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1. Teil

„Wie ist es gelaufen?“, wollte Denise aufgeregt von Annika wissen, die gerade ihren Holsteiner Fuchswallach Cypron aus dem Pferdeanhänger führte. „Wir sind Dritte geworden“, seufzte Annika und tat so, als wäre das ein Ergebnis, für das man sich schämen müsste. „Das ist doch super“, fand Denise anerkennend und auch ich gratulierte meiner Freundin, die jedoch noch ein bisschen schmollen wollte. Vielleicht wollte sie aber auch nur weiter von uns hören, wie toll sie war. Manchmal konnte ich das nicht genau einschätzen. Annika, Denise und ich, Jaquellin, waren so etwas wie beste Pferdefreundinnen. Vor allem im Stall waren wir unzertrennlich. Aber nur Annika besaß den Ehrgeiz, mit ihrem Pferd Cypron auf Turniere zu fahren, um sich mit anderen Vierzehnjährigen zu messen. Ganz so enttäuscht war sie dann auch gar nicht, denn sie brachte den Wallach stolz in seine Box, und präsentierte jedem, den sie traf, ihre Schleife an seiner Trense. Mit etwas Abstand folgten Denise und ich ihr. Im Vorbeigehen streichelte ich meiner Rappstute Dorina über die Nase. Sie hatte neugierig geschaut, als sie meine Schritte gehört hatte. Denise hingegen hatte nur noch Augen für Annika und Cypron. „War es sehr schwer?“, wollte sie gerade von ihr wissen. Annika tat großspurig: „Es ging so, war nicht meine Lieblingsdressur.“ Der Sommer hatte gerade erst begonnen und schon war sie mit ihren Eltern auf die ersten Turniere in der Umgebung gefahren. Wahrscheinlich hatte sie schon fast jedes Wochenende mit den Wettkämpfen verplant. Ich hingegen wollte den Sommer mit Dorina ganz gemütlich verbringen. Wir würden lange Ausritte machen und im kühlen abendlichen Schatten auf dem Platz reiten.

 

„Kommt ihr mit ins Reiterstübchen?“, schlug Annika vor, als Cypron versorgt war. „Ich möchte gucken, ob Fabian schon da ist.“ Das war ja klar. Fabian war der Sohn unserer Reitlehrerin und Stallbesitzerin. Genau wie Annika ritt er mit seinem Pferd auf zahlreichen Turnieren. Hier im Stall gaben sie sich kumpelhaft, aber wir wollten es nicht erleben, dass sie einmal gegeneinander antreten mussten. Dann wären sie sicher die größten Konkurrenten, die man sich vorstellen konnte. Denise und ich folgten Annika und bald darauf betraten wir das Reiterstübchen. Tatsächlich saß Fabian allein an einem der Tische und beobachtete von dort aus die Reiter in der Halle durch eine große Scheibe. Als ich ihn entdeckte, musste ich grinsen, und wurde gleichzeitig etwas rot im Gesicht. Ich wusste, dass das peinlich war, konnte aber nichts dagegen machen. Es passierte einfach. Allein hätte ich mich auch nie getraut, was Annika jetzt tat. Sie ging selbstbewusst zu Fabian, der ein Jahr älter war, als wir, und setzte sich mit uns im Schlepptau einfach zu ihm.

 

