Formularbeginn
Philipp Schuber war vor 14 Tagen an einer Alkoholvergiftung
verstorben und Herbertz wurde drei Tage später pensioniert.
Er überprüfte das Umfeld des Jungen, wie es üblich war und
bestand auf eine Autopsie. Kauls sein Chef lehnte sie ab. Der
Fall war für ihn klar und es gab keine Zweifel an einer anderen
Todesursache.
Herbertz mochte diese Entscheidungen nicht akzeptieren, ihm
war es nicht gleichgültig, warum ein vierzehnjähriger in der
elterlichen Wohnung unbeaufsichtigt soviel Alkohol zu sich
nehmen konnte, dass er an einer Vergiftung verstarb.
Seitdem beschäftigten ihn die Umstände, die zum Tod des
Jungen geführt hatten.
1. Tag
Herberts lief an diesem Morgen Kauls regelrecht in die Arme.
„Sie hier?“ fragte der überrascht?
Herberts hatte den Eindruck, Kauls nicht gerade willkommen zu sein.
„Rentner will ja erst gelernt sein, was?“
„Ja,ich muss mich noch daran gewöhnen.“
Jovial tätschelte Kauls die Schulter seines Gegenübers.
„Wollte nur mal guten morgen sagen und schauen, wie es so geht,“ ergänzte Herbertz und dachte, dass er es im Grunde genommen nicht nötig hatte, sich zu rechtfertigen.
„Dabei aber nicht die Kollegenausquetschen, gell?“
Kauls drohte mit dem Finger. Eilig lief er in die entgegengesetzte Richtung davon.
Du kannst mich mal, du affiger Schnösel, dachte Herberts und betrat ungeniert sein ehemaliges Arbeitszimmer, das er mal mit Kauls geteilt hatte. Jetzt saß ein anderer Kollege an seinem
Platz.
Mit stoischer Regelmäßigkeit besuchte er seine ehemalige Dienststelle, trug sich den Kollegen an und beförderte Ordner und Akten von einem zum anderen Gebäude. Die Hoffnung auf die eine Akte blieb trügerisch.
Während Herbertz Kaffee aufbrühte, öffnete er eine Schublade des großen Aktenschrankes, der neben dem Fenster in einer Ecke stand. Ganz hinten las er den Namen von Philipp Schuber und zog einen dünnen Hefter heraus.
Enttäuscht musste er feststellen, dass ein großer Teil seiner Notizen fehlte. Er setzte die Lesebrille auf und las, bis hinter ihm eine spitze Stimme laut wurde.
„Schnüffeln sie wieder herum?“
Herbertz drehte sich um. Ausgesucht höflich antwortete er:
„Ich hänge immer noch an dem Fall.“
Kauls nahm den Hefter in die Hand und schaute drauf
„Das geht uns nichts mehr an und sie haben hier nichts verloren. Wenn sie das nicht unterlassen, erteile ich ihnen Hausverbot.“
„Mich geht er noch was an.“
„Das wüsste ich. Es ist eine Dreistigkeit, wie sie sich hier einschleichen und alte Fälle lesen.“
„Die Sache ist gerade mal drei Wochen alt und stinkt zum Himmel.“
„Ach was, „entgegnete Kauls giftig und warf den Hefter auf den Schreibtisch
„Sie haben ihr Bestes getan, sollten jetzt aber loslassen. Genießen sie endlich ihre Freiheit und ihr Rentnerdasein. Suchen sie sich ein anständiges Hobby.
Versöhnlich ihm zunickend, verließ er den Raum.
Mechanisch nahm Herbertz den Hefter an sich und steckte ihn lautlos vor sich hingrinsend in die Futterinnentasche des nagelneuen Flanellmantels. Schnell verließ er das Büro.
