Es war ein verregneter, trister Nachmittag Anfang April als auf einem kleinen abgelegenen Bauernhof ein winziges braunes Ei mit dunklen Sprenkeln einen ersten Sprung bekam. Noch hatte niemand etwas von dem Geschehnis bemerkt. Der Regen klopfte weiter lese und beständig an die Fensterscheiben des Hühnerstalls.
Die sieben Hühner der Oma Friedoline hatten sich zum Dösen auf ihre Stange zurückgezogen, drängten sich dicht aneinander und steckten ihre Köpfe ins Gefieder. Manche von ihnen lebten schon viele Wochen bei Oma Friedoline, einige sogar schon mehrere Jahre. Für jedes Huhn hatte Oma Friedoline einen Namen. Da war Gertrud, die älteste Henne. Sie war sehr ernst und weise, sagte aber nie besonders viel. Dann gab es da Else und Ilse, die Zwillinge. Nicht einmal Oma Friedoline konnte die beiden auseinander halten, so glichen sie einander. Edeltraud war die geschwätzigste von allen. Legte sie ein Ei, dann gackerte sie so laut und so lange, bis es auch das letzte Huhn im hintersten Winkel der Weide mitbekommen hatte. Wegen dem Krach bekam sie sich oft mit Ludmilla in die Federn. Ludmilla mochte am liebsten die Ruhe. Manchmal zog sie sich mit Absicht an den einsamen Platz unter dem Haselnussstrauch zurück um dort ungestört zu meditieren. Dabei wurde sie nur manchmal von der Hexen-Henne Walpurga gestört, die dann dort nach Zauberkäfern und Heilwurzeln suchte. Die jüngste Henne Brauni trieb sich gerne überall herum und mochte bisweilen die Gesellschaft einer jeden anderen Henne. Manchmal war sie ein bisschen traurig, dass alle anderen so schöne Namen hatten und sie selbst nur so einen gewöhnlichen, der noch dazu ganz offensichtlich die Farbe ihres Gefieders wiedergab.
So saßen sie nun auf der Stange: Die alte Gertrud zwischen den Zwillingen Else und Ilse, daneben Edeltraud. Walpurga und Brauni hatten Ludmilla zwischen sich genommen. Nur Hannibal, der Gockel saß etwas abseits und beobachtete mit einem Auge – das andere hatte er zum Schlafen geschlossen – seine Gefolgschaft.
Das winzige braune Ei mit den dunklen Sprenkeln bekam einen zweiten Sprung. Hätte jemand genau hingesehen, wäre ihm aufgefallen, dass sich im Ei etwas bewegte. Doch noch dösten alle.
Oma Friedoline kochte Kartoffeln. Es waren alte Kartoffeln, die bereits Wurzeln ausgetrieben hatten. Die Oma wollte die Kartoffeln nicht mehr essen, doch ihre sieben Hühner und Gockel Hannibal würden sich bestimmt darüber freuen. Vielleicht, vielleicht freute sich ja auch schon bald jemand anderes über gekochte Kartoffeln - oder zumindest über Hirsekörner. Oma Friedoline lächelte in sich hinein, als sie anfing, die noch heißen gelben Kartoffeln grob in eine alte Plastikschüssel zu drücken.
Langsam wurde es Abend auf dem kleinen Bauernhof. Oma Friedoline melkte ihre einzige Kuh Maximiliane, genannt Max. Max gab gerade so viel Milch, dass Oma Friedoline jeden Tag ein großes Glas trinken konnte und auch noch etwas für die Hühner übrig blieb. In einem steinernen Krug brachte sie um halb sieben der Hühnerfamilie ihren Anteil Milch, zusammen mit den Kartoffeln. Als sie die Tür zum Stall öffnete, stürmten ihr laut gackernd ihre acht Lieblinge entgegen, allen voran Edeltraud, die sich den besten Brocken sichern wollte. „ Langsam, langsam, es ist ja genug für alle da“, versuchte Oma Friedoline die Meute zu beruhigen. Viel brachte das wie erwartet aber nicht. In dem Durcheinander nahm Oma Friedoline noch vier Eier aus den Nestern und schob sie in ihre Schürze. Davon würde sie sich gleich noch ein schönes Omelette in der Pfanne braten. Gerade wollte sie den kleinen hölzernen Stall wieder verlassen, als – war da nicht noch ein anderes Geräusch außer den gackernden, Hennen beim Abendbrot? Etwas, das viel leiser und zarter war? Oma Friedoline schaute genau hin. Ihre Augen waren nicht mehr die besten und ihre Brille hatte sie wie meistens verlegt. Aber doch, hinten in der Ecke in einem Nest sah sie es liegen – das kleine frisch geschlüpfte Küken. Noch war es feucht und müde von den Anstrengungen, die es unternehmen musste um sich durch die Eierschale zu kämpfen. „Du bist früh dran“, sagte Oma Friedoline und lächelte. „Noch hätte ich dich nicht erwartet“. Sie schlurfte zum Nest und nahm das kleine Küken vorsichtig heraus. „Komm erst mal mit in mein Haus. Am Ofen ist es wärmer als hier und dich soll ja nicht frieren.“ Das kleine Küken piepte zustimmend. „Ich werde dich Kiki nennen. Kiki, das Küken“ Mit diesen Worten brachte Oma Friedoline den Neuankömmling ins Haus.
