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Das neue Schuljahr

„Dieses Schuljahr wird alles anders!“, flötete Fleur, als sie morgens um acht Uhr gut gelaunt die Wohnungstür aufriss. Vor ihr standen Luc und Vic und sahen sie erstaunt an. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass ihre Freundin schon fertig angezogen und bereit zum Abmarsch war. Luc musterte sie von oben bis unten. Sogar ihre Schuhe hatte Fleur schon an. „Ist irgendwas?“, wollte das Mädchen herausfordernd wissen. Sie hatte die staunenden Blicke der Jungs wohl bemerkt. „Nein, alles okay.“, stammelte Vic und fühlte sich ein wenig ertappt. Fleur warf einen letzten Blick in den Spiegel in ihrem Flur und zog noch einmal den Lidstrich nach. Dann nahm sie ihre neueste Schultasche, die eigentlich eine überdimensional große Handtasche war. „Der Trend zur Big Bag gefällt mir.“, kommentierte sie die Tasche, auf der unübersehbar ein teurer Markenname zu lesen war, „Ich fand Rucksäcke schon immer uncool.“ Wortlos schüttelten die Jungs den Kopf. „Geht es los?“, wollte Luc dann wissen und warf einen Blick auf seine Uhr. „Ja, gleich.“, bremste Fleur ihn, „Meine Mutter kommt auch mit. Sie fährt dann zum Flughafen weiter.“ Kurz darauf tauchte Madame Moulin in der Tür auf. Todchic und elegant wie immer begrüßte sie die Freunde ihrer Tochter. Dann begutachtete sie das Erscheinungsbild Fleurs. Scheinbar zufrieden nickte sie und die Drei gingen die Treppe herunter. Fleurs Mutter folgte ihnen und erklärte: „Wir fahren mit dem Taxi. Ist es schon da?“ Vic bejahte und wenig später stiegen sie alle in das Auto. Madame Moulin nahm auf dem Beifahrersitz Platz und Fleur, Vic und Luc quetschten sich auf die Rückbank.

„Was meintest du, als du sagtest, dass dieses Schuljahr alles anders wird?“, wollte Luc nun von seiner Freundin wissen. „Hast du noch nie etwas von guten Vorsätzen gehört?“, fragte sie zurück. „Schon, aber nicht für die Schule.“, meinte er schulterzuckend. „Wer redet denn von der Schule?“, wollte Fleur völlig verwirrt wissen. „Na, ich dachte du tust das.“, gab Luc zurück, „Oder was sind das für gute Vorsätze?“ Fleur grinste, als sie aufzählte: „Weniger Fettiges essen, mehr Sport machen und weniger an mein Horoskop glauben!“ – „Ist es zu fassen?“, murmelte Vic, „Andere Leute nehmen sich vor, ihre Hausaufgaben rechtzeitig zu machen, mehr zu lernen und nicht mehr zu spät zu kommen.“ – „Wer macht denn so was?“, fragte Fleur verwundert. Die Jungs blieben still. „Ihr doch nicht etwa, ihr Streber!?“, kombinierte die langsam, „Das steht euch nicht!“ – „Es geht hier ja auch irgendwie um unsere Zukunft.“, verteidigte Luc sich und seinen Kumpel und bestätigte damit Fleurs Verdacht, es würde sich bei den angestrebten Vorsätzen um die ihren handeln. „In Sachen Zukunft setze ich auf meine Schönheit!“, verkündete das Mädchen todernst und fuhr sich anmutig durchs Haar. Auf dem Beifahrersitz lächelte Madame Moulin vor sich hin, als sie das Gespräch der Drei mithörte. „Auf deine Schönheit?“, wiederholte Luc, „Du bist zwölf Jahre alt. Willst du immer noch Model werden?“ – „Ja! Und damit bin ich die Einzige von uns, die überhaupt weiß, was sie werden will!“, verteidigte sich Fleur. Vic kam seinem Kumpel zu Hilfe: „Luc hat Recht. Wir sind erst zwölf Jahre alt. Wir müssen doch noch gar nicht wissen, was wir werden wollen.“ – „Genau. Und deshalb sollten wir gut in der Schule sein, um uns möglichst viele Chancen für die Zukunft offen zu halten.“, erklärte Luc. „Du klingst wie dein Vater!“, behauptete Fleur vorwurfsvoll, „Vielleicht solltest du auch Anwalt werden?!“ Bevor die Jungs etwas entgegnen konnten, hielt das Taxi vor ihrer Schule. Nacheinander stiegen sie alle aus; auch Madame Moulin. „Viel Spaß ihr Drei!“, sagte sie vornehm, „Passt gut auf in der Schule, hört ihr!?“ Brav nickten sie. „Viel Spaß in Rom!“, entgegnete Fleur. „Danke. Bis Freitag dann.“, sagte ihre Mutter und stieg wieder in das Taxi, das wenig später davon fuhr. „Sie hat es gut.“, seufzte Fleur sehnsüchtig, „Modewoche in Rom…“ – „Dagegen kommt Mathe wohl nicht an, was?“, murmelte Luc, als sie sich betont langsam auf den Weg über den Schulhof zum Haupteingang machten. „Geh weg mit Mathe!“, verlangte Fleur mit einer wegwerfenden Handbewegung. Überall auf dem Schulhof begrüßten sich die Schüler nach dem langen Sommer, den viele von ihnen nicht in Paris verbracht hatten.

