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My Old Kentucky Home



„Wow! Das ist ja... Wahnsinn. Danke!“ Nele sprang Juan um den Hals, so dass Angel Charm erschrocken zur Seite wich. „Kein Problem, da musst du dich nicht bedanken.“, stammelte er. „Tut mir Leid, ich freue mich nur so.“, sagte sie und fiel ihrer Stute auch gleich um den Hals. „Was ist denn hier los?“ Lina und Jason tauchten an der Boxentür des schwarzen Pferdes auf und sahen sich die Situation fragend an. „Na, ich habe Nele von dem Brief erzählt.“, murmelte Juan. „Ach so.“, seufzte Jason, doch Lina fragte: „Welcher Brief?“ – „Robert Toyno hat geschrieben. Wir sollen ihn in den Sommerferien besuchen kommen.“, sagte Juan ruhig. Aus Angst vor einer erneuten Umarmung versteckte er sich hinter Angel Charm. Also fielen sich Lina und Nele um den Hals. „Mein Gott, ist das cool. Und wir dürfen mit?“ – „Ja, Robert hat extra geschrieben, dass er sich freuen würde, wenn ihr kommen würdet. Unsere Pferde sind natürlich auch dabei.“, erklärte Juan. „Hauptsache, Angel will jetzt niemanden umarmen.“, grinste Jason. „Wen nimmst du mit?“, wollte Nele von ihm wissen. „Mecano. Und jetzt gehe ich Starborough reiten. Wir sehen uns.“, sagte er lässig und machte sich auf den Weg. „Sunnyboy!“, zischte Lina ihm nach und ging dann zu Antonov in die Box, der neben Angel stand. Alles war fast wieder genau so wie in dem Sommer, in dem die beiden Mädchen auf die Alder Farm gekommen waren. Lina konnte ihren Wallach nach längerer Verletzung endlich wieder richtig reiten und voll belasten. Nele ritt wieder ihre Stute Angel, die im vorigen Sommer ihr Fohlen bekommen hatte.
„Wow! Auf die Hopeful Farm von Robert Toyno.“, seufzte Lina, als sie wenig später durch den Wald trabten. „Kalifornien… Ich hatte schon Angst, diesen Sommer würden wir gar keinen Spaß haben.“, sagte Nele halbernst. „Wie lange bleiben wir denn in Kalifornien?“, wollte Lina wissen. „Drei Wochen. Wir haben ja lange genug frei.“, grinste Nele begeistert und Lina stimmte ihr zu: „Ja, drei Monate Ferien. Das ist so genial.“ Ein Stück galoppierten sie durch den Wald, dann trafen sie Lilli und Vivian und beschlossen, etwas zusammen zu reiten. Stolz erzählten Lina und Nele von ihren Plänen für die anstehenden Sommerferien. „Wahnsinn! Ihr habt so ein Glück.“, sagte Vivian, „Wir bleiben in den Ferien hier. Das wird sicher langweilig.“ – „Na ja, vielleicht plant Lorna etwas für die Reiter aus unserem Stall.“, beruhigte Lilli ihre Freundin, „Wusstet ihr eigentlich schon, dass Lorna mit Aaron zusammen ist?“ – „Mit Alex´ Bruder?“ – „Genau! Er hat uns vor ein paar Tagen eine Reitstunde gegeben, weil Lorna keine Zeit hatte. Das war toll, er hat es echt drauf!“, fand Vivian, „Aber das haben wir ja schon beim Turnier gesehen.“ – „Lorna und Duffster sind auch gut.“, erinnerte Lina ihre Freundinnen Eine Weile unterhielten sie sich noch, denn sie hatten sich schon länger nicht gesehen. Dann aber machten die Mädchen auf den Großpferden sich wieder auf den Weg zurück zur Alder Farm. „Meinst du, unsere Eltern haben etwas dagegen, dass wir Roberts Einladung annehmen?“, überlegte Lina, als sie im Schritt am langen Zügel den Weg zwischen den Weiden entlang bummelten. Wie immer dachte Lina an viel mehr Dinge, als ihre Freundin, die sich im Moment einfach nur freute. „Warum sollten sie denn etwas dagegen haben?“, wunderte Nele sich. „Ich weiß nicht... kann doch sein!?“ – „Ach, das glaube ich kaum! Und außerdem kennen sie doch Robert. Der wird sie zur Not überreden können.“ Doch Lina war nicht ganz so zuversichtlich: „Drei Wochen sind eine sehr lange Zeit.“ – „Aber sonst lohnt es sich doch gar nicht!?“ – „Ja, da hast du auch wieder Recht.“ – „Wir werden unsere Eltern heute Abend einfach mal fragen!“, entschied Nele fest entschlossen und ihre Freundin beugte sich dem.

