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Nur Fußball

„Kannst du wenigstens so tun, als würdest du mir zuhören?“, seufzte Luc genervt und schritt wie ein militärischer Befehlshaber zwischen dem Fernseher und seinen Freunden auf und ab. „Was sagst du?“, hakte Fleur nach und hielt es nicht für nötig, von ihrem Modemagazin aufzublicken. Vic knuffte sie in die Seite und sah sie streng an. „Als ob du mir ernsthaft die Regeln erklären müsstest“, wehrte sie empört ab und fügte abfällig hinzu: „Wir reden hier schließlich nur von Fußball!“ Lucs Augen begannen wütend zu funkeln und Vic zuckte nur mit den Schultern, als Fleur in ihrem Magazin weiterblätterte. „Und du glaubst, du kennst die Fußballregeln?“, wollte Luc von ihr wissen und sah sie herausfordernd an. „Ja, so ungefähr“, gab sie zurück. „So ungefähr?“, wiederholte Luc ungläubig. Seufzend schlug seine Freundin das Magazin zu und erklärte: „Wir haben doch schon öfter zusammen Fußball geguckt. Wie schwer kann das schon sein? Das Runde muss ins Eckige oder so.“ – „Ganz so simpel ist es aber nicht“, hielt Luc dagegen. Fleur lachte künstlich auf und sagte: „Hast du dir die Leute mal angeguckt, die auf unserer Schule Fußball spielen? Die Regeln müssen simpel sein!“ Nun mischte Vic sich ein und fragte seine Freundin streng: „Wie kannst du nur immer vom Aussehen der Leute auf ihre Intelligenz schließen?“ Fleur zuckte die Schultern und Luc warf ihr vor: „Du schreibst auch nicht gerade Bestnoten.“ – „Das mag sein, aber ich bin bestimmt nicht simpel“, meinte Fleur grinsend. Vic und Luc warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Da hatte das Mädchen wohl Recht.

 

Es war das zweite Halbjahr ihres Schuljahres und von nun an würden die drei Freunde im Fußballkurs mitspielen. Luc freute sich wie verrückt darauf. Er wollte endlich allen zeigen, was er konnte. Bei Vic hingegen hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Generell war er nicht der sportlichste Typ-sehr zum Leidwesen seines Vaters, der ein angesehener Tennislehrer war. Und Fleur versuchte schon seit einiger Zeit, eine geeignete Ausrede zu finden, um sich vor dem Fußballspielen zu drücken. Leider hatten die Jungs sie bisher jedoch immer durchschaut. Nun war es bereits zu spät, um sich einen Grund einfallen zu lassen. Schon am nächsten Tag sollten die drei Freunde zum ersten Mal zum Training kommen.

 

„Weißt du denn schon, was du anziehen wirst?“, wollte Luc von seiner Freundin wissen, und sie begann zu kichern. Normalerweise war sie es, die den Jungs diese Frage stellte, und dafür sorgte, dass ihre Outfits zusammen passten. „Und ob ich weiß, was ich anziehe“, grinste das Mädchen nun. „Marco hat mir ein Trikot geschickt, als ich ihm erzählt habe, dass ich Fußball spielen muss.“ – „Cool“, fand Vic und wunderte sich einmal mehr, wie eng der Kontakt seiner Freundin zu dem Südfranzosen war, den sie auf einer Modeschau kennen gelernt hatte. „Zeigst du mir das Trikot?“, wollte Luc von Fleur wissen. Überrascht meinte sie: „Natürlich, kommt mir!“ Gemeinsam stapften die drei aus der Wohnung von Lucs Eltern in die von Fleurs Eltern, die direkt gegenüber lag. Auch Lucs Schäferhund Coquin folgte ihnen neugierig bis in Fleurs Zimmer. Aus ihrem übergroßen Kleiderschrank zog sie ein Fußballtrikot heraus und hielt es stolz vor den Jungs in die Luft. Luc atmete tief ein und sagte dann: „Zieh das lieber nicht an.“ Erstaunt sah sie ihn an und fragte: „Aber wieso denn nicht?“ – „Das ist das Trikot der Mannschaft aus Marseille“, erklärte Luc. „Na und?“, hakte Fleur nach und verstand das Problem nicht. Natürlich war das Trikot aus Marseille, denn dort wohnte Marco schließlich. „Die Fußballfans aus Paris und Marseille sind nicht gerade die besten Freunde“, erklärte Luc. „Du könntest dich damit im Fußballkurs schnell unbeliebt machen.“ Fleur seufzte genervt und meinte: „So schlimm? Es ist doch nur Fußball!“ – „Den Satz solltest du dir morgen vielleicht auch verkneifen“, schlug Vic vorsichtig vor.

