Die Cataphiles hatten zu ihrem ersten Event in diesem Jahr in die Katakomben eingeladen, einer Party zum Andenken an die Befreiung von Paris. 25 Meter tief unter der Stadt.
Catapiles waren die Hardliner unter den Katakombenfreaks und als Solche einer Organisation angehörend, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die mehr als 300 km langen geheimen Schächte, Höhlen, Gänge und Tunnel zu erforschen und zu erhalten. Keineswegs zur Freude der Stadtverwaltung. Wer erwischt wurde, musste mit hohen Geldbußen rechnen. Mundpropaganda und Diskretion waren die wichtigsten Kriterien für die Organisation einer Veranstaltung. Die Einladungen waren streng geheim.
Es war Natalie gelungen, an eine solche Einladung heranzukommen. Einfacher, als sie gedacht hatte und noch einfacher, ihre Freundin Vivian dazu zu überreden, mit dort hinzugehen. Sollte doch ihrer beider Idol Nicolas Sirkis, der berühmte Bandleader der Gruppe Indochine, dem Event einen Besuch abstatten.
Zufällig hatte Natalie vor einigen Wochen auf dem Schreibtisch ihres Vaters eine Aktennotiz im Zusammenhang mit den Katakomben entdeckt. Darin war die Rede von einer Musikveranstaltung und den Sicherheitsvorkehrungen für Nicolas Sirkis. Ihr Vater war Präfekt der Police Nationale de Paris. Auf dem Zettel stand der Name einer Person namens Gem und als Treffpunkt war der Place Vendomme angegeben.
Natalie zog daraus den Schluss, dass diese Person etwas mit den Katakomben zu tun haben musste.
Mit Gem und Vivian stand sie an diesem Samstagabend in der Metro. Es war schwül und das Abteil gnadenlos überfüllt. Sie bekam kaum Luft und hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Überdies hatte sie Platzangst. Sie fragte sich, wie sie ihre bevorstehende Tour überstehen sollte. Die Ausdünstungen um sie herum verursachten Brechreiz. Hinten grölte eine Gruppe Jugendlicher lauthals in einer ihr fremden Sprache.
Natalie lebte bei ihrem Vater, die Eltern waren seit Jahren geschieden. Er hatte in den letzten Monaten kaum Zeit für seine Tochter erübrigt. Deshalb war sie meist auf sich alleine gestellt und beschäftigte sich mit Computerspielen und Musikvideos, vor allem von der Gruppe Indochine. Nach der Schule verbrachte sie viel Zeit auf den Straßen des Quartiers Montparnase mit ihren Freunden.
Am Boulevard Raspail hatten sie sich mit Gem getroffen und waren in die Metro der Linie 4 Richtung Marie de Montrouge eingestiegen. Mitte August, die Zeit, in der Touristen zu Tausenden in die Stadt einfielen.
An der Station Porte d`Orleans stiegen sie aus. Mit ihnen eine Traube von Menschen, die nach oben und hinaus in das pulsierende Leben des Boulevard Jourdan strebten, um rund um den Tour Montparnasse die Restaurants mit den typischen Angeboten an Meeresfrüchten zu besuchen.
Sie warteten, bis Gem die letzten Stufen erklommen hatte. Er schaute sich kurz um, machte ihnen ein Zeichen, ihm zu folgen.
„Wir müssen zu den petite ceintures".
Das war das ehemalige Schienennetz, welches die Peripherie mit der cite` von Paris verbunden hatte. Vivian flüsterte, als befürchte sie, die Passanten, die ihnen begegneten, könnten es hören.
Gem überquerte den Boulevard Jourdan. Er hatte die Kapuze seiner schmutzigen Jacke tief über den Kopf gezogen. Die Mädchen taten es ihm nach und Vivian schaute sich mehrmals um, als hätte sie Angst, jemand würde ihnen folgen.
Unter einer Brücke sahen sie die alten verwahrloste Schienen, die im Bahngraben entlang der Rue de Coulmiers verliefen, um dann im Untergrund zu verschwinden.
Gem mochte noch keine 16 Jahre alt sein und Natalie fiel erst jetzt auf, wie jung er war.
Vor dem Gare Montparnasse hatten sie ihn kennengelernt. Er hatte sie angesprochen, wobei er sie beide zu einer Tour in den Untergrund von Paris einlud. Natalie war von seiner Spontanität sofort begeistert.