Gleich beim Abendbrot sprach Nele ihre Eltern darauf an. Das war die einzige Gelegenheit dazu, denn es war sonst eher selten, dass die ganze Familie zusammen war. „Drei Wochen? Wie wollt ihr dahin kommen? Kalifornien ist weit weg von Kentucky! Die Hopeful Farm liegt doch in Kalifornien, oder?“ – „Ja, Dad. Wir würden natürlich fliegen.“ – „Mit den Pferden? Hat Robert denn nicht genug Pferde?“, lachte ihr Vater. „Natürlich mit den Pferden. Darf ich?“ – „Na ja, warum eigentlich nicht? Da kannst du sicher eine Menge von dem Pferdeflüsterer lernen.“ – „Cool, danke!“ – „Aber benehmt euch anständig!“ – „Natürlich!“ Fröhlich aß Nele auf und lief dann in ihr Zimmer. Ob Lina wohl schon gefragt hatte? Was ihre Eltern bloß sagen würden?

„Also, ich weiß ja nicht.“, zögerte Annas Mutter. „Warum denn nicht?“ – „Du bist so selten zu Hause. Sofort nach der Schule gehst du in den Stall und wir sehen uns viel zu selten. Und dann willst du drei Wochen lang weg?“ – „Aber Robert ist der Pferdeflüsterer! Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn mal life sehen würde, geschweige denn mit ihm reden könnte. Und jetzt lädt er uns zu sich ein.“, schwärmte Lina. „Aber das ist sicher gefährlich.“ Natürlich- die Gefahr! Linas Mom fand eigentlich an Allem etwas Gefährliches. „Nele darf sicher auch mit. Und die Zwillinge sind auch dabei. Das wäre so toll.“, nölte Lina. „Du hast Robert doch letztes Jahr schon gesehen, ich meine getroffen. Ich verstehe das nicht.“ – „Komm schon, Mom! Ich will sehen, wie er auf seiner Farm mit den Tieren arbeitet.“, nörgelte sie weiter, „Und außerdem wäre es unhöflich, eine Einladung abzulehnen.“ – „Da hast du ja Recht... Ich muss mal mit Neles Eltern reden. Mal sehen, was die dazu...“ Linas Mutter wurde davon unterbrochen, dass es an der Haustür klingelte. Wenig später saß Nele mit am Esstisch. Sie hatte es nicht mehr ausgehalten. Sie musste wissen, ob Lina mitkommen durfte. „Was haben deine Eltern gesagt?“, fragte Lina das Mädchen. „Ich darf mit!“, jubelte Nele. „Siehst du, Mom!“ Nun gab Linas Mutter sich endlich geschlagen. „Okay, dann stimme ich zu.“ Sie seufzte und fügte hinzu: „Schreibt am Besten einen Brief an Robert und bedankt euch!“ – „Das machen wir morgen mit den Zwillingen.“, beschloss Nele, „Das ist genial, wir fliegen nach Kalifornien!“ – „Einen Moment noch.“, unterbrach Linas Vater die Mädchen, „Ich habe da auch noch ein Anliegen!“ Gespannt sahen sie ihn an. Sein Gesicht war ungewöhnlich ernst geworden. Auch Linas Mutter wusste anscheinend Bescheid. „Bitte! Bitte begebt euch diesen Sommer nicht wieder in Gefahr! Keine Gangsterjagd!“ – „Alles klar, wir versuchen es.“ – „Hoffentlich!“ Jubelnd schlugen sie sich gegenseitig in die Hände. Ihre Ferien konnten kommen.