 

„Stimmt es, dass ihr Drei den Kunstraub aufgeklärt habt?“, wollte einer ihrer Mitschüler von ihnen wissen. „Ja, allerdings…“, begann Fleur hochmütig, doch Luc unterbrach sie: „Wir haben jedenfalls dabei geholfen.“ – „Und Monsieur Lechat ist jetzt unser Schuldirektor?“, fragte der Junge weiter. „Richtig. Monsieur Robert sitzt wegen Diebstahl im Gefängnis.“, erklärte Vic. „Und einen neuen Kunstlehrer haben wir auch.“, verkündete Fleur und berichtete von ihrem Nachbarn Monsieur Pérot, der den Job solange übernommen hatte, bis ein neuer Lehrer Monsieur LeGall, ihren alten Kunstlehrer, ersetzen würde, der ebenfalls wegen Diebstahl im Gefängnis saß. Zusammen mit weiteren Mitschülern gingen sie durch die Schulflure zu ihrem Klassenraum. „Mathe haben wir aber trotzdem bei Chat, oder?“, wollte Elise sicher gehen und gesellte sich zu ihnen. „Ja, dabei bleibt es.“, bestätigte Luc. Sie strömten in das Klassenzimmer und nahmen ihre Plätze ein. Es war noch immer außergewöhnlich laut und unruhig, weil die Schüler aufgeregt ihre Ferienerlebnisse austauschten. Fleur, Vic und Luc hatten den langen Sommer nach dem Abenteuer um die gestohlenen Bilder weitgehend langweilig zu Hause verbracht. Da gab es nicht besonders viel zu erzählen. Das Wichtigste hatte ohnehin in der Zeitung gestanden. Und wenn doch jemand nach der Geschichte fragte, spielten Luc und Vic das Ganze herunter, bevor Fleur es in Szene setzten konnte. Auch Elise gab sich alle Mühe, die Geschehnisse um den Kunstraub zu verharmlosen und den darum entstehenden Mythos abzuschwächen. Besonders die Aufmerksamkeit um Fleur gefiel ihr gar nicht. Schließlich hatte sie selbst auch Einiges erlebt in den Ferien, war im Urlaub gewesen und dann war ihr Vater auch noch befördert worden, so dass er nun der Polizeipräsident über ein bedeutendes Pariser Arrondissement war. Das war doch mindestens genauso interessant wie die Geschichte von Fleur, Luc und Vic. Doch im Moment hatte so ziemlich jeder etwas Spannendes zu berichten.

