauchte Doreen mit ihren drei Freundinnen vor ihr auf. „Kann man so sagen“, erwiderte sie gedankenverloren. „Isabelle und ihre Freundinnen sind ganz schön gemein und halten sich für etwas Besseres“, lästerte Sarah. „Vor allem Isabelle taumelte die ganze Zeit liebesblind hinter diesem Marlon her, dabei merkt doch jeder, dass er kein Interesse an ihr hat“, zerriss sich Magdalena das Maul. „Woher kennt sie ihn eigentlich?“, wollte Jenny wissen. „Er ist der Sohn ihrer Reitlehrerin. Als ich letztens Reiten war, hat er aber sehr viel mit Merle herumgehangen“, sagte Wiebke und hätte sich im nächsten Moment ohrfeigen können. „Uuuuhhh!“, machten die vier Comtessen im Chor. „Hat sich Isabelle wirklich in den Sohn der Reitlehrerin verguckt“, lachte Doreen schrill los. „Das müssen wir ihr gleich unter die Nase reiben“, begannen Sarahs Augen vor Hinterhältigkeit zu blitzen.

 

Am Nachmittag regnete es wirklich, wie es der Wetterbericht angekündigt hatte. Isabelle musste in der Halle reiten. Gerade hatte Wiebke ihre zweite Longenstunde und überhäufte ihre Reitlehrerin mit dutzenden Fragen, wann sie zum ersten Mal draußen und alleine reiten könnte. „Wiebke, bitte ein wenig aufrechter sitzen und die Hände unten halten“, gab Ellen ihre nächste Anweisung. „Endlich bekommt sie wegen ihrer Haltung auch ihr Fett weg“, dachte Isabelle voller Genugtuung und ließ ihrer Hannoveranerstute antraben. Während des Leichttrabens sah sie ihrer Cousine zu, die beim Traben immer leicht aus dem Sattel rutschte. Mit den Lustigen Hufeisen würde Wiebke noch lange nicht mithalten können, schließlich ritt Isabelle schon seit sie sechs war. Erst zu ihrem zwölften Geburtstag hatte sie von ihrem Großvater ihr Pferd geschenkt bekommen. Zuvor hatte sie ein Jahr ein Pflegepferd gehabt, das mit samt dem Besitzer den Stall gewechselt hatte. Im nächsten Moment ließ Wiebke einen kleinen Schrei los. Isabelle sah aus dem Augenwinkel, wie sie fast aus dem Sattel katapultiert wurde, als Ellen Fee kurz angaloppieren ließ. So sattelfest, dass Wiebke einen mittelprächtigen Galopp durchhalten würde, war sie noch lange nicht. Da Kandra noch einiges an Bewegung brauchte, ließ Isabelle sie auch noch ein paar Runden galoppieren. Ihre Stute wollte immer schneller werden, sodass Isabelle sie zügeln musste. Wiebke versuchte währenddessen, freihändig zu reiten, und musste sich immer wieder am Sattel oder an Fees Mähne festklammern.

 

Wirklich talentiert und geschickt war sie, nach Isabelles Meinung, nicht. Garantiert benötigte ihre Cousine noch die eine oder andere Longenstunde. Zumindest machte sie inzwischen keine unangebrachten Kommentare über die Reitkünste der anderen Mädchen mehr. Eigentlich musste Wiebke selbst gemerkt haben, dass Reiten nicht so leicht war, wie es aussah. Als Kandra genügend ausgepowert war, sattelte Isabelle sie ab. Im Stallgang traf sie überraschenderweise Maxi. „Ich habe einen kurzen Ausritt gemacht, bis der Regen immer doller geworden ist“, berichtete ihre Freundin, die auch ihren Hund Snoopy mitgebracht hatte. „Hast du gesehen wie Wiebke reitet?“, nur mit Mühe konnte sich Isabelle am Kichern hindern. „Ich habe nur einen kurzen Blick in die Halle geworfen“, nickte Maxi. „Aber ansehen muss man sich das Debakel nicht.“ Die beiden Freundinnen versorgten ihre Pferde. „Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass Wiebke mit den Comtessen herumhängt?“, wechselte Maxi das Thema. „Soll sie von mir aus, dann haben wir sie wenigstens vom Hals“, meinte Isabelle gleichgültig. Die beiden Freundinnen sahen zu, dass sie schnell fertig wurden. Bald war Wiebkes Reitstunde vorbei und sie hatten keine Lust darauf, wie Wiebke mit breiter Brust von ihren Fortschritten erzählte.

 

Draußen schob Isabelle ihr Fahrrad neben Maxi her. Inzwischen hatte es aufgeklart, sodass die Sonne wieder zum Vorschein kam. Ohne Vorwarnung fing Snoopy an zu bellen und stürmte in den Vorgarten der alten Witwe Lüderitz. „Snoopy, komm auf der Stelle zurück!“, rief Maxi energisch. „Was hat er bloß?“, wunderte sich Isabelle. „Er hat eine Katze ausfindig machen können“, stöhnte ihre beste Freundin. Inzwischen jagte Snoopy das arme Kätzchen durch den ganzen Vorgarten. „Snoopy!“, brüllte Maxi, doch ihr Hund hörte nicht auf sie. Maxi und Isabelle mussten über den Zaun klettern, um den außer Rand und Band gewordenen Hund wieder einzufangen. „Was soll das hier?“, tauchte die alte Witwe mit einem puterroten Kopf vor ihnen auf. „Wir wollen nur meinen Hund wieder einfangen“, fand Maxi zuerst ihre Worte wieder. „So eine Unverschämtheit, mein halbes Beet habt ihr mir zertrampelt!“, wetterte die griesgrämige Dame los. „Das wollten wir nicht“, stammelte Isabelle. „Nur der Hund ist uns ausgebüchst“ – „Wie kann man euch nur ein Tier in die Hand drücken, wenn ihr noch nicht einmal Lage seid, vernünftig darauf aufzupassen?“, ereiferte sich die Lüderitz. „Entschuldigung, ich habe die Leine zuhause vergessen“, klang Maxi sehr kleinlaut. „Wir wollten den Hund nur einfangen, damit er das arme Kätzchen in Ruhe lässt“, sprang Isabelle ihrer Freundin bei. „Das hättet ihr nicht machen müssen. Seht mal, wo meine Katze sitzt, da wäre eure Töle niemals hochgekommen“, deutete die Witwe auf den Kirschbaum. Bei dem Gedanken an Hunde, die auf Bäume kletterten, brachen die beiden Freundinnen in ein schallendes Gelächter aus.

 

Am nächsten Tag trafen sich die fünf Bandenfreundinnen in der Eisdiele von Maxis Eltern. Da das Wetter richtig sonnig war, konnten sie draußen sitzen. „Wisst ihr, was mir Doreen und Sarah vorhin nach der Schule unter die Nase gerieben haben?“, begann sich Isabelle zu eifern. „Was denn?“, forschte Klara nach. „Die Comtessen haben gemeint, dass Marlon gar kein Interesse an mir hätte“, fuhr Isabelle überhastet fort. „Und dreimal dürft ihr raten, wer das den Zicken gesteckt hat“ – „Deine tratschliebende Cousine natürlich“, unterbrach Maxi sie. „Na klar, wer denn sonst. Vor allem erzählt sie herum, dass Marlon an Merle interessiert sei“, verdrehte sie die Augen. „Langsam habe ich echt die Faxen dicke mit ihr! Sie ist knapp einer Woche in unserer Klasse und schon beginnt sie den Laden aufzumischen.“ – „Marlon und ich sind weit davon entfernt, ein Paar zu sein“, wurde Merle ganz rot. „Natürlich darf man diesem doofen Geschwätz nicht glauben“, mischte sich Ronja ein. „Wir müssen dieser Kuh zeigen, wo der Hammer hängt“, war Merle überzeugt. „Wie willst du das tun?“, sah Ronja sie verständnislos an. „Da käme nur ein Streich in Frage“, wandte Klara ein. „Von mir aus gerne“, war Isabelle überzeugt. „Aber was für ein Streich?“ – „Da fällt mir etwas Tolles ein. Am Donnerstag haben wir in den ersten beiden Stunden Kunst“, wisperte Maxi und die fünf Freundinnen steckten ihre Köpfe zusammen. Die Mädchen bekamen einen heftigen Kicheranfall, als Maxi ihr Vorhaben schilderte. „Ein roter Fleck auf ihrer Hose sieht so aus, als hätte sie ihre Tage“, grinste Merle. „Da müssen auf jeden Fall Beweisfotos her“, sagte Isabelle voller Enthusiasmus. „Die kann ich machen“, überschlug sich Merles Begeisterung. Außer Ronja und Klara besaßen die anderen Hufeisen teure Smartphones. „Die Bilder müssen wir auch an unsere Schulkameraden weiterschicken“, meinte Klara.

 

Am Donnerstagmorgen saß die ganze Klasse im Kunstsaal. Herr Wenzel, der sich als ihr neuer Kunstlehrer vorstellte, war nach dem Geschmack der Schüler viel zu trocken und zu griesgrämig. Wiebke saß allein an einem Tisch. Ihre Mitschüler hatten sich weit genug von ihr entfernt hingesetzt. In der letzten Reihe hatten es sich die Lustigen Hufeisen bequem gemacht. Wie gerne wäre sie nur eine von ihnen gewesen. Vor allem, weil Isabelle ihre Cousine war, mit der sie insgeheim unbedingt befreundet sein wollte. Obwohl Wiebke erst seit einer Woche in der neuen Klasse war, zeichnete es sich jetzt schon ab, dass sie eine Außenseiterin war. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, denn in ihrer alten Klasse hatte sie auch kaum Freunde gehabt, bis auf ihren einzigen Kumpel Torben. In den letzten Tagen hatte sie sich Hoffnungen gemacht, dass sie vielleicht mit den Comtessen gut zurrecht käme. Merkwürdigerweise kamen Doreen und ihre Freundinnen aber nur, wenn sie Wiebke über Isabelle ausquetschen konnten. Anfangs belieferte sie die Comtessen ohne mit der Wimper zu zucken mit Neuigkeiten, doch inzwischen hielt sie sich zurück. Seit kurzem schienen die Lustigen Hufeisen sie noch weniger leiden zu können. Besonders Merles und Maxis bitterböse Blicke trafen sie tief ins Mark. Jedes Mal, wenn sie an den Mädchen vorbei ging, fingen diese an, halblaut hinter ihrem Rücken zu tuscheln. Obwohl Wiebke sehr verletzt war, schwor sie sich, cool zu bleiben. Würde sie anfangen zu weinen oder ausrasten, hätten ihre Mitschüler sie nur noch mehr auf dem Kieker. Herr Wenzel gab jedem einen Stein, den die Schüler abzeichnen sollten. Dabei sollte besonders auf Lichtverhältnisse und Schattierungen geachtet werden. „Maxine, wieso hast du deinen Tuschkasten ausgepackt?“, blieb der Kunstlehrer vor ihrem Tisch stehen. „Ich male eben viel lieber, als dass ich zeichne“, meinte sie nur. „Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ihr zeichnen sollt“, beteuerte Herr Wenzel. Maxi zog eine Schnute und verstaute ihren Malkasten unter dem Tisch.

 

Wiebke machte das Zeichnen nicht besonders viel Spaß. Die Aufgabe fand sie ziemlich einfallslos. Offenbar ging es ihren Mitschülern genauso. Es klingelte zur Zwischenpause, als sie bereits die Hälfte geschafft hatte. „Wiebke, ich habe dein Comicheft dabei“, rief Ronja von hinten. Wiebke war überrascht, dass sie überhaupt noch einmal angesprochen wurde. Aber eigentlich war Ronja wirklich nett, zumindest war sie die Freundlichste von Isabelles Bande. Wiebke stand auf und ging zu ihr hin. „Ich muss schon sagen, ich bin sehr beeindruckt, dass du bei den Serien auf dem neusten Stand bist“, eröffnete Ronja das Gespräch. „Diesen Manga hat mir meine Tante letztens zum Geburtstag geschenkt“, lächelte Wiebke. „Wenn du magst, kann ich dir auch welche von meinen Mangas ausleihen“, meinte Ronja zuvorkommend. Wiebke war fast verwundert darüber, wie offen ihre Klassenkameradin mit ihr redete. Gerade in der Gegenwart ihrer Freundinnen nahm sich Ronja sonst arg zurück. Während sich die beiden Mädchen lebhaft unterhielten, schlichen sich Isabelle und Maxi von hinten an. Maxi malte einen roten Punkt auf Wiebkes schneeweiße Hose. Danach machte Isabelle noch ein Beweisfoto mit ihrem Handy. Da Wiebke so tief in das Gespräch verwickelt war, merkte sie nicht, was hinter ihrem Rücken vor sich ging.

 

Hinter Wiebkes Rücken wurde plötzlich gekichert. „Was ist los?“, drehte Wiebke sich um. Wieder brachen Isabelle, Maxi und die anderen Hufeisen in ein lautes Gekicher aus. „Wiebke hat ihre Tage!“, brüllte Felix von den Pavianen durch die Klasse. „Was soll ich haben?“, rief Wiebke entrüstet. „Hast du etwa vergessen, dir eine Binde einzulegen?“, feixte Christian, der Felix Handlanger war. „Ich habe meine Tage noch nie gehabt“, wurde Wiebke langsam sauer. „Jetzt offenbar schon“, giggelte Maxi. „Wiebke, du kannst gerne das hier haben“, hielt ihr Doreen einen Tampon unter die Nase und kam sich wohl sehr erwachsen vor. „Das brauche ich nicht“, schüttelte Wiebke so energisch den Kopf, dass ihr fast die Brille von der Nase fiel. Wieder bogen sich ihre Mitschüler vor Lachen. Wiebke wusste immer noch nicht, was los was. „Du hast einen roten Fleck auf deinem Hintern“, sagte Ronja, die als eine der Wenigen ernst blieb. „Das kann doch nicht sein“, zischte sie verärgert. Um sich ganz sicher zu sein, ging sie auf die Toilette. Es konnte nicht wahr sein, dass sie ihre Tage hatte, erst vor drei Wochen war sie zwölf geworden. Gott sei Dank, stellte sie fest, dass sie ihre Periode doch noch nicht bekommen hatte. Dennoch prangte ein dicker roter Fleck auf ihrer Hose. Das musste wohl ein fieser Scherz gewesen sein! Mit einem Mal hatte sie einen dicken Kloß im Hals sitzen. Wer war nur so gemein, sie vor der ganzen Klasse so zur Schau zur Stellen? Am liebsten hätte sie angefangen zu weinen, wenn sie nur gekonnt hätte. Dafür war sie jedoch noch viel zu aufgewühlt. Am schlimmsten war, wie ihre Cousine mitgelacht hatte. Mit bleischweren Beinen ging sie zurück zum Kunstsaal. Schon im Flur lief sie Herrn Wenzel über den Weg. „Darf ich mich abmelden, mir ist schlecht“, bat sie. „Du kannst dich gerne abholen lassen“, meinte er. „Du siehst richtig blass aus. Allerdings musst du dich noch beim Sekretariat abmelden.“ Wiebke packte ihre Sachen und verließ unter dem Gekicher und Gespött ihrer Mitschüler den Kunstsaal. Am liebsten wäre sie an Ort und Stelle explodiert. Im Sekretariat rief sie ihre Mutter an, die sie vor der Schule abholen wollte.

 

„Schätzchen, du siehst aber blass aus“, empfing ihre Mutter sie. „Soll ich dir ein Zäpfchen geben, wenn wir zuhause sind?“ – „Nein, nicht nötig“, murrte Wiebke und warf ihre Schultasche auf die Rückbank. „Erzähl, was ist nur los?“, legte ihre Mutter ihr die Hand auf dem Arm. „Mir hat jemand einen roten Fleck auf die Hose gemalt, den ich mittels Wasser und Seife nur zur Hälfte raus waschen konnte. Zudem behauptet die halbe Klasse, dass ich meine Tage hätte, und einige Mitschüler haben angefangen zu lachen“, war sie den Tränen nahe. „Das geht gar nicht, sowas ist schon extrem hinterhältig“, war ihre Mutter geschockt. „Deine Hose war noch ganz neu. Die Wasserfarbe bekommen wir ohne eine Spezialreinigung nicht wieder raus.“ – „Ich weiß“, seufzte Wiebke. „Ich hoffe, dass Isabelles Freundinnen nichts damit zu tun haben“, fügte sie hinzu, als sie an der Kreuzung warten mussten. „Gerade Isabelles Bande hat am lautesten gelacht“, sagte Wiebke niedergeschlagen. „Ich glaube, ich muss nachher noch mal mit meiner Schwester sprechen“, meinte ihre Mutter. „Dass Isabelle dich so behandelt, ist überhaupt nicht in Ordnung“ – „Mama, lass das!“, flehte sie. „Nachher bringt das nur noch mehr Unheil.“

 

Zuhause verkroch sich Wiebke in ihrem Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab. Sie heulte Rotz und Tränen. Was hatte sie bloß getan, dass ihre Mitschüler so gemein waren? Isabelle vermittelte ihr schon von Anfang an, dass sie in ihrer Nähe nicht geduldet war. Noch schlimmer waren Maxi und Merle, die nicht vor herablassenden Kommentaren und Beleidigungen zurück scheuten. Wahrscheinlich lag es an den Beiden, weshalb die Bande keine Neulinge aufnahm. Isabelle war erst dann selbstbewusst, und gab den Ton an, wenn zumindest eine ihrer Freundinnen dabei war. Auch von Ronja war sie tief enttäuscht, eigentlich hätte sie für sie Partei ergreifen müssen. Zwar hatte sie sich im Gegensatz zu den anderen Mitschülern gewaltig zurückgehalten, trotzdem hatte sie ein breites Grinsen auf dem Gesicht, als Wiebke den Klassenraum verließ. Noch nicht einmal Lilli, Nora und Paula hatten etwas gesagt. Manon und Neele hatten sogar schallend gelacht. „Wie finde ich in dieser Klasse nur eine Freundin?“, dachte sie verzweifelt. Manchmal wünschte sie, sie wäre wie Isabelle, die bei einem Großteil der Klasse ein hohes Ansehen hatte, und nun sogar zur stellvertretenden Klassensprecherin gewählt worden war.

6. Kapitel

 

Am Freitagabend lud Merle die gesamte Bande zum Übernachten ein. Da für den nächsten Tag ein Ausritt anstand, bereiteten die fünf Freundinnen gemeinsam den Proviant zu. „Wegen der Sache mit Wiebke musste ich mir von meiner Mutter doch noch einen Vortrag anhören, weil ich sie angeblich ausgelacht haben soll“, erzählte Isabelle, während sie eine Banane für den Obstsalat schnitt. „Im Ernst?“, zog Maxi die Augenbrauen hoch und hörte auf, den Teig für die Schokomuffins umzurühren. „Meine Güte, die kleine Jammersuse soll sich nicht so haben!“, bemerkte Merle schnippisch. „Schließlich hat sie selbst dazu beigetragen, wenn sie mit den Zicken über Isabelles Geheimnisse tratscht.“ – „Außerdem ist das noch kein Mobbing“, warf Klara ein. „Wir meiden Wiebke doch nur und machen nichts Schlimmes mit ihr.“ – „Und was habt ihr gestern mit ihr gemacht? Das fand ich echt hart“, sah Ronja ihre Freundinnen kritisch an und widersprach Klara damit. „Vielleicht ist das der Grund, weshalb sie heute nicht zur Schule gekommen ist.“ – „Ach was, die hatte nur eine Migräne“, entgegnete Isabelle scharf. „Ihr glaubt doch nicht, dass wir auf einmal zu ihr nett sein müssen, nur weil Wiebkes Mutter in der Schule angerufen hat, und Frau Walkenhorst uns heute morgen einen Einlauf verpasst hat“, schnaubte Merle, die gerade die Hamburger mit Tomatenscheiben belegte. „Einen gewissen Nervfaktor hat sie halt“, meinte Klara trocken. „Wann darf ich ausreiten? Wann kriege ich mein erstes Pflegepferd? Mache ich Fortschritte?“, äffte Maxi Isabelles Cousine nach, worauf sich die ganze Bande bog. „Maxi, du solltest echt Comedian werden!“, gluckste Isabelle, die sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel wischte.

 

Nachdem die Freundinnen damit fertig waren, den Proviant für den morgigen Ausritt zu zubereiten, und noch zwei Kannen Früchtetee gekocht hatten, zog es die Lustigen Hufeisen nach draußen auf die Terrasse. „Es ist immer noch kein Grad kälter geworden“, stellte Maxi fest. Ihr war sogar in einem trägerlosen Sommerkleid richtig warm. Obwohl es das letzte Augustwochenende war, drehte der Sommer noch einmal ordentlich auf, und zeigte, was er drauf hatte. Vor ihnen spiegelte sich das blaue Wasser des Pools. „Wollen wir eine Runde schwimmen?“, schlug Klara mit leuchtenden Augen vor. „Aber Hallo!“, erwiderten ihre Freundinnen im Chor. Zügig begaben sie sich ins Gartenhäuschen, wo sie sich umzogen. Im Nu hatten sie ihre farbenfrohen Bikinis an. Nur Ronja bevorzugte einen dunkelblauen Badeanzug, auf dem all ihre Schwimmabzeichen aufgenäht waren. „Wer als Erstes am Pool ist!“, spornte Klara ihre Freundinnen zu einem Wettrennen an. Da sie in der Schulmannschaft der Leichtathleten war, hatte sie die besten Karten. Die Mädchen stellten sich in einer Reihe auf. Isabelle gab das Startkommando und stürmte die Spitze. Sofort wurde sie von Klara überholt, die um Einiges schneller war, als sie. Merle, die im Sport einen verbissenen Ehrgeiz entwickeln konnte, klebte förmlich an ihren Fersen. Maxi, die vergessen hatte ihre Flipflops auszuziehen, schlug bereits nach wenigen Metern hin. Dennoch tat sie sich nicht weh, da sie auf den weichen Rasen fiel. Ronja konnte die Gelegenheit nutzen, um sie zu überholen. Da sie die Unsportlichste der Hufeisen war, hatte sie bei jedem Wettrennen das Nachsehen, und drückte sich im Normalfall vor jedem sportlichen Wettkampf. Als erstes hüpfte Klara mit einem astreinen Kopfsprung in das kühle Nass. Dann folgten Isabelle und Merle kurz nacheinander. Als vierte kam Ronja keuchend ins Ziel, die langsam in das Becken kletterte. Maxi kam als Letzte an. An ihren Beinen und Hände zeichneten sich deutliche Grasspuren ab. „So ein Mist, dass ich ausgerechnet hinfliegen muss“, ärgerte sie sich. „Ach mach dir nichts draus!“, rief ihr Isabelle zu. „Dusch dich ab, bevor du ins Wasser springst“, ordnete Merle an. Grummelnd stellte sich Maxi unter die Gartendusche. Mit einem sehenswerten Köpper tauchte sie in das Wasser ein.

 

Merle und Klara eröffneten eine wilde Wasserschlacht, bei der die ganze Bande mitmachte. Bald darauf war lautes Gekicher und Gequietsche vom Pool aus zu hören. „Alle auf Maxi!“, brüllte Klara lachend. Maxi quietschte und versuchte den Attacken zu entkommen, indem sie zwischendrin abtauchte. Bald darauf hingen ihre zurrecht gemachten Haare wie Spagetti vor ihrem Gesicht. Als nächstes knöpften sich die Mädchen Isabelle vor. „Aufhören!“, prustete sie, als sie Wasser in die Nase bekam. Merle, die von diesem Spiel gelangweilt war, holte einen Volleyball. Johlend warfen sie sich den Ball zu. Ronja, die nicht die Geschickteste im Fangen war, bekam einen harten Wurf von Klara ins Gesicht. Schniefend verbarg sie ihr Gesicht hinter ihren Händen. „Sorry Ronja, das wollte ich echt nicht!“, entschuldigte sich Klara peinlich berührt.

 

„Hast du dich verletzt, Ronnie?“, legte Isabelle ihrer Freundin den Arm auf die Schulter. „Meine Nase blutet“, erwiderte Ronja mit tränenerstickter Stimme. Maxi nahm Ronja an der Hand und kletterte mit ihr aus dem Pool. Die anderen Hufeisen folgten ihnen. „Was ist um Himmels Willen los?“, trat Merles Mutter auf die Terrasse. „Ronja hat einen Ball auf die Nase bekommen“, antwortete ihre Tochter. „Oh je, jetzt sehe ich es“, sagte Merles Mutter. „Ich hole eben Handtuch und Taschentücher.“ Maxi und Isabelle setzten sich zu Ronja auf die Gartenliege. „Wird schon nicht so schlimm sein“, redete Isabelle ihr gut zu und legte ihren Arm um sie. Einen Moment später kam Merles Mutter wieder und legte Ronja ein feuchtes Handtuch in den Nacken. „Geht es wieder?“, erkundigte sich Klara. „Ist schon besser geworden“, murmelte Ronja und hielt sich ein Taschentuch an ihre Nase. Zum Glück hörte das Nasenbluten sehr schnell auf, trotzdem wollten die Freundinnen nicht mehr in den Pool zurück. „Am besten wir ziehen uns um und essen. Langsam habe ich echt Hunger“, schlug Maxi vor. Blitzschnell waren die Mädchen wieder angezogen. Maxi kämmte ihr langes Haar akribisch und flocht sich einen Zopf. Merle und Isabelle bereiteten inzwischen das Abendbrot vor.

 

Da es ein schöner Abend war, sollte auf der Terrasse am Pool gegessen werden. Warmes Baguette, frisches Fladenbrot, Schafskäse, Paprikastreifen, Tomatenhälften, Bockwürstchen und Nachos mit Dipp wurden aufgetischt. Zu Trinken gab es Zitroneneistee und Fruchtsäfte. Mit gutem Appetit langten die Mädchen zu, als hätten sie Tage nichts zu essen gehabt. Es war deutlich zu merken, dass der Sommer in den letzten Zügen lag. Im Gegensatz zu den vergangenen Wochen wurde es relativ früh dunkel, sodass die Mädchen Kerzen und ein paar Fackeln anzündeten. „Was für ein wunderbarer Abend!“, schloss Maxi die Augen, die von Natur aus eher der Sommertyp war. „Wahrscheinlich der letzte warme Abend. Im September wird es bestimmt schon kälter sein und öfter regnen“, seufzte Isabelle. „Der Herbst hat aber auch schöne Seiten“, wand Ronja ein. „Denkt nur an die bunten Blätter an den Bäumen, im Wald gibt es viele Pilze und dann können wir wieder unsere Drachen steigen lassen.“ – „Willst du das im Ernst? Sind wir dazu nicht ein wenig alt?“, lachte Maxi kurz auf, die ihren Kinderdrachen in den Keller verbannt hatte. „Warum nicht? Mein Lenkdrache wartet schon auf seinen nächsten Einsatz“, nahm Klara Ronja in Schutz. Es wurde ein wunderbarer Abend. Als es frischer wurde, verzogen sich die Hufeisen in die Gartenhütte, wo sie schliefen.

 

Wie immer spielten sie Wahrheit oder Pflicht, so wie es bei Bandenübernachtungen üblich war. Diesmal hatten Klara und Isabelle die unangenehmsten Aufgaben. Klara musste mit ihren Klamotten in den Pool springen, während Isabelle laut jubilierend in Unterwäsche durch den Garten rennen musste. Zum Glück war es dunkel, sodass man sie schlecht sehen konnte. Um kurz nach Mitternacht legten die Freundinnen ihre Schlafmatten in einem Kreis hin und löschten das Licht. Am nächsten Morgen wollten sie auf jeden Fall fit für den Ritt an den See sein.

7. Kapitel

 

„Passt auf euch auf und seid vorsichtig!“, rief Merles Mutter den fünf Mädchen nach, als sie am nächsten Morgen auf ihre Fahrräder stiegen. „Ja, Mama“, antwortete Merle genervt, während die anderen schon nur noch nickten. Seit sie aufgestanden waren, mussten sie sich anhören, dass sie bloß vorsichtig sein sollten. „Wir machen das doch nicht zum ersten Mal“, sagte Isabelle, als sie endlich in Richtung Stall aufbrachen. „Ach, du kennst sie doch“, entgegnete Maxi nur schulterzuckend. „Und sie meint es nur gut“, warf Ronja ein. „Meine Eltern machen sich auch immer Sorgen“, erklärte Klara. „Wir passen ja auch auf“, lenkte Isabelle ein, die die ganze Aufregung nicht nachvollziehen konnte. Als ob sie jemals sich und ihre Pferde in Gefahr gebracht hätten.

 

Es war noch früh, als sie den Stall erreichten, und ihre Räder abstellten. Gerade krochen die ersten Sonnenstrahlen durch den Bodennebel, der auf den Wiesen lag. „Keiner da, juhu“, stellte Merle erleichtert fest und atmete die frische Luft tief ein. So hatten sie den Morgen ganz für sich und ihre Pferde. Gemeinsam betraten sie die Stallgasse und freuten sich, dass ihre Pferde sie brummelnd begrüßten.

 

„Sehen wir zu, dass wir hier wegkommen, bevor die Zicken auftauchen, und uns den Morgen verderben“, schlug Klara vor und schob die Boxentür von Nandu auf. „Gute Idee“, fand Isabelle und begann, Kandra zu putzen. Schweigend widmeten sie sich ihren Pferden und genossen die Ruhe im morgendlich stillen Stall. „Hey, was macht ihr denn hier?“, rief plötzlich eine Stimme durch die Stallgasse. Isabelle bekam eine Gänsehaut und trat aus Kandras Box heraus. „Marlon“, murmelte sie halblaut und überlegte, was sie Cooles sagen könnte. „Hey!“, kam Merle ihr zuvor und begrüßte den Sohn der Reitlehrerin mit einer Umarmung. „Du weißt doch, der frühe Vogel und so.“ Marlon lachte und nickte den anderen Mädchen kurz zu. „Wir machen einen Ausritt zum See“, erklärte Isabelle ihm vorsichtig und war sich nicht sicher, ob er das überhaupt so genau hatte wissen wollen. „Cool“, kommentierte er auch nur kurz und stiefelte davon. Peinlich berührt verschwand Isabelle wieder bei Kandra. Wieso nur fiel ihr nie ein witziger Spruch ein? Wenigstens hatten die Stallzicken nicht mitbekommen, wie sie sich blamiert hatte. Hatte sie sich überhaupt blamiert? Ihre Freundinnen schwiegen, also konnte es doch nicht so schlimm gewesen sein, oder? Isabelle schüttelte ihre Zweifel ab und freute sich stattdessen auf den Ausritt.

 

Wenig später waren sie bereit und führten ihre Pferde aus dem Stall auf den Hof. Gewissenhaft ging Ronja noch einmal alles durch: „Habt ihr eure Handys am Körper?“ – „Ja“, antworteten ihre Freundinnen im Chor. Jede von ihnen trug außerdem einen Rucksack. „Genug zu trinken auch?“, wollte Ronja weiter wissen und sie nickten. „Essen haben wir auch, einen Hufkratzer, ein erste Hilfe Paket und alles, was wir sonst noch brauchen“, beruhigte Klara sie. „Ich will nur sicher gehen“, verteidigte Ronja sich. „Ist ja auch gut so“, lenkte Isabelle ein. Endlich stiegen sie auf, richteten noch einmal die ungewohnt hoch geschnallten Rucksäcke und nahmen die Zügel auf. „Sommer, Sonne, Sonnenschein“, lachte Maxi übermütig und strahlte voller Vorfreude. „Auf geht es, Freunde!“, stimmte Isabelle mit ein und setzte sich mit ihrer besten Freundin an die Spitze der kleinen Gruppe. Etwas versetzt hinter ihnen reihten sich Klara, Ronja und Merle ein.

 

Gemütlich ließen sie ihre Pferde im Schritt die Feldwege entlang schreiten, bis sie den schattigeren Wald erreichten. Eine ganze Weile lang schwiegen sie, doch ein Gedanke ließ Isabelle einfach keine Ruhe und so fragte sie schließlich: „Findet ihr, dass ich mich vor Marlon blamiert habe?“ – „Heute Morgen? Nein, wieso?“, wollte Merle wissen und kam zwischen sie und Maxi geritten. Empört machte Fabella einen Schritt zur Seite und auch Maxi verzog das Gesicht. „Ach komm, Maxi. Fabella kann überall gehen. Nur, weil du dich bei Isa und Kandra sicher fühlst“, kommentierte Merle und Maxi sagte nichts mehr. „Du hast dich nicht blamiert!“, wiederholte Merle und fügte hinzu: „Sei doch ruhig ein bisschen offener, du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen.“ – „Schon, aber vor Marlon bin ich so unsicher. Und neben dir sehe ich wie ein Idiot aus“, murmelte Isabelle. „Ach Quatsch“, fand Klara. „Du hast doch normal mit ihm geredet.“ – „Aber nicht so, wie Merle“, wandte Isabelle sich. „Ich kenne ihn doch auch schon viel länger und besser“, erinnerte Merle und warf Maxi einen fragenden Blick zu, als die sich nach hinten zu Klara und Ronja fallen ließ. Sie hielt sich mit Fabella am liebsten neben Kandra auf, aber die ruhigen Ponys gefielen ihr auch gut als Gesellschaft für ihre Shagya-Araber Stute. Merles riesiger Fuchswallach Arthos war ihr allgemein zu ungestüm. „Wenn du Marlon besser kennen lernen willst, dann komm doch in unsere Turniergruppe für das Springen“, schlug Merle vor. Erstaunt sah Isabelle ihre Freundin an. „Traust du mir das denn zu?“, fragte sie mit großen Augen. „Natürlich! Du und Kandra, ihr müsst nur mal ein bisschen härter trainieren“, antwortete Merle mit einem Augenzwinkern. „Aber in die Gruppe kommt man doch nicht so einfach, oder?“, fragte Maxi von hinten. Merle und Isabelle drehten sich um und Merle meinte: „Ich kann Ellen ja einfach mal fragen. Dann soll sie das entscheiden.“ – „Das war nicht böse gemeint“, erklärte Maxi. „Ich weiß nur noch, wie schwierig es war, in die Dressur-Fördergruppe zu kommen.“ Ihre Freundinnen nickten zustimmend. Maxi war wirklich eine talentierte Dressurreiterin mit einem außergewöhnlichen Pferd. Aber die Stallzicken hatten alles versucht, um sie aus der Fassung zu bringen, und zu verhindern, dass sie Ellen überzeugen konnte, in das besondere Training aufgenommen zu werden.