Am nächsten Morgen erklärten die Mädchen Jason und Juan, dass sie sie nach Kalifornien begleiten würden. „Gut, dann rufen wir Robert nachher an. Wir müssen an die Zeitverschiebung denken.“, meinte Jason. „Oh nein, wir werden einen Brief schreiben! Und zwar in der Mittagspause. Das ist viel schöner und auch persönlicher.“ – „Wenn ihr unbedingt wollt!?“, murmelte Jason verständnislos. „Ja, das wollen wir!“, bestand Lina darauf, „Alles andere wäre unhöflich.“ – „Alles andere wäre unhöflich!“, äffte Jason sie sofort nach. Lina überhörte es, weil sie keine Lust hatte, sich am Morgen zu streiten. Er würde es schon zurückbekommen. Zu gegebener Zeit. Nele verdrehte nur genervt die Augen und Juan war sich nicht sicher, ob sie dies wegen Lina oder wegen Jason tat. Vermutlich wegen Beiden. Bis zur Mittagspause waren die vier nur vereinzelt in gleichen Kursen. Nach einer gemeinsamen Geschichtsstunde bewegten sich Lina und Nele schließlich in die Schulkantine, denn es war der letzte Vormittagskurs gewesen. Wenig später saßen die Beiden auch schon an einem der Tische. „Wehe den Jungs, wenn sie nicht kommen!“, zischte Lina und begann zu essen. „Hey, auf wen wartet ihr?“ Mark tauchte neben ihnen auf. „Auf wen wohl?“ – „Die Zwillinge?“ – „Genau!“, seufzte Lina, „Setz dich, hier ist genug Platz. Und wer weiß, wann die auftauchen!?“ – „Was denn? Wir sind doch schon da!“, sagte Jason so cool es nur ging. Er und sein Bruder setzten sich zu Mark und den Mädchen. Inzwischen hatten Lina und Nele aufgegessen und sie brachten ihre Tabletts weg. „Dann fang mal an!“, forderte Jason kauend. „Was habt ihr denn vor?“, wollte Mark wissen. „Wir wollen einen Brief an Robert Toyno schreiben.“, erklärte Lina. „Nein.“, korrigierte Jason, „Du willst einen Brief an Robert Toyno schreiben. Ich will ihn anrufen.“ – „Hör schon auf!“, sagte Juan, aber es klang nicht sehr energisch. Nun zog Lina einen Stift und einen Block auf ihrem Rucksack und sah die Anderen an. „Ich schreibe vor und du darfst es dann ordentlich schreiben.“, lachte Lina und blickte Nele an. Die lächelte nur schwach und noch wenig begeistert. „Lieber Robert.“, begann Lina. „Viel zu förmlich!“, unterbrach Jason sie sofort. „Warum wollt ihr Robert schreiben?“, fragte Mark. Lina erklärte es ihm, konnte jedoch nichts mit dem darauf erscheinenden Gesichtsausdruck anfangen. Er war irgendwo zwischen geheimnisvoll und vorfreudig einzustufen. Aber sie war die Einzige, der dieser Blick aufgefallen war. „Was soll ich denn schreiben, wenn „Lieber Robert“ zu förmlich klingt?“, fragte Lina nun. „Hi Robert!“, schlug Jason vor. „Klar, warum nicht gleich „Hi Robert, was geht“?“, meinte Juan und zeigte seinem Bruder einen Vogel. „Dann denkt euch doch selbst etwas aus! Ich gehe raus.“ Der Junge sprang auf und rempelte dabei Brenda an. „Pass auf du Trottel!“, fauchte das Mädchen, das auch im Schulteam Basketball spielte. Jason blieb stehen, sah sie herablassend an und zog die Sonnenbrille aus seinem Haar auf seine Nase. Dann schlenderte er lässig aus der Kantine. „Meine Güte!“, zische Brenda spöttisch, „Der wird ja auch von Tag zu Tag cooler.“ – „Ganz Unrecht hat sie ja nicht.“, fand Lina, während Nele Brenda einen nahezu tödlichen Blick nachschickte. „Kann schon sein, aber ausgerechnet sie sollte die Letzte sein, die so etwas von sich gibt.“, meinte Nele. „Brenda und Jason waren doch mal ganz gut befreundet, oder?“, fragte Mark nach, „Wenn ich mich nicht irre haben sie bei dem Spiel gegen die Lafayette High School rumgemacht!“ – „Ja, das war vor zwei Jahren. Letztes Jahr haben sie sich ein paar Mal richtig gezofft. Jetzt hassen sie sich.“, erklärte Juan. „Das hießt, ab jetzt wird das Training ganz besonders lustig.“, ergänzte Nele und Lina fragte: „Wieso? Ist Jason jetzt auch im Basketballteam?“ – „Ja, Brighton hat gewechselt. Er spielt jetzt Rugby. Dafür wurde Jason im Basketballteam aufgenommen.“, erklärte ihre Freundin. „Das wird noch Mord und Totschlag geben!“, prophezeite Mark, der ebenfalls im Basketballteam war, doch Juan sagte bitter: „Das macht nichts, damit haben wir Erfahrung.“
