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Das Mädchen und der Waldschrat

Es glaubt mir ja keiner, aber die Waldschrate gibt’s wirklich. Man muss nur fest daran glauben und genau hinschauen. Allerdings sind sie sehr scheu und sie suchen sich die Personen mit denen sie verkehren wollen sehr genau aus.

Nur die braven, ehrlichen Kinder bis ungefähr 16 Jahren werden akzeptiert.

Am besten, man geht allein in einen schönen, alten Mischwald mit sehr altem Baumbestand und einer ausgesprochenen Artenvielfalt.

So ein Schrat, der will es um sich herum ausgesprochen schön haben. Er will sich er­freuen können an schönen Pflanzen und Blumen und benötigt genügend alte Bäu­me um sich herum, die seine Kumpel werden können. Er hasst es, wenn wild ge­wordene Jäger die letzten verbliebenen Viecher abschießen. Mit wem soll er sich denn unterhalten wenn alles was da kreucht und fleucht ausgerottet ist?

Sprecht die Mordbuben ruhig darauf an – aber , dabei immer höflich bleiben.

Denn, so wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es zurück!

Sehr empfehlenswert ist der Allacher Wald am westlichen Stadtrand von München.

Er dürfte wohl zu den artenreichsten Wäldern in Deutschland zählen. Auch wenn die „bayrische Staatsmacht“ alles getan hat ihn in seiner Vielfalt einzuschränken und teilweise zu vernichten, der Wald hat überlebt - und wie!

Gott sei Dank gab und gibt es genug Wald-Freunde die gerne ihre Freizeit opferten und ihre Finanzen strapazierten um den Wald vor den totalen Zugriffen von Ran­gierbahnhof und Autobahn zu schützen.

Jetzt hat er, zwar verkleinert und eingeschränkt, wohl seine endgültige Daseinsbe­rechtigung gefunden.

Aber zurück zum Waldschrat. Er liebt auch kleine Mädchen, die den Sinn für das Schöne behalten haben.

So ein Mädchen war Amelie.

Sie war ein hübsches, braves Dirndl von gerade ein­mal 12 Jahren und wohnte, be­hütet von Papa und Mama, in der nahen Waldkolo­nie.

Ihre Eltern waren damals in den Achtzigern auch beteiligt, als es galt den Wald vor der völligen Zerstörung durch irgendwelche obrigkeitshörige Technokraten zu schützen.

Als ausgesprochene Naturfreunde gaben sie ihr Wissen natürlich auch an ihre Tochter weiter.

Durch viele lehrreiche Spaziergänge und Wanderungen kannte sich Amelie sehr gut aus im Wald. Sie kannte die Tiere und die Pflanzen, schützte und behütete sie.

Jetzt mit 12 Jahren, also, nach ihrer Meinung, beinahe erwachsen, machte sie ihre Erkundigungen auch schon ´mal allein.

So auch heute; und das hatte einen Grund.

Der ewige Schultrouble

 

Alle waren heute gegen sie. In der Früh ging´s schon los: Zoff mit der Mami mit der sie ja sonst so prima auskommt. Aber heute durfte sie doch tatsächlich den neuen Mi­nirock nicht anziehen! - und das alles obwohl heute der Neue, der Andre­as, sei­nen ersten Schultag in ihrer Klasse hatte.

Die Begründung war der Gipfel! Heute, am 5.5. soll es doch tatsächlich noch zu kalt sein für solch eine leichte Bekleidung.

Weicheier! Warmduscher! Ignoran­ten – diese Eltern.

Und dann noch die Lehrerin, Frau Meyerbeer. Als wenn dieser Name allein nicht schon reichen würde, setzt die den Andreas doch tatsächlich neben die Anja!

Wie soll ich mich ohne meinen Minirock denn bei ihm bemerkbar machen? Wie soll ich einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen?

Fragen über Fragen. Wie soll man da eine Antwort finden?

Als wenn das alles nicht schon gereicht hätte, kommt die Hexe von Lehrerin auch noch mit einer vermurksten Bio-Arbeit daher.

Eine Drei minus ist ja noch kein so großes Unglück, aber die Bemerkung: nicht auf­gepasst! Wohl andere Flausen im Kopf? Bitte von den Eltern unterschreiben lassen, war ja wohl der Gipfel – das geht ja gar nicht!

Das hat noch gefehlt. Nicht das ihre Eltern so streng mit ihr wären, aber Unaufmerk­samkeit – nee, das konnten sie gar nicht leiden – die Eltern und vergaßen dabei ihre eigene Schulzeit.

Nach der Schule schlich sie förmlich nach Haus.

Wie zu erwarten, waren beide Eltern nicht zu Hause, sie mussten arbeiten.

Mit wem soll man sich denn jetzt noch aussprechen, wenn keiner zu Hause ist?

Die Mami kommt erst um 3 Uhr heim und der Papa ist auf einer Dienstreise in Ameri­ka.