 

Als die Mädchen einen sandigen Waldweg erreichten, schlug Ronja vor: „Wollen wir ein Stückchen traben?“ – „Dann möchte ich aber wieder neben Kandra!“, forderte Maxi und Merle machte ihr schwer seufzend Platz. „Übertreibst du nicht ein bisschen?“, fragte sie vorsichtig. „Nein, das ist mir einfach lieber“, gestand Maxi. Schon ein paar Mal war ihr Fabella im Gelände komplett durchgegangen und war nur durch einen beherzten Griff von Isabelle in ihre Zügel aufgehalten worden. Seit dem vertraute sie ihrer besten Freundin und deren Stute einfach am meisten. Als sich Merle hinter den Beiden und vor den Ponys platziert hatte, trabten sie der Reihe nach an. Maxi hielt Fabella dicht an Kandra und hoffte, dass Arthos sie nicht verrückt machen würde. Doch Merle hatte ihr Pferd gut im Griff und auch die Ponys kamen problemlos mit. Einzig die Rucksäcke störten beim Leichttraben.

 

Nach einer Stunde hatten die Lustigen Hufeisen eine Pause eingeplant und hielten an einem großen Haufen abgeschlagener Bäume an. „Mein armer Hintern“, stöhnte Klara und schwang sich aus dem Sattel von Nandu. „Warte erst einmal ab, wie das nach vier Stunden oder so wird“, grinste Ronja und streckte sich. „Randy!“, schimpfte sie im nächsten Moment, als ihr Reitbeteiligungspony nach einem Ast schnappte. „Ach, ich kann ihn verstehen, ich habe auch Hunger“, lachte Klara und setzte sich zu ihren Freundinnen auf die Baumstämme. „Ihr müsst vor allem viel trinken“, erinnerte Merle sie und reichte eine Wasserflasche herum. „Wie uneigennützig“, kommentierte Isabelle. „Du willst doch nur deinen Rucksack erleichtern.“ Merle guckte empört und ertappt zugleich. „Kann ich einen Hamburger haben?“, fragte Maxi und Klara reichte ihr eine Plastikbox. Beherzt griffen sie alle zu. „Das ist so lecker“, sagte Ronja mampfend. „Ja, es ist ein Wunder, dass wir nicht schon alles gleich gestern aufgefuttert haben“, stimmte Merle ihr zu und nahm sich einen Schoko-Muffin. „Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um nicht meinen ganzen Proviant auf einmal zu vernichten“, gestand Ronja und verstaute ihre Brotdose wieder in ihrem Rucksack. „Nimm wenigstens noch einen Schokoriegel“, bot Merle ihr an. Und so verdrückten sie alle noch einen kleinen Snack, während sie wieder aufsaßen und weiter ritten.

 

„Wie liegen wir in der Zeit?“, hakte Klara nach, als sie einen kleinen Aufstieg vor sich hatten. „Ganz gut“, antwortete Isabelle. „Es ist gar nicht mehr so weit.“ – „Meint ihr denn, wir können auch ein Stück galoppieren?“, wollte Merle wissen. Nachdenklich antwortete Maxi: „Also wenn, dann jetzt bald. Sonst kommen nicht mehr so viele gute Möglichkeiten.“ Doch zunächst ging es ein Stückchen bergauf und die Mädchen gaben ihren Pferden die Zügel hin. Als sie einen angenehmen Weg erreichten, sagte Ronja: „Hier sieht es doch gut aus.“ Ihre Freundinnen stimmten ihr zu und so fassten sie alle wieder nach. „Sagt Bescheid, wenn wir durchparieren sollen“, meinte Merle zu Maxi und den Ponyreitern. „Wir schaffen das schon“, entgegnete Klara. Manchmal ging ihr Merles Getue ein bisschen auf die Nerven. Andererseits hätte ihr Nandu es wohl nicht mit Arthos aufnehmen können. Manchmal versuchte sie es trotzdem und träumte davon, ihn einmal zu schlagen. Allein, um Merle eins auszuwischen, und ihr überraschtes Gesicht zu sehen. Doch meist machten Merle und Maxi die Wettrennen unter sich aus. Und nur selten hatte der kräftige Wallach eine Chance gegen die leichtfüßige Araberstute - etwa auf kurzen Distanzen. Ein kleiner Trost für Klara. Manchmal wünschte sie sich ein größeres Pferd, doch das war finanziell nicht drin und eigentlich wollte sie sich auch gar nicht von ihrer Reitbeteiligung Nandu trennen. „Klara, träumst du?“, rief Ronja ihr zu. Alle anderen waren schon angetrabt. Schnell ließ sie Nandu auch traben. Er war ein Schatz und hatte keine Anstalten gemacht, den anderen einfach nachzulaufen. Sie lobte ihn, lächelte und schloss auf. Dann fielen sie in den Galopp, doch Isabelle und Maxi hielten ihre Pferde vorne gleich zurück. Es sollte kein wildes Rennen werden.

 

Das Donnern der Hufe übertönte ihre Gedanken und ließ sie ganz Eins werden mit ihren Pferden, die sich nach der langen Strecke gut kontrollieren ließen. Der Gegenwind blies ihnen ins Gesicht und sie konnten nicht anders, als strahlen. Vor einer Biegung parierten sie wieder durch und wechselten in den Schritt. „Das war so schön“, lächelte Ronja und lobte Randy überschwänglich. Maxi streichelte Fabella den Hals und war froh, dass sie so brav geblieben war. „Ja, das war klasse“, lachte Isabelle und ließ sich auch ein bisschen zurückfallen, um bei ihren Freundinnen zu sein. Kandra zickte Nandu kurz an, dann ging es. Erfreut übernahm Merle die Spitze. Sie kannte den Weg ebenso gut. Und Isabelle genoss den Ausritt an jeder Position. Endlich einmal Zeit für sich, Kandra und ihre Freundinnen. Der Stall war ihr Rückzugsort und seit sie dort nicht mehr vor Wiebke sicher war, wusste sie die freie Zeit mit ihrem Pferd und ihren Freundinnen noch mehr zu schätzen.

 

„Da! Ich kann den See schon sehen!“, rief Maxi plötzlich. „Endlich“, stöhnte Klara. Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass sie doch ziemlich getrödelt hatten. Es war aber auch zu schön gewesen. Immer wieder hatten sie kurz gehalten und Fotos gemacht. Dabei waren die Handys eigentlich nur für den Notfall mitgenommen worden. Der See lag nun friedlich vor ihnen und nur ein sanfter Wind umspielte die Nasen der Mädchen. Sie kannten eine Uferstelle, an die sich nur sehr selten Wanderer und Wassersportler verirrten. Hier war die Natur noch unberührt und ruhig. Leider gab es daher auch keine Sitzmöglichkeit. Doch das störte die Lustigen Hufeisen nicht. „Alles ist bequemer, als der Sattel. Sogar das Gras“, seufzte Ronja und ließ sich im Schneidersitz neben Randy auf den Boden fallen. „Pass auf, dass er sich nicht erschreckt, und auf dich tritt“, warnte Maxi. „Das macht er schon nicht“, beruhigte Ronja sie. Doch bei Fabella war Maxi sich da nicht so sicher. Sie hatte eine Longe für sie mitgenommen und hielt sie auf Abstand. „Reinhauen, Mädels“, rief Isabelle und packe begeistert den Proviant aus. „Das ist alles so lecker“, seufzte Klara. „Nicht, dass wir noch vom Pferd göbeln, weil wir alles durcheinander essen“, kicherte Merle. „Ich schreibe meiner Mutter, dass wir angekommen sind“, erklärte Maxi und griff nach einem Hamburger. Während Klara und Isabelle sich zum Spaß um den letzten Muffin kabbelten und ihn dann einfach teilten, richtete Ronja ihren Blick auf den See. „Es ist so schön hier“, fand sie. „Ja, das ist es“, gab Merle ihr Recht. Doch dann schauten sie nach oben.

 

„Dort hinten sieht es aber ganz schön ungemütlich aus“, murmelte Ronja. Merle konnte nur nicken. „Da braut sich etwas zusammen“, vermutete nun auch Maxi. „Was ist los?“, wollte Isabelle wissen, als sie die ernsten Gesichter ihrer Freundinnen sah. Merle deutete still zum Himmel. „Ach, das ist doch über dem Wasser“, wehrte Maxi ab. „Das kommt hier nicht an.“ – „Wie kannst du dir so sicher sein?“, hakte Klara nach. „Das sagt man doch so, oder?“, meinte Maxi. „Ich dachte, wenn es auf der anderen Seite ist, kommt es nicht rüber“, sagte Isabelle nachdenklich. „Aber wir wissen nicht, ob das stimmt“, murmelte Ronja und sah beinahe ängstlich aus. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Klara und hatte plötzlich gar keinen so großen Appetit mehr. Etwas ratlos sahen die Mädchen sich an. „Wir sind doch gerade erst angekommen“, gab Maxi zu bedenken und hatte eigentlich keine große Lust, das Abenteuer abzubrechen. Außerdem konnten sowohl sie, als auch ihre Pferde, eine Pause gut gebrauchen. Sie waren schon fast seit drei Stunden unterwegs. Normalerweise planten sie für den gesamten Ausritt nur viereinhalb Stunden ein. „Aber es sieht aus, als würden sich die dunklen Wolken wirklich schnell nähern“, fand Isabelle. Während sie noch grübelten, erleichterte ein ohrenbetäubender Donner ihnen die Entscheidung. „Okay, das reicht, wir reiten los“, beschloss Ronja. Niemand widersprach ihr.

 

Hastig packten die Mädchen ihre Sachen zusammen. Nur Merle klemmte sich noch gierig ein Brötchen zwischen die Zähne, als sie aufsaß. „Ich kann gar nicht mehr sitzen“, jammerte Maxi, die sich so sehr auf die Pause gefreut hatte. Sehnsüchtig warf sie einen letzten Blick auf ihren Picknickplatz, als sie sich auf den Weg machten. „Ich weiß, wir müssen uns ein bisschen beeilen, aber wenn ihr noch schneller geht, müssen wir mit den Ponys bald traben“, rief Klara ihren Freundinnen zu. Merle, Maxi und Isabelle hatten sich an die Spitze gesetzt, und ein ordentliches Tempo an den Tag gelegt. „Tut uns leid“, entschuldigte sich Isabelle. „Aber vielleicht ist das keine schlechte Idee, ein bisschen zu traben“, meinte Maxi. Sie hatte wirklich keine Lust, mit Fabella in ein Unwetter zu geraten. „Geht das denn hier?“, überlegte Isabelle. „Komm schon, wie haben auf dem ganzen Hinweg doch auch niemanden hier getroffen“, erinnerte Merle sie. „Also gut, wir traben ein Stück“, beschloss Isabelle. „Aber ich bilde das Schlusslicht, damit niemand verloren geht. Und Merle passt vorne auf!“ – „Zu Befehl“, sagte Merle ernst und trabte neben Maxi an. „Halte Arthos aber bitte ruhig“, zischte Maxi noch und bemerkte, dass ihre Nervosität sich schon auf Fabella übertragen hatte. Isabelle drehte sich noch einmal um und bemerkte, wie nahe die dunklen Wolken inzwischen gekommen waren. Sie würden sich wirklich beeilen müssen. Andererseits lag noch ein verdammt weiter Weg vor ihnen. „Wir kommen gut voran, wir haben bald den oberen Teil des Hügels erreicht“, rief Merle nach hinten. „Oben reiten wir mal Schritt!“, antwortete Isabelle und erntete Zustimmung von Klara und Ronja.

 

„Meint ihr, wir können es schaffen?“, fragte Ronja ängstlich, als sie im Schritt die Kuppe des Hügels passierten. „Vielleicht haben wir Glück und das Unwetter bleibt hier hängen“, überlegte Klara und versuchte, ihre Freundin zu beruhigen. Fabella tippelte unvermittelt seitwärts. „Was ist los, Maxi?“, wollte Merle wissen. „Keine Ahnung, sie ist ganz aufgebracht“, erklärte Maxi und gab sich alle Mühe, Ruhe auszustrahlen. „Ich glaube, wir sollten uns wirklich beeilen“, meinte Merle mit einem Blick auf den nervösen Araber. „Fabella ist sehr feinfühlig. Vielleicht spürt sie das Unwetter schon.“ Isabelle bremste ihre Freundin: „Bergab werden wir im Schritt bleiben. Wenn die Ponys nicht anders können, dürfen sie im Trab aufschließen. Ich bleibe hier hinten als Schlusslicht.“ – „Ich hätte dich lieber hier vorne“, gestand Maxi. „Du schaffst das schon! Und Merle kann dir auch helfen“, versicherte Isabelle ihr. Ein frischerer Wind ließ Kandras Mähne aufstehen. „Kalt geworden“, murmelte sie so leise, dass es nur Klara und Ronja hören konnten, die tonlos nickten.

 

Kaum hatten die Lustigen Hufeisen den Fuße des Hügels erreicht, da rief Klara plötzlich: „Ich habe einen Tropfen abbekommen!“ – „Es beginnt zu regnen“, stellte Merle mit trockener Stimme fest. „Fabella hasst Regen“, murmelte Maxi und ritt noch näher an Arthos heran. Ihre Stute schüttelte bereits genervt den Kopf. „So eine Diva“, fand Klara und lobte sich ihr Verlasspony. Nandu war auf jeden Fall wetterfest. Und auch Randy ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Eher musste Ronja das Pony noch antreiben, damit sie nicht zurückfielen. „Trab mal an, Ronja“, riet Isabelle ihr. „Randy mag bald nicht mehr“, entgegnete die. „Aber wir müssen zusammen bleiben“, ermahnte Klara ihre Freundin. „Also mach ihm Dampf.“ – „Kann ich denn nicht meinen Pulli anziehen? Es ist so kalt“, jammerte Ronja. „Du hast im August einen Pulli mit?“, fragte Klara ungläubig. Ronja zuckte nur die Schultern. „Nicht jetzt“, drängte Isabelle. „Wir haben keine Zeit für so etwas.“

 

Nach den ersten seichten Tropfen kam ein heftiger Schauer über die Mädchen und sie waren innerhalb von Sekunden völlig durchnässt. Fabella schüttelte sich ohne Pause und machte Maxi beinahe wahnsinnig. „Wir müssen hier weg, das Gewitter kann nicht mehr weit sein“, rief Merle über ihre Schulter. Inzwischen hatte sie Fabella an einem Zügel gepackt, um Maxi zu unterstützen. „Willst du etwa so galoppieren?“, hakte Isabelle nach. „Das klappt schon irgendwie!“, rief Maxi überraschend mutig. „Also gut, aber passt da vorne auf und warnt uns sofort, wenn etwas kommt“, forderte Isabelle und ging in ihrer Rolle als Anführerin ganz auf. Merle und Maxi galoppierten an und ihre Pferde schossen los. Klara folgte ihnen auf Nandu eilig. Nur Randy hatte einfach keine Lust mehr. Ronja legte das Bein zurück, doch eigentlich wollte der dunkelbraune Wallach nicht einmal mehr traben. „Komm schon!“, forderte Isabelle ihre Freundin und das Pony an. „Hast du denn keine Gerte?“ – „Natürlich, aber die ignoriert er“, klagte Ronja. Kandra galoppierte inzwischen schon und wollte ungeduldig hinter den anderen Pferden her. „Du musst ihn endlich galoppieren!“, rief Isabelle verzweifelt und klatschte dem Pony auf die Kruppe. Sie versuchte irgendwie, Randy vor sich herzutreiben, doch er ließ sich weiter bitten. Als er endlich in einen trotteligen Galopp fiel, waren die anderen schon außer Sichtweite.

 

„Klara, was machst du da?“, wollte Isabelle wissen, als sie an einer Gabelung auf ihre Freundin traf. „Ich warte auf euch“, erklärte sie überflüssigerweise. „Wo sind die anderen?“, fragte Ronja völlig außer Atem. Sie hatte jeden Schritt ihres Ponys erkämpfen müssen. „Fabella ist durchgegangen und hat sich losgerissen. Sie sind da entlang geschossen. Merle ist hinterher und versucht, sie aufzuhalten“, sprudelte es aus Klara heraus. „Aber das ist der falsche Weg!“, rief Isabelle panisch. Klara nickte nur. „Na gut, dann müssen wir da auch hinterher“, entschied Isabelle und sie trabten los. Noch immer mühte sich Ronja mit Randy ab, doch diesmal gab Isabelle Klara die Aufgabe, bei ihr zu bleiben, und beeilte sich, mit Kandra den anderen zu folgen. Am Ende des Weges entdeckte sie ein Fachwerkgebäude. Doch nirgends war eine Spur von Maxi oder Merle. Panisch sah Isabelle sich um. Doch sie konnte sie nicht entdecken. Langsam trudelten Klara und Ronja ein. „Ich kann sie nicht finden“, berichtete Isabelle mit Tränen in den Augen. „Der Weg endet hier, wo können sie nur sein?“, überlegte Klara und hatte ebenfalls einen dicken Kloß im Hals.

 

„Hier sind wir!“, hörten sie plötzlich eine Stimme, die ihnen bekannt vorkam. Merle stand unter dem Vordach des Fachwerkhauses und winkte. Langsam näherten sich Klara, Ronja und Isabelle ihrer Freundin. „Ist alles okay? Wo sind die Pferde? Wo ist Maxi?“, überschüttete Isabelle sie mit Fragen. „Alles okay, die Pferde und Maxi sind hinten in der Scheune. Kommt mit!“ Vorsichtig folgten die Mädchen ihr auf den Hof hinter dem Fachwerkhaus. Merle führte sie in eine der Scheunen, wo Arthos, Fabella und Maxi auf sie warteten. „Was ist das hier?“, hakte Ronja nach. „Eine alte Außenstelle eines Hofes. Der Besitzer hat uns entdeckt und hereingebeten“, erklärte Maxi. Gerade wollte Klara fragen, ob das nicht etwas leichtsinnig gewesen sei, da tauchte ein alter Mann bei ihnen auf. Er musste beinahe 90 Jahre alt sein und sah keinesfalls bedrohlich aus. Dennoch waren sie froh, dass sie auch ihre Pferde bei sich hatten. „Ihr gehört zu dem Reiterhof von Ellen?“, fragte er und sie nickten zögerlich. Nur langsam stieg Isabelle ab. Sie war grundsätzlich lieber einmal zu oft vorsichtig. „Wenn ihr wollt, könnt ihr hier warten, bis das Unwetter vorüber gezogen ist“, bot der alte Mann an. „Das ist sehr freundlich“, sagte Maxi dankbar und schüttelte ihre nassen Haare filmreif aus. Ronja begann sofort nach ihrem Pulli zu kramen, doch in ihrem Rucksack war alles völlig durchnässt. Klara entdeckte noch etwas zu essen und verschlang es. Als ihre Freundinnen sie erstaunt ansahen, sagte sie entschuldigend: „Was denn? Aufregung macht mich hungrig.“

 

Als endlich die Sonne wieder herauskam und das Unwetter sich mitsamt dem Regen verzogen hatte, schwangen sich die Lustigen Hufeisen wieder in den Sattel. Dankbar verabschiedeten sie sich von ihrem Retter und machten sich auf den Weg nach Hause. Um sich und ihre Pferde zu schonen, blieben sie im Schritt. Obwohl ihre Klamotten getrocknet waren, knatschte ihr Sattelzeug bei jedem Schritt und sie bibberten noch immer ein wenig. Sie waren heilfroh, als sie endlich den Hof erreichten. Schwach ließen sie sich von ihren Pferden gleiten, die ebenfalls erschöpft wirkten. Und ausgerechnet Wiebke war die Erste, die ihnen über den Weg laufen musste.

 

„Wie seht ihr denn aus?“, spottete sie. „Hau ab!“, fauchte Isabelle ungehalten. Es war ein denkbar schlechter Zeitpunkt, ihr dumm zu kommen. „Warum habt ihr denn nicht gesagt, dass ihr ausreitet? Dann hätte ich euch einen Schirm gegeben“, antwortete Wiebke schlagfertig. Doch gegen die geballte schlechte Laune der Lustigen Hufeisen hatte sie keine Chance. „Wiebke, geh irgendwem anders auf die Nerven!“, sagte Klara und brachte Nandu ohne ein weiteres Wort in seine Box. Bevor Wiebke etwas entgegnen konnte, traf Maxi sie an einem wunden Punkt: „Ich glaube, die Reithose habe ich auch. Sagen wir mal, fünf bis sechs Nummern kleiner.“ Dann stolzierte auch sie mit Fabella davon. Divenhaft konnte sie sich durchaus geben. „Ihr seid so bescheuert“, rief Wiebke und verschwand, nachdem auch Isabelle ihr noch den Vogel gezeigt hatte. „So eine blöde Kuh, was erwartet sie denn?“, murmelte selbst Ronja und folgte ihren Freundinnen in den Stall. Das war ja mal ein Reinfall gewesen. Doch bevor sie sich endlich unter die warme Dusche schleppen konnten, mussten ihre Pferde versorgt und das nasse Leder behandelt werden. „Seien wir doch froh, dass es so glimpflich ausgegangen ist“, versuchte Ronja, ihre Freundinnen zum Abschied aufzumuntern, doch die wollten nur noch nach Hause.

8. Kapitel

Isabelle schleppte sich die letzten Stufen in die erste Etage hinauf. Sie streifte ihre Stiefel ab und betrat die Wohnung. Eilig tapste sie in ihr Zimmer und riss sich ihre Klamotten vom Leib. Dann trocknete sie sich erst einmal ab und beschloss, die warme Dusche auf später zu verschieben. In einer Jogginghose, einem gemütlichen Pulli und dicken Socken ließ sie sich auf ihr Bett fallen und seufzte. Endlich zu Hause.

 

Doch leider währte die Ruhe nicht lange. Ihre Mutter stürmte in ihr Zimmer und sah alles andere als begeistert aus. „Isabelle, wir müssen mal reden. So geht das mit Wiebke nicht weiter“, verkündete sie ungehalten. „Muss das jetzt sein? Ich bin wirklich am Ende“, seufzte Isa und richtete sich halb auf. „Es muss sein“, beharrte ihre Mutter. „Ihr geht wirklich nicht besonders gut mit ihr um.“ – „Sie provoziert uns doch permanent“, wehrte sich Isabelle schwach. „Und sie kann in dem Alter wohl auf sich selbst aufpassen. Wenn sie sich überall unbeliebt macht, dann muss sie sich nicht wundern, wenn niemand mit ihr befreundet sein möchte.“ – „Meinst du denn, dass sie sich mit Absicht unbeliebt macht?“, fragte Isabelles Mutter und nahm auf ihrem Schreibtischstuhl Platz. „Das weiß ich nicht, aber sie macht es einfach und geht uns auf die Nerven.“

 

„Eure Abneigung geht Wiebke mehr an die Nieren, als sie sich manchmal anmerken lässt. Sie ist bestimmt nicht einfach, aber sie ist deine Cousine“, erinnerte Isabelles Mutter. „Aber das heißt doch nicht, dass ich sie mögen muss! Meine Freundinnen sind mir einfach viel mehr Wert. Sie sind für mich da und loyal-nicht so, wie Wiebke“, knurrte Isa und dachte an die Gerüchte über sie und Merle und Marlon. Wenn ihre Mutter meinte, sie wäre für Wiebke verantwortlich, dann sollte Wiebke doch auch zu ihr halten. „Mama, Wiebke bringt meinen Freundinnen und mir gegenüber wirklich freche Sprüche. Wenn sie nicht mit der Antwort umgehen kann, sollte sie das vorher überlegen“, erklärte Isabelle. „Sei ein bisschen nachlässiger mit ihr, sie ist nun einmal etwas vorlaut“, bat ihre Mutter sanfter. „Aber euer Verhalten nimmt sie schon ziemlich mit.“ – „Ach Quatsch“, wehrte Isabelle ab und wurde langsam genervt. „Doch, wirklich. Deine Tante hat auch schon gesagt, dass Wiebke sich zurückzieht und…“ – „Das ist doch mal eine gute Nachricht. Hält sie auch endlich mal den Mund?“ – „Das ist nicht witzig! Sie ist neu hier und braucht ein bisschen Hilfe, die du ihr als ihre Cousine schuldig bist“, behauptete ihre Mutter. „Nein! Ich bin ihr ganz nichts schuldig. Du hast ja keine Ahnung, was ich mir ihretwegen schon anhören musste“, fauchte Isabelle und bekam bei dem Gedanken an Marlon einen kleinen Stich im Herzen. Das war auch so eine Sache; Wiebke scharwenzelte schon viel zu auffällig um ihn herum. Wieso interessierte sich eigentlich niemand für ihre Sicht der Dinge? Sie konnte sich nicht um Wiebke kümmern, wenn sie sich nicht gegen ihre Freundinnen stellen wollte. Und sie wollte sich auch gar nicht um Wiebke kümmern. „Sieh dir deine Cousine doch mal genauer an. Dir muss doch auch auffallen, dass sie darunter leidet, dass sie keinen Anschluss findet“, redete ihre Mutter ihr weiter ins Gewissen. Wütend warf Isabelle sie aus ihrem Zimmer.

 

Das Geplapper wegen ihrer Cousine ging ihr zunehmend auf die Nerven. Warum sollte sie immer die Mutter Theresa spielen? Sie war doch nicht ihr Babysitter! Konnte nicht jemand anderes für sie verantwortlich sein? Wäre Johannes zu ihnen gezogen, Wiebkes Bruder, dann hätte Isabelle diese Probleme nicht gehabt. Er war mehrere Jahre älter als sie und ging in eine höhere Klasse. Um ganz ehrlich zu sein hatte Isabelle schon mal darüber nachgedacht, wie es wäre wenn Wiebke in ihrer Bande sein würde. Doch Maxi und Merle würden sie für verrückt erklären, wenn sie diesen Gedanken auch nur einmal aus Jux brachte. Die Einzige der Hufeisen, die einmal annähernd auf Wiebkes Seite stand, war Ronja. Mittlerweile war sie aber genauso genervt von ihr, wie ihre Bandenschwestern. Andererseits war es wirklich nicht leicht, mit Wiebke umzugehen. Selbst Tim verdrehte die Augen, wenn sie auf ihn zukam, und ihn volllaberte. Allein, wie ihre Cousine sprach, regte Isabelle schon ziemlich auf. Viel mehr war es ein Plappern. Dass Wiebke ein Lustiges Hufeisen werden sollte, nur weil ihre Mutter es wollte, war nicht drin. Ihre Bande bestand nun mal aus Maxi, Ronja, Klara, Merle und ihr. So, wie es jetzt war, war es gut, und daran sollte sich nichts ändern. Fünf Lustige Hufeisen waren genug. Isabelle hatte keine Lust, aus ihrer geliebten Bande einen Girlsclub zu machen, dem jeder beitreten konnte. Um ihre schlechte Laune zu vertreiben, machte sie ihre Lieblingsmusik an. Wiebke konnte ihr gestohlen bleiben!

 

Am nächsten Morgen frühstückten sie unten bei Hilda und Wiebke, so wie es inzwischen jeden Sonntag üblich war. In der vergangenen Nacht hatte Isabelle darüber nachgedacht, ob sie wirklich zu hart mit Wiebke umgingen. Irgendwie war sie in diesem Zwiespalt gefangen. Einerseits wollte sie freundlicher zu ihrer Cousine sein, andererseits sollte sie kein Mitglied der Lustigen Hufeisen werden. Unten in der Wohnung duftete es schon vorzüglich, Hilda hatte sich bestimmt wieder Mühe gegeben mit dem Frühstück. Als sie das Wohnzimmer betrat, saß Wiebke bereits an ihrem Tisch und hielt einen Nintendo in der Hand. Als sich Isa neben sie setzte schaute sie nur kurz auf. Dass Wiebke zurückhaltender war als sonst, entging niemandem. Unter ihre Zurückhaltung hatte sich inzwischen auch Traurigkeit gemischt. „Sorry, das wegen gestern, das war nicht so gemeint“, begann Isabelle stockend. „Wie meinst du das?“, erwiderte ihre Cousine betont langsam. „Also, als mir diese eine blöde Bemerkung herausgerutscht ist“, fuhr sie verunsichert fort. Obwohl sie in der Klasse und in ihrer Bande oft den Ton angab, rang sie gerade um jedes Wort. Manchmal schien es so, dass selbst Wiebkes Anwesendheit sie nervös machte. Ihre Cousine schien ihre Umgebung geradezu zu scannen, sodass ihr kein Detail entging. Das war auch einer der Gründe, weshalb sich die Bandenmädchen von ihr beobachtet fühlten. „Deine Mutter hat mir gesagt, dass ihr mich vielleicht in die Bande aufnehmen sollt“, mit einem Mal hatte Wiebke wieder Überwasser. „Was redet sie eigentlich für einen Blödsinn?“, regte sich Isabelle aus dem Effekt heraus auf. „Na gut, wenn ihr mich nicht dabei haben wollt“, ließ Wiebke ihren Kopf wieder sinken. Erneut hatte Isabelle mit den Worten zu kämpfen. Wie sollte sie es ihrer Cousine am besten klar machen? „Weißt du, das soll nichts gegen dich sein“, begann sie ruhig. „Meine Freundinnen und ich sind eine sehr eingeschworene Bande, der man nicht einfach so beitreten kann. Das liegt daran, dass wir uns schon so lange kennen. In den letzten Jahren wollten einige Mädchen beitreten, doch wir haben nur zwei Neue aufgenommen, die auch wirklich hundertprozentig zu uns passen. Du bist also nicht die Einzige, die sich die Zähne ausbeißt.“ – „Habe ich denn wirklich gar keine Chance?“, hakte ihre Cousine nach. „Wenn, dann nur eine sehr geringe“, erwiderte Isabelle und biss von ihrem Zimtcroissiant ab.

 

Montage hasste Isabelle generell, besonders wenn sie dort Mathematik bei Herrn Older hatte. Dass er in der vergangenen Woche eine Lernstandskontrolle angekündigt hatte, war in ihrem Gedächtnis komplett ausradiert. Dabei hatte sie erst vor kurzem ihren Eltern versprochen, sich in Mathe und den anderen Naturwissenschaften zu verbessern. Bevor der Mathelehrer in die Klasse kam, hatten die Hufeisen bereits eine gute Strategie. Sie wechselten untereinander die Plätze, sodass Klara und Merle innen saßen. So war es besonders für Maxi und Isabelle möglich, zu spicken. Zu ihrem Leidwesen musste Isabelle feststellen, dass es zwei verschiedene Tests gab. Selbstverständlich hatten Merle und Ronja einen anderen Test, als sie. „Warum muss er immer so einen Umstand machen?“, raunte sie ihren Freundinnen zu. „Tja, das ist halt der olle Older“, rollte Maxi mit den Augen. Isabelle bekam doch noch etwas mehr als die Hälfte gebacken, trotzdem sah es nicht ganz so gut aus. Hoffentlich würde Herr Older den Auffrischungstest nicht benoten, doch garantiert würde er ihn in die mündliche Bewertung mit einfließen lassen, sodass es am Ende hieße, dass sie mehr für die Schule tun müsste. Die Mathecracks in der Klasse, darunter auch Wiebke, gaben ihr Blatt bereits nach der Hälfte der Zeit ab. Maxi, Isabelle und auch Ronja behielten ihr Blatt bis zum Gongschlag. „Na, fandet ihr den Test auch so leicht?“, kam draußen eine freudestrahlende Wiebke auf sie zu. „Sei bloß still“, fauchte Maxi und gab ihr zu verstehen, dass sie Land gewinnen sollte. Isabelle wusste, dass ihre beste Freundin wieder katastrophal abgeschnitten hatte. Mathe war einfach nicht Maxis Ding, genauso wenig wie ihrs. „Musst du immer damit rumtönen, dass dir hier alles so leicht fällt?“, klang Merle genervt. „Warum bist du nicht gleich auf eine Hochbegabtenschule gegangen?“, wollte Klara wissen. Beleidigt trollte sich Wiebke.

9. Kapitel

 

Die Wochen gingen ins Land und der Herbst trat seinen Siegeszug an. Die Tage wurden kürzer, die Blätter an den Bäumen verfärbten sich golden und es regnete öfter. Obwohl Isa nun beinahe täglich im Stall war, und Kandra ritt, war es inzwischen fast drei Monate her, dass sie zuletzt an einer Springstunde teilgenommen hatte. Sobald die Halle frei war, baute sie sich einen Springparcour auf und trainierte heimlich. Zum offiziellen Springtraining traute sie sich noch nicht. Die Gefahr, sich vor Marlon zu blamieren, und dabei wie ein Esel auszusehen, war zu groß. Isabelle spürte, dass ihre Stute und sie noch Zeit brauchten, bis sie mit den anderen Springreitern auf der gleichen Höhe waren. „So kannst du Jahre warten, bis du bei einem Turnier starten kannst“, hielt ihr Merle wiederholte Male vor. Manchmal konnte ihre hyperehrgeizige Freundin ihr auch ziemlich auf die Nerven gehen. Merle hatte nicht nur im Reiten einen hohen Ehrgeiz, sondern generell im Sport. Auch in ihrer Tanzgruppe versuchte sie immer, die besten Rollen zu ergattern. Dafür ließ der Ehrgeiz in der Schule bei ihr etwas nach. Merles Eltern machten umso mehr Druck, dass ihre Tochter permanent gute Noten nach Hause brachte. Bei Isabelle war es nicht ganz so krass, obwohl ihre Mutter ihre Noten mit denen von Wiebke verglich. Besonders schlimm war es in Mathe, wo ihre besserwisserische Cousine in der letzten Klassenarbeit eine gute Zwei nach Hause gebracht hatte, während Isabelle nur eine glatte Vier erreichte. „Du solltest echt mal mit deiner Cousine zusammen lernen, vielleicht verbesserst du dich bis zu den Halbjahreszeugnissen um eine Note in jedem Fach“, schlug ihre Mutter in letzter Zeit immer wieder vor. Pah, weder wollte sie zusammen mit Wiebke lernen, noch wollte sie Knall auf Fall an einem Turnier teilnehmen. Das einzige, wonach ihr war, war ihre Zeit mit ihren Bandenschwestern und Kandra zu genießen.