Er hatte sich angewöhnt, kurze Stecken zu laufen, damit der Tag schneller verging. Es sollte außerdem gesund sein und sparte Sprit. Jetzt legte er ein schnelleres Tempo vor, lief um
den Stadtpark herum, zu seiner Wohnung, die im Dachgeschoss eines alten Fachwerkhauses lag. Er zog eilig
Mantel und Schuhe aus, nicht ohne den Schnellhefter aus der Innentasche zu nehmen und machte sich einen starken Espresso. Im Wohnzimmer setzte er sich in seinen alten Ohrensessel und begann die Unterlagen nochmal zu studieren.
Philipp Schuber, ein Vierzehnjähriger, starb an einer Überdosis Alkohol. So stand es anderntags in der Zeitung. Das Regionalfernsehen hatte zwei Reporter geschickt, die überall herumschnüffelten, sogar im Präsidium..
Er las weiter: Als der Freund von Frau Schuber, der Mutter des Jungen, ein Herr Lahm, Philipp zu hause bewusstlos vorfand, war es bereits zu spät und der von ihm sofort herbeigerufene
Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen.
Die Akte wäre nicht auf Herbertz Tisch gelandet, hätte es nicht einer routinemäßigen Überprüfung der Fakten bedurft. Die Polizei nutzte ihre Routine-Prozedur. Nachdem diese abgearbeitet war, gab er zu bedenken, dass die Akte nicht gleich geschlossen werden konnte. Hinter dem Tod des Jungen steckte mehr, dessen war er sich sicher..
Zwei Tage später gab es immer noch nichts Neues, was Kauls brauchbar erschien. Die alleinstehende Mutter hatte mit dem Jungen wegen ihres Freunde Stress gehabt. An den Aussagen von Herrn Lahm gab es nichts anzuzweifeln. Was Frau Sommer, eine Nachbarin aussagte, war ebenso schlüssig. Kauls schloss den Fall ab.
Blöderweise kam Herbertz die Pensionierung dazwischen und damit war ihm jede Gelegenheit genommen, weiter daran zu arbeiten. Dieser Lahm machte einen unseriösen Eindruck. Er wirkte zu eindeutig. Die Sprache war zu einstudiert. Seine Gesten waren während des Gesprächs zu fahrig. Solche Eindrücke hatte Herbertz notiert Er kam zu der Erkenntnis, dass Kauls den Fall schludrig bearbeitet hatte.
2. Tag
Herbertz stand jetzt morgens später auf, es war neun Uhr. Er ging in die Küche, ließ sich einen doppelten Espresso durch die
Maschine. Er konnte sich nicht auf die Tageszeitung konzentrieren, sein Blick schweifte immer wieder zu dem Schnellhefter. Herbertz verließ nach dem dritten Espresso das Haus und ging zu Fuß zur Schule des Jungen. Kauls hatte es
nicht für nötig befunden, ihn mit einer Befragung der Lehrer zu beauftragen, was Herbertz nun nachholen wollte.
Der Direktor, ein dienernder Mitfünfziger, konnte nicht genug das tragische Geschehen zu bedauern. Er verwies ihn aber an den Klassenlehrer, was in ihm den Eindruck erweckte, dass man ihn schnell wieder loswerden wollte. Diese Feststellung machte Herbertz bei seinen Ermittlungen öfters. Entweder die Menschen verhielten sich so, als hätten sie keine Ahnung, oder interessierten sich in penetranter Weise für ein Verbrechen, wobei sie die Ermittlungsarbeiten schon mal behinderten. Andere wollten ein Problem sehr schnell abschieben.
Draußen auf dem Gang wartend verbrachte er etwa eine halbe Stunde, bevor sich die Türe des Klassenzimmers öffnete und smarter Mitdreißiger heraus kam. Herbertz stellte sich vor und kam gleich zur Sache.
„Hatte Philipp Schuber persönliche Probleme, oder bedrückte ihn etwas?“
„Nein, das glaube ich nicht," antwortete sein Gegenüber.
"Ich hätte sofort gemerkt."
„An was hätten sie das gemerkt?“
„An seinem ganzen Verhalten. An seinem Gesichtsausdruck und an seiner Unkonzentriertheit während des Unterrichts.“
Der Lehrer sah ihn mit nervös zwinkernden Augen an.