Um die entstandene unangenehme Stille zu brechen, sagte Lina schließlich: „Was ist denn nun mit unserem Brief an Robert?“ – „Oh, du hast Recht, die Pause ist bald zu Ende. Wir sollten uns beeilen!“ Mit Juans Hilfe gelang es den Mädchen, einen ganz ordentlichen Text zu verfassen. „Ich habe gleich Bio. Da kapiere ich ohnehin nichts. Das hießt, ich kann den Brief gleich sauber abschreiben, damit er heute noch abgeschickt werden kann.“, entschied Nele, als die Pause vorbei war. „Solltest du dann nicht besser aufpassen, wenn du es nicht gut verstehst?!“, tadelte Lina und erntete genervte Blicke, verdrehte Augen und von Mark den Spruch: „Du bist viel zu vernünftig.“ – „Na und? Gehen wir, sonst kommen wir noch zu spät!“ Kichernd folgten Juan, Mark und Nele ihr, verkniffen es sich jedoch, auch diesen Satz zu kommentieren. So war Lina nun mal. Aber wenn man es am Wenigsten von ihr erwartete, kam sie mit Ideen, die man ihr nie zugetraut hätte. Außerdem war sie in der Lage, auch in den verrücktesten Situationen einen klaren Kopf zu behalten. Nele und Mark machten sich gemeinsam auf den Weg zum Bioraum, während Lina und Juan Mathe hatten. „Kommt ihr eigentlich zu den Belmont Stakes?“, erkundigte sich Mark, als sie vor der Tür auf ihren Lehrer warteten. „Natürlich! Das wird ein super spannendes Rennen.“, meinte Nele. „Allerdings. Ich bin auch da. Baby Bandy geht wieder an den Start.“ – „Lorando könnte die Triple Crown gewinnen!“, erinnerte das Mädchen. „Baby Bandy könnte genau das verhindern!“, grinste Mark. Der Alder Farm-Hengst Lorando hatte im Mai sowohl das Kentucky Derby als auch die Preakness Stakes gewonnen. Aber auch Baby Bandy, an dessen Namen man problemlos erkennen konnte, dass er auf der Stirrup Farm gezogen worden war, hatte sich tapfer geschlagen. Er war im Kentucky Derby einen zweiten und in den Preakness Stakes einen dritten Platz eingelaufen. Die letzte Etappe der Triple Crown waren nun die Belmont Stakes. Und die sollten zwei Wochen später stattfinden. So war es klar, dass Mark hoffte, Baby Bandy würde den dritten Sieg von Lorando verhindern. Die Beiden betraten gelangweilt den Bioraum. Wie versprochen schrieb Nele den vorgekritzelten Brief an Robert Toyno sauber ab. So konnte dieser noch am selben Tag abgeschickt werden.

Eines Abends trafen Lina und Nele die Zwillinge im Stall der Jährlinge. Nele wollte nach Airwave Ameno sehen, dem Fohlen ihrer Stute Angel Charm. „Na, wie macht sich Airwave Ameno?“, wollte Jason von Nele wissen. „Gut. Er wird jetzt langsam eingeritten und macht keine Probleme.“, antwortete sie. „Das ist cool.“, fand Juan, „Robert hat übrigens angerufen. Der Brief ist angekommen und er freut sich auf uns.“ – „Alles klar, wir freuen uns auch.“, meinte Lina ehrlich. „Erst mal freue ich mich auf die Belmont Stakes.“, seufzte Jason, „Morgen geht es los nach New York. Lorando wurde gestern schon hingebracht.“ – „Aber das Rennen ist erst am Sonntag.“, wusste Nele. Sie betrat die Box von Airwave Ameno. Der schwarze Hengst war zu einem tollen langbeinigen und temperamentvollen Tier herangewachsen. Aber er war ehrlich und gutmütig. Nele putzte ihn, während Lina den Schweif verlas. „Das wird ein cooler Sommer!“, prophezeite Lina, „Die Belmont Stakes und dann Kalifornien. Der Hammer!“

