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Das war ein trüber Morgen! Es wollte gar nicht so richtig hell werden. Da kann man eigentlich den ganzen Tag nur dösen, ging es Max durch den Kopf. Doch dann fiel ihm ein, dass der dicke Zweibeiner vielleicht schon den Futternapf gefüllt hatte. Und Fressen war eindeutig noch viel besser als dösen. Er hob sein Hinterteil und streckte sich. Die Krallen der Vorderpfoten bohrten sich in den Stoff seines Schlafkissens. Das war angenehm! Den Weg zum Futternapf fand er auch mit noch nicht ganz geöffneten Augen. Runter vom Schlafkissen, ein paar Schritte nach links, durch die Tür durch, dann noch mal links und dann … Aua, was war das denn? Max machte große Kulleraugen und starrte auf das Gitter, gegen das er gelaufen war. Och, dreimal verschluckte Spielzeugmaus, dachte Max, was soll das? Aber dann fiel es ihm wieder ein. Sein dicker Zweibeiner, der Herr Schreiber, war mal wieder für ein paar Tage zu einem Kongress gefahren, wo viele Leute sich treffen und unnützes Zeug bereden, aber irgendwie doch hin müssen, hatte er Max erklärt. Das war nicht das erste Mal und da der Zweibeiner niemanden hatte, der sich um Max kümmerte, gab er ihn für diese paar Tage im Tierheim ab.
Eigentlich hatte Max ja nichts dagegen. Mal ein paar Tage nichts tun, nur Fressen und Schlafen, war ja mal ganz angenehm. Was ihm aber gar nicht passte, waren diese engen, gefliesten Boxen und die verdammte Gitter ringsherum. Das raubte einem den letzten Nerv! Irgendwie sah die Welt nach ein paar Tagen dann wie in Scheiben geschnitten aus und man musste sich erst wieder an ein normales Leben gewöhnen, wenn man wieder raus war.
Max schlich zurück zu seinem Schlafplatz und rollte sich zusammen. Na denn, auf einen geruhsamen Aufenthalt hier, dachte er.
Etwa zwei Stunden später ging die Tür und zwei Zweibeiner kamen herein. Die eine Person kannte er noch von seinem letzten Aufenthalt hier. Sie war die Chefin des Tierheims. Das war ein gutes Zeichen. Denn ihr Auftauchen bedeutete: Gleich gibt’s was zu fressen. Wurde aber auch langsam Zeit! In seinem Magen machte sich nämlich seit seinem ersten Erwachen heute früh eine immer größer werdende Leere breit.
Der andere Zweibeiner war ebenfalls eine Frau und diese trug einen Katzentransportbehälter in der Hand. Ist doch auch was Gutes, ging es Max durch den Kopf. So kann man einen neuen Kumpel kennen lernen oder noch besser: eine nette Bekanntschaft machen. Eigentlich würde er ja mal gerne so eine Siamkatze kennenlernen. Ob die wirklich so eingebildet waren, wie der schwarze Felix von Nebenan immer meint?
Während Max so tat, als ob er schliefe, schielte er mit einem Auge zu den beiden Frauen und hörte auf ihr Gespräch. „… in dem Betreuten Wohnen sind aber keine Haustiere zugelassen“, sagte die fremde Frau gerade. „Deshalb hat die alte Dame mich schweren Herzens gebeten, ihre Minka hier abzugeben. Ich hätte sie ja gern selbst zu mir genommen, aber ich habe schon zwei Katzen und die kleine Wohnung…“ Max glaubte ihr kein Wort und mit dem halb der Chefin zugewandten Augen nahm er wahr, dass es ihr ähnlich ging. „ Ist ja kein Problem“, meinte die dann, und Max glaubte, einen leicht spöttischen Unterton in ihrer Stimme wahrzunehmen, „diese Box hier ist noch frei. Die neben Max, sehen Sie. Und ich glaube, Minka lässt sich leicht wieder vermitteln. Sie ist ja noch nicht so alt und ganz gesund. Ganz bestimmt findet sich eine alleinstehende Dame, die sich ihrer annimmt.“
Die Frau öffnete die Transportkiste und stellte sie in die Box. Max drehte sich gespannt auf die andere Seite und schielte jetzt zu seiner neuen Nachbarin. Hochgewürgte Haarbällchen, dachte Max, wie kann man nur Minka heißen! Der Name war ja schon längst nicht mehr in.
