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Art stürmte in seine Kabine und schlug heftig mit der Faust auf den Sensor am Rahmen der Kabinentür. Normalerweise hätte er die Tür hinter sich zuknallen lassen, doch sie schloss sich mit einem sanften, fast höhnischem, Zischen.
Hätte er sich doch bloß nicht auf diesen Flug eingelassen! Wie konnte man auch auf die Idee kommen, sich über Monate gemeinsam mit drei anderen Menschen in eine Blechbüchse einsperren zu lassen! So schlimm hatte er es sich nicht vorgestellt. Er warf sich auf die Liege und starrte an die Decke.
Als er damals im Park erfahren musste, dass sein Freund Jerome im realen Leben Jayden hieß und als Schmuggler und was sonst noch gesucht wurde, war er einfach nur geschockt gewesen. Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass Jerome, nein Jayden, auch herrschsüchtig und arrogant war. Alle mussten nach seiner Pfeife tanzen! Sein ganzes Wesen war von und Gewalt geprägt. Überall sah er Feinde und befürchtete Kämpfe! Und nicht nur das. Er hatte Art auch den Platz am Waffenpult zugewiesen und ihn dazu verdonnert, jede Einzelheit von Panzerung und Bewaffnung aller im bekannten Universum vorkommenden Raumschiffe zu studieren. Den ersten Protest dagegen hatte er mit einer Handbewegung und der dummen Bemerkung „Wer sonst?“ im Keim erstickt. Aber wenn es nur das wäre! Irgendwie würde er damit klarkommen, zumal Art davon überzeugt war, dass er dieses Wissen niemals brauchen würde.
Aber auch Patricia, in der er schon fast mal seine neue Partnerin gesehen hatte, die er mit Jessie verglichen und irgendwie sogar für perfekter gehalten hatte, war ihm in den Rücken gefallen! Journalistin war sie und würde alles daran setzen, mit seinem Schicksal und dem seiner Familie einen Haufen Geld zu verdienen. Davon war er nun überzeugt. Sie konnte das Gegenteil behaupten, so oft sie wollte. Art hatte sie durchschaut! Außerdem hatte sie sich, kaum dass sie die NIGHTOWL betreten hatte, auf die Seite ihres Freundes Jayden gestellt und stärkte ihm den Rücken, wo es nur ging. Gerade eben, als dieser arrogante Kerl wieder jede Menge Kontrollfragen zur Bewaffnung und Ausrüstung aldebaranischer Kampfschiffe gestellt und Art ihn nur grimmig angestarrt hatte, war sie ihm beigesprungen und hatte so einen blöden Spruch wie „Komm schon, Art, Wissen ist Macht!“ losgelassen. Pat hatte gut reden, sie musste sich diesen ganzen Quatsch ja nicht merken! Ihr hatte dieser Jayden ja nur aufgetragen, sich mit Kultur und Sprache verschiedener Völker zu beschäftigen, die ihnen im Laufe des Fluges begegnen könnten.
Und dann war da noch diese merkwürdige Kopilotin von Jayden. Eine Frau wie er noch keine gesehen hatte. Als sie damals die Kanzel der NIGHTOWL betreten hatte, waren Art die Gesichtszüge dermaßen entgleist, dass Pat, die das bemerkt hatte, sich auf die Lippen beißen musste um nicht laut loszulachen. Diese Ter’sa Ra war für eine Frau außergewöhnlich hoch gewachsen, fast so groß wie dieser Jayden und dabei so dünn, wie es auf der ganzen Erde bestimmt keine zweite gab. Aber Ter’sa stammte ja auch nicht von der Erde. Sie war im Wega-System geboren und aufgewachsen, wo angeblich alle Menschen so dünn und lang wurden. Sie hatte langes, weißblaues Haar, das ihr bis auf die Hüften fiel und deutlich schrägstehende rote Augen. Und außerdem hatte sie die längsten Beine, die er je gesehen hatte und es ärgerte Art immer wieder, wenn er sich dabei ertappte, dass er von diesen Beinen nicht wegsehen konnte. Dazu kam, dass diese seltsame Frau in den Wochen an Bord bisher kaum ein Wort gesprochen hatte. Sie konnte den ganzen Tag stumm an ihrem Pult sitzen und vor sich hin starren. Jayden hatte gesagt, sie sei ein technisches Genie – warum übernahm sie dann nicht den Part der Bewaffnung? Als Art Jayden danach gefragt hatte, schüttelte dieser nur verständnislos den Kopf und winkte ab. Immer wieder hatte Art sich gefragt, was diese Frau denn nun wirklich für eine Aufgabe an Bord hatte.
Art dreht sich auf die Seite. Zum wer weiß wievielten Male fragte er sich, ob es richtig gewesen war, nach Angelcity zu fahren und sich Pauls Vorschlag anzuhören, wie er Jessie und die Kinder noch einmal sehen und sprechen könnte. Wäre er an diesem Tag zu Hause geblieben und hätte sich in seinem Bett oder hinter seine Multimediakonsole vergraben, wäre ihm vieles erspart geblieben! Die Schufterei unter Pats Anleitung um sein Gewicht zu reduzieren beispielsweise. Ganz zu schweigen von jeder Menge Albträume und verworrenen Gedanken und Gefühlen. Manchmal rissen sich sein Körper und sein Verstand danach, Jessie und die Kinder wiederzusehen, dann wollte er sie einfach nur vergessen.
Art schlug verzweifelt die Hände vor das Gesicht. Alles Grübeln war umsonst – eine Rückkehr kam nicht mehr in Frage. Die NIGHTOWL war auf dem Weg zur Wega um an der dortigen Raumstation auf die AURORA 4 zu warten, egal was danach passieren würde.
Er schüttelte den Kopf. Noch mindestens drei, nein, fast vier Monate in dieser elenden Blechbüchse – er durfte nicht daran denken. Nie hätte er geglaubt, dass er so unter der Enge und dem Fehlen jeglichen Komforts in einer Umgebung leiden würde!
Unter einem Raumschiff hatte er sich immer etwas Anderes vorgestellt. Die NIGHTOWL war nicht viel mehr als ein größerer Gleiter, wie sie auch als Fortbewegungsmittel auf der Erde, oder Ers wie sie ja jetzt offiziell hieß, üblich waren. Als er sie das erste Mal auf dem Raumhafen gesehen hatte, wäre er am liebsten wieder umgekehrt. Mit diesem winzigen Gefährt wollten sie sich dem grenzenlosen Raum ausliefern?
Die NIGHTOWL war ein Transportschiff der Katamaran-Klasse. Zwei zigarrenförmige Lagerräume, dazwischen eine diskusähnliche Scheibe, in der sich vier Kabinen für die Besatzungsmitglieder, ein Technik-, ein Fitness- sowie ein Gemeinschaftsraum befanden und darauf die Kanzel mit den vier Arbeitskonsolen. Unter der Scheibe befand sich noch das Treibstoff- und Antriebssystem und das war schon alles. Abgesehen von der Bewaffnung, die er auf den ersten Blick aber gar nicht wahrgenommen hatte. Dank des ihm durch Jayden verordneten Studiums wusste er inzwischen auch, dass die Waffen der NIGHTOWL zwar kaum zu sehen, dafür aber äußerst effektiv waren.
Auf so gut wie jeden von zu Hause gewohnten Luxus mussten sie an Bord verzichten. Die Kabinen waren sechs Meter lang und drei Meter breit. Einen großen Teil der Fläche nahm die Sanitärzelle ein. Eine harte Liegefläche, mehrere in die Wand eingelassene verschließbare Fächer und eine Multimediakonsole waren die einzigen Einrichtungsgegenstände. So etwas wie Fenster gab es nicht. Dafür an der Wand gegenüber der Liege eine große Fläche, auf die man sich je nach Lust und Laune eine Ansicht seiner Wahl projizieren lassen konnte.
Art hatte sie in den letzten Wochen kaum einmal in Betrieb genommen. Er hasste es, sich etwas vorzumachen. Lieber verlor er langsam aber sicher die Nerven in dieser sterilen Umgebung. Früher hatte er sich nie vorstellen können, was im Altertum der Begriff Gefängnis bedeutete, nun hatte er eine ziemlich genaue Vorstellung davon!
