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Allein zu zweit mit Pferden

Abenteuer in Brockhöfe

„Bereit?“, rief mein Dad herausfordernd von der Ladeklappe des Pferdeanhängers. Kaum hatte ich „ja“ gesagt, entfernte er den Bügel hinter meinem Pferd und Adele zog mich aus dem Anhänger. Rückwärts trampelte sie heraus und schliff mich mit sich. Dann blieb sie stehen und sah sich um. Kurz darauf rauschte Anton, der mächtige Fuchswallach meiner Freundin Anna, an uns vorbei und zog das zierliche Mädchen mit sich. Dann blieb auch er stehen. Wir waren zwölf Jahre alt und erst seit kurzem stolze Besitzer großer Sportpferde. Um auf die nächste Turniersaison vorbereitet zu werden und das kleine Reitabzeichen zu machen, schickten unsere Eltern uns in die Lüneburger Heide nach Brockhöfe, wo wir zwei Wochen lang trainieren und das Abzeichen bestehen sollten.  Ich war noch nie zuvor so lange allein von zu Hause weg gewesen und fühlte mich nicht gut bei dem Gedanken an die zwei Wochen. Ich versuchte, mich damit zu trösten, dass ich Adele bei mir hatte, aber vor dem harten Training hatte ich auch Respekt. Wäre ich gut genug? Und könnte ich das stolze Vollblut überhaupt kontrollieren? Anna war der Optimist unter uns Beiden, obwohl es ihr mit Anton nicht besser ging, als mir. Unsere Pferde machten oft genug, was sie für richtig hielten. Uns fehlte einfach die Kraft.

 Unsere Väter brachten unsere Pferde in ihre Mietboxen und unsere Mütter begleiteten uns in das herrschaftliche Gutshaus, in dem wir untergebracht sein würden. „Normalerweise geht ihr aber durch den Keller rein und lasst die Reitstiefel unten!“, begrüßte uns die Dame des Hauses. Tante Olli geleitete uns in das Esszimmer und Annas Mutter rief: „Hier essen die Kinder?“ Als Tante Olli nickte, grinsten wir unwillkürlich. Ein riesiger alter Eichentisch stand in dem ehrwürdigen Raum, dessen Wände von Tellern und alten Bildern geschmückt waren. Das könnte ganz schön werden. Kein Gedanke an schreckliche Landschulheime. Nur das Beste… Wir schleppten unsere Koffer die Treppe hinauf und unsere Mütter halfen uns mit unserem Kram. „Wie läuft denn die Zimmereinteilung?“, wollte meine Mutter wissen und Tante Olli erklärte: „Wer zuerst kommt, hat die Wahl. Die Zimmerbelegung wechselt ohnehin im Laufe der Zeit und die Kinder übernachten bei ihren neuen Freunden auf den Zimmern.“ Anna und ich hatten das nicht vor und waren froh, dass wir ein Doppelzimmer mit Dusche für uns allein bekamen. Auch die Ausrüstung unserer Pferde schleppten wir in den Keller, wo wir uns eine nette Ecke für uns suchten, die wir auch blockieren wollten, wenn wir unsere Sachen benutzten.

 Der Abschied fiel mir nicht leicht. Anna hatte von ihren Eltern zwar ein Handy bekommen, aber ich wusste, dass meine Eltern keinen großen Wert darauf legten, von mir zu hören. Meine Mutter vertrat die Ansicht, dass sie es schon erfahren würde, wenn etwas Schlimmes passierte. Und solange sie nichts von mir hörte, ging sie davon aus, dass alles gut war.

 Anna und ich gingen sofort los und erkundeten den Hof. Alles war so viel größer, als zu Hause. Als wir zu unseren Pferden kamen, waren wir erstaunt. Obwohl die beiden sich gegenüber standen, regte sich meine Stute unglaublich auf. Sie wieherte und rannte im Kreis und wollte sich nicht beruhigen. Anna und ich standen eingeschüchtert vor ihrer Box. Bei dem Gedanken, dieses Wildpferd zu reiten, wurde mir ganz anders. „Lass sie sich ein bisschen daran gewöhnen. Morgen sieht es schon ganz anders aus“, meinte Anna. Ich konnte nur nicken, als eine Frau auftauchte. „Na, was ist denn hier los? Braucht ihr Hilfe?“, wollte sie wissen. Bevor wir antworten konnten, riss sie die Boxentür auf und bevor wir gucken konnten, raste Adele an uns vorbei uns aus dem Stall. „Was tun Sie denn?“, kreischt Anna, während ich meiner Stute nachlaufe, die auf den Nachbarhof galoppiert. „Das ist ein Privatpferd!“, schrie Anna die Frau an, die es vorzog, zu verschwinden, statt uns zu helfen. „Adele!“, rief ich und blieb stehen. Anna kam zu mir und nahm mich in den Arm, als plötzlich meine schwarze Stute zurückkam. Anton hatte sie gerufen und sie war dem Ruf gefolgt. Ich zog ihr das Halfter über und versuchte, sie in den Stall zu ziehen, doch sie wollte nicht. Erst, als Anna hinter ihr auffordernd in die Hände klatschte, machte Adele einen Satz nach vorne.