Als die neue Heiminsassin dann in ihre Box spazierte, staunte Max nicht schlecht. Seine Nachbarin hätte seine Zwillingsschwester sein können. Sie glich ihm beinahe bis aufs Haar, nur die kleinen, schwarzen Pigmentflecken auf den Lippen hatte sie nicht.
Als die beiden Frauen den Raum verließen, um im Büro irgendwelche Formalitäten zu erledigen, wie die Chefin meinte, blieb der Futternapf wieder leer. Max hätte langsam verzweifeln können. Sollte er etwa hier verhungern?
Dann streckte er sich aber trotzdem noch mal, stand von seinem Schlafplatz auf und trottete langsam zu den Gitterstäben hinüber, die seine von der Nachbarbox trennten. Er wollte sich diese Minka doch noch mal genau anschauen!
Leider hatte die sich aber auf ihren Schlafplatz in der hinteren Ecke zurückgezogen, wo nicht Gitterstäbe, sondern eine feste Wand die beiden Boxen trennte. So konnte Max nur undeutlich einen Teil ihres Rückens und ihres Hinterns erkennen. Nettes Hinterteil, dachte Max und grinste.
Dann kam die Tierheimchefin wieder herein und teilte Futter aus. Damit war Max erst mal zufrieden und für eine Weile voll und ganz beschäftigt.


Zwei Tage später hatten sich Max und Minka einigermaßen angefreundet. Wie zufällig strichen sie oft genau zur selben Zeit an dem Gitter herum, dass ihre Boxen trennte. Und sehr oft so eng, dass sich ihr Fell berührte. In dieser Zeit lernte Max diese Gitterstäbe noch mehr zu hassen als früher. Was hätte er darum gegeben, wenn er frei mit Minka hätte herumtollen können. Nachts träumte er dann davon, wie sein dicker Zweibeiner sich in Minka vernarrt, wenn er ihn abholt und sie beide mitnimmt. Heilige Schurrhaare, das wäre ein Spaß!
Die Person, die diesmal das Futter brachte, war nicht die Chefin, sondern ein Mädchen, das er auch vom letzten Besuch hier kannte. Sie arbeitete als Aushilfe in den Ferien hier, war ganz nett, gab einem immer ein Leckerli extra, wenn man sich etwas von ihr kraulen lies und dazu schnurrte wie ein Babykätzchen und ließ sich immer ein neues Spiel einfallen.
„Oh, zwei süße rote Katzen!“ jubelte sie, als sie diesmal in die Boxen sah. Hochgewürgte Haarballen, dachte Max, wieso Katzen? Ich bin ein Kater, sieht man das denn nicht? Und außerdem sind wir beide orange, und nicht rot, liebes Kind. Bist du vielleicht farbenblind?
Doch was sie dann sagte, brachte Max noch mehr außer Fassung. „Ich gehe mit euch beiden im Garten spielen!“ Das war gar nicht gut. Max war bisher nur einmal im Garten gewesen und das war einfach grauenvoll! Da war weder ein Schlafplatz, noch ein Fressnapf, da war überhaupt gar nichts, was er kannte! Alles war so unheimlig und furchteinflößend. Nicht dass er Angst hatte, aber man muss ja stets misstrauisch sein, wenn man sich nicht auskennt, oder?
Dann nahm das Mädchen auch schon zwei Geschirre mit Leinen aus einem Schrank. Oh nein, die nächste schreckliche Erinnerung! Einmal war es ihm ja schon mal gelungen, aus so einem Teil zu fliehen, aber geholfen hatte ihm das auch nicht viel, denn der Garten des Tierheims war mit einem engen Drahtzaun abgesperrt und die Chefin hatte ihn damals schnell wieder einfangen können.
Eine Gelegenheit zu fliehen, gab es nicht, als das Mädchen in seine Box griff, das wusste er. Also versuchte er es anders. Er drückte sich auf den Boden und machte sich ganz dick und schwer. Halbherzig versuchte er auch nach ihrer Hand zu beißen, aber so ganz traute er sich nicht. Das gäbe bestimmt richtig Ärger! Das Mädchen redete unablässig auf ihn ein, aber er verstand sie nicht. Er wollte auch gar nicht zuhören. Trotz seines Widerstandes schaffte sie es, ihm das Geschirr anzulegen.
