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Ein Pferd für Gewinner

Ein Pferd für Gewinner

 

„Schön die Hand stehen lassen!“, rief unsere Reitlehrerin Daniela durch die Reithalle, doch sie meinte nicht mich. Heute kritisierte sie meine Freundin Kim auffallend häufig, dabei hätte ich auch ein paar Tipps gebrauchen können. Unter mir zockelte das Reitschulpony Maggie vor sich hin. Noch lief alles super, doch ich ahnte schon, dass der Linksgalopp wieder eine kleine Katastrophe werden sollte. Damit lag ich auch ganz richtig. Als es so weit war, galoppierte Lisann an der Spitze unserer Abteilung auf ihrer Trakehnerstute ruhig und beinahe schwunglos an. Dahinter sprang das Deutsche Reitpony Darika unter Kim hektisch los. Maggie dagegen lief nach außen gestellt, obwohl ich mir alle Mühe gab, sie gerade zu reiten. „Außengalopp!“, rief Daniela mir zu. Das hatte ich auch schon bemerkt. Ich parierte durch zum Trab und probierte es noch einmal-jedoch vergeblich. Maggie entglitt meiner Kontrolle. „Hol sie dir noch mal zurück und probiere es in Ruhe!“, ordnete Daniela an und wandte sich Kim und Lisann zu, die auf einem Zirkel galoppierten. Langsam ging ich mit Maggie in eine Volte. Dann vergrößerte ich die Wendung und gab erneut die Galopphilfe. Endlich klappte es und sie lief in einem angenehmen Linksgalopp. „Sehr schön, Fiona!“, lobte unsere Reitlehrerin mich und ich war stolz, es allein geschafft zu haben. Nach einem kurzen Galopp arbeiteten wir im Trab weiter. Daniela nahm sich nun einen nach dem anderen von uns einzeln vor. Auch, wenn ich für Maggie eigentlich schon ein bisschen zu groß war, und nicht alles perfekt klappte, mochte ich sie. Heute lief sie insgesamt sehr gut, und ich lobte sie ausgiebig, als unsere Reitstunde vorbei war. Auch Daniela war zufrieden mit unserer Leistung. Da wir an diesem Tag die letzte Reitgruppe waren, ließ sie uns allein trockenreiten und die Pferde versorgen. Kim kam auf Darika neben mich geritten und Maggie legte drohend die Ohren an. „Nicht ganz so dicht bitte“, erinnerte ich meine Freundin. Sie ging gar nicht darauf ein, sondern sprudelte aufgeregt hervor: „Ich bekomme ein eigenes Pferd! Stell dir das mal vor, Fiona! Ist das nicht der Wahnsinn?!“ Im ersten Moment wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Eigentlich kam das gar nicht überraschend. Wenn Kim etwas haben wollte, dann bekam sie das meist ohne große Verzögerung. Ich hatte mich daran gewöhnt und hielt meinen Neid im Zaum. Schließlich war Kim meine beste Freundin und ich gönnte es ihr natürlich, ein eigenes Pferd zu bekommen. Neugierig kam Lisann zu uns und fragte: „Du bekommst ein Pferd? Was soll es denn für eines werden?“ Das wusste Kim noch gar nicht genau. Ihre Eltern hatten ihr erst kurz vor der Reitstunde eröffnet, dass sie ihr diesen Wunsch erfüllen würden, und sie konnte es noch immer kaum glauben.

 