In zwei Tagen, so hatte Jayden ihnen heute eröffnet, würden sie das erste Sprungtor erreichen. Die Erde war zwar schon längst nicht mehr zu sehen, aber irgendwie hatte Art sich immer noch in ihrer Nähe gewähnt. Übermorgen würde auch das vorbei sein. Arktor-System. Art hatte nicht die geringste Ahnung, wo zum Teufel sich das befand und er wollte es auch nicht wissen.
Soviel hatte er über die Sprungtore von Paul ja schon erfahren, dass sie nicht zwei angrenzende Galaxien verbanden, sondern jeweils zwei Punkte des Universums, die unendlich weit auseinander oder unmittelbar nebeneinander liegen konnten. Die Verbindungen zwischen den Galaxien hatte es im Universum schon immer gegeben und auch die Stellen an denen sie sich befanden, waren den Menschen seit Jahrhunderten bekannt. Doch erst die Technik der Aldebaraner hatte es möglich gemacht, diese Verbindungen zu nutzen. Dadurch erst waren die Menschen in der Lage gewesen, die Erde zu verlassen und andere Planeten zu kolonisieren.
Ein leiser, sanfter Gong schreckte Art aus seinen Gedanken. Missmutig blickte er zur Medienkonsole hinüber. Fast hätte er ihr eine abwehrende, beleidigende Geste gezeigt, doch dann fiel ihm ein, dass die Zimmerkamera kurz nach dem Anrufgong automatisch aktiviert wurde, wenn der Kommandant anrief. Und da erschien auch schon Jaydens dreidimensionales Abbild über der Mediakonsole. „Hör’ auf zu Schmollen, Art“, meinte Jayden grinsend. Dann wurde sein Gesicht schlagartig ernst. „Komm schnell hoch, es ist wichtig!“ Mit einem schnellen Flackern erlosch das Bild sofort wieder.
Typisch, dachte Art, weniger hätte er gar nicht sagen können, aber eine Spitze gegen ihn musste wieder dabei sein. Schmollen! So ein Quatsch, nur weil er sich nicht immer von diesem arroganten Kerl herumkommandieren lassen wollte!
Dann richtete er sich aber auf und machte sich auf den Weg nach oben in die Kanzel. Art konnte sich nicht erinnern, Jaydens Gesicht jemals so ernst gesehen zu haben wie eben.
Die drei Anderen standen vor dem gewaltigen Hauptmonitor der NIGHTOWL als Art eintrat. Keiner drehte sich zu ihm um. Erst als er direkt neben ihnen stand sagte Jayden leise: „Hier gibt es Arbeit für dich, Art. Ich habe zwar eine leise Ahnung, aber sicher bin ich mir nicht.“ Als Art ihn verständnislos ansah, tippte er mit einem Finger auf einen, dann auf einen weiteren winzigen Lichtpunkt auf dem ansonsten dunklen Schirm.
„Ter’sa hat sie vor ein paar Augenblicken entdeckt und sie scheinen uns zu folgen“, sagte Pat und sah ihn an.
Art zuckte mit den Schultern. „Zwei Raumschiffe im All, na und?“ fragte er. Jayden verdrehte die Augen und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sie – folgen – uns“ sagte er und betonte dabei jedes einzelne Wort.
„Sie wollen eben auch zum Sprungtor.“ Art wusste immer noch nicht, was Jayden wollte. Der seufzte resigniert.
„Ob du so freundlich wärst, die beiden Schiffe zu scannen, Art Karas?“ fragte Ter’sa in die folgende angespannte Stille hinein. Ihre Stimme klang hell und sanft. Fast wie der Anrufgong der Medienkonsole, dachte Art. Dann wurde ihm bewusst, dass das der erste zusammenhängende Satz war, den er aus dem Mund dieser seltsamen Frau hörte und er starrte sie fasziniert an. Sie legte den Kopf auf die Schulter und strich ich langes blaues Haar aus dem Gesicht. „Bitte!“ sagte sie extrem sanft und leise. Art hatte auf einmal das Gefühl, dass sie ihn auf den Arm nehmen wollte. Dann setzte er sich an seinen Arbeitsplatz.
Da er mit dem Hochfahren der Recheneinheit beschäftigt war, sah er das breite Grinsen in Jaydens Gesicht genauso wenig wie Pats sanftes Lächeln. Ter’sa Gesicht hingegen blieb genauso ernst wie vorher. Aber auch das bemerkte Art nicht.
Ohne große Mühe rief er die beiden fremden Raumschiffe auf den Monitor seiner Konsole. Seine Finger glitten schnell und sicher über die Eingabeeinheit, wählten Befehle und Konfigurationen aus und binnen weniger Minuten zeichneten sich Konturen und bald darauf klare Zeichnungen der beiden Schiffe auf seinem Bildschirm ab.
Erst in diesem Augenblick merkte er, dass die Anderen alle hinter seinem Platz standen und ebenso gebannt auf den Monitor starrten.
„Zwei aldebaranische Kampfschiffe der Delta-Klasse. Ich hab’s geahnt!“ stöhnte Jayden. Art nickte und zog ein Raster über eines der beiden Schiffe um es zu vergrößern und gab noch ein paar weitere Befehle ein. Etwa ein Dutzend rote Punkte erschienen an den Längsseiten des Schiffes. „Und voll aufgerüstet“, setzte er hinzu.
Art blickte Jayden an. „Meinst du, sie haben es auf uns abgesehen?“
Jayden nickte. „Ich denke schon. Aber ich kann nicht sagen, ob sie uns angreifen werden. Ich hab‘ noch nie gehört, dass die Aldebaraner ein ersianisches Frachtschiff angegriffen haben. Vielleicht wollen sie ja wirklich nur wissen, wer sich in der Nähe ihres Sprungtores herumtreibt.“
„Könnten es nicht Zollschiffe sein, die auf Schmuggler aus sind?“ wollte Pat wissen und zwinkerte Jayden zu. „Vielleicht kennen sie die NIGHTOWL ja auch schon.“
Jayden ließ sich auf seinen Platz sinken und hob die Hände. „Glaub mir Pat“, sagte er dann, „ich kenne jedes ersianische, aldebaranische und sonstige Zollschiff, dass in unserer Galaxie unterwegs ist. Hab‘ mit den meisten schon persönlichen Kontakt gehabt.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber solche riesigen Kampfschiffe hat keine Zollbehörde des ganzen bekannten Universums.“
Dann blickte er Ter’sa an. „Können wir sie loswerden?“ fragte er.
„Ich versuche mein Bestes, Kommandant!“ Die Weganerin setzte sich ebenfalls hinter ihre Konsole. „Aber es gibt hier kaum Möglichkeiten, sich zu verstecken oder zu tarnen.“ Setzte sie nach einer Weile hinzu.
Jayden seufzte. „Versuchen wir es!“ Er schaute zu Art. „Du behältst sie im Auge. Und fahr‘ unsere Waffensystem hoch. Nur für alle Fälle.“
Art nickte. Innerlich aber verfluchte er sich. Was war so schlimm daran, dass zwei schwerbewaffnete Kriegsschiffe unterwegs zu dem einzigen Sprungtor der Galaxie waren?

Als sie später in die Nähe eines größeren Asteroiden kamen, meinte Ter’sa: „Ich ziehe die NIGHTOWL jetzt mal auf die Rückseite dieses Brockens. Dann werden wir ja sehen, ob sie uns verfolgen oder vorbeiziehen.“
Jayden warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. „Du weißt schon, dass du uns damit in Gefahr bringst?“
„Ich kann einfach nicht glauben, dass die Behörde unseretwegen zwei so große Schlachtschiffe zum Einsatz bringt, selbst wenn sie Wind von unserem Vorhaben bekommen haben und uns ausschalten will.“ Sie schüttelte den Kopf und ihre langen Haare flogen wie ein blassblauer Schleier um ihren Kopf. „Das könnten sie viel einfacher haben.“
Art glaubte, nicht recht gehört zu haben. Die Weganerin gab ihm Recht und noch dazu in einer für sie so langen Rede. Er wollte etwas sagen, doch Jayden winkte ab. „Wenn ihr meint…“
Nach vier Stunden waren die aldebaranischen Schlachtschiffe auf ihrem Weg zum Sprungtor schon an ihnen vorbei und wenig später auf dem Monitor kaum noch zu erkennen.