Als sie ihn außerhalb der Box absetzte, warf er sich gleich wieder zu Boden, aber das Mädchen ignorierte das. Sie hielt die Leine fest in der Hand und öffnete Minkas Box. Die ließ sich widerstandslos herausnehmen und das Geschirr anlegen. Dabei griente sie Max an und zwinkerte ihm zu. Ihr machte es also nichts aus, gefesselt und irgendwohin geführt zu werden, wo sie eigentlich gar nicht hinwollte! Aber ihm das auf diese arrogante Art zu zeigen, war einfach gemein. Dreimal verschl…, ach, lass sie doch, dachte er dann. Sauer wurde er erst dann wieder, als Minka für ihr Schöngetue ein Leckerli von dem Mädchen erhielt, und er leer ausging.
Draußen im Garten wurde es nicht besser. Minka stolzierte an der Leine herum und ließ sich auf alles ein, was ihr in die Quere kam. Flog ihr so ein dummer Schmetterling vor die Nase, sprang sie ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war oder sie was im hohen Gras rascheln hörte, dem sie nachstöbern musste.
Max hingegen drückte sich ganz tief ins Gras, um ja nicht gesehen zu werden. Wer wusste, schon welche Gefahren hier auf ihn lauerten! Aber es war schon interessant Minka zu beobachten. Wie elegant sie sich bewegte und jetzt grinste sie auch nicht mehr höhnisch zu ihm herüber, sondern war voll und ganz konzentriert. Das Dumme war nur, überall wo sie hin sprang, musste das Mädchen, das die Leine in der Hand hielt, hinterher. Und das zerrte ihn überall mit hin. Er würde heute Abend bestimmt ewig damit zubringen, sich wieder zu putzen. Und das tat er gar nicht gern. Das überließ er normalerweise dem dicken Zweibeiner Herrn Schreiber.
Einmal, als das Mädchen gerade mal stillstand weil Minka mal musste, hörte er ein leises Fiepen. Na, das war doch mal was! Das Mäuschen hockte ganz in der Nähe unter einem großen Löwenzahn. Minka hatte es wohl nicht gehört. Das war seine Chance. Schnell duckte er sich noch tiefer ins Gras und fixierte seine Beute. Die schien keine Ahnung zu haben, was ihr für Gefahr drohte. Max spannte alle Muskeln an und hob vorsichtig das Hinterteil an. Nur nicht zu früh abspringen. Da ruckte es kräftig an der Leine, er fiel hart auf die Seite und wurde gleich ein paar Meter weiter geschleift. Verdrecktes Katzenklo, war dieses blöde Katze wieder irgendeinem Schmetterling hinterher gesprungen!
Max war froh, als das Mädchen ihn und Minka nach einer halben Ewigkeit auf den Arm nahm und zurück ins Haus brachte. Was sie sagte, war aber noch viel angenehmer. „So, ihr beiden Süßen, jetzt geht’s wieder in eure Boxen und dann gibt’s Abendbrot!“ Das ließ er sich gefallen.
Doch was dann geschah, brachte ihn fast völlig um den Verstand und sollte sein zukünftiges Leben entscheidend verändern.
Das Mädchen nahm ihnen die Geschirre ab und öffnete eine Boxentür. Dann setzte sie Max hinein und sagte: „So, Minka, da wären wir wieder. Und nächstes Mal stellst du dich nicht so an. Nimm dir lieber mal ein Beispiel an Max, der war richtig gut drauf heute!“ Damit schloss sie die Tür ab.
Max war völlig fassungslos. Wie jetzt: Minka? Was, beim Katzenhimmel, sollte das? Er schüttelte sich und trottete zu seinem Schlafplatz. Aber was war das? Statt seines schönen dicken Schlafkissens stand da – ein rosarotes Katzensofa aus Plüsch!