 

Als aufgrund einer Erkältungswelle die Hälfte der Stunden in der Schule ausfielen, zog es Isabelle mit ihren Freundinnen direkt nach Unterrichtsschluss in den Stall. Maxi hatte die Idee, einen kurzen Ausritt um die Koppeln zu machen. Kandra war offenbar mehr als glücklich, als ihr Fell gestriegelt wurde, und Isabelle ihre Hufe auskratzte. „Ich weiß, dass es ohne mich langweilig ist“, flüsterte sie ihr ins Ohr, worauf Kandra bejahend schnaubte. Summend kam Marlon mit einer Schubkarre in den Stall. „Hallo Marlon!“, gab ihm Merle einen Highfive. Fast wirkte er wie ein großer Bruder von ihr. Isabelle war so perplex, dass sie ihren Putzkasten fielen ließ. Der gesamte Inhalt verteilte sich auf dem Boden. Oh mein Gott, war das peinlich! Isabelle wäre am liebsten am Boden versunken. Noch bevor sie an einer Springstunde der Talentmannschaft teilgenommen hatte, stand fest, dass sie jetzt schon der Depp sein würde. „Hallo Marlon!“, schneite Wiebke ohne Vorwarnung herein. Die hatte gerade noch gefehlt! „Hallo!“, grüßte der Junge trocken zurück und widmete sich wieder der Arbeit. „Was kann ich tun?“, belatscherte ihn Wiebke weiterhin. Isabelle konnte sehen, wie er leise mit ihr sprach, und sie in der Sattelkammer verschwanden. Obwohl Isabelle vor Neid hätte platzen können, war sie froh, dass ihre Cousine Marlons Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte.

 

„Nimm es nicht so schwer“, tröstete Ronja sie, die ihr beim Aufheben half. „Ausnahmsweise ist deine Cousine zu einem richtigen Moment gekommen“, fügte Maxi halbironisch hinzu. „Nicht dass sie ein nettes Pläuschchen in der Sattelkammer halten“, verengten sich Isabelles Augen zu Schlitzen. „Ach was, was will er mit dieser Vogelscheuche?“, lachte Merle. „Na, schmeißt du gerne deine Putzsachen runter?“, kam Charlotte mit Melanie vorbei. „Halt deine Klappe!“, fauchte Isabelle. Die beiden Zicken begannen zu kichern. „Da guckt der Esel aber ganz gewaltig dem armen Marlon hinterher, der immer noch nicht weiß, wie ihm geschieht“, lästerte Melanie halblaut. „Seht zu, dass ihr Land gewinnt!“, stampfte Maxi ungehalten auf, worauf Fabella unruhig den Kopf nach oben riss. „Kommt, regt euch ab, Mädels!“, versuchte Klara sie zu beruhigen.

 

Draußen schien die Sonne, trotzdem war es recht kühl. Über ihrem Stallpulli trug Isabelle eine dünne Windjacke. Der Boden war von den Regenfällen der letzten Tage immer noch leicht aufgeweicht und auf dem Reitpfad am Waldrand roch es besonders erdig. „Oh je, kann ich überhaupt noch am Springen teilnehmen?“, jammerte Isabelle. „Aber natürlich“, versicherte ihr Merle. „Du hast das Potential auf jeden Fall.“ – „Und dir ist der Putzkasten auch nur aus Versehen runter gefallen“, meinte Maxi. „Das hätte den Zicken auch passieren können.“ – „Wahrscheinlich passieren mir in den Springstunden genauso blöde Fehler. Ihr wisst doch, wie sich Marlons Anwesendheit auf mich auswirkt“, klang Isabelle immer noch niedergeschlagen. „Meine Güte, dann lass dich doch nicht immer sofort aus dem Konzept bringen“, drehte sich Merle zu ihr um. Sie hatte auch gut reden, denn Merle und Marlon waren richtig gut befreundet, und konnten sehr locker miteinander umgehen. Auf einer geraden Strecke ließen die Mädchen ihre Pferde antraben. Maxi hielt mit Fabella einen großen Abstand, um zu vermeiden, dass ihre goldene Araberstute Schlammspritzer von den anderen Pferden abbekam. „Kommst du heute Nachmittag oder nicht?“, ließ Merle immer noch nicht locker. „Ich weiß es nicht“, seufzte Isabelle. „Das entscheide ich spontan.“ Ein Windstoß fuhr durch die Baumwipfel und rüttelte ein paar bunte Blätter von den Zweigen, die in ihre Richtung trudelten.

 

„Ach los, Isa. Ich habe Ellen schon gesagt, dass du wahrscheinlich kommst“, drängte Merle weiter. Normalerweise suchte ihre Reitlehrerin die Reiter für ihre Turniergruppe sorgfältig aus. Doch Merle hatte sie nachdrücklich darum gebeten, Isabelle eine Chance zu geben, da sie sie für sehr talentiert hielt. „Hör schon auf, sie zu nerven“, warf Ronja ein, „Du wirst ja sehen, ob sie nachher dabei ist.“ Merle zuckte mit den Schultern und grinste. Wahrscheinlich hatte Ronja Recht. Und am Ende konnte sie Isa auch nicht zu ihrem Glück zwingen. Merle selbst freute sich am meisten auf die Reitstunden, in denen sie gefördert wurde. Dass Ronja und Klara mit ihren Ponys am reinen Freizeitreiten ihren Spaß hatte, konnte sie nur schwer verstehen. Sie hatte nichts gegen einen schönen Ausritt, aber der Sport stand für sie doch im Vordergrund. Dabei war selbst Nandu als Connemara Pony eigentlich ein Schleifengarant. Aber genau wie Isa nichts aus Kandra machte, machte auch Klara nichts aus dem Pony. Wenigstens in Maxi hatte Merle eine Konkurrentin und Trainingsfreundin, auch wenn Maxi vor allem in der Dressur hart an sich arbeitete. „Machen wir uns auf den Rückweg, ich habe meiner Mutter versprochen, in diesem Schuljahr mehr zu lernen“, seufzte Klara nach einer Weile. „Das kannst du doch später noch. Reiten musst du sowieso“, antwortete Isa und zwinkerte ihr zu. Aber sie machten sich dennoch auf den Weg zurück zum Stall.

 

„Isa! Ich wusste es!“, rief Merle begeistert, als sie am Abend vor der Springstunde ihre Freundin entdeckte. „Ich will es mal versuchen“, murmelte Isa und klang noch nicht ganz überzeugt. „Super, das wird dir gefallen“, schwärmte Merle und zog Isa in die Sattelkammer. „Und du bist sicher, dass ich mich nicht völlig blamieren werde?“, hakte Isa nach. „Das wirst du nicht“, bekräftigte Merle. „Wir machen da auch keine unmöglichen Dinge.“ – „Das hoffe ich“, seufzte Isa. Ihr letztes richtiges Springtraining war schon wieder Wochen her. Und in der Turniergruppe war sie noch nie mitgesprungen. Vor Aufregung war ihr ohnehin schon ganz schlecht. Und dann ritt auch noch Marlon in der Gruppe mit. Meist kamen auch die Stallzicken zum Zuschauen, weil eine von ihnen, Charlotte, ebenfalls mit ritt. Wenn sie so weitermachte, würde sich ihre Nervosität noch auf Kandra übertragen. „Durchatmen, Isa“, lächelte Merle sie an. „Das ist nicht so einfach“, entgegnete Isa und begann, Kandra zu satteln. „Mach dich nicht schon vorher verrückt“, beruhigte ihre Freundin sie und Isa wünschte, sie wäre auch nur ansatzweise so sicher, wie Merle. Die ließ sich nicht einmal in einer richtigen Turniersituation so leicht aus der Ruhe bringen. „Kann ich mir dein Martingal leihen?“, fragte Isa Merle unsicher. „Meinst du, dass du das für Kandra brauchst?“, gab die irritiert zurück. „Bitte“, meinte Isa und Merle ging schulterzuckend zu ihrem Sattelbock, um Isa das Martingal zu holen. „Wenn du dich dann besser fühlst. Stell es aber nicht zu eng ein, sonst ist es kontraproduktiv“, erinnerte sie ihre Freundin.

 

Wenig später standen Isa und Merle nebeneinander vor der Reithalle. „Gehen meine Steigbügel so?“, fragte Isabelle und Merle seufzte fast schon genervt: „Jetzt tu doch nicht so, als würdest du zum ersten Mal springen. Für deinen Vielseitigkeitssattel wird es schon gehen.“ Isa merkte, dass Charlotte, die sich auf ihrer Oldenburger Stute Ebony bei ihnen eingefunden hatte, ihr schon hämische Blicke zuwarf. Um alles noch schlimmer zu machen, kam Marlon zu ihnen, und begann ein zwangloses Gespräch mit Merle über die kommende Wintersaison. Vielleicht würde sich ja doch noch das eine oder andere Hallenturnier ergeben, so hofften die beiden. Endlich rief Ellen sie alle hinein und Isa betrachtete den Stangenwald. „Heute haben wir eine neue Reiterin dabei“, rief Ellen und begrüßte Isabelle. „Hast du dich etwa an Marlon rangeschmissen, um in die Turniergruppe zu kommen?“, fragte Charlotte im Vorbeireiten. Wie so oft in solchen Situationen fiel Isabelle nichts ein, was sie entgegnen konnte. „Macht euch und eure Pferde erst mal ein bisschen warm“, ordnete Ellen an. Nach dem Warmreiten gingen die Reiter im Schritt und Trab über einige Bodenstangen. Immer wieder stieß Kandra dabei mit ihren Hufen gegen die Stangen. „Mittig anreiten, im Rhythmus bleiben, mit Schwung rüber“, rief Ellen ihr zu, doch das war gar nicht so einfach, wie es bei den anderen aussah. „Bleib im Takt, stör Kandra nicht im Maul und geh locker in der Bewegung mit“, lautete Ellens nächster Schwall an Anordnungen. „Wenn du das schon nicht kannst“, zischte Charlotte ihr zu, deren Stute elegant und schwungvoll über die Trabstangen schwebte. Neidisch folgte Isabelle der Reiterin mit ihren Blicken. „Du musst das Grundtempo konsequenter reiten, Isabelle. Dann fällt es dir gleich viel leichter“, meinte Ellen. Irgendwie gab sie nur Isabelle Hinweise. Sie war froh, dass ihre Freundinnen nicht zum Zuschauen gekommen waren. Dafür saßen Jana und Melanie hinter der Bande und grinsten blöd.

 

„Nacheinander über das Kreuz, dann reitet ihr den Wechsel und nehmt da drüben den kleinen Steilsprung!“, befahl Ellen nach dem Aufwärmen. Merle durfte beginnen und Isabelle beobachtete, wie ihre Freundin im Trab das Kreuz anritt, über eine Trabstange ging und dann nach dem Hindernis im Galopp blieb. Auf x sprang Arthos einen perfekten fliegenden Wechsel, dann nahm sie aus dem Galopp den aufgestellten Steilsprung. Ellen fand zu Recht nur lobende Worte für sie. Es hatte alles genau gepasst. Marlon folgte ihrem Beispiel und auch Charlotte gelang alles einwandfrei. Für die drei waren das noch leichtere Übungen. Isabelle jedoch hatte eine Gänsehaut bekommen. Kandra kannte den fliegenden Wechsel, aber den hatte sie schon lange nicht mehr so von ihr abverlangt. „Bitte, Isabelle!“, rief Ellen sie auf und Isabelle trabte auf das Kreuz zu. Doch Kandra beschloss, dass es ihr im Galopp leichter fiel, sprang an und nahm die Trabstange und das Kreuz als In-Outs. Auf der Wechsellinie versuchte Isabelle, den Galopp zu wechseln, doch Kandra reagierte nicht richtig und sprang nur vorne um. „Kreuzgalopp!“, rief Ellen ihr zu, obwohl Isabelle das auch selbst bemerkt hatte. „Reite eine Volte im Trab und galoppier vor dem Steilsprung neu an!“ Isabelle parierte durch, ging in die Volte, galoppierte richtig an-doch dann kam sie so schlecht an den Steilsprung ran, dass Kandra einen riesigen Satz machen musste, der sie beinahe aus dem Sattel katapultiert hätte. Die Stallzicken kicherten und Ellen spuckte einen ganzen Schwall an Korrekturen aus. „Du hättest auch einen einfachen Wechsel reiten können“, sagte Merle zu Isa. Die sah nur betreten auf Kandras Mähne.

 

„Also bitte, Merle! Einmal durch die Reihe!“, forderte Ellen ihre Musterschülerin auf. Merle galoppierte aus dem Schritt an und ging durch eine Dreierkombination auf der langen Seite. „Sehr schön!“, lobte Ellen und rief Marlon und Charlotte als nächste auf. „Kannst du das, Isabelle?“, fragte sie dann und Isa wurde schon rot im Gesicht. Zaghaft nickte sie. „Galoppier im Rhythmus und sieh zu, dass du nicht gleich das erste Hindernis auf groß reitest.“ Isabelle nickte und versuchte es. Wenigstens konnte sie Kandra diesmal vor dem ersten Sprung gut zusammen halten. Doch vor dem dritten Hindernis brach die Stute nach links aus und schoss knapp am Hindernisständer vorbei. Ellens Gesichtsausdruck sprach Bände. Auch Merle sah unglücklich aus. Isabelle befürchtete, dass sie ihre Freundin gerade tierisch blamierte, denn die hatte sich für ihre Chance in dieser Gruppe stark gemacht. „Es tut mir leid“, flüsterte sie Merle zu, als Marlon gerade einen kleinen Parcours nahm. „Das kannst du ja wohl besser! Gib dir mal Mühe!“, fauchte Merle zurück. Doch die Wahrheit war, dass sie es nicht besser konnte. Sie schaffte es einfach nicht, Kandras Galoppsprünge genau abzuschätzen. Dafür fehlte ihr schlicht die Übung. „Das war deiner!“, kommentierte Ellen auch sofort, als Kandra schließlich die oberste Stange eines E-Sprunges riss. Marlon warf Merle vielsagende Blicke zu. Wahrscheinlich fragte er sich, was dieser Tölpel in seiner Gruppe zu suchen hatte. „Du musst das besser abpassen“, sagte Ellen überflüssigerweise. „Lass Kandra nicht allein, gib ihr deine Hilfen ganz sauber. Und stör sie nicht, wenn sie es allein abpasst.“ – „Das ist so viel auf einmal“, seufzte Isabelle niedergeschlagen. „Das sind die Grundlagen“, konterte Charlotte und Isa musste sich eingestehen, dass das Mädchen Recht hatte.

 

„Das war eine bescheuerte Idee!“, maulte Isa beim Trockenreiten, als Kandra neben Arthos schritt. „So schlimm war es doch gar nicht“, versuchte Ellen sie zu trösten. „Du musst nur erst einmal üben, ihre Galoppsprünge einzuteilen.“ – „Geh dazu doch in die Nachwuchsgruppe mit den Zehnjährigen“, schlug Charlotte grinsend vor. „Ach, sei still“, zischte Merle, doch auch ihr war es irgendwie unangenehm. „Ich gehöre nicht in diese Gruppe“, stellte Isabelle fest. „Vielleicht noch nicht“, sagte Merle beruhigend. „Nein, das ist nicht mein Ding“, seufzte Isabelle. „Was ist dann dein Ding?“, fragte ihre Freundin. „Das ist es ja, ich habe keine Ahnung. Maxi ist eine tolle Dressurreiterin und du liebst das Springen und die Vielseitigkeit. Aber es gibt nichts, was ich richtig gut kann“, beschwerte Isabelle sich. „Es ist ja nicht so, dass wir das einfach so konnten. Wir trainieren dafür auch wirklich hart“, erinnerte Merle sie. „Soll das heißen, ich reite nicht konsequent genug?“, hakte Isabelle nach. „Nein, natürlich nicht“, beruhigte Merle sie.

 

Am Allerschlimmsten fand Isabelle eigentlich die Tatsache, dass sie sich vor Marlon gründlich blamiert hatte. Er hielt sie bestimmt für total talentfrei und alle fragten sich, warum und wie zum Teufel Isabelle es in seine Gruppe geschafft hatte. Dass Marlon sie mit keinem Blick gewürdigt hatte, kam ihr inzwischen fast schon wie ein Segen vor. Die Stallzicken würden bestimmt jedem von ihrem peinlichen Auftritt berichten. Und was würde sie sich dann alles anhören müssen? Bei dem Gedanken daran wurde ihr ganz schlecht. Sicher würde auch Wiebke ihr diese Niederlage bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter die Nase reiben. Auch mit Merle sprach Isa kaum noch, bevor sie ihre Pferde in die Boxen brachten. Sie hatte sich wieder einmal mit Marlon verquatscht. Die beiden schienen sich ja wirklich viel zu sagen zu haben. Dabei hätte Isabelle den Beistand ihrer Freundin gut gebrauchen können. Andererseits schien sie gerade in Selbstmitleid zu versinken. Vielleicht war es besser, wenn sie Merle damit nicht auch noch auf die Nerven gehen würde. Doch ein kleiner Teil von ihr konnte nicht aufhören, sich zu fragen, ob Merle und Marlon am Ende auch über sie lästerten.

 

„Es war nicht deine Schuld, Kandra“, murmelte Isa und kraulte ihrer Stute den Hals. „Nein, das war es wirklich nicht“, stimmte Melanie ihr von der Stallgasse aus zu. Gerade hatte Isabelle ihre Stute abgesattelt und wollte sich eben von ihr verabschieden. Natürlich konnten die Stallzicken es gar nicht abwarten, auf ihr herumzuhacken. Und im Moment hatte sie ihren Anfeindungen nichts entgegen zu setzen. Also ließ sie die drei Mädchen stehen und machte sich auf den Heimweg. Dabei vergaß sie auch noch, sich von Merle zu verabschieden. Na ja, dachte sie sich, sie würde ihr eben später eine Nachricht schreiben. Im Augenblick wollte sie nur noch weg und sich verkriechen.

 

Mit einer Flasche Cola und einer Tüte Browniekeksen verkrümelte sich Isabelle zuhause in ihrem Zimmer. In diesem Moment wollte sie niemanden sehen. Schon schlimm genug, dass Ellen erkannt hatte, dass sie im Springen eine komplette Niete war. Vielleicht hatte Merle auch Recht, dass sie einfach nur mehr üben müsste. Bei dem Gedanken an Merle kamen wieder neue Schuldgefühle in ihr hoch. Sie hatte sich noch nicht einmal von ihrer Freundin verabschiedet und war einfach davon gerauscht. Garantiert war Merle sauer auf sie, denn unter den Lustigen Hufeisen gehörte sich so ein Verhalten nicht. Schuldbewusst griff sie zu ihrem Handy, welches auf dem Nachttisch lag. „Hi Merle, dass ich einfach so gefahren bin, das war keine böse Absicht. HDGDL, deine Isa“, schrieb sie. „Hey, ich nehme es dir nicht übel, dass einfach so nach Hause gefahren bist. Niemandem entging, wie geknickt du warst. Selbst Marlon fiel das auf und er meinte, dass du es auf jeden Fall hinbekämst, wenn du öfter kämst. Ich war am Anfang auch der Trottel der Gruppe, bis ich mich hoch gekämpft habe. Mittlerweile kann ich Charlotte den Rang streitig machen, obwohl sie deutlich erfahrener ist als ich. HDL Merle“, kam kurz darauf die Antwort. Isabelle fiel ein Stein vom Herzen, dass ihre Freundin nicht sauer auf sie war. Umso mehr ärgerte sie sich über sich selbst, dass sie Merle und Marlon insgeheim bezichtigt hatte, über sie gelästert zu haben. Garantiert hatten sich die beiden nur beraten, wie sie Isa am besten unterstützen konnten. Von unten drang ein gequältes Geigenspiel zu ihr hoch, welches hundertprozentig von Wiebke kam. Es war einfach ein Fluch, dass sie in dem gleichen Haus wohnen mussten. Um das Gequietsche zu übertünchen, drehte Isabelle ihre Stereoanlage voll auf.

10. Kapitel

 

Beim nächsten Bandentreffen hatte Ronja einen herrlichen Schokoladenkuchen mitgebracht. Trotzdem sah die Laune der Mädchen doch nicht nach Sonnenschein aus. Da ein heftiger Herbstregen auf das Dach trommelte, mussten die Freundinnen in der Halle reiten. Um das Ganze auf zu lockern, hatte Klara einen kleinen Geschicklichkeitsparcour aufgebaut. Nachdem die Pferde und ihre Reiterinnen genug Bewegung hatten, vorzogen sich die Lustigen Hufeisen in ihr Bandenquartier. Ronja goss jeder Freundin heißen Hibiskustee ein. Das war das beste Mittel gegen das nasskalte Wetter. „Sollen wir den Ofen anmachen?“, schlug Maxi vor, die schnell fröstelte. „Ach was, wir haben es doch erst Oktober und wollen unseren Holzvorrat doch nicht jetzt schon verheizen“, schüttelte Merle abrupt den Kopf. „Außerdem könntest du bei dem Wetter echt eine Jacke tragen.“ – „Ich habe keine Reitjacke, die zu dieser Reithose passt“, erwiderte Maxi maulend. „Du mit deinem ganzen Modekram?“, rollte Klara mit den Augen. „Im Gegensatz zu euch habe ich wenigsten Geschmack“, kniff Maxi die Augen zusammen. Isabelle musste insgeheim grinsen. Bei ihrer besten Freundin drang zu offensichtlich durch, dass sie die Tochter eines früheren angesagten Models war. „Was haltet ihr davon?“, meldete sich Ronja zu Wort, die zwei dicke Wolldecken aus einer alten Holztruhe hervorangelte. Dankbar legten sich die Freundinnen die Decken über die Knie, es war wirklich ziemlich kühl in der kleinen Kammer. Um es sich gemütlicher zu machen, löschten die Mädchen das Licht und zündeten Maxis Duftkerzen an, die ein wohltuendes Vanillearoma verbreiteten. Draußen hörten sie Wiebke reden, auf Zehenspitzen schlich Klara zur Tür und drehte den Schlüssel um. „Was macht Wiebke schon wieder hier?“, stöhnte Merle. „Wahrscheinlich will sie sich bei Marlon einschleimen“, erwiderte Isabelle gehässig.

 

„Apropos Marlon, wie läuft es momentan zwischen euch?“, erkundigte sich Maxi voller Neugierde. „Es ist noch nichts gelaufen“, seufzte Isa, „Bei den letzten beiden Malen, als ich beim Springtraining war, hatte er mehr Augen für Charlotte“ – „Blödsinn!“, fuhr ihr Merle in die Parade. „Als ob er sich für so eine blöde Kuh interessiert, die nur Schminke und Markenklamotten im Kopf hat“ – „Ich finde, du hast noch eine Chance offen bei ihm, Isa“, meinte Ronja. „Aha“, brummte Isabelle. „Wenn du meinst.“ – „Steck doch nicht gleich den Kopf in den Sand“, legte Maxi ihren Arm um sie. Da sie die Älteste der Lustigen Hufeisen war, hatte sie mit Beziehungen die meisten Erfahrungen. Seit einigen Monaten war sie bereits mit ihrem Freund zusammen, der aus Isabelles Sicht ein minderbemittelter Lackaffe war. „Ich hab’s!“, begannen Ronjas grauen Augen an zu leuchten. „Hau raus!“, sagten Isabelle und Maxi gleichzeitig. „Ich habe ein Rezept für einen Liebestee in meinem Kochbuch gefunden“, fuhr Ronja fort. „Wir brauchen nur einen normalen Rooibostee, den wir mit kandierten Früchten, Zimt, Orangenschale und Apfelstückchen verfeinern. Anschließend kann mit Zitronenmelisse gewürzt werden.“ – „Du hast wirklich spitzenmäßige Ideen, Ronnie!“, lobte Klara. „Woher sollen wir die Kräuter nehmen? Es ist doch Herbst“, machte Merle ein zweifelndes Gesicht. „Ich habe noch ein paar Kräuter von der letzten Ernte, die ich im Küchenschrank aufbewahre“, sagte Ronja.

 

„Isa, kannst du kurz raus gehen?“, forderte Merle sie auf. „Warum das?“, zog Isabelle ihre Stirn kraus. „Wir wollen nur etwas Geheimes besprechen“, wisperte Klara. „Jetzt tut doch nicht so, als hättet ihr etwas vor mir zu verbergen“, klang Isa fast schon genervt. „Du solltest es aber wirklich nicht mitkriegen“, beharrte Maxi. Isabelle gab dem Willen ihrer Freundinnen nach und ging zu Kandras Box. „Na, mein Schatz!“, tätschelte sie den Hals ihrer Stute. „Was machst du denn hier?“, meldete sich Wiebkes durchdringende Stimme von hinten. Hatte sie immer noch nicht gelernt, dass man im Stall leise sprach? „Darf ich wissen, was du hier machst?“, gab Isabelle pikiert zurück. „Ich verbringe hier nur meine Zeit und helfe nebenbei, wo ich nur helfen kann“, erwiderte ihre Cousine. „Ahaaa“, sagte Isa lang gezogen und tat gelangweilt. „Sind deine Freundinnen auch da?“, wollte Wiebke wissen. „Ne“, verneinte Isabelle kurz angebunden. Kaum hatte sie dies gesagt, tauchte Maxi in der Stallgasse auf. „Also sind deine Freundinnen doch da“, stellte Wiebke trocken fest. „Wie wäre es, wenn du die Fliege machst?“, lächelte Maxi zuckersüß und schnellte auf Wiebke zu, so dass diese gezwungen war, auszuweichen. Mit einer hastigen Rückwärtsbewegung stolperte Wiebke nach hinten, sodass sie die Wand touchierte und ihr die Brille von der Nase rutschte. Isabelle und Maxi konnten ein Kichern hinter vorgehaltenen Händen nicht verkneifen. Beleidigt trollte sich Isabelles Cousine.

 

Montag war der erste Tag der Herbstferien. Isabelle war mit Ronja verabredet, die mit ihr den Liebestee zubereiten wollte. Da Hilda mit Wiebke zum Kaffeetrinken kommen wollte, ging Isabelle kurz nach dem Mittagessen zu Ronja. Ihre Freundin wohnte ein paar Straßen weiter in einem Mehrfamilienhaus. Freudig fiel ihr Ronja um den Hals. „Ich habe schon alle Zutaten beisammen“, strahlte sie und führte sie in die Küche. „Super“, begannen Isas Augen zu glänzen. Ronja füllte den Tee in eine große Schüssel. Isabelle gab die kandierten Früchte hinzu, während Ronja die Gewürze anmischte. Zum Schluss kam die Mischung in eine goldene Dose, die Merle bekommen sollte. Am nächsten Tag war ein Ausritt mit ihr und Marlon geplant. Isabelle hoffte, dass die beiden nicht zu sehr aneinander hängen würden. „Wollen wir in mein Zimmer gehen und ein Hörspiel hören?“, schlug Ronja vor, um die Zeit totzukriegen. Nickend folgte ihr Isabelle. Ihre Freundin teilte sich ihr Zimmer mit ihrer großen Schwester Marlene, die glücklicherweise nicht da war. Das Zimmer nebenan gehörte Ronjas Bruder Moritz, der nur ein Jahr älter war als sie. Da die Wohnung sehr beengt war, mussten sich die Mädchen ein Zimmer teilen, sehr zu Ronjas Leidwesen. „Was wollen wir hören?“, hielt Ronja drei CDs hoch. Die beiden Freundinnen entschieden sich für eine Folge von den Fünf Freunden. Früher hatte Isabelle fast jedes Buch von Enid Blytons Kinderbuchklassiker gelesen. Obwohl sie sich fast schon zu alt dafür fühlte, mochte sie die Bücher und Hörspiele immer noch. Ronja legte die CD in den CD-Player und die beiden Mädchen machten es sich mit Limonade und Süßigkeiten auf Ronjas Bett bequem.

 

Ausgerechnet an der spannendsten Stelle platzte Marlene herein. „Was soll das? Nirgendwo hat man seine Ruhe“, schimpfte Ronjas sechzehnjährige Schwester wie ein Rohrspatz. „Wegen dir mache ich nicht das Hörspiel aus“, gab Ronja pampig zurück. „Solltest du aber, sonst schmeiß ich deinen CD-Player aus dem Fenster“, fauchte Marlene. Isabelle wusste, wieso sie Marlene nicht ausstehen konnte. Jedes Mal machte sie ihrer jüngeren Schwester das Leben schwer, und störte überall, wo sie nur auftauchte. „Wenn du das tust, dann sage ich es Mama und Papa“, wurde Ronja wütend. „Wie wäre es, wenn du einfach ins Wohnzimmer gehst? Dort hast du deine Ruhe und musst dich nicht über unsere Anwesenheit herumärgern“, richtete sich Isabelle an Marlene. „Wir waren bereits hier, bevor du kamst.“ – „Als ob ich mich von zwei Kleinkindern aus meinem Zimmer verscheuchen lasse“, höhnte Marlene und warf ihre lange blonde Löwenmähne in den Nacken. „Lass uns in die Küche gehen und Vanillekipferl backen“, flüsterte Ronja Isa ins Ohr. Isabelle erklärte sich einverstanden, aber an Ronjas Stelle hätte sie sich nicht so schnell verjagen lassen. „Marlene denkt immer, dass sie im Recht ist, nur weil sie vier Jahre älter ist als ich“, klagte Ronja, während sie den Plätzchenteig zusammenrührte. „Ich hätte ihr schon längst meine Zähne gezeigt“, meinte Isabelle, die eine Packung Mandeln in den Teig rührte. „Du weißt, wie wenig ich Streit ertragen kann“, fingerte ihre Freundin nervös in ihren halblangen Locken herum.

 

Zum Glück regnete es am nächsten Tag nicht, sodass der Ausritt auf jeden Fall stattfinden konnte. Isabelle zog sich ein Thermohemd unter ihren Reitpulli, da es doch ziemlich kühl war. Obwohl sie fertig angezogen war, ärgerte sie sich sehr über ihr Aussehen. Ihre Haare hingen strohig den Rücken herunter und irgendwie sahen auch ihre Augen müde aus. So wollte sie Marlon nur ungern unter die Augen treten. Daher musste die Schminkpalette her. Maxi hatte ihr gezeigt, wie sie sich die Augen geschickt schminken konnte. Blautöne aller Art passten super zu ihren blaugrauen Augen. Das Auftragen des Lidschattens war noch relativ einfach, umso komplizierter gestalteten sich das Umranden der Augen mit dem Kayalstift und das Auftragen der Wimperntusche. Fast die Hälfte verschmierte. „Jetzt sieht es noch schlimmer aus als vorhin!“, bekam sie die Krise. „Hallo, wolltest du gar nicht kommen? Deine Mutter hat mich gerade herein gelassen“, platzte Merle in ihr Zimmer.

 

„Ach du meine Güte, ist es schon so spät?“, ließ Isabelle vor Schreck ihr Lipgloss fallen. „Es ist bereits drei Uhr und wir wollen Marlon nicht ewig warten lassen“, betonte ihre Freundin. „Aber so kann ich mich vor Marlon nicht blicken lassen, ich sehe aus wie ein Clown“, war Isabelle den Tränen nahe. „Einen Moment“, zückte Merle ihr Handy, „Ich sage Marlon, dass wir später kommen, und dann schminke ich dich“ Isabelles Herz machte vor Erleichterung einen Riesenhüpfer. Merle stellte sich beim Schminken wesentlich geschickter an, da sie eine ruhige Hand hatte und wusste, welche Farbtöne gut miteinander harmonierten. Zum Schluss flocht sie ihr einen seitlichen Fischgrätenzopf in die Haare. Zufrieden betrachtete sich Isabelle im Spiegel. „Sieht viel besser aus!“, lächelte sie. Gerade als sie zum Lipgloss greifen wollte, hielt Merle sie zurück. „Dieses pinke Zeug sieht viel zu kitschig aus, das tragen höchstens die Stallzicken. Nimm lieber einen richtigen Lippenstift, der nicht zu knallig ist“, riet Merle ihr. Auf Zehenspitzen schlichen die Mädchen ins Badezimmer und liehen sich kurz den Lippenstift von Isabelles Mutter. „Schick, jetzt wird er auf dich fliegen“, fand Merle. „Meinst du?“, klang Isabelle nicht ganz schlüssig, aber Merle nickte nur und zog sie hinter sich her. Draußen wehte ihnen ein frischer Wind um die Nase und die Wolken hingen tief, aber wenigstens regnete es nicht.

 

„Na, ihr Beiden, da seid ihr ja!“, begrüßte Marlon die Mädchen. „Hi Marlon, tut mir leid, dass wir ein bisschen später kommen“, entschuldigte sich Merle und umarmte ihr kurz aber herzlich. Wie sie nur so lässig sein konnte? Isabelle sagte nur kurz „Hallo“ und gab ihm die Hand. „Tiffy wartet schon“, meinte er. „Ich habe sie schon vorher gesattelt, da ich nicht damit rechnen konnte, dass ihr zwanzig Minuten später kommt.“ Die beiden Freundinnen holten ihre Pferde aus den Boxen und begannen, sie zu putzen, und ihnen die Hufe auszukratzen. Marlon half ihnen abwechselnd dabei, damit es schneller ging. Als sie ihre Pferde auf den Hof führten, brach die Sonne durch die Wolkendecke und tauchte die Umgebung in ein goldenes Licht. „So könnte das Wetter immer sein“, gut gelaunt schwang sich Merle in den Sattel. „Wollen wir die Springstrecke reiten?“, schlug Marlon vor, der die Gruppe auf Tiffany anführte. „Gerne!“, antworteten die Mädchen aus einem Mund. Die Bewegung konnte Kandra wirklich gut gebrauchen, nachdem sie ein paar Tage lang nur wenig bewegt wurde. Der Bewegungsdrang ihrer Hannoveranerstute war deutlich zu merken. Bereits auf dem schmalen Sandpfad trabte sie von alleine an und nahm immer mehr Tempo auf. „Hey Isabelle, wo willst du hin?“, rief ihr Marlon hinterher. Isabelle hatte Mühe ihr Pferd zu drosseln. „Mensch Kandra, jetzt hab es doch nicht so eilig!“, schimpfte sie leise. „Jetzt warte doch auf uns!“, rief Merle von weitem. Wie peinlich, dass Kandra den anderen Pferden einfach so davon getrabt war. Hoffentlich dachte Marlon nicht, dass sie ihr Pferd nicht unter Kontrolle hatte.