Die nächsten paar Tage – oder waren es Wochen? – verlebte Kiki in einer alten Schuhschachtel in der Nähe von Oma Friedolines Holzofen. Dort war es immer schön warm, das Küken bekam köstliche Hirsekörner wann immer es wollte und durfte sich richtig ausschlafen. Doch bald spürte Kiki, dass sie mehr wollte. Hirse war so trocken, sie wollte etwas Frisches. Ihre Füße wollten sich irgendwo graben. Der Ofen und die Schuhschachtel waren langweilig geworden. Kiki wollte Neues sehen. So kam es, dass sie jedes Mal, wenn sie Oma Friedoline sah lauter piepte und aufgeregt mit ihren kleinen Flügeln schlug. „Ja, ja, bald“, sagte Oma Friedoline dann nur und tätschelte den kleinen Kopf des Kükens.
Schließlich kam der Tag, an dem Oma Friedoline einen Deckel auf Kikis Schachtel packte und sie aufhob. Kiki in der Schachtel verlor das Gleichgewicht und plumpste auf den Po. „Nanu? Was ist denn jetzt los?“ Ein paar Minuten dauerte es, bis Oma Friedoline vorsichtig aus dem Haus und über den Hof gewackelt war. Kiki hörte ein leises Quietschen. Eine Tür öffnete sich. Die Schachtel wurde auf dem Boden abgestellt. Kiki lauschte. Draußen hörte sie Stimmen. Es waren viele Stimmen und sie redeten wirr durcheinander. Da öffnete sich der Deckel der Schachtel. Helles freundliches Sonnenlicht blendete Kiki, sodass sie erst gar nichts erkennen konnte. Neugierig streckte sie ihren Schnabel in die laue Luft. Langsam konnte sie ihre Umgebung erkennen. Da war grünes Gras, aufgewühlte Erde, ein Haselnussstrauch, ein paar Steine, ein hölzerner Stall und … Kiki zuckte zusammen. Was war denn das? Ihre gegenüber standen sieben neugierige Hennen und ein Gockel, die sie von oben bis unten musterten und miteinander tuschelten. „So, ihr Lieben, das ist unsere Kiki. Kiki, das ist deine Familie. Du bist nun groß genug, mit den anderen auf der Weide herumzulaufen. Los, fang dir ein paar Würmer!“ rief Oma Friedoline aufmunternd. Kiki war ein bisschen mulmig zumute. Doch die Neugierde zog sie hinaus. Etwas unbeholfen taumelte sie zum Rand der Schachtel und hopste hinaus auf die Erde. Das frische grüne Gras kitzelte sie an den Füßen. Das fühlte sich gut an. Kiki freute sich. „Willkommen, kleines Küken“, begrüßte sie die weise alte Henne Gertrud. „Ich hoffe dir gefällt es bei uns.“ „Keine Sorge“, sagte Hannibal „du wirst dich bald bei uns eingewöhnt haben. Tob dich aus, ich rufe dich und die anderen wenn es Schlafenszeit ist.“
Brauni, die jüngste der anderen Hennen hopste auf Kiki zu. „Hallo Kiki, ich bin Brauni. Schön, dass du da bist. Nun bin ich nicht mehr die Jüngste der Gruppe. Möchtest du, dass ich dich herumführe und dir alles zeige?