„Okay, dann geht mal in eure Quartiere und ruht euch aus“, sagte Jayden dann. „Noch sechszehn, achtzehn Stunden, dann sind wir am Sprungtor. Bis dahin wechseln wir uns hier oben wie gehabt ab.“
Während die Anderen die Zentrale verließen, wandte er sich wieder seinem Monitor zu. „ich hab‘ trotzdem ein ungutes Gefühl was diese beiden Aldebaraner betrifft“, brummte er.

Wie sich herausstellte, waren Jaydens Sorgen nicht unberechtigt. Als Art, der die letzte Wache vor dem Sprung zu absolvieren hatte, die Zentrale der NIGHTOWL betrat, bot sich ihm auf dem Hauptbildschirm ein eindrucksvolles Bild. Ein großes, silbernes, kreisrundes Gebilde, das in strahlendem Hellblau vor der tiefen Schwärze des Alls leuchtete und sich langsam um die eigene Achse drehte, füllte den Bildschirm fast vollständig aus.
Beim Blick aus der gläsernen Kanzel war das Sprungtor bereits mit bloßem Auge zu erkennen. „Noch sechs Stunden, Art, dann haben wir unsere Galaxie bereits verlassen.“ Pat seufzte. „Etwas aufgeregt bin ich schon.“
Art nahm ihren Platz vor dem Hauptmonitor ein. Er kippte den Sessel etwas zurück und verschränkte die Arme hinter den Kopf. Dann starrte er versonnen auf den Bildschirm. Das Tor sah fast genauso aus wie in den einschlägigen Spielen. Er grinste. Ein Ladebalken wird ja beim Durchfliegen nicht gerade erscheinen, dachte er.
Pat ließ sich an ihrem eigenen Arbeitsplatz nieder. „Wenn du nichts dagegen hast, leiste ich dir etwas Gesellschaft“ sagte sie.
Art nickte und sah sie an. Sie schien ihm noch schmaler geworden als sonst und ihr Blick verriet eine starke Anspannung. Er hatte das noch nie an ihr bemerkt. Aber seit sie an Bord der NIGHTOWL gegangen waren, hatte er sie auch kaum so intensiv beobachtet, fiel ihm ein.
„Hast du Angst?“ fragte er sie leise. Pat atmete tief ein und sagte dann genauso leise: „Irgendwie schon. So ein Raumsprung soll nicht ungefährlich sein und ich hab’s auch nicht so gern, wenn ich nicht weiß, was mich erwartet.“
Es lag Art auf der Zunge, eine spitze Bemerkung über eine gute Story zu machen, aber er verkniff es sich im letzten Moment. Stattdessen zuckte er mit den Schultern und meinte: „So lebensgefährlich wird’s schon nicht sein. Ich hab‘ jedenfalls noch nie gehört, dass ein irgendein Schiff beim Raumsprung zerstört oder ein Mensch dabei getötet wurde.“
„Es soll aber schon Schiffe gegeben haben, die nirgendwo wieder herausgekommen sind!“ Ter’sa Ras glockengleiche Stimme hing im Raum und ihre Worte schienen von den Wänden widerzuhallen. Weder Art noch Pat hatten bemerkt, wie sie die Zentrale betreten hatte. „Oder zumindest weiß man nicht, wo sie wieder herausgekommen sind“, setzte sie dann hinzu und ging aufreizend langsam zu ihrem Platz.
Wieder einmal erwischte sich Art dabei, wie seine Augen gebannt an ihrem schlanken Körper hingen. Er runzelte die Stirn. „Märchen sind das“, murmelte er, „oder Spukgeschichten, wie man’s nimmt!“
Die hübsche Weganerin warf ihm einen undefinierbaren Blick zu und wieder hatte Art das Gefühl, dass sie ihn auf den Arm nehmen wollte. Dann wandte sie sich ihrem Monitor zu und begann, Programme aufzurufen und Befehle in ihre Konsole zu tippen.
Art und Pat sahen sich an und beide hatten das Gefühl, hier überflüssig zu sein. Zum ersten Mal seit sie an Bord gegangen waren, lächelte Pat ihn an und zwinkerte ihm zu. Er griente zurück und wandte sich dann ebenfalls dem Bildschirm zu.
Immer noch drehte sich dort das Sprungtor. Inzwischen waren sie ihm so nahe gekommen, dass es nicht mehr ganz auf den Monitor passte. Deshalb zoomte Art das Bild weiter auf und erstarrte plötzlich. „Verdammter …, das kann doch nicht wahr sein!“ entfuhr es ihm und er hieb mit der flachen Hand auf die Lehne des Sessels.
Die beiden Frauen schraken auf und starrten nun ebenfalls auf den Hauptbildschirm. Deutlich zeichneten sich links und rechts des Tores die Konturen der beiden aldebaranischen Schlachtschiffe ab!
Ter’sa stieß ein paar Worte in einer Sprache hervor, die Art und Pat nicht verstanden, und die alles andere als freundlich klangen.
Dann begab sie sich an ihr Pult, drosselte die Triebwerke der NIGHTOWL auf nahe Null und lehnte sich zurück.
Pat blieb neben Art stehen und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er registrierte es und den warmen Schauer, der ihn überkam.
Nur wenige Augenblicke später wurde die Tür zur Kanzel aufgerissen und Jayden stürmte herein. „Was zum Teufel ist hier …“ Er brach ab, als er das Bild auf Arts Monitor sah. Ein heftiger Fluch entfuhr ihm und den verstanden auch Art und Patricia. Er schlug die rechte Faust in die linke Handfläche und blickte Art lange nachdenklich an. Dann ließ er sich in seinen Sessel sinken. Mit den Zeigefingern massierte er seine Schläfen. Es war totenstill in der Zentrale, die anderen drei anderen starrten Jayden an und er wusste, dass sie auf eine Entscheidung warteten.
Irgendwann blickt er auf und sah Art in die Augen. „Nun ist es an dir“, begann er. „Du musst dich entscheiden. Willst du wirklich weiter oder kehren wir hier um? Denn das da“, er wies auf den Bildschirm, „ist eine deutliche Warnung, Art, das ist dir wohl bewusst.“
Art wurde heiß. Alle Blicke auf sich gerichtet, fühlte er sich äußerst unwohl. In diesem Augenblick wurde ihm so richtig klar, dass er diese drei Menschen einer großen Gefahr aussetzte – für eine Sache, über die er mit sich selbst noch gar nicht im Reinen war.
Er verließ seinen Platz und trat an die Glasscheibe der Kanzel. Sein Blick ging in die tiefe Schwärze und blieb an dem blinkenden kleinen Kreis hängen, an dem zwei riesige Schlachtschiffe sie erwarten würden. Gut möglich, dass soeben die letzten Stunden für ihn und seine Freunde begannen. Er spürte ihre Blicke in seinem Rücken, als er leise sagte: „Wenn ich’s allein tun könnte, würde ich es machen.“
„Das heißt ja“, meinte Ter’sa nur und das Summen der Triebwerke wurde lauter. Art schloss die Augen.
„Haben wir überhaupt eine Chance?“ hörte er Patricia fragen.
„Ich denke schon“, meinte Jayden. „Da haben wir schon ganz Anderes überstanden, stimmt’s Ter’sa?“ Vermutlich nickte die nur und Art war sich nicht sicher, ob er Jayden glauben konnte.
„Dann los, an deinen Platz, Art.“ Jaydens Stimme klang hart und energisch. „Waffensysteme hochfahren. Kampfbereitschaft herstellen. Die Bewaffnung der Aldebaraner scannen.“
„Triebwerke fünfzig Prozent.“ Ter’sas melodische sanfte Stimme klang wie aus weiter Ferne zu ihm herüber.
Während Arts Finger beinahe automatisch über die Tasten glitten, hörte er Patricia sagen: „Weißt du, Jayden, was ich mich die ganze Zeit gefragt habe? Was ist an unserem Vorhaben so wichtig, dass man es auf alle Fälle verhindern will? Es ist doch eine rein private Angelegenheit. Und selbst wenn es Art gelingt, Jessica und die Kinder zur Umkehr zu bewegen, so ist doch weder die Reise der AURORA 4 noch die Kolonisierung des neuen Planeten in Gefahr.“
Art blickte auf. Genau dasselbe hatte er sich auch schon so oft gefragt. Schon damals, als Paul in Angelcity die Sache gleich so dramatisiert hatte. Dass der sich in die Gefahr brachte, seinen Job zu verlieren oder noch härter bestraft zu werden, wenn er Interna der Behörde preisgab, war ja verständlich. Aber er hatte damals schon so etwas gesagt, dass sie alle ihr Leben aufs Spiel setzen würden oder so ähnlich.