 

Hinter einem Waldstück begann die Springstrecke, die zu dem Hof gehörte. „Auf eine Trainingsrunde!“, rief Merle fröhlich. Gleichzeitig trieben die drei Reiter ihre Pferde in den Galopp. Noch hinter dem ersten Hindernis waren sie gleich auf. Doch allmählich trennte sich die Spreu vom Weizen. Merle und Marlon kämpften um die Spitze, während Isabelle immer weiter zurück fiel. „Nicht nachlassen, Mädchen!“, feuerte sie Kandra an. Normalerweise machte es Isabelle nichts aus, wenn sie nicht die Erste war, schließlich hängten Merle und Maxi sie jedes Mal ab. Gerade im Beisein von Marlon war es ihr aber nicht mehr egal. Vor ihm wollte sie nicht wie eine Hobbyreiterin aussehen. Isabelle trieb ihre Stute weiterhin energisch an, obwohl Kandra bereits ihr Limit erreicht hatte. Wenigstens hatte sie schon ein weiteres Stück zu Marlon aufgeschlossen. Merle war auf und davon, schließlich verlangte sie von Arthos immer alles ab. Der Wind pfiff ihr um die Nase, sodass ihr Tränen in die Augen stiegen. „Gleich haben wir es geschafft, Kandra!“, sagte sie immer wieder vor sich hin. Zum Schluss kam ein mit dunkelbraunem Wasser gefüllter Graben, den Kandra mit einem Riesensatz übersprang. „Bravo! Toll gemacht!“, lobte Isabelle ihr Pferd und parierte durch zum Schritt. Marlon und Merle warteten bereits unter einer Baumgruppe. „Na, da kommst du auch mal endlich an“, bemerkte Merle. Isabelle erwiderte nichts, stattdessen ärgerte sie sich, dass ihre Freundin wieder ihre Spitze ihr gegenüber raus hingen ließ. „Den Rückweg gehen wir aber ruhiger an“, beschloss Marlon und schlug den Weg ein, der zum Weiher führte. Obwohl der Weg durch ein Naturschutzgebiet führte, gab es einen Reitweg.

 

„Vielleicht könnten wir dort ein paar Zugvögel sehen, die gerade auf Durchreise sind“, dachte Isabelle bei sich, allerdings behielt sie den Gedanken für sich. Marlon und Merle ritten zu zweit nebeneinander und unterhielten sich leise. Isabelle fragte sich, ob es ihr Date war, oder das von Merle. Um sich ihre negativen Gedanken nicht anmerken zu lassen, setzte sie ein seichtes Lächeln auf. Als hätte sie es geahnt, tatsächlich rasteten am Weiher sehr viele Zugvögel, die entweder gerade landeten, oder wieder davon flogen. Tim hätte garantiert seine Freude daran gehabt, schließlich interessierte er sich sehr für Vögel, und hatte sogar ein hochwertiges Fernglas. Ein weit entfernter Schuss eines Jägers ließ einen ganzen Schwarm auffliegen. Glücklicherweise ließen sich ihre Pferde nicht aus der Fassung bringen. Fabella, das Pferd von Maxi, wäre sicherlich schon losgedüst und hätte sich nicht mehr bremsen lassen.

 

Nachdem sie ihre Pferde abgesattelt und versorgt hatten, machten sie es sich im Hufeisenquartier gemütlich. Obwohl Nicht-Bandenmitglieder dort nicht gerne gesehen wurden, machten sie eine Ausnahme für Marlon. „Wow, ihr habt hier euch ein kleines gemütliches Reich geschaffen“, war Marlon ganz angetan und ließ seinen Blick über unzählige Fotos und Poster schweifen. Merle setzte Wasser auf, seit Neustem gab es hier einen Teekocher und eine kleine Herdplatte, damit sich die Lustigen Hufeisen etwas Warmes zubereiten konnten. Nun kam ihr selbst kreierter Liebestee zum Einsatz. Wie das sich nur auf ihre Gefühle auswirkte? Vielleicht kamen dann endlich mehr Liebesgefühle auf. Damit es gemütlicher wurde, löschten sie das Licht und zündeten ein paar Kerzen an. Merle stellte die Vanillekipferl auf den Tisch, die Isabelle mit Ronja gebacken hatte. „Darf ich mal probieren?“, fragte Marlon und nahm sich einen. „Na klar“, nickte Merle. „Mmh, die schmecken köstlich“, fand er. „Wer von euch hat sie gebacken?“ – „Isabelle“, antwortete Merle mit vollem Mund. „Sehr gut, Isabelle“, lobte Marlon. „Danke“, erwiderte sie leise und spürte, wie rot sie dabei wurden. Da der Tee noch heiß war, ließen sie ihn einen Moment abkühlen. Hoffentlich entfaltete er beim Trinken doch noch nicht seine betörende Wirkung. Isabelle hoffte, dass sie endlich lockerer werden würde, und munter mitreden könnte. Merle und Marlon unterhielten sich die ganze Zeit und Isabelle sagte nur etwas, wenn sie aktiv ins Gespräch mit einbezogen wurde.

 

„So ich muss jetzt los!“, zog Merle ihre Jacke an. „Wo willst du hin?“, wollte Isa wissen. „Ich habe noch Tanztraining“, erwiderte ihre Freundin. Zum Abschied umarmte sie Isabelle und Marlon. „Hat sie sonst nicht montags und mittwochs Tanzen?“, wunderte sich Marlon. „Eigentlich schon“, murmelte Isabelle. Selbst das wusste der Junge über Merle. „Vielleicht proben sie momentan häufiger, da bald wieder ein Musical auf dem Programm steht“, vermutete Isa. „Was für ein Musical führen sie auf?“, erkundigte sich er. „Da bin ich auch nicht auf dem Laufenden“, zuckte Isabelle mit den Achseln. „Aber soweit ich weiß, ist es die Schöne und das Biest, denn Maxi macht da auch mit.“ – „Ah okay“, nickte er. Das Gespräch zwischen ihnen verstummte immer mehr. Isabelle haderte sich mit sich selbst, dass sie ihren Mund nicht aufbekam. Obwohl sie nach außen hin eher kühl und steif wirkte, rebellierten in ihrem Inneren die Schmetterlinge. Ein Blick in Marlons klaren blauen Augen ließ sie im Kopf noch schummriger werden. Einerseits war sie froh, dass Merle gegangen war. Andererseits hätte sie ihre Freundin gebraucht, um sie auch nur ein wenig zum reden zu bringen. Schweigend schlürften sie ihren Liebestee, der immer noch nicht seine Wirkung entfaltete, obwohl Marlon immer wieder Komplimente machte, wie gut der Tee schmeckte. Zwischendurch machte sich immer wieder quälende Stille breit. Isabelle traute sich einfach nicht ein Gespräch anzufangen und musste jedes Wort aus sich rausquetschen. „Ich muss jetzt los“, sagte sie schließlich. „Tschüss, wir sehen uns beim nächsten Springtraining“, verabschiedete er sich.

 

Zuhause angekommen, rannte Isabelle die Treppen hoch, schloss sich in ihr Zimmer ein und warf sich bauchlängs auf ihr Bett. Hemmungslos begann sie zu heulen, sodass die Tränen die Schminke wegspülten und die Bettwäsche einsauten. Das gesamte Date konnte sie in die Tonne kloppen. Nun war die große Chance vorbei! Hoffentlich wurde sie von niemand gefragt, wie der Nachmittag gelaufen sei. Isa hatte keine Lust, als Liebesversagerin dazustehen. Nicht einmal ihre Freundinnen sollten es erfahren und schon gar nicht Wiebke. Warum taten sich ihre Freundinnen und Wiebke so leicht, mit Marlon zu reden, wenn sie selbst daran scheiterte? Unter ihren Freundinnen war Isabelle schon immer diejenige gewesen, die den Ton angab, und immer selbstbewusst rüber kam. Selbst in ihrer Klasse konnte sie selbstbewusst auftreten und den Idioten von den Pavianen Paroli bieten, genauso wie bei den Comtessen. Warum gelang es ihr bei ihrer großen Liebe nicht? In diesem Moment wünschte sie sich das Selbstbewusstsein von Merle und das Verführerische von Maxi, die bei vielen Jungs Eindruck hinterließ. Nach einer Weile traute sie sich, auf ihr Handy zu schauen. Tatsächlich wollten ihre Freundinnen wissen, wie das Date gelaufen war. Obwohl Isabelle erst überhaupt keine Lust hatte zu antworten, beschloss sie, zumindest Maxi die Wahrheit zu schreiben. Wenn ihre beste Freundin es wusste, dann wussten es bald auch ihre anderen Bandenfreundinnen und dann musste sie ihnen es nicht noch mal erzählen.

11. Kapitel

 

Mit einem verbitterten Gesicht verließ Isabelle die Reithalle. Diese Springstunde war noch katastrophaler verlaufen, als die erste vor wenigen Wochen. Fast gar nichts hatte sie auf die Reihe bekommen und war schon an den leichtesten Aufgaben gescheitert. Wenn nicht Marlon, Merle und all die anderen im Stall gewesen wären, hätte sie Rotz und Tränen geheult. Ein Wunder, dass Ellen sie nicht gleich aus der Fördergruppe geworfen hatte. Bei der heutigen Leistung hätte sie allen Grund dazu gehabt. „Schmeißt du absichtlich alle Stangen runter?“, musste Charlotte auch noch Salz in die Wunde streuen. Wütend kniff Isabelle ihre Augen zusammen. „Du könntest glatt noch einen Rekord aufstellen“, begann Jana ebenfalls zu spotten. „Wie wäre es, wenn ihr mal eure Klappe haltet?“, tauchte Wiebke vor ihnen auf. „Was willst du denn von uns, kleine Ratte?“, wich Melanie angeekelt zurück. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, erwiderte Wiebke unverfroren und ließ sich von dem Gehabe der älteren Mädchen nicht abschrecken. „Wenn du schweigst, dann wäre das Gold oder sogar Diamant“, zischte Charlotte. „Wie ihr meint“, grinste Wiebke unverschämt frech und stapfte mit erhobenem Haupt davon. Isabelle war so baff, dass sie ihren Striegel fallen ließ. War es etwa ihre Cousine gewesen, die sie eben vor den Zicken in Schutz genommen hatte? Am liebsten wäre sie Wiebke um den Hals gefallen, aber das konnte sie in der Gegenwart der anderen nicht bringen. „Deine Cousine hat wirklich ganz unbekannte Seiten, das hätte ich von ihr niemals erwartet“, meinte Merle, die das Ganze gesehen hatte. Isabelle stimmte ihr zu, obwohl sie immer noch ziemlich geknickt war. „Beim nächsten Mal wird es besser“, tröstete ihre Freundin sie.

 

„Was willst du eigentlich an deinem Geburtstag machen? Wir haben es Anfang November und dein Geburtstag ist schon nächste Woche“, meinte ihre Mutter beim Abendessen. „Vielleicht eine Übernachtungsparty mit meinen besten Freundinnen“, überlegte Isabelle. „Wolltest du nicht die Mädchen aus deiner Klasse zu einem gemütlichen Kaffeetrinken einladen?“, hakte ihre Mutter nach. „Nein, ich lade nur Maxi, Ronja, Klara und Merle zu einem Videoabend mit anschließender Übernachtung ein“, entschied Isabelle rigoros. Noch bis zu ihrem letzten Geburtstag hatte sie fast alle Mädchen aus ihrer Klasse eingeladen und einen großen Kindergeburtstag gefeiert. Doch nun fühlte sie sich mit fast dreizehn zu alt dazu. „Lass Isabelle doch selbst entscheiden“, mischte sich ihr Vater ein. „Sie ist doch kein kleines Kind mehr und kann selbst entscheiden.“ Isabelle warf ihm ein dankbares Lächeln zu. „Wenn du schon eine Übernachtungsparty geben willst, sollte auch Wiebke dabei sein“, meinte ihre Mutter. „Jetzt im Ernst?“, sprang Isa auf und warf dabei ihr Brett runter. „Wiebke gehört zu unserer Familie“, erklärte ihre Mutter im ruhigen Tonfall. „Zudem wohnt sie im gleichen Haus. Wiebke wird doch mitkriegen, dass du all deine Freundinnen einlädst, und sie außen vor lässt.“ – „Aber Mama, sie wird uns allen fürchterlich auf die Nerven gehen und die ganze Party verderben. Niemand von uns kann mit ihr etwas anfangen und daran kann niemand etwas ändern“, protestierte sie. Hoffentlich sagten ihr Vater und Tim etwas dazu, doch gegen ihre dominante Mutter hatten sie oft keine Chance dagegen anzukommen. „Kein Widerspruch, du lädst sie ein!“, blockte ihre Mutter ab. „Blöde Kuh“, schnaubte Isabelle und rannte in ihr Zimmer.

 

Nun war der Tag gelaufen. Erst das miserable Springtraining und nun wurde sie dazu verdonnert, dass sie ihre Cousine ebenfalls einladen musste. Es war wirklich zum Heulen, Fluchen und Zähneknirschen! Schnell verschickte sie eine Nachricht an all ihre Freundinnen. „Was? Die Schreckschraube soll auch dabei sein?“, meldete sich Klara als erste. „Oh je, diese Nervensäge wird unseren schönen Abend sprengen. Wie kann dir deine Mutter das antun?“, kam Maxis Antwort kurz darauf. „Wenn Wiebke kommt, dann vergraulen wir sie einfach“, schrieb Merle, die manchmal noch radikaler sein konnte, als Maxi und Klara zusammen. Nur Ronja blieb wie gewohnt zurückhaltend und meinte, dass es schlimmere Dinge gäbe, als einen Abend mit Wiebke zu verbringen. „Was haltet ihr von einem kleinen Streich?“, schrieb Klara in den Gruppenchat. „Klar, da bin ich sofort dabei“, antwortete Maxi. „Habt ihr schon konkrete Ideen?“, tippte Isabelle. „Bei mir zuhause fliegt ein altes Furzkissen herum, das wir unter Wiebkes Luftmatratze verstecken könnten“, offenbarte Maxi ihren Plan. „Gebongt!“, erwiderte Isabelle und rieb sich vor Vorfreude die Hände. „Wenn wir Wiebke lang genug ärgern und triezen, geht sie vielleicht in ihre Wohnung zurück“, schrieb Merle. „Dann müssen wir auch noch ihr Kissen mit Juckpulver einreiben“, fuhr Maxi fort. „Hat irgendjemand Juckpulver?“, fragte Ronja. „Ich! Ich! Ich!“, meldete sich Klara. „Meine Brüder geben mir davon gerne etwas ab.“

 

Da Isabelle an einem Sonntag Geburtstag hatte, beschloss sie, mit ihren Freundinnen hinein zu feiern. Zu ihrem Leidwesen kam Wiebke schon am Nachmittag. „Wollen wir noch eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht spielen?“, schlug ihre Cousine vor. „Ist das dein Ernst?“, rollte Isabelle mit den Augen. „Frag doch gleich Tim.“ Nur zähneknirschend erklärte sich ihr jüngerer Bruder bereit. Wenigstens war Isa ihre Cousine so für einen Augenblick los und konnte in der Küche nachschauen, was der Kuchen im Ofen tat. Um halb sieben standen Ronja und Klara vor der Tür. „Ist schon jemand da?“, fragte Klara. „Nur meine Cousine“, murmelte Isabelle. „Die spielt gerade mit Tim Mensch-ärgere-dich-nicht.“ Zu dritt machten sie sich es in ihrem Zimmer bequem und begannen, die Schlafstätten aufzubauen. „Ist es dir Recht, wenn Wiebke neben dir schläft, Ronnie?“, erkundigte sich Isabelle, die vorhatte, dass Wiebke in der Nacht neben Ronja liegen sollte. „Wenn sie nicht schnarcht, macht es mir nichts aus“, erwidert diese. „Hallo Mädels!“, schwungvoll rissen Merle und Maxi die Tür auf. Es gab ein großes Hallo, die Freundinnen fielen sich in die Arme und tanzten aufgedreht umher. Klara stachelte eine wilde Kissenschlacht an, bis Isabelles Mutter den Kopf zur Tür hinein steckte und fragte, was los sei. „Jetzt sind wir vollständig!“, ließ sich Merle auf ihre Matratze plumpsen. Noch bevor Wiebke kam, hatten sie alle ihre Pyjamas an, wie es sich für eine Pyjamaparty gehörte. „Fast, es fehlt nur meine liebe nette Cousine“, fügte Isabelle sarkastisch hinzu.

 

„Habt ihr euch schon für einen Film entschieden?“, fragte Ronja. „Ich habe mehrere Filme mitgebracht, ihr könnt abstimmen“, holte Maxi mehrere DVDs aus ihrer Umhängetasche. Während die Mädchen die Filme durchstöberten, platzte Wiebke herein. „Wie wäre es mit Anklopfen?“, empfing Maxi sie in einem barschen Tonfall. „Oh sorry, das habe ich ganz vergessen“, sagte Wiebke kleinlaut. „Setz dich und sei ruhig!“, sagte Isabelle zu ihrer Cousine. Wiebke setzte sich etwas abseits der Mädchenbande hin, da sie auf Isabelles Kuschelcouch keinen Platz mehr fand. Schnell konnten sich die Mädchen einigen, welchen Film sie gucken wollten. „Den Film habe ich aber schon hundertmal gesehen“, gab Wiebke ihren Senf dazu. „Du musst den Film nicht gucken, du kannst auch zu Isabelles Eltern gehen“, fuhr Merle sie ungehalten von der Seite an. „Na gut, ich will nichts gesagt haben“, seufzte Wiebke. „Laberst du uns voll, dann fliegst du auf der Stelle raus!“, drohte Maxi. Isabelle und Ronja holten die Getränke, das Knabberzeug und die Süßigkeiten aus der Küche, während die anderen den DVD-Player vorbereiteten. Verärgert stellte Isabelle fest, dass Wiebke sich den großen Eimer Popkorn gekrallt hatte, der für alle gedacht war. „Friss nicht alles im Alleingang auf, sonst kannst du dir deine Kleider demnächst alle in Übergröße im Internet bestellen“, fauchte Maxi. Getroffen stellte Wiebke alle Süßigkeiten von sich weg. Auf alle Sticheleien wegen ihrer leicht pummligen Figur reagierte sie am empfindlichsten.

 

Nach dem Film sahen sie die Fortsetzung des ersten Teils. „Manno, Vampirfilme sind stinklangweilig“, nörgelte Wiebke. „Wenn es dir nicht passt, dann brauchst du auch nicht hier zu sein. Das ist immer noch Isas Party“, wurde Ronja deutlich, die von Wiebkes Kommentaren langsam auch genug hatte. Schmollend fügte sie sich ihrem Schicksal und schaute sich den Film bis zum Schluss an, obwohl sie zwischendurch immer wieder wegnickte. Nach zwei Filmen hatten die Mädchen keine Lust mehr, einen weiteren Film zu schauen. Stattdessen machten sie leise Musik an. „Na, hat unsere gute alte Wiebke den halben Süßigkeitenvorrat aufgefuttert?“, stichelte Klara los. „Nein, das habe ich nicht“, gab Isabelles Cousine empört zurück. „Egal, ich habe noch mehr in der Küche“, stand Isabelle auf. Noch war es eine Stunde bis Mitternacht, die sie totschlagen mussten.

 

Die Mädchen spielten wie immer wie immer Wahrheit oder Pflicht. Diesmal bekam Wiebke die fiesesten Fragen ab und sollte sich einmal ihr Gesicht mit Schokoladencreme einschmieren, damit sie nach Maxis Meinung wie ein Schwein aussah. „Als ob ich sowas tun würde!“, zeigte Wiebke ihnen einen Vogel. „Alte Spaßverderberin!“, nölte Merle. „Hey, es ist gleich Mitternacht“, deutete Ronja auf Isabelles Wecker. „Oh verdammt, ich habe es fast vergessen“, zog Maxi eine Schachtel Wunderkerzen aus ihrer Tasche und steckte sie in den Kuchen, den Ronja auf die Kommode gestellt hatte. „Hier drinnen werden keine Wunderkerzen abgebrannt“, bestimmte Isabelle. „Dann gehen wir eben auf den Balkon“, schlug Klara vor, die die Balkontür aufriss. In ihren dünnen Nachthemden und Pyjamas bibberten die Mädchen sofort. „Lass es bitte Mitternacht sein“, klapperte Merle mit den Zähnen. Klara und Maxi begannen lautstark den Countdown herunter zu zählen, der in ein noch lauteres Geburtstagsständchen mündete. „Endlich bin ich nicht mehr der einzige Teenie! Willkommen im Team!“, fiel Maxi ihr überschwänglich um den Hals. „Hey, ihr müsst noch den Kuchen anzünden?“, rief Merle. „Du meinst wohl die Wunderkerzen“, giggelte Ronja. Klara holte ein Feuerzeug von drinnen und zündete alle Wunderkerzen auf dem Kuchen an, die silberne Funken in die schwarze Nacht versprühten. Maxi teilte an alle Freundinnen Wunderkerzen aus, selbst Wiebke bekam aus Mitleid eine, die schon auf halber Strecke erlosch. Jubelnd hielten sie die brennenden Wunderkerzen nach oben. „Auf Isa!“, krähte Merle mit ihrer hohen Stimme in die Nacht. „Auf die Lustigen Hufeisen!“, antworteten ihre Freundinnen im Chor und stießen darauf mit Himbeerlimonade an.

 

„Wollen wir wieder reingehen, ich erfriere hier fast“, schlotterte Klara. Drinnen spielten sie weiterhin Wahrheit oder Pflicht, die Geschenke wollte Isa erst am Vormittag zusammen mit den anderen Geschenken auspacken. „Irgendwie bin ich müde“, gähnte Wiebke. „Dann leg dich doch hin“, meinte Isabelle. „Ich will mich auch hinlegen“, meldete sich Ronja zu Wort, deren Augen immer wieder zuklappten. „Na gut, dann legen wir uns alle in die Heia!“, beschloss Maxi. Merle und Klara warfen sich vielsagende Blicke zu, auch Isabelle musste grinsen.

 

Furz! Gerade ließ sich Wiebke auf die Matratze fallen. „Was war das?“, fragte sie irritiert und drehte sich. Wieder furzte es. Die anderen Mädchen konnten sich nicht mehr beherrschen und wieherten los. „Was soll daran witzig sein?“, fauchte Wiebke. „Kann es sein, dass du Verdauungsprobleme hast oder du zu viel Kohl gegessen hast? Ich kenne ein echt gutes Mittel dagegen“, prustete Maxi, die sich die Lachtränen wegwischen musste. Es furzte noch mehrere Mal unter Wiebke. „Langsam wird es aber eklig“, wedelte Isabelle hektisch in der Luft herum. „Warum juckt es auf meinem Kopf?“, begann sich Wiebke am Kopf zu kratzen. „Vielleicht hast du Läuse“, stichelte Maxi. „Das kann aber nicht sein“, schüttelte Isabelles Cousine den Kopf. „Das kommt davon, dass du dir deine fettigen Haare nie wäscht“, wurde Merle noch fieser. „Hier, du kannst mein Shampoo nehmen, das riecht sogar nach Kirsche“, bot Ronja ihr freundlich an. „Nein danke!“, zischte Wiebke ungehalten. „Ich gehe nach unten, dort kann ich wenigstens ungestört schlafen. Bei eurem ständigen Gekicher kriege ich kein Auge zu.“

 

Als Wiebke sich verzogen hatte, tauschten die Hufeisen Highfives aus. „Wir sind sie los! Wir sind sie los!“, freute sich Klara. „Jetzt kann der Kuchen angeschnitten werden.“ Das ließen sich die fünf Freundinnen nicht zweimal sagen. Schnell wurden Teller aus der Küche geholt und der Kuchen in fünf große Stücke zerteilt. „Jetzt beginnt die richtige Party!“, strahlte Isa und machte wieder Musik an. Alle Müdigkeit war aus ihnen gewichen, gut gelaunt fingen Klara und Merle an zu tanzen. Bald machte die ganze Bande mit. „Nicht, dass Wiebke uns unten noch hört oder noch schlimmer, wenn deine Mutter gleich reinplatzt“, kicherte Maxi.

12. Kapitel

 

„Erst den Parcours aufbauen und dann zehn Runden Warmlaufen!“, ordnete ihr Sportlehrer Herr Kessler an, der seine wahre Freude daran hatte, seine Schüler wie wild durch die Halle zu scheuchen. Am liebsten hätte Isabelle ihre Reitgerte aus dem Stall mitgebracht, und ihn eigenhändig dazu getrieben, die Runden mitzulaufen. „Dieser alte Pascha!“, flüsterte Maxi Isabelle ins Ohr. Zum Glück hörte es der Sportlehrer nicht, da er bereits neue Anweisungen gab, wie der Parcour für das Zirkeltraining aufzubauen war. Die ersten Schüler liefen bereits zur Mattenkammer und schleppten Turnmatten, Kästen, Bälle und Seile herbei. Ganz vorne dabei war Wiebke. „Wenn sie in Sport sonst nichts kann, dann kann sie sich wenigstens einschleimen“, lästerte Klara. Isabelle hatte jetzt schon keine Lust mehr auf die Sportstunde. Zusammen mit Maxi und Merle setzte sie sich auf die Bank. Isa wünschte sich sehnlichst, dass demnächst Reiten als Schulfach angeboten würde, anstatt dieses öden Schulsports. „Hey, hier wird nicht gefaulenzt!“, sah Herr Kessler die drei Mädchen streng an. „Dann sorgen Sie wenigstens dafür, dass Sie ihren Unterricht interessanter gestalten“, grummelte Merle, die selten ein Blatt vor den Mund nahm. „Wenn das so ist, kannst du demnächst meine Stunden vorbereiten“, wandte sich der Lehrer pikiert an sie. „Du wirst sehen, dass das Zeit kostet und du dich nicht mehr Nachmittage lang mit deinen Freundinnen amüsieren kannst.“ Herr Kessler drehte sich um und kontrollierte, ob seine Schüler den Parcours nach seinen Anweisungen aufbauten. Stöhnend rappelten sich Merle, Maxi und Isabelle auf. „Hey, ihr könnt noch die Springseile schleppen“, rief ihnen Klara zu. „Aye Aye, Käpt’n!“, erwiderte Maxi ironisch.

 

„Steht unser gemeinsamer Shoppingtrip nach der Schule noch?“, fragte Isa Maxi während sie nebeneinander her trabten. „Sorry, ich gehe nachher schon mit Patrick ins Kino“, sah ihre beste Freundin sie entschuldigend an. „Seit wann steht das fest?“, erwiderte Isabelle und klang etwas fassungslos. „Erst seit gestern Abend, als ich mit ihm telefoniert habe“, meinte Maxi. „Aber unsere Verabredung stand schon seit letzter Woche“, protestierte sie. „Patty und ich haben uns einen Liebesfilm ausgesucht. Wenn du magst, kannst du gerne mitkommen“, bot ihre Freundin ihr an. „Nein danke!“, fauchte Isa. „Hey, was ist denn los? Warum bist du auf einmal so gereizt?“, Maxis dunkelbraune Augen wurden noch einen Ticken schwärzer, das war ein deutliches Anzeichen, dass sie verletzt war. „Offenbar ist dein Freund dir wichtiger als unsere Freundschaft“, funkelte Isabelle sie böse an und lief schneller, sodass sie sich ein Stück von Maxi absetzte. Dass ihre beste Freundin eine feste Verabredung wegen ihres Freundes ausfallen ließ, saß wie ein schmerzhafter Dorn in ihrem Herzen. Auf keinen Fall hätte sie mit Maxi und Patrick ins Kino gewollt, um Zeuge zu werden, wie sie sich ununterbrochen knutschten. Da sie selbst keinen Freund hatte, hätte sie wie das fünfte Rad am Wagen ausgesehen. Die Wut veranlasste Isabelle dazu einen Sprint hinzu legen, sodass sie Klara eingeholt hatte, die an der Spitze lief.

 

„Wollen wir gleich zusammen trainieren?“, fragte sie ihre Freundin. „Klar, warum nicht?“, nickte Klara und stellte sonst keine weiteren Fragen. Das war das Angenehme an ihr, dass sie keine lästigen Fragen stellte. Merle und Ronja hätten schon längst von ihr wissen wollen, wieso sie nicht mit Maxi zusammen trainieren wollte, und was denn überhaupt los gewesen war. „Bitte Zweierteams bilden!“, blies Herr Kessler in seine alberne Trillerpfeife. „Wir sind schon zu zweit“, hakte Klara Isabelle bei sich unter. Hinter ihnen hatten sich Merle und Maxi ebenfalls zu einem Duo zusammen gefunden. Nur Ronja stand unschlüssig da. Schnell fragte sie Lilly, Manon und Paula. Doch sie hatten alle schon eine Partnerin. Nur Wiebke war noch frei. So blieb Ronja nichts anderes übrig, als mit ihr ein Team zu bilden. „Verteilt euch auf die Stationen!“, ordnete ihr Sportlehrer an. „Wollen wir mit Bockspringen anfangen?“, raunte Klara. „Gerne!“, nickte Isa.

 

An jeder Station sollte fünf Minuten gearbeitet werden. Bei jedem Pfiff ging es eine Station weiter. Zufällig bekam Isabelle mit, wie Magdalena und Jenny sich über Ronja und Wiebke lustig machten. „Die beiden Unsportlichsten in einem Team!“, spottete Magdalena. „Das sieht einfach nur zu lustig aus“, lachte ihre Freundin Jenny. „Am besten müssen wir ein Beweisvideo machen, wie sie daran scheitern, an einem läppischen Tau hoch zu klettern“, riss Magdalena wieder ihr Lästermaul weit auf. „Wie die Mehlsäcke! Keine kommt nur einen Millimeter höher“, kommentierte Doreen, die die Anführerin der Comtessen war, und mit Sarah eine Station hinter ihnen lag. Isabelle erkannte, dass Ronja die Tränen in den Augen standen. Garantiert würde sie bald weinen, wenn sie nichts dagegen unternahm. „Entweder haltet ihr eure dämlichen Klappen oder es fliegen euch gleich die Bälle um die Ohren“, ging sie ungehalten dazwischen und dribbelte mit ihrem Basketball bedrohlich vor Jennys Füßen hin und her, sodass sie freiwillig ein Stück zurückwich. „Oh oh, die Chefin der kindischen Hufeisen hat gesprochen!“, frotzelte Magdalena, worauf ihren Freundinnen einen Kicheranfall bekamen. Isabelle sah aus, als würde sie im nächsten Moment platzen. Klara kam ihrer Freundin zur Hilfe und feuerte einen Basketball in die Richtung der Zicken. Da sie nicht die Treffsicherste war, hätte sie um ein Haar Wiebke die Brille von der Nase geschossen. „Pass doch auf, wo du hinwirfst!“, beschwerte sich diese. „Wenn ihr noch weiterhin so gemein seid, dann werde ich Herrn Kessler davon in Kenntnis setzen“, knöpfte sich Isabelle Doreen vor.

 

„Wieso hast du nicht mit Maxi zusammen trainiert?“, wurde sie von Wiebke in der Umkleidekabine empfangen. „Ihr macht doch sonst alles gemeinsam.“ – „Geht dich nichts an!“, knurrte Isabelle und ließ ihre Cousine stehen. Schlecht gelaunt schälte sie sich aus ihren nass geschwitzten Sportsachen. „Euer kleiner Streit wird sich bald schon einrenken“, meinte Ronja, die neben ihr ihre widerspenstigen Locken bürstete. Isa zuckte nur gleichgültig mit den Achseln. „Oh man, gleich haben wir wieder Englisch“, stöhnte Merle. „Ich habe mal wieder meine Hausaufgaben vergessen und das wird Frau Walkenhorst gar nicht lustig finden. Bei dem dritten Mal werden nämlich die Eltern informiert.“ – „Und was passiert, wenn deine Eltern davon erfahren?“, mischte sich Klara ein. „Wenn es ganz schlimm kommt, dann darf ich für ein paar Tage nicht zum Stall“, klang Merle niedergeschlagen. „Das hatte ich auch schon“, seufzte Isabelle und musste sich unfreiwillig an den Hühnerstreich vor drei Monaten erinnern.

 

Als sie sich ihre Schuhe anzog, sah sie, wie Maxi mit Neele die Umkleidekabine verließ. Zu allem Überfluss unterhielten sie sich über kommenden Trends der Wintermode. „Blöde Kuh!“, dachte Isabelle und warf ihr einen vernichtenden Blick hinterher. „Jetzt geht Maxi sogar ohne dich, Isa“, bemerkte Wiebke auch noch. „Musst du überall noch einen unpassenden Kommentar ablassen?“, kam Klara Isabelle zuvor, bevor sie sich eine passende Antwort zurrecht legen konnte. „Wiebke, sei doch ein bisschen einfühlsamer“, wandte sich Ronja genervt an sie. „Du siehst doch, dass Isabelle das gerade nicht hören will.“ –„Kommt Mädels, wir müssen uns beeilen, nicht das wir zu spät kommen“, drängte Klara. „Jaja“, murmelte Merle, die sichtlich keinen Bock auf die Englischstunde hatte. Zu viert untergehakt schlenderten Isa, Merle, Klara und Ronja über den Schulhof. „Es ist immer noch ein Rätsel, dass Maxi einfach ohne uns gegangen ist“, sah Klara ihre Freundinnen an. „Weil sie sauer auf mich ist. Ich war vorhin auch nicht gerade freundlich zu ihr, als wir diese kleine Auseinandersetzung hatten“, sagte Isa schuldbewusst und beschloss, ihren Freundinnen von dem Grund des Streits zu erzählen. „Spätestens morgen habt ihr euch wieder vertragen“, sprach ihr Merle Mut zu. Auch für den Rest des Tages hielt sich Maxi von den Lustigen Hufeisen fern und ganz besonders von Isabelle. Die große Pause verbrachte sie mit Patrick und seinen Kumpels am Tischkicker.