 

„Na gut, dann habe ich leider nichts zum Anziehen und kann nicht Fußballspielen“, sagte Fleur grinsend. Mit einem kritischen Blick auf den vollen Kleiderschrank meinte Luc: „Du und nichts zum Anziehen?“ – „Nichts, worin ich Fußball spielen könnte“, hielt sie dagegen. „Vergiss es, diese Ausrede funktioniert nicht!“, sagte Luc streng. „Es war einen Versuch wert“, murmelte das Mädchen schmollend. Tatsächlich wusste sie nun nicht, was sie tragen sollte. Ihre Auswahl an Sportkleidung hielt sich in Grenzen. Und das, was sie zum Joggen und im Fitnesscenter trug, konnte sie doch unmöglich beim Fußball anziehen. „Okay, dann muss ich mir wohl etwas überlegen“, meinte Fleur nachdenklich und stand grübelnd vor ihrem Schrank. „Sollen wir dir irgendwie helfen?“, schlug Vic vor. Luc und Fleur sahen ihn beide mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Danke, aber ich schaffe das schon irgendwie“, gab Fleur zurück und war sich nicht sicher, ob das stimmte. „Vergiss nur nicht, dass wir zum Sport gehen, und nicht auf eine Modeschau“, erinnerte Luc sie und bekam einen bösen Blick von ihr zugeworfen.

 

„Fleur! Chérie!“, tönte die Stimme ihrer Mutter durch die Wohnung und einen Augenblick später stand Madame Moulin im Zimmer ihrer Tochter. „Ach, ihr seid alle hier“, stellte sie mit einem Blick auf Luc, Vic und Coquin fest. Dann überreichte sie Fleur eine Tüte und sagte: „Nadine hat von Marco erfahren, dass du Fußball spielen musst. Sie meint, du sollst Schienbeinschoner tragen, damit du dir nicht die Beine für deine Modelkarriere verdirbst.“ Nadine war Marcos Mutter und genau wie Fleurs Mutter ein erfolgreiches Model. Mit spitzen Fingern zog das Mädchen die Schienbeinschoner aus der Tüte und sah sie angewidert an. „So etwas trage ich nicht!“, entfuhr es ihr empört. „Ich weiß, sie sehen furchtbar aus“, seufzte ihre Mutter dramatisch. Vorsichtig räusperte Luc sich und erklärte: „Das sieht man nicht, weil die Stulpen darüber gezogen werden.“ – „Oh, du weißt, wie das getragen wird? Sehr gut!“, meinte Madame Moulin erleichtert zu dem Jungen. „Muss das denn wirklich sein?“, hakte Fleur nach und verzog vielsagend das Gesicht. „Wenn es dich davor bewahrt, zerschrammte Beine zu bekommen, dann sollte diese Modesünde begangen werden“, philosophierte ihre Mutter. „Vielleicht beruhigt es dich ja, dass alle im Fußballteam solche Schienbeinschoner tragen“, erklärte Luc. Doch das beruhigte seine Freundin ganz und gar nicht. Eher das Gegenteil war der Fall. „Super, dann gehören wir ab morgen auch offiziell zu diesen Clowns“, stöhnte sie genervt. Wenn es etwas gab, das sie noch weniger ausstehen konnte, als Hosenanzüge, dann war es, etwas zu tragen, das vermeintlich „alle“ trugen. „Wie schon gesagt, es werden Stulpen über die Schienbeinschoner gezogen“, meinte Luc. „Und was sollen Stulpen im Fußball bitte sein?“, hakte Fleur nach und verdrehte die Augen. „Kniestrümpfe“, übersetzte Vic für sie. „Das wird ja immer besser“, sagte das Mädchen sarkastisch und war ein paar knielanger Sportsocken in seine Sporttasche.