Gemeinsam brachten wir die Pferde weg und Kim konnte gar nicht mehr aufhören, davon zu schwärmen, wie toll es mit einem eigenen Pferd sein musste. Ich musterte Lisann, die seltsamerweise nicht mit einstimmte. Ihre Mutter hatte erst vor einigen Wochen die Trakehnerstute Calima gekauft, auf der Lisann ritt. Zwar war ihre Mutter Reitanfängerin, erwartete von ihrer Tochter aber immer Höchstleistungen. Ich stand in Maggies Box, träumte vor mich hin und lauschte Kims Schwärmerei. Ja, es musste wahnsinnig schön sein, ein Pferd ganz für sich allein zu haben. Maggie stupste mich sanft an und ich musste lächeln. Sie war ein bisschen klein, aber ein tolles Pony. Ihr dunkelbraunes Fell glänzte mit der großen Blesse um die Wette. Mir war klar, dass ich großes Glück hatte, sie reiten zu dürfen. Maggie war meine Reitbeteiligung, ich ritt sie drei Mal pro Woche. Einmal im Unterricht und zweimal allein. Darika, ebenfalls ein dunkelbraunes Deutsches Reitpony, war Kims Reitbeteiligung. „Na, seid ihr soweit?“, wollte eine freundliche Stimme auf der Stallgasse wissen und wir schreckten aus unserem Gequatsche auf. Es war Kims Vater, der sie wie immer abholte, obwohl sie gar nicht weit weg wohnte. Auch Lisanns Mutter kam und deutete streng auf ihre Uhr. Während die Beiden mit ihren Eltern in die Autos stiegen und vom Hof rollten, stieg ich auf mein Fahrrad und radelte los.

 

Ohnehin musste ich in eine ganz andere Richtung, als Kim und Lisann. Sie wohnten mit ihren Familien im Neubaugebiet des Ortes. Ich hingegen musste im alten Dorfkern bleiben. Hier wohnte ich mit meinem Vater und meiner kleinen Schwester im Haus meiner Großeltern, einem alten Resthof. Ich stellte mein Fahrrad in der Diele ab und ging in die Küche meiner Großeltern, die im Erdgeschoss lebten. Seit meine Mutter uns verlassen hatte, führte meine Großmutter den Haushalt für uns mit. Ich versuchte, ihr dabei zu helfen, aber es wäre gelogen, zu sagen, dass ich ihr wirklich fleißig zur Hand ging. Da ich erst so spät von der Reitstunde nach Hause gekommen war, saßen nur noch mein Großvater und mein Vater am Küchentisch. „Na, wie war es?“, wollte mein Vater gut gelaunt von mir wissen. Ich fasste mich mit meiner Antwort kurz, weil ich ihn nicht mit pferdigen Details langweilen wollte: „Es lief super, hat richtig Spaß gemacht heute.“ Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihm davon erzählen sollte, dass Kim ein eigenes Pferd bekommen sollte. Ich entschied mich dagegen, weil ich ihn nicht in Verlegenheit bringen wollte. Hätte er das Geld gehabt, hätte er mir auch ein eigenes Pferd gekauft, da war ich mir ganz sicher. Dass er mir die Reitstunden und sogar eine Reitbeteiligung bezahlte, war der Wahnsinn. Da wollte ich nicht undankbar erscheinen. Zweimal pro Woche war es schließlich fast, als hätte ich ein eigenes Pony.

 

„Komm schon, Kim“, stachelte ich meine Freundin an, als ich am nächsten Nachmittag bei ihr zu Besuch war. Wir saßen in ihrem riesigen Zimmer und wollten im Internet nach Pferden gucken. „Du musst doch eine Idee haben, was du für ein Pferd haben möchtest“, sagte ich ungläubig, doch sie zuckte nur die Schultern. Also nahm ich mir die Suchmaske einmal vor und gab ein paar Daten ein. „So etwas wäre doch gut“, fand ich und deutete auf einen sportlichen Warmblutwallach. Wie wunderschön es sein musste, sich ein Pferd auszusuchen. Weil Kim jedoch kein großes Interesse zeigte, suchte ich zum Spaß nach meinem Traumpferd. Es sollte ein riesiger, kräftiger Schimmel sein und ich wurde ein paar Mal fündig. „Jetzt du!“, forderte ich Kim auf und schob ihr den Laptop hinüber. Bevor sie anfangen konnte, betrat ihr Vater das Zimmer. „Habt ihr schon ein Pferd gefunden?“, wollte er neugierig wissen und sagte mit einem Blick auf den Bildschirm: „Die sehen ja super aus!“ – „Das ist Fionas Traumpferd“, wehrte Kim ab. „Ja, und in meinen Träumen wird es auch bleiben“, seufzte ich sehnsüchtig. „Und dein Traumpferd?“, wollte Kims Vater von ihr wissen. „Habe ich noch nicht gefunden“, gab sie zurück. Dabei hatte sie auch noch gar nicht danach gesucht. „Das macht nichts. Ich habe einen Kunden, der Sportpferde züchtet. Lass uns am Samstag mal ein paar Pferde bei ihm angucken“, schlug Kims Vater begeistert vor. „Ja, okay“, willigte sie ein und wandte sich an mich: „Möchtest du mitkommen, Fiona?“ – „Gerne“, antwortete ich begeistert. Es war sicher aufregend, gleich aus mehreren Sportpferden eines für Kim auszusuchen. Und ein Besuch in einer Sportpferdezucht klang ohnehin spannend. Dennoch wunderte ich mich, dass Kim so gar keine Vorstellung davon hatte, was für ein Pferd sie sich wünschte.