 

Am nächsten Tag verabredete sich Isabelle mit Ronja zum Reiten. Gerade als sie die Stallgasse betraten, entdeckten sie Maxi, die Fabella striegelte. „Hallo“, grüßte ihre Freundin, als sie die beiden Mädchen entdeckte. Mehr sagte Maxi nicht, noch immer war sie vom gestrigen Streit zu sehr eingeschnappt. „Was haltet ihr davon, wenn wir zum Weiher reiten?“, schlug Ronja vor und sprach so laut, sodass Maxi es auch mitbekam. „Keine schlechte Idee“, stimmte Maxi zu Isas Überraschung zu. Während die drei Freundinnen ihre Pferde putzten und ausrittfertig machten, wurde kaum gesprochen. „Übrigens kann ich morgen nicht zu eurer Übernachtungsparty kommen“, sagte Maxi unmittelbar. „Was soll das heißen?“, erwiderte Isabelle im scharfen Ton. „Ich fahre Samstag mit Patrick in den Freizeitpark und dafür müssen wir schon ganz früh los“, meinte ihre Freundin. „Kannst du nicht wenigstens morgen Nachmittag kommen?“, hakte Ronja nach. „Tut mir leid, aber ich übernachte bei Patrick“, verneinte Maxi. Isabelle fühlte, wie sich eine heiße Wut über ihren ganzen Körper ausbreitete. „Wenn wir dir egal sind, kannst du es ruhig sagen“, bebte ihre Stimme. „Ihr seid mir nicht egal“, hielt Maxi dagegen. „Ihr müsst nur Verständnis dafür haben, dass ich Zeit mit meinem Freund verbringen möchte. Patrick und ihr, ihr seid mir beide gleich wichtig.“ – „Offenbar klebst du deinem unmöglichen Lover noch mehr an den Fersen als eh und je“, fauchte Isabelle.

 

„Das stimmt doch gar nicht!“, fauchte Maxi zurück. „Du kannst du das nur nicht nachvollziehen, weil du noch nie einen Freund hattest!“ Damit hatte sie Isas wunden Punkt getroffen. „Jetzt sei doch nicht so gemein zu Isa“, mischte sich Ronja ein. „Wer soll hier gemein zu wem sein?“, wurde Maxi laut. „Höchstens ihr, da ihr mir nicht gönnt, dass ich einen Freund habe, und euch zu zweit gegen mich stellt. Wenn ihr wollt, dann trete ich freiwillig aus dieser blöden Bande aus.“ – „Dann tu das doch! Wenn du nur noch mit diesem blöden Lackaffen herumturtelst, dann wollen wir nichts mehr mit dir zu tun haben!“, schrie Isabelle sie an. Fabella machte vor Schreck einen Satz, sodass sie Maxi fast auf den Fuß gesprungen wäre. „Du spinnst wohl!“, zischte Maxi, die vor Zorn glühte. „Erschrickst du mein Pferd noch einmal so, dann melde ich dich bei Ellen.“ – „Petz ruhig, wenn du petzen möchtest“, gab Isa verächtlich zurück. „Zwischen dir und Wiebke besteht doch eine gewisse Familienähnlichkeit. Ihr habt beide das Talent, euch zum Dorftrottel zu machen und einen schlechten Geschmack habt ihr beide obendrein auch noch“, stichelte Maxi. Isabelle hatte sie am liebsten geohrfeigt. In diesem Moment war ihr Wiebke hundertmal lieber, als diese Zicke, die sie über ein Jahr als beste Freundin betrachtete. „Maxine, langsam reicht es!“, wies Ronja sie zurrecht. Maxi wurde nur bei ihrem vollen Namen genannt, wenn ihre Freundinnen richtig böse auf sie waren. „Tschüss, ich reite jetzt alleine aus. Ihr könnt mir gestohlen bleiben“, blaffte Maxi in ihre Richtung.

 

Wortlos sahen Isa und Ronja ihr hinterher. Pfeifend kam Marlon mit einer Schubkarre um die Ecke. Zum Glück hatte sie Ronja dabei und nicht Merle, die mit großer Wahrscheinlichkeit mit ihm ein Gespräch über bevorstehende Turniere angefangen hätte. Die beiden Freundinnen nickten Marlon kurz zu, der ebenfalls mit einem Nicken antwortete. „Maxi kriegt sich bestimmt bald wieder ein“, tröstend legte Ronja ihr die Hand auf den Arm. Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit hatte ihre Freundin Recht. Maxi war die Diva der Bande, die schnell beleidigt war, und sich zum Schmollen in der Ecke verkroch. Hatte sie sich wieder beruhigt, ließ sie sich den Streit nicht mehr anmerken, und war ganz die Alte. Einen Moment später führten Isabelle und Ronja ihre Pferde auf den Hof und saßen auf. Ein scharfer kalter Wind fegte über die Feldmark. Isa war froh, dass sie einen dicken Wollschal trug. „Maxi hat nicht auf uns gewartet“, stellte Ronja trocken fest. Von ihrer Freundin fehlte jegliche Spur. Stattdessen entdeckten sie Wiebkes auffällige gelbe Jacke in der Nähe der Weidezäune. Isabelles Cousine war auf ihrem rostigen Kinderfahrrad unterwegs. „Muss Wiebke sich überall herumtreiben, wo wir sind?“, schimpfte Isa los, die im Moment richtig miese Laune hatte. „Hm, ich glaube, sie fährt in eine andere Richtung“, murmelte Ronja. „Hoffe ich wohl, ich habe gerade keine Lust ihr zu begegnen“, schnaubte Isabelle. Der Gedanke, dass sie es sich mit ihrer besten Freundin verdorben hatte, ging ihr ziemlich an die Nieren. Wenigstens hatte sie noch Ronja, Klara und natürlich auch Merle.

 

Maxi wartete nicht lange, dann trieb sie Fabella in einen rasanten Trab, aus dem die Stute bald selbstständig einen Galopp entwickelte. Auch gut, dachte Maxi sich, als ich der Wind die Tränen in die Augen trieb. Wie konnten die anderen Mädchen so gemein zu ihr sein? Natürlich waren die Hufeisen ihr wichtig. Aber Patrick war ihr fester Freund und auch mit ihm wollte sie Zeit verbringen. Und dann waren da noch Fabella, die Schule, das Shoppen… Sie konnte sich doch schlecht zerteilen! Manchmal fühlte sie sich in der Bande ein bisschen unterdrückt. Ja, es war nicht fair gewesen, Isabelle so kurzfristig abzusagen, aber das konnte ja mal vorkommen. Sie tat ja gerade so, als wäre sie eine kleine Miss Perfect. Fabella stellte die Ohren auf und beobachtete die rauschenden Bäume, als sie einen Waldweg einschlugen. Noch immer ließ Maxi sie laufen und achtete kaum auf etwas anderes, als ihre eigenen Gedanken.

 

Im Wald war es dunkler, doch Fabella mochte ihn mehr, als die offenen Felder, wo ihr der Wind um die Ohren blies. Der Waldweg wirkte begrenzend auf die sensible Stute, er gab ihr Sicherheit. Doch für Maxi waren die Sandwege nicht immer ideal. Manchmal konnte sie nicht weit sehen und gerade im Galopp musste sie sehr vorausschauend reiten. Dafür hatte sie an diesem Tag keine Gedanken frei. Natürlich kannte sie alle Regeln für einen sicheren Ausritt. Heute wollte sie nur noch weg, allein sein mit ihrer goldenen Stute, die manchmal die Einzige war, der sie sich anvertrauen konnte. Die anderen verstanden sie ja doch nicht immer. Aber ihr Araber war ihr treuer Seelenverwandter, da war sie sich ganz sicher. „Ach, Fabella, wenn ich dich nicht hätte“, schluchzte Maxi.

 

Vor lauter Schmerz und Aufregung hörte Maxi das Geräusch herannahender Motocross Biker nicht. Diese rauschten ebenso wie sie durch den Wald-nur, dass sie sich nicht an Wege gebunden fühlten. Querfeldein jagten sie durch das Unterholz, bis sie den Sandweg erreichten, und ihn ohne zu Zögern rasant überquerten.

 

Fabella schreckte so schnell zur Seite, als die Motocross Biker vor ihr über den Weg schossen, dass Maxi keine Chance hatte, sich auf ihrem Rücken zu halten. Aus vollem Galopp wurde sie aus dem Sattel geschleudert und landete unsanft auf der Seite. Ihr Kopf knallte gegen etwas, sie hörte das Knacken und wusste nicht, ob es ihr Helm oder ihr Nacken gewesen war. Doch mit letzter Kraft hielt sie Fabellas Zügel krampfhaft in der linken Hand. Egal, was passierte, sie würde ihre Stute niemals loslassen.

13. Kapitel

 

Ähnlich wie Maxi hatte auch Wiebke in letzter Zeit die Nase voll von Isa. Die wusste ja gar nicht, wie gut sie es hatte. Ein eigenes Pferd, ihre heile Familie und dann noch eine so starke Bande! Und trotzdem gönnte sie Wiebke gar nichts. Das war doch nicht fair! Okay, in der Bande schien es momentan Ärger zu geben. Aber das interessierte Wiebke nun auch nicht sonderlich, schließlich waren die Mädchen mehr als gemein zu ihr gewesen. Nach Hause wollte Wiebke aber auch noch nicht. Manchmal wusste sie gar nicht genau, wohin sie überhaupt gehen sollte. Dann war sie in den Stall gegangen, und hatte gesehen, ob sie sich nützlich machen konnte. Aber nicht einmal dort hatten Isa und ihre Freundinnen sie in Ruhe gelassen oder gar bei sich aufgenommen. Immer sagte man ihr, sie sei im Weg.

 

Mit ihrem alten Kinderrad war es nicht weit her. Sie musste sich ziemlich abstrampeln, um vorwärts zu kommen. Vielleicht war es auch nicht die beste Idee gewesen, in den Wald zu radeln. Auf den sandigen Wegen kam sie kaum von der Stelle. Doch bestimmt gäbe es irgendwo eine ruhige Ecke, in der sie sich ausruhen könnte. Außerdem waren Ronja und Isa in die Felder geritten. Da wollte sie den beiden nicht schon wieder begegnen. Schnaufend und immer wieder keuchend strampelte Wiebke den Weg entlang. Wenn sie doch bloß ein eigenes Pferd hätte, so wie die anderen Mädchen. Aber das konnte sie wohl vergessen. Vor allem jetzt, wo ihre Eltern getrennt waren. Nicht einmal eine Reitbeteiligung hatte sich bisher ergeben. Und billig waren die auch nicht gerade.

 

Wiebke staunte nicht schlecht, als da plötzlich ein Pferd vor ihr stand. Mitten im Wald. Einen wahnwitzigen Moment lang glaubte sie, das könnte ein freies Pferd sein. Vielleicht herrenlos, vielleicht am Ende ihr eigenes Traumpferd. Doch dann fing sie sich wieder, sah genauer hin, und erkannte das Tier. Das war doch…

 

„Fabella!“, entfuhr es Wiebke und sie hätte sich im nächsten Moment ohrfeigen können. Da erkannte sie die Stute und brüllte trotzdem wie bescheuert los. Langsam stieg sie vom Fahrrad ab und legte es sachte auf den Weg, damit es nicht erst umfallen konnte. Dann näherte sie sich dem Shagya-Araber. „Gaaanz ruuhig“, murmelte sie und war erstaunt, wie sanft ihre Stimme klingen konnte. Fabella sah neugierig in ihre Richtung. Und dann entdeckte Wiebke auch Maxi, die am Boden lag. „Hilf mir“, stammelte Maxi, als Wiebke ihr Fabellas Zügel aus der Hand nahm. „Ich rufe sofort einen Notarzt“, beschloss Isas Cousine, griff nach ihrem alten Handy und wählte. Zum Glück hatten sie sich nicht allzu weit entfernt vom Ort, so dass der Empfang recht gut war.

 

„Hilfe ist unterwegs“, erklärte Wiebke Maxi und sah besorgt auf das Mädchen am Boden. „Du musst Fabella in den Stall bringen“, murmelte Maxi. „Mache ich, keine Sorge“, versprach Wiebke. „Und du musst ganz ruhig liegen bleiben und tief atmen.“ – „Du verstehst nicht, sie könnte sich vor dem Rettungswagen erschrecken“, hauchte Maxi. „Aber ich kann dich doch nicht allein hier lassen“, protestierte Wiebke energisch. „Dann geh nur ein Stück und fang sie ab, damit sie Fabella nicht zu nahe kommen“, stöhnte Maxi mit letzter Kraft. Dann schloss sie die Augen. Wiebke überlegte nicht lange, sondern machte sich auf den Weg. Fabella würde schon bei Maxi bleiben, solange sie nicht von einem Krankenwagen aufgescheucht würde.

 

Es kam Wiebke wie eine Ewigkeit vor, bis der Rettungswagen endlich auf dem Waldweg erschien. Sie hatte ihn vor einer Biegung abgefangen und sprang aufgeregt mit den Händen winkend in die Luft. „Machen Sie das aus! Das Pferd gerät in Panik!“, rief sie den Sanitätern zu, die verwundert aussahen. „Es ist nicht weit, aber sie müssen das Auto hier lassen, sonst…“, Wiebke berichtete so schnell sie konnte von der Situation, die sie vorgefunden hatte. „Ich gehe und hole Fabella, dann kommen Sie langsam zu Fuß nach und helfen Maxi!“, bestimmte sie energisch und legte los. Die beiden Rettungssanitäter widersprachen ihr nicht.

 

„Maxi, du bekommst Hilfe. Und ich passe auf Fabella auf“, versprach Wiebke dem bewusstlosen Mädchen, als sie Fabella am Zügel nahm und in eine andere Richtung ging. Sie würde das Pferd in einem kleinen Bogen zum Stall führen, damit sie dem Krankenwagen nicht begegnen mussten. Fabella jedoch war zunächst gar nicht damit einverstanden, von Maxi getrennt zu werden. „Komm schon, alles wird wieder gut, aber du musst mit mir kommen“, murmelte Wiebke und redete immer weiter beruhigend auf Fabella ein. Einer Fremden zu folgen, war für den Araber alles andere als angenehm. Maxi war ihre einzige Bezugsperson, doch dieses Mädchen strahlte eine warme Ruhe aus. Langsam ließ sie sich überzeugen und folgte Wiebke, während Maxi ärztlich versorgt wurde. Wiebke schaffte es sogar noch, ihr Fahrrad auf der anderen Seite neben sich zu schieben. Sie musste nur aufpassen, dass es nicht zu sehr klapperte.

 

„Was machst du da mit Fabella!“, raunte eine scharfe Stimme Wiebke von hinten an. Das Mädchen zuckte ebenso zusammen, wie das goldene Pferd. Wiebke drehte sich um und entdeckte Isa und Ronja hinter sich. „Ich helfe nur Maxi“, verteidigte sie sich. „So ein Unsinn! Maxi würde niemanden in die Nähe ihrer geliebten Fabella lassen. Und dich schon gar nicht! Sie mag dich nicht!“, teilte Isa aus. „Du lässt mich ja auch nicht an dein Pferd, richtig? Magst du mich auch nicht?“, feuerte Wiebke zurück und Fabella blieb ruhig bei ihr. „Was ist denn passiert?“, mischte Ronja sich ein, bevor Isa antworten konnte, deren Blicke allerdings Bände sprachen. „Maxi hatte einen Unfall. Ich weiß noch nicht, was passiert ist, aber sie lag reglos am Boden und Fabella stand neben ihr. Sie hat mich gebeten, sie in den Stall zu bringen“, berichtete Wiebke. „Und Fabella geht einfach so brav mit dir mit?“, hakte Isa kritisch nach und beäugte auch das Fahrrad bei Wiebke. „Offensichtlich“, konterte Wiebke und fühlte sich durch den Erfolg stärker. „Das ist doch gut“, bemerkte Ronja und kassierte einen biestigen Blick von Isa, die gar nicht begeistert war.

 

Gemeinsam aber wortlos erreichten die drei Mädchen den Stall. Wiebke brachte Fabella in ihre Box und sattelte sie ab. Sie nahm ihr Gamaschen und Trense ab und fand in Maxis Putzkiste eine Tüte Leckerlies, aus der sie das Pferd fütterte. Dann eilte sie zu Ellen, um ihr alles zu berichten. „Ich werde Maxis Eltern informieren“, beschloss ihre Reitlehrerin und schickte die Mädchen dann nach Hause.

 

Kaum waren sie dort angekommen, stürmten Isa und Wiebke ins Haus. „Wir müssen sofort ins Krankenhaus“, rief Isabelle ihrer Mutter schon im Flur zu. Aufgeregt kam ihre Mutter aus der Küche. „Seid ihr okay?“, wollte sie von den beiden Mädchen wissen. „Wir schon, aber Maxi ist vom Pferd gefallen“, verkündete Isa und rannte in ihr Zimmer, um sich schnell umzuziehen. „Na gut, dann fahren wir gleich los“, stimmte ihre Mutter zu, ohne dass sie gefragt worden wäre. „Ich würde auch gern mitkommen, wenn das okay ist“, sagte Wiebke schüchterner. „Natürlich“, antwortete Isabelles Mutter, ohne Isa zu fragen.

 

Als sie wenig später auf der Rückbank ihres Autos saßen, zischte Isabelle ihrer Cousine zu: „Ich weiß nicht, ob Maxi dich sehen will.“ – „Ach, und wieso sollte sie so scharf darauf sein, nach eurem Streit ausgerechnet dich zu sehen?“, feuerte Wiebke zurück. „Das geht dich gar nichts an“, behauptete Isabelle. „Reißt euch zusammen, Mädels!“, forderte ihre Mutter die beiden Streithähne auf. „Maxi wird bestimmt Ruhe brauchen und kein Gezanke. Und wen sie sehen möchte, wird sie euch schon sagen, wenn wir da sind.“ Auf dem Weg zum Krankenhaus überholten sie Ronja, die gemeinsam mit Merle und Klara ebenfalls auf dem Weg dorthin war. Allerdings radelten sie wie die Weltmeister.

 

„Ihr ward aber schnell“, sagte Isa anerkennend zu den Mädchen, als sie sich am Krankenhauseingang trafen. Die Drei konnten nur außer Atem nicken. Isabelles Mutter ließ sich am Empfang erklären, wohin sie gehen mussten. „Na los“, spornte sie die Mädchen an und führte sie durch die langen Gänge und hohe Treppenhäuser. Vor einer Tür, die aussah, wie alle anderen, blieb sie stehen. Gerade, als sie klopfen wollte, wurde diese von innen geöffnet. Heraus kam Maxis Mutter. Tröstend nahm Isabelles Mutter die Frau in den Arm. „Wie geht es Maxi?“, wollte Klara besorgt wissen. „Sie hat sich den Arm gebrochen und eine Gehirnerschütterung zugezogen. Außerdem hat sie einige schlimme Prellungen erlitten“, erklärte Maxis Mutter den Tränen nahe. „Das wird bestimmt bald wieder“, tröstete Isabelles Mutter sie. „Dürfen wir zu ihr?“, fragte Ronja und Maxis Mutter fragte zögerlich: „Wer von euch ist Wiebke?“ Schüchtern hob Wiebke die Hand. „Maxi fragt die ganze Zeit nach dir. Sie möchte dich unbedingt sehen.“ Verwundert betrat Wiebke das Krankenzimmer und fand Maxi in einem großen Bett vor.

 

„Wie geht es Fabella?“, fragte Maxi sofort aufgeregt. Durch den Türspalt lugten ihre anderen Freundinnen hinein. „Ich habe sie in den Stall gebracht und versorgt. Es geht ihr gut“, berichtete Wiebke. „Und wie geht es dir?“ – „Ich habe Kopfschmerzen, alles andere geht schon. Ich bekomme gute Schmerzmittel“, antwortete Maxi grinsend. Dann winkte sie den anderen Mädchen zu, dass sie herein kommen sollten. Aufgeregt umringten sie Maxi und wünschten ihr eine gute Besserung. „Fabella geht es gut“, bestätigte Ronja ihr noch einmal und Maxi sagte: „Ja, dank Wiebke. Sie hat mich gefunden und sofort gehandelt.“ – „Ist doch klar“, meinte Wiebke, der das ganze Lob die Röte ins Gesicht schießen ließ. „Und Fabella ging ganz brav mit ihr“, berichtete Ronja davon, wie sie sich getroffen hatten. „Es tut mir leid, dass ich so gemein zu dir war, Wiebke“, räumte Maxi ein. „Das war nicht sehr sportlich von mir. Und danke, dass du mir und Fabella trotzdem geholfen hast.“ Wiebke konnte nur nicken. Auch die anderen Mädchen fielen ihr dankbar um den Hals. Nur Isabelle hielt Abstand. „Deine Cousine war großartig, sie ist so ruhig geblieben“, sagte Maxi zu ihr. „Du kannst stolz auf sie sein.“ – „Bist du noch böse auf mich?“, fragte Isa Maxi stattdessen. „Ach, Quatsch! Solange du mir nachsiehst, dass ich auch Zeit mit meinem Freund verbringen möchte“, verneinte Maxi. Isa nickte und sagte dann langsam zu Wiebke: „Danke für deine Hilfe. Aber das macht dich noch lange nicht zu einer von uns.“ – „Abwarten“, entgegnete Maxi grinsend und zwinkerte Wiebke zu.

 

Nach dem Essen begann Isa doch, an sich zu zweifeln, ob sie sich gegenüber Wiebke richtig verhalten hatte. Wieso war sie vorhin nur so bissig zu ihr gewesen? Ihre Cousine hatte ihre beste Freundin aus einer sehr verzwickten Situation gerettet. Ohne Wiebkes Hilfe wäre Fabella garantiert davon gelaufen und Maxi hätte stundenlang auf dem kalten Waldboden gelegen, dabei wäre sie fürchterlich ausgekühlt. Auf einmal empfand Isabelle zum ersten Mal so etwas wie Bewunderung für ihre Cousine. Ob Isabelle Maxi geholfen hätte, wenn sie an der Stelle ihrer Cousine gewesen wäre? Da war sie sich selbst nicht sicher. Maxi hatte Wiebke sehr gemein behandelt und ihr auf dem Reiterhof sowie in der Schule das Leben zur Hölle gemacht. Gemeinsam mit Merle hatte sie sich täglich Neues überlegt, wie sie Wiebke am heftigsten bloßstellen konnte. Nun nahmen die Ereignisse eine ganz andere Wendung. Aus Isabelles nerviger und kindlicher Cousine war eine verantwortungsbewusste Heldin geworden. Einen Moment dachte Isa daran, Wiebke in ihre Bande aufzunehmen, doch sie wollte sich in dem Moment nicht überstürzen. Schließlich wollte sie nicht über den Kopf ihrer Freundinnen entscheiden, obwohl Maxi bestimmt nichts dagegen gehabt hätte.

 

Isabelle verspürte den Drang, nach unten in die Wohnung von Wiebke und Hilda zu gehen. „Guten Abend, Isa, du willst doch bestimmt zu Wiebke?“, wurde sie von ihrer Tante überschwänglich begrüßt. „Genau“, nickte sie. Wiebke saß in ihrem Zimmer und widmete sich ihrem Rechner. „Bist du gekommen, um mich etwas wegen der Schule zu fragen?“, sah ihre Cousine kurz auf. „Nein, ich wollte einfach so mit dir reden“, begann Isa verlegen. „Okay“, lächelte Wiebke und pausierte das Spiel. Die beiden Cousinen setzten sich im Schneidersitz auf den Teppich. „Bist du mir noch böse?“, fragte Isa. „In letzter Zeit waren wir wirklich nicht nett zu dir und haben dich deutlich spüren lassen, dass du nicht dazu gehörst.“ – „Ach, Schwamm drüber, Fehler macht nun mal jeder Mensch“, versuchte Wiebke gelassen zu klingen. „Ich bin wirklich tief von dir beeindruckt, wie du gehandelt hast“, sagte Isabelle und fügte hinzu: „Dass ich vorhin so zickig war, lag daran, dass ich ein bisschen neidisch war. Als du ganz neu hier warst, hatte ich Angst, dass du mir meine Freundinnen wegnehmen könntest, weil du so kontaktfreudig bist“ – „Ach was, sowas tue ich nicht“, schüttelte ihre Cousine den Kopf und musste kurz lachen. Isabelle nickte nur schweigend. „Darf ich doch eurer Bande beitreten?“, fragte Wiebke nach einer Weile. „Nur nicht überstürzen“, wehrte Isabelle halbherzig ab. „Es muss noch mit allen Bandenmitgliedern besprochen werden und zudem müssen wir noch die Aufnahmezeremonie vorbereiten, alles das braucht Zeit.“ – „Ich hoffe, dass niemand dagegen ist, dass ich zu euch gehöre“, gab Wiebke zu bedenken. „Ich denke mal nicht“, legte ihre Isa die Hand auf den Oberarm.

 

„Wollen wir Wiebke sofort in die Bande aufnehmen?“, zog Merle die Stirn kraus, als Isa das Thema bei Merles Übernachtungsparty ansprach, als die Mädchen auf ihren Luftmatratzen hockten. „Ich hätte nichts einzuwenden“, meldete sich Ronja zu Wort. „Ich auch nicht“, meinte Klara. „Ich finde ihr Verhalten sehr kameradschaftlich.“ – „Ich habe nur Zweifel, dass sie uns auf die Nerven gehen wird“, äußerte Merle ihre Meinung. „So schlimm ist sie gar nicht, inzwischen nimmt sie sich viel mehr zurück als noch am Anfang“, fand Ronja. „Ich bin auch dafür, dass sie das sechste lustige Hufeisen wird“, sagte Klara. „Die Aufnahme wird nicht von heute auf morgen stattfinden“, übernahm Isabelle das Wort. „Wir müssen uns es wirklich durch den Kopf gehen lassen. Gute Dinge wollen gut geplant sein.“ – „Wisst ihr, ich bin dafür, dass wir Wiebke für ein oder zwei Wochen austesten“, warf Merle ein, die jetzt gerade ein wenig überzeugter zu sein schien. „Wie meinst du das?“, sah Ronja sie fragend an. „Ich meine, wir können sie in der Schule mit ihr reden und sie in den Pausen zu uns holen.“ – „Ah ja, das klingt gut“, pflichtete Isa ihr bei. Bereits in der Schule hatten die vier Mädchen Wiebke das Gefühl vermittelt, dass sie dazu gehörte. Wiebke hatte sich auf Maxis freien Platz gesetzt. Neben ihre Cousine fühlte sie sich deutlich wohler, als neben den Comtessen, die zwischendurch nur über Mode, Schminke und Jungs tratschten. Selbst in den Pausen zog sie mit den Bandenmädchen durch die Flure und durfte in der Cafeteria an ihrem Tisch sitzen.

14. Kapitel

 

Ronja saß nach dem Abendbrot an ihrem Schreibtisch. Summend schnitt sie ein Foto von Wiebke zurrecht, dass sie in das Hufeisen kleben wollte, das Merle bei Ellen beschaffen konnte. In zwei Tage wäre es so weit, dann wäre Isabelles Cousine das sechste Lustige Hufeisen. Inzwischen war Maxis Unfall knapp zwei Wochen her. Nun war auch Merle endlich davon überzeugt, dass Wiebke in ihre Bande aufgenommen werden würde. Der Hauptgrund, weshalb Wiebke erst in zwei Tagen eingeweiht werden sollte war, dass Maxi unbedingt dabei sein wollte. Gerade erst war sie aus dem Krankenhaus entlassen worden. Wiebke war etwas geknickt, dass sie den Platz neben Isa wieder räumen musste. Nicht nur die Mitschüler freuten sich, dass Maxi wieder da war, auch Frau Walkenhorst strahlte, als sie Maxi zwischen Merle und Isabelle entdeckte. Sogar ihr griesgrämiger Mathelehrer Herr Older erkundigte sich, wie es ihr ging. Fast die ganze Klasse unterschrieb auf Maxis Gips. Aufgrund ihres gebrochenen Armes durfte sie wochenlang nicht reiten und konnte sich kaum um ihre Stute kümmern, dies übernahmen in letzter Zeit Isabelle und Wiebke gemeinsam. Seitdem wirkte Fabella nicht mehr so scheu wie früher, und lernte, auch anderen Personen zu vertrauen.

 

Wiebkes Aufnahme grenzte fast an ein Wunder. Besonders Maxi und Merle waren diejenigen gewesen, die sie am gemeinsten behandelt hatten. Generell hielten sie sich Nichtmitglieder so gut es ging vom Hals. Ronja konnte sich noch gut an Clarissa aus ihrer Parallelklasse erinnern, die in der fünften Klasse unbedingt dazu gehören wollte. Sowohl in der Schule, als in den Reitstunden hatte sie den Bandenmädchen an den Fersen geklebt, bis Merle und Isabelle sie so lange triezten, dass sie freiwillig auf Abstand ging. Genauso wie Clarissa war es Wiebke bis vor kurzem ergangen. Zum Glück wendete es sich für sie zum Guten. Ronja hatte Wiebke von Anfang an gemocht, doch aufgrund ihrer Freundinnen hatte sie es nicht offen zeigen können. Wenn sie mit Wiebke Mangas austauschen wollte, hatte dies im Geheimen stattfinden müssen. Am meisten fürchtete sie Maxis und Merles biestigen Blicke und deren spitze Zunge. Zwar war sie mit den beiden Mädchen eng befreundet, trotzdem traute sie sich in ihrer Gegenwart nicht, etwas Falsches zu machen oder zu sagen. So war sie gezwungen gewesen, Wiebke ebenfalls wie Luft zu behandeln, um nicht mit ihren Freundinnen anzuecken. Oft war es Maxi, die in ihrer Bande den Ton angab, auch wenn Isabelle die eigentliche Anführerin war. Doch Isabelles beste Freundin strahlte eine natürliche Stärke und Autorität aus.

 

Einen Tag später schmückten Merle und Klara das Hufeisenquartier. Klara holte eine Rolle Luftschlangen aus ihrer Tasche. „Meinst du nicht, dass das etwas zu kitschig ist?“, sah Merle sie kritisch an. „Wir sind doch nicht auf einem Kindergeburtstag.“ – „Was hast du dagegen, dass es hier ein wenig bunter wird?“, hielt Klara dagegen. „Na gut, ein paar Luftschlangen sind okay“, gab ihre Freundin nach. „Dachtest du, ich wollte den ganzen Raum darin versinken lassen“, lachte sie und blies Merle eine Luftschlange ins Gesicht. Klara hatte zudem noch eine Girlande mitgebracht, die aus vielen Pferdeköpfen bestand. „Das passt super“, war Merle angetan und half Klara, die Girlande an der Decke zu befestigen. „Meinst du, ob wir noch sauber machen müssen?“, fragte Klara. „Besser wäre das“, nickte ihre Freundin und holte einen Handfeger. Das Bandenquartier sollte zur Einweihung eines neuen Bandenmitgliedes ordentlich sein, deswegen machten sich Kekskrümel auf dem Sofa und dem Tisch nicht sonderlich gut. „Meinst du, dass Wiebke ein Pflegepferd bekommt?“, sagte Merle in Gedanken versunken, als sie ein rotes Seidentuch vor das kleine Fenster hängte. „Wieso machst du dir in diesem Moment darüber Gedanken?“, erwiderte Klara. „Für Wiebke muss es ganz schön blöd sein, wenn sie als einzige kein richtiges Pferd hat, das sie reiten kann, und dann kann sie nicht mit auf unsere Ausritte“, meinte Merle. „Wenn wir ausreiten, kann sie uns auf ihrem Fahrrad begleiten“, überlegte Klara kurz. „Hast du ihr klappriges Fahrrad gesehen?“, zog Merle die Augenbrauen hoch. „Damit kommt sie nicht weit, bis sie damit im Sandweg stecken bleibt. Zudem sieht es merkwürdig aus, wenn sie uns auf diesem Kinderfahrrad hinterher radelt. Spätestens wenn wir galoppieren, haben wir sie abgehängt.“ – „Ich bin sowieso dafür, dass wir keine Lustigen-Hufeisen-Ausritte unternehmen, solange Maxi nicht reiten kann“, fand Klara. „Meinst du, dass wir in den nächsten Wochen gar nicht mehr ausreiten?“, sah Merle sie entgeistert an. „So habe ich es nicht gemeint“, machte Klara einen Rückzieher. „Ich meine, dass jeder von uns zwar ausreiten kann, aber wir uns freitags nur hier in unserem Quartier treffen, damit sich Maxi und Wiebke nicht so ausgeschlossen fühlen.“

 

Gut gelaunt betrachtete sich Wiebke im Spiegel der Schrankwand. Perfekt! Das blauweiß karierte Hemd, das ihr Maxi gestern geschenkt hatte, weil es ihr zwei Nummern zu groß war, saß bei ihr wirklich gut. Goldene Hufeisenohrstecker, eine beigefarbene Reithose, blaue Reitstrümpfe und schwarze Stiefelletten ließen erahnen, dass sie auf dem Wege war, das sechste lustige Hufeisen zu werden. „Bist du so weit?“, schneite Isabelle herein. Ihre Cousine hatte sich ebenfalls hübsch gemacht hatte und sich leicht geschminkt, das war an den dunklen Wimpern zu erkennen. Dazu trug sie Perlenohrstecker und eine silberne Kette. „Kleinen Moment, meine Haare. Ich muss sie noch frisieren“, fuhr Wiebke mit der Bürste durch ihre dicken Haare. „Lass deine Haare offen, das sieht am besten aus“, riet ihr Isabelle. „Wir sind doch nicht auf einem Tanzball.“ – „Na gut“, nickte Wiebke und folgte ihr nach draußen. Draußen dämmerte es schon und es war ziemlich frisch. Der Winter stand vor der Haustür. Die beiden Cousinen holten ihre Fahrräder aus der Garage und radelten los. „Kommt gleich noch jemand?“, fragte Wiebke als sie in den Wald einbogen. „Keine Ahnung, aber von unseren Mädels wird bestimmt immer jemand da sein“, zuckte Isa mit den Achseln.

 

Wiebke spürte, wie aufgeregt sie war. Gleich würde sie zum ersten Mal auf Kandra reiten. Normalerweise war Isabelle sehr eigen, was Kandra betraf, und ließ höchstens ab und an eine von ihren Freundinnen auf ihr Pferd. Die beiden Mädchen holten Fabella und Kandra aus ihren Boxen. Inzwischen hatte sich zwischen Wiebke und Fabella so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. Jedes Mal hob die Araberstute ihren Kopf, wenn Wiebke den Stall betrat, und ließ sich gerne von ihr putzen. Trotzdem war Fabella nichts für Reitanfänger, weswegen nur Isabelle und Merle sie reiten durften. Ein Pferd zu putzen und reitfertig zu machen war für Wiebke inzwischen zum Kinderspiel geworden. Bevor sie mit den Lustigen Hufeisen befreundet war, hatte sie Ellen und Marlon öfter dabei geholfen, die Schulpferde für den Reitunterricht fertig zu machen.