„Sind sie der Meinung, wir hätten kein Herz für die uns anvertrauten Kinder?“fragte er entrüstet.
„Ich glaube, dass Sie geschult genug sind, um zu erkennen, was einen jungen Mann bewegt,“ sagte Herbertz.
Er verabschiedete sich steif. Für ihn war das Gespräch beendet. Der Lehrer wusste, von was er sprach. Draußen schnappte er tief nach Luft und lief nach Hause.
Als Nächstes besuchte er die Willhelmstraße. Im oberen Stockwerk des Hauses Nummer Sieben war Philipp Schuber gestorben.
Herbertz Gedanken kreisten um etwas, das er beweisen musste, aber noch nicht fassen konnte. Er fand es jedoch spannend, wie früher etwas zu beginnen und nach einem Ergebnis zu suchen. Den ersten Schritt dahin hatte er gestern Abend mit einem Anruf bei Bellmann gemacht. Der war im Präsidium Fallanalytiger und Profiler gewesen und ebenfalls pensioniert.
Während Herbertz auf seinem Weg durch die geschäftigen Straßen lief, dachte er über die Mutter des Jungen nach, die er noch nicht kennengelernt hatte. Frau Schuber war erst nach Hause gekommen, als der Leichenwagen den Jungen abtransportiert hatte. Nachdem der Freund ihr erzählt hatte, was passiert war, brach sie zusammen. Sie wurde ins psychiatrische Landeskrankenhaus eingeliefert und Kauls verzichtete ebenso auf eine Vernehmung. Seit heute hatte Herbertz das Gefühl, eine Antwort auf seine Fragen von ihr zu bekommen.
Er stand nun vor dem Zweifamilienhaus. Gegenüber wohnte Frau Sommer.
Kaum hatte Herbertz bei Frau Schuber geklingelt, hörte er hinter sich eine schrille Stimme.
„Frau Schuber ist nicht da,“
Herberts drehte sich um und erkannte die Nachbarin im Morgenrock in ihrer Haustüre stehend. Sie betrachtete ihn neugierig.
„Wer sagt, dass ich zu Frau Schuber möchte?“
„Ich kenne Sie, sie sind doch der Krimminaler von neulich. Manche Gesichter vergesse ich nicht.“
Frau Sommer hatte ausgesagt, dass Philipp dem Freund seiner Mutter nicht traute. Sie hatte von ihrem Fenster aus beobachtet, wie es in der Wohnung gegenüber zwischen Frau Schuber und Herrn Lahm zum Streit gekommen war.
Herbertz ging rüber zu Frau Sommer.
„Frau Schuber ist noch im Landeskrankenhaus und wird vorerst nicht rauskommen.“
Und woher wissen sie das?
"Weil ich mich erkundigt habe!" Frau Sommer sah ihn lauernd an.
"Sie sagten aus, dass sie Philipp drüben im Garten getroffen hätten und er ihnen nicht verraten hat, was er dort suchte. Haben sie eine Vermutung?
"Er hat es mir nicht verraten."
Herbertz blieb hart, er wollte die Reaktionen von Frau Sommer testen.
"Keine Vermutung, was es sein könnte?"
"Nein."
"Gut, dann möchte ich sie nicht weiter stören."
Herbertz verabschiedete sich.
Herbertz lief nach Hause, er war zufrieden. In seiner Manteltasche steckte der Geldschein, den er im Garten hinter Frau Schubers Haus unter einem Holzstapel gefunden hatte. Seltsam, wie er dorthin geraten sein konnte. Hatte ihn jemand verloren? Wenn ja, wie? Dann musste ihn der Wind dorthin getrieben haben. Wer im Garten tätig war, hatte sich dort mit einer bestimmten Absicht aufgehalten. Herbertz entdeckte eine Stelle, an der ein Loch gegraben und wieder zu geschaufelt worden war. Wer es getan hatte, musste etwas versteckt haben.
