Das Wahre und Echte würde leichter in der Welt Raum gewinnen,
wenn nicht die, welche unfähig sind, es hervorzubringen, zugleich verschworen wären, es nicht aufkommen zu lassen.
[Arthur Schopenhauer]
Er hatte viel Zeit, denn das Leben und die Ideen liefen ihm nicht davon. Das was er begehrte, bekam er, dessen war er sich sicher. Derzeit hatte er alles im Griff und nichts konnte sich seiner Planung widersetzen.
Er konnte warten.
Klimbingat war ein ausgezeichneter Bestatter. Dieser Auffassung war er seit nahezu 30 Jahren und er hatte den Eindruck, dass die Hinterbliebenen seiner Klienten das Gleiche von ihm dachten.
Er schloss den Sarg und schob ihn in sein Bestattungsfahrzeug. Seit einiger Zeit arbeitete er alleine. Zu schmerzlich war für ihn die Erkenntnis geworden, dass die meisten Aushilfen die Würde seiner Arbeit nicht zu schätzen wussten. Entweder sie konnten nicht mit Toten umgehen, oder sie arbeiteten schlampig.
Als einer mit seinem Leichenwagen heimlich kleinere Umzüge organisierte, war Klimbingat entsetzt, der andere verwechselte im hiesigen Krankenhaus einen Verstorbenen. Schlimmeres konnte gerade noch verhindert werden.
Bei strahlendem Hochsommerwetter befuhr Klimbingat die Fahrstraße des Hauptfriedhofes. Vorbei an endlosen Graballeen und trauenden Hinterbliebenen gelangte er zum Krematorium. Einem schlichten Zweckbau aus den frühen Siebzigern. Er fuhr eine steile Abfahrt hinab zum Keller und kam anschließend vor einem Doppeltor zum Stehen. Hier lieferten die Bestatter ihre Särge ab.
Nachdem er den Sarg mithilfe des dafür vorgesehenen Rollwagens aus dem Auto gehoben hatte, schob er ihn über einen spärlich beleuchteten Flur. Alles roch hier nach Tod. Auch wenn er unter dem Sargdeckel verborgen war.
Klimbingat kannte sich aus. Der Kremationsraum war aus Sicherheitsgründen nie unbeaufsichtigt. Er klingelte und ein Mitarbeiter öffnete die Türe zum Vorbereitungsraum. Lässig stand er in seinem nagelneuen grauen Arbeitsmantel da und stellte sich Klimbingat vor.
„Hallo, Maier mein Name, ich bin neu hier“.
Klimbingat grüßte kurz angebunden und schob den Sarg an dem jungen Mann vorbei.
„Ist das eine „Neuanlieferung“? Fragte Maier überflüssigerweise und deutete auf den Sarg. Klimbingat sah ihn verwundert an und fragte in einem seltenen Anflug an Ironie:
„Wonach sieht es denn aus“?
Der Mann wurde rot und nahm wortlos die Papiere entgegen, die ihm der Bestatter überreichte. Nach eingehender Prüfung faltete er sie sorgfältig zusammen und öffnete lässig die Türe zum Kühlraum. Drinnen hoben sie den Sarg gemeinsam vom Wagen und stellten ihn zu den anderen Särgen auf dem Boden. Morgen würde ein Amtsarzt sich die Verstorbenen vor der Kremierung nochmal anschauen, um mögliche außergewöhnliche Todesursachen auszuschließen. Anschließend nahm Klimbingat seinen Wagen, hob die Hand und verabschiedete sich.
Klimbingat war in seinem Arbeitsraum mit einer Frauenleiche beschäftigt. Als ausgebildeter Thanatologe machte er es Angehörigen leicht, von ihren Verstorbenen am offenen Sarg Abschied zu nehmen. Die junge Frau war durch die Frontscheibe eines Autos geflogen und hatte einen Genickbruch erlitten. Ihr Gesicht war von unzähligen Schnittwunden verunstaltet, das rechte Auge eine Fleischmasse.
Seit Stunden arbeitete er konzentriert, verklebte die
Schnittwunden, übertünchte sie anschließend mit Spezialschminke. Er legte mit Hilfe einer Pinzette das verbliebene Gewebe in die Augenhöhle, um anschließend ein künstliches Auge mit geschlossenem Lied einzusetzen. Danach brachte er an der rechten Wange eine Art Gips auf, den er in die fehlende Knochensubstanz einfügte.
Es war bereits weit nach Mitternacht, als er zufrieden sein Werk betrachte, das einem Vergleich mit dem Photo, welches ihm die Angehörigen überlassen hatten, stand hielt. Das Ergebnis seiner Arbeit befriedigte ihn. Die Verstorbene sah aus, als ob sie friedlich schliefe. Nichts deutete auf die schrecklichen Verletzungen hin.
Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Für Klimbinggat nichts Ungewöhnliches um diese Zeit, denn er warb schließlich damit, Tag und Nacht erreichbar zu sein. Als er ab nahm, war er doch überrascht, die Stimme seines unmittelbaren Konkurrenten Submann zu hören.
Submann tat alles, um Klimbingat die Aufträge abzuluchsen. Entsprechend kurz angebunden, aber dennoch höflich begrüßte Klimbingat ihn. Schließlich gab es noch so was wie Anstand.
Submann tat verlegen und kam gleich zur Sache.
„Ich habe einen Suizid, der dringend heute Nacht noch abgeholt werden muss. Können sie das für mich erledigen"?
Klimbingat hatte weder Lust, für seinen Konkurrenten etwas zu tun, noch ihm zu helfen. Wusste er doch zu gut, dass ausschließlich nur Nobelleichen für ihn interessant waren. Tote, die versorgt wurden und keinen weiteren Umstand, als das Abholen und Einsargen machten. Dem war es am Liebsten, wenn sich das Herrichten notwendigerweise erübrigte. Submann war auch bekannt dafür, die teuersten Särge zu verkaufen.
"Warum machen sie das nicht selber?“ fragte Klimbingat stattdessen zweifelnd und keinen Deut freundlicher als nötig.
„Ich kann hier nicht weg und jemanden anderen mag ich nicht schicken".
„Ja und“?
„Sie wissen selber, dass nicht jede Hilfskraft einen Suizid einsargen will, besonders dann nicht, wenn der Tote schon mehr als 5 Tage liegt, oder in diesem Fall hing“.
.Und du sicher auch nicht, dachte Klimbingat bei sich.
„Ich bitte sie, das für mich zu erledigen“, drängte Submann. „Es handelt sich um einen Hartz 4, die Stadt kommt für die Kremation und alles andere auf. Herr Klimbingat, sie können einen ausgesucht teuren Sarg dafür verwenden. Wir machen das immer so. Niemand schaut auf die Kosten“.
Das fehlte noch, dachte Klimbingat, das Sozialamt bescheißen.
Irgendwas stimmte hier nicht und deshalb wollte er schon absagen. Es war komisch, dass Submann ausgerechnet ihn damit beauftragte.
Da nannte ihm Submann einen Betrag, der es ihm unmöglich machte, dieses Angebot auszuschlagen.
Klimbingat fuhr zu dem Suizid, der nur ein paar Straßenzüge von ihm entfernt aufgefunden worden war.
„Die Feuerwehr hat ihn schon abgeschnitten und man hilft ihnen dann, den Kunden in den Transportsarg zu legen. Keine Angst Kollege. Wir hauen ihren Stundenlohn mit drauf und sie können versichert sein, dass sie das Geld von mir persönlich bekommen“, hatte Submann noch hinzugefügt.
Man war übereingekommen, dass Klimbingat den Suizid sofort in die Rechtsmedizin brachte. Spätestens am Samstag würde er freigegeben werden und Klimbingat musste ihn bei sich einsargen. Am Montag sollte er ihn zum Krematorium bringen.
Am Ort des Geschehens warteten Polizei und Feuerwehr. Ein Beamter klärte ihn mit den üblichen Fakten auf und überreichte ihm die Papiere mit den Daten des Verstorbenen. Darüber hinaus hatte die Spurensicherung ihre Arbeit beendet und der Arzt den Leichnam freigegeben. Ein Feuerwehrmann half ihm. Sie trugen den Transportsarg ins Haus, vorbei an den Nachbarn, die stumm die Szenerie morgens um halb zwei Uhr verfolgten.
Der süßliche Geruch des Todes begleitete sie bis nach oben in die Wohnung, wo er sich mit Kot- und Uringeruch trotz weit geöffneter Fenster vermischte. Im Wohnzimmer stellten sie den Sarg neben die unter einer Plastikplane abgedeckten Leiche. Klimbingat bemerkte, wie sein Gegenüber das Gesicht verzog und hoffte unwillkürlich, dass er sich nicht erbrach. Er mochte solche Szenen nicht. Lauter, als beabsichtigt sagte er:
„Sie müssen den Verstorbenen an den Füßen hoch heben und ihn den Sarg legen.“
Der Mann sah ihn über seine dicken Brillengläser an. Er nickte stumm. Gemeinsam hoben sie die Leiche hoch und legten sie hinein. Nachdem sie es geschafft hatten, war nur noch das Geräusch von Plastik und das Summen der Fliegen, die sich vermutlich seit Tagen hierher verirrt hatten, zu hören. Die Plane verrutschte und ein schwärzlich aufgedunsenes Gesicht kam zum Vorschein. Klimbingat warf kurz einen Blick drauf. Die Zunge hing aus einem zur Fratze entstellten Mund. Bläulich schwarz und schon am verwesen. Die Augen waren aus ihren Höhlen herausgequollen. Klimbingat sah, wie sein Helfer die Luft anhielt und weg schaute, während er den Sargdeckel darüber legte. Anschließend trugen sie ihn nach unten und verstauten den Sarg im Fahrzeug.
Am Samstag konnte Klimbingat den Suizid aus der Rechtsmedizin abholen und in sein Institut bringen.
Sein Geschäft war in einem Haus im Stil der Wende des vorigen Jahrhunderts untergebracht und lag inmitten eines parkähnlichen Gartens. Beides passte seiner Auffassung nach zu dem Ambiente seines Berufsstandes. Der Kies knirschte, als er über den Hof fuhr. Das Büro, der Raum zum Herrichten und der Kühlraum befanden sich in einer Garage. Daneben lagerten Särge und Sterbewäsche.
Er schob den Transportsarg in seinen Arbeitsraum, öffnete den Deckel und warf einen kurzen Blick auf den Inhalt. Ihm wurde plötzlich bewusst, dass alle Verstorbenen, die aus der Rechtsmedizin kamen, gleich aussahen. Dort hatte man die Leiche auf verdächtige Merkmale, hinsichtlich eines gewaltsamen Todes, untersucht.
Der Schnitt reichte vom Kehlkopf bis zum Bauchnabel und war grob vernäht. Im Protokoll stand, dass der Mann durch Drosselung infolge des Abschnürens der Halsschlagader zu Tode gekommen war. Darauf wies die tiefe dunkelrote, verkrustete Fleischwunde am Hals hin.
Das Gesicht des Toten war nun gänzlich von der Zersetzung zerstört. Obwohl man den Leichnam gesäubert hatte, roch er stark. Schnell zog ihm Klimbingat ein Totenhemd über.
Gerade wollte er den Sarg, den er ausgesucht hatte holen, als es draußen klingelte. Klimbingat seufzte. Er ließ sich ungern bei seiner Arbeit stören. Eilig verließ er den Raum, nicht ohne vorher sorgfältig und leise die Türe zu schließen.
Vor seiner Haustüre stand Submann.
"Da staunen sie, gellt"? Submann lächelte mokant und tätschelte jovial Klimbingats Schulter. In der Tat war Klimbingat überrascht. Dieser Mann wurde ihm immer unsympathischer.
„Was wollen sie"? fragte er, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte.
Submann lächelte ungeniert sein aufdringliches Lächeln weiter.
„Äh.....die Leiche mein lieber Kollege“.
„Wie bitte? Ich verstehe nicht“.
„Na den Suizid“, hakte Submann nach.
Statt einer Antwort zuckte Klimbingat nur mit den Schultern. Er wandte sich wortlos ab und ging durch das Foyer in sein Büro. Submann folgte ihm, ohne Aufforderung.
„Schön haben sie es hier, altmodisch zwar, aber gediegen“.
Einen Moment lang herrschte Schweigen.
„Warum holen sie den Verstorbenen jetzt selber ab? Ich dachte, ich soll ihn am Montag ins Krematorium bringen“, brachte Klimbingat endlich hervor.
„Ich fahre ihn selber hin. Wieder erwarten ist ein Angestellter dort, der die Ware.....verzeihen sie, den Verstorbenen versorgt und wir müssen doch in unserem Job heutzutage alle flexibel sein, gellt?“
Schnell nestelte Submann seine Brieftasche heraus. Er zählte Fünftausend Euro auf den Tisch.
„Ich hoffe, sie haben einen schönen Sarg ausgesucht“, flüsterte er so leise, dass Klimbingat ihn kaum verstand. Dabei leckte er sich die Lippen.
„Für ihre Umstände. Sie können das unverbucht.......“.
„Wie meinen sie das denn? Glauben sie ich mache etwas an der Steuer vorbei“?
Klimbingat griff entrüstet nach einem Quittungsblock, während er den Betrag eintrug entging ihm das gehässige Lächeln seines Gegenübers.
Anschließend reichte er Submann die Quittung und forderte ihn auf, ihm zu folgen.
„Gehen sie da rein und warten sie“. Klimbingat öffnete eine Türe und zeigte in den Arbeitsraum Submann wartete, starrte entsetzt auf die Leiche und schluckte einige Male heftig, während Übelkeit in ihm aufstieg.