 

Nur mit größter Mühe gelang es Monsieur Lechat, sich gegen die laute Klasse durchzusetzen: „Einen erfolgreichen Schuljahresbeginn wünsche ich euch! Ich hoffe, ihr hattet schöne Ferien!“ Wieder brach Unruhe unter den Schülern aus. „Das klingt doch nach aufregenden Ferien.“, seufzte der Lehrer, „Trotzdem möchte ich euch bitten, mir zuzuhören! Ihr seid jetzt in der achten Klasse und für euch wird sich Einiges ändern.“ – „Das klingt nicht gut.“, murmelte Fleur. „Sei doch nicht so negativ!“, forderte Luc sie leise auf. Doch wenig später, als er seinen neuen Stundenplan in der Hand hielt, musste er zugeben, dass seine Freundin Recht gehabt hatte. Es gab nun keinen Nachmittag mehr, an dem sie frei hatten. Der Sportunterricht war an den Nachmittagsunterricht herangehangen worden, so dass sie erst spät nach Hause kommen würden. „Und dann noch die Hausaufgaben!“, stöhnte Vic nun auch recht negativ. Fleur verzichtete nicht auf ein trotziges: „Ich habe doch gesagt, dass das nicht gut klingt!“ Doch der voll gestopfte Stundenplan war noch nicht alles. „Ihr kommt ab diesem Schuljahr in den Genuss, einen außerschulischen und doch nicht schulfremden Zusatzkurs zu belegen.“, eröffnete Monsieur Lechat. „Was soll das denn heißen?“, fragte Vic ein wenig verstört, „Außerschulisch und doch nicht schulfremd?“ – „Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Das klingt gar nicht gut!“, flüsterte Fleur. Dann lauschten die Drei den Erklärungen ihres Mathelehrers. „Ihr werdet eine Arbeitsgruppe nach dem Unterricht belegen. Das kann ein Vertiefungskurs für Schulfächer sein oder ein Sportteam der Schule oder ein musisch- künstlerischer Kurs.“ – „Das klingt doch ganz okay.“, fand Luc und meldete sich. „Ja Luc!“, rief Monsieur Lechat und nahm ihn dran. „Welche Kurse gibt es denn alle? Und wie und bis wann sollen wir uns dafür anmelden?“ – „Du kannst es ja kaum noch abwarten!“, spottete Fleur und verpasste Luc einen Knuff in die Seite. Ein paar Schüler lachten und Monsieur Lechat erklärte bereitwillig: „Ich gebe euch ein Informationsblatt, damit ihr euch einen Kurs aussuchen könnt. Ab morgen bis zum Ende der Woche tragt ihr euch in die Anmeldelisten, die im Flur vor den Lehrerzimmern aushängen werden.“ – „Wann kriegen wir diesen Infozettel?“, fragte Elise neugierig. „Am Ende der Stunde.“, sagte ihr Lehrer lächelnd, „Damit ihr euch wenigstens ein bisschen auf meinen Unterricht konzentriert!“ Sie konnten es ihm nicht übel nehmen. Sie wussten, dass er Recht hatte.

 

„Fleur, das ist nicht dein Ernst!?“, sagte Luc ernst zu seiner Freundin, als die Drei in der Mittagspause in der Schulkantine an einem Tisch saßen. Vic zog ein besorgtes Gesicht, als er sah, womit seine Freundin den Tag überstehen wollte. Ihm war klar, dass er einen besonders gesunden Appetit hatte. Aber das, was Fleur da ausgepackt hatte, musste ein schlechter Scherz sein. Einige kleine Tomaten, Gurkenstückchen und eine geschnittene Karotte lagen da vor ihr. „Ich habe euch doch von meinen guten Vorsätzen erzählt!“, verteidigte sie sich. „Du hast nie erwähnt, dass du verhungern willst.“, sagte Luc weiterhin ernst. „Du übertreibst!“, fauchte das Mädchen und machte sich über sein Mittagessen her, während die Jungs riesige Portionen vom Kantinenfraß verschlangen. Dabei ließen sie Fleur nicht aus den Augen. „Probier es doch wenigstens mal!“, forderte Vic sie auf und hielt ihr eine vollgeladene Gabel hin. „Nein danke!“, wehrte Fleur ab. Sie blieb hart bei ihrem mageren Mittagessen und ließ sich nicht von den Jungs beeinflussen, die nicht aufhörten, auf sie einzureden. „Das ist gar nicht gesund, Fleur!“, sagte Luc vernünftig, „Du musst mehr essen.“ – „Hört schon auf, den Moralapostel zu spielen und mich damit voll zu labern!“, meinte das Mädchen langsam sichtlich genervt. „Wir machen uns doch nur Sorgen.“, gab Vic etwas kleinlaut zu. „So ein Blödsinn!“, fauchte Fleur nun, „Ich kann schon ganz gut auf mich selbst aufpassen!“ – „Okay, okay. Wir hören damit auf.“, gab Luc sich geschlagen, „Kommt schon, gehen wir!“ Gemeinsam verließen sie die Schulkantine und schlenderten über den Schulhof. Sie suchten einen guten Platz und setzten sich schließlich auf die Schulhofmauer.