 

Als die beiden Mädchen ihre Pferde gesattelt hatten, drückte Isa ihr die Zügel von Kandra in die Hand. Wiebke merkte, wie ihr Puls sich erhöhte. War das Angst oder doch Ehrfurcht? Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Bisher kannte sie nur die ruhigen Schulpferde, die sich noch nicht mal durch eine Motorsäge und grelles Licht aus der Ruhe bringen ließen. Wie der Ritt auf Kandra werden würde?

 

Kandra war doch ein anderes Kaliber, als die Pferde, die sie immer in den Reitstunden ritt. „Hab Geduld, Wiwi, Kandra mag es nun mal nicht, wenn man zu hart in der Hand ist. Denk daran, was Ellen dir über die empfindlichen Pferdemäuler gesagt hat“, wiederholte ihre Cousine mehrmals. Isa ritt auf Fabella. Obwohl sie eine erfahrene Reiterin war, tat sie sich schwer mit dem impulsiven Araber, der auf jede Bewegung reagierte und ein sehr feines Gespür für die Umwelt um sich herum hatte. In gewisser Weise waren sich Fabella und Maxi sehr ähnlich. Bis vor kurzem hatte Wiebke Maxi für eine hochnäsige und skrupellose Zicke gehalten. Erst seitdem sie mit Maxi befreundet war, hatte sich Wiebkes Meinung von ihr komplett verändert. Maxi war in Wirklichkeit auch sehr sensibel und konnte sich gut in andere Menschen hineinversetzen, nur zeigte sie es gegenüber anderen Leuten nicht gerne, die sie nicht gut kannte.

 

Klara und Ronja, die ihre Ponys in die Halle führten, begrüßten sie freudig. „Wie lange reitet ihr schon?“, fragte Klara. „Nicht lange, vielleicht zehn Minuten“, erwiderte Isabelle, die wieder ihr Gleichgewicht ausbalancieren musste, da Fabella erschrocken ein Stück zurückwich und nervös zu tänzeln begann, da Ronja ihr auf Randy zu nah kam. „Oh man, wie Maxi es mit diesem Pferd aushält“, machte Klara einen trockenen Kommentar. „Das frage ich mich auch“, seufzte Isa. Warum ihre beste Freundin so eine gute Haltung auf dem Pferd hatte, war ihr nicht klar.

 

Zum Schluss kam Merle mit Arthos. „Wo hast du Maxi gelassen? War sie nicht bei der Musicalprobe?“, fragte Wiebke. „Doch, das war sie“, nickte Merle. „Aber sie ist eben noch mal nach Hause gefahren, anscheinend wollte sie noch etwas vorbereiten.“ – „Haben wir nicht genug Süßigkeiten und Cola?“, drehte sich Ronja zu ihr um. „Das haben wir“, nickte Merle. „Vielleicht hat sie ein ganz besonderes Geschenk für Wiwi“, vermutete Klara. „Was soll sie mir noch schenken?“, lachte Wiebke. „Reicht ein Designerhemd etwa nicht?“ – „Ach stimmt, wo ich es gerade sehe“, meldete sich Merle zu Wort. „Du trägst Maxis Hemd. Steht dir, darin siehst du auch fesch aus!“ – „Danke!“, Wiebkes Wangen röteten sich leicht. Immer noch lösten Komplimente der Mädchen bei ihr Verlegenheit aus. „Wollen wir eine Runde galoppieren?“, schlug Klara vor. „Ne, lass mal“, lehnte Wiebke ab. Für einen Galopp auf Isas flotter Hannoveranerstute fühlte sie sich noch zu unerfahren. „Ich finde Traben reicht auch schon“, lenkte Ronja ein.

 

Hintereinander trabten die Mädchen auf ihren Pferden an und ritten dicht an der Bande entlang. Ronja, Klara, Merle und Isa begannen leicht zu traben. Wiebke versuchte es ihren Freundinnen nachzumachen. Es sah leichter aus, als es wirklich war. Immer wieder geriet sie aus dem Takt und rutschte aus dem Sattel. Hätte sie sich nicht reflexartig an Kandras Mähne festgekrallt, wäre sie in den Holzspänen gelandet. Mit einem bitteren Lächeln musste Wiebke doch einsehen, dass die anderen Mädchen wesentlich besser reiten konnten als sie. Es würde bestimmt noch eine Weile dauern, bis mit ihren Freundinnen ausreiten konnte. Zumal sie kein eigenes Pferd und auch keine Reitbeteiligung hatte. „Genug für heute“, fand Isa, die Fabella nach dem Trockenreiten in die Mitte der Halle lenkte, und sich aus dem Sattel schwang. „Meine Güte, du tust dich aber schwer mit Fabella, Isa“, meinte Merle. „Ist auch Maxis Pferd, deswegen muss ich es nicht perfekt reiten können“, gab Isabelle etwas schnippisch zurück. Wiebke schaute sich um, ob Maxi irgendwo hinter der Bande oder auf der Empore saß. Doch von ihrer Freundin war keine Spur zu sehen. Dabei hatte Maxi ihr fest versprochen heute zu kommen.

 

„Hey Mädels!“, gut gelaunt kam Maxi in den Stall und wickelte sich als erstes aus ihrem dicken Schal, bevor sie ihre Freundinnen umarmte und dann zu Fabellas Box lief. „Maxi, wo warst du die ganze Zeit?“, wollte Isabelle wissen. „Ich habe nur eine Kleinigkeit vorbereiten müssen“, erwiderte ihre Freundin. „Gut, sind wir dann so weit?“, klatschte Merle in die Hände. „Kannst du einen Moment draußen warten?“, wandte sich Klara an Wiebke, die nur nickte. Leise tuschelnd verschwanden die Mädchen in ihrem Quartier und schlossen sogar die Tür ab. Unschlüssig blieb Wiebke stehen, bis sie auf die Idee kam, sich zu Fabella zu gesellen. Maxis Araberstute begrüßte sie mit einem Schnauben. Liebevoll kraulte ihr Wiebke den Hals und musste unfreiwillig an den Moment zurückdenken, als sie es bereits schon einmal getan hatte. Dies war bestimmt länger als einen Monat her, damals war sie alleine im Stall gewesen. Wiebke hatte sie damals mit einem Stück trockenen Brot gefüttert. Aus dem Nichts war Maxi aufgetaucht, hatte sie gegen die Wand gestoßen und ihr vorgeworfen, dass sie Fabella vergiften wollte. Nach einer langen Standpauke war Wiebke weinend nach Hause gefahren. Heute hätte Maxi garantiert nichts dagegen, wenn sie Fabella fütterte. In ihrer Reithosentasche fand sie noch ein kleines Leckerli, welches sie ihr auf der flachen Hand hinhielt. Fabella nahm das kleine Geschenk sofort an. Wiebke spürte, wie jemand seinen Arm auf ihre Schulter legte. Vor Schreck hätte sie fast angefangen zu schreien, wenn sie sich nicht im letzten Moment beherrscht hätte. „Alles gut, ich bin es nur“, lachte Ronja. Ihre honigblonden halblangen Locken umrahmten ihr freundliches sommersprossiges Gesicht. „Seid ihr fertig?“, fragte Wiebke. Ronja nickte nur und hakte sich bei ihr unter. „Hey, du hast vergessen, ihr die Augen zu verbinden“, lief ihnen Klara mit einer Augenbinde entgegen. Nun bekam Wiebke auch noch ihre Augen verbunden, wofür sie ihre Brille abnehmen musste. Klara hielt ihr eine Hand mit fünf Fingern vor ihr Gesicht und ging ganz sicher, dass sie nichts mehr sah. „Ihr macht es aber auch kompliziert“, sagte sie und ließ sich von ihren beiden Freundinnen führen.

 

Drinnen nahm ihr Isabelle die Augenbinde ab. Der Raum war von unzähligen Kerzen und einer Öllampe erleuchtet. Auf dem Tisch stand eine große Vase und an der Decke hing eine Girlande aus Pferdeköpfen. Im Hintergrund dudelte leise Musik. „Hiermit erkläre ich dich zum sechsten Mitglied der lustigen Hufeisen“, nahm ihre Cousine sie feierlich in den Arm. Nach und nach nahmen die anderen Bandenschwestern sie in den Arm und gratulierten ihr zur Bandenaufnahme. „Wow, ihr habt es hier euch wirklich wunderschön eingerichtet“, schwärmte Wiebke, die sich mit großen Augen überall umschaute. Geschmückt sah das Bandenquartier noch viel gemütlicher aus. „Hey, wir dürfen den wichtigsten Part nicht vergessen“, deutete Klara auf die Wand, an der jetzt sechs Hufeisen hingen. Eins davon war noch mit einem Stofftaschentuch bedeckt. Als Anführerin war es Isas Part, das Hufeisenfoto von Wiebke zu enthüllen. Begeistert fingen die Mädchen an zu klatschten, als das Taschentuch zu Boden segelte. Noch im Flug fing es Klara einhändig auf, bevor es einer der vielen Kerzen zu nahe kam. „Siehst du, jetzt bist du offiziell eine von uns“, legte Maxi Wiebke ihren gesunden Arm um ihre Schulter. Isas Cousine strahlte wie ein Honigkuchenpferd und konnte immer noch kaum glauben, dass sie nun dazugehörte. Nun hatte ihr Außenseiterdasein endgültig ein Ende. „Ihr seid die besten Freundinnen, die man sich vorstellen kann“, begann ihre Stimme vor Rührung zu beben. Sogar ihre Augen wurden etwas feucht. „Kein Problem, wir sind Schwestern und in jedem Moment füreinander da“, ergriff Merle ihre Hand.

 

„Wollen wir etwas essen? Ich kriege allmählich Kohldampf“, nahm Klara am Couchtisch platz. Wiebke zwängte sich zwischen Maxi und Ronja auf das Sofa. Auf dem Tisch stand ein Kuchen, der die Form eines Pferdekopfes hatte, und mit Schokolade überzogen, sowie mit bunten Süßigkeiten geschmückt war. „Der Kuchen sieht super aus! Wer von euch hat ihn gebacken?“, vor Begeisterung begannen Wiebkes Augen an zu funkeln. „Ich“, hob Maxi zaghaft ihre Hand. „Besser gesagt meine Mutter. Mit einer Hand zu backen wäre unmöglich gewesen, deswegen habe ich nur assistieren können.“ – „Wo kriegt man so eine coole Backform her? Sowas Tolles habe ich in keinem Laden entdeckt“, wollte Klara wissen. „Die hat Mama im Internet bestellt“, erwiderte Maxi. „Darf ich die auch mal von dir ausleihen?“, war Isa Feuer und Flamme. „Klar doch!“, nickte Maxi. Für sie war es selbstverständlich, mit ihren Freundinnen zu teilen, und sie galt in ihrem Freundeskreis als großzügig. „Ich finde dein Kuchen ist für heute total passend“, war Ronja der Meinung. „Und viel zu schade, um gegessen zu werden“, fügte Isabelle hinzu. „Wer mag anschneiden?“, sah sich Merle fragend um. „Wie immer das neue Bandenmitglied“, antwortete Klara. Noch bevor Wiebke das Messer ansetzen konnte, schoss Maxi ein Erinnerungsfoto davon mit ihrem Smartphone. Hochkonzentriert zerschnitt Wiebke den Pferdekuchen in sechs Teile. „Lass es euch schmecken“, wünschte sie ihren Freundinnen einen guten Appetit.

 

„Hey, wir müssen zuerst noch anstoßen“, meinte Isabelle, die Limonade in sechs Gläser füllte. Klirrend stießen die lustigen Hufeisen an, die nun zu sechst waren. „Auf die Lustigen Hufeisen!“, rief Klara beschwingt. „Auf Wiwi!“, antwortete ihr Maxi. Der Kuchen schmeckte genauso gut, wie er aussah. Wiebke ließ sich ihn auf der Zunge zergehen. Besonders der flüssige Schokoladenkern in der Mitte hatte es ihr angetan. „Maxi, du sollst ruhig öfter backen“, sagte Klara mit vollem Mund. „Oh ja, wir stellen sie als Bäckerin der Lustigen Hufeisen an“, pflichtete ihr Ronja bei. „Dann hätte ich gerne mein monatliches Gehalt bar auf die Kralle“, lachte Maxi. „Hey, wir müssen noch ein paar Fotos machen?“, rief Klara, die ihre Digitalkamera mitgebracht hatte. Lachend und teils mit lustigen Grimassen lichteten sich die Mädchen gegenseitig ab. „Bekomme ich die Bilder von dir, Klara?“, fragte Isabelle. „Klar“, nickte ihre Freundin. „Ich wollte sowieso ein großes Bandenalbum erstellen.“ – „Oder wir gestalten mit den Fotos einen Kalender“, schlug Wiebke vor. „Stimmt, wieso ist uns das in den Jahren zuvor nicht eingefallen?“, schlug sich Merle vor die Stirn.

 

Nachdem die Mädchen eine Weile geblödelt und gescherzt hatten, kamen sie auf ein ernsteres Thema zu sprechen. „Ist es für dich nicht ein wenig blöd, dass du kein eigenes Pferd oder Pflegepferd hast? Wie willst du dann mit uns ausreiten“, sah Klara Wiebke an. „Hm…Momentan kann ich eh noch nicht ausreiten. Ich könnte euch mit dem Fahrrad begleiten“, meinte Wiebke. „Das ist aber auch nicht toll, du kommst doch niemals hinterher, wenn wir galoppieren“, gab Ronja zu bedenken. „Das lässt sich aber schnell ändern“, warf Maxi ein und zwinkerte Wiebke zu. „Ich hätte auch schon ungefähr eine Idee“, hob Merle ihren Kopf. „Ich könnte Marlon fragen.“ – „Das ist gar keine schlechte Idee“, fand Isabelle. „Merle, du hast immer noch den besten Draht zu Ellen.“ – „Marlons Cousine Regina hat ein Pony, das sie aus Zeitgründen nicht häufig reiten kann“, fuhr Merle fort. „Ich kann mit Ellen sprechen, da lässt sich bestimmt etwas erreichen.“ – „Kann ich überhaupt gut genug reiten?“, machte Wiebke ein skeptisches Gesicht. „Natürlich“, sah Isa sie ermutigend an. „Außerdem wirst du es mit der Zeit eh lernen“, meinte Maxi. Ein Lächeln huschte über Wiebkes rundliches Gesicht, was von Minute zu Minute stärker wurde.

15. Kapitel

 

„Ausnahmsweise bin ich mit euren Arbeiten auch zufrieden“, blieb Herr Older vor Isas und Maxis Tisch stehen. „Wollen wir zusammen die Hefte öffnen?“, tickte Isa ihre beste Freundin an. Gerade bei Mathearbeiten hatte sie oft gar kein gutes Gefühl, weshalb ihr Herz fast bis zum Hals schlug. „Eins….Zwei…“, zählte Maxi an. Auf drei schlugen sie ihre Hefte auf. „Waaas? Ich habe eine Zwei minus“, zischte Isabelle aufgeregt. „Ich auch!“, gab ihr Klara einen Highfive. „Immerhin eine Drei Plus“, war Maxi sichtlich zufrieden, die zuvor eine Fünf geschrieben hatte. Ronja und Merle hatten beide eine Eins. „War die Arbeit bei euch auch so gut? Mir fehlen nur drei Punkte bis zur vollen Punktzahl“, drehte sich Wiebke, die eine Reihe vor ihnen saß, sich zu ihnen um. „Na klar, die Arbeit lief gut“, nickte Merle. „Jetzt wird Mama nichts mehr zu meckern haben“, strahlte Isa über beide Backen. „Lass uns das heute Nachmittag mit einer Runde Heimkino bei mir zuhause feiern“, raunte Merle den Freundinnen zu. „Na logo“, nickten Klara und Ronja gleichzeitig. „Da ich heute Nachmittag Springtraining habe, geht es erst ab sechs Uhr“, meinte Merle. „Kann euer Mädchenclub mir einen Moment Aufmerksamkeit schenken?“, räusperte sich Herr Older. „Zwar sind eure Arbeiten allesamt recht gut, aber es gibt immer noch eine mündliche Note und dort könntet ihr deutlich mehr reinhauen“ Noch endlose dreißig Minuten vergingen bis zur Pause. Immer wieder schaute Isabelle auf ihr Handy. Vier Erinnerungen aus ihrem virtuellen Notizblock tauchten auf: Kandra bewegen, ein Geschenk für Ronja, Plakat für Geschichte fertig stellen und neues Lied auf der Gitarre üben. Zu ihrem Schrecken stellte sie fest, dass ihr Mathelehrer fast vor ihr stand. Unauffällig verstaute sie ihr Mobiltelefon in ihrer Hosentasche. Wäre sie erwischt worden, wäre der Gute-Klassenarbeit-Bonus wieder vorbei gewesen.

 

Endlich klingelte es zur großen Pause. „Lasst uns die Cafeteria stürmen!“, trieb Merle ihre Freundinnen vorwärts. Gerade noch rechtzeitig konnten sie ihren Lieblingstisch neben dem Fenster ergattern. Draußen war ein Sauwetter. Es regnete und stürmte so heftig, sodass man nicht einmal seinen Hund nach draußen schickte. Als Belohnung für ihre gute Klassenarbeit deckten sich die Mädchen mit Chips und Süßigkeiten ein. „Was machst du eigentlich zu deinem Geburtstag, Ronnie?“, stupste Klara ihre Freundin mit den honigblonden Locken an. „Ich weiß nicht so recht, ob ich feiern soll“, zuckte Ronja mit den Achseln. „Ach komm schon, natürlich wird gefeiert!“, gab ihr Maxi einen sanften Stoß. „Du bist der nächste Teenager im Club. Notfalls planen wir eine tolle Überraschungsparty für dich.“ Nachdem die Freundinnen kurz über Ronjas Geburtstag gesprochen hatten, kamen sie auf das zukünftige Pflegepferd von Wiebke zu sprechen. „Wie weit bist du inzwischen mit Wiwis Pflegepferd?“, wollte Maxi wissen. „Mit Ellen habe ich noch nicht gesprochen“, erwiderte Merle. „Stattdessen habe ich Marlon darauf angesprochen. Er meinte, zu Wiebke könnte das Pony seiner Cousine passen, das sie eh kaum noch reitet.“ – „Prima, dann können wir heute Abend direkt zu Ellen gehen und sie danach fragen“, rieb sich Isabelle die Hände. „Darf ich einen Wunsch äußern“, hob Wiebke zaghaft ihre Hand. „Ich möchte kein Pferd, das zu groß und zu wild für mich ist.“ – „Die Rede war auch von einem älteren Pony“, betonte Merle.

 

„Wieso nehmt ihr unseren Tisch in Beschlag?“, tauchte Doreen mit ihrem Anhang vor ihnen auf und kniff die Augen zusammen. „Wer hat behauptet, dass es euer Tisch ist? Ist da zufällig Zickentisch eingraviert?“, erwiderte Maxi schlagfertig. „Hier sitzen wir sonst immer, also sucht euch was anderes“, blaffte Jenny. „Nö, ich bin hier festgewachsen“, verschränkte Isa ihre Arme vor der Brust, was ihr alle Freundinnen gleich taten. „Seit wann gehört dieser Kindergartenzwerg zu eurem Haufen?“, rümpfte Magdalena die Nase und warf Wiebke einen herablassenden Blick zu. „Schon länger“, erwiderte Maxi schnippisch. „Im Gegensatz zu euch Hohlbirnen ist sie ein schlaues Kerlchen.“ – „Wisst ihr was, da vorne ist ein Tisch für vier Bachstelzen freigeworden“, deutete Merle auf einen total verdreckten Tisch. „Pah! Als ob wir uns das antun!“, fauchte Sarah. „Habt euch nicht so. Das sind nur leere Verpackungen und Krümel“, verdrehte Klara die Augen. „Ich sag nur, Dreck reinigt den Magen“, grinste Wiebke frech. „Wie alt seid ihr eigentlich?“, wurde Doreens hohe Zickenstimme bedrohlich leise. „Wollt ihr ernsthaft in der siebten Klasse sein oder habt ihr euch aus dem Kindergarten hierhin verirrt?“ – „Regt euch doch nicht so auf, die Pause ist in zwei Minuten eh vorbei und daher bringt dieses Gezanke niemanden“, mischte sich Ronja ein, die mit ihrer Besonnenheit in vielen Situationen punkten konnte.

16. Kapitel

Ein paar Tage später waren die Lustigen Hufeisen gemeinsam im Stall verabredet. Isabelles Mutter hatte sich wegen des anhaltenden Regenwetters bereiterklärt, die Mädchen mit dem Auto zu bringen, obwohl das normalerweise gegen ihre Überzeugung war. Etwas missmutig sah Wiebke aus dem Fenster und seufzte: „Es ist ja lieb, dass ihr mich mitnehmen wollt, aber manchmal langweile ich mich auf der Bank hinter der Bande, während ihr beim Reiten euren Spaß habt.“ – „Ach was, du kannst uns bestimmt viel helfen“, versuchte Isa, ihre Laune zu heben. Außerdem war Maxi wegen ihres gebrochenen Armes außer Gefecht und saß auch auf der Bank. Doch an diesem Tag ließ Wiebke sich nicht so einfach aufmuntern. Als sie den Stall erreichten, bedankten sie sich rasch bei Isas Mutter, kletterten aus dem Auto und liefen ins Stallgebäude, um nicht allzu nass zu werden. „Da seid ihr ja!“, wurden sie drinnen von Merle empfangen, die von den anderen lustigen Hufeisen umringt war. Sie alle strahlten, so dass Wiebkes hängender Kopf besonders auffiel. „Was ist denn los?“, wollte Ronja von ihrem neuesten Bandenmitglied wissen. Erneut erklärte Wiebke, wie sie sich zwischen all den versierten Reiterinnen fühlte. „Ich glaube, ich weiß, wie wir dir helfen können“, sagte Klara grinsend. „Falls ihr mich wieder zum Putzen eurer Pferde einspannen wollt, lehne ich dankend ab“, maulte Wiebke, die davon in letzter Zeit die Nase voll hatte. „Viel besser!“, behauptete Merle und Ronja forderte sie auf: „Komm schon mit!“ Gemeinsam führten die Lustigen Hufeisen Wiebke durch die Stallgasse.

 

„Wo wollt ihr denn hin?“, bremste Wiebke sie schließlich. Soweit sie wusste, ging es am Ende des Ganges in den Stall der Privatpferde von Ellen und Marlon. Hier hatten sie eigentlich nichts zu suchen. Genau genommen war sie auch noch nie dort gewesen, selbst, wenn sie ein paar Mal um Marlon herum scharwenzelt war. „Dürfen wir das wirklich?“, fragte nun auch Isa. „Natürlich, was denkst du denn?“, gab Merle schulterzuckend zurück. Mit ihrer typischen Selbstverständlichkeit führte sie die kleine Gruppe weiter an. Langsam mussten auch Klara, Maxi und Ronja ihr strahlendes Grinsen ein bisschen unterdrücken, um nicht alles zu verraten. Es sollte schließlich eine Überraschung werden. „Auch Marlon kann sein Pferd allein putzen“, kommentierte Wiebke, die ahnungslos den anderen Mädchen folgte. Klara ließ daraufhin ein leises Glucksen hören. „Bleibt stehen!“, forderte Maxi sie schließlich auf und sie gehorchten ihr. „Was soll das werden, wenn es fertig ist?“, wunderte sich Wiebke. Ihr Erstaunen wuchs noch weiter, als Merle einen schrillen Pfiff ertönen ließ.

 

Wie von Zauberhand wurde eine der hinteren Boxentüren geöffnet und Marlon trat heraus. An der Hand führte er ein strahlend weißes Schimmelpony, das über und über mit Blumen geschmückt und hübsch hergerichtet war. Wiebke blieb vor Schreck die Stimme weg und auch Isa musste sich erst einmal sammeln. Zwar hatten Maxi und Merle eine Überraschung angekündigt, aber das hier haute sie wirklich um. Kurz vor den Mädchen blieb Marlon mit dem Pony stehen. „Darf ich vorstellen; Das ist Alaska“, sagte er liebevoll und deutete auf den kleinen Schimmel. „Sie sieht umwerfend aus“, seufzte Wiebke und verliebte sich sofort in Alaska. „Wir haben uns auch alle Mühe gegeben“, sagte Klara stolz, die für die eleganten Bandagen des Ponys zuständig gewesen war. Ronja hatte zahllose bunte Blumen in die Mähne geflochten und Maxi eine edle Frisur in den Schweif gebracht. Merle schließlich hatte das schneeweiße Fell geputzt, bis sie kaum mehr ihre Finger hatte spüren können. Doch das Beste kam erst noch. „Alaska kann deine Reitbeteiligung werden, wenn du magst“, erklärte Marlon. „Ellen hat schon alles mit deiner Mutter besprochen“, verriet Isa und war froh, dass sie sich auch noch einbringen konnte. Ihre Aufgabe war es gewesen, Wiebkes Mutter von der Notwendigkeit einer Reitbeteiligung zu überzeugen. „Wenn du gut mit Alaska auskommst, spricht nichts dagegen“, sagte Klara, während Wiebke einer ihrer Freundinnen nach der anderen dankbar um den Hals fiel. „Ich hoffe, dass ich sie gut reiten kann. Sie ist so wunderschön“, rief Wiebke begeistert. „Du wirst sie im Unterricht ausprobieren und am Anfang noch nicht im Gelände reiten. Aber wenn du sicherer bist, kannst du auch das mit Alaska machen. Sie ist sehr zuverlässig und gut für Anfänger geeignet“, erklärte Marlon. Wiebke war ganz aus dem Häuschen und konnte ihre Augen kaum von Alaska abwenden.

 

„Sie ist das Pony deiner Cousine, richtig?“, wollte Wiebke von Marlon wissen. „Ja, das stimmt, aber die hat kaum mehr Zeit für sie. Meine Mutter hat schon lange mit dem Gedanken gespielt, sie im Reitunterricht einzusetzen, weil sie zu schade ist, um hier rumzustehen. Aber Regina fand es für Alaska besser, eine feste Bezugsperson zu finden“, antwortete er. Maxi nickte zustimmend, denn sie kannte das ganz genau von ihrer Fabella, die sehr auf sie fixiert war. „Was ist sie für ein Pony?“, wollte Klara neugierig wissen und bewunderte die kleine stolze Stute ebenfalls sehr. „Sie ist ein New Forest Pony, das ist eine sehr intelligente und rittige Rasse aus Südengland“, wusste Merle. „Meine Mutter hat vor Urzeiten mit Alaskas Mutter gezüchtet. Die wiederum wurde von ihr direkt aus England importiert“, prahlte Marlon ein bisschen mit dem ausgezeichneten Stammbaum des Ponys. „Wann kann ich sie reiten?“, wollte Wiebke wissen und hielt es kaum noch aus. „Sie muss erst wieder ein bisschen antrainiert werden, schließlich wurde sie lange nicht geritten und hat kaum noch Muskeln. Außerdem müssen wir zusehen, dass wir ihren alten Sattel anpassen lassen. Aber dann kann es losgehen“, versprach Marlon und gab ihrer Begeisterung damit einen kleinen Dämpfer. Doch dann verkündete Wiebke: „Ich werde helfen, wo ich nur kann.“

 

„Das ist doch fast wie ein eigenes Pferd, oder?“, schwärmte Wiebke, als die Lustigen Hufeisen sich nach dem Reiten in ihrem Hauptquartier zusammensetzten. „Ja, es kommt dem schon ziemlich nahe“, stimmten Klara und Ronja ihr zu. Auch sie hatten im Gegensatz zu den anderen Mädchen „nur“ eine Reitbeteiligung an den Ponys Nandu und Randy. Doch das machte ihnen nichts aus, denn sie verstanden sich gut mit den Besitzern und hatte viele Freiheiten neben den Pflichten, die die Verantwortung für ein Pony mit sich brachte. „Jetzt haben wir drei Großpferde und drei Ponys in unserer Bande“, lachte Maxi und ließ sich beim Tischdecken helfen. „Du musst das nicht machen, du solltest deinen Arm schonen!“, sagte Ronja gespielt streng und übernahm die Verpflegung. „Nach dem Reiten habe ich immer solchen Kohldampf“, kicherte Klara und goss ihren Freundinnen etwas zu trinken ein. „Ich habe schon vom Zugucken Hunger bekommen“, warf Wiebke ein und sie erhoben ihre Becher. „Wir trinken heute auf Alaska und nehmen sie feierlich in unsere Bande auf!“, rief Maxi übermütig und alle stießen mit ihrem Saft an.

 

„Hoffentlich bin ich gut genug für sie“, seufzte Wiebke verträumt. „Ganz bestimmt“, versicherte Isa ihr. „Ihr werdet sicher ein tolles Team.“ – „So, wie ihr mit euren Pferden?“, hakte ihre Cousine nach. „Mindestens“, antwortete die lächelnd. „Wenn ich sie doch nur schon reiten dürfte“, murmelte Wiebke. „Gib ihr Zeit. Du kannst sie solange schon kennen lernen und Zeit mit ihr verbringen“, schlug Merle vor. Begeistert nickte Wiebke und griff nach den Keksen, die Isa auf den Tisch gestellt hatte.

 

Mit gemischten Gefühlen beobachtete Isa, wie Wiebke Marlon tatsächlich mit Alaska half, wo sie nur konnte. Gemeinsam longierten sie die Stute, machten Bodenarbeit, ließen den Sattler kommen und brachten ihre eingestaubte Ausrüstung wieder auf Vordermann. Irgendwie hatte Isa gehofft, Ellen würde sich darum kümmern. Doch anscheinend hatte die ihren Sohn dazu abkommandiert. Oder verbrachte Marlon am Ende freiwillig und gerne Zeit mit Wiebke. Diesen Gedanken schob Isa schnell wieder weg. Es gehörte sich nicht, so eifersüchtig auf ihre Cousine zu sein. Und trotzdem war sie direkt erleichtert, als endlich der Tag kam, an dem Wiebke Alaska im Reitunterricht probieren sollte.

 

Die Lustigen Hufeisen hatten sich auf der Bank hinter der Bande versammelt, um Wiebke zuzusehen. „Ich will auch endlich wieder reiten“, maulte Maxi, die es ohne den täglichen Sport kaum aushielt. „Fabella sieht schon richtig eingefallen aus.“ – „Selber Schuld, wenn du partout niemanden anderes auf ihr reiten lässt“, spottete Klara und meinte es auch ein bisschen ernst. Nur selten erlaubte Maxi Merle oder Isa, Fabella zu reiten. „Was soll ich machen, es ist einfach niemand gut genug für Fabella“, feuerte Maxi zurück. „Beruhigt euch, Leute“, warf Ronja ein. „Heute geht es um Wiebke und Alaska. Ich bin schon so gespannt.“ – „Wie spannend kann so eine Anfängerstunde schon sein“, murrte Maxi weiter. Die anderen sahen es ihr nach, schließlich vermisste sie das Reiten und war überhaupt nicht ausgelastet.

 

Ellen kümmerte sich besonders um Wiebke. Sie half ihr, Steigbügel und Hilfszügel richtig einzustellen und hielt gegen, als sie sich in den Sattel schwang. „Wie fühlt es sich an?“, wollte sie wissen, nachdem Wiebke eine Runde im Schritt geritten war. „Ganz weich und angenehm“, lautete die strahlende Antwort. „Mach dich gerade und atme tief durch. Du wirst ein Gefühl für sie bekommen“, versprach die Reitlehrerin. „Sie sehen gut aus“, fand Merle neidlos und Isa nickte. Nach einer Weile durften die Reiter in der Abteilung leichttraben. Alaska ging an der Tête und Wiebke machte sich stolz immer größer. „Bein lang, Hand ruhig!“, wies Ellen sie an und kam nicht umhin, ihre Haltung ansonsten zu loben. „Auf Alaska kann man nur gut aussehen“, sagte plötzlich jemand hinter ihnen und sie schraken auf. Marlon setzte sich grinsend zu ihnen und Isa schmolz beinahe dahin. „Wie meinst du das?“, wollte Klara erstaunt wissen. „Sie ist einfach ein gutes Pony und lässt ihren Reiter ein bisschen besser aussehen, als er ist. Das gibt Wiebke Sicherheit“, erklärte Marlon. „Meine Cousine hat so viele Turniere mit ihr gewonnen, als sie noch kleiner war.“ In Maxis Augen tauchte ein ehrgeiziges Funkeln auf, das ihre Freundinnen wohlwissend ignorierten. Sie hielt sich und Fabella für das erfolgreichste Team der Lustigen Hufeisen, obwohl Merle mindestens genauso ehrgeizig war. „Aber jetzt ist Alaska schon älter“, sagte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Sie ist 17 Jahre alt, aber topfit“, antwortete Marlon. Maxi lehnte sich zurück und betrachtete Wiebke. Selbst wenn das Pony noch so gut war, an ihre Fabella und sie kamen die Beiden noch lange nicht ran. Sie musste selbst ein bisschen grinsen, dass sie sich beinahe davon hatte provozieren lassen.

 

Nach der Reitstunde leisteten die Lustigen Hufeisen Wiebke beim Absatteln ihres neuen Reitbeteiligungsponys Gesellschaft. „Es war so schön, ich kann es gar nicht beschreiben. Als ob wir uns schon ewig kenne würden“, schwärmte Wiebke. „Es sah auch sehr gut aus“, lobte Merle sie und Klara fand: „Du hast dir heute echt Mühe gegeben, das hat man gesehen.“ – „Danke“, murmelte Wiebke und nahm Alaska die Gamaschen ab. Am liebsten wäre sie mit ihren Freundinnen in einer Gruppe geritten, doch sie wusste, dass sie noch lange nicht so weit war. Aber mit Alaska konnte sie es vielleicht schneller dort hin schaffen, als alle erwarteten. Und vielleicht dürfte sie sogar bald ausreiten. Das wäre ein Traum. Glücklich lächelte sie vor sich hin. Sie hatte wirklich großes Glück. Zuerst fand sie so gute Freundinnen und wurde sogar in die Bande aufgenommen. Und jetzt hatte sie eine richtige Reitbeteiligung. Das war fast zu schön, um wahr zu sein.