„Wir müssen da hinunter,“ sagte er unvermittelt zu den Mädchen und deutete auf die steile Böschung, an deren Ende sich die Schienen zwischen Unrat und Gebüschen verloren. Natalie bekam es mit der Angst zu tun. Sie zögerte, was Gem zu irritieren schien.
„He, wenn du Schiss hast, dann macht das nichts. Du musst nicht mitkommen,“ sagte er leise und sehr souverän, dass Natalie darüber bass erstaunt war.
Sie hatte den Eindruck, dass es ihm ganz recht wäre, wenn die Mädchen es sich anders überlegen würden. Hin und her gerissen und eingedenk der mahnenden Worte ihres Vaters, wusste sie nicht, ob sie weiter gehen sollte.
„Unterstehe dich, die geheimen Katakomben zu betreten,“ hatte ihr Vater sie davor gewarnt.
„Ich kann es mir nicht leisten, dass meine Tochter dort von Kollegen aufgegriffen wird.“
Typisch, dachte sie, der Herr Polizeipräfekt denkt nur an seine Karriere.
Nie hatte er für sie Zeit. Er war selten Zuhause. Am Wochenende speiste er sie mit 200 € ab, damit sie sich selber beschäftigen konnte. Wenn er mal zuhause war, vergrub er sich in seinem Büro hinter Akten, statt mal mit ihr den Tour Eiffel zu besteigen, oder den Invalidendom zu besuchen. Sie hatte seit Längerem vor, zu ihrer Mutter zu ziehen.
Der Vorschlag von Gem war gerade zur richtigen Zeit gekommen. Er wollte ihnen den Teil der Katakomben zeigen, wo keine Touris hin kamen. Das war aufregend und Natalie versprach sich davon Abwechslung in ihrem trüben Alltag.
Jetzt stand sie hier oben und wusste, dass sie nicht mehr zurück konnte.
Entschlossen machte sie einen Schritt auf die Böschung zu Sie nahm dankbar die Hand, die Gem ihr reichte. Vivian hielt sich an Natalie fest und gemeinsam kletterten sie vorsichtig hinab. Beide Mädchen atmeten hörbar auf, nachdem sie die verrosteten Schienen unverletzt erreicht hatten. Sie folgten Gem, der eine Grubenlampe aus der Tasche zog, die er sich über den Kopf stülpte.
„Der Eingang ist da vorne,“ sagte er und deutete in die Dunkelheit des Bahnschachtes. Natalie hörte Vivian kindisch kichern.
Im Schein der Lampe führte der Junge sie zu einem Mauerdurchbruch in einer Wand. Sie stieg Gem und Vivian nach, die voraus geklettert waren.
Die Musik wurde lauter, je weiter sie sich in dem schmalen Gang fortbewegten. Natalie ging gebückt. Ihr Rücken schmerzte heftig von der Verspannung und der ungewohnten Haltung während des Gehens. Es musste eine gefühlte Stunde her sein, seit sie Gem durch das unterirdische Labyrinth folgten. Nichts als der zuckende Strahl seiner Grubenlampe hatte ihnen die Richtung gewiesen. Natalie bewunderte seine Kenntnisse hier unten und er wusste bei jeder Abzweigung haargenau, welcher Richtung sie folgen mussten.
Endlich sahen sie zaghaft Lichter durch die Dunkelheit schimmern, dutzende von Helmlampen leuchteten ihnen entgegen.
„Hier ist es,“ hörte sie Gem sagen.
Natalie war plötzlich sehr aufgeregt, weil sie die vertrauten Klänge von „Indochine“ hörte und die Musik wie eine Droge in sich aufnahm.
Nie hätte sie gedacht, dass so viele Menschen die geheimen Zugänge zu den Katakomben kannten. Endlich würde sie Nicolas kennenlernen. Die Musik war unbeschreiblich laut und die Besucher drängten sich eng aneinander. Die Hitze schien ihr unerträglich, während die Luft kaum zum Atmen reichte
Sie sah zu Gem und Vivian. Ihre Freundin wiegte sich im Takt der Musik, die dröhnend aus den Boxen kam und auf ihrer Brust einen dumpfen Druck erzeugte.