“ Kiki nickte energisch mit dem Köpfchen. „Ja, sehr gern“ So zogen die beiden los. Sie gruben in der Erde nach Würmern, kauten am frischen Gras und liefen um die Wette bis zum Haselnussstrauch. Sie wanderten am Weidezaun entlang und lauschen den Vögeln und Insekten in der Luft bis sie müde wurden. Schließlich zeigte Brauni Kiki den Weg in den Stall. Kiki hatte gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war und wie sehr sie der Hunger schon quälte. Im Stall gab es glücklicherweise alles was ein kleines Hennenherz begehrt: Weizenkörner, Milch von der Kuh Max und zerdrückte Kartoffeln. Kiki und Brauni schlugen sich die Bäuche voll bis ihnen schlecht wurde. Zum Ausruhen zogen sie sich auf die Stange zurück und drängten sich aneinander. Hannibal hatte sich auch zu ihnen gesellt und ein paar Happen verspeist. Dann hatte er seine anderen Mädels aufgefordert, langsam in den Stall zu kommen, denn bald würde es dunkel werden. Kiki und Brauni bekamen von der Ankunft der anderen Hennen nichts mehr mit. Sie waren schon lange eingeschlafen. Es war für beide ein anstrengender aufregender Tag gewesen. Kiki freute sich, so schnell eine neue Freundin gefunden zu haben.
Noch bevor die Sonne Kiki wecken konnte, krähte Hannibal schon aus Laibeskräften seine Guten-Morgen-Symphonie. „Aber es ist doch noch viel zu früh.“ jammerte Kiki verschlafen. „Ach was, das kommt dir nur so vor.“ „Bald gewöhnst du dich daran“, gackerten die Zwillinge Else und Ilse und sausten schon ins Freie. „Weißt du, wer von den beiden Else und wer Ilse ist?“ frage Kiki Brauni. Die lachte nur. „Manchmal glaube ich, sie wissen das selbst nicht so genau.“ Kiki streckte und reckte sich. Alle Hennen waren nach draußen gegangen. Nur Brauni wartete noch und Ludmilla trödelte vor sich hin. Ganz gemächlich richtete sie jede einzelne ihrer Federn, streckte sich ganz lang, machte sich dann ganz klein. Schließlich schlenderte sie wie die anderen ins Freie. „Ludmilla ist manchmal etwas seltsam. Ohne ihre Yoga-Übungen geht sie nie aus dem Stall. Die meiste Zeit des Tages verbringt sie dann unter dem Haselnussstrauch und meditiert. Wehe, man stört sie dabei. Da kann sie ganz schnell beleidigt sein.“ Kiki versuchte, es sich zu merken. Sie wollte bestimmt nicht, dass ihr Ludmilla beleidigt war. Brauni führte Kiki zu einem Plätzchen mit frisch aufgewühlter Erde, wo sie sich von den Sonnenstrahlen wärmen ließen.
„Pah! Kaum angekommen, schon schnappt sich das freche Küken den besten Platz. Eine Frechheit!“ Edeltraud plusterte sich auf und gackerte aufgeregt in Kikis Richtung.
„Aber Edeltraud, reg dich doch nicht auf. Die Weide ist doch groß genug für uns alle“, beschwichtigte Gertrud und zwinkerte Kiki zu. Edeltraud schlug aufgeregt mit den Flügeln und schnaubte verächtlich.
„Das Küken ist nicht besonders hübsch. Klug scheint es mir auch nicht zu sein. Es legt noch nicht einmal Eier. Es ist zu nichts Nutze, aber meinen Platz in der Sonne nimmt es mir weg. Wo doch jeder weiß, dass ich die größten und schönsten Eier für den Osterhasen lege!“
„Schluss damit, Edeltraud. Geh und putz dein Gefieder“, fauchte Walpurga „sonst verwünsche ich jede einzelne deiner sorgsam gepflegten Federn!“ Das war genug für Edeltraud. Sie zog von dannen. Vielleicht war Walpurga ja doch eine Hexe und machte eines Tages erst mit ihren Drohungen.
Kiki war indessen ganz traurig geworden. „Mag mich Edeltraud denn nicht? Was habe ich ihr denn getan?“ fragte sie Brauni.