 

„Hör schon auf zu schmollen, Fleur“, sagte Luc, als er sich später mit Vic und Coquin verabschiedete. „So schlimm wird es schon nicht.“ – „Und was, wenn doch?“, wollte sie wissen und zog eine Schnute. „Dann denk daran, dass das ganze Unheil seinen Lauf nahm, als du uns gegen unseren Willen in den Theaterkurs eingetragen hast“, erinnerte Luc sie grinsend. „Und denk du daran, dass du ohne Vics Hilfe für immer allein im Politikkurs stecken würdest“, feuerte Fleur zurück. „Okay, das reicht. Ihr könnt euch morgen weiter streiten, ihr Kleinkinder“, entschied Vic und beendete die Kabbelei seiner Freunde. „Das werden wir auch“, versprach Fleur und streckte Luc lachend die Zunge heraus.

Ein echtes Mädchen

 

„Hast du noch passende Klamotten gefunden?“, wollte Vic am nächsten Tag wissen als sie sich nach der letzten Stunde auf den Weg zur Sporthalle machten. Luc fand es irgendwie schräg, wenn Vic so mit seiner Freundin redete. Das kam wohl daher, dass die Beiden so viel Zeit miteinander verbrachten. Fleur spannte Vic immer gern ein, wenn sie keine Lust hatte, irgendetwas allein zu machen. „Ich glaube schon, dass ich etwas Passendes gefunden habe“, seufzte Fleur und Luc hoffte, dass sie unter „passend“ das gleiche verstand, wie er. Die Idee mit dem Trikot war grundsätzlich ja keine schlechte gewesen. Und trotzdem hätte Fleur damit nicht unbedingt zum Training kommen sollen. „Bis gleich“, rief Fleur ihren Freunden zu und verschwand in der Mädchenumkleidekabine.

 

Mit gemischten Gefühlen erwartete Luc Fleur auf dem Sportplatz. Nach und nach kamen die anderen Mädchen der Mannschaft aus der Kabine gelaufen. Nicht, dass er damit gerechnet hätte, dass sie als eine der Ersten käme. So gut kannte er sie schon und er wollte auch gar nicht wissen, was sie noch alles machte. „Jetzt guck doch nicht so verkrampft“, versuchte Vic seinen Kumpel aufzumuntern. Doch Luc sah ihn nur unverwandt an. Als Fleur endlich aus der Umkleidekabine auf den Sportplatz kam, hielten die beiden Jungen den Atem an. Das Mädchen legte einen filmreifen Auftritt hin. Der Wind spielte mit ihrem langen, offenen Haar, und jeder Schritt glich dem eines Models auf dem Laufsteg. In ihrem Outfit sah sie allerdings eher aus, wie ein Cheerleader. Fleur trug enge Hotpants und ein T-Shirt, das bei unbedachten Bewegungen einen Blick auf ihren Bauch gewährte. Zwar hatte sie die Sportsocken bis zu den Knien hochgezogen, doch darunter erkannte Luc keine Schienbeinschoner. Sie hätte auch in Kalifornien skaten gehen können. Zu allem Überfluss hatte Fleur ihre rosafarbenen Laufschuhe angezogen. Einige der anderen Mädchen lachten sie ziemlich offensichtlich aus, doch die Jungs sahen aus, als würden sie jeden Moment anfangen zu sabbern.