 

„Mal war anderes“, warf Maxi schließlich ein. „Was ist denn jetzt mit deinem Geburtstag, Ronja?“ Verlegen sah ihre Freundin zu Boden. Darüber hatte sie sich immer noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht auch deshalb, weil ihre Ideen ihr bisher immer utopisch vorgekommen waren. Eigentlich hätte sie Lust auf Kino oder den Kletterpark gehabt. Aber mit solchen Ideen brauchte sie ihrer Mutter gar nicht erst kommen. Dafür war einfach kein Geld da. Sie konnte wahrscheinlich froh sein, wenn sie ihre Freundinnen überhaupt einladen durfte. Seit ihre Mutter keine Arbeit mehr hatte, sparten sie Geld, wo es nur ging. Ronja wusste, wie froh sie sein konnte, dass Randys Besitzer nicht auf einen finanziellen Beitrag für die Reitbeteiligung angewiesen waren. Sie waren einfach froh, dass Ronja sich so liebevoll um das Pony kümmerte, aus dem die Töchter längst rausgewachsen waren, und sich doch nicht endgültig von ihm trennen mochten. „Also was ist denn nun?“, wollte Klara wissen. „Ich weiß nicht, ob ich feiern sollte“, stammelte Ronja kleinlaut. „Was für eine Frage, natürlich sollst du das!“, hielt Merle etwas zu überschwänglich dagegen. Klar, dachte Ronja, bei ihr war die Frage nach dem Geld keine Frage. Doch darüber zu reden, das war ihr dann auch peinlich vor ihren Freundinnen. Wahrscheinlich war es am rücksichtsvollsten, wenn sie ihrer Mutter zuliebe auf eine Party verzichten würde.

 

„Komm schon, Ronja!“, meinte Isabelle. „Du musst doch keine mega Party veranstalten, aber wir würden schon gern mit dir feiern.“ Ronja lächelte geschmeichelt, doch Maxi fand: „Gegen eine mega Party hätte ich aber auch nichts einzuwenden.“ Klara verdrehte die Augen bei so viel Ignoranz. „Das ist ja ganz lieb von euch, aber ich glaube nicht, dass dieses Jahr etwas daraus wird“, seufzte Ronja und wandte sich zum Gehen. Was für ein Jammer. Da hatte sie die besten Freundinnen der Welt, doch sie waren einfach zu viele, als dass sie sie zum Essen oder Feiern hätte einladen können. In Gedanken hörte sie ihre Mutter schon rufen „Was das wieder kostet!“. „Ronja, warte!“, rief Klara ihrer Freundin nach, doch die war schon auf dem Weg nach Hause.

 

„Was hat sie denn?“, fragte Merle unbeholfen. „Oh, ihr wisst doch, dass es finanziell bei ihr zu Hause etwas eng ist“, half Isabelle ihrer Freundin auf die Sprünge. Merle zuckte hilflos die Schultern. „Meinst du, sie will deshalb nicht feiern?“, überlegte Maxi. „Ja, genau“, nickte Klara. „Das liegt doch wohl auf der Hand.“ – „Hätte sie doch sagen können“, fand Merle. „Das ist ihr bestimmt unangenehm und sie möchte ihre Mutter nicht in Verlegenheit bringen“, vermutete Isabelle. „Aber wir wollen doch nur Zeit mit ihr verbringen an ihrem Geburtstag“, meinte Wiebke schulterzuckend. „Was wir machen, das spielt keine Rolle.“ – „Lasst uns eine Party organisieren!“, rief Merle. „Keine Party, nichts Großes, du kennst doch Ronja“, bremste Klara sie lächelnd. „Dann eben eine Übernachtung! Mit allem, was dazu gehört!“, ereiferte sich Maxi. „Und wir bringen alles mit, so dass sich niemand bei ihr Sorgen um Geld machen muss.“ – „Wie soll das gehen? Sie teilt sich ein Zimmer mit ihrer Schwester“, wusste Wiebke. „Dann entführen wir sie eben“, heckte Merle einen Plan aus. „Wir schmeißen meine Eltern raus und feiern bei uns!“ – „Ja, das ist super! Mein Bruder soll bei der Entführung helfen, wenn meine Eltern ihm das Auto leihen“, schlug Maxi vor. „Aber sie darf keinen zu großen Schrecken bekommen“, beharrte Klara. „Und wir sollten ihre Mutter einweihen.“ Immer mehr Ideen sprudelten aus den Mädchen heraus und sie planten die beste Überraschungsparty aller Zeiten für ihre ahnungslose und bescheidene Freundin.

17. Kapitel

Da Ronja an einem Samstag Geburtstag hatte, traf sie ihre Freundinnen nicht wie sonst in der Schule. Sie hatte kein Wort mehr über eine eventuelle Feier gesagt. Da die Mädchen auch nicht weiter gefragt hatten, war sie davon ausgegangen, dass es schon okay wäre. Wahrscheinlich hatten sie sich mit Ronjas Muffeligkeit abgefunden. Dabei war die doch nur vorgeschoben, um ihre Mutter nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Insgeheim hätte Ronja sehr gerne eine Party geschmissen, am liebsten eine richtig stilvolle. Oder etwas Tolles mit ihren Freundinnen unternommen. Doch von denen hatte sie den ganzen Tag noch gar nichts gehört. Ob sie es am Ende vergessen hatten? Das konnte Ronja sich beim besten Willen nicht vorstellen. Und trotzdem hätte sie sich über eine Nachricht von den Mädchen gefreut.

 

Besonders feierlich verlief der Tag ohnehin nicht. Gemeinsam mit ihrer Mutter frühstückte Ronja, während ihre Schwester sie schon gleich angezickt hatte, weil sie sich von einer Party ausschlafen wollte. Das war eben der Nachteil, wenn man sich ein Zimmer teilen musste. Dahin konnte Ronja in nächster Zeit nicht zurück, denn wenn ihre Schwester ausschlief, dann dauerte das. Ihre Mutter hatte zwei Geschenke vorbereitet, die Ronja voller Vorfreude auspackte. Zunächst kam ein Mangabuch zum Vorschein. Sie seufzte, denn das war nicht das, das sie sich gewünscht hatte. „Ich hatte dir doch gesagt, welchen Band ich mir wünsche“, murmelte Ronja enttäuscht. „Schon, aber weißt du, was diese Bücher kosten? Der dort ist sicher auch gut, das hat mir die Verkäuferin versichert“, verteidigte ihre Mutter sich. „Das ist aber nicht einmal die Serie, die ich lese“, erklärte Ronja. Sie wollte ja nicht undankbar erscheinen, aber das war kein besonders schönes Geschenk. Ihre Mutter zuckte die Schultern. Wahrscheinlich verstand sie das Problem nicht. Was interessierte es sie auch. Von Mangas hielt sie sowieso nichts. Das zweite Geschenk waren zwei T-Shirts. Ronja hielt sie hoch und betrachtete sie eindringlich. „Mal im Ernst, sind die aus der Kinderabteilung?“, wollte sie dann wissen. „Na und? Die passen dir bestimmt noch“, meinte ihre Mutter. „Schon, aber das ist eigentlich nicht so mein Stil“, sagte Ronja. Ihre Mutter machte ein verächtliches Geräusch und spottete: „Nicht dein Stil? Du bist 13 Jahre alt und verstehst nicht viel von Stil. Die Shirts sind völlig in Ordnung.“ Ronja verkniff sich einen weiteren Kommentar. Vielleicht könnte sie die T-Shirts wenigstens im Stall tragen, dann waren sie nicht völlig nutzlos.

 

Der Stall… sonst war das oft auch ihr Rückzugsort. Die kleine Wohnung, die sie sich mit ihrer Mutter und ihrer Schwester teilte, war doch sehr beengend. Da war es kein Wunder, dass sie gern Zeit im Stall oder auch bei Freundinnen verbrachte. Doch ausgerechnet an diesem Wochenende hatten Randys Besitzer Anspruch auf ihr Pony erhoben. Sie hatten Familienbesuch und wollten mit Randy Ausritte für die Kinder unternehmen. Einfach so wollte Ronja auch nicht im Stall herum lungern. Am besten noch den anderen Mädchen mit ihren eigenen Pferden zusehen. Darauf konnte sie getrost verzichten. Vor allem an ihrem Geburtstag.

 

Irgendwann am Nachmittag kroch Ronjas Schwester aus dem Bett und schlurfte in die Küche. „Bist du denn gar nicht mit deinen kleinen Freundinnen unterwegs?“, wollte sie von Ronja nach einer kurzen Gratulation wissen. Sie schüttelte den Kopf. „Schade, ich dachte, ich wäre dich heute mal los“, kommentierte ihre Schwester ungeniert. Ronjas Mutter holte einen kleinen Kuchen hervor, doch nach Feiern war Ronja schon lange nicht mehr zumute. Noch immer hatte sich niemand von den Lustigen Hufeisen zu ihrem Geburtstag gemeldet. Ob sie alle sauer waren, weil es keine Feier gab? Wenigstens Wiebke hätte sich mal melden können, fand Ronja.

 

„Du hast heute nichts mehr vor, oder?“, wollte Ronjas Mutter gegen Abend wissen und sah sie herausfordernd an. Traurig schüttelte Ronja den Kopf. „Dann tu mir einen Gefallen und geh schnell noch einmal zum Supermarkt für mich!“, forderte sie sie auf. „Muss das sein?“, seufzte Ronja, die eigentlich keine Lust hatte. Sie tat sich gerade viel zu sehr selber Leid, als dass sie irgendetwas unternehmen wollte. „Ja, bitte. Ich gebe dir eine kleine Liste und Geld“, murmelte ihre Mutter und Ronja zog sich wiederwillig an.

 

Missmutig stapfte sie kurz darauf los, durch das ungemütliche Wohnviertel voller Mehrfamilienhäuser. An ihrem Geburtstag auch noch für andere Leute Dinge erledigen zu müssen, das war ziemlich erniedrigend. Eigentlich sollte es an diesem Tage doch allein um sie gehen. Von ihrer Schwester hatte sie nicht einmal ein Geschenk bekommen. Niedergeschlagen trat sie einen Stein vom Fußweg und zog den Reißverschluss ihrer Jacke hoch. Dann drehte sie sich um. Wenn sie sich nicht täuschte, dann war dieses große Auto schon seit einiger Zeit mit etwas Abstand hinter ihr her. Idioten gab es genug in diesem Viertel, das wusste sie. Doch meist kamen die erst später heraus. Irgendwie traute Ronja sich nicht, sich noch einmal nach dem Auto umzudrehen, aber sie versuchte, unauffällig schneller zu gehen. Ihr Herz schlug schon bis zum Hals und sie hatte noch ein ganzes Stück vor sich, ehe sie den Supermarkt erreichte. Leider kannte sie auch niemanden mehr in einem der anderen Häuser, zu dem sie hätte laufen können.

 

Plötzlich beschleunigte der Wagen und kam ein Stück vor ihr zum Halten. Die Türen wurden aufgerissen und Ronja erstarrte voller Angst für einen Augenblick. Doch dann erkannte sie, wer da vor ihr stand. Wiebke, Maxi, und Isabelle sangen direkt auf dem Fußweg lautstark ein Geburtstagslied für sie. „Was macht ihr denn hier?“, entfuhr es Ronja überrascht. „Wir nehmen dich jetzt mit!“, verkündete Maxi und nahm sie am Arm. „Nein, das geht nicht, ich muss für meine Mutter einkaufen“, stammelte Ronja. „Das ist nicht so wichtig“, wehrte Wiebke ab. „Deine Mutter ist eingeweiht“, verriet Isabelle und sie schoben Ronja gemeinsam auf die Mitte der Rückbank. Maxi nahm vorne neben ihrem Bruder Platz, so dass Ronja von Wiebke und Isabelle umrahmt wurde.

 

„Wohin bringt ihr mich?“, wollte Ronja etwas verängstigt wissen. Das Ganze war ihr einfach nicht geheuer. „Das wird nicht verraten“, rief Maxi und drängte Isa dazu, Ronja die Augen zu verbinden. „Vertrau uns!“, forderte Wiebke sie auf und lächelte geheimnisvoll. „Du dachtest doch nicht wirklich, dass wir deinen Geburtstag vergessen, oder?“, wollte Isa wissen und tat empört. „Naja ich war schon verunsichert“, gestand Ronja. „Da kennst du uns aber schlecht!“, fand Maxi und drehte sich übermütig auf dem Beifahrersitz um, bis ihr Bruder sie aufforderte, ruhig zu sitzen. Ronja war überglücklich, dass ihre Freundinnen sie nicht vergessen hatten. Dennoch fragte sie sich verzweifelt, wohin sie sie brachten. Sie wussten hoffentlich, dass sie sich nichts leisten konnte. Und wo waren überhaupt Merle und Klara?

 

Schließlich kam das Auto zum Stehen. „Mir ist schon ganz schlecht“, keuchte Ronja und krabbelte mit Hilfe ihrer Freundinnen etwas unbeholfen von der Rückbank. „Du wirst gleich sehen, dass es sich gelohnt hat“, versprach Maxi und nahm sie am Arm. Isabelle und Wiebke gingen ebenfalls in ihrer Nähe und brachten sie an eine Treppe. Kurz darauf wurde eine Tür geöffnet und Ronja noch eine Weile durch ein Haus geführt. Sie hörte Klara und Merle, doch noch konnte sie nichts sehen. „Nehmt mir doch endlich die Augenbinde ab!“, bat sie ihre Freundinnen, doch Isabelle meinte: „Es dauert noch einen kleinen Moment. Wir müssen uns noch umziehen.“ Nun war Ronja endgültig verunsichert. Wieso denn umziehen? Und wie sah sie selbst überhaupt aus? Sie war kein bisschen gestylt, sondern hatte sich nur schnell irgendetwas übergezogen.

 

„Es ist so weit, wir wollen dich nicht länger auf die Folter spannen!“, verkündete Merle und nahm Ronja endlich die lästige Augenbinde ab. „Wow, was ist denn hier los?“, entfuhr es ihr erstaunt. Sie fand sich im riesigen Wohnzimmer von Merles Eltern wieder. Doch ihre Freundinnen hatten es komplett umgestylt. Sie hatten den Raum mit bunten Elementen dekoriert und zahlreiche große Bilder aufgehangen. „Das sind ja…“, murmelte sie, als sie erkannte, was es sein sollte. „Wiebke und Isabelle haben deine liebsten Mangacharaktere gemalt“, erklärte Klara und deutete auf die Bilder. Sie hatten sogar mehrere Girlanden gestaltet. „Ihr habt eine Mottoparty für mich organisiert?“, hauchte Ronja und konnte ihr Glück kaum fassen. „Erkennt man das?“, wollte Maxi wissen und freute sich, als Ronja ihr versicherte, dass das nicht zu übersehen war. „Wir haben nicht so viel Ahnung von Mangas und wussten nicht, was du gern magst, aber Wiebke hat uns geholfen“, sagte Merle. „Wir haben sogar versucht, uns ein bisschen anzuziehen, wie die Personen aus dem Manga“, lachte Isabelle und deutete auf Wiebkes bunten Rock und Merles Hosenträger. Ronja wusste gar nicht, was sie sagen sollte, so überwältigt war sie. „Das Essen haben wir aus einem Kochbuch mit Themenrezepten nachgekocht“, kicherte Klara. „Wir sind uns aber nicht sicher, ob es was geworden ist.“ – „Mädels, das ist der Wahnsinn!“, rief Ronja und fiel ihren Freundinnen der Reihe nach um den Hals. „Bis vorhin war das der schlimmste Geburtstag meines ganzen Lebens. Aber ihr habt ihn gerettet.“ – „Dein Geburtstag fängt jetzt erst an!“, antwortete Wiebke und sie machten es sich um den Wohnzimmertisch gemütlich.

 

„Wir sollten mit den Geschenken anfangen!“, drängte Isabelle und sprang noch einmal auf. „Ihr habt all das für mich organisiert und dann auch noch Geschenke?“, stammelte Ronja. „Natürlich! Was wäre denn ein Geburtstag ohne Geschenke?“, rief Merle übermütig. Als Isabelle gleich mehrere Pakete anschleppte, musste Ronja sich in den Arm kneifen, um ganz sicher zu gehen, dass sie nicht träumte. „Meins zuerst bitte!“, forderte Wiebke und schob ihr ein flaches Päckchen rüber. Neugierig sahen die Lustigen Hufeisen zu, wie Ronja ein Mangabuch auspackte. „Das ist genau das, das ich mir gewünscht habe!“, rief sie erfreut. „Danke, Wiebke!“ Dann sagte sie etwas leiser: „Aber das hat doch so viel gekostet…“ – „Das ist schon okay“, wehrte Wiebke ab. Isabelle wusste, dass ihre Cousine das Buch zweimal besessen hatte. Sie hatte es sich von ihrem gesparten Taschengeld gekauft und kurz darauf von ihrem Vater geschenkt bekommen. So war es kein Problem, eines davon an Ronja zu verschenken. „Jetzt meins!“, drängte Maxi und gab ihrer Freundin eine kunstvoll verzierte Kiste. „Du bist nicht so geschickt im Einpacken, was?“, lachte Klara und Maxi sagte schulterzuckend: „Das war am Einfachsten.“ Ronja hob den Deckel und sah mehrere Kleidungsstücke. „Die sind alle ungetragen und etikettiert“, versicherte Maxi. „Meine Mutter kauft mir immer so viele Klamotten, das ist selbst mir zu viel. Und wir haben ja ungefähr die gleiche Statur…“ Ronja musste grinsen. Das, was Maxis Statur ausmachte, waren schon jetzt verführerische Kurven, während sie selbst eher stämmig wirkte. Aber sie hatte nicht Unrecht, sie konnten eine Kleidergröße teilen. Maxi beobachtete ihre Reaktion und war sich nicht sicher, ob ihre Freundin begeistert von der Kleiderspende wäre. „Es sind alles Markenklamotten“, sagte sie noch schnell. „Wenn es dir nicht gefällt, dann…“ – „Das ist so lieb von dir!“, fand Ronja und fiel Maxi um den Hals. Dann erzählte sie von den T-Shirts, die ihre Mutter ihr geschenkt hatte. Eigentlich wollte sie ihre Mutter nicht so schlecht reden, aber damit hatte sie wirklich keinen Volltreffer gelandet. Wenigstens sorgte die Geschichte für Heiterkeit unter den Lustigen Hufeisen. „Manchmal gefallen mir auch Kleider aus der Kinderabteilung“, gestand Wiebke und brachte alle noch mehr zum Lachen, obwohl sie es ernst meinte. Und Isabelle sagte ebenfalls sehr vernünftig: „Für den Stall sind sie doch bestimmt gut genug.“ Ronja nickte und fühlte sich fast ein bisschen schlecht, weil sie so über ihre Mutter redete.

 

„Du musst mein Geschenk auspacken!“, rief Merle aufgeregt. Sie liebte es, anderen eine Freude zu machen. Das bedeutete ihr beinahe mehr, als selbst etwas zu bekommen. Isabelle vermutete, dass das daran lag, dass ihr selbst nie etwas fehlte. Ronja ließ sich Merles Geschenk geben und packte es gespannt aus. Zum Vorschein kamen neue Reithandschuhe und eine Packung Leckerlies. „Ich habe doch gesehen, dass deine Handschuhe mehr Löcher als alles andere haben“, verriet Merle augenzwinkernd. Ronja nickte und bedankte sich mit einer Umarmung. Ihre Freundinnen hatten ihr so schöne Geschenke gemacht, dass sie den Tränen nahe war. Und noch immer lagen zwei weitere Pakete auf dem Tisch. Isabelle hatte ihre Rolle als Anführerin der Lustigen Hufeisen wieder einmal sehr ernst genommen und Ronja ein Fotoalbum gebastelt, das einige der schönsten bisherigen gemeinsamen Momente zeigte. „Damit du nie vergisst, dass du eine von uns bist!“, sagte sie als Erklärung und Ronja lächelte überglücklich. Sie war wirklich stolz, Teil einer so coolen Bande zu sein. Sofort musste sie das Album aus der Hand geben, damit ihre Freundinnen es sich angucken konnten. „Ich möchte auch so eines, Isa!“, rief Maxi und Klara fand: „Ja, ich auch, das ist super!“ - „Da hast du dir wohl Arbeit eingebrockt“, lachte Wiebke ihre Cousine an. „Ein Geschenk hast du noch“, erinnerte Merle Ronja und gab ihr Klaras Paket. Es war unheimlich groß und flach. Ronja fragte sich, was es wohl sein konnte. „Eine Schabracke“, stellte sie fest. „Guck, was draufsteht!“, forderte Klara sie auf. „Ronja auf der einen Seite und Randy auf der anderen“, kicherte Ronja und drehte die Schabracke hin und her. „Cool, danke!“, rief sie erneut und bedankte sich bei all ihren Freundinnen.

 

„Jetzt musst du uns aber mal mehr über diese Mangas verraten, die dir so viel bedeuten!“, meinte Maxi und sprang auf, um auf eines der Bilder zu zeigen. „Wer ist das hier zum Beispiel überhaupt?“ – „Können wir uns vorher etwas zu essen holen?“, wollte Wiebke wissen und alle waren begeistert von ihrer Idee. „Aber dann musst du uns alles Wichtige erklären!“, meinte Merle zu Ronja, als sie gemeinsam in die Küche gingen, um sich ihre Teller ordentlich zu füllen. „Das habt ihr alles allein gekocht?“, wollte Ronja ehrfürchtig wissen. „Unsere Eltern haben uns ein bisschen geholfen“, räumte Wiebke ein, die eigentlich das Kochtalent ihrer Mutter teilte.

 

Nachdem Ronja gemeinsam mit Wiebke von ihren Lieblingsmangas erzählt hatte, spielten die Lustigen Hufeisen ein paar Spiele. Natürlich passend zu ihrem Partymotto. Bei verschiedenen Persönlichkeitstests versuchten sie herauszufinden, welchen Charakteren sie am ähnlichsten waren. Für die passende Musik hatte Wiebke gesorgt. Bald hüpften sie übermütig tanzend durch das große Wohnzimmer. „Wo sind deine Eltern überhaupt? Das ist super lieb, dass wir hier feiern dürfen“, meinte Ronja irgendwann zu Merle. „Die sind über das Wochenende weg“, machte die eine wegwerfende Handbewegung. So viel Glück musste man haben, dachte Ronja.

 

Als es um Mitternacht an der Tür klingelte, erschraken die Lustigen Hufeisen für einen Moment. Doch dann fiel Maxi ein: „Klar, das ist die Überraschung!“ – „Noch eine?“, wollte Ronja wissen und erntete Gelächter. Maxi stürmte in Richtung Haustür. „Sollten wir wirklich öffnen? Wir sind doch allein hier“, gab Ronja vorsichtig zu bedenken. „Normalerweise hättest du ja recht, aber das hier ist abgesprochen“, versicherte Klara ihr. Dennoch hielt Ronja sich vorsichtig im Hintergrund, bis sie erkannte, wen ihre Freundinnen da herein ließen. Es waren Maxis Eltern und sie trugen ein paar Tablettes herein. „Ich habe gehört, hier wird gefeiert?“, wollte Maxis Vater wissen und stellte seine Sachen ab. „Ja, Ronja hat Geburtstag!“, rief Isabelle und deutete auf das Geburtstagskind. „Dann sind wir hier wohl richtig“, meinte Maxis Mutter und öffnete die Abdeckung ihres Tablettes.

 

„Das ist ja der Wahnsinn!“, entfuhr es den Mädchen wie aus einem Munde. Maxis Eltern hatten eine Eistorte vorbereitet und mit Ronjas Namen sowie bunten Zuckerblüten verziert. „Cool, ein Mitternachtssnack“, fand Wiebke. „Du musst sie anschneiden!“, forderte Klara Ronja auf und Merle reichte ihr ein Messer. „Haltet eure Teller bereit“, kicherte Wiebke und konnte es kaum abwarten. Mit zitternder Hand schnitt Ronja die Torte an und verteilte die Stückchen an alle. Maxis Eltern wollten nicht länger stören und verschwanden bald wieder. Neugierig linsten die Lustigen Hufeisen unter die anderen Tablettes und entdeckten noch mehr Köstlichkeiten. „Die dachten wohl, wir könnten hier verhungern“, lachte Merle. Dabei hatten schon ihre Eltern dafür gesorgt, dass über das Wochenende ja genug zu essen im Haus wäre. „Du weißt ja, wie Eltern sind“, sagte Maxi grinsend. Ronja lächelte, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob ihre Mutter auch so drauf war.

 

„Wann müsst ihr denn alle nach Hause?“, fragte Ronja, während sie sich ihre Torte auf dem Sofa schmecken ließen. Ihre Freundinnen warfen sich verschwörerische Blicke zu. „Was denn?“, hakte sie nach. „Wir bleiben hier“, verkündete Klara. „Über Nacht?“, wollte Ronja wissen. „Ja, ist das nicht cool?!“, fand Wiebke, die auf eine bessere Übernachtungsparty hoffte, als beim letzten Mal, als sie noch von den Lustigen Hufeisen geärgert worden war. „Aber ich habe gar keine Sachen dabei“, murmelte Ronja. „Deine Mutter hat dir etwas eingepackt und uns gegeben“, verriet Merle. „Wir haben an alles gedacht“, sagte Isabelle stolz. Ronja war überwältigt. Ihre Freundinnen hatten ihr den schönsten Geburtstag aller Zeiten beschert und sie musste nicht einmal zuhause schlafen, mit ihrer Schwester, die sicher wieder lautstark mitten in der Nacht von einer Party käme.

 

Nach der Torte schleppten die Lustigen Hufeisen Ronja unter großem Gelächter die Treppe hinauf. „Du musst es dir einfach ansehen, es ist super!“, versprach Klara. Vor Merles Zimmer blieben sie kurz stehen. „Seid ihr bereit?“, fragte Merle theatralisch. Sie und Klara hatten etwas vorbereitet, während die anderen Ronja eingesammelt hatten. „Mach schon auf!“, rief Maxi ungeduldig und Merle gehorchte. Die Lustigen Hufeisen stürmten in das Zimmer und staunten nicht schlecht. „Was ist das denn?“, rief Wiebke erstaunt. Der gesamte Fußboden war mit mehreren Matratzen ausgelegt worden. „Das ist ein riesiges Bett, in dem wir alle schlafen können“, erklärte Klara. „Wahnsinn, das ist ja super“, fand Ronja und stellte fest, dass sie auch schon ziemlich müde war. „Wollen wir uns schon mal umziehen?“, schlug sie vor. Alle waren einverstanden und krochen bald in ihren Schlafanzügen unter die zahlreichen Decken und Kissen, die Merle und Klara auf den Matratzen verteilt hatten. „Das ist so was von gemütlich“, schwärmte Isabelle und kuschelte sich dicht an ihre Cousine. Noch vor wenigen Wochen wäre das undenkbar gewesen. „Keine Ausreden, heute kommst du in die Mitte“, verlangte Maxi von Ronja, die sonst eher am Rande ihren Platz fand. „Ich weiß, wir sind schon zu alt dafür, aber ich habe ein paar Schlaflichter besorgt, damit es nicht ganz dunkel ist“, meinte Merle, als sie das Licht ausschaltete und es durch die kleinen Lampen noch immer leicht schummrig war. „Das ist doch schön“, fand Klara und erntete Zustimmung. „Das war der schönste Geburtstag aller Zeiten“, schwärmte Ronja und fühlte sich inmitten ihrer Freundinnen verdammt wohl. „Genau das war der Plan“, lachte Wiebke.

 

18. Kapitel

 

Ein weißer Raureif überzog die Landschaft. Weißgraue Nebelschwaden ließen den Himmel milchig wirken. Obwohl es seit Tagen bitterkalt war, war noch keine einzige Schneeflocke vom Himmel gefallen. „Laut Wettervorhersage soll bis zum zweiten Weihnachtstag kein Schnee fallen“, murmelte Klara, die einen kurzen Moment aus dem Fenster schaute. „Wenigstens kommen wir dann sicher zu Oma und Opa“, meinte ihre beste Freundin Merle, die sie zu einem Videonachmittag eingeladen hatte. Aus der Küche strömte ihnen ein Geruch von ihren selbstgebackenen Vanillekipferl entgegen. Im Fernsehen lief gerade ein Märchenfilm. Gerade das passte zu Weihnachten sehr gut, zumal es einen Tag vor Heiligabend war. „Müsst ihr diesen Schwachsinn gucken?“, platzte Felix, Klaras fünfzehnjähriger Bruder, mit seinen Kumpels Leon und Valentin ins Zimmer. „Was wollt ihr hier?“, erwiderte Klara zickig. Da ihr Bruder die DVD-Hülle eines Actionfilms in der Hand hielt, hätte sie die Frage nicht stellen brauchen. „Macht diesen Kleinkinderkram aus?“, rief Felix genervt, der sich vor den beiden Mädchen aufgebaut hatte. „Verzieht euch, wir waren vor euch da“, sprang Merle auf, die keine Furcht hatte, sich drei älteren Jungen entgegen zu stellen. „Nun werde nicht frech, du Gartenzwerg!“, machte Felix ein verächtliches Gesicht. „Wie hast du mich genannt, du hirnloser Affe?“, sprang ihm Merle beinahe mit beiden Füßen voran ins Gesicht. Wegen ihrer Körpergröße gehänselt zu werden, hasste sie über alles. Was konnte sie dafür, dass ihre Eltern nicht die Größten waren und sie gerade mal 1,54m maß? „Felix, warum fragst du nicht Oma und Opa, ob ihr euren Film bei ihnen gucken könnt?“, wandte Klara ein, die eine Lösung für die drohende Eskalation gefunden hatte. Ohne Widerworte dampften die Jungs ab. „Endlich sind wir die Vollpfosten los“, huschte ein Lächeln über Merles Gesicht. „Moment mal, wir müssen die Kipferl aus dem Ofen holen. Hoffentlich sind die noch nicht schwarz“, sprintete Klara auf einmal in die Küche.

 

Am nächsten Morgen wachte Merle vor dem Klingeln ihres Weckers auf. Ob es daran lag, dass sie wegen Heiligabend aufgeregt war? Nein, bereits seit der zweiten Klasse glaubte sie nicht mehr an den Weihnachtsmann. In knapp anderthalb Stunden trafen sich die Lustigen Hufeisen am Stall. Gerade als Merle das Rollo hochfahren ließ, klopfte es an der Tür. „Frohe Weihnachten, mein Engel!“, kam ihre Mutter herein. „Das Frühstück ist vorbereitet.“ – „Ich komme schon“, nickte sie. Mit ihren langen weißblonden Haaren und dem weißen Nachthemd hätte Merle gut als Engel durchgehen können, wenn die Flügel nicht gefehlt hätten. Erstmal packte sie sechs kleine schwarze Schmuckkästchen in ihren Rucksack, die sie auf keinen Fall vergessen durfte. „Was soll ich anziehen?“, betrat sie ihren begehbaren Wandschrank. Nach einigen Minuten hin und her entschied sie sich für eine hautenge schwarze Jeans und einen warmen roten Wollpulli. Dazu passten silberne Ohrringe und eine Kette mit einem Bergkristallanhänger. „Schatz, bist du schon fertig?“, rief ihre Mutter von unten aus der Küche. „Die Kerzen müssen noch angezündet werden.“ – „Jaaa!“, rief Merle leicht genervt und hüpfte die Treppe runter. Kaum hatte sie die geräumige Küche erreicht, bekam sie ein Feuerzeug in die Hand gedrückt. Bereits seit Jahren war es Tradition, dass Merle alle Kerzen auf dem Tisch anzündete und nachschaute, ob das Weihnachtswichtelchen die Schale mit der Milch geleert und die Kekse gegessen hatte, die sie am Vorabend vor die Tür gestellt hatte. Langsam fand Merle die Bräuche kindisch, obwohl sie erst zwölf war. Manchmal wünschte sie sich sehnlichst, dass sie auch schon dreizehn wäre. Vielleicht würden ihre Eltern dann mal ein Auge zudrücken. Ohne viel zu reden, schnitt sie ein ofenfrisches Brötchen auf und goss sich den selbst gekochten Zimtkakao ein. Wie ihre Freundinnen gleich auf ihre Geschenke reagieren würden? Immerhin hatte sie dafür einen Großteil ihres Taschengeldes geopfert.

 

Anderthalb Stunden später ritten die Lustigen Hufeisen vom Hof. Da Maxi wegen ihres Armes immer noch nicht reiten konnte, führte sie Wiebke, die wie eine Schneekönigin auf Alaska thronte. Gerade als sie die ersten Fichten des Waldes erreichten, begann es zu schneien. „Schneeflöckchen, Weißröcken, wann kommst du geschneit“, stimmte Ronja mit ihrer glockenhellen Stimme an. Kein Wunder, dass sie bereits Jahre im Schulchor sang, und bei Auftritten sogar Soli singen durfte. Auch wenn sie im Unterricht Gedichte vortrug, wurden die allergrößten Idioten der Klasse ruhig. „Schneeflöckchen, Weißröckchen“, begann nun auch Klara zu singen, bei der es leicht schräg klang. Bald trällerte die ganze Bande um die Wette. „Wenn wir so weiter singen, bricht gleich noch ein Schneesturm aus“, rief Merle, die auf Arthos an der Spitze ritt. „Man, Schnee habe ich im Moment gar nicht nötig“, nörgelte Maxi. „Davon werden meine Haare nur ganz nass.“ – „Warum hast du dir keine Mütze aufgesetzt?“, sah Isabelle sie streng an. „Und immerhin hast du noch eine Kapuze, Maxi“, erinnerte Wiebke sie. Mit zusammengepressten Lippen zog Maxi ihre Kapuze über ihre schwarzen Haare, die voller weißer Flocken waren. Ihr war als Halbitalienerin anzumerken, dass sie gar nicht der Wintertyp war. „Wollen wir nicht bald zurück? Meine Zehen frieren mir beinahe ab“, maulte Maxi weiter. „Hab dich nicht so, bald sind wir wieder im Warmen“, drehte sich Merle zu ihr um, die daran gedacht hatte, sich wetterfest anzuziehen. „Ich weiß gar nicht, was daran auszusetzen ist, aber ich liebe Schnee einfach. Bald können wir rodeln, Schneemänner bauen und Schneeballschlachten veranstalten“, freute sich Klara und strich sich eine rote Strähne aus dem Gesicht. „Wenn du meinst“, klang Maxi immer noch nicht ganz überzeugt.