 Wir wussten, dass wir am Abend im Reiterstübchen für den Reitunterricht am nächsten Tag eingeteilt werden sollten. Die Kinder ohne Privatpferd stritten sich um die Schulpferde. Anna und ich wollten nur gemeinsam in eine Gruppe kommen und beschlossen, am Morgen eine Dressurstunde und am Nachmittag eine Springstunde zu nehmen. Um ein wenig locker zu werden, forderten uns die Reitlehrer auf, in der Halle Fußball zu spielen und wir legten begeistert los. So lernten wir auch die anderen ein wenig kennen.

 „Meine Mutter hat mir verboten, ohne Sicherheitsweste zu springen“, monierte Anna am nächsten Nachmittag. Manchmal wünschte ich mir, meine Eltern würden mehr Wert auf solche Dinge legen. Anna bekam Vieles, was ich mir wünschte, auch wenn ich da sicher auf hohem Niveau jammerte. Doch sie war eine tolle Freundin, die sich darauf nichts einbildete. „Ich bin froh, dass sie mich überhaupt mit Anton springen lässt“, seufzte Anna. Wir machten unsere Pferde fertig und führten sie zur Reithalle. Adele hatte sich noch eine ganze Weile aufgeführt, wie ein Wildpferd, doch nun, wo ich sie gesattelt hatte und aus der Box führte, war sie brav wie ein Lamm.

Während Adele im Parcours das Kommando übernahm und ich bald wusste, dass wir eine Bestnote in der Prüfung erhalten würden, wenn ich mir Mühe gäbe, sah es bei Anna ganz anders aus. Anton war ein gewaltiges Pferd und er sprang noch kräftiger, als meine Stute. Anna hatte keine Chance, ihn zu kontrollieren. Frustriert versuchte sie es immer wieder, doch Anton lief sich heiß und es wurde nicht besser.

 Annas Laune war entsprechend schlecht und ich ging ihr lieber nicht auf die Nerven, als sie mit ihren Eltern telefonierte. Irgendwann aber kam ich wieder in unser Zimmer und fragte, wie es gelaufen sei. „Jetzt will meine Mutter auch noch, dass ich ein Schulpferd reite“, seufzte sie genervt, „Sie hat immer Angst, dass mir etwas passiert.“ Tatsächlich hatten das wohl viele Erwachsene, wenn sie uns auf unseren Pferden sahen. Zwei kleine Mädchen, blond, groß und schlank die eine, auf einem schweren Warmblut mit einem Stockmaß von über 1,7 Metern und die andere klein, schlank und brünett auf einem temperamentvollen und schnellen Vollblut. Wir konnten das Gefühl schlecht beschreiben, das uns immer das Vertrauen in die Tiere gab. Wir waren fest davon überzeugt, dass sie uns niemals in Gefahr bringen würden. „Reite weiter Anton“, riet ich Anna. Der Wallach war S gesprungen und es gab sicher kein besseres Springpferd auf dem Hof. „Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich es noch mit Anton probiere. Wir haben ja noch Zeit“, meinte Anna und war schon wieder etwas besser gelaunt.