 

Selbst ich war ganz aufgeregt, als es am Samstag losgehen sollte, um Pferde für Kim anzugucken. Kims Vater war Inhaber eines edlen Autohauses und so wunderte es mich nicht, dass seine Kunden auch Pferde besaßen. Meinem Vater hatte ich nicht gesagt, wohin es ging. Er sollte noch nicht wissen, dass Kim ein Pferd bekam. In Reithose und Turnschuhen saßen Kim und ich auf der Rückbank des Wagens und hingen unseren Gedanken nach. Kim musste sich doch wahnsinnig freuen, doch sie sah gar nicht so aus. „Ist das nicht super? Du bekommst ein richtiges Sportpferd!“, sagte ich zu ihr und sie grinste mich schief an. Ich hätte so Einiges dafür gegeben, um von Maggie auf ein Großpferd zu wechseln. Wir waren 14 Jahre alt und zumindest ich fühlte mich nicht mehr wie ein Ponyreiter. Doch in der Reitschule gab es eigentlich nur Ponys und Kleinpferde. „Bist du so aufgeregt, dass es dir die Sprache verschlagen hat?“, wollte ich von Kim wissen, die es normalerweise genoss, im Mittelpunkt zu stehen. Jetzt antwortete sie kaum. Selbst ihr Vater schien sich mehr zu freuen, als sie, als wir auf den vornehmen und sauberen Hof fuhren.

 

Wir stiegen aus und wurden von dem Züchter freundlich begrüßte. Er führte uns durch saubere Stallgassen, vorbei an unzähligen eleganten Großpferden. Ich staunte, denn hier war ein Pferd schöner, als das andere. „Da könnte ich mich gar nicht entscheiden“, sagte ich völlig überwältigt und der Züchter lächelte mich an. „Ich habe ein paar Pferde für Ihre Tochter vorbereiten lassen, die in Frage kämen“, erklärte der Mann Kims Vater und wir traten an einen glatt gezogenen Reitplatz. „Hier draußen?“, fragte Kim fast schon empört. Der Frühling hatte gerade erst begonnen und es war noch etwas windig und frisch. In der Reitschule ritten wir nur in der Reithalle. Dabei stellte ich es mir so schön vor, auch mal draußen oder gar im Gelände zu reiten. Aber Daniela war der Meinung, wir wären noch nicht sattelfest genug dafür. Bei ihr bekamen wir zwar eine solide Grundausbildung, aber in letzter Zeit hatte ich manchmal das Gefühl, dass sie uns nicht mehr viel Neues beibrachte. Jetzt also standen wir hier am Reitplatz und Kim erntete verständnislose Blicke. Von ihrem Vater, der nicht verstand, dass es etwas anderes war, draußen zu reiten. Vom Züchter, der sie schon jetzt für ungeeignet zu halten schien, weil sie daraus ein Drama machte. Und von mir, weil ich liebend gern mit ihr getauscht hätte, ganz egal, wo ich auf so teuren Pferden hätte reiten können. „Du kannst doch reiten?“, fragte der Züchter misstrauisch und Kim nickte trotzig. „Dann ab aufs Pferd mit dir!“, ordnete er an und bekam von einem seiner Mitarbeiter die Zügel eines großen Fuchses in die Hand gedrückt.