Jayden nickte. „Gut Frage, Pat. Ich kann sie dir aber nicht beantworten. Die Sprungtore habe ich schon so oft benutzt und nie hat jemand mir deswegen Ärger gemacht. Die Mission der AURORA 4 ist höchst offiziell. Auch daran kann es nicht liegen. Gut, dass wir die Strecke wissen und Kenntnis von den beiden geheimen Toren haben – aber das ist Pauls Problem. Aber was haben sie davon, wenn sie uns zu Staub zerbröseln? Ich sehe absolut keinen Sinn darin! Es sei denn …“ Er brach ab und starrte Patricia an.
Art bemerkte, dass ihre dunkle Haut eine Spur blasser wurde. „Aber das macht doch erst Sinn, wenn ich die Story habe“, stammelte sie, „und wenn ich die geheimen Tore darin erwähne.“
Jayden zuckte die Schultern. „Ich weiß es wie gesagt nicht. Vielleicht will man einfach von Anfang an ausschließen, dass etwas über die Route und den Bestimmungsort der AURORA 4 bekannt wird.“
„Ich habe mich schon immer gefragt, warum man so ein Geheimnis aus den Zielplaneten der Kolonieschiffe macht“, meinte Patricia nachdenklich.
„Das macht keinen Sinn, weil die ja manchmal Jahrzehnte oder länger brauchen, nachdem sie das letzte Tor passiert haben.“ Art sah Pat an. „Wenn die AURORA 4 an ihrem Ziel ankommt, leben wir vielleicht schon längst nicht mehr und wen soll dann noch interessieren, wo sie hingeflogen ist?“ Er schwieg einen Moment. „Wenn sie das Wega-System verlassen hat, gibt es nichts mehr, was sie mit der Erde verbindet.“
"Na dann", meinte Jayden und ein grimmiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Dann bring ich uns mal durch." Er sah zu Art hinüber. "Laserkanonen auf 100 Prozent Leistung, zwei G-Raketen abschussbereit halten, auf mein Kommando warten!"
Dann wandte er sich an Ter'sa. "Du hilfst mir dabei, alles klar?" Die Weganerin nickte und es schien Art, als lächelte auch sie in sich hinein.
„Pat, du schaltest alle Elektronik an deinem Platz aus und schnallt euch alle vorsichtshalber an, wird etwas unruhig werden, die nächsten Minuten."
Patricia nickte etwas verwirrt, folgte aber der Anweisung. "Alles aus!" meldete sie bald darauf.
"Laserkanonen 100 Prozent, zwei Raketen abschussbereit!" Art lehnte sich zurück und verzog das Gesicht.
"Co-Steuerung aktiviert - es kann losgehen!" Ter’sa Ras Stimme klang ruhig und sicher wie immer.
Jayden stieß den Geschwindigkeitshebel abrupt nach vorn, die NIGHTOWL heulte auf und schien einen weiten Sprung nach vorn zu machen. Alle wurden in ihre Sitze gepresst und Art hatte das Gefühl als säße jemand auf seiner Brust. Wie durch' einen Nebel drang Jaydens Stimme zu ihm durch:
"Rechter Laser Feuer!"
In dem selben Augenblick als Art die Feuertaste der rechten Laserkanone betätige, zog Jayden die NIGHTOWL in eine enge Schleife und Art sah auf seinem Display, wie der rote Lichtstrahl auf die Außenhaut des einen Schlachtkreuzers traf.
Von dort erfolgte prompt die Antwort. Am Bug des Kreuzers erschien ein gewaltige Lichtblitz und jagte bogenförmig auf das kleine Raumschiff zu.
Just in diesem Moment schob Ter'sa Ra den Geschwindigkeitsregler auf null und Jayden riss das Raumschiff erneut herum. Der Lichtbogen verschwand in der Tiefe des Alls ohne Schaden anzurichten.
Sofort schoss die NIGHTOWL wieder mit Höchstgeschwindigkeit davon, wurde in einem weiten Bogen herumgerissen, um gleich darauf senkrecht nach oben zu rasen. Jedenfalls fühlte es sich für Art so an.
Noch während er mit sich kämpfte, um nicht seinen Mageninhalt auf das Pult vor sich zu entleeren, sah er auf dem Monitor einen roten Strahl auf die NIGHTOWL zurasen. „Laserbeschuss von vorn!" rief er in den Raum.
"G-Rakete 1 abschussbereit halten" befahl Jayden. Art legte einen Finger auf den Auslöser. Sofort preschte die NIGHTOWL wieder nach vorn.
"Feuer!"
Art drückte den Taster herunter, ehe Jayden zu Ende gesprochen hatte. Ein Aufleuchten auf dem Monitor verriet ihm, dass er den Kreuzer getroffen hatte.
Gleichzeitig riss Jayden das Schiff wieder nahezu senkrecht in die Höhe und drehte es zur Seite um Art die Möglichkeit zu geben, die zweite Rakete abzufeuern.
Doch ehe er den Befehl dazu geben konnte, kippte die NIGHTOWL plötzlich zur Seite und geriet ins Taumeln. "Treffer an Backbordseite" vernahm Art die Stimme der Weganerin. „Ist aber nicht schlimm, nur ein Kratzer würde ich sagen", meinte sie dann.
Jayden ließ das Schiff wie einen Stein nach unten sacken und plötzlich tauchten hinter den Scheiben der Kanzel silbern und bläulich leuchtende Strukturen auf.
"Fertig zum Sprung!" Ter'sa Ras Stimme zitterte leicht.
„Macht euch drauf gefasst, dass der Tanz nach dem Tor gleich weitergeht“, brummte Jayden. „Sie folgen uns bestimmt!“ Dann stieß er mit einer heftigen Handbewegung den Beschleunigungshebel wieder nach vorn.
Zuerst bemerkte Art keinerlei Veränderung. Er hörte noch wie Ter‘sa sagte: „Wundert euch …“ Dann war es plötzlich still und leer. Nichts war mehr da. Kein Raumschiff, keine Person, kein Geräusch, kein Geruch, kein Universum – nur helles Licht. Es war, als schwebe er in einem Meer aus hellem Licht. Art konnte sich weder bewegen, noch fühlen oder denken. Er spürte weder seinen Körper noch konnte er einen Gedanken fassen. Es gibt keinen Begriff für die Zeit die verging bis sich die Helligkeit in ein Farbenspiel zwischen Weiß und Dunkelgrün änderte. Ein schwankender Lichtvorhang tanzte vor Arts Augen herum. Und auf einmal waren auch wieder Gedanken da. So etwas Ähnliches hatte er schon mal gesehen. Ein Licht. Nordlicht. Oder zumindest so ungefähr.
Irgendwann schien aus dem Flimmern eine Gestalt herauszutreten. Eine Frau mit dunkler Haut und langen, schwarzen Haaren in einem engen, blauen Kleid. Er erkannte sie. Patricia. So wie sie in Angelcity auf den Balkon getreten war. Er hatte damals gar nicht bemerkt, wie schön sie eigentlich war! Vor seinen Augen begannen die Formen langsam zu schmelzen. Das Gesicht der Frau änderte sich, ihr Haar wurde rot und lockig. Auf dem Arm hielt sie ein Baby. Ein kleines Gesicht mit dunklem Haar wandte sich ihm zu und beide lächelten strahlend. Jessie. Jessie und Jamie! Gefühle kehrten in seinen Körper zurück, durchströmten ihn. Glück und Angst. Liebe und Hass. Jessie – wo bist du? Wieder flossen die Gesichtszüge der Frau auseinander und das Kind wuchs wabernd und flirrend heran. Jetzt stand es, von der Hand der Mutter gehalten, löste sich jedoch auf einmal von ihr und machte ein paar kurze, unsichere Schritte auf ihn zu. Aber das war nicht Jamie – das war er selbst! Die ersten Schritte auf seinen Vater zugehend.