Oh, nein! Das konnte doch nicht wahr sein! Max sträubten sich alle Haare. Selbst sein sonst so rassig schmaler Schwanz wurde dick wie der Unterarm seines Zweibeiners. Er machte den größten Buckel den er je hinbekommen hatte, aber es half nichts. Das Mädchen nahm ihn gar nicht zur Kenntnis. Sie kümmerte sich nur um Minka. „Na, geh schon“, sagte sie gerade, „stell dich nicht so an, Kätzchen! Es gibt ja auch gleich was zu fressen, du brauchst gar nicht so ängstlich zu gucken.“ Minka hatte also auch gemerkt, dass hier etwas total faul war aber auch sie wurde ignoriert!
Als das Mädchen dann eine Hand voll Trockenfutter in den Napf füllte, versuchte Max, sich aus dem Käfig zu drängeln, wurde aber sanft zurückgeschubst. „Nichts da, Minka“, sagte das Mädchen, „für heute hattest du deinen Auslauf. Da wolltest du nicht. Jetzt bleibst du schön hier drin.“
Als sie ging, drehte sie sich noch mal um und sagte: „Tschüss denn, bis übermorgen. Wenn’s nicht regnet, gehen wir wieder in den Garten spielen!“ Dann schloss sie die Tür.
Max schlich ans Gitter zur Nachbarbox. Diesmal strich Minka nicht wie zufällig daran vorbei, sondern stand da und sah ihn an. Sie grinste nicht, sondern hatte ganz feuchte Augen! Wie gern hätte Max sie jetzt getröstet! Doch dann ließ Minka sich ganz nah am Gitter fallen und drehte sich auf die Seite, damit er ihr Gesicht nicht sah.
Max blieb noch ein paar Augenblicke so stehen, dann legte er sich ebenfalls hin. Ihr Rückenfell berührte sich durch die Gitterstäbe. Hoffentlich merkt die Tierheimchefin morgen den Irrtum, dachte Max noch, oder wenn nicht, kommt vielleicht übermorgen alles wieder in Ordnung.


Das Unheil nahm am nächsten Vormittag seinen Lauf. Die Chefin hatte die Verwechslung natürlich nicht bemerkt. Widerwillig hatte Max das Nassfutter aus Minkas Futternapf in sich hineingewürgt. Der Napf hatte die Form einer Katzenpfote. Wer konnte denn aus so was Fressen? Da sträubte sich ja schon beim Anblick das Nackenfell, verdrecktes Katzenklo!
In der Nacht waren noch zwei weitere Katzen eingeliefert wurden. Polizisten hatten sie in die leere Box auf der rechten Seite von Max untergebracht. Zwei ziemlich verwilderte Perserkatzen, die Max ungläubig angestarrt hatten als sie das rosarote Katzensofa in seiner Box sahen. Er hätte ihnen ins Genick beißen können für diese Blicke! Und wie sie die Schnauzen verzogen hatten, als sie sich arrogant wegdrehten und in den hinteren Teil ihrer Box verschwanden!
Die Chefin war gerade dabei, die beiden Neuankömmlinge zu untersuchen und die Katzenklos zu säubern, als ein junger, völlig unbekannter Mann den Raum betrat.
„Guten Tag“, sagte er zur Chefin.
„Schönen guten Tag, junger Mann! Wie kann ich ihnen helfen?“
„Mein Name ist Meier. Ich bin ein Kollege von Herrn Schreiber und soll seinen Max hier abholen. Herr Schreiber hat noch bis heute Abend in der Firma zu tun und kann ihn während ihrer Öffnungszeiten nicht abholen.“
Max horchte auf. Das durfte doch nicht wahr sein! Wie konnte sein dicker Zweibeiner einen Fremden schicken, um ihn abzuholen? Das musste ja schiefgehen! Was konnte er nur tun?
Während sich die Chefin mit Herrn Meier weiter unterhielt und sich ein Stück Papier zeigen ließ, auf dem der Herr Schreiber den Herrn Meier berechtigt hatte, Max aus dem Tierheim abzuholen, sah Max verstohlen zu Minka hinüber. Diese schien ebenfalls kapiert zu haben, was im Gange war und fauchte die Chefin und Herrn Meier an, als diese ihre Box öffneten. Soviel sie sich auch sträubte, es half nichts. Max fiel aber auch keine Lösung ein. Hilfe! So helft mir doch, schrie es in ihm – aber er brachte keinen Laut heraus.