Ein Geräusch ließ ihn erschrocken herumfahren. Klimbingat schob einen Eichensarg mit weißer eingeschlagener Decke zur Schmalseite des Raumes.
„Helfen sie mir mal“, forderte er Submann auf.
Sein Konkurrent kam der Aufforderung nach. Gemeinsam hoben sie den Leichnam in den Sarg. Klimbingat deutete auf das entstellte Gesicht und meinte in die Stille hinein.
„Der Tod sieht nicht immer angenehm aus“.
Nachdem Submann weggefahren war, verschloss Klimbingat das große schmiedeeiserne Tor zu seinem Grundstück geräuschvoll und blieb nachdenklich stehen. Er war zu der Erkenntnis gekommen, dass an dem Gebaren seines Konkurrenten etwas faul war und kehrte ins Haus zurück.
Über den jüdischen Teil des Hauptfriedhofes gelangte er in die Nähe seines Zieles, um hinter einem großen Grabstein auf eine Gelegenheit zu warten.
Klimbingat war nicht zur Ruhe gekommen. Immer wieder fragte er sich, was hier im Gange war. Gerüchte über Submann gab es schon lange. Nichts war beweisbar.
Seit einer halben Stunde stand er hier und die Leute, die an ihm vorbei liefen, schauten schon neugierig zu ihm herüber. Endlich kam Submann aus dem Krematorium heraus. Der Sarg, den er vor sich her schob, sah demjenigen, den Klimbingat ihm gerade verkauft hatte zum Verwechseln ähnlich. Alleine die Tatsache, dass er einen Sarg aus dem Krematorium schob, sprach dafür, dass hier etwas nicht stimmte. Särge kamen nicht mehr aus dem Krematorium heraus. Jetzt lud ihn Submann in sein Auto und fuhr davon.
Klimbingat war entschlossen, der Sache nachzugehen. Zum ersten mal betrat er dieses Gebäude mit einer Art nervöser Anspannung. Mit schweißnassen Händen lief er den halbdunklen Gang entlang. Sein Herz schlug heftig, er wagte kaum zu atmen. Vor dem Vorbereitungsraum blieb er stehen. Die Türe war nur angelehnt.
Vorsichtig öffnete er sie. Niemand befand sich darin. Rechter Hand gelangte man zum Brennraum. Auch dort war die Türe nur angelehnt.
Meier stand an einem der beiden Öfen und starrte auf die Schieber, die sich geräuschvoll öffneten. Das Stahlband davor bewegte sich und beförderte seinen Suizid. Der Mann hatte ihn aus dem Sarg gehoben, selbst die Sterbewäsche hatte er ihm ausgezogen. Langsam bewegte sich der Leichnam auf die Flammen zu.
Angie empfing ihren Mann mit einem aufreizenden Lächeln.
„Na, mein Lieber, hattest du einen anstrengenden Tag“?
Submann lächelte geheimnisvoll zurück und nickte. Ihre Frage war lediglich eine Floskel. Bei zehn Angestellten war seine Rolle ganz klar als Chef definiert. Das Grobe erledigten seine Leute.
Heute, am Samstagnachmittag, hatte er allerdings eine Sonderfahrt gehabt, die nur er machte. Es ging dabei um viel Geld.
Angie widerte sowieso alles an, was mit Tod und Verwesung zu tun hatte und es galt ein stilles Übereinkommen zwischen ihnen, nicht darüber zu sprechen. Diesbezüglich schätzte sie seine Diskretion sehr.
Submann folgte ihr schweigend ins Esszimmer, schenkte dabei ihrem süßen Arsch einen lüsternen Blick. Sie hatte einen phantastischen Arsch und er konnte sich nicht daran satt sehen.
Nachdenklich saß er anschließend am Esstisch, während Angie in der Küche verweilte.
Seit fünf Jahren waren sie ein Paar. Zwei Monate, nachdem er sie in einem Internetchat kennenlernte, heirateten sie. Vor ihr hatte er einfach keine passende Frau gefunden.
Erst Angie krempelte sein Leben völlig um. Sie riet ihm, sein Geschäft zu vergrößern.
Er erzählte ihr von Klimbingat und dass der ihm einen großen Teil seiner Kundschaft weg schnappte. Angie entwickelte daraufhin den Plan, um sich auf dem hart umkämpften Markt in dieser Gegend zu positionieren.
Andeutungsweise machte sie ihm klar, dass es zwar illegal, aber recht einträglich wäre, die Leichen extra zu verbrennen und den Sarg wieder zu verkaufen. Nach reiflicher Überlegung entschloss sich Submann dazu, nachdem er den neuen Mitarbeiter des Krematoriums, diesen Herrn Maier, ordentlich geschmiert hatte.
Außerdem meinte Angie, man solle versuchen, Klimbingat was anzuhängen, um ihm später dadurch geschäftlich zu ruinieren, wie auch immer sie das meinte.
Das Haus hatte Submann extra für Gina gebaut. Ganz nach ihren Wünschen und Ideen. Dank ihr waren seine Ersparnisse innerhalb eines Jahres weg, aber richtig wohl fühlte er sich hier nicht und er sehnte sich in sein altes Reihenhaus zurück.
Angie stellte einen dampfenden Nudelauflauf auf den Tisch, den er mit viel Appetit und Lust auf den Auflauf und ihren Körper verschlang. Sie war nicht nur phantastisch im Bett, sondern auch eine gute Köchin.
Eine Weile aßen sie schweigend.
„Ich habe mir einen Zusatzverdienst geholt. Du weist schon“, sagte er kauend und sah ihr dabei lüstern in die blauen Augen.
Ihr war es recht. Sie wollte im Garten einen Koiteich anlegen lassen. Der war schweineteuer. Trotzdem schaute sie ihn skeptisch an und fragte:
„Was wird dabei raus springen“?
„Gemäß meiner Kalkulation Zwölftausend“
.Submann rülpste plötzlich ungeniert, wobei Angie angewidert den Mund verzog. Er tat, als würde er es nicht bemerken.
„Kommt noch mehr rein“? fragte sie stattdessen.
Sie hatte wiedermal Blut geleckt, das sah er deutlich an ihren zuckenden Nasenflügeln. Er lächelte sie an, schwieg aber und sparte sich eine Antwort für später auf.
Nach dem Essen saßen sie auf der teuren Ledercouch. Während er sich ausgiebig im Schritt kratzte, verfolgten sie gemeinsam die Sportschau. Zwischendurch griff er immer wieder nach ihrem Hintern und ließ seine Finger im Hosenbund ihrer Jeans verschwinden.
„Hey du“, schalt sie ihn zum Spaß, als ob ihr seine Grabscherei unangenehm wäre.
„Ich habe ihn jetzt soweit“, flüstertet er ihr ins Ohr und kaute an ihrem Ohrläppchen herum.
„Und was heißt das“?
„Er frisst mir aus der Hand"
.„Bist Du auch sicher, dass er nichts merkt“?
„Ja. Er ist einfach zu bieder und zu seriös, um etwas zu merken“. Submann setzte sich aufrecht hin und dachte an den Sex, den er anschließend mit ihr haben würde.
Am Montagmorgen saß Klimbingat im Büro und dachte immer noch über seinen Konkurrenten nach. Gleichzeitig spürte er eine innere Unruhe und gelegentliche Unsicherheit.
Der Mann ließ die Leichen ohne Sarg, ohne Sterbewäsche und ohne Würde verbrennen. Anschließend verkaufte er Sarg und Sterbewäsche nochmal, war sich Klimbingat sicher. Dabei machte er doppelten Gewinn, was eindeutig illegal und berufsschädigend war. Außerdem berechnete er den vollen Betrag und beschiss so das Sozialamt.
Klimbingat dachte über eine Anzeige nach, verwarf den Gedanken wieder. Es würde sowieso herauskommen, dass er den Suizid im Auftrag Submanns abgeholt und in einen Sarg aus seiner Kollektion gelegt hatte. Egal, ob Submann belangt, angezeigt, oder aus dem Bestatterverband ausgeschlossen werden würde. Das schadete seinem eigenen Namen und seinem Unternehmen enorm. Außerdem hatte er keine Erfahrung mit solchen Anzeigen.
Also musste er sich etwas anderes überlegen. Er beschloss, im Laufe der Woche den Machenschaften seines Konkurrenten auf den Grund zu gehen. Ihn wunderte nur, dass das Krematorium Samstags und Sonntags regelmäßig in Betrieb war. Unter falschem Namen rief er deswegen bei der Friedhofsverwaltung an und man bestätigte ihm, dass auch am Wochenende kremiert würde, da die Filteranlagen heutzutage so geringe Emissionen ausstießen, dass keine Gerüche mehr entstünden.
Als er aufgelegt hatte merkte er, dass man seine Rufnummer anhand der Rufnummernanzeige nachverfolgen konnte.
Mist dachte er.
Submanns Geschäft zu beobachten lohnte nicht, da sich die Be- und Entladung im Innenhof abspielte und eine Einsichtnahme von der Straße her unmöglich war. Was die leeren Särge anbelangte, bekam er auf diese Art keine brauchbaren Erkenntnisse.
Klimbingat dachte nach. Es galt, Submanns Räumlichkeiten näher zu untersuchen. Seufzend fuhr er sich über sein Kinn. Also nochmal Anrufe tätigen, aber diesmal mit unterdrückter Rufnummer.
Freitag Abend meldete sich Submann bei Klimbingat. Er bat ihn um eine Hausabholung.
„Kein großes Ding“, beruhigte ihn Submann.
„Das Ganze wie gehabt, ein Eichensarg und bitte die Ware - äh – die Verstorbene in mein Institut bringen, ist einfacher für Sie Kollege, gellt“?
Submann versprach Klimbingat dieselbe Summe, wenn er schnell liefere. Klimbingat sagte ohne Umschweife zu. Hinterher dachte er noch:
Jetzt habe ich wohl voreilig gehandelt.
Aber die Aussicht, seinen Konkurrenten irgendwie überführen zu können, war zu verlockend.
Er fuhr zu dem Sterbefall, ließ seinen Leichenwagen vor der Hofeinfahrt stehen und schob den Transportsarg schnaufend auf den Wagen.
Die Haustüre öffnete der Sohn der Verstorbenen, einer Sechsundachtzigjährigen Frau. Offensichtlich Krebs im Endstadium. So wie sie da lag, abgemagert bis auf die Knochen und von den Schwestern der Sozialisation auf ihrem Bett zurechtgemacht. Sie hatten ihr einen schwarzen Rock mit weißer Bluse angezogen. Das Haar fehlte teilweise, man hatte dezent ein weißes Tuch am Kopf befestigt.
Nachdem die Arbeit getan war und der Sarg im Leichenwagen lagerte, setzte Klimbingat sich hinein und fuhr zu Submanns Bestattungsinstitut. Es war bereit nach 23 Uhr.
Er parkte in einem hell erleuchteten Innenhof und öffnete den Schlag seines Wagens. Submann kam bereits aus dem Haus.
„Da sind sie ja, ist doch schön, dass es so schnell geklappt hat lieber Klimbingat, gellt“?
Gemeinsam trugen sie den Sarg einige Stufen hoch. Im hell erleuchteten Ausstellungsraum stellten sie ihn auf einen Wagen und Submann schob ihn durch einen Vorhang hindurch.
Er bedeutete Klimbingat, zu warten und zog den Vorhang zu, hinter dem er verschwand. Der Ausstellungsraum war großzügig gestaltet. Nur die teuersten Särge standen hier.
Als Submann nach einer halben Stunde noch nicht zurück war, ging Klimbingat auf die Suche nach ihm. Durch den Vorhang gelangte er in einen Flur, an dessen Ende sich Submanns Vorbereitungsraum befand. Sein Konkurrent stand vor dem geöffneten leeren Sarg, der Inhalt war verschwunden. Submann sah auf, als Klimbingat hereinkam.
„Jetzt staunen sie aber gellt“?
"Was soll das jetzt? Wo haben sie meine Verstorbene hingebracht"?
"An einem anderen Ort, mein Lieber".
Gehässig lächelnd sah Submann ihn an.
"Die Kiste hier ist für sie gedacht"
Dabei strich er fast Liebevoll über das Holz des Sarges.
"Was soll das denn heißen, fragte Klimbingat mit einer Spur Angst in seiner Stimme.
Submanns Lächeln wurde tatsächlich noch eine deutliche Spur gehässiger, während er nervös mit den Fingernägeln am Holz des Sarges kratzte.
Die zu einer Fratze verzerrten Mundwinkel begannen heftig zu zitterten. Submann ging langsam auf ihn zu. .„Jetzt ist es an der Zeit Kollege, dass wir das Spiel beenden“.
„Was heißt denn beenden“? Flüsterte Klimbingat.
Submann hielt inne schürzte seine Lippen und hob beide Hände.
„Auslöschen“, sagte er. Dabei zuckte er mit den Schultern und lachte wie ein Irrer.
„Sie werden quasi dem Erdboden gleichgemacht. Gellt“?
„Aber wieso denn“, fragte Klimbigat mit zitternder Stimme und schaute sein Gegenüber ängstlich an.
„Sie sind uns auf die Schliche gekommen mein Lieber. Sie haben telefoniert“.
Submann blickte an Klimbingat vorbei.
„Sie haben ohne unterdrückte Telefonnummer telefoniert“.
Klimbingat hörte ein Geräusch und drehte sich um. Hinter ihm stand Maier,der Krematoriumsmitarbeiter und sah ihn an, als wolle er sich jederzeit auf ihn stürzen .
„Herr Maier hat ihre Nummer raus gefunden“, hörte Klimbinbgat Submann sagen.