So macht sie das was sie schon öfter nach dem Unterricht gemacht hat. Sie zieht sich ihre Sportsachen an und läuft in den nahen Wald.

Abreagieren! Der Dampf muss raus.

Aber auch das klappt nicht so wie sie es gewohnt ist. Nach zwei Runden pfeift sie aus dem letzten Loch. Sie ist total am Ende!

Müde, enttäuscht und frustriert setzt sie sich auf ihre gewohnte Trostbank.

Das ist eine umgestürzte, ehemals kolossal große, Ulme, die ihr der Papa schon vor Jahren als Trostbaum empfohlen hatte.

Als Kind hatte er hier selbst schon oft Trost erhalten. Was damals gut war, ist es auch heute noch.

Ein Sturm, namens Wiebke, hatte sie umgeworfen und dient nun den Kindern als Spiel- und Sportge­rät. Sie eignet sich hervorragend als Balancier- und Mutprobein­strument.

Der mächtige Stamm gibt auch kleineren Kindern oder noch nicht so Mutigen ge­nügend halt.

Zunächst benötigten die Kleinkinder noch die Hilfe von Papa oder Mama. So ganz ungefährlich ist das nämlich nicht. Früh am Morgen, nach einem Regenguss oder erst recht bei Eis und Schnee ist das eine rutschige Angelegenheit. Da hat es schon manchen der kleinen Racker auf die Waffel gehauen. Aber die Stürze gin­gen bisher immer harmlos aus. Ein paar Schrammen hier, eine Beule dort, was soll´s? Gelobt sei was hart macht. Erst wenn sie den Gang alleine geschafft hatten, waren sie voll akzeptierte Mitglieder der Waldgilde.

Aber die alte Ulme war nicht nur Kinderspielzeug. Wenn abends die frisch Verliebten, ermat­tet vom Spaziergang, dringend eine Mund-zu-Mund-Beatmung benötigten, was gab es Schöneres als eine Rast auf dem Baum.

Meine Güte, was sich der alte Stamm da alles anhören musste. Wenn die Verspre­chen und Liebesschwüre alle wahr geworden sind, gibt es einen ganzen Haufen glücklicher Menschen in Allach und Umgebung.

Aber ´mal ehrlich, gibt es schönere Aufgaben für einen umgefallenen Baum als diese?

Zurück zu unserer ach „so unglücklichen“ Amelie. Wie konnte ihr geholfen werden? Wer konnte sie trösten?

Die Tränen rannen ihr die Wangen herunter, traurig saß sie da auf ihrem Trostbaum. Sie war untröstlich.

Waldschrat gibt’s den wirklich?.

 

Dann, plötzlich, was ist das? Was hörte sie da? Ist das nicht eine Stimme?

Eine Stimme, die ganz zärtlich und sanft in ihre Ohren drang und sich zärtlich wie ein Sommerwindhauch anfühlte?

Sie öffnete vorsichtig ihre Augen. Durch den Tränenschleier sah sie alles total ver­schwommen.

Sie blickte sich vorsichtig um, erkennen konnte sie im Moment noch nichts. Aus der Richtung aus der die Stimme kam, blickte sie nur auf einen bizarr geformten Baum.

Er war schon sehr alt und total krumm gewachsen. Sie glaubte in ihm eine uralte Platane oder eine Weide zu erkennen.

 Der Stamm sah schon etwas merkwürdig aus mit seinen vielen, verheilten Baumge­schwüren. Verschiedentlich hatten sich auch schon Vögel an der Rinde zu schaf­fen gemacht. Aber so richtig vollendet war nichts. Seine einst so tolle Krone war bis auf wenige Äste zusammen geschrumpft.

„Wo bist du? Wer bist du? Gib dich zu erkennen, so dass ich dich einschätzen kann. Ich habe Angst vor dir! Was willst du von mir?“

„Du ´brauchst dich nicht zu fürchten! Ich werde dir nie etwas zuleide tun, ich möchte dich nur trösten. Du hast mir mit deiner offenen Art, deinem guten Beneh­men und deiner immer guten Laune schon so oft eine große Freude gemacht, dass ich froh bin, mich einmal revanchieren zu können.

Also, nimm deinen Mut zu­sammen und erzähl mir was dich bedrückt. Um mich se­hen zu können, musst du nur richtig hinschauen und dein Herz öffnen. Die Richtung in der du schaust, ist schon richtig.“

Amalie versucht nun ihre Augen weiter zu öffnen und schaut sich den Baum inten­siver an.

Die zuvor unklaren Umrisse werden jetzt etwas deutlicher. Sie erkennt in dem Baum­stamm die Umrisse eines uraltem, menschenähnlichen Wesens. Das was sie zuvor als Baum­geschwüre eingeschätzt hatte,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 12.12.2015
ISBN: 978-3-7396-2755-7

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