„Letzten Monat wurden zwei Banken im Umkreis von 20 km überfallen, die Summe betrug Fünfzigtausend Euro und die Nummern dieser Banknote passen zur Beute.“
Bellmann legte den Hörer auf die Gabel. Er hatte mit der Zentralbank gesprochen. Nun untersuchte er - mit zitternden Händen eine große Lupe haltend – den Fünfzigeuroschein, den ihm Herbertz gegeben hatte.. Endlich sah er auf und blickte sein Gegenüber durchdringend an.
„Beweisstück eins für deinen Fall,“ er gab ihm den Schein zurück.
„Bist du dir ganz sicher? Fragte Herbertz, obwohl er wusste, dass Bellmann richtig lag.
„Ja, verdammt. Ich bin mir ganz sicher.“
Gelassen stand Bellmann auf, griff nach einer Zigarette auf einem altmodischen Rauchertisch und sagte:
„Ich habe einen Plan.“
Als der schwarze Audi eine halbe Stunde später riskant über die Autobahn fuhr, hatte der Renault Clio hinter ihm mächtig Mühe, zu folgen. Mit einem Mal scherte der Audi aus und fuhr auf die Ausfahrt.
Gegen zwanzig Uhr durchfuhren sie die schmale Hauptstraße einer kleinen Ortschaft. Vor einer heruntergekommenen Kirche hielt der Audi und der Fahrer stieg aus. Er ging auf das Haus mit einer Leuchtreklame, auf der Casino Royale zu lesen war, zu. Davor standen mehrere Männer und rauchten
Herbertz parkte den Clio mit Abstand und sah hinüber. Lahm wurde begrüßt. Er schien in diesem Etablissement bestens bekannt zu sein. Herbertz wartete. Er hatte Geduld beim Observieren. Lahm kam nach einer Stunde zurück, stieg in seinen Audi und fuhr davon.
Herbertz stieg aus und ging auf das Haus zu, während man ihn misstrauisch beäugte.. Es machte ihm nichts aus. In diesem Milieu wurde man unschwer als Polizist erkannt. Drinnen waren
wenige Gäste an den Tischen und am Tresen. Der Barmann schaute neugierig auf.
Herbertz zog eine Polizeimarke, die er von Bellmann hatte und zeigte sie dem Barmann.
„Ich habe ein paar Fragen,“ Er versuchte so jovial wie möglich zu klingen, während der Andere ihn gleichgültig musterte, mit die Blässe im Gesicht jedoch nicht verbergen konnte.
„Wenn ich für sie etwas tun kann, gerne.
„Ich interessiere mich für den Typen, der gerade vor zehn Minuten hier raus ist.“
„Welchen? Hier gehen ständig Typen rein und raus.“ Der Barmann konzentrierte sich demonstrativ auf seine Biergläser.
„Ja, aber die meisten kommen nach spätestens zehn Minuten wieder rein.“
„Und wer sagt mir, dass ich den trotzdem kennen muss?“
„Das sage ich. Weil sie hier alle kennen.
„Wie heißt der Typ?“
„Er heißt Lahm, Victor Lahm.“
Der Barmann schien angestrengt nachzudenken.
„Was hat er hier drin gemacht?“ bohrte Herbertz weiter.
„Er hat gespielt,“ entgegnete der Barmann plötzlich bereitwillig und deutete auf die weiter entfernte Türe, die offensichtlich in ein Hinterzimmer führte.
„Ich hoffe legal,“ sagte Herbertz. Er konnte sich eine Stichelei nicht verkneifen.
„Herr Kommisar……“
„Oberkommisar bitte,“ berichtigte Herbertz
„Ok, Herr Oberkommisar. Also der Typ….Herr Lahm kommt zweimal in der Woche zu Besuch.“
„Und er verliert öfters oder gewinnt er“?
„Er gewinnt dabei immer nur das, was er einsetzt.“
Sie wissen genau darüber bescheid, was?