„Wie ist es bei dir gelaufen?“, wollte Annika neugierig von ihm wissen. „Ziemlich gut, ich habe ein E-Springen gewonnen“, sagte der Junge stolz. „Wow, cool“, fand Denise. Ihre offene Bewunderung war mir manchmal etwas unangenehm. Natürlich war auch ich beeindruckt von den Leistungen der Beiden. Aber das musste ich ja nicht so überdeutlich sagen. Während Fabian und Annika ihre Ergebnisse und Erlebnisse austauschten, hing Denise an ihren Lippen. Ich hingegen beobachtete die Reiter in der Halle. Auch Fabians Mutter, unsere Reitlehrerin Linda, ritt dort gerade. Es sah wirklich super aus, wie sie mit ihrem Pferd arbeitete. Davon waren wir noch meilenweit entfernt. Obwohl zumindest Annika und Fabian ehrgeizig darauf hin arbeiteten. Auch Denise und ich nahmen mit unseren Pferden an Lindas Reitunterricht teil. Doch man konnte deutliche Unterschiede zu den beiden Turnierreitern erkennen. Die diskutierten gerade ihre Anmeldungen für die kommenden Wochenenden. Da konnten Denise und ich nicht mitreden.

 

Überhaupt gab es bei Annika in letzter Zeit kein anderes Thema mehr, als ihr Training, und die Vorbereitung auf diverse Turniere. Zum Glück hing sie auch in der Schule hauptsächlich mit uns rum. Die anderen Mädchen hätten sie damit wahrscheinlich längst aufgezogen. Doch wir waren anders. Denise himmelte Annika allein schon aufgrund ihrer Erzählungen vom Erfolg an. Und ich war allgemein etwas nachsichtiger mit unserer Freundin. Ich kannte ja ihren Ehrgeiz und gönnte ihr die Erfolge ebenso, denn sie trainierte hart dafür. Doch irgendwie ahnte ich schon, dass sie sich für diese Saison noch mehr vorgenommen hatte, als sonst. Selbst im Schulbus, wo wir drei uns auf einen Doppelsitz quetschten, kannte Annika nur ein Thema. Dabei hätte mich viel mehr interessiert, ob sie oder Denise das neue Mathethema verstanden hatten. „Wollen wir uns vielleicht mal zum Lernen treffen?“, schlug ich vorsichtig vor und unterbrach damit Annika, die verächtlich schnaubte. „Gute Idee“, fand Denise. „Und wann soll das stattfinden?“, mischte sich Annika ein und erklärte: „Ich trainiere jeden Abend und am Wochenende…“ – „Ja, ich weiß, da bist du auf dem Turnier“, vollendete ich ihren Satz. Ihr gewichtiges Getue ging mir langsam auf die Nerven. Jetzt zog sie eine Schnute und ich sagte: „Denise und ich haben auch eigene Pferde und müssen das alles auf die Reihe bekommen.“ – „Und wir wollen Mathe einfach nicht verhauen“, stimmte Denise mir zu. „Es wäre schön, wenn du auch zum Lernen kämest“, versuchte ich, Annika zu besänftigen. Doch sie sagte nur: „Ich weiß noch nicht, ob ich die Zeit dafür finde.“

 

Am Nachmittag trafen wir uns im Stall und begannen, unsere Pferde zu putzen. Das Fell meiner schwarzen Oldenburger Stute sah super aus, doch gegen Cypron hatten wir wohl keine Chance. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Pflegemittel Annika in sein Fell schüttete, damit er so glänzte, wie eine Pferdefigur. Fairerweise musste ich zugeben, dass sie ihn mit dem Striegel bearbeitete, als ginge es um ihr Leben. „Lass ihm doch noch ein bisschen Fell für die Übergangszeit“, sagte ich grinsend zu Annika. Wir deckten unsere Pferde im Winter ein, aber natürlich entwickelten sie trotzdem etwas Winterfell. „Ich will aber nicht, dass Cypron so zottelig aussieht“, gab sie zurück und ich war mir nicht sicher, ob sie meine Stute Dorina meinte, oder das braune Connemara Pony von Denise. „Er sieht doch nicht zottelig aus“, meinte ich und Annika sagte: „Richtig und das war harte Arbeit.“ Das glaubte ich sofort. Doch auch unsere Pferde sahen gepflegt aus, wenn auch nicht, wie einem Pferdemagazin entsprungen, wie Cypron. „Es ist so schön draußen“, schwärmte Denise und fragte: „Wollen wir einen kleinen Ausritt machen?“ Ich lächelte und war begeistert: „Ja, gerne.“ So schönes Frühlingswetter mussten wir einfach ausnutzen. Doch Annika war ganz anderer Meinung: „Ich dachte, wir würden heute mal was tun.“ – „Das machen wir doch an allen anderen Tagen“, sagte ich, aber sie rief: „Nein, ich möchte mit Cypron Dressur reiten.“ – „Bist du ganz sicher?“, hakte Denise noch einmal nach. „Natürlich bin ich das“, meinte Annika energisch. Ich startete einen letzten Versuch: „Du trainierst immer so hart, gönn dir doch diesen Ausritt.“ – „Wir gönnen uns schon genug und ich möchte am Wochenende gern gewinnen“, antwortete Annika und damit war das Thema für sie beendet.