Während der grünliche Lichtvorhang sich nach und nach in Lila- und Rottöne färbte, verschwand die Frauengestalt völlig und das Kind verwandelte sich in ein seltsames Tier. Ähnlich einem riesigen Frosch, mit schuppiger Haut und riesigen roten Augen. Aus seinem Kopf wuchs ein langer, gewundener Rüssel, der sich suchend seinem Gesicht näherte.
Art keuchte und schrie panisch auf. In diesem Moment wurde es urplötzlich finster. Ein heftiger Ruck schien durch seinen Körper zu gehen und Art fühlt, dass sich etwas verändert hatte. Schon bemerkte er, dass das Leben in seinen Körper zurückkehrte, aber alles um ihn herum lag in furchtbarer Dunkelheit! Hatte er das Augenlicht verloren? Was war geschehen?
Während er panisch um sich tastete und die Lehne des Sessels und seinen Händen fühlte, hörte er Jaydens ruhige Stimme: „Ter’sa, Notbeleuchtung an, sofort!“ Sekunden später flammten sanfte, gelbliche Lichter an den Wänden des Schiffes auf und Art erkannte, dass alles nur ein Traum gewesen sein musste.
Jayden schwang sich in seinem Sessel herum und grinste zu Art und Pat hinüber. „‘tschuldigung, ich hätt’ euch warnen sollen. Aber ich wollte es euch einfach erleben lassen!“


Art hörte, wie Pat tief und heftig ausatmete. „Was zum Teufel war das, Jay?“ Fragte sie leise und Art hatte das Gefühl, ihre Stimme noch nie so brüchig gehört zu haben. Er sah zu ihr hinüber und bemerkte trotz des schwachen gelblichen Lichtes, dass ihre sonst so dunkle Haut grau und schweißüberströmt war.
„Während des Fluges durch das Sprungtor werden immense elektrische Ströme freigesetzt. Das führt dazu, dass das menschliche Gehirn nicht mehr richtig arbeiten kann und mitunter auch so eine Art Kurzschluss entsteht. Die Elektronik des Schiffes kommt meist auch nicht ohne Schaden davon. Das ist der Nachteil des Raumsprungs. Aber wenn man sich dran gewöhnt hat, ist es ganz schön!“
„Ich weiß ja nicht, was bei dir schön ist“, meinte Art, immer noch leicht verwirrt.
„Erst mal ein Stück weg vom Tor, denn wenn uns so ein Kreuzer rammt, sind wir nur noch Elementarteilchen“, meinte Jayden, zog das Raumschiff in eine enge Kurve und beschleunigte es wieder. Ein grässliches Knirschen war zu vernehmen und Art hatte das Gefühl, das kleine Schiff würde auseinander gerissen.
„Ter’sa, Statusmeldung“, Jayden kniff die Augen zusammen. Seine Stimme klang ernst und etwas besorgt.
„Nicht möglich, Totalausfall“, meldete die, ging dann zu Pat und sagte: „lass mich mal an deinen Platz, Patricia, ich muss deine Technik nutzen.“
Patricia nickt und stand auf. Jayden trat neben sie. „Deswegen fahren wir vor dem Sprung immer einen Arbeitsplatz total runter“, erklärte er. „Und von deinem Platz aus kann Ter‘sa auf alle Systeme zugreifen.“
„Du scannst mal das Tor, Art, ob die Kreuzer schon durchgekommen sind“, fuhr er dann fort. „Und mach alle Waffen scharf!“
Art nickte und gab die entsprechenden Befehle ein. Nach einem Blick auf seinen Monitor meinte er: „Die Aldebaraner sind nirgends zu sehen.“
Jayden zuckte die Schultern. „Merkwürdig. Aber warten wir noch etwas ab. Wenn sie uns folgen, müssen sie hier heraus kommen.“

Zwei Tage später lag das Sprungtor schon weit hinter ihnen und auch von den beiden aldebaranischen Kampfschriften war nichts mehr auf den Monitoren zu sehen gewesen. Überhaupt machte das Arktor-System auf sie einen völlig verlassenen Eindruck. Es gab kein Anzeichen von Leben in diesem System und auch noch kein einziges fremdes Raumschiff war in diesen zwei Tagen auf ihren Monitoren aufgetaucht.
Der Autopilot hielt die NIGHTOWL auf Kurs - geradewegs in Richtung des ersten geheimen Sprungtors, das sie aber erst in etwa drei Wochen erreichen würden.
Außer Ter'sa Ra, die alle Hände voll zu tun gehabt hatte, um die Elektronik der NIGHTOWL wieder funktionsfähig zu machen und sich nun um die anderen Schäden kümmerte, hatten sich alle ausgiebig gelangweilt. Selbst Jayden hatte sein ständiges Herumkommandieren und seine nervende Besserwisserei eingestellt und sich sehr oft in seine Kabine zurückgezogen. Art hatte es zufrieden zur Kenntnis genommen.
Die Weganerin war es auch gewesen, die sie alle in den Gemeinschaftsraum gebeten hatte. In die gemütlichen, dunkelblauen Polster gelehnt, sah sie auf die schlanke, so seltsam anmutende Frau. Die strich sich die langen weißblauen Strähnen aus dem Gesicht und sagte dann: "Es gibt ein großes Problem, Freunde. Ich habe einen tiefen Riss an der Außenseite des rechten Transportcontainers gefunden. Keiner meiner Technobots ist in der Lage, diesen Schaden während des Fluges zu beheben." Sie sah in die Runde, stützte dann die Ellbogen auf die Tischplatte und ihren Kopf in die Hände.
"Der Schaden ist durch den Treffer des Kreuzers entstanden?" fragte Art.
Ter'sa nickte. "Vermutlich."
"Und er muss unbedingt behoben werden?" wollte Patricia wissen.
Wieder nickte Ter'sa. "Ein kleiner Kratzer nur, eigentlich nicht weiter schlimm. Aber beim nächsten Sprung könnte es die NIGHTOWL zerreißen."
Pat und Art sahen sie entsetzt an.
"Ihr habt ja gesehen, wie hoch die Belastung für das Material ist", meinte Jayden und dann, an Ter'sa gewandt: „Du schlägst also vor?"
"Wie sollten landen. Dann ist die Reparatur kein Problem."
Jayden atmete tief durch. "Start und Landung kosten uns eine Menge Treibstoff, Ter'sa" meinte er dann. "Noch mal können wir uns das dann nicht erlauben bis zur nächsten Raumwerft."
Als Ter'sa darauf nicht weiter einging, sah er zu Pat hinüber. "Du suchst uns einen Planeten aus, scannst ihn nach einem vernünftigen Landeplatz und gibst mir sofort Bescheid, wenn du einen gefunden hast."
"Es gibt hier keinen Planeten mit atembarer Atmosphäre, das kann ich euch jetzt schon sagen", gab Pat zu Bedenken.
"Wir brauchen keine Atemluft", meinte Ter'sa. "Die Arbeit erledigt ein spezieller Technobot. Wir bleiben alle an Bord."
„Na gut, betrachte ich mal als Übung“, knurrte Pat und Art konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.
Noch während Patricia sich an die Arbeit machte, verließen Jayden und die Weganerin die Zentrale. Art ließ sich in seinen Sessel sinken und meinte: „Ich leiste dir etwas Gesellschaft.“ Als Pat nicht darauf reagierte, setzte er hinzu: „Mir ist da auch noch was eingefallen, was ich überprüfen muss. Ich will mal sehen ob ich herausbekomme, wie wir den Treffer hätten vermeiden können.“
Patricia murmelte etwas Unverständliches und drehte sich dann zu ihm um und fragte: „Du hast den Kampf aufgezeichnet?“
Art schüttelte den Kopf und lud die eine Menge Daten und Tabellen auf den Bildschirm. „Nein, ich habe in den letzten Tagen alle Daten rekonstruiert und ein kleines Programm gebastelt, mit dem ich in Zukunft alle Kämpfe der NIGHTOWL auswerten und analysieren kann.“
„Du wirst noch mal ein richtiger Kampfexperte.“ Ihre Stimme klang alles andere als belustigt. Dann wand sie sich wieder um und widmete sich ihrer Arbeit.