 

„Das nennst du passend?“, hakte Luc fassungslos nach. „Wir sind doch hier nicht beim Yoga!“ – „Wer hat mir denn verboten, mein Trikot anzuziehen?!“, gab Fleur zurück und hielt hilflos ihre Schienbeinschoner in der Hand. „Ich habe das nicht hinbekommen“, murmelte sie und sah Vic an. „Ich helfe dir“, beschloss der und führte Fleur zu einer Bank am Rande des Fußballfeldes. Luc folgte den Beiden und verdrehte genervt die Augen. „Hättest du nicht eines der anderen Mädchen um Hilfe bitten können?“, wollte er von seiner Freundin wissen, als Vic sich vor sie kniete, um ihr zu zeigen, wie sie die Schienbeinschoner anlegen musste. „Welche anderen Mädchen? Meinst du diese Mannsweiber?“, fragte Fleur hochmütig, denn ihr war nicht entgangen, dass sie sich über sie lustig gemacht hatten. „Du kennst sie doch noch gar nicht richtig“, protestierte Vic. „Hast du dir die mal angesehen? Wie sie rumlaufen, wie sie reden, und diese dicken Waden…“, hielt Fleur dagegen. Vic unterbrach sie und erklärte: „So trägt man Schienbeinschoner.“ – „Unnützes Wissen“, murmelte seine Freundin wenig dankbar und folgte den beiden Jungs aufs Spielfeld.

 

Als ein Mann in unmodischem Trainingsanzug mit eiligen Schritten auf das Spielfeld kam, ahnte Fleur es schon. Das musste ihr Kursleiter und Fußballtrainer sein. Irgendwie erinnerte er sie sofort an einen Ausbilder von der Armee-nur ohne schmucke Uniform. „Hallo Team!“, brüllte der Mann seinen Kurs zur Begrüßung an. „Hallo Trainer!“, antworteten die Schüler lautstark. Der Blick des Mannes wanderte zu Luc, Vic und Fleur. „Ihr seid die Neuen?!“, stellte er fest und die Drei nickten. „Ich bin euer Trainer, Aymon Gaillard, aber ihr dürft mich Trainer nennen“, verkündete der Mann. „Ob ich ihn auch Drill Instructor nennen darf?“, flüsterte Fleur ihren Freunden zu. Doch die beiden Jungs waren von Aymon so eingeschüchtert, dass sie nichts dazu sagten. Dafür sagte ihr Trainer etwas. Er fuhr Fleur an: „Haare zusammenbinden!“ – „Sind Sie verrückt? Wissen Sie, was so ein Gummiband mit der Haarstruktur anstellt?“, fauchte Fleur zurück und erntete schockierte Blicke von allen Seiten. Bedrohlich ruhig erklärte Aymon: „Haare zusammenbinden! Wir sind hier nicht beim Cheerleading. Und ein kleiner Tipp für die Zukunft: Ich wiederhole mich nicht gerne.“ Fleur funkelte ihn an, sagte aber nichts mehr. Luc und Vic ahnten schon, dass dieser Krieg gerade erst begonnen hatte.

 

Missmutig band Fleur ihre Haare zu einem lockeren Zopf. „Meinst du, das hält?“, hakte Luc nach und sie belehrte ihn: „Ist mir doch egal! Von diesen übertrieben festgezogenen Pferdeschwänzen wird die Gesichtshaut gespannt und dann gibt es Pickel!“ So genau hatte Luc es gar nicht wissen wollen. „Warmlaufen!“, rief Aymon und sein Team begann, auf der Bahn um das Fußballfeld zu laufen. „Was findest du bloß so toll an Fußball? Das ist das reinste Bootcamp! Sogar die Frisur wird uns vorgeschrieben!“,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 08.04.2015
ISBN: 978-3-7368-8844-9

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Für Charlie Hebdo! Von einem Journalisten

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