Ungeduldig stellte sich Natalie auf die Zehenspitzen, um über die Menge hinweg mehr zu erkennen.
„Du wirst Nicolas gleich treffen,“ schrie Gem und versuchte sich einen Weg durch die Reihen zu bahnen.
Die Mädchen folgten ihm und endlich hatten sie es geschafft, sich in die erste Reihe zu mogeln.
Natalie sah auf dem Boden an der Wand ein Laptop stehen, aus denen die Musik von Indochine rieselte. Sie stieß Vivian an und deutete auf das Laptop. Gem, der die Enttäuschung in den Gesichtern seiner Begleiterinnen las, schrie Natalie ins Ohr
„Der Typ dort drüben wird euch zu Nicolas bringen.“
Er führte die Mädchen zu ihm. Natalie, die nun diesem wahren Schrank von Mann gegenüberstand, konnte eine spontane Abneigung gegen ihn nicht verhehlen. Er machte alles andere als einen vertrauenserweckenden Eindruck.
Plötzlich beschlich sie wieder die Angst, etwas falsches zu tun.
Sie sah zu Gem. Erneut schien er ihr Zögern zu erahnen und stieß sie an.
„Alles wird gut, mach dir keine Sorgen“, sagte er in so vertrautem Ton, dass sie ihm glaubte. Nun erkannte sie auch die Skepsis in den Augen der Freundin.
„Ich verschwinde von hier,“ hörte sie Vivian sagen.
Bevor Natalie sie davon abhalten konnte, kam der Schrank auf die Mädchen zu. Gem redete auf ihn ein. Anschließend machte er den Beiden ein Handzeichen, ihm zu folgen. Aus den Lautsprechern erklang trois nuits par semaine. Natalie war verzaubert von dem Lied. Der Momment schien jetzt gekommen zu sein, an dem sie Nicolas Sirkis treffen würden.
Sie war immer noch hin und her gerissen zwischen Skepsis und Aufregung. Allerdings sah sie auf die Schnelle keine Möglichkeit, alleine mit Vivian aus dem Labyrinth heraus zu finden und die Geschichten von Menschen, die sich hier unten verirrt hatten, sprachen Bände. Also überredete sie Vivian dazu, ihr zu folgen.
Vorsichtig drückten sich beide an dem Schrank vorbei und folgten Gem, der in einem Tunnel verschwand. Kurz darauf sahen sie ihn im diffusen seiner Grubenlampe, wie er einige in den Fels gehauene Stufen nach oben kletterte.
Während die Musik leiser wurde und nach einer Weile erstarb, hörten sie nur noch das Klappern ihrer Sohlen auf sandigem Boden. Unruhig zuckten die Lichter von Gems Grubenlampe und warfen bizarre Schatten an die Felsen.
Der Schrank war ihnen gefolgt. Er schnaufte heftig und Gem blieb stehen. Die Stufen endeten hier vor einer schmalen Türe.
Gem drehte sich zu den Mädchen um. Während das Licht seiner Lampe Natalie erfasste, hielt sie sich geblendet die Hand vor die Augen.
„Hier drin wartet Niocolas auf euch beide. Er weis Bescheid“, hörte sie ihn sagen.
Nachdem er die Türe geöffnet hatte trat er zur Seite, um ihnen Platz zu machen, damit sie hineingehen konnten. Natalie schob Vivian sanft durch die Türe in einen riesigen Raum hinein. Überall auf dem Boden brannten Kerzen, deren Flammen der Atmosphäre des Raumes ein gespenstisches Dasein verschafften.
Natalie schaute sich um. Gem war verschwunden. Kein Nicolas Sirkis. Stattdessen der Schrank, der bedrohlich auf die Mädchen zu kam. Roh packte er sie beide an den Armen und hielt sie fest. Vivian und Natalie schrien gleichzeitig vor Wut und Schmerz auf.
„Was soll das“? brüllte Vivian und wollte sich losreißen. Doch seine Hand hielt ihren Arm wie eine Schraubzwinge fest.
Natalie die sich von hektischem Blitzlichtgewitter eines unbekannten Fotografen überrascht fühlte, riss geblendet ihren freien Arm vor die Augen. Mit allem hätte sie gerechnet, nur nicht damit.
