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Buch

1. Kapitel

 

Über mich

 

 

Mein Name ist Benjamin Boston, ich lebe auf St. Pauli in Hamburg. Genauer gesagt lebe ich unter St. Pauli, nämlich in den Kanalrohren der Stadtentwässerung, die man hier Siele nennt - also dort, wo das Abwasser der Stadt hingelangt.

 

Alle nennen mich aber Freddy, weil ich so schön singen kann. Man erzählt sich von einem anderen Freddy, der einst in der Haifischbar am Fischmarkt schöne Lieder von der großen weiten Welt und der Seefahrt gesungen haben soll. Das Lied ´Junge komm bald wieder´ war eines seiner Lieder. Diese Haifischbar gibt es nicht mehr, wie vieles andere auch nicht.

 

Den Familiennamen Boston habe ich von meinen Vorfahren, die per Schiff vor vielen Jahren von Boston nach Hamburg ausgewandert sind. Ich habe also amerikanisches Blut in meinen Adern.

 

Von der Stadt Boston weiß ich aus Erzählungen, dass man dort einmal Teekisten von einem englischen Schiff ins Wasser geworfen hat. Das war ein gewaltiger Schlag ins Gesicht der Engländer, die so gerne Tee trinken. Jedenfalls sagt man, das Schmeißen der Teekisten habe die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika eingeleitet. Mein Namensvetter Benjamin Franklin lebte auch in Boston. Er hat an der Formulierung der Unabhängigkeitserklärung von England mitgewirkt und den Blitzableiter erfunden. Irgendwie haben die Engländer die Sache mit der Unabhängigkeit verknusen müssen, wie man in Hamburg so sagt.

 

Mein Revier in Hamburg ist dank des Kanalsystems sehr groß. Es erstreckt sich von Hammerbrook im Osten bis zur Großen Freiheit, einer Straße im Westen. Der Hafenrand und die neue Hafencity gehören auch noch zu meinem Revier. Es gibt auf St. Pauli nahezu alles, nicht nur für Ratten. Hier lebe ich und mache nur selten Ausflüge in andere Stadtteile. Meine Schlafplätze wechseln. Meist schlafe ich am Fußballstadion des FC St. Pauli oder wähle mir meinen Schlafplatz in kleinen Nischen des U-Bahn-Tunnels zwischen den Stationen Millerntor und St. Pauli-Landungsbrücken. Dort ist es immer trocken, aber wenn die Züge kommen sehr laut. In den Zügen sitzen oder stehen Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder Nachhause. Einige dösen vor sich hin, andere sind mit ihren Handys oder einer Zeitung beschäftigt. Das kann ich aber nur für wenige Augenblicke sehen.

 

Unten am Fischmarkt kann man schlecht schlafen. Dort saufen bei Sturmfluten manchmal die Kanäle ab, und das sehr schnell. Zum Glück passiert das hauptsächlich nur in den Wintermonaten, im Sommer eigentlich nie.

 

Eine liebe Rattenfrau habe ich auch. Ich nenne sie Babsie. Mit ihr habe ich schon viele Rattenkinder in die Welt gesetzt. Es sind so viele, dass wir längst den Überblick verloren haben. Manche leben schon nicht mehr, die Menschen haben sie auf dem Gewissen. Andere leben jetzt woanders in dieser großen Stadt und wieder andere sind ausgewandert, wie meine Vorfahren das einst auch gemacht haben per Schiff.

 

Das also ist das wesentliche über mich. Ich will niemand mit Familiengeschichten und so langweilen. Auch will ich keine Intimitäten von Babsie und mir ausplaudern. Ich meine, so etwas macht man einfach nicht.

 

Die Menschen mögen uns Ratten nicht besonders und haben oft Angst vor uns. Wir sollen für viel übles verantwortlich sein, Cholera, Pest, Ebola und solche Sachen. Deshalb bekämpft man uns mit immer raffinierteren Mitteln, auch in Hamburg. Nur die stolzen Schwäne auf der Alster werden gehegt und gepflegt.

 

 

 

2. Kapitel

 

Fischmarkt

 

 

Gerne halte ich mich tagsüber am Fischmarkt auf. Dort ist es besonders an Sonntagen sehr interessant, wenn in den Morgenstunden Markt ist. Es kommen viele Leute und es herrscht immer ein buntes Treiben. Es ist zwar auch ein richtiger Markt, ebenfalls aber auch etwas zur Volksbelustigung. Unter die einkaufenden Hausfrauen mischen sich Leute, die auf dem nahen Kiez bis zum frühen Morgen in Bars und Stripteaselokalen herumgelungert haben. Aber es sind auch viele Touristen da, die besonders neugierig auf die lustigen Marktschreier sind. Die verkaufen mit viel Getöse solche Sachen wie Bananen, Blumen und so. In wenigen Stunden machen die eine dicke Marie oder wie andere sagen reichlich Kohle.