 

Als wir mit unseren Pferden aus dem Stall kamen, beschlich mich ein Verdacht. Auf dem Dressurviereck arbeitete Fabian gerade mit seinem gewaltigen Trakehner Wallach Revel. Der Braune sah wirklich traumhaft aus, das musste man ihm lassen. Wollte Annika am Ende nur mit Cypron Dressur reiten, um mit Fabian allein zu sein? Obwohl wir selten offen darüber sprachen, war irgendwie klar, dass wir alle ein bisschen für ihn schwärmten. „Na, was habt ihr vor?“, wollte er jetzt von uns wissen und kam zu uns geritten. „Trainieren natürlich“, antwortete Annika und er nickte verständnisvoll. „Wir reiten eine Runde ins Gelände“, erklärte Denise. Selbst ihr fiel es leichter, mit Fabian zu reden, als mir. „Das hört sich toll an“, fand der und seufzte dann: „Ich würde auch gern ausreiten, aber meine Mutter möchte sich gleich noch ansehen, wie Revel und ich uns machen.“ Annika strahlte. Mit etwas Glück würde sie also nicht nur mit Fabian allein reiten, sondern noch eine kleine Gratisreitstunde von seiner Mutter bekommen. „Also mir macht das Training Spaß“, verkündete sie gerade und Fabian meinte: „Mir auch, aber ab und zu brauche ich einen schönen Ausritt zur Abwechslung.“ Das sah ich genauso, aber leider traute ich mich nicht, das laut zu sagen. „Ich wünsche euch viel Spaß“, rief Fabian uns noch zu und trabte Revel dann eindrucksvoll aus dem Stand an. „Euch auch viel Spaß“, entgegneten Denise und ich im Chor.

 

Am hingegebenen Zügel ließen wir unsere Pferde in den nahe gelegenen Wald bummeln. Es war ein wunderschöner Tag und ich konnte regelrecht spüren, wie die Natur langsam wieder aufblühte. Dorina atmete die frische Luft genauso tief und begeistert ein, wie ich. Denise nahm die Zügel ihres Ponys etwas mehr auf, nachdem es versucht hatte, sich ein paar zarte Äste von den Pflanzen am Wegesrand zu schnappen. „Frechdachs“, sagte Denise gespielt streng zu ihm und kraulte Arion den Hals. Eine Weile genossen wir die entspannte Ruhe und ritten schweigend nebeneinander her. Irgendwann seufzte ich: „Es ist so schade, dass Annika nicht mitkommen wollte.“ Denise nickte nachdenklich. Normalerweise waren wir drei im Stall unzertrennlich. Aber Annika hatte sonst auch gern mal einen Ausritt mit uns unternommen. Ich hoffte, dass sie das auch in Zukunft noch machen würde, und der heutige Tag eine Ausnahme bliebe. „Ich kann verstehen, dass sie trainieren möchte. Cypron ist ein tolles Pferd“, fand Denise und sah etwas wehmütig aus. Während Annika und ich recht große Warmblüter besaßen, gehörte Denise das Endmaßpony Arion. Manchmal klang es, als wünschte sie sich auch ein Großpferd, doch das war wohl finanziell nicht möglich. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob sie sich dafür von Arion getrennt hätte. „Es spricht ja nichts dagegen, dass sie trainiert und uns trotzdem mal ins Gelände begleitet“, sagte ich nun und Denise stimmte mir zu. Auch, wenn man uns Beide wohl als Freizeitreiter bezeichnen konnte, ritten wir unsere Pferde täglich ordentlich Dressur.