„Es spricht sich herum“.
Der Barmann wendete sich wieder seinen Gläsern zu.
Herbertz hatte genug erfahren, schnell verabschiedete er sich und verließ das Casino. Zu Hause tätigte er einen weiteren
Anruf, der für ihn enttäuschend war. Danach begab er sich sich zu Bett.
5. Tag
Herbertz machte noch einen Ausflug. Er fuhr auf gut Glück in die Landesanstalt für Psychiatrie, um Frau Schuber zu besuchen. Sie war nach dem Tod des Jungen hier eingeliefert
worden und seitdem nicht ansprechbar. Er hoffte nun, endlich Information von ihr zu erhalten.
Hier hatte er ebenfalls die Nummer mit der Polizeimarke abgezogen und wurde gleich zu Frau Schuber gebracht, die stabil war, wie eine Stadionsschwester versicherte.
Frau Schuber konnte, oder wollte jedoch nichts zum Tode ihres Sohnes sagen. Lediglich, dass sie Zweifel an den Umständen habe. Er versicherte Frau Sommer, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen wurden, woraufhin sie zufrieden lächelte.
Herbertz fuhr auf den ihm zugewiesenen Parkplatz vor seinem Haus und bemerkte Kauls sofort, der an der Eingangstüre auf ihn wartete.
Seufzend stieg er aus, als Kauls auch schon auf ihn zu gelaufen kam.,
„Ich habe ihnen befohlen, sich nicht mehr um die Angelegenheit Philipp Schuber zu kümmern,
Kauls Stimme klang bellend, sein Gesicht war krebsrot. Herbertz zeigte sich davon unbeeindruckt.
„Sie haben mir gar nichts zu befehlen.“
Ich mach sie fertig Herbertz“, schrie Kauls.
„Sie belästigen unbescholtene Personen unter dem Eindruck falscher Tatsachen.“
“Ach, welches Vögelchen hat ihnen sowas geflüstert?“
„Sie wollten sich in der Wohnung von Frau Sommer Zutritt verschaffen um sie zu belästigen. Wir bekamen wir einen Anruf vom Inhaber eines gewissen Cassino Royale, dass ein älterer Herr mit einer gefälschten Polizeimarke dumme Fragen stellt. Man hat ihre Autonummer notiert.“
„Ich habe meine Theorie und als Rentner nehme ich mir heraus, dieser Theorie nachzugehen. Und dann fügte er noch ebenso gehässig an:
„Ist doch jetzt mein Hobby, wie sie mir geraten haben, sollte ich mir doch eines zulegen.“
Kauls starrte ihn entgeistert an.
„Das habe ich im Garten von Frau Schuber gefunden und von Bellmann überprüfen lassen,“ fuhr Herbertz ungerührt fort zeigte Kautz den Geldschein.
„Sie waren bei Bellmann? Das ist unglaublich dreist. Zwei Rentner, denen es zu langweilig ist.“
„Es geht mittlerweile auch um die beiden Banküberfälle. Bellmann konnte den Geldschein als einen aus dem Bankraub stammend identifizieren.
Das gehässige Lächeln war aus Kauls Gesicht gewichen.
„Das glaube ich ihnen Nicht Herbertz, sie mischen sich……“
Lassen sie mich in Frieden Kauls, wenn sie nicht zugänglich für Informationen sind.“
Herbertz ließ ihn stehen und schloss die Haustüre auf.
„Zum letzten Mal, Herbertz! Ihre Recherchen interessieren mich einen Scheiß.. Aus und Nada. Wenn ich noch einmal was von ihnen oder Bellmann höre, sind sie dran,“ rief Kauls hinter ihm her.
Herberz lehnte sich an die Haustüre und schüttelte den Kopf. Soviel Borniertheit hatte er noch nie erlebt.