„Wir löschen sie aus, gellt“? äffte Maier Submann zynisch nach.
Klimbingat, der nie gedacht hätte, jemals so schnell zu reagieren schubste mit einer schnellen Bewegung den Mann zur Seite. Der war so perplex, dass er vor Schreck den Halt verlor. Er knallte mit dem Rücken gegen die Wand. Einen Aufschrei ausstoßend fiel er zu Boden.
Klimbingat stieg über ihn hinweg und rannte zurück in den Ausstellungsraum, der nun im Dunkeln lag.
Schemenhaft sah er noch den Durchgang zwischen den Särgen, bevor er stolperte und mit dem Kopf gegen einen Sarg stieß. Sofort verlor er das Bewusstsein.
Klimbingat wachte auf. Er fühlte sich orientierungslos und hatte rasende Kopfschmerzen.
Um ihn herum war es stockdunkel. Zunächst hatte er keinerlei Erinnerung an das, was geschehen war und warum er sich in dieser Situation befand. Sein feiner Geruchssinn roch Holz, Pappelholz.
Langsam wurde sein Kopf klarer. Zaghaft ertastete er seine Umgebung. Wenige Zentimeter über sich stieß er auf Widerstand. Genauso seitlich. Die Gewissheit der Gefangennahme in einem engen Verschlag traf ihn hart und erfüllte ihn mit Panik.
Als er seinen Kopf berührte, spürte er eine Kruste, die sofort aufbrach und blutete. Gleichzeitig stellte er zwei Dinge fest: Zum einen, dass er mit seinem hölzernen Gefängnis unterwegs war und zum anderen, dass er in einem Sarg eingesperrt war. Als ihn diese Erkenntnis traf, begann aus Leibeskräften zu schreien und machte sich dabei in die Hose.
Klimbingat war eingenickt. Irgend wann schreckte er auf, hob den Kopf und stieß ihn am Deckel an.
Sofort wusste er wieder, wo er war. In einem verschlossenen Sarg und im Einzugsbereich des Konkurrenten Submann.
In den vergangenen Stunden hatte er heftig gefroren. Hatte zeitweise das Gefühl gehabt, zu ersticken. Seine Extremitäten waren eingeschlafen.
Zu allem Übel hatte er sich noch zweimal in die Hose gepisst. Am Ende bekam er vor lauter Angst auch noch Durchfall. Es stank hier drin und die Luft war zum Schneiden.
Wehmütig dachte Klimbingat daran, wie er fast entwischt wäre. Aber dieser Junge hatte sich vorher etwas auf dem Boden zurechtgelegt und das Licht im Ausstellungsraum ausgeschaltet. Klimbingat musste zwangsläufig darüber stolpern, als er die Flucht ergriff.
Klimbingat hoffte inbrünstig, dass der Spuk bald zu Ende war. Ok, Submann hatte ihm jetzt genügend Angst eingejagt. Aber er war doch keiner, der einen Menschen um brachte. Oder doch? Erneut nässte er sich bei dem Gedanken ein.
Abrupt wurde sein Gefängnis angehoben und offenbar an einen anderen Ort getragen. Wieder schrie er. Klopfte gegen das Holz, schlug mit den Füßen an die Innenseite des Deckels. Niemand öffnete den Deckel. Der Sarg wurde wieder abgestellt.
Am Ende seiner Kräfte angekommen, nur noch zu einem Krächzen fähig, verstummte er endlich. Wie weit wollte dieser Submann das Spiel wohl noch treiben?
Ein lautes Geräusch riss Klimbingat aus seinen Gedanken. Der Sarg bewegte sich wieder. Mit ihm, gefangen. Eingeschlossen und als lebender Leichnam.
Eine plötzliche Wärme, die sofort in Hitze über ging, folgte einem ohrenbetäubenden Fauchen.
Als ihn die Erkenntnis traf, was in diesem Augenblick mit ihm geschah, konnte er nicht einmal mehr schreien.
Er weinte wie ein kleines Kind, während das Feuer des Flammenofens über ihm zusammen schlug.
Seit Tagen regnete es in Strömen. Submann lief zwischen den Gräberreihen hindurch, den Kragen seines schwarzen Mantels hoch geschlagen.
Sein Arbeiter hatte am Mittag angerufen. An einem offenen Grab gab es Probleme. Die Beerdigung war heute Vormittag gewesen, aber die Vorrichtung für das Versenken des Sarges klemmte. Submann musste sich darum kümmern. So, wie er sich in der letzten Zeit um so vieles hatte selber kümmern müssen.
Nachdem sein unmittelbarer Konkurrent Klimbingat spurlos verschwunden und keine Erben aufgetaucht waren, hatte er dessen Institut – zumindest kommissarisch - übernommen. Die Räumlichkeiten und das Haus standen schon lange leer. Das Amtsgericht würde Klimbingat nach über zwei Jahren wohl bald für tot erklären.
Der Fall Klimbingat war vier Wochen lang in den örtlichen Gazetten. Es gab zuhauf Theorien darüber, was mit ihm geschehen war. Die Polizei hatte intensiv nachgeforscht. Zwei Hundestaffeln hatten einen Tag lang die Gegend abgesucht. Klimbingat blieb verschwunden.
Er erreichte das Grab. Der Bagger stand direkt davor, daneben der Erdhaufen. Weit und breit kein Arbeiter. Submann schaute sich um, sah in die Grube hinein. Der Sarg mit dem Bouquet oben drauf war ordnungsgemäß eingefahren. Winzige Sturzbäche rannen zwischen Kies, Sand und Erde vom Aushub herunter und tropften in die Grube hinein. Der Aufzug war abmontiert. Komisch, dachte er noch, schien doch alles in Ordnung zu sein. Zufrieden wollte er die Grabstätte verlassen.
Als er den Motor des Minibaggers aufheulen hörte, war es zu spät, um auszuweichen. Ein unmittelbarer Schlag traf seine Hüfte ließ ihn überrascht nach vorne stolpern und in die Grube hinein stürzen. Er landete auf dem übergroßen Blumenbuquet, welches seinen Sturz auffing.
Nach dem ersten Schreck versuchte er sich aufzurichten. Aber sein linkes Bein hatte sich zwischen Sargdeckel und Grubenwand eingeklemmt. Zudem wurde bei dem Sturz seine Hüfte derart verletzt, dass er das andere Bein nicht mehr belasten konnte.
Somit war er hier unten gefangen, und als er hoch schaute durchnässte der Regen sein Gesicht. Am Rand des Grabes sah er eine männliche Gestalt stehen.
„Helfen sie mir Mann“, brüllte Submann nach oben.
„Ich komme nicht alleine hier heraus“.
„Das ist ja wohl der Lacher schlechthin und wäre ein Aufmacher für die Zeitung mit den vier roten großen Buchstaben“, sagte der Mann ganz ruhig und gelassen.
„Hey sie. Ich verstehe nicht, was sie meinen“.
Irgendwie kam der Mann Submann merkwürdig bekannt vor.
„Es mag ja für sie ja witzig sein, aber für mich nicht“.
Submann war auf einmal klar, dass er nicht ohne Grund hier unten gelandet war.
„Ich kenne sie doch. Sie kommen mir bekannt vor“, schrie er nach oben.
„Ach, es dämmert“? Lachte der Mann laut und vernehmlich. Dabei war es nicht zu überhören, wie gehässig sein Lachen war.
Der Mann gab jemandem ein Zeichen.
„Scheiße, scheiße, scheiße“, fluchte Submann laut, und versuchte, mit aller Kraft seinen Fuß herauszuziehen. Aber es gelang nicht.
Erneut heulte der Motor auf und die Baggerschaufel schwebte über ihm. Submann sah entsetzt, wie sich deren Inhalt über ihm entleerte. Ein Schwall von Dreck, Steinen, Sand und Wasser ergoss sich über ihm. Sein eingeklemmter Fuß war nun gänzlich mit Erde bedeckt, die nass und schwer auf ihn drückte. Submann bekam Panik.
„Sind sie wahnsinnig“? Schrie er. Vielleicht wollte man ihn bei lebendigem Leibe begraben.
„Wie ist es denn so da unten“? Fragte ihn der Mann.
„Scheiße ist es. Wollen sie mich denn umbringen“?
Submann sah an sich herab. Der nasse Dreck heftete an seinem Mantel, seiner Hose und an seiner Schulter. Es war ihm kaum mehr möglich, sich zu bewegen, die Schmerzen an seiner Hüfte waren unerträglich geworden. Hilflos sah er wieder nach oben.
„Ich möchte mal behaupten ja“, sagte der Mann gelassen.
„Aber warum denn, was habe ich ihnen getan“?
Die Angst schnürte ihm die Kehle zu, als der Mann ihn nur stumm ansah.
Dabei glaubte Submann um die Lippen dieses Mannes eigene Gesichtszüge zu erkennen.
„Hören sie, ich weiß gar nicht, warum sie mich hier begraben wollen“.
„Weil ich dich dem Erdboden gleichmachen werde.....gellt“?
Jetzt dämmerte es Submann schlagartig und er wusste, wer da oben stand. Die Erinnerung traf ihn wie ein Schlag. Die Narben im Gesicht, die Narben an den Händen. Brandnarben. Aber das konnte doch nicht sein. Sie hatten doch ganze Arbeit geleistet, der Ofen........
„Das ist doch nicht möglich“, schrie er laut.
„Klimbingat, sie haben überlebt“?
„Ja ich habe überlebt. Obwohl es nicht ganz einfach war“.
„Und jetzt....und jetzt wollen sie es mir heimzahlen“?
Mitgehangen, mitgefangen, sagtest du doch damals, an jenem denkwürdigen Abend in deinem Bestattungsinstitut, vor dem offenen Sarg ohne Inhalt. Erinnerst du dich noch“?
Submann erinnerte sich und ein Schauder lief über seinen regennassen Rücken. Sie hatten alles so perfekt geplant. Er, Angie und dieser Maier, der ihm gute Dienste geleistet hatte. Er hatte ihm zwanzigtausend gezahlt.
"Da hat doch irgendwer nicht dichtgehalten", schrie Submann zu dem Mann am Grabesrand hinauf.
"Angie hat mir von deinen Plänen erzählt".
"„Angie? Sie haben.....haben......“?
Ja, ich habe ein Verhältnis mit Frau Submann. Schon seit deiner Hochzeit. Eine wunderbare Frau, mit einem wunderbaren Arsch. Sie hat alles geplant, so dass sie dich am Ende nur noch davon überzeugen musste, dass du mich auf die Seite räumen musst. Das hast du ja dann trefflich arrangiert.
Ich muss zugeben, ein gewagtes Spiel mit der Gaszufuhr im Ofen. Ich habe ganz schön unter der Hitze gelitten. Schließlich gelang es mir den angekokelten Sarg zu zerstören und den Ofen zu verlassen".
Klimbingat gab wieder ein Zeichen. Submann wusste, was kommen würde.
„Wir können doch über alles reden Klimbingat“, schrie er in seiner Verzweiflung.
Die Erde, die auf ihn fiel, begrub ihn fast. Nur noch sein Kopf schaute heraus. Submann war kaum in der Lage, die Arme zu heben. Der zähe Dreck hielt sie in der Erde gefangen.
„Sie gelten als verschollen. Wenn sie wieder auftauchen, werden die Behörden misstrauisch, ich kann ihnen helfen, ich habe Beziehungen“. Submann schrie es verzweifelt hinaus.
Jetzt lachte Klimbingat laut auf und schüttelte mit dem Kopf.
„Ich werde so langsam wie du, sagte der Mann“.
Er ließ sich auf die Knie fallen ungeachtet der nassen Erde, so dass Submann sein Gesicht besser sehen konnte. Ich habe einen guten Schönheitschirurgen, der aus dem Klimbingat einen Submann macht.
„Oh Gott“! schrie Submann. Er erkannte, dass außer den Zügen um die Mundwinkel auch die Augenpartie ihm glich.
„Da staunst du was? In ein paar Monaten erkennt niemand mehr einen Unterschied zu Submann und jeder glaubt, ich sei du“.
Plötzlich verschwand Klimbingat. Submann hörte nur noch den Regen, der unablässig die Erde in seinem Grab zu einer zähen Masse werden ließ. Er konnte kaum noch atmen.
Submann war faktisch schon tot, als ein neuer Schwall Erde auf ihn prasselte und sein Gesicht darin vergrub. Ein Infarkt hatte ihm ein gnädiges Ende bereitet. Den Rest erledigte Klimbingat in aller Seelenruhe, während Maier aus dem Führerhaus des Baggers stieg und zwischen den Grabreihen verschwand.
Nachdem das Grab aufgefüllt und die Kränze und die Gebinde von ihm eigenhändig auf dem Grabhügel drapiert waren, schaute er sich seine Arbeit an. Es hatte endlich aufgehört zu regnen. Zufrieden blinzelte er in die hinter einer Wolke hervorkriechende Sonne.
Klimbingat wollte jetzt schnell nach Hause fahren. Dann würde er duschen und Angie vögeln, so wie er sie noch nie in den letzten vierundzwanzig Monaten gevögelt hatte.
Angie stieg aus der Dusche. nachdem sie sich abgetrocknet hatte, klingelte ihr Handy.
Schweigend hörte sie eine Weile zu, nachdem sie die Verbindung hergestellt hatte.
„Das ist schön Liebling“. Sie gurrte wie eine Katze.
„Ich freue mich schon sehr darauf“.
Nach zog sie sich an.
Maier hatte das Telefongespräch beendet. Er lächelte zufrieden und freute sich auf Angie.