Und so saßen sie am nächsten Morgen im Flugzeug und waren auf dem Weg nach New York. Auch Mark und seine Familie flogen mit dieser Maschine. Vom dortigen Flugplatz ging es im Taxi zum Hotel an der Rennbahn, in dem Mister Moure, die Zwillinge, die Mädchen, aber auch Familie Grisham ihre Zimmer bezogen. Gleich nach dem Mittagessen zog es die Kinder in den kühlen Stall, wo sie nach den Rennpferden sahen. Wegen der extremen Hitze war der Stall klimatisiert. Baby Bandy und Lorando standen nebeneinander. „Wer reitet Lorando?“ – „Duke!“, antwortete Jason auf Marks Frage, „Er ist ihn auch in den anderen beiden Stationen der Triple Crown geritten.“ Sie gingen weiter durch die Stallgasse und sahen sich die anderen Pferde an, die aus allen Teilen Amerikas angereist waren. „Keine starke Konkurrenz.“, fand Mark und Jason nickte. „Gehen wir an die Bahn.“, schlug Juan vor. Sie waren einverstanden. Doch als sie das Stallgebäude verließen, war draußen die Hölle los. Eine Horde Reporter belagerte den Stall. „Wann gehen eure Pferde auf die Bahn?“, rief einer von ihnen. „Glaubt ihr, dass Baby Bandy Lorando schlagen wird?“, ein anderer. Weitere Fragen kamen: „Welche Strategie geben die Trainer ihren Jockeys mit auf den Weg?“ – „In welcher Verfassung sind die Pferde?“ Juan war ein Stück zurückgewichen, während sein Bruder und Mark sich vor den Reportern aufbauten und Jason verkündete: „Unsere Strategien werden nicht verraten! Wer gewinnt, sehen wir morgen.“ Dann drängelten sie sich gemeinsam durch die Menge. Juan blieb dicht bei seinem Bruder, bis sie die Reporter hinter sich gelassen hatten, die sich nun auf andere Pferdebesitzer stürzten. „Solche Nervensägen!“, fand er und Lina sah, dass er zitterte. Sie sahen sich die Bahn genau an und schlenderten dann langsam zurück zum Hotel, weil sie nicht zu spät zum Essen kommen wollten.
Nach dem Essen gingen sie alle in das Zimmer der Zwillinge. „Das wird ein spannendes Rennen!“, sagte Nele voller Vorfreude. „Das sehen die Reporter wohl auch so!“, seufzte Juan, doch sein Bruder meinte: „Ich werde morgen trotzdem am Führring und am Sattelplatz sein. Zur Not leihe ich mir Dads Bodyguards.“ – „Ich glaube, die Presse wird sich auf die Pferde konzentrieren.“, vermutete Mark. „Du vergisst die Klatschpresse.“, meinte Lina, „Aber das werden hoffentlich nicht so viele sein.“ Es klopfte an der Tür. Jason bewegte sich langsam dort hin und öffnete. „Hallo! Ist Mark hier?“, wollte eine endlos aufgedonnerte Frau wissen. „Ja, ich bin hier, Mom!“, sagte Mark, der hinter Jason auftauchte. „Wir fahren in die Stadt!“, verkündete Misses Grisham, „Pass bitte auf Annabelle auf und bring sie dann ins Bett!“ – „Alles klar.“, seufzte Mark, verabschiedete sich von den Anderen und ging zu seiner kleinen Schwester.


Am nächsten Morgen gingen sie alle zusammen zur Rennbahn, um zuzusehen, wie die Galopper sich warm liefen. Lorando, begleitet von seinem Begleitpony, joggte über den Turf. „Er sieht echt gut aus.“, fand Mark. „Ja, stimmt. Wo ist Baby Bandy?“, fragte Lina. Sie sahen sich um und entdeckten den Stirrup Hengst. Er regte sich auf und war von seinen Pflegern kaum zu halten. „Was hat er?“, wollte Juan wissen. „Temperament! Er ist auf der Bahn kaum zu halten.“, lachte Mark. „Vielleicht verausgabt er sich ja gleich!?“, hoffte Jason. „Glaube ich nicht.“ Sie ließen Baby Bandy los und er donnerte davon. Sein Begleitpony kam nicht mit. Lorando ging von der Bahn und die Kinder kamen zu ihm. „Er ist gut drauf.“, sagte Bruce, der Trainer, „Jetzt wird er noch etwas verwöhnt und dann geht es los.“ Gemeinsam schlenderten sie über das Gelände der Rennbahn, vorbei an der schwarzen Statue des Ausnahmepferdes Secretariat. „Er hält den Bahnrekord, seit er ihn aufgestellt hat!“, murmelte Nele und Jason prahlte mit seinem Wissen: „Ja, er ist 1 ½ Meilen in zwei Minuten und vierundzwanzig Sekunden gelaufen!“ – „Seit 1973 ungebrochener Bahn- und Stakes Rekord.“ – „Ein Hammer- Pferd! Mit dem wird nie eines mithalten können.“, seufzte Mark. Voller Vorfreude auf das Rennen spazierten sie weiter.