„Gem“! Schrie sie, so laut sie konnte. Aber sie wusste gleichzeitig, dass Gem nicht antwortete und von dem Jungen keine Hilfe zu erwarten war. Stattdessen musste sie zusehen , wie der Schrank Vivian blitzschnell das T-Shirt vom Leib riss.
Erneutes Blitzlicht. Jetzt auf Vivian gerichtet, die zuckend vor Schreck da stand und zu keiner weiteren Reaktion fähig war.
Ihr entblößter Oberkörper mit den wippenden Brüsten schien für den Photographen ein willkommenes Stillleben zu sein.
Da griff Natalie dazwischen.
„Hey du Rüpel, aus dem Weg“, schrie sie den Schrank an und riss sich von ihm los. Aufs Geratewohl lief sie zu der Stelle, aus der das Blitzlicht kam. Sie sah eine dunkle Gestalt und schlug in blinder Wut auf die unbekannte Person ein.
Ein dumpfer Schlag gab ihr die Gewissheit, die Kamera getroffen und sie zu Boden geschleudert zu haben.
Natalie hörte Vivian laut kreischen. Als sie sich zu ihr umdrehte, sah sie, wie die Freundin sich ebenfalls von dem Schrank losreißen wollte. Der Schrank holte jedoch mit seiner Hand weit aus und schlug ihr mit roher unkontrollierter Kraft ins Gesicht. Im Schein der flackernden Kerzen tanzte ihr Kopf hin und her. Fast gleichzeitig sackte ihr Körper auf den Boden. Natalie hörte, wie Vivians Kopf regelrecht auf den Boden krachte. Ein Geräusch, welches sie nie mehr im Leben vergessen würde.
Natalies Füße versagten ihr den Dienst. Zitternd sackte sie mit allen Vieren auf den kalten Boden. Während sie auf die Freundin starrte, schluchzte sie hemmungslos.
Natalies Vater hatte die Nacht am Krankenbett seiner Tochter gesessen. Sie war stabil und die Ärzte meinten, dass sie keine psychischen Schäden davon tragen würde. Als sie am anderen Morgen erwachte und eine Tasse Tee in kleinen Schlucken und mit seiner Hilfe trank, sprudelte es aus ihm heraus.
„Wir sind diesem Gem durch Zufall auf die Schliche gekommen. Er suchte die Mädchen im Auftrag eines Kinderpornoringes im Großraum Paris aus, nicht wissend, für wen er sie in die Katakomben führte. Ihm machte es Spaß, anderen Verbotenes zu zeigen. Dass er dabei Kriminelle unterstützte wurde ihm erst bewusst, als wir ihn mit den Tatsachen konfrontierten“.
Sie hatte eine schwere Gehirnerschütterung, ihr Gesicht war durch einen Bluterguss unter dem Auge entstellt.
Natalie hörte ihrem Vater zu, ohne die geringste Regung.
Erst nachdem sie dort unten in den Katakomben registriert hatte, dass ihre Freundin Vivian schwer verletzt war und die beiden Kerle deswegen miteinander stritten, nutzte sie die Chance des unbeobachteten Momentes, um zu fliehen.
Sie sprang mit einem letzten Aufbäumen ihrer schwindenden Kraft auf. Rannte zum Ausgang und riss die Türe auf.
Draußen verstolperte sie sich bereits auf der ersten Stufe, Mit einem Aufschrei stürzte sie kopfüber mehrere Stufen hinunter und verlor dabei die Besinnung.
Schuldbewusst blickte ihr Vater zum Fenster hinaus. Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Morgens warfen kurze Schatten an die Wände des Krankenzimmers.
„Ich entwickelte den Plan, euch mithilfe von Gem in die Katakomben zu locken, redete er weiter. „Wir organisierten über Mittelsmänner eine Veranstaltung mit dem Aufhänger, dass Nicolas Sirkis anwesend sein würde. Ich spielte dir diese Notiz auf meinem Schreibtisch zu, in der Hoffnung, dass du darauf anspringst“.
Natalie sah ihrem Vater jetzt zum ersten mal direkt ins Gesicht. Er registrierte einen Anflug von Hass in ihren Augen.
Anspringen? Mein Gott, du hast uns wie eines deiner Objekte behandelt und als Lockvogel benutzt, für deine eigenen Interessen“.