Hilflos musste er zusehen, wie die Chefin Minka aus der Box nahm und in die Transportkiste steckte, die Herr Meier mitgebracht hatte. In seine Transportkiste, Spielzeugmaus! Das war doch nicht zum Aushalten!
Dann gab die Tierheimchefin Herrn Meier auch noch das schöne dicke Schlafkissen mit und der verließ freundlich grüßend mit Minka das Tierheim!
Max hätte nicht übel Lust gehabt, das rosarote Kuschelsofa mit Krallen und Zähnen zu zerfetzen, beherrschte sich aber dann gerade so.
Ihm blieb nicht viel Zeit zum Nachdenken. Nur wenige Stunden später erschien die Chefin wieder, diesmal in Begleitung einer kleinen Frau, die ungefähr so alt war wie sein Herr Schreiber und auch fast so dick.
„Sehen sie, dass ist die Minka, von der ich ihnen gerade erzählt habe“, sagte die Tierheimchefin gerade. „Sie wird ihnen bestimmt gefallen. Die alte Dame, der sie vorher gehört hat, musste sie leider umständehalber bei uns abgeben.“
Die beiden Frauen traten an die Box. Max machte das finsterste Gesicht, das er konnte, aber keine der Frauen bemerkte es. Obwohl er wusste, dass es ihm nichts brachte, verkroch er sich in die hinterste Ecke und duckte sich eng an den Boden.
„Stell dich nicht so an, Minka!“ sagte die Chefin und zerrte Max nach vorn. „Du wirst es gut haben bei deinem neuen Frauchen!“ Ja, vielleicht, dachte Max. Aber nicht so gut wie bei meinem dicken Herrn Schreiber! Vor allem nicht, wenn ich ständig mit diesem blöden Weibernamen angeredet werde! Verdrecktes Katzenklo, kann mir denn niemand helfen?
Ohne auf seinen Widerstand zu achten, stopfte ihn die Chefin in den Transportkorb, den seine neue Besitzerin mitgebracht hatte.
Bevor diese ging, sagte die Chefin noch: „Damit sich Minka bei ihnen auch richtig wohlfühlt, können sie ja das niedliche Sofa mitnehmen, das ihr schon bei der ehemaligen Besitzerin gehört hat!“
Max würgte schwer an einem Haarbällchen, als er das hörte. Aber dann schob die Chefin auch noch eine rote, eine blaue und eine grüne Spielzeugmaus durch das Gitter des Deckels. Das durfte doch nicht wahr sein!


Als Frau Werner, seine neue Zweibeinerin, den Transportkorb in ihrem Wohnzimmer öffnete, kroch Max widerwillig und sehr vorsichtig heraus. Lieber eine ungewohnte Umgebung, als ständig hinter Gittern, dachte er. Er schaute sich misstrauisch um. Die Wohnung war, soweit er auf den ersten Blick erkennen konnte, viel kleiner und vor allem viel ordentlicher als die seines dicken Zweibeiners. Die Sessel und das Sofa sahen auch sehr bequem aus.
Doch als er nach einem ersten Rundgang durch das Wohnzimmer auf die Lehne eines Sessels sprang, um es sich dort so richtig gemütlich zu machen, schrie die Frau so schrill auf, dass ihm noch Minuten später die Ohren dröhnten.
„Was macht du da, Minka? Geh sofort da runter!!“ Dann packte sie ihn am Genick und stopfte ihn – auf das rosarote Plüschsofa! „Das ist dein Platz!!! Auf meinen Sachen hast du nichts zu suchen, hörst du?“
Max sprang entsetzt fast einen halben Meter in die Höhe. Nicht auf dieses verdammte Sofa, dachte er. Das halte ich nicht aus! Als er wieder auf den Füßen landete, machte er einen riesigen Buckel und fauchte Frau Werner an. Die sah völlig ratlos aus. „Aber ich dachte, dass ist dein Lieblingsplatz!“ sagte sie. „Das hat die Leiterin des Tierheims doch erzählt. Aber bestimmt hast du auch Hunger.“ Das klang doch schon versöhnlicher in Max‘ Ohren.