„Mach dir nichts draus. Edeltraud will immer im Mittelpunkt stehen. Da ist es ihr egal, zu wem sie gemein ist. Du hast nichts falsch gemacht.“
„Aber sie hat recht. Ich lege keine Eier“, schluchzte Kiki.
„Noch nicht. Du bist ja noch eine ganz junge Henne.“
„Aber wie soll ich dann dem Osterhasen helfen?“ fragte Kiki verzweifelt.
„Kiki, das ist schon in Ordnung. Nächstes Jahr kannst du ihm dann umso mehr helfen.“
Aber Kiki war keineswegs beruhigt. Wenn sie auch nicht herausragend klug oder hübsch war, so wollte sie eben auf andere Weise ihren Beitrag leisten. Kiki begann zu grübeln.
Ein paar Tage vergingen an denen Kiki und Brauni die Weide erkundeten, in der Sonne lagen und sich mit Körnern, Kartoffeln und auch ab und zu ein paar Salatblättern den Bauch voll schlugen. Kiki hatte noch immer keine Idee, wie sie es rechtzeitig schaffen sollte, Eier zu legen. Von der Hexen-Henne Walpurga hatte Kiki erfahren, dass der Osterhase jedes Jahr in der Nacht zum Ostersonntag die Eier aus dem Stall abholte. Niemand hatte ihn je dabei gesehen oder gehört. Er musste wohl auf ganz leisen Pfoten geschlichen sein. Oder er hatte einen Zauber angewandt, vermutete Walpurga.
Bis Ostersonntag blieb nun nicht mehr viel Zeit, sodass Kiki beschloss um Hilfe zu fragen. Zuerst sprach sie mit Brauni. „Heute Nacht kommt der Osterhase und ich kann noch immer keine Eier legen. Er wird all euere Eier holen, auch die der gemeinen Edeltraud, nur ich habe keine Eier für ihn. Brauni, wir müssen etwas unternehmen.“ Kiki hatte ein bisschen Angst, dass Brauni sie auslachen würde. Die Freundin überlegte kurz. „Hm. Es tut mir leid, ich weiß keine Lösung. Aber wenn jemand weiß, was zu tun ist, dann Gertrud. Sie ist die Älteste und Klügste. Fragen wir sie.“ „Das ist eine gute Idee.“ Kiki freute sich. Sie fanden Gertrud im Schatten eines Holunderstrauchs und erzählten ihr sogleich das Problem. Gertrud hörte sich die ganze Geschichte verständnisvoll an. Dann sagte sie zu Kiki: „Du bist doch noch klein. Du darfst herumtollen, spielen und vieles lernen. Es wird noch etwas dauern bis du groß genug bist, Eier zu legen. Deine Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Genieße deshalb die Unbeschwertheit, die du jetzt noch hast. Im nächsten Jahr wirst dann auch du dem Osterhasen helfen können.“
Kiki bedankte sich für die Antwort und zog sich mit Brauni zurück. Brauni merkte, wie traurig die Freundin war und stupste sie an. „He, Kopf hoch. Warum besuchen wir nicht Ludmilla unter der Haselnuss?“
So kam es, dass die beiden die stillste ihrer Genossinnen aufsuchten. Ludmilla begrüßte sie nur mit einem Kopfnicken. „Hallo Ludmilla“, gackerte Brauni „Kiki möchte gerne Eier für den Osterhasen legen.“ Kiki schaute traurig drein und versuchte nicht zu schluchzen. „Kannst du uns helfen?“ Ludmilla regte sich nicht. Fast wollten die beiden schon wieder gehen, da begann Ludmilla eine Melodie zu summen. „Seltsam“, dachte Kiki, „oder vielleicht sogar ein bisschen gruselig.“ Ludmilla öffnete die Augen und musterte Kiki von oben bis unten. Dann flüsterte sie: „Setzt euch zu mir und meditiert mit mir. Entspannt euch. Kiki, nun konzentriere dich ganz auf deinen Wunsch. Wenn du nur fest daran glaubst, wird es funktionieren.“ Mehrere Stunden vergingen ohne dass Kiki eine Veränderung bemerkt hätte. Kein Ei in Sicht. Meditieren half auch nicht. Schließlich gab Kiki auf. „Komm Brauni, lass uns gehen. Mir tut alles weh vom Stillsitzen. Ich muss mich bewegen.“ Sie bedankten sich bei Ludmilla und zogen davon.