Am Nachmittag strömten die Menschenmassen auf das Gelände. Auch Mark, die Zwillinge und die Mädchen zog es wieder nach draußen. Es war warm und ein leichter Wind ließ den blau-weiß-roten Schmuck, der in Form von Bändern, Schleifen und Tüchern auf der Rennbahn war, flattern. „Gehen wir zum Führring.“, beschloss Jason, als sie sich durch das Gewühl von Zuschauern schlängelten. „Da ist es so voll!“, rief sein Bruder, dem das Gedränge überhaupt nicht gefiel. „Dann gehen wir in den Führring.“ Jason übernahm ungefragt das Kommando. Die Anderen folgten ihm und Bruce ließ sie in den abgesperrten Bereich. Die gesattelten Pferde wurden noch umher geführt. Duke, der Jockey, stand aufgeregt neben dem Trainer. Mark stellte sich zu Baby Bandys Jockey und Trainer. Schon hier war die Atmosphäre mehr als angespannt. Alle Augen waren auf Lorando und Baby Bandy gerichtet. Juan fand es nicht gerade angenehm und er beteiligte sich auch nicht an dem Gespräch, dass die anderen Drei mit Bruce führten. „Glaubst du, Lorando schafft es?“, wollte Lina von dem Trainer wissen. „Ich hoffe es. Wir haben versucht, alles aus ihm rauszuholen. Jetzt muss er es zeigen!“ Duke wurde zu dem Hengst gerufen und von einem Pfleger raufgeworfen. „Viel Glück!“, riefen die Zwillinge und Lina und Nele ihm nach. Mark kam zu ihnen. „Gehen wir zu unseren Plätzen.“, schlug er vor und so drängelten sie sich durch die Menge in Richtung Tribüne. „Mark! Mark!“ Annabelle kam ihnen entgegengerannt und sprang ihrem großen Bruder auf den Arm. „Was ist denn los?“, fragte er verwundert. „Schnell! Baby läuft gleich los!“ – „Ist ja gut. Ich bin ja da! Glaubst du, dass ich den Start verpassen will?“, lachte Mark und setzte seine kleine Schwester auf ihren Platz. Die Anderen setzten sich ebenfalls und sahen auf die Bahn. „Meine Damen und Herren! Herzlich Willkommen zu den diesjährigen Belmont Stakes! Wie immer ist das letzte der drei Triple Crown Rennen das wohl Spannendste. Seit 1867 wird es gelaufen und ist damit das älteste Triple Crown Rennen.“, verkündete der Sprecher und Kommentator, „Wie schon seit weit mehr als 100 Jahren wird es nun gelaufen und ist auch das viertälteste Stakes- Rennen in Nordamerika. Ich hoffe, dass es auch heute ein Erlebnis für Sie sein wird. Wird Baby Bandy es schaffen und Lorando schlagen? Oder kommt heute ein Außenseiter zum Zug? Sehen sie selbst! Die Pferde sind in den Startboxen!“ Annabelle war wieder von ihrem Platz geklettert und saß nun auf Marks Schoß. „Der Start!“ Die Startboxenklappen flogen auf und die Galopper preschten heraus. „Sowohl Lorando als auch Baby Bandy werden von ihren Jockeys zurückgehalten!“ Juan stieß Nele an, deutete auf Annabelle und flüsterte: „Süß, was?“ Sie nickte kurz und richtete ihren Blick wieder auf die Bahn. Es war das längste Rennen der Triple Crown und hatte schon viele Hoffnungen auf eben diese zerstört. Sie wollte keine Sekunde des Rennens verpassen. „Die führenden Pferde fallen zurück!“, schrie der Sprecher. „Jetzt kommt die heiße Phase!“, meinte Jason und sprang auf. Sein Bruder, Nele und Lina ebenfalls. Mark nahm Annabelle auf die Schultern und stellte sich auch hin. „Los, Duke! Mach ihm Dampf!“, schrie Jason. „Lauf, Baby!“, quiekte Annabelle, „Lauf schneller, Baby!