Durchaus gering ist jener, der viele vernünftige Gründe zu haben glaubt, aus dem Leben zu scheiden.
Epikur von Samos
Benjamin hatte es 1975 das erste Mal versucht. In einem Anfall von geistiger Umnachtung - so formulierte es ein Psychiater - stieg er in der Scheune die steile Treppe nach oben. Lange hatte er mit dem Gedanken gerungen, es zu tun. Jetzt war es soweit.
Zwischen all dem Gerümpel balancierte er, mit einem Strick in der Hand, über die morschen Dielenbretter der über hundert Jahre alten Scheune, zur Leiter hinüber. Nur nicht im Holz einbrechen. Unverrichteter Dinge unten auf dem Betonboden aufzuschlagen und für den Rest des Lebens gelähmt zu bleiben, war das Letzte, was er jetzt brauchte.
Benjamin sah zum Querbalken hinauf. Nachdem er das Seil darüber geworfen, verknotet und den Kopf durch die Schlinge gezwängt hatte, ließ er sich seufzend fallen.
Bewusst nahm er wahr, wie der Strick schmerzhaft in die Haut unterhalb des Adamsapfels eindrang. Dann schwanden ihm die Sinne
Benjamin schlug Magda. Die Nachbarn in der Straße sprachen darüber, wie sie über alle Leute im Dorf sprachen.
Beim letzten handfesten Streit hatte Magda einen Kristallaschenbecher nach Benjamin geworfen. Er knallte gegen die Wand und hinterließ ein handtellergroßes Loch. Es hatte ganz harmlos angefangen. Am Abend zuvor liebten sie sich. Warum anderntags alles aus dem Ruder lief, vermochte er nicht mehr zu sagen. Zur Besinnung brachte ihn erst der Anblick ihres Blutes, das aus Mund und Nase lief. Über dem rechten Auge prangte ein tiefblaues Veilchen.
Die einjährige Sophie schrie. Magda stand ebenfalls schreiend und zitternd im Zimmer, als die von den besorgten Nachbarn herbeigerufenen Polizisten eintrafen.
Benjamin bekam ein Hausverbot ausgesprochen. Am anderen Tag nahm Magda ihn wieder bei sich auf und zog die Anzeige zurück. Zwei Tage später hatten sie wieder phantastischen Sex.
Im Laufe der Zeit bemerkte Magda Veränderungen in Benjamins Wesen. Er wurde schweigsam und ging ihr aus dem Weg und manchmal verkroch er sich irgendwo.
Benjamin, der handwerklich begabt war, baute er die Scheune in eine Garage um und den Stall zur Schreinerwerkstatt aus. Da er arbeitsunfähig war, durfte er keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen.
Manchmal fand ihn Magda in einem halbfertigen Zimmer. Er saß auf dem kalten Boden und starrte in die Luft.
Eines Tages entdeckte sie neben schmuddeligen Pornoheftchen auch das Manuskript eines Pornoromans.
Benjamin und Magda schliefen jetzt seltener miteinander. Stattdessen merkte sie, dass er nachts im Bett neben ihr heimlich onanierte. Sie wurde eifersüchtig und wütend. Schließlich stritten sie so heftig, wie in der Vergangenheit.
Sophie schrie stundenlang. Gabi, die Nachbarin, holte sie gelegentlich am Abend zu sich, damit das Kind bei ihr schlafen konnte.
Benjamins Hausarzt hatte ihm ein anderes Medikament verschrieben. Bromezepam entpuppte sich als wahres Wundermittel, es reduzierte die Angstzustände. Anfangs schien er euphorisch darauf zu reagieren.
„Wirf gefälligst ne Brommen ein", forderte Magda ihn auf, wenn sie merkte, dass er gleich ausrastete.
Die Wirkung hielt exakt vierundzwanzig Stunden an. Alles gelang mit den Brommen, jede Art von Aggressivität war wie weggeblasen. Bald zeigten ihm die Brommen aber, dass sie selbständig wurden, denn sie machten ihn abhängig.
Benjamin wurde wieder aggressiv. Wenn es in seinem Innern gefährlich brodelte, verschwand er und tauchte auf seinem Resthof unter.
Wenn er nachts nicht neben ihr im Bett lag, bekam sie Panik. Sie suchte ihn, bis sie ihn in seinem Büro vor dem Computer sitzend und schmuddelige Filmchen anschauend vorfand.
Benjamin schloss die Augen. Der Fall wurde unsanft von den darunter liegenden Fichtenbrettern abgebremst, die jedoch berstend nachgaben. Er wurde durch die Wucht des Aufpralls, mit dem Kopf zwischen den Füßen, durch die entstandene Lücke gezwängt. Sein Hals schmerzte. Krampfhaft versuchte er Luft zu bekommen. Doch der Strick saß zu fest.
Sie stritten heftiger denn je. Er schrie, sie schrie zurück.
Es konnte passieren, dass Benjamin ihr nach allen Regeln der häuslichen Gewalt, eine kräftige Watschen mitten ins Gesicht setzte.
Im Frühjahr 1977 wirkten die „Brommen“ nicht mehr, Benjamins Aggressivität nahm zu.
Seitdem das Fernsehen von dem Attentat auf einen deutschen Politiker berichtet hatte, verspürte er das Bedürfnis, Magda zu töten. Solcherlei Phantasien schlugen in Form von verrückten Vorstellungen in seinem Kopf wahre Purzelbäume.
Er wünschte sich nichts sehnlicher, als seine Hände um ihren Hals zu legen und behutsam zuzudrücken. Der Kleinen wollte er ebenfalls die Hände um den Hals legen und behutsam zudrücken. Danach würde er sie beide in ihren Zimmern liegen lassen, bis sie zufällig gefunden wurden. Erst dann konnte er sich entspannt in die Obhut der Psychiater begeben.
„Benjamin“. Magda rief von unten aus der Küche herauf.
Seufzend verließ er die Toilette.
"Benjamin, komm gefälligst herunter“, brüllte sie wieder.
Verdammt, nie konnte es Magda schnell genug gehen.
Als er die Küche betrat, keifte sie weiter in ihrer Art, die er so sehr hasste.
Wiedermal ging es ums aufräumen, saubermachen und den fehlenden Respekt ihr gegenüber. Sie bemängelte seine Lustlosigkeit und seine permanente Lethargie. Alles Dinge, die ihn im Moment nicht interessierten.
Theatralisch hielt er sich die Ohren zu, während sie ihren Monolog rezitierte. Warum war Magda so?
Die Zornesröte in ihrem Gesicht und die funkelnden Augen irritierten ihn. Deshalb beschloss er, es auf der Stelle zu tun. Für einen kurzen Moment sah er durch die Glasscheibe der Küchentüre in das verstörte Gesicht der Kleinen. Blitzschnell griff er nach Magdas Hals, die vor Überraschung zuckte. Sie wehrte sich heftig, als er mit seinen Fingern zudrückte.
Wohlige Wärme durchfloss seinen Körper.
Er spürte Magdas Halsschlagader hektisch unter seinen Fingern pochen, während er eine Erektion bekam. Fasziniert blickte er dabei in ihre tiefgrünen Augen. Die dünnen Arme hoben sich kraftlos, als er sie mit einem Aufstöhnen heftig gegen die Arbeitsplatte stieß.
Sie stolperte rückwärts und schlug hart mit dem Hinterkopf auf der Platte auf. Mit einem laut vernehmlichen Seufzer sank sie am Unterschrank entlang auf den Boden.
Der dumpfe Aufprall gegen das Holz hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. Kurzes Entsetzen packte ihn, als sie sich nicht mehr rührte.
Aus einer Platzwunde an der Stirn rann Blut an ihrer Wange herunter, tropfte auf den Hals und verschwand unter ihrem Blusenkragen.
Sein kurzzeitiges Entsetzen, machte tiefster Befriedigung platz. Endlich dachte er, während seine Erregung stärker wurde. Aufatmend genoss er das geile Gefühl der Befriedigung.
Nach einigen Minuten erwachte er aus seiner Trance.
Nun galt es die Kleine im Kinderzimmer zu erledigen. Er wollte das zu Ende bringen, was er bei Magda angefangen hatte.
Das Kinderzimmer war leer. Stattdessen stand die Haustüre offen, wieder überkam ihn Entsetzen. Die Kleine war mit Sicherheit zu Gabi rübergerannt.
Die wird sie in ihre Obhut genommen haben und es würde nicht lange dauern, bis sie mit ihrem Kerl aufkreuzte, um nachzuschauen, was los war.
Benjamin geriet in Panik. Ihm war klar, dass er seinen Plan nur halb ausgeführt hatte und der Rest seines Vorhabens von den Nachbarn durchkreuzt werden würde.
Wenn sie Magda in der Küche fanden, war gleich die Polizei da. Sein Nachbar fackelte da nicht lange. Der Gedanke daran, unverrichteter Dinge verhaftet zu werden und im Gefängnis anstatt in der Psychiatrie zu landen, ließ ihn seine wunderbare Erektion schlagartig vergessen.
Mit zitternden Beinen ging er in den 2. Stock hinauf. Im Badezimmer schloss er sich ein und fasste einen Plan.
Sophie hatte ihm eindeutig die Tour vermasselt. Dafür hasste er das Kind. Es hätte funktionieren können, aber jetzt musste er sich von dem Gedanken verabschieden und sich darum kümmern, dass man ihn nicht zu fassen bekam.
Wie in Trance öffnete er den Wasserhahn. Das heiße Wasser, das die Badewanne füllte, beruhigte seine angespannten Gedanken. Langsam und ohne Hast zog er sich aus. Er holte den Föhn aus dem offenstehenden Badezimmerschrank und steckte den Stecker in eine Steckdose. Die Hitze des Wassers bereitete ihm Schmerzen, als er mit dem laufenden Föhn in der Hand in die Wanne stieg.
Ohne mit der Wimper zu zucken, ließ er das Gerät ins Wasser fallen.
Beim ersten Mal schlug er hart auf den Betonboden auf. Die Ärzte im Krankenhaus sprachen von einer angerissenen Schädelbasis, die glücklicherweise keine Folgen hatte. Seine Hoffnung, daran zu sterben, erfüllte sich nicht. Die tiefe Narbe vom Strick am Hals würde er sein Leben lang behalten.
Als der Föhn auf dem Wasser aufschlug, rechnete Benjamin mit einem Knall im Kopf und damit, dass ihn die endgültige Schwärze des Todes umgab.
Außer einem dumpfen Geräusch aus dem Erdgeschoss geschah jedoch nichts. Sofort roch er intensiv Verbranntes. Hektisches Stimmengewirr ertönte im Erdgeschoss.
Die Nachbarn stellten den Strom ab und bewahrten das Haus vor Kurzschlüssen. Die Polizei und ein Krankenwagen kamen. Man nahm Tobias fest, Magda kam ins Krankenhaus.
Benjamin wurde in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, wo man manische Depressionen feststellte. Magda war zum zweiten mal schwanger. Es sollte diesmal ein Junge werden, aber Tobias musste noch 4 Jahre in der Psychiatrie verbringen.
„Wir sollten nochmal neu beginnen“, schlug ihm Magda vor, während sie vom Gelände der Psychiatrie fuhren.
„Ich werde mich in Zukunft zusammennehmen – schon der Kinder wegen - und du auch“, bekräftigte sie.
Benjamin nickte und stimmte allem zu, wenn er nur nicht mehr zurück musste.
„Ich bin froh, wieder draußen zu sein“, bekräftigte er und schaute sich anerkennend um, als sie Zuhause angekommen waren.
Magda hatte die ersten beiden Jahre die gemeinsame Wohnung im selbständig renoviert. Sie hatte auch gearbeitet und beide Kinder versorgt. Seine Eltern waren vorübergehend in die Einliegerwohnung eingezogen, um Magda und die Kinder zu unterstützen.
Benjamin stellte nach einigen Tagen fest, dass er zu Max, seinem Sohn kein Verhältnis aufbauen konnte. Der 4-jährige ließ ihn links liegen. Er hing ständig an seiner Mutter, oder beobachtete ihn stumm aus der Distanz heraus.
„Das braucht Zeit, habe bitte Geduld mit ihm“, bat Magda, als sich Benjamin bei ihr über Max Verhalten ihm gegenüber beschwerte.
„Er lernt dich schließlich erst richtig kennen“.
„Du solltest dich vor dem Max zusammenreißen Bueli", meinte auch sein Vater und sah Benjamin ernst an. Er nannte ihn Bueli, wenn er ernst wurde. Eine Marotte, die Benjamin schon früher an ihm gehasst hatte.
Meist verließ Benjamin in solchen Situationen das Haus. Er suchte dann gewöhnlich sein altes Büro auf seinem Resthof auf.
Der Gedanke, dem Vater für die unverschämte Verniedlichung seiner Person, eine zu knallen kam ihm zwar öfters. Er konnte ihn aber lässig beiseite schieben.
Das nächste Mal sagte er zu ihm:
„Lass mich in Ruhe und nenne mich gefälligst nie mehr Bueli“
Die folgenden Monate verliefen harmonisch. Zumindest bis zu dem Tag, an dem Max 5 Jahre alt wurde. Sein Geburtstag wurde überschwänglich gefeiert und Benjamin wurde es gegen Mittag zu viel. Er zog sich auf dem Boden des Esszimmers in einer Zimmerecke zurück und starrte die Möbel an.
Magda ließ ihn in Ruhe. Sie ärgerte sich lediglich darüber, dass er Max nichts geschenkt hatte.