Während sie das sagte, fuhr sie sich mit der Zunge über ihre trockenen Lippen.
Schnell reichte er ihr die Schnabeltasse, Natalie trank gierig daraus.
„Wir mussten diese Schweine dingfest machen Natalie“. Die haben jahrelang Mädchen sexuell belästigt, fotografiert und die Bilder im Internet verkauft.
„Diese Schweine haben Vivian geschlagen und Bilder von ihrem..... Hoffentlich ist ihr nichts weiter passiert“, schrie sie ihren Vater an.
Sie musste jetzt laut aufschluchzen.
„Natalie“!
„Lass mich in Ruhe“. Sie drehte sich zur Seite und starrte an die Wand, während ihr Tränen übers Gesicht liefen.
„Natalie! Ich muss dir noch was sagen“.
Seine Tochter rührte sich nicht.
„Natalie, deine Freundin Vivian ist tot“.
Sie schnellte herum und sah ihren Vater entsetzt an
„Was“? Schrie sie mit weit aufgerissenen Augen.
„Du hast sie umgebracht“!.
Heftig trommelte auf die Bettdecke und begann lautstark zu kreischen, während sie ununterbochen den Kopf schütelte. Ihr Vater, der bis dahin ruhig geblieben war, bekam Panik und klingelte hektisch nach dem Pflegepersonal.
Ein Arzt kam und gab ihr kurz darauf eine Beruhigungsspritze.
Nachdem sie schnell eingeschlafen war, verließ er das Zimmer. Draußen auf der Straße steckte er sich erst mal eine Zigarette an.
Diese Woche war das Ergebnis seiner Lungenbiopsie gekommen. Demzufolge hatte er zwei Tumore in der Lunge, eindeutig bösartig und inoperabel. Trotzdem hatte er vorgehabt, mit dem Rauchen aufzuhören, vielleicht hatte er darin eine Chance gesehen, die Krankheit zu überleben. Aber nun war es ihm egal.
Er musste zugeben, dass er versagt hatte und seine Leute hatten auch versagt, weil sie die beiden Mädchen im Getümmel aus den Augen verloren hatten. Sie waren zu spät gekommen, hatten seine Tochter verletzt auf den Treppenstufen und Vivian tot in dem Raum mit den vielen Kerzen vorgefunden. Aber die beiden Kerle konnten sie sofort schnappen.
Der Fotograf hatte noch versucht, seine Haut zu retten, indem er seinen Kumpanen beschuldigte, Natalie geschlagen zu haben. Ob er ihr dabei das Genick gebrochen hatte, würde die Gerichtsmedizin herausfinden.
Er hatte als Vater versagt, weil ihm seine Karriere wichtiger war und die Dingfestmachung dieser Verbrecher, ohne Rücksicht auf Verluste.
Seine Tochter hatte er verloren und indirekt fühlte er sich schuldig am Tod von Natalies Freundin. Wie sollte er das den Eltern erklären?
Gegen sieben Uhr betrat der Präfekt seine Wohnung. Er legte bedächtig die Haustürschlüssel auf die kleine Kommode, die seine Frau als einziges Möbelstück hinterlassen hatte. Wie in Trance lief er hinüber in sein Arbeitszimmer. Nachdem er sich an den Schreibtisch gesetzt hatte, öffnete er die oberste Schublade. Darin lag eine MAB Modell D von 1963.
Augenblicke später gellte ein Pistolenschuss durch die Häuserschluchten der Rue Boissonade.
Eine Woche später konnte Natalie das Krankenhaus verlassen. Sie fuhr zum Pere la Chaisse, auf dem Vivian in einem Familiengrab beigesetzt worden war. Sie legte einen Strauß Nelken auf die kühle Grabplatte und weinte eine halbe Stunde lang. Danach fuhr sie zum Gare du Nord, um Paris zu verlassen. Sie hatte vor, die Stadt nicht wieder zu sehen.
Tag der Veröffentlichung: 12.05.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Diese Geschichte widme ich meiner Tochter Rebecca Herrmann (sie ist nicht wirklich meine Tochter, sondern meine Enkeltochter, aber ist sie trotzdem mein jüngstes Kind), einem ganz tollen Mädchen und bekennendem Fan der Gruppe "Indochine".