 

Das Schneetreiben wurde immer stärker und stärker. „Oh mein Gott, ich sehe bald meine Hand vor Augen nicht mehr“, bekam es Wiebke fast mit der Angst zu tun. „Keine Panik, ich weiß immer noch, wo wir sind“, konnte Isabelle sie beruhigen. Sie kannte die Gegend wie ihre Westentasche. „Lass uns unter den Tannen eine kurze Pause machen und abwarten, bis es nicht mehr so heftig schneit“, schlug Ronja vor. „Gute Idee, Ronnie“, nickte Isabelle. „Langsam werden meine Hände auch kalt“, rieb Ronja ihre Handflächen aneinander. „Wollen wir noch ein bisschen singen?“, grinste Merle breit. „Jingle Bells, Jingle Bells“, fing Ronja an zu singen. Diesmal klang ihr Mädchenchor deutlich melodischer als zuvor. Der Reihe nach stimmten sie Weihnachtslieder an, die sie noch aus Kindertagen kannten. „So, es kann weitergehen, Mädels“, gab Klara Entwarnung. „Gott sei Dank, ich habe gedacht, wir müssten hier den gesamten Heiligabend ausharren“, war Maxi sichtlich erleichtert. Die Landschaft sah wie verzaubert aus und war kaum wieder zu erkennen. Es ging am zugefrorenen Weiher entlang, auf dem eine dünne Schneeschicht lag. „Zum Rodeln reicht es immer noch nicht“, machte Klara ein skeptisches Gesicht. „Warte nur ab, bald wird es wieder schneien“, meinte Isabelle. „Ich liebe diese Landschaft voller Puderzucker“, schwärmte Ronja und schloss kurz die Augen. „Ich liebe Schnee zu Heilig Abend.“ Ein scharfer kalter Wind bewirkte, dass sie alle apfelrote Wangen bekamen. „Wisst ihr, ich bin froh, dass Fabella gerade im Stall ist“, sagte Maxi auf einmal. „Ich bin mir sicher, sie hätte beim Schneesturm die Nerven verloren.“ – „Das nennst du Schneesturm?“, lachte Merle auf. „Dann warst du noch nicht in Norwegen, dort habe ich schon mal einen richtigen Schneesturm erlebt. Wir waren zwei Tage in unserer Hütte eingeschneit.“ – „Das muss ich echt nicht erleben und Norwegen wäre mir auch hundertmal zu kalt. Der milde Winter in Italien liegt mir viel mehr“, klang Maxi nicht sonderlich begeistert. „Kommt lass uns mal zusehen, dass wir ins Warme kommen und um eins muss wieder zuhause sein“, trieb Isabelle die Freundinnen vorwärts. Merle wäre am liebsten ein bisschen länger an der frischen Luft geblieben, trotzdem fügte sie sich ihren Bandenschwestern. Zumal Wiebke und Maxi vor Kälte zitterten.

 

„Hi Mädels, frohe Weihnachten!“, kam ihnen Marlon auf der Stallgasse entgegen, während sie ihre Pferde absattelten. „Frohe Weihnachten“, wünschten ihm Merle und Maxi, die ihm einen lockeren Highfive gaben. Nur Isabelle wirkte wieder nervös und angespannt. „Wir haben nur einen kurzen Ausritt gemacht“, berichtete sie stammelnd und wurde rot. Schnell verzog sie sich in Kandras Box. „Ich habe noch etwas für euch von meiner Mutter“, holte Marlon sechs kleine Schokonikoläuse aus seiner Jackentasche. „Vielen Dank, du bist einfach der Beste!“, fiel ihm Merle um den Hals. „Kein Ding“, lachte er. „Die kommen eh von Mama.“ Isabelle wusste nicht, wo sie hinschauen sollte. Je länger sie in seine Richtung sah, desto schummriger wurde ihr. Gab es ein schnell wirksames Heilmittel gegen starkes Verliebtsein? „Dann wünsche ich euch noch frohe Weihnachten“, wünschte er den Freundinnen. „Sag mal, kommst du nachher auch zur Kirche?“, rief Merle ihm hinterher. „Aber sicher“, nickte er im Weggehen. „Cool, dann treffen wir uns alle im Gottesdienst wieder“, freute sich Merle. „Los, ich habe Appetit, ich will etwas essen“, schloss Ronja ihr Bandenquartier auf. Schon vor Wochen hatten es sich die Mädchen dort gemütlich gemacht und den kleinen Raum weihnachtlich geschmückt. Isabelle und Wiebke zündeten den kleinen Ofen an. „Schön warm!“, streckte Maxi ihre klammen Finger in Richtung des kleinen Feuers aus. „Wir waren lang genug draußen“, fand Ronja, die jeder Freundin heißen Apfelpunsch einschenkte. „Auf Weihnachten, auf unsere Freundschaft“, hob Merle ihren Becher. „Auf die Lustigen Hufeisen!“, riefen die Mädchen übermütig im Chor. „Bis vor ein paar Wochen hätte ich nie gedacht, dass ich mit euch hier sitzen würde“, strahlte Wiebke über beide Wangen. Klara stellte ihre selbst gebackenen Kipferl, eine Packung Lebkuchen, Dominosteine und Spekulatius auf den niedrigen Couchtisch. „Mist, in einer Stunde muss ich zuhause sein“, stellte Isabelle mit einem Blick auf ihre Armbanduhr fest. „Aber du hast doch mindestens vierzig Minuten Zeit“, meinte Merle. „Ihr müsst auf jeden Fall noch mein Geschenk sehen.“ – „Oh ja, wir haben auch noch etwas für euch“, sagten Isabelle und Wiebke gleichzeitig. „Wir haben gestern Pferdeleckerlies gebacken“, erzählte Wiebke stolz und drückte jeder Freundin eine Tüte in die Hand. „Ich kann mal probieren, wie sie schmecken“, nahm Klara ein Leckerli aus der Tüte und biss drauf. „Haha, Klara du Scherzkeks!“, bekam Maxi einen Lachkrampf. „Bist du jetzt auch ein Pferd?“, kommentierte Isabelle und wieherte, was bei den Bandenmädchen einen größeren Lachanfall zur Folge hatte. Als nächstes verteilte Ronja fünf selbst gebastelte Karten, auf die sie jeweils ein Bandenfoto geklebt und schön verziert hatte. Maxi schenkte jeder Freundin eine Flasche Nagellack in ihrer Lieblingsfarbe und Klara hatte für Jede eine Schmetterlingsspange gebastelt. „Hey, jetzt will ich meine Geschenke verteilen“, rief Merle, die nicht mehr warten konnte.

 

„Und was hast du für uns?“, wurde Maxi neugierig und knibbelte bereits die goldene Schleife ab. „Etwas Besonderes im Zeichen unserer Bande“, tat Merle geheimnisvoll. „Dann spann uns nicht länger auf die Folter!“, wurde Klara hibbelig. „Wir öffnen die Kisten, wenn ich auf null runtergezählt habe“, sagte Merle und begann von zehn runter zu zählen. „Was ist das?“, rief Ronja. „Ahh, wie cool!“, platzte Maxi vor Freude, „Das sind ja Armbänder!“ In jeder Kiste lag ein geflochtenes Armband in Rot und mit einem strassbesetzten silbernen Hufeisenanhänger. Dazu baumelte an jedem Armband ein weiterer Anhänger mit dem Anfangsbuchstaben des Vornamens der jeweiligen Trägerin. „Danke Merle, das muss dich ein Vermögen gekostet haben“, fiel ihr Ronja um den Hals. „Das könnte unser zukünftiges Bandenzeichen sein“, freute sich Isabelle. „Jetzt weiß ich, was uns jahrelang gefehlt hat.“ – „Als Bandenzeichen war es auch gedacht“, nickte Merle und freute sich, dass ihr Geschenk besonders gut ankam. „Jeder der dieses Armband trägt, ist eine von uns“, sagte Klara stolz. „Hey, bindet euch diese Bänder um und dann mache ich ein Foto davon“, forderte Maxi ihre Freundinnen auf. Nachdem die Mädchen sich ihre Bänder um ihre Handgelenke gebunden hatten, machte Maxi mit ihrem Smartphone ein Foto. „Nun können wir jedem beweisen, dass wir eine Bande sind“, lächelte Ronja und nahm Wiebkes und Isabelles Hände. „Ein Hoch auf uns! Ein Hoch auf die Hufeisen! Ein Hoch auf Weihnachten!“, stimmten sie an.

19. Kapitel

 

„Mama, dürfen Wiebke und ich nun Silvester bei Merle feiern oder nicht?“, sprach Isabelle beim Weihnachtskaffeetrinken das Thema Silvesterparty an. „Seid ihr alleine oder sind Erwachsene dabei?“, fragte ihre Mutter, die immer noch leicht skeptisch drein schaute. „Natürlich sind Erwachsene dabei, schließlich veranstalten Merles Eltern die große Party“, schwang eine gewisse Selbstverständlichkeit in Isabelles Stimme mit. „Ach bitte, es wäre mega cool, wenn wir mit unseren besten Freundinnen feiern könnten“, bettelte nun auch Wiebke. „Du bist erst zwölf“, sah Wiebkes Mutter sie eindringlich an. „Na und? Trotzdem sind wir keine Babys mehr“, gab Wiebke trotzig zurück. „Ich fühle mich zumindest nicht mehr wie ein kleines Kind.“ – „Außerdem sind ziemlich viele Freunde und Nachbarn von Merles Eltern eingeladen“, fuhr Isa fort. „Und Merles Eltern kennen wir auch ziemlich gut, wir haben schon oft bei ihnen übernachtet.“ – „Von mir aus darfst du zu Merles Party gehen, Isa“, gab Isabelles Mutter ihr Okay. „Dann kommt Wiebke auch mit“, bestimmte Isabelle. „Okay, Wiebke darf meinetwegen auch mit auf die Party gehen“, gab Tante Hilda nach. „Aber nur unter einer Bedingung, du rufst uns alle zwei Stunden einmal an und um ein Uhr nach Mitternacht hole ich dich ab“ – „Ach, wieso darf ich nicht bei Merle schlafen, wie alle anderen Mädchen“, war Wiebke immer noch nicht ganz zufrieden. „Wenn du bei Merle schlafen willst, musst du ihre Eltern fragen“, sagte ihre Mutter dazu. „Hilda, das erlaubt Merle uns auf alle Fälle, wir haben schon so oft bei ihr übernachtet und es gab noch nie Probleme“, mischte sich Isabelle ein. „Okay, ich bringe Isa und Wiebke abends zu Merle und hole sie am nächsten Vormittag ab“, wandte sich Isabelles Mutter an ihre Schwester. „Hurra!“, jubelten die beiden Cousinen und gaben sich einen Highfive. „Darf ich auch mit auf die coole Party?“, sah Tim die beiden Mädchen an. „Was willst du mit sechs Mädchen, die alle älter sind als du? Du bist gerade erst zehn geworden“, lachte Isabelles Mutter.

 

„Ich muss sofort unseren Freundinnen Bescheid geben, dass wir auch kommen dürfen“, wisperte Wiebke aufgeregt. „Yeah, unser erstes Bandensilvester kann kommen“, strahlte Isa vor Glück. Wiebke zückte ihr nagelneues Smartphone, das sie zu Weihnachten bekommen hatte. Eifrig begann sie, eine Nachricht an alle ihre Freundinnen zu schreiben. Wiebke war die Freude an diesem neumodischen Gerät anzusehen. Endlich konnte sie mit den anderen Mädchen mithalten, was den technischen Standard betraf. Selbst Klara hatte zu Weihnachten ein neues Handy bekommen, das alles Wichtige konnte. Nun fehlte nur noch Ronja, die kein so tolles Handy besaß. „Wie schön, dass ihr kommt! Ich freue mich schon riesig auf euch Beiden“, antwortete ihnen Merle sofort im Hufeisen-Chat. „Kommt noch jemand, den wir kennen?“, fragte Isa im Chat. „Na klar, Marlon und Ellen sind auch eingeladen“, bejahte Merle. „Oh mein Gott!“, hauchte Isabelle und bekam ganz rote Backen. „Na, bist du wieder verknallt?“, zog ihre Cousine sie auf. „Pass auf, was du von dir ausgibst!“, drohte ihr Isabelle mit der Kuchengabel, aber musste dabei lachen. Wieder vibrierten die Handys der beiden Mädchen. „Das wird eine sensationelle Sause mit den besten Freundinnen der Welt“, überschlug sich Maxi beinahe vor Euphorie. „Maxi, bringst du deinen Freund mit?“, fragte Klara. „Nein, der feiert bei ein paar Kumpels“, antwortete Maxi. Gott seid Dank! Isabelle atmete erleichtert auf. Es wäre nicht auszumalen gewesen, wenn sich ein Lackaffe namens Patrick den ganzen Abend lang an die Fersen ihrer Freundin geheftet hätte. „Das wird bestimmt super toll!“, drückte Wiebke Isabelles Hand unter dem Tisch. Isabelle konnte ihre Freude nur teilen. Es würde das erste Silvester ohne ihre Eltern und dafür mit ihrer Bande sein.

 

Am Silvestervormittag trafen sich die Mädchen am Stall. Wie es seit zwei Jahren üblich war, unternahmen sie einem Silvesterausritt. „Hoffentlich böllern die Idioten da draußen nicht jetzt schon“, meinte Maxi, während sie Wiebke half, Alaska fertig für den Ausritt zu machen. „Ach was, wir reiten eh durch den Wald, da ist niemand“, widersprach ihr Isabelle. Klara und Merle tuschelten aufgeregt miteinander. „Hey, warum steckt ihr so die Köpfe zusammen?“, sah Isa sie streng an, die es gar nicht gern hatte, wenn heimlich hinter ihrem Rücken gesprochen wurde. „Es geht nur um Ronnies Überraschung“, erwiderte Merle. „Überraschung? Welche Überraschung?“, verdattert ließ Ronja ihren Striegel fallen. „Wirst du noch gleich nach dem Ritt sehen“, sagte Klara. Jedes Mädchen wusste, was die Überraschung für Ronja werden sollte, nur Ronja nicht. „Hey, lasst uns los, sonst wachsen Alaska ich noch auf der Stelle fest“, führte Maxi die kleine Schimmelstute nach draußen in die Kälte. „Ja, wir kommen schon“, gab Ronja leicht genervt zurück. Wiebke folgte ihr und schwang sich auf Alaskas Rücken. Mittlerweile klappte das Aufsteigen ohne Probleme und ihr Sitz hatte sich auch schon ziemlich gebessert. Nicht mehr lange und Wiebke könnte genauso ausreiten wie ihre Freundinnen. Maxi bestand allerdings darauf, Wiebke zu führen, da sie wegen ihres Armes immer noch nicht reiten konnte. Zwar war der Gips schon ab, aber trotzdem musste sie ihren Arm noch schonen. „Auf, auf, Mädels!“, übernahm Isabelle die Führung der Kolonne.

 

Es war wieder ziemlich kalt. Nachdem vor einigen Tagen der Schnee weg getaut war, hatte es in der Nacht gefroren. Raureif überzog die Gräser und selbst der Weiher war von einer dünnen Schicht milchigen Eises überzogen. In der Ferne hörten sie die ersten Böller. „Wehe, es böllert jemand direkt vor unserer Nase, den reite ich persönlich über den Haufen“, machte Merle eine drohende Handbewegung. „Meine Brüder hatten heute Morgen auch schon Kracher gezündet“, rollte Klara mit den Augen. „Die Dinger machen bloß bumm und verpuffen, dabei leuchten sie noch nicht einmal schön.“ – „Beruhigt euch, hier knallt keiner und im Bauernhaus wohnt nur das alte Ehepaar“, drehte sich Isabelle zu ihren beiden Freundinnen um. Am schwarzweißen Fachwerkhaus trafen sie keine Menschenseele an. „Sieht irgendwie verlassen aus“, stellte Ronja fest. „Stimmt, hier waren wir schon mal“, erinnerte sich Maxi. „Wisst ihr noch, als wir im Sommer zum See geritten sind und wir in ein heftiges Gewitter gekommen sind?“ – „Na klar, das war vielleicht ein Abenteuer“, nickte Klara.

 

Nach dem Ausritt wollte Merle mit ihrer Überraschung nicht länger warten und drückte Ronja ein kleines weißes Kästchen in die Hand. „Das ist ein super modernes Handy!“, jubelte sie und fiel Merle um den Hals. „Hast du so viel Geld, dass du ihr ein Smartphone schenken kannst?“, machte Isa große Augen. „Papa hat für seine Firma ein paar Diensthandys bestellt, allerdings blieben noch zwei Handys übrig. Als ich vorschlug, dass Ronja eins davon haben könnte, sagte er, dass es klar ginge“, erzählte Merle. „Das Beste ist, dein Handy besitzt eine Sim-Karte, die wir schon frei geschaltet haben“, fuhr Klara fort. „Und wir haben alle deine neue Nummer schon eingespeichert, Ronnie“, fügte Maxi hinzu. „Natürlich haben wir unsere Nummern auch in deinem Adressbuch eingegeben und natürlich die von Ellen und Marlon“, sagte Isabelle. „Wow, wie genial seid ihr denn“, geriet Ronja ins Schwärmen. „Ich muss schon sagen, ihr seid weltklasse Freundinnen. Ich nehme es euch gar nicht mehr übel, dass ihr seit Tagen etwas zu verbergen hattet.“ Die Mädchen musste sehr eng mit ihren Köpfen zusammen rücken, als Ronja ihr erstes Selfie schießen wollte. „Willkommen im Club der Smartphonies!“, gab Klara ihr einen Highfive. „Endlich bin ich up to date und muss nicht mehr mit meinem alten Tastentelefon durch die Gegend laufen“, konnte Ronja ihr Glück immer noch nicht fassen. „Hey, was gibt es für einen Grund zu feiern, Mädels?“, tauchte Marlon vor ihnen auf. „Ich habe Ronnie ihr erstes richtiges Handy geschenkt“, erwiderte Merle. „Wie cool!“, fand Marlon. „Wann kommst du nachher?“, wollte Merle wissen. „Muss ich mit meiner Mutter absprechen“, erwiderte er und verschwand.

 

Am späten Nachmittag verbrachten Isabelle und Wiebke etwas mehr eine Stunde im Badezimmer. „Meinst du, dass mir fliederfarbener Lidschatten steht?“, sah Isabelle zweifelnd in den Spiegel. „Klar, zu deinen blauen Augen passt das“, nickte ihre Cousine. Nachdem sie sich geschminkt und ihre Haare auffällig frisiert hatten, legten die beiden Mädchen Ketten und Armbänder um, und steckten sich lange glitzernde Ohrringe rein. „Hey, wir sehen aus wie Partymäuse“, drehte sich Isabelle um ihre eigene Achse. „Uns wird niemand mehr für zwölf oder dreizehn halten“, lachte Wiebke, die in einem dunkelblauen Baumwollkleid und hochgesteckten Haaren überhaupt nicht wie eine Zwölfjährige aussah. „Beeilt euch, wir müssen noch Ronja abholen“, klopfte Isabelles Mutter an die Tür. „Wir kommen schon“, riss Wiebke die Tür auf und erschlug fast ihre Tante. „Nana, nicht so schwungvoll, meine Liebe!“, lachte sie kurz auf. Gemeinsam brachten sie ihre Taschen und Schlafsäcke ins Auto. „Gleich geht es los, unsere erste Silvesterparty ohne Eltern“, konnte Isa ihr Glück kaum fassen. Ronja wohnte ein paar Minuten von ihnen entfernt. Mit einem breiten Lächeln wartete sie vor dem Mehrfamilienhaus, in dem sie wohnte. Auf ihrem Kopf thronte ein gelbgrüner Federhaarreifen, der ihre wilden Locken zähmte. „Willst du als Sambatänzerin gehen?“, scherzte Isabelle. „Kann man so sagen, ich kenne eine Mangafigur, die so einen ähnlichen Haarreifen trägt“, nickte sie und öffnete ihre Jacke. Darunter kam ein hellgelbes Oberteil mit einem bunten Muster zum Vorschein. „Das habe ich zum ersten Mal an und ich dachte, es könnte zur Feier passen“, sagte sie. „Ach stimmt, das hat dir Maxi zum Geburtstag geschenkt“, erkannte Isabelle das Kleidungsstück wieder.

 

Maxi und Klara waren bereits bei Merle, als die drei Mädchen eintrafen. „Wie cool, jetzt sind wir vollständig, Mädels“, fiel Maxi allen überschwänglich um den Hals. Sie sah spitze in ihrem orangeroten Kleid aus, dazu trug sie schwarze Ballarinas und eine Nylonstrumpfhose. An ihren Ohrläppchen glitzerten Diamantenohrstecker und ihr Haar hatte sie zur Seite gekämmt. „Du siehst wie Selena Gomez aus“, fand Wiebke. „Wirklich?“, erwiderte Maxi ungläubig. Doch daran, dass sie leicht rot wurde, war ihr anzusehen, dass sie sich über das Kompliment freute. Klara und Merle hatten sich im Zwillingsstil gekleidet. Beide trugen ein neonoranges schulterfreies Oberteil und eine enge Röhrenjeans, die mit glitzernden Strass Steinen verziert war. Dazu hatten sie sich beide einen frechen Seitenzopf geflochten. „Wie Zwillinge!“, fand Isa. „Obwohl Merle blond und blauäugig ist und Klara rote Haare und grüne Augen hat.“ – „Erst einmal müssen wir in meinem Zimmer das Schlaflager herrichten“, ging Merle voran die Wendeltreppe hoch. Die Freundinnen folgten ihr mit ihren Taschen und Schlafsäcken. Maxi stimmte einen bekannten Partysong an und sofort waren auch ihre Freundinnen in Singlaune. Während sie ihr Nachtquartier her richteten, stimmten sie einen Hit nach dem anderen an. Lachend ließen sie sich auf dem großen Bandenbett nieder.

 

Es kamen immer mehr Gäste, aber die meisten davon waren Isabelle und ihren Freundinnen fremd. Bevor die Party startete, wurde gegessen. Im Wohnzimmer waren zwei lange Tischreihen aufgebaut und es gab ein Büffet. Merles Vater hatte sogar einen Cateringservice kommen lassen. Es gab belegte Sandwichs, Lachsspieße, Schnitzel, Salate, Baguettes, Rührei, Pommes, Hamburger und eine große Auswahl von Nachtischen. „Ich platze gleich, wenn ich noch mehr Tiramisu esse“, hielt sich Wiebke den Bauch. „Nicht nur du, die ist aber auch extrem lecker“, löffelte Maxi bereits ihre zweite Portion Nachtisch. „Wahrscheinlich sind wir bis zum Neujahr so kugelrund, dass wir durch die Gegend rollen können“, scherzte Merle. „Genau, wir sind die rollenden Rollmopse, das Partyhighlight des Abends“, setzte Klara obendrauf, worauf sich die ganze Bande vor Lachen bog und sich erst einkriegte, als sich Ronja an ihrer Fanta verschluckte. „Wo bleibt eigentlich Marlon?“, suchten Isabelles Augen die Tischreihen nach ihrem Schwarm ab. „Er kommt später, er isst gerade mit seiner Familie beim Griechen“, wusste Merle Bescheid. Nach dem Essen ging es nach unten in den Keller, dort war ein großer Partyraum. Als die Mädchen die Hausdisco betraten, wummerte bereits die Musik und bunte Lichter blitzten und leuchteten um die Wette. „Wie in einem richtigen Nachtclub!“, schwärmte Maxi und zog ihre Freundinnen auf die Tanzfläche. Lachend hielten sich die sechs Freundinnen an den Händen und bewegten sich zur Musik. Am anderen Ende des Raumes war eine Videoleinwand aufgebaut, dort sollte ein Karaoke Wettbewerb stattfinden. „Ihr habt einen richtig großen Partyraum“, rief Ronja gegen die Lautstärke an. „Das ist unser ganzer Stolz“, nickte Merle. „Papa hat sogar eine Biertheke einbauen lassen.“ Langsam füllte sich die Hausdisco. Anstatt zu tanzen, bestanden die meisten Erwachsenen auf ein alkoholisches Getränk. Gut gelaunt tanzte Isabelle mit Maxi einen Diskofox. Da ihre beste Freundin ihr ein paar Tänze beigebracht hatte, konnte sie ein bisschen tanzen. Neben ihnen bildeten Ronja und Wiebke ein Tanzpaar und natürlich tanzten Merle und Klara zusammen. Immer wieder schaute Isa sich um, aber Marlon konnte sie zwischen den Partygästen nicht finden. Vielleicht feierte er doch woanders. „Hallo, ihr Sechs! Ihr seht aber chic aus“, kam Ellen an ihnen vorbei. „Wenn Ellen da war, musste Marlon auch hier sein“, schlussfolgerte Isabelle.

 

Auf einmal stoppte die Musik und Merles Mutter stellte sich auf das kleine Podest vor der Videoleinwand. „Guten Abend liebe Gäste, willkommen zum Karaoke Wettbewerb“, sprach sie in ihr Mikro. „Meine Tochter Merle wird den Wettbewerb mit ihrer besten Freundin Klara eröffnen.“ Sofort brandete Applaus auf. Die beiden Mädchen sangen ein Lied ihrer jungen Lieblingssängerin, wozu ihr freches Outfit besonders gut passte. Anschließend kamen Ronja und Maxi mit einem ruhigeren ausdrucksvolleren Lied an die Reihe. Einige Leute holten ihre Feuerzeuge aus der Tasche und wippten mit. „Sie haben so eine schöne Stimme“, war Wiebke hin und weg. „Klar, sie singen deshalb auch im Schulchor“, bejahte Isabelle. Nach ihnen waren einige Erwachsene dran, bis Marlon mit einem dunkelhaarigen Mädchen in einem weißen Kleid auf die Bühne trat. Die Beiden hatten sich für ein richtig kitschiges Liebeslied entschieden. Isa war völlig von den Socken. Erstens war sie peinlich berührt, ihren Schwarm singen zu hören, und zweitens hielt er die Hand des Mädchens. „Sag mal, warum verkrampfst du so, Isa?“, berührte Ronja sie an der Schulter. „Marlon“, murmelte sie nur und fügte lautlos hinzu. „Ich glaube, er hat eine Freundin.“ Als letztes gaben Merles Eltern einen Countrysong zum Besten. „Wie peinlich, wenn meine Eltern singen“, konnte Merle kaum hingucken. Nach dem Karaoke Wettbewerb ging die Feier weiter. Isabelle ließ Marlon keinen Augenblick aus den Augen. Schon wieder klebte das Mädchen an ihm. Eng aneinandergeschmiegt glitten sie über die Tanzfläche. Isabelles Herz begann zu rasen und ihr brach der kalte Schweiß aus. Er hatte eine Freundin! Es war nicht zu leugnen. Sicherlich war sie in seinem Alter und mit ihren langen glänzenden Haaren sah sie aus wie eine griechische Göttin. Isabelle fühlte sich wie ein hässliches Entlein und neben ihr tanzte ihr Prinz mit dem Schwan. Bei diesem Gedanken wurde ihr speiübel. Dass Marlon das Mädchen nach einem Song auf dem Mund küsste, brachte das Fass zum Überlaufen. Sie musste hier raus und zwar auf der Stelle! Hier drin würde sie bloß ohnmächtig werden und zu Boden sinken. An dutzenden Gästen drängelte sie sich vorbei. Ihre Freundinnen tanzten immer noch ausgelassen. Isabelle war elendig zumute. Eine Welt war innerhalb einem kurzen Moment für sie zusammen gebrochen.

 

Sie schloss sich auf der nächsten Gästetoilette ein, dort konnte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Schluchzend sank auf dem Toilettendeckel in sich zusammen. Was war das nur ein fürchterlicher Abend! Hätte sie doch lieber mit ihrer Familie gefeiert, dann wäre ihr das Desaster erspart geblieben. Immer mehr Tränen strömten ihr über die Wangen. Selten hatte sie in dem Ausmaß geweint, wie jetzt. „Du bist selbst schuld, dass du dir ihn nicht rechtzeitig gekrallt hast, denn du bist ja zu feige, um normal mit ihm zu sprechen“, schimpfte ihre innere Stimme voller Zorn. Je mehr sie an ihr verfehltes Glück dachte, desto trauriger wurde sie und ihre Tränen tropften zu Boden, die sich mit der Schminke vermischt hatten. Am liebsten wollte sie nach Hause gehen und sich in ihrem Bett verkriechen. „Ich werde mich monatelang zurück ziehen“, nahm sie sich vor und wischte sich mit ihrem Handrücken über ihr Gesicht. Entschlossen zückte ihr Handy und wollte zuhause anrufen, damit ihre Eltern sie abholten. „Isa!“, hörte sie ihre Freundinnen im Wechsel rufen. „Isa, wo steckst du?“ Isabelle antwortete nicht. „Isa, mach endlich die Tür auf!“, hörte sie Klara rufen, die an der Türklinke rüttelte. „Isabelle, du bist hier! Das wissen wir ganz genau. Meine Mutter hat dich auf die Toilette flitzen sehen“, rief Merle energisch und hämmerte gegen die Tür. „Komm schon, Isa, mach die Tür auf. Wir machen uns schon richtige Sorgen um dich“, vernahm sie Ronjas sanfte Stimme.

 

Zaghaft drehte Isabelle den Schlüssel im Schloss um. Zu fünft drängten sich ihre Freundinnen in das kleine Badezimmer. „Was ist los?“, fragte Wiebke. Maxi schloss Isa ohne etwas zu sagen in ihre Arme. Wieder übermannten Isabelle die Tränen. „Hätte ich gewusst, dass Marlon eine Freundin hätte, dann hätte ich dich vorgewarnt“, streichelte ihr Merle über den Arm. „Aber davon hatte er mir gar nichts erzählt.“ – „Ich bin so enttäuscht“, heulte Isa vor ihren Freundinnen los. „Ich will nicht mehr feiern, ich will nur weg von hier!“ Der Rest von dem, was sie sagen wollte, ging ein unverständliches Gejaule über. Schweigend wurde sie von allen Seiten umarmt. Gerade war die Stimmung unter die Nullgerade in den Minusbereich gerutscht. „Kommt Mädels, wir gehen in Merles Zimmer“, beschloss Klara. Auf dem Weg nach oben hakten sich Maxi und Ronja bei Isabelle unter. „Erstmal werden wir dein Make-up richten. Gerade hast du große Ähnlichkeiten mit einem Halloweenmonster“, holte Merle ihr Schminkzeug. Ronja setzte Isabelle vor Merles Schminktisch und begann, sie abzuschminken. Bevor Merle mit dem Schminken anfing, startete Klara eine lustige Pantomimeshow, und tanzte wie ein Clown auf und ab. Nach und nach machten die anderen Mädchen mit. Sie kugelten sich vor Lachen und spornten sich gegenseitig zu Albereien an. Erst brachte Isa ein zaghaftes Lächeln über die Lippen, dann lachte sie herzhaft mit, und stürzte sich in das Getümmel ihrer Freundinnen. Nach einer Weile war ihr nicht mehr anzumerken, dass sie bitterlich geweint hatte. „Jetzt kommt die Schminke“, setzte Merle sie auf den Hocker vor dem großen Spiegel. Zusammen mit Maxi richtete sie Isabelles Make-up wieder her. „Das sieht bombig aus!“, fand Wiebke. „Und wollen wir wieder feiern?“, fragte Klara beschwingt in die Runde. Diesmal hatte sogar Isabelle nichts dagegen einzuwenden. Hand in Hand polterte sie mit Merle die Treppe herunter. Im Partyraum war die Hölle los. Es tanzten mehr Leute als zuvor. Selbst Merles Eltern boten einen schwungvollen Paartanz und ihre Reitlehrerin Ellen tanzte mit ihrem Mann. Auch die Lustigen Hufeisen tanzten, bis ihnen die Beine wehtaten. „Mädels, es ist gleich Mitternacht“, raunte Ronja. Nun verstummte die Musik und die Silvesterparty am Brandenburger Tor wurde life auf der Leinwand übertragen. „Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, null“, begannen einige Leute den Countdown runter zu zählen. „Frohes neues Jahr!“, rief Merles Vater in die Menge und dann knallte ein Tischfeuerwerk. Ein Konfettiregen ging über die Feiernden nieder.

 

Wenige Minuten später ging es nach draußen. Die Mädchen zündeten sich gegenseitig ihre Wunderkerzen an. Über ihnen zerplatzen unzählige Raketen und leuchteten in den schönsten Farben. Merles Vater ging zur Straße und zündete eine Feuerwerksbatterie. Minutenlang schossen bunte Kugeln in den schwarzen Nachthimmel. Mit beeindruckten Gesichtern standen Merle, Klara, Maxi, Isabelle, Ronja und Wiebke nebeneinander und hielten sich schweigend an den Händen. Isabelle fühlte sich zwischen ihren Freundinnen pudelwohl, immerhin hatte sie die beste Bande der Welt und war auf Marlon nicht angewiesen. Ihre Freundinnen hatten ihr über die große Enttäuschung hinweg geholfen und dafür gesorgt, dass der Abend doch noch ganz schön wurde. „Hallo, ihr Lustigen Hufeisen, frohes neues Jahr!“, winkte ihnen Marlon zu, der seine Freundin an der Hand hielt. „Marlon, machst du ein Bild von uns?“, rief Merle. „Gerne doch“, nickte er. „Halt, wir müssen noch Wunderkerzen anzünden!“, rief Klara und zündete sie der Reihe nach an. Über Maxi, Isa und Ronja gelangte das Feuer bis zu Wiebke. Lächelnd ließen sich die Mädchen von Marlon ablichten. „Das war eine unvergessliche Nacht, das wiederholen wir nächstes Jahr“, schwärmte Ronja. „Dann ohne Liebeskummer und sonstige Enttäuschungen“, fügte Isabelle hinzu. Das neue Jahr hatte begonnen und jedes Mädchen hatte seine Wünsche und Pläne für die kommende Zeit im Kopf.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.08.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Svenni Ja widmet dieses Buch ihren treuesten Lesern: Ihrem Freund und ihrer besten Freundin Anna. Betty widmet dieses Buch Kora.

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