 

„Ich habe tolle Neuigkeiten!“, rief Annika ein paar Tage später, als wir uns bei Denise zum Lernen trafen. Zwar war Annika der Meinung, dass sie diese Zeit lieber mit dem Training mit Cypron hätte verbringen sollen, doch ihre Mutter sah das ganz anders. Deshalb saßen wir nun zu dritt vor unseren ausgebreiteten Mathebüchern und Heften. „Fabian hat mir erzählt, dass seine Mutter eine Turnierfördergruppe gründen möchte“, sprudelte es aus Annika heraus, während ich versuchte, mich an die erklärenden Worte unseres Mathelehrers zu erinnern. „Genau genommen werden es sogar zwei Gruppen“, fuhr Annika fort. „Eine für die Dressurreiter und eine zum Springen.“ Ein unangenehmer Gedanke bahnte sich den Weg durch meine Gehirnwindungen. Wie gut verstand sie sich eigentlich mit Fabian, dass er ihr so etwas sofort mitteilte? Ich schob meine alberne Eifersucht beiseite und hörte, wie Denise fragte: „In welcher Gruppe würdest du gern mitreiten?“ – „In beiden natürlich“, lautete Annikas unbescheidene Antwort, die uns eigentlich nicht hätte wundern sollen. Schließlich kannten wir unsere ehrgeizige Freundin ja gut genug. Gerade wollte ich fragen, wer denn irgendwas in Mathe verstanden hatte, da fragte Denise: „Wonach entscheidet Linda, wer in die Turniergruppen kommt?“ – „Nach Können natürlich“, erklärte Annika hochmütig. Natürlich, dachte ich ein bisschen wehmütig, ohne genau zu wissen, warum. „Also strengt euch in der nächsten Reitstunde an!“, forderte Annika Denise und mich auf. Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, ob sie das ernst meinte, und uns eine Aufnahme in die Turniergruppe wirklich zutraute. Als wir uns ein paar Stunden später auf den Weg nach Hause machten, hatte ich nicht das Gefühl, dass ich in Mathe auch nur ein Stückchen weiter gekommen wäre. Es hatte sich stattdessen wieder einmal alles um Annika und ihre ehrgeizigen Pläne gedreht.

 

Am Mittwochabend fand unsere wöchentliche Reitstunde statt. Nun erzählte uns Linda ganz offiziell von ihren Plänen, eine Dressurfördergruppe und eine Springfördergruppe einzurichten. Annika, die am vergangenen Wochenende eine E-Dressur gewonnen hatte, lächelte gewinnend. Sie war sich ihrer Sache wohl schon sehr sicher. Das konnte ich ihr nicht verdenken, denn sie machte auf und mit Cypron einfach eine gute Figur. Scheinbar mühelos ritt sie ihn locker in die Verbindung. Wenn ich dagegen an meine eigene eher bescheidene Leistung dachte… Ich saß nicht annähernd so erhaben im Sattel. Bisher ließ Dorina sich nur ein kleines bisschen fallen. „Hand stehen lassen, mehr inneres Bein, Jacky!“, lauteten Lindas Anweisungen, als ich auf den Zirkel abwendete. „Schulter gerade halten, Absatz tief, denk an dein langes Bein!“, rief die Reitlehrerin weiter. Zwar hatte ich auf meiner wunderbaren Oldenburger Stute einen ruhigen Sitz, doch er war durchaus noch verbesserungswürdig. Anders sah es dagegen bei Denise aus. Wie ich fand, hatte sie einen vorbildlichen Grundsitz. Doch Linda rief ihr zu: „Du musst das Vorwärts mehr aus der Hinterhand entwickeln. Nimm das Tempo erst einmal etwas zurück.“ Arion, das Connemara Pony, hatte ziemlich zockelige Bewegungen und lief viel auf der Vorderhand. Genau das wollte Linda ändern, doch Denise tat sich bisher schwer damit. Ähnlich ging es mir mit meinem Sitz. Und Annika? Sie sah wirklich großartig aus auf Cypron. Alles wirkte bei ihr so einfach und natürlich.