 

Früher einmal legten an der Wasserseite die Fischkutter der Seefischer und die kleineren Fischewer der Elbfischer an, die direkt von Bord ihre Fische verkauften. Die gibt es schon lange nicht mehr, genauso wenig wie den alten Fischereihafen gleich nebenan. In der Fischauktionshalle findet heute alles mögliche statt, nur keine Fischauktionen mehr.

 

Es gibt da auch Lokale mit sehr gemischtem Publikum. Wer sich nicht benehmen kann oder besoffen die anderen anpöbelt, wird in hohem Bogen vor die Tür gesetzt. Die trollen sich dann oder schlafen irgendwo ihren Rausch aus.

 

Für mich als Ratte ist die Zeit nach dem Marktgeschehen interessant. Da liegt dann viel essbares herum. Man muss nur schnell sein, weil die von der Stadtreinigung alles gnadenlos wegräumen.

 

So sind die Menschen. Sie mögen uns Kanalratten einfach nicht. Man möchte uns am liebsten ausrotten und versucht das mit immer heimtückischer werdenden Mitteln. Wir Ratten aber lernen schnell und so kommen wir meist unbeschadet darüber hinweg.

 

 

 

3. Kapitel

 

Der Kiez

 

 

Den Stadtteil St. Pauli nennen viele ´Den Kiez´ und die Hauptstraße Reeperbahn ´Die sündigste Meile der Welt´. Das letztere finde ich masslos übertrieben. Gesündigt wird doch überall, in den Häusern der vornehmen Leute in Harvesterhude zum Beispiel oder in den Gebäuden der Banken und Versicherungen in der City auch.

 

Nur auf dem Kiez zeigt man das Sündigen völlig frei und offen, woanders eben nicht.

 

Lassen wir es dabei bewenden: Was Sünde ist erklärt der Pastor in der nahen Michaeliskirche, die alle nur ´Den Michel´ nennen. Der Turm des Michels ist das Wahrzeichen meiner Stadt und begrüsst seit alters her die Seefahrer, wenn sie nach Hamburg kommen.

 

Leider kommen viele Seefahrer gar nicht mehr an Land, um auf St. Pauli für eine Nacht oder so eine Braut zu suchen. Ihre heute meist vierkantigen gewaltig großen Schiffe bleiben nur wenige Stunden im Hafen, um mit riesigen computergesteuerten Hebeanlagen Container abzuladen und neue an Bord zu nehmen. Da bleibt einfach keine Zeit mehr für Landgänge.

 

Aus ist es mit der von meinem Namensvetter Freddy und anderen besungenen Seefahrerromantik. Aber das beliebte Lied ´Auf der Reeperbahn nachts um halb eins ...´ oder ´Rolling Home´ singt man noch heute, nicht nur auf dem Kiez von St. Pauli.

 

Mein eigenes Lied ist übrigens:

 

Auf St. Pauli in Hamburg bei Nacht

Viele Kinder wir haben gemacht.

Große schwarzbraune Ratten,

sehr lange Schwänze sie hatten.

In den dunklen Sielen leben wir,

der Kiez auf St. Pauli ist unser Revier.

 

Überall muss ich dieses Lied vorsingen, auf Familienfesten und so. Mittlerweile soll es auch schon in anderen Hafenstädten weltweit geträllert werden, in Rio, New York, Shanghai und anderswo.

 

Hier in Hamburg ist es nun so, der Kiez verändert sich ständig. Jedenfalls oben, weniger unten in den Kanälen. Altes verschwindet, neues kommt hinzu. So gibt es beispielsweise den legendären Starklub in der Großen Freiheit nicht mehr, wo einst die Beatles gerockt haben bevor sie weltweit berühmt geworden sind.

 

Der Starklub war etwas für Jugendliche. Es wurde im Stundentakt bis zum frühen Morgen mit wechselnden Bands gerockt. Abends um zehn ging volles Licht an und die Minderjährigen mussten nach Hause gehen. Auf dem Weg zur U-Bahn hat man noch schnell sich die Nase an den Schaukästen der Striptease-Lokale plattgedrückt, in denen schöne Fotos von wenig bekleideten Frauen zu sehen waren.