“ Die beiden Favoriten griffen zeitgleich an. Alle Zuschauer sprangen auf und tobten. Die Hengste übernahmen gemeinsam die Führung. „Da haben wir das spannende Rennen!“, sagte der Sprecher. Es ging auf die Zielgerade und sie waren noch immer nebeneinander. „Jetzt lauf doch!“, rief Nele. Dieses Rennen war mehr als spannend. „Nein!“, entfuhr es Juan erschrocken, „Nein!“ Lorando war zurückgefallen. Er kämpfte dagegen an und pumpte alles aus sich heraus, aber Baby Bandy war einfach schneller und baute seinen Vorsprung aus. „Sieht schlecht aus, was?!“, sagte Nele zu Juan, der nur nickten. „Das Ziel! Sieger im Rennen ist Baby Bandy, vor Lorando! Baby Bandy vereitelt Lorandos Triple Crown Sieg! Baby Bandy von der Stirrup Farm, trainiert von...“ Jason ließ sich niedergeschlagen auf seinen Platz fallen. „Oh, nein. So knapp auch noch.“, seufzte er. Mark freute sich natürlich. Trotzdem sagte er zu seinen Freunden: „Hey, tut mir Leid. Lorando ist toll gelaufen!“ – „Baby Bandy war besser.“, sagte Lina vernünftig. Gemeinsam gingen sie in den Siegerring. Die Kinder von der Alder Farm gratulierten Mister Grisham, aber immerhin war Lorando Zweiter geworden. Mister Moure kam ebenfalls dazu. „Super geritten, Duke!“, fand er, „Schade, dass es nicht ganz gereicht hat.“
„Warum zieht ihr so ein Gesicht?“, fragte Lina, als sie beim Abendbrot saßen. „Da fragst du noch?“, Jason sah sie mehr als verwundert an, „Lorando ist Zweiter geworden.“ – „Eben. Deshalb verstehe ich es ja nicht. Zweiter in den Belmont Stakes, das ist doch genial!“ Nele, Juan und Jason sahen sie entgeistert an, sagten aber nichts. „Hey, was ist los?“ Mark ging an ihnen vorbei. „Ich versuche den Beiden gerade klar zu machen, dass es toll ist, dass Lorando den zweiten Platz gemacht hat.“, meinte Lina. Mark sagte dazu nichts, sondern ging grinsend zu seinen Eltern. „Das Pferd hätte die Triple Crown gewinnen können.“, sagte Jason. „Ja, aber es wurde Zweiter. Das ist doch eine gute Leistung.“ – „Zweiter ist gerade blöd, weil er so knapp verloren hat.“ – „Oh, Mann!“, diesmal seufzte Lina. Anscheinend fehlten ihr die Argumente. Die Anderen würden es nicht verstehen. Natürlich waren sie sauer und enttäuscht, aber sie gönnten es Mark. Lina dachte an andere Dinge. Zum Beispiel an Lorandos Leistung und daran, dass er alles gegeben hatte. Sie war den Anderen nicht böse. Sie würden es schon bald einsehen, wenn sie sich beruhigt hatten. Außerdem hatte Mister Moure andere Erfolge zu verzeichnen. In anderen Rennen hatten seine Pferde an diesem Wochenende viel Geld eingelaufen und in den Alder Farm Farben Siege errungen. Als sie sich spät abends in das Flugzeug setzten, hatten Nele und die Zwillinge sich schon wieder von der Enttäuschung erholt. Als sie auf der Alder Farm ankamen, war es schon zwei Uhr nachts. „Es war trotz des Ergebnisses ein cooles Wochenende.“, fand Juan. Da stimmten ihm alle zu. Und nun war es auch gar nicht mehr so lange bis zu den großen Sommerferien, in denen sie drei Wochen auf der Hopeful Farm verbringen würden. Bis dahin konnten sie es natürlich kaum aushalten und sie zählten die Tage bis zu den Ferien fanatisch. Es kam ihnen vor, als wäre die Zeit stehen geblieben, denn die Tage zogen sich wie Kaugummi in die Länge. Selbst draußen und bei den Pferden verging die Zeit kein Bisschen schneller.

