Magica Animalia
Die Nacht ist angebrochen.Feine Schneeflocken stäuben silbrig-schimmernd im Mondlicht.Der Waldkauz verborgen im dichten Geäst einer mächtigen Lärche, scheint regungslos, läßt vereinzelt flauschige Federspitzen plustern.Dann Wölkchen bildend, gleich hingehauchten Eiskristallen, aufstiebend, verwirbelnd und sprühend, dabei selbst unbewegt ruhend, verharrt er still in Aufmerksamkeit.Sein Blick ist starr ins Tal gerichtet.Nicht weit entfernt, das Haus.Das warme Licht der geduckten Fenster kündet von Geborgenheit.Großvater schiebt den in die Jahre gekommenen, mit tiefrotem Damast bezogenen Ohrensessel, näher an den offenen Kamin.Nele, die Fünfjährige, hat ihren Platz schon eingenommen. Das Spiel der knisternden,flackernden Flammen hält sie noch gefangen. Sie weiß, während Großvater die runden Gläser der Nickelbrille sorgfältig putzt, dass er gleich das geheimnisvolle Buch auf seinen Knien öffnen wird." The Magic Of The World", steht da in goldenen Lettern.Mit ihren tiefblauen, sehr wachsamen Augen blickt Nele zu ihm auf, fragend,was wird er wohl gleich erzählen." Die Geheimnisse der magischen Welt", Großvater räuspert sich. Die Stimme ist immer etwas belegt, wenn er vorliest.Sei es wegen der Bedeutung, vielleicht auch wegen der Spannung. "Aber diese blauen Augen", denkt er," wie der Gletschersee oberhalb am Hochwald."Einfach undurchdringlich". Nele rückt immer näher.Ungerührt fixiert sie den Großvater, der sich ein Lächeln nicht verbergen kann."Meine kleine Waldnixe, schau, wir werden jetzt einmal in diese magische Welt eintauchen." " Und Till?" "Ach ja, wo steckt der eigentlich?" Großvater betrachtet fragend Nele, die wiederum nur tief seufzend die Schultern hebt."Hier!"
Schallt es plötzlich im Raum.Till hat sich leise und unbemerkt wieder einmal herangeschlichen. Der kleine Bruder war eigentlich in der Küche beschäftigt. Mit der Großmutter wollte er unbedingt den Advents-Kuchen backen.Nun spreizt er die Finger, verklebt vom Hefeteig, und streckt sie triumphierend in die Höhe.Seit diesem Jahr ist er Schüler.Aufgeschlossen für Überraschungen.Offen für abenteuerliche Geschichten und manch Schabernack nicht abgeneigt.Großvater streicht mit der Hand - die Spannung steigernd - leicht über den Buchdeckel. " Was wollt ihr hören?" " Die Magie der Tiere?". " Oh ja",bricht es aus Till heraus.Vier Augen fiebern förmlich." Die Eule,der Kauz,der Uhu", Begriff um Begriff reiht Großvater aneinander. "Die Eule", flüstert Till, "ich weiß was." Uhuuu",tönt langezogen Nele dazwischen, eine Schnute ziehend, schiebt sie sich an Till vorbei.Ihre Wangen glühen vor sichtlicher Erregung.Großvater macht es immer so spannend."Die Eule, die Eule", wobei Till beide Hände zur Decke schraubt," sie hat ganz kleine Ohren -und hört selbst die Maus unter der Eisdecke,im tiefen Schnee."Hab ich im Fernsehen gesehen." " Die Ohren schwirren,ganz schnell, wie ein Propeller und die Töne treffen dann auf die Maus"."Ja",erwidert der Großvater," da hast du recht Till." Das Gehör der Eule ist ebenso scharf wie der Gesichtssinn,die Augen.Die Ohren sind asymmetrisch angeordnet, bedeutet das eine Ohr ist größer als das andere und an verschiedenen Stellen des Kopfes.Dadurch kann die Eule Klangsignale empfangen und die Beute leicht ausmachen.Sie dreht den Kopf hin und her, nach vorn und nach hinten. Sie gibt auch für unsere Ohren unhörbare leichte Echolottöne von sich. So macht sie wie beim Schiff mit dem Sonar ihr Ziel aus, kann die Entfernung exakt messen und fliegt dann lautlos auf ihr Opfer herab.So war es kein Wunder, daß die Menschen der Eule schon immer übersinnliche Fähigkeiten zutrauten.Sie war der Vogel der Magie. Sie vefügte über stille Weisheit und nützte nächtliche Visionen.Kein anderer Vogel ist von so vielen Geheimnissen umwoben wie die Eule.Die Eule ist das Symbol des Mondes und der Nacht und wurde auch als " Katze mit Schwingen " bezeichnet."
An dieser Stelle verweilt für einen Moment der Großvater, um die Reaktionen der Enkelkinder zu beobachten.Es herrscht besinnliche Stille, nur unterbrochen von einem herzhaften,wechselseitigen Seufzen von Till und Nele.Man spürt wie die Gedanken arbeiten."Wieviel Eulen mag es wohl auf der Erde geben",murmelt Till so vor sich hin." Und wieviel Uhus", ergänzt Nele,spontan,um gleich wieder ernsthaft den Ausführungen des Großvaters zu lauschen." Gute Frage, es gibt mehr als hundert verschiedene Arten von Eulen in den unterschiedlichsten Ländern. Die Gesamtzahl aber ist unbekannt.Es gibt aber Forscher, die Eulen zählen und sie in Karten eintragen.So erfahren sie, wo die Eulen leben und ihren Nachwuchs großziehen. Leider ist manche Eulenart - wie die Schleiereule - vom Aussterben bedroht.Durch Zerstörung der Lebenswelt und durch die Jagd.Aber zurück zur Magie: Früher dachten die Menschen, daß die Eule ihre Gedanken lesen könnte. Sie hofften oder besser glaubten daran, daß die Menschen durch ihre Hilfe hellsichtig und hellhörig würden.Ihre Weisheit und Energie würde sich auf sie übertragen, und damit könnten sie ab sofort alle Probleme des Alltags sicher lösen.
Waldohreule,Schleiereule beide zeichnen sich als vortreffliche Jäger aus.Sie sind erfinderisch und anpassungsfähig.Sie kommen in dichten, ursprünglichen Wäldern und Sümpfen vor.Die beste Überlebenskunst besitzt aber die Schneeule. Selbst die Jungen können schnell laufen,schwimmen und sich plötzlich - bei Gefahr - sogar tot stellen.Die Schneeule ist die Meisterin im Verstellen, praktisch die Königin unter den Eulen.Sie vereint alle Veranlagungen der anderen Eulenarten:Kraft und Macht,sanftes Temperament,Mut und Fähigkeiten.
Wahre,natürliche Magie." In diesem Moment schallt vom Wald für alle hörbar ein typischer Laut." Die Eule", flüstert Till."Der Uhu",haucht Nele gespannt.Großvater schließt vorsichtig das Buch.Es war mehr ein Vortrag statt Lesung,denkt er."Ich glaube es war der Waldkauz - Kinder, was wollte er uns wohl sagen?"
Tag der Veröffentlichung: 20.12.2009
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