 

Rund um die Reeperbahn ist immer etwas los. Tagsüber sieht manches etwas schmuddelig aus, doch wenn es dunkel wird erstrahlen die bunten Lichter zum Anlocken von Besuchern. Sogar die Polizei in der Davidwache macht so mit Neonlicht auf sich aufmerksam. Die Männer und Frauen dieser Wache sorgen für etwas Ordnung auf dem Kiez, womit sie reichlich zu tun haben.

 

Wir Kanalratten meiden die Reeperbahn meist und wenn wir überhaupt ans Licht kommen, dann bevorzugen wir eher die Nebenstraßen. Beliebt ist auch die kleine Grünfläche am Bismarckdenkmal, die wir uns mit schrägen Gestalten teilen müssen.

 

Am wasserseitigen Rand des Kiezes befindet sich die Hafenstraße. Hier ist es gegenüber früher ruhig geworden. Es finden keine Straßenschlachten zwischen Hausbesetzern und der Polizei mehr statt. Vor den Hausbesetzern haben Paul und Frieda in einem der Häuser gewohnt mit einem kleinen Tabakladen. Das alles war aber lange vor meiner Zeit gewesen, aber man erzählt sich noch davon.

 

Ich selbst mag den Kiez auf St. Pauli sehr. Es gefällt mir hier einfach am besten.

 

 

 

 

4. Kapitel

 

Hafengeburtstag

 

 

Einmal im Jahr feiern die Hamburger Hafengeburtstag, jeweils im Monat Mai.

 

Gefeiert wird ein Freibrief, den Kaiser Barbarossa am 7.11.1189 der Stadt ausgestellt hat. Dieser Freibrief gewährte der Stadt Zollfreiheit für alle Schiffe, die von der Nordsee kommend den Hafen anliefen oder diesen wieder verließen. Dieses Privileg hatte einen unschätzbaren Wert für die Stadt. Hamburg wurde zum ´Tor zur Welt´. Die spöttischen Bürger der Nachbarstadt Bremen meinten dazu allerdings: "In eurem Stadtwappen ist das Tor geschlossen, wir Bremer haben aber den Schlüssel dafür“, weil die tatsächlich in ihrem Stadtwappen einen Schlüssel haben.

 

Jedenfalls wird dieser Hafengeburtstag heute kräftig gefeiert. Da ist viel los auf dem Wasser der Elbe vor den Landungsbrücken wie auch an Land. Es kommen zahlreiche große und kleine Schiffe aller Art eigens zu diesem Ereignis in den Hafen. Der Musikdampfer “Queen Mary II“ und andere riesige Kreuzfahrtschiffe genauso wie manche noch fahrende Großsegler

auch sind meist anwesend. Daneben herrscht auf dem Wasser lebhafter Betrieb zahlreicher Schiffe und Boote. Ein besonderes Spektakel ist das Schlepperballett, das von den wendigen Hafenschleppern vorgeführt wird.

 

 

 

 

 

Schlusswort

 

Die Geschichte endet hier vorläufig. An der Vervollständigung wird noch gearbeitet. Besuchen Sie die Webseite zum Buch http://www.benjamin.esy.es zur weiteren Verfolgung des Fortschritts.

 

 

 

 

 

Wissenswertes

 

Anzahl Ratten

Die Anzahl der Ratten im Kanalsystem Hamburgs wird geschätzt auf das 3 – 5 fache der Einwohnerzahl, also 5 – 8 Millionen.

Quelle: Wikipedia

 

 

Vermehrung der Ratten

 

 

Intelligenz der Ratten

 

 

 

Kanalsystem (Sielsystem) in Hamburg

Das System der Stadtentwässerung deckt eine Fläche von 300 km²

ab. Die Kanäle (Siele) haben eine Gesamtlänge von 5.397 km, davon sind 1.200 km Mischwasserkanäle für Schmutzwasser und Regenwasser. Im Durchschnitt werden täglich 440.000 m³ transportiert. Die Reinigung des Abwassers erfolgt in der Zentralkläranlage Köhlbrandhöft/Dradenau im Hafen gegenüber vom Fischmarkt. Quelle: Wikipedia

 

Der Bau des Kanalsystems hat1842 nach einem großen Brand begonnen. Man beauftragte den englischen Ingenieur William Lindlay mit einem Konzept für den Wiederaufbau der abgebrannten Flächen und eines Entwässerungssystems für Abwasser. Mit dem Bau der Siele wurde 1843 begonnen.

 

Impressum

Bildmaterialien: www.pixabay-com
Lektorat: -----
Tag der Veröffentlichung: 28.09.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
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