 

„Kannst du uns schon verraten, wer in den Turniergruppen mitreiten darf?“, wollte Annika von Linda wissen, als wir unsere Pferde nach der Stunde trocken ritten. Unsere Reitlehrerin lächelte und rief uns zu sich. Wir waren eine schöne Dreiergruppe, wie zumindest ich fand. Annika, Denise und ich hatten gemeinsam bei Linda reiten gelernt und schließlich im selben Jahr von unseren Eltern eigene Pferde bekommen. Von Anfang an hatten wir uns gut verstanden und ritten nun schon ziemlich lange einmal pro Woche in unserer gemeinsamen Reitstunde. Nun standen wir ganz aufgeregt nebeneinander und erwarteten Lindas Urteil. „Annika, dich würde ich gern in der Dressurfördergruppe sehen“, verkündete sie. „Und wenn du es dir vorstellen kannst, dann auch in der Springfördergruppe.“ Obwohl es nicht verwunderlich war, dass unsere Freundin es tatsächlich in beide Turniergruppen geschafft hatte, war ich beeindruckt. Dann betrachtete Linda Denise und mich und schien genau zu überlegen, was und wie sie uns sagen sollte. Dann drückte sie sich ziemlich deutlich aus: „Ich glaube, ihr Beiden seid noch nicht so weit. Aber wir werden weiter gemeinsam daran arbeiten, eure Reitkünste noch zu verbessern.“

 

Ich atmete tief durch und versuchte, meine durcheinander gewirbelten Gefühle zu sortieren. Mir war eigentlich klar gewesen, dass ich noch nicht gut genug für eine Turniergruppe war. Und genau genommen war ich auch gar nicht der Typ dafür. Mir fehlte der nötige Ehrgeiz. Trotzdem war ich ein kleines bisschen enttäuscht. Denn ein naiver und träumerischer Teil von mir hatte irgendwie mit einem Wunder gerechnet. Dass ich auch in eine der Gruppen käme und zur Abwechslung mal jemand von mir beeindruckt wäre. Denise sah fast etwas erleichtert aus. Vielleicht darüber, dass sie nicht als Einzige nicht ausgewählt worden war, sondern diese Schmach mit mir teilte. Ob sie sich vielleicht auch Hoffnungen gemacht hatte? Als Linda uns allein ließ, fiel mir auf, wer wirklich enttäuscht aussah. Das war Annika. „Ihr hättet euch mehr Mühe geben sollen“, fand sie und sah uns herausfordernd an. „Ich glaube nicht, dass das noch etwas geändert hätte. Linda wusste bestimmt schon vorher, wer gut genug für die Turniergruppen ist“, verteidigte Denise sich und ich seufzte: „Dorina und ich haben alles gegeben. Mehr ist einfach nicht drin.“ Annika warf Dorina einen beinahe mitleidigen Blick zu und sagte dann zu mir: „Bei Dorina wäre sicher noch eine ganze Menge mehr drin.“ Ich ahnte, was sie mir damit sagen wollte, doch ich verkniff mir eine Antwort auf diesen bissigen Kommentar. Wie schon gesagt, ich war ein nachsichtiger Mensch, der viel aushalten konnte-gerade unter Freunden.