 

Kim sah totunglücklich aus, dabei saß sie auf einem so hübschen Pferd, das sogar ihr eigenes werden konnte, wenn es ihr gefiel. Der Fuchs machte raumgreifende Schritte und sah umwerfend aus. Doch Kim kam nach ein paar Runden im Schritt wieder zurück und verkündete: „Das ist es nicht.“ – „Wie kannst du das schon jetzt wissen?“, fragte ihr Vater verwirrt. Ihm hatte das Pferd genauso gut gefallen, wie mir. Kim antwortete nicht, sondern stieg einfach ab. Der Züchter ließ ein anderes Pferd holen, eine leicht gebaute braune Stute. „Sie ist elf Jahre alt, hatte bisher zwei Fohlen und ist sehr charakterstark im positiven Sinne“, erklärte er uns. Außerdem hatte die Stute einen traumhaften Ausdruck, fand ich. Kim stieg auf und wirkte noch immer missmutig. Ihr Vater sah mich hilfesuchend an, doch ich zuckte nur die Schultern. Ich hatte keine Ahnung, was los war. „Sie hat gute Gänge, die für einen Anfänger gut zu sitzen sind“, fügte der Züchter hinzu. Für ihn waren wir kleine Reitermädchen, eben Anfänger. „Antraben!“, brüllte er herrisch über den Platz und Kim gehorchte vor Schreck. Die Stute schoss im Trab los und meine Freundin zog panisch an den Zügeln. In der Ecke hielt sie das Pferd an und sprang von seinem Rücken. „Das wird es dann wohl auch nicht“, seufzte ihr Vater und sah aus, als wäre ihm Kims Verhalten unangenehm. „Schade, sie ist so ein schönes Pferd“, sagte ich sehnsüchtig. „Suchst du auch ein Pferd?“, wollte der Züchter von mir wissen. „Leider nicht“, gab ich zu. Kim gab die braune Stute ab und der Züchter wandte sich an mich: „Willst du sie mal reiten?“ – „Ich kann kein eigenes Pferd haben“, erinnerte ich ihn, doch er wehrte ab: „Rauf mit dir, einfach mal zum Spaß.“ Dankbar setzte ich meinen Helm auf und stieg in den Sattel. Ich wartete, bis auch Kim auf dem nächsten Pferd saß, einem weiteren Fuchs. „Er ist acht Jahre alt und bis M-Springen erfolgreich“, prahlte der Züchter.

 

„Was stört dich denn an all den Pferden?“, wollte ich von Kim wissen, als uns die Erwachsenen nicht hören konnten. „Ich weiß nicht, da ist einfach noch nicht das Richtige dabei“, murmelte sie. Genau wie bei unserer Internetsuche konnte man nicht behaupten, dass sie es ernsthaft versucht hätte. Beinahe ängstlich saß sie auf dem Fuchswallach. „Lass uns mal traben!“, forderte ich sie auf und legte los. Die braune Stute war super leichtrittig und schien unter dem Sattel zu tanzen. „Pass auf!“, fauchte Kim mich an, als der Fuchs Anstalten machte, der braunen Stute zu folgen. „Reitest du auch oder sitzt du noch auf dem Pferd?“, wollte der Züchter von Kim wissen, als sie den Fuchs zurückbrachte. Sie antwortete nicht und tat mir richtig leid. Ein paar Pferde wurden noch geholt, bevor der Züchter beschloss, dass es keinen Zweck hatte. Ich genoss jede Sekunde auf dem Rücken der braunen Stute und sah ihr sehnsüchtig nach, als sie weggebracht wurde. „Wollen Sie sich noch die anderen Verkaufspferde ansehen?“, fragte der Züchter Kims Vater, doch der sagte entschuldigend: „Ich glaube, das würde auch nichts bringen. Es tut mir leid, dass wir Ihre Zeit so lange in Anspruch genommen haben.“ – „Kein Problem“, wehrte der Mann ab. Wahrscheinlich war er froh, dass er keines seiner Pferde an Kim abgeben musste. „Danke, dass ich Ihre Stute reiten durfte“, sagte ich noch, dann stieg ich zu meiner Freundin und ihrem Vater in das Auto.