 

„Habt ihr euch den Infozettel über die Kurse schon genauer angesehen?“, wollte Vic von seinen Freunden wissen und zog das Blatt aus seinem Rucksack. „Noch nicht.“, meinte Luc, „Ist etwas Spannendes dabei?“ Er beugte sich zu seinem Kumpel rüber und las mit: „Technik, Musik, Theater, Fußball, Biologie, Hockey…“ – „Das klingt langweilig!“, beschwerte sich Fleur, „Was noch?“ – „Hauswirtschaft, Ballett, Politik…“, las Luc weiter. „Gib mal her!“, verlangte seine Freundin und zog Vic den Zettel aus der Hand. „Du hast doch selber einen.“, wehrte er sich nur schwach. Seine Freundin ging nicht darauf ein. „Was wollt ihr wählen?“, fragte sie die Jungs forsch. „Einen Sportkurs vielleicht.“, meinte Luc. „Einen PC Kurs oder Technik.“, überlegte Vic langsam. Dann blickten sie das Mädchen an. „Was möchtest du wählen?“, sprach Luc die Frage endlich aus. „Ach, ich weiß noch nicht.“, wehrte sie ab, „Das ist alles nicht so interessant.“ Aber dennoch warf  sie noch weiter einen Blick auf den Infozettel. So, als würde doch noch ein spannender Kurs darauf auftauchen, wenn sie die Liste nur oft genug durchlas. „Ein Kunstkurs ist auch dabei!“, spottete sie, „Wie wäre es?“ – „Vergiss es!“, sagten Luc und Vic im Chor. Kunst gehörte auch nach dem Lehrerwechsel nicht zu ihren Lieblingsfächern. „Komm schon, Fleur!“, sagte Luc herausfordernd, „Es wird doch irgendetwas geben, das dich anspricht!?“ – „Nein, gibt es eben nicht.“, beharrte sie, „Das ist alles Müll. Wozu müssen wir diesen Stuss überhaupt machen?“ Die Jungs sahen sich an und verdrehten wortlos die Augen. Eine Grundsatzdiskussion mit Fleur würde keinen Sinn ergeben. „Wenn du wirklich nichts findest, kannst du ja auch mit einem von uns zusammen in einen Kurs gehen.“, schlug Vic seiner Freundin zur Besänftigung vor. Das Mädchen sah von dem Zettel auf und zog ein nachdenkliches Gesicht. Irgendwie fand Luc diesen Sinneswandel nicht gut und ihm wurde klar, dass sie in ihrem gesamten bisherigen Schulleben ausnahmslos alles gemeinsam gemacht hatten. Es gab kein Fach, in dem sie nicht nebeneinander saßen, und keine Gruppenarbeit, die sie nicht zusammen gemacht hatten. So, wie er Fleur einschätzte, würde es ihr gar nicht gefallen, ohne ihre Freunde einen Kurs belegen zu müssen. Damit lag er auch ganz richtig, wie er nun feststellte.