Am späten Abend beobachtete Herbertz aus sicherer Entfernung einen Mann an der Eingangstüre des Hauses Willhelnstraße 7 zu schaffen machte. Er verschaffte sich offenbar illegal Zutritt zu dem Haus. Kurze zeit später sah man den schwachen Lichtschein einer Taschenlampe in der Wohnung von Frau Schuber. Herbertz lächelte zufrieden, als sich am Fenster von Frau Sommer ein Schatten zeigte. Nach einer halben Stunde kam der Mann wieder heraus, in der Hand zwei Einkauftüten und verschwand eilig in Richtung Innenstadt.
Bellmann hingegen war auch nicht untätig. Er rief seinen alten Freund Seite an. Der wiederum war ein guter Bekannter des Regierungspräsidenten, welcher Druck auf den Staatsanwalt ausüben würde. Wie gut, dass er seine Seilschaften pflegte. Nur so konnte die Sache laufen.
Bellmann informierte Seite mit allen Fakten, bis der ihm zusagte, etwas zu unternehmen. Er müsse nur auf den Rückruf warten.
4 Wochen später
Herbertz saß an diesem Montagnachmittag in seinem Ohrensessel, hörte Vivaldis Vierjahreszeiten und starrte vor sich hin.
Eben hatte er von Bellmann die Nachricht erhalten, dass die Ermittlungen gegen Victor Lahm abgeschlossen waren Lahm hatte die beiden Banküberfälle gestanden. Bellmann fand seinerzeit das Geld in Frau Schubers Wohnung unter einer Speichertreppe. Er ließ einige Scheine auf dem Küchenboden liegen. Danach hatte er das Haus in dem Bewusstsein verlassen, dass Frau Sommer ihn und seine auffällig leuchtende Taschenlampe vom Haus gegenüber beobachtet hatte. Die Polizei ließ auch nicht allzulange auf sich warten. Zwei Streifenbeamte drangen durch die offene Wohnungstüre ein und fanden das Geld.
Das war der Plan von Bellmann und Herbertz gewesen. Man fand hingegen jedoch nur einen geringen Teil der Beute. Vermutungen, dass die andere Hälfte im Garten vergraben und von ihm wieder ausgegraben wurde, half auch nicht weiter. Es war zum Verzweifeln. Auch die Überprüfung der Konten, aufgrund Herbertz Aussagen darüber, dass Lahm das Geld gewaschen hatte, brachten keine weiteren Erkenntnisse.
Eine Schuld an Philipp Schubers Tod hatte man ihm nicht nachweisen können. Der Todeszeitpunkt lag laut Notarzt etwa
eine Stunde vor Eintreffen Victor Lahms und somit war er entlastet. Herbertz stand auf und zog seinen Regenmantel an. Er musste einen Spaziergang machen.
Es nieselte, während Herbertz zwischen den Gräberreihen hindurch zur Grabstelle von Philipp Schubert lief. Von fern erklang die Totenglocke, während eine Beerdigungsgesellschaft weiter entfernt an ihm vorbeizog.
Als er um die Ecke bog, sah er an einem schlichten Grab eine schwarzgekleidete Frau stehen, die er beim Näherkommen als Frau Schuber erkannte.
Erschrocken sah sie auf, lächelte jedoch, als sie ihn erkannte. Beide blieben sie eine Weile stumm nebeneinder stehen und hielten eine stille Andacht.
„Schön, dass sie wieder zu hause sind,“ sagte Herbertz nach einer Weile.
Ich bin nicht entlassen, ich habe heute frei und muss wieder zurück.
Ich kann sie fahren, wenn sie möchten, erbot sich Herbertz an.
Sie nickte nur und gemeinsam liefen sie den Weg zurück zum Ausgang.
Ich habe Frau Sommer damals gesehen.
Was?“
Frau Schuber blieb stehen und sah Herbertz an.
„Ich kam an diesem Tag gerade von der Arbeit und sah wie Frau Sommer rüber in unser Haus lief. Ich hatte längere Zeit den Verdacht, dass sie was mit meinem Victor hat.“
„Um welche Zeit war das?“
„Warten sie,“ Frau Sommer dachte nach.