Max schmollte ebenfalls. Er würdigte Benjamin keines Blickes mehr, zumal er mit Hilfe seiner Mutter, seiner Schwester und den Großeltern in das Auspacken der Geschenke vertieft war. Er kreischte und lachte vor Freude, bei jedem geöffneten Päckchen und klatschte gleichzeitig in seine Patschhändchen.
Max schmollte schon nach einigen Tagen schon nicht mehr und alles war wieder gut.
Benjamin umsorgte die Kinder, mit Magdas Unterstützung.
Bis Magda eine Unterschrift für einen Kredit benötigte, den sie für die Eröffnung eines Friseurgeschäftes benötigte.
Magda wollte sich unbedingt selbständig machen. Das passte Benjamin nicht. Er war beleidigt und ließ sie mit der Unterschrift hängen.
"Sie sollte sich lieber um ihn und die Kinder kümmern", sagte er. Musste er nicht schon seine Eltern ertragen? Die hatten sich im Haus eingenistet - wie die Maden im Speck - sollte er sich jetzt auch noch alleine um die Kinder kümmern.
Er saß in seinem Büro, als Magda herein kam.
"Da bist du also, ich habe mir schon Sorgen gemacht".
»Ach ja?« Benjamin sah sie an.
"Wir müssen reden", sagte Magda so ruhig wie möglich. Dabei übersah sie demonstrativ seinen gehässigen Blick.
Sie erklärte Benjamin zum wiederholten mal, dass sie jetzt endlich von ihm die Unterschrift für den Kredit haben wollte.
"Ich dachte du kümmerst dich um mich", nörgelte er, anstatt auf ihr Anliegen einzugehen.
"Ich muss an mich denken", erwiderte Magda kurz.
"Außerdem sollte ich endlich mal schauen, dass Kohle reinkommt. Wir können nicht immer von deinen Eltern leben. Ich weiß auch nicht, wie es mit dir weiter geht“.
Dabei schaute sie schuldbewusst auf den Boden, als hätte sie zu viel gesagt.
"Was soll das heißen", fragte Benjamin irritiert.
"Beruhige dich Schatz, ich habe es nicht so gemeint. Wir wissen nicht, ob du gesundheitlich stabil bleibst. Deswegen will ich finanziell für die Familie aufkommen".
"Aber meine Eltern sind doch da", widersprach Benjamin und sah seine Frau hilflos an.
"Sie können auch nicht die ganze finanzielle Last tragen".
"Und was willst du dagegen tun"?
"Einen Friseurladen eröffnen. Ich bin ja nicht umsonst Meisterin in diesem Fach".
Am Ende hatte sie Benjamin überreden können, am anderen Tag mit ihr zur Bank zu gehen, um einen Kredit zu unterschreiben.
Benjamin dachte endlich praktisch: Magda hatte recht. Sie konnte gutes Geld machen. Euphorisch malte er sich aus, wie gut es ihnen beiden nebst den Kindern zukünftig finanziell gehen würde. Anschließend war Benjamin gut drauf, Magda lud sie alle mit den Kindern zum Essen ein.
Sie hatten in der Dorfschänke einen Tisch reserviert und Benjamin aß so viel und so gut wie schon lange nicht mehr.
Bevor der Nachtisch kam, musste Max plötzlich niesen und eine lange Fontäne von Rotz lief ihm aus der Nase aufs Tischtuch. Magda versuchte geistesgegenwärtig, mit der Hand aufzufangen.
Vergeblich. Vor Max Teller bereitete sich ein grünlich gelber Fleck Nasensekret aus.
Benjamin stockte der Atem. Er sah, wie Max ihn frech angrinste, während Sabber um Nase und Mund glänzte.
Bevor Magda ein Papiertuch aus ihrer Tasche holen konnte, schoss Benjamins Hand nach vorne, mitten in Max Gesicht hinein.
Max schrie auf und warf Benjamin einen Löffel an den Kopf. Auf seiner Backe zeichnete sich ein roter Fleck ab.
"Du Idiot", schrie Benjamin. Ohne Rücksicht darauf, dass andere Gäste auf das Geschehen aufmerksam wurden. Sie starrten unverhohlen zu ihnen herüber. Bevor Benjamin erneut seine Hand heben um erneut zuzuschlagen, stand Magda energisch auf und funkelte ihn böse an
"Lass es sein Benjamin, ich warne dich".
Benjamin sah den Hass in ihren Augen und wusste, dass er wiedermal zu weit gegangen war.
Sein Vater war ebenfalls aufgestanden und sah lauernd zu ihm herüber. Benjamin fielen gerade jetzt die verstümmelten Finger seiner rechten Hand auf. Ein Überbleibsel aus dem Krieg.
"Lasst mich bloß alle in Ruhe", schrie Benjamin weiter.
Gehetzt schaute er sich dabei im Gastraum um.
Manche Gäste sahen ihn angewiedert an und schüttelten den Kopf.
"Was glotzt ihr alle so", schrie Benjamin wieder. Dabei lief Spucke aus seinem Mund, wie er das immer vor kam, wenn er aufgeregt brüllte.
"Hast du ein Problem", rief ein Kerl wie ein Baum von einem Tisch neben der Eingangstüre zu ihm herüber.
Er stand auf und sah drohend zu ihnen herüber.
"Nimm dich bitte zusammen, Benjamin", flüsterte seine Mutter, wobei sie den Mann ängstlich ansah, der jetzt auch noch die Serviette auf den Tisch warf, von seiner Begleiterin jedoch zurückgehalten wurde.
„Halt die Klappe, du Sau", würgte Benjamin hervor. Worauf sie sich schluchzend die Hände vors Gesicht hielt.
Als Benjamin bewusst wurde, dass ihm die Situation zu entgleiten drohte, stand er auf und rannte durch das Restaurant Richtung Ausgang. Dabei stieß er gegen den Tisch des bedrohlich wirkenden Mannes, wobei die Sauciere umkippte und der Inhalt auf dessen Hose spritze. Schnell lief Benjamin an ihm vorbei.
"Wenn ich dich erwische mache ich aus dir Hackfleisch du Arschloch", schrie der Mann hinter ihm her.
Draußen atmete Benjamin erst einmal tief durch.
Langsam sog er die kalte Winternachtluft in seine Lungen.
Es hatte heute heftig geschneit. Weder Menschen, noch Fahrzeuge waren zu sehen, da so dichter Nebel herrschte, dass man kaum die Hand vor seinen Augen sah.
Benjamin schlug den Weg nach Hause ein. Seine Schuhe knirschten im knöchelhohen Schnee.
Nach wenigen Schritten überlegte er es sich anders und schlug den Weg zum Rhein ein.
Wiedermal war das Maß voll. Benjamin wollte jetzt nicht mehr. Es musste heute besser laufen, als die letzten male. Wie nie zuvor sehnte er sich nach dem endgültigen und dunklen Nichts.
Dieser Winter war so kalt, wie schon lange nicht mehr. Deshalb war der Rhein seit einigen Tagen mit einer dicken Eisschicht überzogen. Die Leute amüsierten sich sogar, von einem Ufer zum anderen, hinüber nach Frankreich, zu laufen.
Er sah trotz dichten Nebels die sich auftürmenden Eisschollen. Das war gut, ganz prächtig sogar. An manchen Stellen rauschte zwischen den Eisschollen sogar Wasser. Er hörte es regelrecht glucksen. Auffordernd, als wenn der alte Vater Rhein sagen wollte: Komm her zu mir Benjamin. Wenn er dort hineinsprang, würden ihn das Eis zerdrücken – so hoffte er jedenfalls. Benjamin war sich sicher, dass er vom Kälteschock gleich untergehen würde. Er konnte nicht schwimmen.
Unschlüssig lief er eine Weile am Ufer hin und her und suchte einen Zugang zum Wasser. Dann sah er eine Stelle. Schnell schaute er sich um und sprang.
Während er sprang, hörte er dumpfe Schritte im Schnee. Er roch den beißenden Zigarettengestank seines Vaters.
»Mach es nicht Bueli, »schrie er entsetzt. Doch Benjamin versank bereits in den kalten Fluten des Rheins.
Benjamins Vater war hinterher gesprungen und rettete seinem Sohn das Leben. Nass und vor Kälte zitternd, zog er seinen halb erfrorenen Sohn nach Hause.
Den Sprung in den Rhein musste er mit einer schweren doppelseitigen Lungenentzündung bezahlen. Zwei Tage später starb er im Krankenhaus.
Es war ein Schock für alle, besonders für Benjamin. Er hatte seinen Vater sehr geliebt. Auch, wenn er es nie so recht zeigen konnte
Besonders Max litt unter dem Verlust des Großvaters. Der Opa hatte sich in fast allen Belangen um den Jungen liebevoll gekümmert, was Max ihm mit seiner Anhänglichkeit gedankt hatte.
Der Vater wurde in seiner Heimatstadt beigesetzt und die Mutter blieb dort in ihrer Wohnung.
Für Magda, Benjamin und die Kinder ging das Leben weiter. Der Vorfall im Dorfkrug geriet in Vergessenheit. Magdas Friseurladen lief gut, Sie war in der Lage, die Familie finanziell zu versorgen. Benjamin kümmerte sich um die Kinder, so gut es ging.
Während die Große zusehends selbständiger war, brauchte Max noch seine Unterstützung und seine starke Hand.
Durch den Tod des Vaters hatte sich Max und Benjamins Verhältnis gravierend verschlechtert. Benjamin spürte immer öfter, wie sehr der Junge ihn ablehnte.
„Er hat dich die ersten 4 Jahre seines Lebens kaum zu Gesicht bekommen. Ihr braucht beide Zeit, um eine Beziehung aufbauen zu können“.
Magda ließ keine Gelegenheit aus, dies Benjamin zu vermitteln. Dabei strich sie Max liebevoll über die Wange.
„Das hast du mir schon x-mal gesagt. Ich will, dass der Junge mich als seinen Vater anerkennt und Respekt vor mit hat“.
Die Diskussionen darüber endeten meist im Streit und Benjamin verließ schmollend das Haus.
Der Vorfall am Rhein hatte für ihn keine Folgen. Es gab zwischen ihm und Magda ein stilles Einverständnis darüber, auch gegenüber seiner Ärzte zu schweigen. Benjamin galt so gut wie als geheilt und es war nach dem Tod seines Vaters zu keinen Exzessen von seiner Seite mehr gekommen.
Benjamin entwickelte sich zu einem Mädchenvater. Er kam zu dem Schluss, dass er mit einem Jungen nichts anfangen konnte und auch nicht wollte. Alles was eine Vater-Sohn-Beziehung ausmachte war ihm zuwider
Er ging nie mit Max auf den Fußballplatz, nahm nicht an seiner Spielfreude teil. Manche Tage ließ er ihn wenn er von der Schule nach Hause kam, einfach links liegen.
Max zog er sich in sein Zimmer zurück. Er machte selbständig Hausaufgaben, was Benjamin gut fand. Nur nicht sich auch noch damit beschäftigen müssen. Es war ihm zu viel neben dem Jungen zu sitzen und seine Fortschritte zu registrieren.
Dabei dem seltsamen Blick begegnen, mit dem ihn Max regelmäßig ansah, war ihm genauso zuwider. Was er den Jungen irgendwann spüren ließ.
Sophie durfte auf Benjamins Hilfe jederzeit hoffen. Er saß bei ihr, wenn sie die Hausaufgaben machte. Kontrollierte akribisch ihre schulischen Leistungen und hatte meist nur überschwängliches Lob für sie übrig. Sophie tat sich schwerer in der Schule wie Max und Benjamin war froh, wenn sie Fortschritte machte.
Er ging mit ihr Spielen und war sonst für sie da.
"Bist du zu blöd für einen Ball, du Tölpel"? schimpfte Benjamin Max einmal aus, nachdem er erfahren hatte, wie ungeschickt Max sich beim Fußballspielen angestellt hatte. Max weinte und erzählte seiner Mutter, dass Benjamin ihn ausgeschimpft hatte. Es kam erneut zum heftigen Streit zwischen Magda und Benjamin.
„Danke du Depp, dass du mich bei deiner Mum verpfiffen hast“, warf Benjamin seinem Sohn am anderen Tag, auf dem Heimweg von der Schule vor. Dafür gibts heute kein Eis. Ätsch“.
„Selber Depp“, murmelte Max. Benjamin hatte es aber gehört. Schon erhob er seine Hand zum Schlag. Max duckte sich ängstlich. War dann aber doch erleichtert, dass sein Vater sich zurückhalten konnte.
Nichts fürchtete der Junge mehr, als die brutalen Schläge seines Vaters. Benjamin hingegen war froh, dass er sich zurückhalten konnte.
„Wenn du mich nochmal verpfeifst, hänge ich dich oben im Speicher auf. Dann wars das und das Verpfeifen hat ein Ende“. Benjamin sah die schreckgeweiteten Augen des Kindes und war fürs Erste zufrieden. Seine Ansage hatte offenbar ihre Wirkung nicht verfehlt.
Solcherart geistige Hauereien zwischen Max und ihm kamen vor. Magda, die das beobachtete, hatte Angst, dass Benjamin irgendwann ausrastete. Deshalb versuchte sie so oft sie die Möglichkeit fand, ihm gut zuzureden. Sie ging mit Ängsten aus dem Haus und kam mit Ängsten von der Arbeit zurück. Immer das Bild im Kopf, dass ein Unglück geschehen war.
Trotzdem war das folgende Jahr nach Benjamins Ansicht das beste Jahr. Er hatte einen Nebenjob im Ort bekommen, verdiente unter der Hand dazu. Der Laden von Magda lief prächtig, sie hatte zwei Angestellte. Die Große wurde in der Schule besser. Max hingegen begann in seinen schulischen Leistungen nachzulassen. Das war natürlich für Benjamin ein Grund, mit ihm herumzuschreien und herumzunörgeln. Er wurde nicht besser, Max war verstockt und reagierte nicht auf Benjamins Geschrei.