Sie ging in die Küche und er hörte sie dort eine Weile rumoren. Dann klapperte ein Teller auf dem Flur. „Komm, Minka, komm schön fressen!“ rief Frau Werner. Max schüttelte sich. Konnte sie sich nicht einen anderen Namen ausdenken? Vielleicht Nicki oder so? Doch dann siegte der Hunger und er trottete auf den Flur.
Nach was roch es denn da? So etwas hatte er noch nie gerochen. Vorsichtig näherte er sich dem Fressnapf. Als er das Futter vorsichtig prüfte, stellte er fest, dass es warm war. Und es roch – irgendwie ungenießbar. Er kostete trotzdem und spuckte es gleich wieder aus. Hatte er sich doch gedacht! Weder heißgemachtes Trockenfutter noch angewärmtes Nassfutter aus einer der Dosen, die sein dicker Zweibeiner für ihn öffnete! Das würde er ganz bestimmt nicht fressen!
Andererseits – ehe er hier in der fremden Umgebung verhungern würde? Aber bis dahin war ja noch etwas Zeit. Vielleicht konnte er seine neue Zweibeinerin ja überzeugen, ihm etwas anderes zu servieren.
Je intensiver er die Wohnung erforschte, umso weniger interessant fand er sie. Hier gab es kein dickes, weiches Schlafkissen, keinen Schreibtisch mit Computer und auch keinen schönen Ledersessel, auf dem es sich gemütlich machen konnte, wenn der Zweibeiner mal von seiner Arbeit aufstehen und in die Küche oder sonstwohin gehen musste.
Da konnte ja heiter werden!
Als er es sich abends mit knurrendem Magen auf dem Bett bequem machen wollte, wurde er natürlich sofort wieder im Genick gepackt und hart auf den Boden gesetzt. Wieder musste er eine lautstarke, zornige Rede über sich ergehen lassen von der er kein Wort verstand und auch nicht verstehen wollte, verdrecktes Katzenklo noch mal!!
Er schlich sich in Bad und rollte sich auf den kalten Fliesen zusammen. Während er einschlief, dachte er an Minka. Wenigstens würde die es gut haben beim dicken Herrn Schreiber, ging ihm durch den Kopf. Wenn sie nur wüsste, wovor sie das Schicksal bewahrt hat! Und irgendwie fühlte er sich dann gut, so als ob er dieses Leben hier freiwillig auf sich genommen hatte.


Minka sah das allerdings etwas anders. Herr Meier hatte den Transportbehälter in der fremden Wohnung abgestellt, das Gitter geöffnet und gesagt: „So Max, ist bestimmt schön, wieder zu Hause zu sein. Und dein Herrchen kommt heute Abend ja auch wieder! Ich muss wieder ins Büro, mach’s gut!“ Dann war er gegangen.
In der Wohnung standen alle Türen offen, so dass sie ungehindert alles erkunden konnte. Leider fand sie nicht viel, dass ihr Interesse weckte. Es gab keine Katzenklappe zu einem Garten, wie bei ihrer ehemaligen Besitzerin, keinen richtigen Schlafplatz, nur einen langweiligen glänzenden Napf mit Trockenfutter, das sie gar nicht mochte und nirgends fand sie ein nettes Spielzeug, keine Mäuschen, kein Bällchen, nicht mal ein Schleifenband! Nur der bis zur Decke reichende Kratzbaum erweckte ihr Interesse. Eine Schlafhöhle, ein Schaukelkissen zum Dösen und jede Menge Möglichkeiten, sich die Umwelt von oben zu betrachten!
Auf der obersten Etage machte sie es sich erst mal bequem. Das also war mal Max‘ Wohnung gewesen, dachte sie. Armer Max, dachte sie. So eine langweilige Umgebung hatte er nicht verdient! Bestimmt erging es ihm bei einem anderen Zweibeiner wesentlich besser als hier. Sie würde schon zurechtkommen. Vielleicht konnte sie es irgendwie schaffen, ihren Zweibeiner davon zu überzeugen, selbst Futter zuzubereiten und nicht einfach dieses furchtbare Trockenfutter in den Napf zu schütten! Viel schwerer würde schon werden, ihn von der Notwendigkeit einer freien Umgebung und Spielsachen zu überzeugen.
Über diesen Gedanken schlief sie erst mal ein.
Durch ein lautes: „He, Max, mein Dicker! Ich bin wieder zu Hause, du auch?“ wurde sie Stunden später geweckt.