 

Eine ganze Weile lang herrschte Schweigen im Auto, dann ergriff Kims Vater das Wort: „Jetzt erklär mir mal, was an all den Pferden so verkehrt war, dass du sie nicht einmal richtig ausprobiert hast!“ Selbst ihm war es aufgefallen, oder der Züchter hatte es ihm gesagt. „Es war eben nicht das Richtige dabei“, gab Kim zurück. „Und das kannst du nach ein paar Runden im Schritt sagen?“, fragte ihr Vater provokant. „Ja, das kann ich!“ Nun wurde Kim patzig, was mir unangenehm war. „Wie soll dein Pferd denn aussehen? Und ich meine nicht die Farbe“, hakte ihr Vater nach. „Jedenfalls anders“, nörgelte Kim und hatte dann keine Lust mehr, darüber zu reden. „Wieso bist du eigentlich diese Stute geritten, Fiona?“, wollte sie von mir wissen und funkelte mich an. War sie etwa sauer auf mich? „Der Züchter hatte es mir angeboten und zu so einer Chance sagt man wohl nicht nein“, erklärte ich und fühlte mich schuldig, ohne zu wissen, warum eigentlich. Kim wusste schließlich als meine beste Freundin genau, wie gern ich ein Großpferd reiten wollte, auch wenn es nicht mein eigenes wäre.

 

Am Mittwoch waren Kim, Lisann und ich zum Reiten verabredet. Eigentlich mochte ich Lisann gar nicht besonders, weil sie schnell sehr zickig wurde. Doch ich riss mich zusammen und freute mich auf Maggie und Kim. „Was macht die Pferdesuche?“, wollte Lisann von Kim wissen, als wir die Sättel aus der Sattelkammer holten. „Wir waren am Samstag beim Züchter und ich durfte ein paar tolle Sportpferde ausprobieren“, sagte Kim lächelnd und klang ungewöhnlich enthusiastisch. Lisann nickte beeindruckt und Kim erklärte wichtigtuerisch: „Es war aber noch nicht das richtige Pferd dabei, obwohl manche gar nicht schlecht waren.“ Erstaunt hörte ich zu und beobachtete Kim. Sprach sie vom vergangenen Samstag? Als sie ununterbrochen herumgenörgelt hatte? Es klang jetzt auf einmal ganz anders, als sie es Lisann erzählte. Viel zu aufgeblasen. Lisann wirkte weiterhin beeindruckt, aber sie hatte ja auch keine Ahnung, wie es tatsächlich gewesen war. Wir sattelten unsere Pferde und gingen bald darauf in die Reithalle. Dabei war das Wetter gar nicht so schlecht. Aber wir durften mit den Ponys nicht draußen reiten. Warum Lisann mit ihrer eigenen Stute nicht auf den Reitplatz ging, wusste ich nicht. Ich traute mich auch nicht, danach zu fragen.

 