„Ich dachte, wir Drei gehen sowieso in den gleichen Kurs?!“, verkündete sie offen. „Wie soll das denn gehen? Wir haben durchaus unterschiedliche Interessen.“, bremste Luc sie, „Das haben wir doch gerade schon gesagt. Ich möchte einen Sportkurs belegen und Vic etwas in Richtung Technik.“ – „Können wir nicht etwas suchen, das uns allen gefällt?“, wollte Fleur leicht beleidigt wissen. „Das wird schwer.“, seufzte  Vic und Luc meinte: „Du hast ja nicht einmal allein etwas gefunden, das dir gefällt.“ Nun war Fleur wirklich beleidigt. „Bei diesen bescheuerten Kursen ist eben nichts für mich dabei! Ich bin etwas anspruchsvoller, als ihr.“, sagte sie hochnäsig, zerknüllte den Infozettel in einer Hand und warf ihn zu Boden. „Das war meiner…“, stammelte Vic kleinlaut.

 

„Jetzt versuch es doch bitte mal ernsthaft.“, bat Luc Fleur auf dem Weg nach Hause. „Was soll das denn heißen? Als ob ich es nicht probiert hätte.“, gab das Mädchen patzig zurück. „So war das doch nicht gemeint.“, beschwichtigte Vic sie, „Wir wollen dir helfen.“ – „Also gut, wie wollt ihr das anstellen?“ – „Ganz einfach.“, behauptete Luc und erklärte: „Wenn du nichts findest, das dir gefällt, gehen wir es von der anderen Seite an.“ Fleur sah den Jungen nur verständnislos an und Vic sagte: „Ausschlussprinzip!“ Während sie über eine Brücke über die Seine spazierten, wollte das Mädchen immerhin leicht interessiert wissen: „Wie soll das gehen?“ – „Wir gehen die angebotenen Kurse der Reihe nach durch und du sagst uns, warum du sie nicht magst. Da wird am Ende bestimmt etwas übrig bleiben, womit du dich anfreunden kannst.“, erörterte Luc den ganzen Plan und Fleur meinte: „Ich soll also das geringste Übel auswählen?!“ – „Ja, wenn du so willst.“, gab Vic zu. „Okay.“, seufzte sie und gab sich geschlagen, „Wir können es ja mal versuchen.“ Doch zunächst gingen sie nach Hause. Sie brachten ihre Schulsachen weg und trafen sich vor dem Haus wieder. Luc hatte seinen Schäferhund Coquin geholt, mit dem sie nun eine Runde drehen wollten, bevor sie sich noch vor dem Abendessen ihren Hausaufgaben widmen würden. Zusammen mit Coquin gingen sie in den Park vor dem Eiffelturm, den Parc du Champs de Mars. Hier setzten sie sich auf eine der Wiesen und ließen den Hund frei laufen. Luc kramte den Infozettel aus seiner Hosentasche und begann mit der Prozedur. Er fing an, die angebotenen Sportkurse vorzulesen und Fleur kommentierte sie ziemlich simpel damit ab, dass das etwas für Jungs sei. Sie jedenfalls hatte keine Lust auf blaue Flecke, geschweige denn auf ruinierte Fingernägel. „Es gibt doch extra Mädchenteams.“, protestierte Luc. „Da sind aber nur solche Mannsweiber.“, gab Fleur zurück und betrachtete das Thema als erledigt. „Und was ist mit den Vertiefungskursen für Schulfächer? Du kannst noch eine Sprache wählen oder in einen Forschungskurs wie Biologie gehen.“, schlug Vic nun vor. Fleur schüttelte ausdrucksvoll den Kopf. „Ich bin kein Streber!“, wehrte sie ab, „Ich habe keine Lust auf zusätzliche Hausaufgaben. Außerdem dachte ich, der Quatsch soll uns Spaß machen!?“ – „Manchen Leuten macht das vielleicht Spaß.“, vermutete Luc schulterzuckend. „Aber mir nicht. So gut solltet ihr mich kennen.“, sagte Fleur hartnäckig. „Gut, dann vielleicht lieber etwas Praktisches für dich?“, überlegte Luc und las: „Hauswirtschaft, Werken, Bastelwerkstatt…“ – „Hör sofort auf!“, rief seine Freundin, „Das ist furchtbar! So etwas würde ich nie machen!“ – „Warum denn nicht? Was ist so schlimm daran?“, wollte Vic erstaunt wissen. „Das ist nur etwas für Flachpfeifen!“, behauptete Fleur, „Ich will doch keine Hausfrau werden, sondern Karriere auf dem Laufsteg machen.“ – „Aber es kann doch trotzdem nicht schaden…“, begann Luc, doch sie unterbrach ihn energisch: „Ich glaube, wir Drei sind selbstständiger, als alle anderen aus unserem Jahrgang zusammen. Ich kann mich selbst versorgen, seit ich fünf oder sechs Jahre alt bin. Und eure Eltern haben euch ja auch nicht gerade verhätschelt, oder?“ Als sie das sagte, steckte sie ihre riesige Sonnenbrille in ihr Haar hoch und sah ihre Freunde durchdringend an. Luc musste schlucken, als er zugab: „Okay, da hast du Recht.“ Er brauchte eine Weile, um sich wieder zu fangen. Um sich nichts anmerken zu lassen, sah er nach seinem Hund, der in einiger Entfernung herumstromerte. Seine Freunde kannten ihn gut genug und waren rücksichtsvoll genug, ihn eine Weile in Ruhe zu lassen. Stattdessen machte Vic weiter mit der Befragung: „Es bleibt noch der musisch- künstlerische Bereich. Das wären Orchester, Chor, Ballett, Tanz, Theater…“ – „Oh, ich weiß es einfach nicht.“, seufzte sie, „Das klingt ja ganz okay, aber ich bin mir nicht sicher, dass es etwas für mich ist.“ – „Was davon gefällt dir denn?“, setzte Luc an. „Vielleicht Tanz oder Gesang. Aber ich kann das nicht so gut.“, murmelte sie. „Doch, das kannst du!“, sagte Vic, „Und das weißt du auch. Seit wann bist du denn so bescheiden?“ Fleur zuckte die Schultern und setzte die große Sonnenbrille auf ihre Nase zurück. „Gehen wir nach Hause!“, schlug Vic schließlich vor und blinzelte in den Abendhimmel, der orange leuchtete. Luc nickte zustimmend und rief gedankenverloren nach Coquin, als plötzlich sein Handy klingelte. „Meine Mutter.“, stellte er mit einem Blick auf das Display fest und ging ran, während sie sich langsam auf den Rückweg machten. „Was wollte deine Mutter?“, hakte Vic nach, als Luc das Gespräch beendet hatte. „Sie wollte mir sagen, dass ihr Beiden bei uns mitessen könnt, wenn ihr wollt. Eure Eltern kommen nicht vor Mitternacht nach Hause.“, erklärte er. Fleur und Vic nahmen das Angebot dankend an. So war es schon seit Jahren üblich, dass die Eltern, die da waren, sich um alle Drei kümmerten, sofern das nötig war.