Sie öffnete die Augen einen Spalt weit und starrte zur Tür. Durch diese kam gerade ein älterer dicker Zweibeiner herein. Der schaute etwas verwirrt, als er Minka erblickte. „Was machst du denn da auf dem Kratzbaum, Max?“ fragte er. Ich hab‘ dich nun schon fünf Jahre, aber den hast du doch bisher immer ignoriert! Haben dir die paar Tage im Tierheim so sehr zugesetzt, mein Lieber?“
Das war etwas, was Minka auch zu schaffen machte: ständig mit Max angeredet zu werden! Aber daran würde sie sich wohl gewöhnen müssen, Menschen waren einfach zu dumm, beim heiligen Katzenhimmel!
Dann sagte ihr neues Herrchen: „So Max, dann wollen wir mal etwas Futter nachlegen, hast bestimmt Hunger nach so vielen Tagen im Tierheim!“ Er wandte sich dem Futternapf zu und in seinen Blick trat grenzenloses Erstaunen. Er sah wieder zu Minka hinüber, schüttelte den Kopf und sagte: „Mit dir stimmt was nicht, Dicker! Du musst krank sein! Hockst auf dem Kratzbaum und lässt einen ganzen Napf voller Futter stehen! Das gefällt mir gar nicht!“
Dann verließ er das Zimmer und machte sich im Nebenraum zu schaffen. Nach ein paar Minuten hörte Minka ihn rufen: „He Max, worauf wartest du? Ich sitze am Computer!!“ Minka wusste zwar nicht, was das heißen sollte, war aber neugierig genug um sich das mal anzusehen.
Elegant sprang sie vom Kratzbaum und lief schnell nach nebenan. Ihr neues Herrchen saß auf einem großen Ledersessel und schlug leicht mit der flachen Hand auf den Tisch vor sich. „Na komm schon, Max“, sagte er, „schreiben wir schnell eine neue Geschichte!“ Minka kniff erstaunt die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Sollte das heißen, sie sollte auf den Tisch springen? Dafür hätte es zu Hause aber ganz schön Ärger gegeben! Aber wenn ihr neuer Zweibeiner es so wollte?! Gewandt sprang sie hoch und rollte sich auf dem Schreibtisch zusammen.
„Nanu, kein Interesse an mir heute?“ fragte der Zweibeiner und kraulte ihr Nackenfell. „Hattest ja auch eine schwere Zeit, mein lieber!“ Minka schnurrte behaglich. Das ließ sie sich gerne gefallen.
Viel später packte Herr Schreiber das weiche Schlafkissen neben das Kopfende seines Bettes. „Na komm, Max, gehen wir schlafen!“
Minka starrte abwechselnd ihn und das Kissen an. Das sah zwar verlockend aus, roch aber viel zu sehr nach Max, als das sie sich draufgelegt hätte. Sie hätte es erst mit ihrem Eigengeruch versehen müssen, um Max‘ seinen zu überdecken. Und das war ihr zu riskant und außerdem irgendwie peinlich. Sie vermisste ihr wunderschönes, weiches Katzensofa sehr!
Traurig rollte sie sich auf den kalten Fliesen des Badezimmers zusammen und versuchte einzuschlafen.
Kurz darauf stand der Zweibeiner neben ihr. „Max, mit dir stimmt was nicht, Lass dich mal ansehen! Ich glaube, wir müssen morgen früh zum Tierarzt fahren, mein Lieber!“ sagte er. Dann nahm er Minka behutsam hoch und sah ihr ins Gesicht. Auf seinem hatte er jetzt ein komisches schwarzes Etwas mit funkelnden Gläsern vor den Augen. Eine Weile sah er ihr ins Gesicht und seine Augen, die ihr hinter den Gläsern sowieso schon viel größer vorkamen, wurden einfach riesig. „Aber, aber du bist ja gar nicht Max!“ brachte er dann stockend und ungläubig hervor und stupste ihr mit einem Finger auf die Lippen. „Oder wo sind deine hübschen schwarzen Fleckchen geblieben?“


Max hatte eine fast schlaflose, unruhige Nacht hinter sich. Von Minka und Herrn Schreiber, dem dicken Zweibeiner, hatte er geträumt und von grinsenden Perserkatzen die ein rosarotes Plüschsofa zerfetzten.