Benjamin schlug ihn und das nicht zu knapp Einmal knallte Max Kopf aufgrund einer verabreichten Kopfnuss regelrecht gegen die Stuhllehne und Max trug eine Beule davon. Manchmal gab er ihm im Vorbeigehen und scheinbar ohne Grund einen Tritt in den Hintern. Hinterher konnte Benjamin sich nicht mehr daran erinnern, warum er das getan hatte. Aber irgendwie verspürte er im Nachhinein eine ungemeine Befriedigung.
„Halt bloß die Klappe vor deiner Mutter, du kleines Arschloch“, drohte Benjamin danach regelmäßig.
„Du weist ja...“, dabei deutete er mit dem Finger nach oben.
„Ich hänge dich im Heuboden auf, da kenne ich nix“.
Dass er seinen Sohn hasste, wurde ihm mit der Zeit mehr und mehr klar. Da gab es nichts, was auf Zuneigung hindeuten konnte. Benjamin spürte, dass sein Sohn ihn ebenfalls hasste.
Magda blieben die blauen Flecke, die Max bei den Attacken davon trug nicht verborgen. Sie redete mit Benjamin. Es kam zu einem heftigen Streit, der sich aber nach kurzer Zeit wieder legte. Benjamin versprach, sich zu bessern und Max nicht mehr zu schlagen.
Stattdessen begann er um dieselbe Zeit wieder zu schreinern. Er wollte den Dachboden für die Große ausbauen. Sie sollte ihr eigenes Reich mit einem Zimmer und einem Ankleideschrank bekommen.
Eifrig werkelte er Tag für Tag, oft 8 und mehr Stunden am Stück, was ihn viel Energie kostete. Aber er machte es gerne und es machte ihm auch großen Spaß. Nie vergaß er dabei, sich um die Kinder zu kümmern, wie er es Magda versprochen hatte.
Max ließ er allerdings weiterhin links liegen. Der beschäftigte sich meist alleine in seinem Zimmer. Benjamin verbot ihm sogar, Schulfreunde nach Hause einzuladen, da er den Lärm von Kindern – vor allem Jungs – nicht ab konnte. Sie machten ihn nervös und sie störten ihn bei der Arbeit. Allerdings tat er das auch aus reiner Bosheit, wie er sich von Zeit zu Zeit eingestand.
Benjamin war eines Tages der Meinung, dass Max alt genug war, um ihm nach den Schularbeiten zur Hand zu gehen. Ihm Werkzeug zu reichen, oder Material tragen, war für einen Jungen in seinem Alter keine große Sache. Dafür schien ihm Max kräftig genug zu sein.
Es kam es vor, dass der er alleine eine schwere Leiter über den Hof schleppen und durch die Haustüre, die verwinkelte Treppe nach oben tragen musste. Wenn es nicht schnell genug ging, schrie Benjamin so laut, dass die Nachbarn drauf aufmerksam wurden und mit dem Kopf schüttelten, wenn sie das Kind schleppen und mit geducktem Kopf und herabhängenden Schultern zurück laufen sahen.
„Du Depp kannst dich ruhig beeilen“, pflegte er ihn dann gewöhnlich herunterzuputzen.
Das Kind schaute ihn dann entweder verstört aus seinen unendlich traurigen Augen an, oder fing an zu weinen.
Benjamin merkte zunehmend, wie ihn diese Hässlichkeiten seinem Sohn gegenüber aufgeilten.
Nachts, wenn er schlaflos neben Magda lag, machte ihn sein Tun allerdings traurig und er nahm sich auch vor, Max gegenüber ein liebevollerer Vater zu werden. Er hielt sich jedoch nicht daran. Das Gefühl dabei eine Art Genugtuung zu haben, wenn er ihn psychisch und physisch quälte, entwickelte sich zur abstrakten Manie. Manchmal spürte er sogar, eine Erektion dabei wenn er den Kleinen anschrie, oder ihm Gewalt antat.
Er machte sich einen Spaß daraus, nach solchen Attacken zum Kühlschrank zu laufen und sich mit Schokolade vollzustopfen. Wenn Max Augen leuchteten, in der Hoffnung auch was davon abzubekommen, dann hob Benjamin mit äußerster Befriedigung seinen Stinkefinger.
"Hättest du wohl gern du Penner".
Es ging bereits auf den Winter zu. Benjamin war im Dachgeschoss fast fertig. Er hatte tägliche Momente von
Glücksgefühlen, die er in den vergangenen Jahren nicht erlebt hatte. Mit Magda und den Kindern lief alles Bestens. Nach mehrmaligen intensiven Gesprächen mit einem Psychologen nahm er sich gegenüber Max auch mehr und mehr zusammen. Er hatte allerdings den Eindruck, dass seine Bereitschaft, liebevoller mit seinem Sohn umzugehen, bei Max nicht ankam. Er verstand nicht, warum der Junge immer noch so distanziert war. Einmal beobachtete Benjamin ihn, wie er da stand und einfach geradeaus starrte. Max sagte: "Papa...bäh". Dabei streckte er seine Zunge heraus und hob seinen kleinen Mittelfinger. Wieder mal hätte Benjamin ihm am liebsten eine gescheuert. Aber er hatte aus seinen Fehlern gelernt, atmete tief durch und ging nach oben.
Heute wollte er das letzte Puzzle über der Türe schließen
Hier befand sich noch eine dreieckige Öffnung, weil die Sparren beider Dachseiten am First direkt über der Türe zusammenliefen. Benjamin hatte lange daran gebastelt und hin und her überlegt, wie er das dreieckige Loch verkleiden könnte. Nun hatte er eine Idee, die es umzusetzen galt. Das Dreieck war gerade mal so groß, dass er den Kopf seitlich hindurchstecken und ihn dann drehen musste, um von unten Nut und Federbretter nach oben zu schieben um dann maß zu nehmen.
"Max, komm hoch", rief er von oben hinunter.
Er hörte, wie der Junge etwas brummte, das sich wie ein Meckern anhörte. Er hatte den Eindruck, dass es dem Kleinen nicht passte, wollte aber fertig werden und wurde ungeduldig.
Benjamin richtete die Haushaltsleiter aus und fluchte, weil ein Fuß der Leiter den Gummi verloren hatte und sie dadurch heftig wackelte.
Halt mal die Leiter, damit sie nicht umfällt, wenn ich oben stehe«, forderte er Max auf, nachdem der sich endlich die Treppe hoch bewegt hatte.
Max nickte nur. Er sah seinen Vater mit ausdruckslosen Augen an. Benjamin seufzte und stieg die wacklige Leiter hinauf.
Zusätzlich musste er mit einem Fuß auf den Metallhandgriff stehen und sich dabei hochziehen, was sowieso eine gefährliche Sache war. Er schaute nach unten. Der andere Fuß hing frei in der Luft, mit den Händen suchte er tastend und klammernd einen Halt an den unteren Brettern. Max hielt indessen die Leiter verbissen fest.
Vorsichtig, den Kopf drehend und ihn in dieser Position durch die dreieckige Öffnung zwängend,drehte er ihn und schaute hinunter.
Notdürftig hielt er sich dabei mit gespreizten Fingern an einem unteren Brett fest, um das Körpergewicht auf dem Fuß und dem Metallgriff der Leiter auszugleichen.
Plötzlich war sein Kopf im unteren linken Dreieck eingeklemmt.
Schnell wollte Benjamin ihn nach rechts bewegen, um ihn zu drehen und dann herauszuziehen. Diese wacklige Position wurde ihm doch so langsam zu gefährlich.
Die Leiter schwankte. Erschrocken bemerkte er, wie sie unter ihm weg kippte.
Er sah Max zurückspringen und aus seinem Blickfeld verschwinden.
"Max du Idiot, stell mir die Leiter wieder auf, schnell...", krächzte Tobias. Während das Holz unaufhaltsam in seinen Hals schnitt, wurde ihm gleichzeitig die Luft abgeschnürt. Es musste grotesk aussehen, wie seine Beine ohne Halt in der Luft baumelten.
Der eingeklemmte Kopf hielt die Masse des Körpers, den er nicht im Stande war, alleine zu befreien.
Mit den Händen versuchte er einen anderen Halt zu finden. Die Fingernägel kratzten verzweifelt über das Holz.
Benjamin konnte nur noch röcheln: „Max, hilf mir... Junge...schnell..".
Endlich trat Max in sein Blickfeld. Er sah zu Benjamin hoch und lächelte ihn an. Er hob seinen Arm und zeigte ihm den Stinkefinger.
Dabei grinste er gehässig zu ihm hoch. Dann sagte er laut: „Hättest du wohl gerne, du Penner“. .
Benjamins Hände ließen das Holz los. Bevor ihm seine Sinne schwanden, sah er noch, wie sich der Junge umdrehte und: „Arschloch“ rief.
Sein Darm entleerte sich konvulsivisch zuckend. Eine Erektion infolge des Verschlusses der Halsschlagader, machte sich bemerkbar. Das merkte er schon nicht mehr. Dieses Mal starb er endgültig.
Als Magda nach Hause kam, fragte sie die Kinder, wo ihr Vater sich aufhielt. Beide wussten es nicht. Sie suchte auf dem Resthof nach ihm, im Dorf, am Rhein. Vergeblich. Am Abend meldete sie ihn bei der Polizei als vermisst. Anderntags suchten sie ihn mit einem Großaufgebot.
Magda lief mit und hoffte, dass man Benjamin irgendwie fand. Als die Wärmebildkamera eines Polizeihubschraubers auch nicht fündig wurde, gaben sie die Suche auf. Enttäuscht ging Magda nach Hause.
Zwei Tage später fiel ihr ein beißender Geruch auf, der aus dem obersten Stockwer nach unten drang. Zögernd und klopfenden Herzens stieg sie hinauf. Sie sah ängstlich nach oben zum Speicher. Von dort musste der intensive Geruch her herkommen. Verwesungsgeruch. Ihr lief es kalt über den Rücken. Ihre Beine zitterten, als sie vorsichtig einen Fuß vor dem anderen setzend die Speichertreppe hinauf stieg.
Das eingeschaltete Licht erhellte die Nische vor dem bereits frisch renovierten Speicherzimmer. In der offenen Tür hing der leblose Körper von Benjamin. Seine Augen waren aus den Höhlen getreten, die schwarze Zunge hing ihm aus dem Mund. Um seinen Kopf kreisten Fliegen, aus der Nase krochen bereits Larven.
Zwölffingerjoe erwachte und rieb sich seinen Kopf, der sich taub anfühlte. Die Umgebung konnte er nur mit dem rechten Auge wahrnehmen. Wenn es überhaupt eine Umgebung war, denn er sah nichts, außer Nebel. Was ihn nervös machte, weil eine Orientierung unmöglich war. Außerdem verspürte er ein Kribbeln in seinen Beinen
Auf dem linken Auge war er blind und das beunruhigte ihn. Er hatte immer Wert auf ein gutes Sehvermögen gelegt. Ohne dieses wäre er nicht das geworden, was er war:
„Zwölffingerjoe.“
Vergangenheit
Joe, der Nachfahre eines neapolitanischen Müllkutschers, mühte sich schwitzend und schnaufend auf Lula einer Dirne aus Brooklyn ab, als Zecke dieser Idiot an seiner Haustüre Sturm klingelte.
„Verdammte Zecke“, schrie er zur Türe hinüber, „ich mache dich kalt, wenn es keinen guten Grund gibt, mich von der Nutte herunterzuholen.“
Mit einem lauten Aufstöhnen rutschte er von der dicken Lula. Er schob seinen Schwabbelbauch zur Türe und Lula ging ins Bad.
Draußen stand eine Mischung aus abgebrochener Bohnenstange und stinkendem Müllhaufen. Stinkend deshalb, weil immer eine abgebrannte billige Zigarre im Mund dieser Bohnenstange steckte. Zwei große Augen hinter einem umfangreichen Büschel Augenbrauen schauten Joe an.
„Du kleiner Wichser hast sicher einen guten Grund mich hier wegzuholen“, sagte Joe vorwurfsvoll.
„Wir sind spät dran“, erwiderte Zecke . Er deutete auf Joes Unterbauch und grinste.
Joe sah an sich herunter. Klein und runzlig sah das Teil aus, auf das Zecke gedeutet hatte. Er grinste zurück und holte die Hose vom Stuhl. Nachdem er sich angezogen hatte, warf er Lula einen 10 Dollar-Schein aufs Bett und rief ins Bad:
„Sei schön brav Süße, wenn ich ein anderes kleines Arschloch auf dir sehe reiße ich euch beiden die Eier raus.“ Dann zog er die Türe hinter sich zu.
Zecke hatte es geschafft, Joe einen Heroinhandel schmackhaft zu machen. Jetzt fuhren sie mit dem, was die Bohnenstange seinen Dodge nannte, zu einem Käufer in die Bronx.
Nicht nur dass Joe Drogen hasste wie der Teufel das Weihwasser, sondern er hasste auch die Bronx, seit er vor einigen Monaten dort üble Prügel bezogen hatte.
Er war zwar in der Bronx aufgewachsen und hatte sich einen Namen als Geldeintreiber gemacht. Seine linke Schlaghand war legendär und Antonio, ein Boxtrainer in Kapaskos Boxstall wollte ihn dauernd zum Profiboxen überreden. Er sagte ihm eine steile Karriere voraus, weil er angeblich ein fantastischer Rechtsausleger war.