So betraten sie wenig später zu dritt mit Coquin die Wohnung der Familie Calvet. „Schuhe ausziehen!“, flötete Madame Calvet, „Und bring den Hund in dein Zimmer. Papa ist auch da.“ Genervt packte Luc Coquin am Halsband und brachte ihn in sein Zimmer, während Fleur und Vic dem seltsamen Gespann folgten und Futter- und Wassernapf mitnahmen. „Es herrscht Ausnahmezustand.“, schwor Luc seine Freunde ein, als er seinen Hund versorgte, „Ihr kennt ja meinen Vater.“ – „Ja, auf in den Kampf!“, grinste Fleur und versprach, sich zu benehmen, wie Monsieur Calvet es erwartete. „Ich hoffe, es stört euch nicht, dass wir schon so früh essen.“, entschuldigte sich Madame Calvet, „Die Hausaufgaben könnt ihr dann danach machen, ja?!“ – „Natürlich, kein Problem, Madame.“, entgegnete Fleur wohlerzogen und setzte ihr charmantestes Lächeln auf. „Seid ihr etwa noch nicht fertig mit den Hausaufgaben?“, wollte Lucs Vater forsch wissen. „Nein, noch nicht.“, gestand Luc und sagte nicht, dass sie damit noch nicht einmal angefangen hatten. „So eine Nachlässigkeit. Und das schon am ersten Schultag.“, schimpfte Monsieur Calvet. Um geschickt das Thema zu wechseln, fragte seine Frau die Drei: „Wie war es denn überhaupt? Habt ihr schon den neuen Stundenplan bekommen?“ Luc erklärte kurz: „Ja, ganz okay.“ – „Was ist ganz okay?“, fragte sein Vater und begann ein Verhör mit den Dreien. Sie konnten ihn immerhin einigermaßen zufrieden stellen, doch dann sagte Monsieur Calvet: „Ich habe von Monsieur Lechat gehört, dass ihr ab diesem Schuljahr einen zusätzlichen Nachmittagskurs belegen müsst?!“ Sie bejahten und er wandte sich an seinen Sohn: „Was gedenkst du zu wählen?“ – „Ich hatte an einen Sportkurs gedacht…“, begann Luc und wurde sofort unterbrochen: „Sport?! So eine Verschwendung. Gibt es keinen Politikkurs?“ – „Ich glaube schon.“,  gab Luc zu. „Na also. Darüber reden wir noch.“, polterte sein Vater. Als sie fertig waren, halfen sie Madame Calvet, den Tisch abzuräumen und Luc erklärte: „Wir wollen die Hausaufgaben zusammen bei Fleur machen, ja?!“ Doch sein Vater war damit nicht einverstanden. „Du kannst deine Hausaufgaben doch schon allein machen, oder? Dann konzentrierst du dich auch besser.“ Luc wagte keinen Widerstand. Und so verabschiedeten sich seine Freunde bald darauf betont höflich von seinen Eltern. Luc brachte sie noch zur Wohnungstür. „Melde dich, wenn etwas ist.“, sagte Fleur eindringlich zu ihm. „Was sollte sein?“, fragte er und gab sich Mühe, cool zu wirken. „Ach, nur so.“, stammelte Vic und drängte Fleur zum Gehen.