Art biss die Zähne zusammen und schlug mit der flachen Hand auf die Sessellehne. „Ich hab’s mir nicht ausgesucht!“ Er sagte es lauter, als er gewollt hatte und setzte leise hinzu: „Aber was ich mache, mache ich gewissenhaft!“
Als Art ein paar Stunden später laut durch die Zähne pfiff, fuhr Pat erschreckt hoch. Sie fragte sich, ob sie etwa eingenickt war, während die rote Markierung ihres Scanners über den Planeten auf dem Bildschirm vor ihr geglitten war und unendliche Zahlenkolonen im Vordergrund durchliefen.
Sie drehte sich zu Art um und der sah sie mit einem merkwürdigen Blick an. „Das ist kaum zu glauben, Pat“, sagte er leise. Als sie den Kopf auf die Schulter legte und ihn fragend ansah, setzte er hinzu: „Wir haben uns den Treffer selbst zugefügt, sozusagen.“
Patricia stand auf und trat hinter ihn. Sie legte die Hände auf seine Rückenlehne und versuchte, auf dem Bildschirm etwas zu erkennen. Aber was sie sah, waren nur Tabellen und Diagramme, mit denen sie nichts anfangen konnte.
„Siehst du, hier und hier und auch so?“ Art sah sie fragend an und als sie den Kopf schüttelte, lächelte er. „Na, ich mach’s mal deutlicher.“
Er markierte ein paar Daten und lud ein anderes Programm. Nachdem er die Daten dort eingefügt hatte, erschienen zwei stilisierte Raumschiffe auf dem Bildschirm. Eine gepunktete Linie zog sich vom einen zum anderen. „Das ist unser Schuss auf die Aldebaraner.“ Erklärte Art. „Er hat es voll getroffen, aber aufgrund der Panzerung nicht stark beschädigt. Der Aldebaraner weicht aus“, das eine Raumschiff schob sich nach oben, eine neue punktierte Linie erschien, „und feuert auf uns.“ Art sah Patricia an und die antworte, den Verlauf der Linie auf dem Bildschirm erfassend: „Hätte uns aber nicht getroffen!“
„Genau.“ Art nickte bestätigend. „Und egal, wie ich die Daten des weiteren Kampfverlaufes auch eingebe, mit keinem ihrer Schüsse hätten sie uns auch nur gestreift. Nur die von Jayden durchgeführte, für die Aldebaraner unvorhersehbare, Drehung des Schiffs hat die NIGHTOWL in ihre Schussbahn gebracht.“ Er unterbrach sich und wies erneut auf den Bildschirm. „Welches aldebaranische Kampfschiff hat einen solch schlechten Schützen an den Waffenkonsolen sitzen?“ Kopfschüttelnd sah er zu Pat.
„Keines.“ Es war Jaydens Stimme. Unbemerkt von den beiden hatte er die Zentrale schon zu Beginn von Arts Ausführungen die Zentrale betreten. „Sie wollten uns nur drohen, einfach nur warnen, denke ich.“
Art stand auf und trat auf ihn zu. Er blickte ihm eine Weile in die Augen und sagte dann mit fester Stimme: „Und hätten wir nicht zuerst angegriffen, wäre vielleicht gar nichts passiert!“
Jayden zuckte die Schultern. „Möglich. Oder auch nicht. Auf alle Fälle gilt es, das genauer zu untersuchen.“
Während er schon wieder zur Tür ging um die Zentrale zu verlassen, warf er Art noch einmal einen Blick über die Schulter zu und meinte: „Tolle Arbeit übrigens, dein Programm.“
Art nickte und schaltete die Konsole aus. Er sah zu Pat hinüber, die sich schon wieder ihrem Scanner zugewandt hatte und meinte: „Ich geh mal ‘ne Runde laufen, kommst du mit?“ Doch Pat schüttelte nur mit dem Kopf und wies auf ihren Bildschirm, auf dem sich die rote Markierung langsam über die Oberfläche eines Planeten bewegte.

Als Art öffnete die Tür des Fitnessraumes und blieb ruckartig stehen. Das Bild, das sich ihm bot, war einfach überwältigend: Der kleine Raum erstrahlte in einem sanften roten Licht. Es war nicht sehr hell. Art schien es, als habe jemand an einen trüben Tag auf der Erde ein rotes Tuch über den Himmel gezogen. Die Landschaft, die sich vor ihm erstreckte, war flach und steinig. Nur wenige niedrige Pflanzen säumten den schmalen Pfad, der sich um ein paar große Steine zu winden schien.
Auf diesem Pfad war Ter’sa beim Lauftraining. Und das war es, was Art eigentlich den Atem verschlagen hatte. Die Weganerin trug nur ein kurzes zweiteiliges Trainingsoutfit, das hauteng an ihrem schlanken Körper anlag. Die weißblaue Haarpracht hatte sie vergeblich versucht mit einem Stirnband zu bändigen. Noch nie zuvor war ihm aufgefallen, wie muskulös dieser schlanke Frauenkörper doch war. Da war nichts von der Zartheit und Zerbrechlichkeit, die er unter ihrem Raumanzug vermutet hatte.
Sanft schloss sich hinter Art die Tür. Das leise Zischen veranlasste Ter'sa, einen Knopf an ihrem Gürtel zu betätigen, worauf das Laufband geräuschlos langsamer wurde und stehen blieb. Sie drehte sich um und sah Art mit ihren roten Augen an, die in diesem seltsamen Licht noch intensiver wirkten, ja regelrecht zu strahlen schienen.
Art wusste nicht, wohin er blicken sollte. Sie sah einfach umwerfend aus! Vielleicht lag es daran, dass er noch keine Frau mit einem so schmalen Körper gesehen hatte. Aber auch das so hauteng anliegende, metallicblau leuchtende Outfit zog seinen Blick magisch an. Erst als er bemerkte, dass ein belustigtes Lächeln die Mundwinkel der Weganerin zu umspielen begann, riss er sich los und sah sich fragend in der seltsamen, imaginären Landschaft um.
"Wegion 3“, beantwortete Ter'sa seine unausgesprochene Frage, "Meine Heimat. Genauer gesagt das Earthfield."
Stumm nickend trat Art, eine Fernbedienung aus der Halterung entnehmend und an seinem Gürtel befestigend auf das Laufband direkt neben dem, auf welchem die Weganerin stand. Im Gegensatz zu den auf der Erde üblichen Trainingskammern waren hier vier parallel verlaufende Bänder in den Boden integriert, so dass man miteinander in der projizierten Landschaft spazieren gehen oder auch Wettläufe veranstalten konnte.
Er ließ sein Band in moderatem Tempo anlaufen und begann sein Training. Das seltsame Licht machte ihm ganz schön zu schaffen. Als auch die Weganerin wieder zu laufen begann, schien sich die karge Landschaft ebenfalls in Bewegung zu setzen und an ihnen vorüberzuziehen.
Ter'sa warf Art einen Seitenblick zu und sagte: "Wir befinden uns in etwa 800m Höhe. Die Bergkette, auf der sich das Earthfield befindet, ist nicht die höchste auf Wegion 3, aber immerhin ist diese Hochebene die Landschaft hier, die der Erde klimatisch noch am nächsten kommt. Deshalb ist sie auch als Landefläche für das Kolonieschiff ausersehen wurden.“
Art versuchte, sich ihrem Schritttempo anzupassen, was ihm aber nicht gelang. Aufgrund der unterschiedlichen Bandgeschwindigkeiten blieb er aber dennoch neben ihr. Er sah sich noch einmal in der Landschaft um und stellte dann fest. „Hier war aber zu diesem Zeitpunkt alles bewaldet, oder? Sonst wäre ja so gut wie kein Baumaterial für die erste Stadt vorhanden gewesen, oder?“
Er sah ein seltsames Lächeln in Ter’sas Gesicht und wieder diese roten Augen aufblitzen. „So richtig hast du dich noch nicht mit der wahren Besiedlung von Planeten auseinandergesetzt, oder?“ fragte sie zurück.
Art antwortete nicht und stellte seine Laufgeschwindigkeit eine Stufe höher. Am liebsten hätte er schon jetzt aufgegeben. Diese Frau nahm ihn einfach nicht für voll, das spürte er.