Ich hatte mir vorgenommen, mit Maggie im Trab so gut zu arbeiten, dass der Galopp von Anfang an richtig wäre. Lisann und Kim verquatschten sich beim Warmreiten, so dass nur ich um die Beiden herum trabte. Gerade, als sie ebenfalls anfingen, zu traben, wurde die Hallentür aufgeschoben. Calima machte einen kleinen Satz nach vorne und Lisann zickte die Stute an, was ihr denn einfiele. „Tür frei!“, donnerte eine eindrucksvolle Stimme. Eher kleinlaut antwortete ich: „Ist frei.“ Kim und Lisann zogen es vor, zu schweigen. Schwungvoll öffnete sich die Bandentür und eine junge Frau trat mit ihrer schwarzen Stute ein. Ich sah hinaus und stellte fest, dass es jetzt regnete. Deshalb kam sie also zu uns in die Reithalle. Normalerweise machten die erwachsenen Privatpferdereiter einen Bogen um uns Reitschulmädchen. Wir waren ihnen wohl immer im Weg, wenn sie ihre Arbeit mit den großen Pferden machten. Ich kannte die junge Frau kaum, aber sie wirkte sehr einschüchternd. Wir trauten uns gar nicht, sie zu grüßen, und sie hielt das auch nicht für nötig. Elegant schwang sie sich auf ihre pechschwarze Stute und ritt sie warm. Dabei beobachtete sie uns drei prüfend. Es war mir unangenehm, vor den Augen einer so erfahrenen Reiterin meinen Linksgalopp zu probieren. Kim dagegen hatte begonnen, auf Darika Runde für Runde zu galoppieren. Lisann zog es vor, im Trab zu bleiben. An manchen Tagen galoppierte sie Calima gar nicht. Als die junge Frau die Zügel aufnahm, beendeten Kim und Lisann die Arbeit mit ihren Pferden. Vorsichtig sah ich auf die Uhr. Wir waren kaum eine halbe Stunde lang in der Reithalle. „Geht ihr schon?“, fragte ich Kim, die sich von Darikas Rücken schwang. Sie nickte nur und ich sagte auch nichts mehr. Nachdem ich Maggie ausgiebig getrabt war, gab ich die Galopphilfe, doch es ging natürlich wieder schief. Erst reagierte sie gar nicht auf mein Bein, dann sprang sie falsch an. Unter den Blicken der jungen Frau kam ich mir vor, wie ein Idiot. Nach zahllosen Versuchen gelang es mir endlich, Maggie in einen eiligen Linksgalopp zu treiben. Nach ein paar Zirkelrunden trabte ich sie wieder, lobte sie und beendete die Stunde damit. Als ich Maggie trocken ritt, tauchte Daniela an der Bande auf. „Wo hast du denn Kim gelassen?“, fragte sie mich verwundert. „Sie war schon fertig mit Darika“, antwortete ich schulterzuckend. Wenn Daniela Kim und Lisann nicht mehr gesehen hatte, dann waren sie wohl schon abgeholt worden. Und hatten mir nicht einmal Tschüss gesagt.

 

Am nächsten Tag radelte ich nach der Schule noch zu Kim. Wir wollten für eine anstehende Klassenarbeit lernen und natürlich auch nach Pferden gucken. „Nächstes Mal könntet ihr ruhig auf mich warten oder euch wenigstens von mir verabschieden“, sagte ich tadelnd zu meiner Freundin. „Du hast ja Recht, es tut mir leid“, entschuldigte sie sich und erklärte: „Wir fanden diese Frau einfach schrecklich.“ Ein bisschen konnte ich das durchaus verstehen, doch aus der Reithalle ließ ich mich so schnell nicht vertreiben. Nachdem wir mehr oder weniger erfolgreich Formeln auswendig gelernt hatten, setzten wir uns wieder vor Kims Laptop. Fast schon lustlos scrollte sie sich durch die Verkaufsseiten und schien mit ihren Gedanken ganz wo anders zu sein. „Das ist nicht so einfach“, seufzte sie und ich sah sie an, als hätte sie einen Knall. Was war das denn bitte für ein Luxusproblem? Die arme Kim musste sich ein Pferd aussuchen. „Der hier sieht gut aus“, fand ich und deutete auf einen glänzenden Palomino mit exzellenter Beschreibung. „Neee“, wehrte Kim ab. „Und der hier?“, ich zeigte ihr einen braunen Wallach, der unzählige Turniererfolge vorweisen konnte. „Hm, nein“, maulte Kim. Nach einer Fuchsstute, einem bunten Tinker und einem Trakehner gab ich auf. Sollte sie sich doch selbst eines aussuchen.

 

Als wir am Montagabend nach der Reitstunde die Pferde in den

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Betty J. Viktoria
Bildmaterialien: Betty J. Viktoria
Tag der Veröffentlichung: 21.08.2014
ISBN: 978-3-7368-4918-1

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