Als sie um den Hühnerstall bogen, wurden sie von Walpurga aufgehalten. „Ich habe schon alles gehört!“ rief sie Kiki zu. „Vielleicht habe ich die Lösung.“ Unter ihrem Gefieder zog sie ein giftgelbes Fläschchen hervor und wedelte damit vor Kikis Augen. Das ist ein Zaubertrank. Du musst dich auf dein linkes Bein stellen, mit dem rechten Flügel das linke Ohr zuhalten während du ihn trinkst. Dann spuckst du zwei Mal über die rechte Schulter und drehst dich drei Mal um dich selbst. Heut Nacht wirst du dann dein erstes Ei legen.
Wenn Meditieren nicht half, dann vielleicht der Zaubertrank? Den Versuch war es wert. Kiki trank das giftgelbe Zeug wie geheißen auf dem linken Bein stehend, hielt sich mit dem rechten Flügel das linke Ohr zu. Dann spuckte sie zwei Mal über die rechte Schulter und drehte sich drei Mal um sich selbst. Dann wartete sie wieder. Aber anstatt ein Ei zu legen wurde Kiki übel. Ihr war so schlecht, dass sie ganz grün unter ihren Federn wurde. Vielleicht hatte Walpurga den Zaubertrank falsch gemischt? Kiki war nun alles egal. Sie hatte alles versucht und nichts hatte geholfen. Sie tapste in den Stall, setzte sich auf die Stange – obwohl es noch lange nicht Abend war – und wartete darauf, dass ich ihr Magen beruhigte. Brauni ließ die Freundin ziehen, denn sie wusste, dass Kiki jetzt in Ruhe gelassen werden wollte.
Die Sonne ging bald hinter den Bergen unter, alle Hennen hatten sich auf der Stange im Stall eingefunden und dösten. Die Zwillinge Else und Ilse nahmen Kiki in die Mitte. Nur Brauni fehlte. Kiki träumte von grünem Gras und Ostereiern.
Es war stockdunkel im Stall, als Kiki zu sich kam. Hatte sie eben einen Stoß in die Rippen bekommen? Sie spähte ins Dunkel und versuchte in den Schatten etwas zu erkennen. Da spürte sie den zweiten Rippenstoß. Die Henne neben ihr auf der Stange hatte sie angerempelt. Es musste Else gewesen sein – oder doch Ilse? „Psst“, zischte der andere Zwilling rechts von ihr „gackere nicht und sei ganz leise. Brauni hat eben einen Stein ans Fenster geworfen. Das heißt, dass sie den Osterhasen gesehen hat und er jeden Moment ankommen wird um unsere Eier zu holen.“ Kikis Herz begann ganz laut und heftig zu schlagen, dass sie schon dachte, es könnte die anderen Hennen wecken. Vor Aufregung bekam sie kaum noch Luft. „Also“, flüsterte der linke Zwilling „wir haben uns gedacht, wenn du schon keine Eier legen kannst, dann frag doch den Osterhasen, ob er anderweitig Hilfe braucht. Du darfst aber hier niemanden wecken. Deshalb musst du sobald der Osterhase herein kommt, hinaus flitzen. Da wartest du dann, bis er wieder raus kommt und dann sprichst du ihn an.“ Kiki nickte eifrig. Noch immer unfähig zu atmen. Da öffnete sich die Tür auch schon einen kleinen Spalt und zwei Hasenäuglein spähten herein. Kiki machte sich bereit hinauszurennen. Die Tür öffnete sich ganz und der Osterhase hüpfte mit einem Satz zum ersten Nest. Im selben Moment gaben Else und Ilse Kiki einen Schubs. „Jetzt“, zischten sie „und viel Glück“. Kiki hetzte ins Freie und holte erst einmal tief Luft.
Hier war es heller als im Stall. Der Vollmond leuchtete die Umgebung aus. Alles sah befremdlich und ein bisschen gespenstisch aus. Aber Kiki war zu aufgeregt um sich zu fürchten. Nervös trat sie von einem Bein auf das andere. Brauni lugte hinter dem Stall hervor und zischte „Viel Glück“. Da verließ der Osterhase auch schon den Hühnerstall und Kiki kam nicht mehr dazu zu antworten.
