Mittelstand und Sozialgesellschaft
Als ich kürzlich einen südamerikanischen Besucher zu einer Autofahrt einlud und ihn aufforderte, sich anzugurten, fragte er mich ganz überrascht, warum man sich in Deutschland selbst fesseln müsse, wenn man sich in ein Auto setze. Ich habe ihm vergeblich erklärt, dass dies eine Vorschrift unserer Regierung sei, veranlasst von Sozialpolitikern und Versicherungen, um die Zahl der Verletzten und die Kosten der Versicherungen dadurch zu reduzieren (wenn auch dadurch die Zahl der Toten steigen mag). Der Besucher hakte nach, dass also nicht andere Verkehrsteilnehmer von dieser angeblichen Fürsorge betroffen würden, sondern nur die Insassen selbst. "Aber das ist doch eigentlich eigene Entscheidung und eigene Freiheit?" meinte er. Es war ihm schwer klarzumachen, dass unsere Sozialpolitiker und Sozialfunktionäre besser wissen dürfen, was gut für uns ist, als wir selbst.
Das Beispiel mag streitig sein, verdeutlicht aber unsere Situation. Nach der Theorie sollten wir eine freie, selbstverantwortliche Gesellschaft sein. Tatsächlich aber ist die Freiheit jedes einzelnen von uns in den vergangenen 41 Jahren immer stärker beschränkt worden, hat sich ein immer dichteres Netzgeflecht von Gesetzen und Verordnungen in einem Volumen von 84.000 Seiten Papier um uns geschlungen, sind aus angeblicher Fürsorge immer mehr Handlungen, Verhalten und Schritte nicht nur außerhalb unseres Hauses und Betriebes, sondern auch innerhalb vorgeschrieben, werden wir in immer größerem Umfang von den öffentlichen Funktionären kontrolliert, nehmen sie uns für ihre Zwecke mehr als die Hälfte unsere Leistung ab (56 % BSP Staatsanteil) und haben inzwischen vielfältigste Betreuungsorganisatoren und Betreuungsfunktionäre ein immer dichteres Spinnennetz von Fürsorge, Betreuung, Bevormundung und Einfluss um uns gesponnen, so dass sie damit Abhängigkeit statt Freiheit, Fremdverantwortung statt Eigenverantwortung und Macht über uns statt Eigenständigkeit errungen haben. Unsere gesellschaftliche Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung ist heute nicht so sehr von außen als von innen bedroht, von Millionen öffentlicher, halböffentlicher und privat-institutioneller Sozialfunktionäre und Berufsbetreuer.
Hatten wir noch in den sechziger Jahren 42 % mehr Unternehmer als öffentliche Diener, ist dies heute umgekehrt. Inzwischen ist das Funktionskorpus der öffentlichen Sozial- und Berufsbetreuer so zahlreich geworden, dass auf sieben produktive Erwerbstätige in unserem Volk bereits ein Berufsbetreuer kommt, welcher von der wirtschaftlichen, gesundheitlichen, sozialen, verwaltungsmäßigen, kulturellen oder politischen Betreuung dieser Erwerbstätigen lebt und vor allem Einfluss und Macht auf sie ausüben will.
Wer sich betreuen lässt, gibt innere Freiheit, innere Initiative, Verantwortung und Entscheidungsfreiheit damit ab und unterwirft sich zu einem Teil dem Willen und der Macht seines Betreuers. Die Kader der wirtschaftlichen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Macht leben heute wie früher nicht mehr von eigener Arbeit, sondern von der Betreuung anderer. Für sie ist also der Einfluss und die Macht aus der Betreuung ein notwendiges Instrument zur Errichtung der von ihnen angestrebten Feudalstellung.
Für die Masse der Arbeiterschaft erscheinen solche Betreuungen und Sozialleistungen als soziale Wohltat, deren Hinterlist der Macht sie nicht sehen. Da sie auch nicht wissen. dass sie die Kosten dieser angeblichen Wohltaten letztlich selbst zu bezahlen haben, sind sie den Sozialfunktionären für ihre Sozialleistungen auch noch dankbar und gefügig und sind bei Wahlen bereit, für jede Bestechung mit neuen Sozialleistungen diejenigen Funktionärscliquen zu wählen, welche ihnen am meisten versprochen und gegeben haben. Statt freie Bürger haben wir längst Sozialuntertanen.