Zwei Tage vor den großen Sommerferien beschlossen die Vier, ins Gelände zu gehen. Ihr Ziel war der Stall, in dem Lilli und Vivian ihre Kleinpferde stehen hatten. Dort wollten sie sich von den beiden Mädchen verabschieden, bevor sie nach Kalifornien fliegen würden. „Hoffentlich sind sie überhaupt da!“, meinte Juan. „Sonst kommen wir eben morgen noch mal.“, beschloss Lina. „Wir könnten sie natürlich auch anrufen.“, schlug Jason vor, „Oder wäre das zu unhöflich?“ Er lachte und Nele musste grinsen, auch wenn sie es nicht böse meinte. Lina schwieg und Juan wusste nicht, was er tun sollte. Er hasste solche Situationen. Ihm fiel einfach nicht ein, was er machen konnte, um einen Streit der Beiden zu verhindern oder zu schlichten. Aber er versuchte es. Auch jetzt sah er nicht nur zu, sondern schlug vor: „Wollen wir ein Stück traben?“ Bevor die Streithähne etwas sagen konnten, entschied Nele: „Ja, sonst kommen wir nie an.“ Juan ließ Lislaine neben Mecano laufen, während Nele sich zu Lina gesellte. „Dieser Idiot!“, fauchte Lina ihrer Freundin zu, „Was bildet er sich ein?“ – „Er meint das bestimmt nicht so.“, beruhigte Nele sie. „Er wird es schon zurückbekommen!“, versicherte Lina. „Streitet euch nicht wieder wie letzten Sommer.“, bat Juan seinen Bruder, der dazu gar nichts sagte. So erreichten sie schließlich den kleinen Stall im Schritt. Sie ritten auf den Hof und sahen sich um. Auf dem Reitplatz gab Lorna gerade Annabelle Unterricht. „Hallo!“, rief die Reitlehrerin den Kindern zu, „Sucht ihr Lilli und Vivian? Die sind im Stall. Bindet eure Pferde so lange da vorn an!“ – „Okay, danke!“, antwortete Lina für sie alle. Sie banden ihre Pferde an und gingen in den Stall. „Hey, was macht ihr denn hier?“, rief Lilli, die sie zuerst entdeckte. Sie klang erfreut und überrascht. Nun tauchte auch ihre Freundin Vivian aus der Box ihres Kleinpferdes auf und begrüßte den unerwarteten Besuch. „Wir wollten noch mal vorbeikommen, bevor wir nach Kalifornien fliegen.“, erklärte Nele den Beiden. „Das ist ja mal eine coole Idee!“ – „Ja, nicht wahr!“, grinste Jason, „Wir wollten nicht anrufen, denn das wäre ja...“ Weiter kam er nicht, weil Nele ihn anstieß. „Hör auf!“, zischte sie und er hörte auf sie. Von Lina bekam er nur einen vernichtenden Blick. „Wollt ihr gleich reiten?“, wollte Juan von Lilli und Vivian wissen. „Ja, wir haben Unterricht.“ – „Bei Lorna?“, fragte Lina und streichelte Balou am Kopf. „Ja, bei wem sonst!?“, lachte Vivian und legte ihrem Kleinpferd Gamaschen an. Wenig später führten sie ihre Tiere aus dem Stallgebäude.
Während Lilli und Vivian aufstiegen, sah Juan halb träumend zu, wie Mark seine kleine Schwester Annabelle von ihrem Pony hob und diese ihrer Mom entgegen lief und um den Hals fiel. Lorna, die sich unbemerkt neben den Jungen gestellt hatte, sagte sehnsüchtig: „Sie hat es gut, was?“ Fragend sah der Junge sie an und murmelte dann: „Ja, allerdings.“ – „Ich kann dich verstehen, Juan.“, meinte Lorna, „Ich habe meine Eltern nie kennen gelernt. Ich weiß, wie du dich fühlen musst.“ Gerade wollte Lina wissen, warum Lorna ihre Eltern nie kennen gelernt hatte, da fiel Jason dazwischen: „Wenigstens musstest du nicht allein bei deiner sterbenden Mom bleiben.“ Lorna sah Jason fragend und geschockt zugleich an, doch der deutete auf Juan. Die Reitlehrerin hatte das Ende der Geschichte scheinbar nie erfahren. Oder zumindest kannte sie diese Einzelheit nicht. Und sie wusste nicht genau, was sie dazu sagen sollte. Deshalb ging sie auf den Reitplatz zu Lilli und Vivian. Juan begann, sich richtig schlecht zu fühlen. Mark, der Slickly zum Hänger führte, hob die Hand zum Gruß und die Kinder antworteten. „Komm schon, Juan.“, sagte Nele sanft, „Lass uns zurückreiten!“ Er nickte und

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Betty J. Viktoria
Bildmaterialien: Betty J. Viktoria
Tag der Veröffentlichung: 15.10.2012
ISBN: 978-3-95500-382-1

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für die UZ, denen ein solches Abenteuer sicher gefallen hätte

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