„Es war um 12 Uhr. Die Kirchenglocken läuteten. und ich habe vor ihrem Haus um die Ecke gewartet.“
„Wann kam Frau Sommer wieder zurück.“
„Keine Ahnung. Ich bin nach einer halben Stunde in die Stadt zurück, unterwegs lief ich fast Victor Lahm in die Arme Er sah mich aber nicht.“
Frau Schuber schaute Herbertz hilflos an und zuckte mit den Schultern.
„Wäre ich nach Hause, dann hätte ich den Tod meines Jungen verhindern können.“
„Wann war Philipp zu hause?“
„Er hatte früher die Schule aus.“
„Sie begegneten etwa um halb Eins Victor Lahm. Als er zu hause war muss es kurz vor 13 Uhr gewesen sein.“
Frau Schuber nickte heftig und blieb erneut stehen.
Der Notarzt hat den Tod des Jungen so gegen 14 Uhr bestätigt, also hatte Lahm etwa 2 Stunden Zeit, den Krankenwagen zu rufen. Warum hat er es nicht getan.
Sie meinen er hat es bewusst hinausgezögert?
Frau Schuber war nicht dumm und nach Herbertz Ansicht nach hatte sie richtig vermutet. Herbertz Puls erhöhte sich schlagartig, als er die Erkenntnis ggewann, dass Lahm am Tod des Jungen schuld war.
Wenn ich früher nach Hause gekommen wäre, dann hätte ich das Schlimmste verhindern können. Ich bin überzeugt, die hat ihn abgefüllt.
Warum sind sie davon überzeugt?
Sie, Philipp und Victor haben öfters harte Sachen getrunken und zu hause steht immer Wodka. Außerdem konnte Victor sich mit Frau Sommer wunderbar in seiner russischen Muttersprache unterhalten. Philipp gefiel das.
Herbertz wurde plötzlich einiges klar. Er fuhr Frau Schuber zurück in die psychiatrische Landesanstalt.
Noch am gleichen Abend wurde Frau Sommer unter Polizeigewahrsam genommen.
Bellmann hatte damals aus Schubers Wohnung zwei leere Wodkaflaschen mitgenommen. Ein Abgleich der Fingerabdrücke auf den Flaschen mit denen von Frau Sommer ergaben, dass sie identisch waren.
Frau Sommer gab zu, den Jungen zum Trinken verführt zu haben, unter dem Vorwand, zu erfahren wo er das Geld versteckt hatte, welches Victor Lahm ihm aus den Räuberfällen gegeben hatte. Die Polizei fand es in ihrer Wohnung mit Spuren von Gartenerde und konfrontierte sie mit den Tatsachen. Frau Sommer grub das Geld aus, während Philipp weiter trank.
Victor Lahm wurde nocheinmal mit der Aussage von Frau Sommer konfrontiert. Er gestand den Beamten, dass er über eine Stunde gewartet hatte, bevor er den Krankenwagen rief.
Herbertz und Bellmann saßen bei einem Glas Wein am kleinen Rauchertisch in Bellmanns Wohnzimmer.
Die Gerechtigkeit hat gesiegt,“ sinnierte Bellmann und tat einen tiefen Zug.
Zumindest wurde die Verkettung dieser Umstände aufgelöst. Die Staatsanwaltschaft versucht Frau des Todschlages aus niederen Beweggründen anzuklagen. Ferner wird sie wegen Geldraub angeklagt. Herbertz schaute seinen Freund zufrieden an.
Und Victor Lahm wird zusätzlich wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt.
Warum auch immer er es unterlassen hat, antwortete Herbertz. Danach schwiegen sie eine ganze Weile.
Texte: Alle Rechte: Bernd StephannyVeröffentlicht am 19.03.2013
Bildmaterialien: Mit freundlicher Genehmigung BookRix
Lektorat: Bernd Stephanny
Übersetzung: Madeleine Stephanny
Tag der Veröffentlichung: 19.03.2013
Alle Rechte vorbehalten