Aber nicht nur die Sozialfunktionäre haben über den Weg der Bevormundung durch Sozialleistungen Macht über die eigentlich selbstverantwortlichen und freien Bürger errungen; auch die Großwirtschaft hat über ihre Funktionärscliquen und Berufslobbyisten und über die von ihnen beherrschten Wirtschaftsverbände eine beherrschende gesellschaftliche Macht errungen. Wo auch nur ein oder zwei Großkonzerne Mitglied eines Verbandes sind, fordern sie das Präsidentenamt und üben über Geschäftsführung und Verband nach ihrem Nutzen Macht über die Masse der mittelständischen Mitglieder aus. Und wenn es darum geht, gesellschaftliche Vorteile zu erreichen, geht es nicht um den Nutzen der Masse der mittelständischen Verbandsmitglieder, sondern um den Nutzen der herrschenden Großfirmen, welche sich Verbandsherrschaft, die Macht in den Verbänden und dadurch auch 95 % aller öffentlichen Subventionen gesichert haben.
Das gemeinsame Interesse aller Sozial- und Kapitalfunktionäre liegt in der Ausübung gesellschaftlicher Macht. Sie haben damit auch die Kulturschickeria eingekauft, um ihrer gesellschaftlichen Machtausübung, Betreuung und Manipulation der Geister, der Bildung, der Wissenschaft und der Kultur zu dienen.
Das Herrschaftsmittel für die Macht der Funktionärskaste ist die Ausgabe öffentlicher Gelder. Darum ist die gesamte Funktionärskaste an einer immer höheren Besteuerung der Bürger interessiert, nicht nur um sich selbst daraus Subventionen und Sozialleistungen zuweisen zu lassen, sondern um auch die bürokratische Herrschaftsmacht damit auszubauen und zu festigen.
Inzwischen bekommen die großen Kapitalgesellschaften in Deutschland mehr Subventionen, als sie überhaupt Steuern zahlen. Ihr Anteil der Körperschaftsteuer ist auf 2,6 % der Gesamtsteuern zurückgegangen. Aber auch die Arbeiterschaft bekommt mehr Sozialleistungen, als sie selbst an Steuern und Sozialabgaben aufbringt. Zahler nach oben wie nach unten ist inzwischen der ausgebeutete Mittelstand, der zwar keine Macht hat, aber die Kosten und die Herrschaft der Funktionäre und ihrer jeweiligen Klientel zu bezahlen hat.
Die Herrschaft der Funktionäre geht folgerichtig davon aus, dass die großen Kapitalkonzerne nicht Selbstverantwortung, nicht Freiheit und nicht Gleichheit aller gebrauchen können, sondern eigene gesellschaftliche Macht, Vorrechte und Herrschaft suchen. Und ebenso wollen die Funktionäre des Proletariats nicht Chancengleichheit. Selbstverantwortung und Selbstbestimmung, sondern eigene Macht und Gehorsam von Sozialuntertanen gegenüber dieser Funktionärsmacht. Beide Randgruppen wollen aus solcher Funktionärsmacht leben. Beide haben Vorteile von ihr und beide tragen den Fetisch mit, unter welchem die Funktionärscliquen diese große Betreuungs- und Umverteilungsherrschaft errichten konnten: den Fetisch "Sozial". Im Namen dieses ursprünglich die Hilfe für Bedürftige meinenden Solidaritätsbegriffs wurde die größte öffentliche Umverteilung mit Begünstigung von drei Vierteln unserer Haushalte, aller Konzerne und der Ausplünderung des Mittelstandes für diese Umverteilung betrieben. Und unter diesem Fetisch wurde ein so dichtes und freiheitsfeindliches Regulierungsnetz um jeden einzelnen Bürger geschlungen, dass seine gesellschaftliche Freiheit längst zur sozialpolitischen Manipulation geworden ist.
Weil dies unter dem Fetisch .sozial" geschah, trauten sich die betroffenen Bürger nicht zu widersprechen und konnten die Funktionäre die derzeitige Betreuungsherrschaft gegen die Freiheiten der Einzelbürger und entgegen unserem individualistischen, dezentralen Gesellschaftssystem errichten.
Gerade dieser Rechtsschein der Betreuungsherrschaft durch den Sozialbegriff macht es auch so schwierig, die an sich unsoziale, eigensüchtige Ausgestaltung der Betreuungsherrschaft anzugreifen. Wer sich gegen die "sozialen Errungenschaften" der Betreuungstatbestände wehrt, gerät sofort in die Gefahr, damit als unsozial gebrandmarkt und gesellschaftlich geächtet zu werden. "Abbau des Sozialstaats" schreien die Kader der Betreuungsfunktionäre, wenn die Bürger das Betreuungssystem in Frage stellen und wieder für sich selbst sorgen, selbst entscheiden, Eigenverantwortung tragen oder ihre persönliche Freiheit behaupten wollen.
Tag der Veröffentlichung: 26.07.2011
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