 Während es mit Anton langsam etwas besser wurde, da wir beinahe täglich Springunterricht nahmen, wurde Adele seltsamerweise unruhiger. Ich dachte mir nichts dabei, bis sie eines Tages komplett ausrastete. Wir ritten eine Springstunde und ich war guten Mutes, weil es unsere Königsdisziplin war. Selbst einen kleinen L-Sprung hatte Adele schon mit mir genommen. Ich war stolz wie Oskar. Doch in dieser Stunde war alles anders. Ich ritt mit meiner Stute ein kleines Kreuz an und hatte nach der Landung gerade das nächste Hindernis in den Blick genommen, als Adele losraste. Sie schoss mit mir die lange Seite entlang und ich konnte sie erst am Ende mit all meiner Kraft in der Ecke bremsen.  „Nochmal!“, rief mein Trainer. Wenn jemand vom Pferd fiel, legte er die Stangen gleich noch höher. Ich hatte keine Angst. Noch einmal nahm ich den kleinen Sprung mit Adele und dieses Mal verlor ich vollständig die Kontrolle. Sie schoss herum und buckelte wie eine Wildsau los. Ich sah mich schon in die Bande fliegen, doch mit aller Kraft legte ich mich in die Zügel und stand in den Steigbügeln. Aber Adele raste weiter durch die kurze Seite und ich wusste nicht, wie lange ich mich noch halten konnte. Anna rettete mich, indem sie mutig ihren Wallach vor meine Stute trieb und rief: „Achtung, Betty! Ich versuche, sie zu stoppen!“ Ich war auf den abrupten Halt eingestellt und sackte auf Adeles Hals.

Ich war frustriert und brach das Training ab. Kraft hatte ich ohnehin nicht mehr. Vor Adeles Box wartete ich auf Anna. Als sie kam, sah sie auch nicht sehr begeistert aus. „Ich will meine Mutter nicht anlügen“, seufzte sie, „Aber sie verbietet mir, mein Pferd zu reiten, wenn ich ihr sage, wie es läuft.“ Ein mieses Dilemma. „Was war mit Adele los?“, fragte meine Freundin dann. Ich wusste es nicht. „Die sticht der Hafer!“, rief unser Trainer im Vorbeigehen. Er hielt es wie so viele andere auch für Blödsinn, uns kleine Mädchen auf diese Pferde zu setzen. „Sie sticht der Hafer…“, murmelte ich kopfschüttelnd. „Wie viel Futter kriegen die denn?“, fragte Anna plötzlich. Der logische Kopf von uns beiden war auch sie. „Mein Dad hat das geklärt. Aber der weiß, wie viel sie kriegt“, sagte ich nachdenklich. Wie aufs Stichwort tauchte eine der Stallarbeiterinnen auf und brachte den Hafer. „Na, das ist doch das verrückte Vollblut!“, kommentierte sie ungefragt, während Anna und ich niedergeschlagen auf der Stallgasse saßen. „Mein Vollblut ist das beste Pferd der Welt!“, verteidigte ich meine Stute kindlich. Dann starrten Anna und ich auf die Futtereimer. „Wie viel füttern Sie denn da?“, hakte meine Freundin nach. „Na, dreimal am Tag das hier!“, antwortete sie genervt und zeigte uns die Eimer. „Das ist viel zu viel!“, rief ich entrüstet. „Selbst Anton kriegt diese Menge nur zweimal am Tag. Und Adele kriegt normalerweise kaum mehr als einen dieser Eimer am Tag.“, ergänzte Anna. Wir schleppten die Stallarbeiterin zu unserem Trainer, der ihr einen gewaltigen Einlauf verpasste.

 Nach einer Woche kamen zwei ältere Mädchen aus unserem Heimatstall zu uns, die jedoch keine eigenen Pferde hatten. Sie halten uns beim Lernen für die Theorieprüfung und standen uns auch sonst zur Seite. Ein bisschen Beistand konnten Anna und ich auch gebrauchen. Obwohl wir gut beschäftigt waren, bekamen wir manchmal Heimweh, über das wir uns nicht gegenseitig oder mit Hilfe der Pferde hinweg trösten konnten. Und unsere Pferde hätten wir allein auch nie für die Prüfung einflechten können. Die beiden älteren Mädchen halfen uns, wo sie nur konnten. Auch angesichts der nicht ausbleibenden Zickereien unter den vielen Mädchen war es angenehm, zwei Aufpasserinnen zu haben. Unsere Prüfungen bestanden wir beide mit tollen Wertnoten- und auf unseren eigenen Pferden. Damit hatten wir unser Ziel erreicht.

 Wir fuhren sechs Jahre am Stück in jeden Osterferien auf den Hof, machten weitere Reitabzeichen und waren selbst schließlich die älteren Aufpasserinnen für jüngere Mädchen von unserem Hof, die das erste Mal von zu Hause weg waren.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.03.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Brockhöfe :)

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