 

Nachdem wir unsere Pferde versorgt hatten, tauschten wir in der Sattelkammer die Reitstiefel gegen unsere ausgelatschten Stallturnschuhe. „Was wird denn jetzt aus unserer Reitgruppe?“, fragte Denise wehmütig und strich sich ihre dunklen Locken aus dem Gesicht. „Wie meinst du das?“, wollte ich erstaunt wissen und hatte das Gefühl, total auf dem Schlauch zu stehen. Auch Annika sah aus, als hätte sie keine Ahnung, worauf Denise hinaus wollte. „Ist doch klar, Jacky“, behauptete die nun. „Wenn Annika in beiden Turniergruppen reitet, sind wir in unserer Reitgruppe nur noch zu zweit.“ Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Doch Annika meinte: „Ich habe nie gesagt, dass ich unsere Stunde am Mittwoch streiche.“ Da hatte sie allerdings Recht. „Du willst drei Reitstunden pro Woche nehmen?“, hakte Denise überrascht nach und Annika antwortete schulterzuckend: „Warum denn nicht?“ – „Ist das nicht etwas viel?“, wollte nun auch ich wissen. „Von nichts kommt nichts“, meinte unsere Freundin altklug. „Wenn du meinst“, gab ich lächelnd zurück. „Jacky hat recht“, beharrte Denise. „Das ist wirklich ziemlich viel.“ – „Lasst das mal meine Sorge sein“, beruhigte Annika uns und betrachtete das Thema damit als beendet.

 

Unaufhaltsam näherte sich uns die Mathearbeit, vor der uns gleichermaßen graute. Ich hatte es aufgegeben, mit meinen Freundinnen zu lernen, und es stattdessen allein versucht. Ob das eine gute Idee gewesen war, würde ich sehen, wenn wir die Arbeit zurückbekämen. Aufgeregt versammelten sich die Schüler nach der Klassenarbeit auf dem Schulflur und tauschten sich aus. „Hast du die letzte Aufgabe noch geschafft, Jacky?“, wollte Denise von mir wissen. „Ja, aber ich glaube nicht, dass das richtig ist“, seufzte ich und sie tröstete mich: „Wenigstens hast du da etwas geschrieben. Ich hatte keine Zeit mehr. Aber dafür müssten die anderen Aufgaben halbwegs richtig sein.“ – „Könnt ihr mal das Thema wechseln?“, forderte Annika uns auf und sah ziemlich missmutig aus. Wahrscheinlich war es bei ihr weniger gut gelaufen. Wir waren alle keine Mathegenies, aber wir versuchten immer, eine Drei zu schreiben, wenn es irgendwie ging. Doch wir hatten schon bemerkt, dass Annika in der Schule etwas absackte. Und das war nicht nur in Mathe so. „Hast du in Englisch alles verstanden?“, wollte ich von Denise wissen, als wir uns auf den Weg zur Bushaltestelle machten. Sie nickte erfreut und bot mir an: „Wenn du magst, kann ich es dir erklären.“ Dankbar nahm ich an, denn das würde mir sehr helfen. „Wie sieht es bei dir aus?“, fragte ich Annika, die schweigend neben uns ging. „Keine Zeit, ich muss gleich zum Springtraining und am Wochenende aufs Turnier“, wehrte sie ab. Sie sah uns streng an und meinte: „Ihr kleinen Streber könntet echt mal aufhören, auch nach der Schule nur über die Schule zu reden.“ Das war leichter gesagt, als getan, denn es näherten sich unaufhaltsam die Ferien, und uns wurden haufenweise Klassenarbeiten abverlangt.

 

Natürlich kümmerten auch Denise und ich uns um unsere Pferde. Am Abend ritten wir in der Halle, während die Turniergruppe auf dem Springplatz war. Es war ja nicht so, dass wir Dorina und Arion nicht richtig bewegten. Wir gaben in der täglichen Dressurarbeit wirklich unser Bestes

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 20.08.2015
ISBN: 978-3-7396-1012-2

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