Mit müden und wackligen Beinen hatte er sich an den Futternapf geschleppt und von dem seltsamen, jetzt aber endlich kalten Futter genascht. Nur wenig später hatte er es wieder hervor gewürgt und mitten im Flur von sich gegeben. „Na so was“, hatte seine neue Besitzerin gesagt, „verträgst du gekochtes Essen nicht? Muss ich dir etwas Dosenfutter kaufen?“ Max horchte auf. Das war doch was! „Naja, vielleicht gewöhnst du dich ja noch an mein Futter!“, meinte die Frau dann aber und Max zog enttäuscht den Schwanz an und trottete ins Wohnzimmer. Geistesabwesend starrte er auf die drei Spielzeugmäuse und schüttelte sich. Dann verzog er sich in eine Ecke und fing an, sich zu putzen.
Später versuchte die Frau Werner, ihn zum Spielen zu bewegen, indem sie ihm immer abwechselnd eine der drei Mäuse zuwarf und „na komm schon, bring das Mäuschen zu mir, Minka!“ rief. Sie gab es auf, als Max keinerlei Anstalten machte, zu reagieren. Die Zweibeinerin meinte daraufhin: „Du wirst dich schon noch einleben, mein Kätzchen!“ und verließ das Zimmer.
Kurz darauf klingelte es an der Wohnungstür. Frau Werner öffnete und betrat nur einen Augenblick später das Wohnzimmer – gemeinsam mit dem dicken Zweibeiner Herrn Schreiber, der eine Transportkiste in der Hand trug!
Max konnte es kaum glauben! Er sprang auf, lief so schnell er konnte zu ihm und drückte sich wieder und wieder an seine Beine. Herr Schreiber stellte die Transportkiste ab, nahm Max auf den Arm und lachte als dieser ihm den dicken Kopf unter das Kinn stieß. Er sah Max ins Gesicht, lachte noch mehr und sagte: „Hab ich mir‘s doch gedacht, mein Dicker!“
Er hielt Max mit einer Hand fest, während er den Transportbehälter öffnete und eine sichtlich unausgeschlafene Minka hinaus schritt.
„Ich bin nur froh, dass die Leiterin des Tierheims so einsichtig war, mir ihre Adresse zu geben, Frau Werner!“ sagte der dicke Zweibeiner. „Ich möchte meinen dicken Max unbedingt wiederhaben!“
Max hatte keinen Blick für die beiden Zweibeiner übrig, die sich anlachten. Er sah auch nicht, dass Frau Werner bald danach das Zimmer verließ. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Minka! Er versuchte, sich aus den Armen des Zweibeiners zu befreien und dieser merkte sogar, was in Max vorging. „Na los Dicker“, sagte er, „vielleicht seht ihr euch heute das letzte Mal!“ Damit setzte er ihn auf den Boden und sich auf einen Sessel der Frau Werner, die kurze Zeit später mit zwei Tassen und einer Kanne Kaffe in der Hand wieder hereinkam.
Minka war gar nicht so eingebildet und zickig wie er im Garten des Tierheims gedacht hatte. Sie ließ sich gerne beschnuppern und berühren. Bald schon tollten sie wie wild in der ganzen Wohnung herum. Max geriet zwar bald etwas außer Atem, aber das ließ er sich nicht anmerken.
Als der dicker Zweibeiner, der in der Zwischenzeit zwei Tassen Kaffe und mehrere Gläser Wein mit Frau Werner getrunken hatte, ihn später in den Transportbehälter schob, dachte Max, dass er Minka sicherlich nicht das letzte Mal gesehen hatte, dreimal verschluckte Spielzeugmaus!


Impressum

Texte: Vielen Dank an Lars B. für die Hilfe bei der Gestaltung des Titelbildes
Tag der Veröffentlichung: 10.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mein Beitrag zur „Cats & Dogs Week" bei BookRix vom 05. bis 11.08.2010 Alle handelnden Figuren sind frei erfunden. Ähnlichkeiten zu noch, nicht mehr oder noch nicht lebenden Zwei- und Vierbeinern sind nicht beabsichtigt und mehr oder weniger zufällig in diese Geschichte geraten!

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