 

„So ein Stinkstiefel!“, fauchte Fleur, als sie bald darauf mit Vic in ihr Zimmer kam, „Hätte ich gewusst, dass sein Vater da ist, wäre ich gar nicht mitgekommen.“ – „Aber wir können Luc doch nicht mit dem alleine lassen.“, gab Vic zu bedenken, doch Fleur meinte: „Als ob wir ihm groß helfen könnten!?“ Schulterzuckend setzten sie sich an die ersten Hausaufgaben des neuen Schuljahres. „Wenn Monsieur Calvet schon so mies drauf ist, wenn Besuch da ist, dann will ich gar nicht wissen, was der macht, wenn er mit seiner Familie alleine ist.“, murmelte Vic nachdenklich. Luc redete nicht darüber und nun wurde ihnen klar, wie wenig sie über die Familie ihres besten Freundes wussten, obwohl sie im selben Haus wohnten. „Vielleicht hatte er auch nur einen schlechten Tag.“, überlegte Fleur, „So schlimm wird das schon nicht sein. Ich meine, das wüssten wir doch, oder?“ Sie legte ihren Stift weg und sah Vic ab. „Das wüssten wir, oder?“, wiederholte sie leise. „Hm, so weit ich mich erinnern kann, waren wir fast nur bei ihm, wenn sein Vater weg war.“, murmelte Vic, „Und dass er verdammt streng ist, wissen wir auch. Luc war immer ziemlich gut in der Schule und hatte trotzdem Angst, seinem Vater sein Zeugnis zu zeigen.“ – „Er hatte Angst?“, hakte Fleur nach. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Luc überhaupt vor irgendetwas Angst hatte. Aber doch ganz sicher nicht davor, seinem Vater sein Zeugnis zu zeigen. „Ist dir das nie aufgefallen?“, wollte Vic wissen. „Nein.“, gab sie zu, „Und er hat das nie gesagt.“ –„Er würde das nie sagen.“, bestätigte Vic, „Das weißt du doch. Aber man hat es ihm angesehen.“ Fleur glaubte ihrem Kumpel, auch wenn es ihr peinlich war, dass ihr so etwas nie aufgefallen war.

 

Als sie ihre Hausaufgaben geschafft hatten, schaltete Fleur

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Betty J. Viktoria
Bildmaterialien: Betty J. Viktoria
Tag der Veröffentlichung: 01.01.2014
ISBN: 978-3-7309-7303-5

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