Fast hätte sich Joe auch dazu überreden lassen, aber eines Tages begegnete er Ricardo einem feisten Sizilianer. Er war 20 Jahre älter und ein Schrank von einem Kerl mit einem Bauch, von mindestens 4 Metern Umfang. Joe dachte er hätte mit dem Sizilianer ein leichtes Spiel, so träge, wie der sich bewegte.
Aber Joe merkte nicht, dass er sein Gegenüber falsch einschätzte.
Als der Mann nicht im Geringsten signalisierte, seine Schulden zu bezahlen, ging er auf ihn los. Nach dem ersten Schlag gegen das Kinn des Widersachers preschte sein Gegner nach vorne und Joe steckte nur noch ein. Am Ende blieb er bewusstlos zwischen den schäbigen Tonnen eines Abwrackunternehmens liegen. Er wäre dabei fast verblutet. Aber Lucia, Ricardos Tochter, hatte ihn ins Krankenhaus gebracht.
Irgendwo auf einem unbefestigten Parkplatz zwischen Wellblechbaracken und den Stahlgerüsten der Hochbahn warteten nun 3 Typen auf Joe und Zecke.
Joe sah ihnen den üblen Charakter schon von Weitem an.
„Da vorne sind sie“, sagte Zecke überflüssigerweise, als sein aufgeblähter Kaugummi in seinem Kindergesicht zerplatzte.
„Das sehe ich“, erwiderte sein Partner genervt, während Zecke den Dodge zwischen Schlaglöchern und alten Kisten zum Stehen brachte.
„Was für Lutschen hast du da denn aufgetrieben?“
„He, halt den Ball flach.
Joe drehte sich zu der Bohnenstange um und fasste ihn mit seiner fleischigen Hand am Kragen. „Du kleiner scheiß Wichser sollst mich gefälligst Zwölffingerjoe nennen“.
„Ok, ok ist ja gut“.
Die beiden stiegen aus. Zecke hatte den Beutel mit dem Heroin in der Hand.
„Wenn ich sehe, dass die uns linken wollen, dann massiere ich denen die Eier, dass es sich gewaschen hat“.
Joe merkte wiedermal nicht, wie er den Mund zu voll nahm. Obwohl er sich hätte denken können, dass denen aus der Bronx grundsätzlich nicht zu trauen war und es Ohrfeigen hageln konnte.
Während die Typen auf die beiden zuliefen, schüttelte er traurig den Kopf.
„Die haben doch niemals die Kohle“.
Zecke, der die Reste seines Kaugummis aus seinem Dreitagebart schabte, schaute Zwölffingerjoe fragend an.
„Ich hatte keine große Alternative. Du weist, dass der Termin mit Franco drängt
Joe seufzte. Madonna! Morgen früh war das Ultimatum bei Franko vorbei und der kannte keinen Spaß.
„Habt ihr die Kohle“, fragte er, als die Typen in Hörweite waren. Die starrten sich an. Zecke hob die Tüte mit dem Stoff hoch und ging auf die
„He, he,“ sagte Amado vorsichtig. „Das ist ein vornehmer Wagen.“
„Ich möchte mit Lucia gerne ne Spritztour machen“.
Amado bekam große Augen. „Lucia, die jüngste Tochter von Ricardo, dem Mafiaboss?“
„So ist es,“ verkündete Joe großspurig.
„Hm,“ sagte Amado, „hast du den Boss aller Bosse, denn um Erlaubnis gefragt?“
„Lass das mal meine Sorge sein. Ich hatte bereits mit Ricardo Kontakt.“ Dabei verschwieg Joe, dass sich sein Kontakt zu Ricardo lediglich auf die Schläge von damals bezog.
Amado schien lange zu überlegen und sah dabei rüber zu Theresa
„Ich muss erst noch jemand abliefern.“
„Hä?“
„Na ja hinten! Ich habe im Wagen noch einen Sarg mit Inhalt,“ erklärte Amado mit einem Grinsen.
„Äh du Amado, das macht erst mal nichts. Den kannst du doch später noch abwracken“.
„Hä?“
Jetzt verstand Amado nicht.
Kein Wunder, dachte Joe, dass dieser Amado so schwer von Begriff war, wenn er nur mit Abgelebten zu tun hatte.
„Du leihst mir die Karre für eine Stunde, dann bringe ich ihn zu dir zurück und deiner Leiche passiert nichts.“
„Ok,“ sagte Amado spontan. „Und du akzeptierst mich dafür als Lover von deiner Schwester Theresa?“
„Je nachdem, wie gut dein Auto ist, werde ich mir das überlegen,“ antwortete Joe grinsend, während er die Schlüssel von Amado empfing.
„Versau mir das Auto nicht und mach es hinterher sauber,“ sagte Amado. Dann ging er zu Theresa.
Gegenwart
Joe erwachte wieder an gleicher Stelle mit dem gleichen Geruch nach frischem Gras. Irgendwie hatte er sich daran gewöhnt. Allerdings roch er einen neuen Geruch. Jetzt wusste er es. Verbranntes Fleisch. Er sah an sich herunter . Sein Körper dampfte und die Schmerzen waren sogar in seinem Kopf.
Er fragte sich kopfschüttelnd, wie lange die Scheiße noch gehen sollte. Warum war er nicht gänzlich verbrannt, nachdem ihn der Blitz getroffen hatte?
„Ach so,“ sagte er laut. „Toter kann ich ja nicht werden.“ Duckte sich aber vorsichtshalber, weil er schon wieder ein leises Grollen in der Ferne vernahm.
Dann stand der grinsende Schwarzgekleidete – der Boss - mit dem unrasierten Gesicht wieder vor ihm.
„Ich hatte in Erinnerung, dass vorhin mein Bruder hier war,“ sagte Joe sarkastisch.
„Willi ist nicht mehr dein Bruder. Er ist tot, wie du. Außerdem hat er jetzt andere Aufgaben, erklärte ihm sein Gegenüber.“
„Der hat Aufgaben? Kann ich mir gar nicht vorstellen.“
„Joe, du bist nicht hier, damit du dich ständig über deine ehemaligen Mitmenschen lustig machen kannst.“
„Ja ich weiß. Aber ich will nicht in dieses verdammte Fegefeuer.“
„Sondern?“
„Ins Paradies natürlich.“
Der Boss lachte schallend. Er lachte so sehr, dass es Joe schien, sein Trommelfell platzte.
Vergangenheit
Joe holte also mit Amados Leichenwagen Lucia ab und zwar so heimlich, dass es niemand von ihrer Familie mit bekam. Lucia war zwar zuerst etwas pikiert über das Auto. Aber schlussendlich ließ sie sich von ihm zu einer Spritztour überreden.
In der Nähe des Zentralparks, da wo noch einige Bäume standen und wo es auch lauschige Parkplätze gab, hielt Joe an und küsste sie stürmisch. Er schmeckte ihren Mund und ihre Zunge und bekam eine gehörige Erektion. Während er ihr versuchte, an die Wäsche zu gehen, schaute Lucia nach hinten.
„Joe meinst du der ist mausetot?“
Joe war verwirrt. Weiberlogik dachte er, während er verzweifelt versuchte, auf dem engen Vordersitz Lucias Beine auseinander zu drücken.
„Sag schon Joe.“
„Herrgott, ja der Kerl ist mausetot. Keine Angst meine Süße.“ Joe war schon wieder aus dem Tritt.
„Du Joe, mir isses hier zu eng,“ mäkelte Lucia, die seufzend auf ihrem Sitz hin und her rutschte.
„Dann lass uns nach hinten gehen.“ Joe, wollte es Lucia unbedingt besorgen. Schließlich willigte sie ein.
Neben dem schlichten Holzsarg war genug Platz für beide. Allerdings nahm Joe einen eigenartigen Geruch wahr, was ihn nach einer Weile nicht mehr störte. Jedenfalls kam Joe prächtig und Lucia hatte ihren Spaß mit ihm.
Gegenwart
So langsam langweilte Joe das ganze Gedöns. Die vertraute Umgebung, das grüne Gras, der Nebel, der sich immer noch nicht verzogen hatte. Er stank nach verbranntem Fleisch. Seine Schmerzen waren jetzt überall. Außerdem schien sein Gehör ausgefallen zu sein.
Dass dahinter wohl eine Methode stecken musste, begriff selbst der sonst auf jeder Leitung stehende Zwölffingerjoe. Die hatten sich hier oben einen guten Plan ausgedacht. Aber der Plan war scheiße, beschloss er .
Aus dem Nebel schälten sich mehrere Personen heraus, die auf ihn zukamen.
Na jetzt geht das von vorne los, dachte Joe.
Allen voran der Boss, dem Joe – das hatte er sich nur vorgenommen – gehörig das Leder abziehen wollte. Am besten die Eier raus schneiden, dachte er grinsend.
Hinter dem Boss sah er Ricardo, den zum Mafiaboss emporgestiegenen Schläger.
„Haben sie dich auch erwischt,“ fragte Joe ihn gehässig, als die Gruppe ihn erreicht hatte. Dabei deutete er feixend auf ein Hirschgeweih, das Ricardo aus dem Brustkorb herausragte.
Der konnte gar nicht mehr antworten. Er hatte zwar noch einen ganzen Kopf, schien dort oben jedoch ziemlich weggetreten zu sein.
Lucia führte ihren Vater an der Hand. Sie war die einzige, die Joe je geliebt hatte. Neben ihr stand Mama, die Peter an der Leine führte.
„Bevor du dich in die Bredullie bringst Joe, lass dir gesagt sein, dass alle hier versammelten dein Wesen geprägt und dich zu dem gemacht haben, was du bist,“ sagte der Boss. Seltsamerweise hörte ihn Joe ganz deutlich, oder war das nur in seinem Kopf?
„Ich habe jetzt die Faxen dicke,“ antwortete Joe trotzdem. „Und ich will mein Leben zurück.“
„Irrtum Joe. Das ist nicht möglich.“ Alle Freundlichkeit war aus dem Gesicht des Grauhaarigen gewichen.
Aber das war Joe egal. Er war schließlich wer: Zwölffingerjoe. Und die ganze hier angetanzte Mischpoke konnte ihm gestohlen bleiben.
„Dann will ich jetzt ratzfatz ins Paradies verstanden?“
„Das Paradies hast Du nicht verdient...“
„Dann von mir aus die Hölle. Dort unten ist es allemal besser, als hier oben.“
„Bist du dir wirklich so sicher?“ Der Boss lächelte wissend, um Joe dann aber gleich die Illusion zu nehmen.
„Nein, Joe für die Hölle bist Du nicht prädestiniert genug. Obwohl ich Dich Kotzbrocken lieber dort unten gesehen hätte. Aber im Moment möchten dich weder der Teufel noch Gott haben. Deswegen habe ich anders entschieden.“
„Scheiß auf deine Entscheidung,“ schrie Joe.
„Oh, oh Vorsicht, das kann wiedermal ins Auge gehen.“
Aber da Joe es nicht kapiert hatte, ging es ins Auge und zwar ganz schnell.
Vergangenheit
Einige Tage später rannte Joe die Haustreppe hinunter. Er hatte es eilig. Denn die Treffen mit Lucia wurden zur täglichen Gewohnheit. Und Amado zeigte sich nicht geizig mit seinem Leichenwagen. Die Hauptsache war doch, dass der mit Theresa zusammen sein konnte.
Joe musste durch den Garten, Mama brauchte noch Wäscheklammern. Er hatte gute Laune, wegen Lucia, also machte es ihm ausnahmsweise nichts aus, für seine Mama noch einmal nach oben zu rennen. Er nahm sich vor, bald mal bei Ricardo vorbeizugehen und ihm mitzuteilen......
Was er sah, verschlug ihm den Atem. An einer Teppichstange baumelte Peter der Hund von Mama. Peter war so tot, wie er nicht hätte toter sein können. In Peters Maul steckte ein Zettel darauf stand: Neapolitaner, wenn du deine Wichsfinger nicht von meiner Tochter lässt, dann bist du der Nächste.
„Diavolo di nuovo,“ murmelte Joe und vergewisserte sich, ob Mama nicht aus dem Fenster herunter schaute. Tatsächlich schaute sie herunter , schlug ihre Hände über dem Kopf zusammen und schrie, was das Zeug hielt.
„Madonna ci aiuti.“ Dann war sie verschwunden. Gleich darauf schrie seine Schwester Theresa.
Schnell rannte Joe nach oben. Mama lag auf dem Küchenboden. Theresa kniete neben ihr und hielt ihr Ohr an den üppigen Busen. Joe wusste sofort, dass Mama das Zeitliche gesegnet hatte. Der aufgehängte Hund hatte ihr wohl das Herz gebrochen. Endlich war Joe an seinem Ziel und sogar ohne sein Zutun.
Alles kam wieder mal so, wie Joe es nicht vorhersehen konnte. Es sprach sich noch am selben Tag herum, dass Ricardo den Mord an Peter in Auftrag gegeben hatte.
Joe kochte vor Wut. Nicht wegen dem Hund. Der war ihm sowieso immer scheißegal gewesen. Aber wegen Lucia und dass Ricardo im Begriff war, ihm die Tour zu vermasseln. Dem würde er die Eier raus reißen. Aber zuerst gehörte Mama ordentlich beerdigt. Er beauftragte Amado. Der sagte gleich zu.
„Amigo kein Problem, jetzt wo wir doch bald Schwäger sind“. Er lächelte vielsagend über das ganze Gesicht, trotz des traurigen Anlasses.
„He, he du Leichenfledderer, was soll das heißen?“
„Na du wirst Onkel. Leider kann deine Mama nicht mehr Oma werden. Aber...“
„Was...?“
Joe schwoll erneut der Kamm. Zusätzlichen Stress konnte er gar nicht gebrauchen. Aber dann hatte er eine Idee.