Auf dem Rücken trug er einen großen Korb mit unzähligen Eiern. Kiki wartete bis der Hase die Türe geschlossen hatte. Gerade wollte er weghoppeln da sprang ihm Kiki in den Weg. Der Osterhase erschreckte sich, sodass er beinahe ein paar Eier verloren hätte.
„Hallo, ich bin Kiki.“ stammelte das Küken. Der Osterhase schaute überrascht drein. „Habe ich dich ausgesperrt?“ frage er verlegen.
„Nein, nein.“
„Bist du ausgerissen?“
„Nein, auch nicht.“
„Aber warum schläfst du nicht?“
„Weil… weil ich dir helfen wollte. Ich wollte so gerne Eier legen und weil das nicht geklappt hat, wollte ich dich fragen, ob ich dich anders unterstützen kann.“ Kiki schaute halb ängstlich, halb erwartungsvoll zum Osterhasen auf. Dieser schien zu überlegen. Er legte den Kopf erst auf die linke, dann auf die rechte Seite. Kiki dachte schon, er würde sie gleich wieder hineinschicken, da sprach der Hase: „Na gut, du kannst mir tatsächlich helfen. Mein Bruder Franz ist leider krank geworden. Ich werde dich mitnehmen. Aber wir müssen vor Tagesanbruch wieder zurück sein. Wir wollen ja beide keinen Ärger mit Oma Friedoline bekommen“ Dabei zwinkerte er Kiki zu. „Ich heiße übrigens Hans. Komm, laufen wir in den Wald zu unserer Hütte.“
Hannibal hatte noch nicht gekräht, da klopfte schon jemand energisch an die Stalltür. Die sieben Hühner und ihr Gockel rieben sich die Augen. Beschwerden wie „Viel zu früh“, „Zu nachtschlafender Zeit“ und ein paar leise Flüche flogen durch die Luft. Hannibal hatte sich als erster im Griff und öffnete die Tür. Langsam folgten ihm seine Hennen hinaus. Da sahen sie ihn stehen: Einen großen Osterkorb mit unzähligen Eiern, die in den schönsten Farben leuchteten: gelb, grün, rot, blau und orange. Daneben saßen der Osterhase Hans und Kiki, die über das ganze Gesicht strahlte.
Den Hennen stand der Schnabel offen. Da sprach der Osterhase. „Guten Morgen. Ich bin Hans, der Osterhase. Das alles hat Kiki vollbracht. Sie hat in der letzten Nacht alle Eier angemalt. Mein Bruder Franz ist leider krank geworden, sodass ich schon befürchtete, in diesem Jahr keine bunten Eier verschenken zu können. Aber Kiki hat Ostern gerettet. Danke liebe Kiki.“ Die Zwillinge und Brauni begannen begeistert zu applaudieren und die anderen stimmten ein. Das Küken wurde ganz rot unter ihren gelben Federn. „Es hat wahnsinnig Spaß gemacht“, zwitschere sie und zu Edeltraud gewandt fuhr sie fort. „Sieh nur die dunkelroten Eier mit glitzerndem Gold. Das sind die Eier, die du gelegt hast. Es waren die größten und schönsten Eier und deshalb haben sie den schönsten Anstrich verdient!“ Sogleich tat es Edeltraud leid, dass sie zu Kiki so böse gewesen war, wo sie doch so ein liebes Küken war. Edeltraud zerdrückte eine kleine Träne der Rührung und nahm Kiki in die Flügel.
„Das ist so nett von dir. Meine Eier hast du am schönsten angemalt. Wollen wir Freunde sein?“ Kiki nickte und freute sich. Hans, der Osterhase schnallte sich den Osterkorb wieder auf den Rücken. „Nun muss ich aber los und die Eier verteilen, bevor die Menschenkinder aufwachen. Ich wünsche euch frohe Ostern! Bis zum nächsten Jahr!“
Wie immer um halb sieben Uhr Morgen ging Oma Friedoline zu Max in den Stall, um sie zu melken. Als sie mit dem steinernen Krug voll Milch den Stall verließ, war ihr, als hätte sie einen Hasen im Hof hoppeln sehen. Seltsam. Sie schaute noch mal hin. Da war kein Hase mehr. Sie musste sich getäuscht haben. Als sie zur Haustür zurückkam sah sie ein kleines Osternest mit drei wunderschön bunt gefärbten Eiern stehen. Eines war dunkelrot und glitzerte golden. Wer hatte die wohl gebracht?
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2012
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