Auch die Weganerin lief jetzt noch etwas schneller. Doch auch trotz der größeren Anstrengung klang ihre Stimme noch ruhig und sanft, während sie weitersprach. „Nach der Landung bildet das Kolonieschiff selbst so eine Art erste Stadt“, erklärte sie. „Je nach Gegebenheiten auf dem jeweiligen Planeten werden dann nach und nach die dort vorhandenen Ressourcen genutzt. Auf Wegion 3 hat man sich entschieden, die natürliche Beschaffenheit des Gesteins zu nutzen und die Stadt in den Fels hinein, unter die Oberfläche des Planeten gebaut. Das machte schon deshalb Sinn, weil man es bei diesem Licht“, sie wies auf die rote Sonne, die gerade vor ihnen hinter einem größeren Felsmassiv verschwand, „wahrscheinlich nicht lange ausgehalten hat.“
Art nickte. Er spürte, wie ihm der Schweiß in Strömen den Rücken hinunterlief und der Weganerin war keinerlei Anstrengung anzumerken.
Die wies nach vorn. „Siehst du dahinten die große Kuppel?“ Wieder nickte Art. „Das ist der Eingang zur Stadt und das Ziel meiner Laufstrecke. Hältst du noch durch?“ Als Antwort schaltete Art sein Band noch eine Stufe höher. Er wagte dabei nicht, Ter’sa anzusehen.
Sein Atem ging stoßweise und auf den letzten Metern wäre er ein paar Mal fast gestolpert, so ausgepowert war er. Die Kuppel entpuppte sich ein riesiges Gebilde aus Stahlträgern und Glas. Davor befand sich eine breite Fläche aus rötlichem Gras, die mit hohen Büschen bestanden war. Erschöpft ließ er sich unter einen von ihnen sinken. Die Simulation war täuschend echt, das Gras angenehm kühl und weich. Art hatte alles gegeben und war nicht mehr in der Lage, Ter‘sa etwas vorzumachen.
Doch die ließ sich ebenfalls ins Gras sinken und nicht etwa ein Stück abseits, wie er erwartet hatte, sondern gefährlich nah bei ihm. Er glaubte beinahe, ihre Nähe auf seiner Haut zu spüren.
Ter’sa drehte sich auf den Bauch und sah zu ihm hinüber. „Du warst richtig gut“, sagte sie und keine Spur von Spott lag in ihrer Stimme. Zum allerersten Mal hatte Art das Gefühl, dass sie etwas ehrlich meinte. Er drehte sich auf die Seite und wandte sich ihr zu. „Du bist aber besser“, sagte er dann, immer noch mühsam nach Luft ringend. „Du bist ja kaum außer Atem.“
Jetzt drehte sich auch Ter’sa auf die Seite und nun berührten sie sich fast tatsächlich. „Das geht bei uns auch gar nicht“, antwortete sie leise und ihre Augen leuchteten jetzt nicht spöttisch, sondern blickten in einem sanften, dunklen Rot auf Art. „Wir Weganer sind eben in mancherlei Hinsicht anders als ihr. Aber glaub‘ mir: auch ich bin total fertig!“
Sie lagen eine Weile und langsam wurde es dunkel. Art hörte ihren ruhigen Atem und genoss ihre Nähe. Nur wenige Zentimeter war sie von ihm entfernt. Gerade einmal eine Handbreit. Wann war eine Frau ihm das letzte Mal so nah gewesen? Es schien ihm eine Ewigkeit her zu sein.
Ausgerechnet in dem Augenblick, als er sie wie aus Versehen berühren wollte, flammte grelles Licht auf, die Illusion erlosch und Pat’s Stimme ertönte aus dem Deckenlautsprecher: „Alle in die Zentrale – alle in die Zentrale – Möglichen Landeplatz gefunden!“
Ter’sa atmete tief durch und sagte: „Dann sollten wir mal schnell duschen gehen und uns umziehen“ Als Art nickte und aufstand, setzte sie hinzu: „Jeder für sich natürlich.“

Als sie die Zentrale betraten, stand auch Jayden bereits an Patricias Arbeitstisch. Auf dem Monitor vor ihr war in verschiedenen Farbtönen das plastische Bild einer Planetenoberfläche zu sehen. Art erkannte ein gewaltiges Hochplateau, das aber im Gegensatz zu dem, was Ter'sa im Trainingsraum eingespielt hatte, zum großen Teil bewaldet zu sein schien. Die Mitte des Bildschirms nahm allerdings eine gewaltige, rötlich leuchtende, Erhöhung ein, die durchaus eine Bergkuppe oder ähnliches hätte sein können, wenn die rötliche Färbung nicht eindeutig Metall dargestellt hätte.
"Ich habe mal den Arcorio gescannt, den einzigen Planeten, auf dem wir meiner Meinung nach hier überhaupt landen könnten", begann Pat und wies auf den Monitor. "Und das habe ich gefunden."
"Eine Basis oder so was vielleicht", mutmaßte Jayden. "Aber wer um alles in der Welt, würde hier so eine riesige Station errichten?"
"Und für was sollte das gut sein?" Ter'sa schüttelte den Kopf. "Hast du mal gescannt, ob irgendwelche Impulse oder Signale von dem Ding ausgehen?"
Pat nickte. "Hab' ich gemacht - war aber negativ. Keinerlei Aktivitäten zu verzeichnen. "
Art war inzwischen hinter sie getreten und stützte die Hände auf ihre Rückenlehne. Als er sich nach vorn beugte, war sein Gesicht auf gleicher Höhe mit dem ihren. "Das Grüne da ist Wald, richtig?", fragte er.
Pat nickte. "Das Gebilde ist völlig davon umgeben, teilweise scheint es auch davon überwuchert zu sein." Sie zögerte. "Wenn das Ding nicht eindeutig aus Metall wäre, würde ich sagen, es ist ein Berg."
Art starrte auf den Bildschirm, dann stutzte er plötzlich und sagte mit rauer Stimme: "Kannst du den Wald mal ausblenden?"
Stumm berührte Pat einen Sensor der Konsole und die grüne Fläche verschwand vom Bildschirm. Stattdessen waren jetzt auf fast der gesamten Fläche verstreut kleinere rötliche Flecke zu erkennen.
"Was ist das?" fragte Ter'sa.
Art biss sich auf die Lippen und meinte dann: "Ich hab' einen ganz schrecklichen Verdacht. Gib mir mal die Koordinaten rüber, Pat."
Dann ging er zu seinem Platz, lies sich in seinen Sessel sinken und lud ein Programm auf seinen Bildschirm. Bald darauf hatte er ein annähernd gleiches Bild auf dem Monitor wie Pat, nur in anderen Farben. Dann glitten seine Finger hastig, fast ein wenig nervös, über die Eingabesensoren.
Nach einer Weile stutzte er, gab neue Befehle in die Konsole ein und lehnte sich dann kopfschüttelnd zurück. „Also“ begann er dann, „ich kann eingeben, was ich will: Es ergibt keinen Sinn. Die einzige Raumschiffklasse, die annähernd übereinstimmt, ist die PERSEUS-Reihe.“
„Die berühmteste und größte Baureihe von Kolonieschiffen der Erde“ bestätigte Patricia. „Die kennt wohl jeder.“
„Richtig.“ Art nickte, berührte einen weiteren Sensor und das Bild erschien jetzt auf dem riesigen Hauptmonitor. Es zeigte jetzt die weite Fläche mit der hohen, jetzt grau unterlegten Erhebung, über der nun ein engmaschiges Raster lag. Innerhalb dieses Gitternetzes war eine weitere, dunkel eingefärbte, Form zu erkennen, deren oberes Ende sich, abgesehen von einigen Abweichungen, mit der Erhebung deckte, aber außerdem zu zwei Dritteln noch diagonal nach unten, sozusagen in das Hochplateau hinein, reichte. Neben der Darstellung stand jetzt ein Wort: "PERSEUS".
Alle vier starrten sie auf den großen Bildschirm, ohne recht begreifen zu können, was sie da sahen. Erst als sich Art aus seinem Sessel erhob und leise sagte: "Ein Raumschiff der PERSEUS-Klasse ist es nicht. Dazu sind mir zu viele Abweichungen vorhanden. Aber einer anderen Klasse kann ich die Form überhaupt nicht zuordnen. Es gibt im ganzen Universum kein Schiff diesen Typs.“
„Vielleicht ist es gar kein Raumschiff gewesen oder das eines unbekannten Volkes?“ Ter’sas Stimme klang, als ob sie selbst nicht glaube, was sie da sagte.