„Hör mal Leichenfledderer, du hast wohl meine Schwester angebufft. Dafür erwarte ich eine kostenlose Beerdigung und zwar alles vom Feinsten. Ist das klar?“
Amado war das zwar nicht recht. Wieder mal ein Minus in seiner Kasse. Aber um der lieben Familie willen sagte er zu.
Mama bekam eine wunderbare Beerdigung. Der Frauenchor sang und der Pfarrer hielt eine ans Herz gehende Rede über die Großzügigkeit von Joes Mama.
Joe hatte vergeblich auf den Reichtum in Mamas Tresor gehofft. Nachdem er endlich den Schlüssel hatte, musste er feststellen, dass der Schmuck nicht mehr da war. Da half alles suchen nichts und Joe war weiterhin pleite.
Zu allem Übel ließ Ricardo kurz darauf ein Übernahmeangebot all seiner Geschäfte an Joe überbringen.
„Das sieht ihm ähnlich, dem Feigling.“
Der Zeitpunkt war da für eine endgültige Abrechnung. „Wenn ich ihn erwische, dann reiße ich ihm die Eier raus,“ schrie Joe.
Vorher musste er aber noch im abgehalfterten Boxstall trainieren und alle waren über seine linke Schlaghand erstaunt. Natürlich hatte es sich auch herumgesprochen, weswegen er trainierte. Auch seine Sprüche von den herausgerissenen Eiern zogen die Runde. Sie machten sich über ihn lustig. Nur Joe merkte es nicht.
Ricardo schaffte es trotzdem, Joe seine Jungs abzuwerben, so dass ihm nur noch ein stinkender Neuling namens Zecke blieb. Darüber hinaus meldete sich Lucia nicht mehr bei ihm. Er befürchtete, dass Ricardo damit was zu tun hatte.
Als ihn die Sehnsucht nach Lucia fast umbrachte, machte er sich auf den Weg in Ernestos Kneipe, wo Ricardo mit seiner Clique residierte.
Er betrat die „Okkarina“ und sofort verstummten alle anwesenden Gäste. Ernesto kam schnell auf ihn zu und hob abwehrend die Hände.
„He Neapolitaner das...“
Rums. Joe platzierte seinen linken Upercut in Ernestos fleischige Visage. Ernesto tat ihm leid, aber er hatte ihn als einen Neapolitaner beschimpft.
Geräuschvoll landete Ernesto auf dem Boden neben dem Tresen. Joe sah, wie Tessio, einer von seinen ehemaligen Männern, sich vorsichtig an der Rückwand zum Hinterausgang schlich.
„Noch einer ohne Fahrschein?“ fragte Joe, während er seine schmerzenden Fingerknöchel rieb. Bevor jemand antworten konnte, erschien Ricardos massiger Körper in der Türfüllung. Er passte kaum durch und kam schwerfällig, mit ausgebreiteten Armen auf Joe zu.
„Neapolitaner, was willst du? Reicht dir die letzte Abreibung nicht?“
„ Komm nur her, ich schlage dir deine Fresse auch noch ein,“ sagte Joe herausfordernd. Natürlich nur, um sich Mut zu machen.
„Du hast unseren Hund aufgehängt und meine Mama umgebracht, das...“
„Du hast dich doch nie um euren Hund gekümmert. Seit Ewigkeiten weiß jeder hier, dass du der Alten wegen ihrem verdammten Schmucks ans Leder wolltest. Ich habe dir also Arbeit abgenommen, als sie einen Herzschlag bekam.
Ricardo blieb vor dem viel kleineren Joe stehen und sein Bauch wippte einladend vor Joes Nase.
Mit einem gezielten Schlag seiner Linken auf diesen Bauch nahm Joe seinem Widersacher die Luft weg. Ricardo taumelte ächzend zurück, während die Anwesenden fluchtartig ihre Tische und Stühle verließen. Der Bastard fiel aber nicht, im Gegenteil. Kopfschüttelnd überwand er die offensichtliche Überraschung und ging nun seinerseits zum Angriff über. Joe konnte nicht ausweichen. Denn sein Gegner drosch mit den langen Armen auf ihn ein.
Nach wenigen Sekunden lag Joe auf den Brettern. Ricardo setzte sich schwer atmend auf seinem Brustkorb. Der üble Knoblauchgeruch aus seinem Maul und das Gewicht des Gegners nahmen Joe den Atem.
Joe sah, wie er seine Faust hob, die so groß, wie ein Footballhandschuh war. Das war es dann dachte er und schloss die Augen. Plötzlich schrie Ricardo laut auf. Joe öffnete die Augen. Er sah Lucia hinter ihrem Vater stehen. Sie verdrehte ihm einen seiner feisten Arme nach hinten. Bevor sich Joe über die Kräfte dieser zarten Person wundern konnte, rollte sich Ricardo zur Seite, kam auf die Knie und hob seine Tochter an den Beinen hoch. Er schleuderte sie mit aller Kraft gegen einen Tisch.
Joe hörte, wie ihr Rückgrat brach und sah wie Lucia in sich zusammensackte. Sie war tot,
„Du hast sie umgebracht,“ flüsterte Joe und stand mit Mühe auf.
Ricardo sah zu seiner Tochter. Dann sah er zu Joe. Er griff er sich an die Brust. Seine Pranke krallte sich ins Hemd, auf seinem Gesicht erschien ein schmerzverzerrter Ausdruck. Rückwärts zur Wand taumelnd und schreiend verlor er den Halt, und stieß gegen ein Hirschgeweih.
Dieses Hirschgeweih hatte Ernesto – der Teufel mochte wissen, warum – vor 30 Jahren dort aufgehängt. Die Spitzen bohrten sich in Ricardos Rücken und eine ragte sogar aus dem Bauch. Ricardo tat einen lauten Seufzer, während Blut aus der Wunde Hemd und Hose besudelte. Ricardo hing in grotesker verdrehter Haltung am Hirschgeweih.
Die Geschichte von Joe dem Mörder von Ricardo, dem Boss aller Bosse machte ihre Runde in der Bronx und jeder Mafiaboss hatte zunächst Respekt vor Zwölffingerjoe.
Gegenwart
Immer noch standen alle um ihn herum. Wieder war ein Wachtraum vorbei und der Boss schaute ihn immer noch ernst an. Das heißt, Joe konnte gar nichts mehr sehen. Er merkte, dass er überhaupt kein Auge mehr hatte.
Was er sah, funktionierte nur noch in seinem Gehirn. Der Gestank von verbranntem Fleisch war bestialisch und er musste würgen.
Der Boss sagte: „Joe, hier im Fegefeuer hattest du Gelegenheit, wichtige Dinge in deinem Leben Revue passieren zu lassen . Das wurde dir zuteil, damit du es in einem anderen Leben besser machen kannst.“
„He, ich will kein anderes Leben, verstanden? Ich will mein Leben.“
Aber es klang nur halbherzig. Vor allem tat ihm sein ganzer Körper weh. Wenn man da überhaupt noch von Körper sprechen konnte. Er hatte Schmerzen von den Haarspitzen bis in den kleinen Zehen und wollte nicht noch einmal irgend einen Blitzschlag, oder eine Verbrennung riskieren.
Im Grunde begann Joe sich mit der Situation abzufinden. Alle Anwesenden schienen ihm schließlich einen guten Eindruck zu machen. Vielleicht war das gar nicht so schlecht. Aber er hatte wiedermal die Rechnung ohne eine höhere Gewalt gemacht.
„Irrtum, Joe. Vorher hast du noch einige Aufgaben zu erledigen.„Hör mir gut zu Joe.“ Das Fegefeuer ist kein Pappenstiel.“
„Was ist das Fegefeuer dann?, werde ich auch mal diesen Gott kennenlernen? Was habt ihr mit mir vor?“
„Na ja, wir sind hierarchisch strukturiert genauso, wie Ihr auf eurer Welt. Außerdem ist er nicht einfach dieser Gott. Er hat Dich Dein ganzes Leben lang begleitet und wartet seit dem Tag deiner Geburt auf Dich. Bei uns arbeitest du deine Unzulänglichkeiten ab. So lange, bis Gott der Meinung ist, dass du es verdient hast, die Pforte ins Paradies zu durchschreiten.“
„Bis dahin soll ich in diesem Nebel herum laufen und grünes Gras fressen?“
„Das läuft anders. Du wirst hier einen schmerzhaften Wandlungsprozess nach dem anderen erleben.
Wenn es nicht funktioniert, wirst du nach jedem sinnlosen Leben mehr tot sein, als vorher und jeder Besuch im Fegefeuer wird für dich eine noch größere Qual werden. Irgendwann wirst du im absoluten Nichts enden.“
Ein letztes Mal wollte Zwölffingerjoe aufbegehren. Er hatte die Faxen dicke. Zuerst der Kerl aus der Werbung und anschließend dieser Kretin von Zwillingsbruder, den er nie gemocht hatte. Jetzt noch das Nichts, was auch immer das war. Er wollte nun beweisen, was ab ging aber dann besann er sich und beschloss, sich zu fügen.
„Joe werde endlich demütig und komm von deinem hohen Ross herunter,“ sagte der Boss milde. Er hatte wohl recht und bewahrte ihn vor einem erneuten Filmriss.
„Was wollt ihr also von mir,“ krächzte Joe.
Der Schwarzgekleidete erklärte es ihm leise:
„Das ist ein kleiner Teil der Menschen, die durch deine Schuld hier oben sind. Aus Rachsucht und verletzter Eitelkeit hast du deinen Bruder Willi getötet. Deine Mutter starb an einem Herzschlag, weil du an ihren Schmuck kommen wolltest. Dafür bist du wohl Ricardo immer noch dankbar, der den von dir ungeliebten Hund aufgehängt hat, weil du was mit seiner Tochter hattest. Aber nicht genug damit. Du musstest dich ja auch noch mit Ricardo selbst anlegen und hast ihn an einem Herzinfarkt sterben lassen, nicht, ohne dass er Lucia seine Tochter mitgenommen hat.“
Alle standen sie stumm um Zwölffingerjoe herum.
„Nun Joe, das sind Menschen, die Deiner Liebe bedurft hätten, weil sie Dir ihre Liebe gegeben haben. Ja selbst Ricardo hätte es nicht verdient. Und es war nicht in Gottes Plan, dass er und alle anderen früher abberufen wurden. Dafür warst alleine Du verantwortlich.“
Zwölffingerjoe fühlte sich auf einmal mies und ihm wurde schlecht. Unbehaglich trat er von einem Bein aufs andere.
„Joe,“ sagte sein Gegenüber. „Ich sage es ungern. Aber du hast eine sehr lange Leitung. Also nochmal: Dir bleiben jetzt nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder Du irrst bis zum jüngsten Tag im Nebel des Fegefeuers herum und frisst ab und zu Gras von der grünen Wiese, oder Du leistest Abbitte, indem Du mit jedem Deiner Nächsten hier aus diesem Kreis dessen Leben noch einmal lebst. Und zwar so, dass sie am Ende sagen können, Du hast ihnen ein gutes Leben beschert. Wenn Du alle Leben mit gelebt hast, dann entscheidet der Boss, ob du es verdienst, ins Paradies zu kommen.“
„Das dauert ewig,“ mäkelte Zwölffingerjoe. Er sah sich weinerlich um
„Ewig,“ entgegnete der Boss, wobei sein dreckiges Grinsen sichtbar wurde. „Du hast keinen Begriff von Ewigkeit.
Zwölffingerjoe versuchte es mit einer letzten Ausflucht.„Wer gibt mir die Garantie, dass ich hinterher ins Paradies komme?“
„Eine Garantie, Joe, die gibt es nicht. Du darfst aber daran glauben, “ antwortete der Boss.
Zwölffingerjoe gab sich geschlagen.
Plötzlich verspürte er einen unbändigen Hunger und wenn er an das Gras dachte…...Nein, da wollte er sich lieber Mühe geben, Abbitte zu leisten und zu glauben. Nun meinte er es ernst, als er sagte:
„Ich mache es… Abbitte leisten…..so gut es eben geht.
„Joe, niemand verlangt Wunder von Dir, die werden von anderen gemacht.“ Dabei tätschelte der Boss ihm aufmunternd die Schulter, schaute nach oben, wobei er breit grinste.
"Aber keine Tricks, wir behalten Dich im Auge“.
Zwölffingerjoe nickte und war plötzlich auf der Wiese alleine. Er atmete tief durch, während sein Hungergefühl stärker wurde. Mit einem mal riss der Film.
Joe saß am großen Küchentisch, zwischen Willi und Theresa. Mama und Papa saßen ihm gegenüber. In der Mitte stand eine große dampfende Schüssel mit Spagetti und roter Sauce.
Joey sah kauend seinen Zwillingsbruder an, der von Mama wiedermal Komplimente erhielt, weil er vor dem Essen seine Hände sauber gewaschen hatte, während Joes Hände wie üblich dreckig waren.
Er hätte dem kleinen Wichser am liebsten alle zehn Finger abgeschnitten. Im Garten bellte der Hund Peter, weil ein fernes Donnergrollen zu hören war.
Joe besann sich anders. Er nahm sich vor, das nächste Mal seine Hände besser zu waschen und für Peter einen Knochen von seinem Taschengeld zu kaufen.
Texte: Bernd Stephanny
Bildmaterialien: Google, kostenlose Bilder
Lektorat: Bernd Stephanny
Tag der Veröffentlichung: 04.06.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner Frau, Madeleine Stephanny