„Dazu sind die Abmessungen und alle anderen Daten zu eindeutig“ erwiderte Art. „In dem vor uns liegenden Heckteil des Schiffes befinden sich vermutlich Maschinenräume und Lager, genau wie bei den Schiffen der PERSEUS-Reihe.“
Patrica, die ebenfalls noch einmal ihren Scanner über das Wrack gezogen hatte, nickte. „Es besteht aus einer typischen, auf der Erde vor ungefähr fünfhundert Jahren verwendeten Legierung. Das hier“, sie wies auf den Bildschirm, „ist definitiv ein Raumschiff der Erde.“
Jayden, der während des Disputes auf und ab gegangen war, blieb jetzt vor dme großen Monitor stehen und fragte: „Gibt es nichts, was uns einen Hinweis auf die Identität des Schiffes geben könnte?“
Art überlegte. „Nichts“, sagte er dann. „Es sei denn, man hat den Namen des Schiffes auch auf die großen Geräte geschrieben. Was ich zwar nicht glaube, aber früher war das mal üblich.“
Jayden nickte, überlegte einen Moment und wandte sich dann an Patricia. "Du meinst, dass Plateau wäre ein günstiger Landeplatz?"
Pat nickte. "Wir müssten allerdings ein paar Bäume beseitigen. Das sollte aber kein Problem sein." Sie sah zu Art hinüber und der grinste breit.
"Ich wollte sowieso mal ausprobieren, ob die Laser noch funktionieren", meinte er.
Jayden gab sein Okay und blickte Ter'sa an. "Bring uns runter und das Baby wieder in Ordnung. Und ihr seht zu, dass ihr herausbekommt, was das für ein Schiff ist!" Er sah zu Pat und Art hinüber. „Kannst du uns einen Zugang brennen, Art?“
„Selbst wenn es uns gelingt – das kostet uns wieder jede Menge Energie“, mischte sich Ter’sa ein.
Jayden sah sie an. „Du sorgst dafür, dass wir den nächsten Sprung heil überstehen und ich bring uns so sparsam wie nötig zur nächsten Raumwerft, in Ordnung?“

Während der schmale rote Strahl lautlos durch den Wald glitt und alles Grün in Sekunden verdampfte, sank die NIGHTOWL langsam dicht neben dem verunglückten Raumschiff auf den Boden des Plateaus nieder.
Erst hier unten konnte man die wahren Ausmaße des gigantischen Schiffes erahnen, das sich, obwohl beim Aufprall die vorderen zwei Drittel zerrissen, ja regelrecht pulverisiert wurden waren und nur noch die Heckpartie neben ihnen aufragte, wie ein grauer Berg in den Himmel erhob. Das stumpfe graue Metall war von Flechten und Lianen überwuchert.
Während Ter’sa Ra damit begann, einen der Technobots auszuschleusen und das Geschehen auf ihrem Monitor verfolgte, begann Art, mit dem Laserstrahl die feste Außenhaut des riesigen Schiffes aufzuschneiden.
Beinahe zwei Stunden benötigte er dafür. Dagegen war das Vordringen in den Lagerraum dann ein Kinderspiel.
Ter’sa aktivierte einen zweiten Roboter, der, mit einer Kamera ausgerüstet, zu dem Wrack hinüberflog. Sie lenkte den Roboter in die Mitte der riesigen Halle. Auf dem Boden waren Halterungen angebracht, auf denen während dem Flug sicher die großen Maschinen und Geräte befestigt gewesen waren. Der Aufprall aber hatte alle aus ihren Halterungen gerissen und gegen das Schott zum davor befindlichen Raum geschleudert. Die Halterungen selbst hingen als verdrehte, hässliche Gerippe nun mitten im Raum.
Während die Weganerin den Roboter weiter in Richtung der Maschinen steuerte und dann entlang dieses Haufens Schrott, als etwas anderes konnte man es nicht mehr bezeichnen, versuchte Art erfolglos auszumachen, um was für Geräte es sich einmal gehandelt haben mochte.
„Stopp, zurück, Ter’sa“, rief er plötzlich. „Langsam, halt. Siehst du die rote Schrift auf der Maschine da?“
Ter’sa zoomte die kaum erkennbare Schrift heran. Dann stand in riesigen roten Lettern „ODYSSEUS 3“ auf dem Bildschirm.

„Unmöglich“, Pats Stimme klang ungläubig. Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen und auch Jayden schüttelte fassungslos den Kopf. Er sah Art an und fragte: "Hast du Datenbanken diesbezüglich?"
„Es gibt so ein populäres Lexikon aller Schiffe der Erde. Da stehen aber nur ganz allgemeine Angaben drin. Ich kann‘s ja mal versuchen.“
Er ging zu seinem Platz hinüber, lud die Datei auf seinen Monitor und pfiff nach ein paar Augenblicken durch die Zähne. „Bei der ODYSSEUS“, las er dann vor, „handelte es sich um einen Prototypen der heutigen Kolonieschiffe. Ein ehemaliges Transportschiff wurde umgebaut und für den Zweck des interstellaren Fluges getestet. Doch der Versuch schlug fehl. Die ODYSSEUS hat das System der Erde nie verlassen. Sie wurde auf der Raumwerft der Erde demontiert und in ihrer Weiterentwicklung entstand dann später die legendäre PERSEUS-Reihe.“
„Das klingt, als habe es nur ein Schiff dieses Typs gegeben“, meinte Jayden.
„Was aber definitiv nicht so ist“, entgegnete Patricia und wies auf den Monitor.
„Es könnte aber doch sein, dass man die Tests noch eine Weile fortgesetzt hat, ohne es an die Öffentlichkeit zu bringen.“
„Auch damals schon hätte die Öffentlichkeit solche Dinge erfahren“, knurrte Patricia.
„Ich glaube aber nicht, dass es sich ´hier um einen Testflug gehandelt hat.“ Ter’sas Stimme war ruhig und klar, wie immer. „Wozu hätte ein unbemanntes Schiff so ein Lager gebraucht?“ Ter’sa wies auf ihren Monitor und schaltete das Bild auf den großen Hauptschirm. Gigantische Lebensmittelbehälter waren zu sehen, fest in den Wänden des Raumes verankert. Pakete, Tanks und stählerne Kisten. Minutenlang flog der Robot an ihnen vorüber. Das Bild änderte sich kaum.
„Das da“, Jayden konnte kaum an sich halten und wies mit ausgetrecktem Zeigefinger auf die Scheibe der Zentrale, hinter der sich die gigantische graue Masse ausbreitete, „ist ein irdisches Kolonieschiff der ersten Generation, vor über fünfhundert Jahren auf einer Raumwerft der Erde gebaut. Daran besteht keinerlei Zweifel.“
Patricia ging zu ihm hinüber und legte eine Hand auf Jaydens Schulter. „Vielleicht kann Paul etwas herausbekommen“, sagte sie sanft.
Mit Paul Hartmann standen sie in losem Kontakt. Etwa einmal in der Woche nahmen sie mit ihm Verbindung auf. Bisher hatten sie sich aber hauptsächlich auf ihr normales Spiel zurückgezogen und versucht, keine Einzelheiten des Fluges zu besprechen, auch wenn die Verbindung über seinen privaten Kommunikator stattfand.
"Ja", meinte dann auch Jayden, "das halte ich auch für notwendig. Ich wollte ihn sowieso fragen, was er von dieser seltsamen Geschichte mit den Aldebaranern hält. Da kann ich gleich das abgestürzte Kolonieschiff hier ansprechen. Wenn wir irgendwo etwas darüber in Erfahrung bringen können, dann in der Behörde.“ Mit diesen Worten verließ er die Zentrale.
Art starrte eine Weile stumm aus dem Fenster. „ODYSSEUS 3“ sagte er dann mit bebender Stimme und Patricia wusste, dass er an ein ganz anderes Kolonieschiff dachte.

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Texte: Alle Rechte beim Autoren
Tag der Veröffentlichung: 27.11.2011

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