1. Kapitel
Ein besonderer Tag
Kesia starrte wütend aus dem Fenster der Burg in den Hof. Ihre schmalen weißen Finger gruben sich in den hölzernen Fensterrahmen. Nur mühsam konnte sie ihre Tränen zurückhalten. Dann drehte sie sich um.
„Warum, Vater“, fragte sie und ihre Stimme bebte vor unterdrückte Wut. „Warum darf ich nicht bei diesem Ereignis dabei sein?“
„Du bist nun mal ein Mädchen, Kesia“, sagte der Vater, der mit verschränkten Armen in der Tür ihres Zimmers stand. Insgeheim hatte er einen weitaus größeren Wutanfall seiner Tochter befürchtet. „Es ist undenkbar, dass du daran teilnimmst. Noch nie war einer Frau, geschweige denn einem Kind gestattet, dabei zu sein.“
„Aber warum denn nur, Vater? Du bist der König dieses Landes und ich deine Tochter. Außerdem weißt du ganz genau, dass so etwas vielleicht nie mehr in meinem Leben geschehen wird. Und schließlich haben sich ja wohl auch die Zeiten geändert, oder etwa nicht?“
König Berion machte ein paar Schritte auf seine Tochter zu. „Du weißt, dass ich es dir erlaubt hätte. Aber der Hohe Rat war dagegen. Und seine Aufgabe ist es, die Traditionen zu wahren und somit unser Land vor moralischem Verfall zu bewahren.“
„Vater, wie redest du? Bin ich etwa etwas Schlechtes, vor dem unser Land geschützt werden muss?“
Jetzt konnte sie die Tränen dann doch nicht mehr zurückhalten. Sie drehte sich wieder zum Fenster um und lehnte die Stirn an die eisige Scheibe. Als ihr Vater an sie herantrat und seine Hand auf ihre Schulter legte, schlug sie diese herunter und warf sich schluchzend auf ihr Bett.
König Berion verließ leise das Zimmer. Er hatte mit vielem gerechnet und leicht war ihm dieser Weg nicht gefallen. Eigentlich hatte er erwartet, dass Kesia ihm und dem Hohen Rat Brygor mehr Widerstand leisten würde. Und irgendwie hatte er das sogar gehofft. Schließlich war er fest davon überzeugt, dass seine Tochter etwas ganz besonderes war. Eine seltsame Aura umgab die kleine Prinzessin. Er hatte es vom Tage ihrer Geburt an gespürt, konnte aber nicht sagen, was es war.
Kesia lag in ihren Kissen und weinte. Der Tag hatte so schön begonnen. Von ihrem Fenster aus hatte sie gesehen, wie die Gesandten der ihrem Vater gehörenden Dörfer und Städte im Burghof eintrafen. Alle waren junge, stattliche Männer in ihren besten Gewändern, auf geschmückten Pferden aber ohne Gefolge.
Tabor hatte ihnen die Pferde abgenommen und persönlich in den Stall geführt, seine Frau
brachte die Gäste auf ihre Zimmer, wo sie sich bis zum Abend ausruhen konnten. Inzwischen waren alle zehn auserwählte Abgesandte eingetroffen und die spannendste Nacht dieses Jahrhundert konnte beginnen. Nur sie, die Tochter des Königs, durfte nicht dabei sein. Es war einfach nicht zu fassen!
Ohne das sie es merkte, ging plötzlich die Tür auf. Leise, auf Zehenspitzen, sich vorsichtig umblickend, schlich sich ein Junge in ihr Zimmer. Es war Tamos, Tabors achtjähriger Sohn und ganze 2 Jahre jünger als sie. So behutsam, wie er das Zimmer betreten hatte, schloss er jetzt die Tür und trat an ihr Bett.
Erst als er zaghaft ihre Schulter berührte, schrak sie auf. „Tamos“, rief sie, „was machst du denn hier?“ Der kleine Junge lächelte sie an und sagte: „Du willst doch heute Abend dabei sein und dein Vater hat es sicher nicht erlaubt.“ Als er ihr trauriges Nicken bemerkte, sprach er weiter. „Du kannst es aber miterleben, Prinzessin, ich weiß einen Weg und habe alles vorbereitet.“
„Ach, Tamos“, sagte sie „wie soll das gehen? Alle werden da sein, wir können uns nicht unbemerkt dazu gesellen. Und unsere Eltern werden sicher dafür sorgen, dass wir auf unseren Zimmern bleiben.“
„Kesia, es gibt Dinge, die bleiben den Erwachsenen verborgen oder sie haben sie bereits wieder vergessen. Manches können nur Kinder entdecken. Ich habe einen Weg gefunden, der uns ganz sicher zu den Ställen führt und einiges habe ich auch schon vorbereitet. Aber jetzt komm, wir müssen uns beeilen, wenn wir unser Versteck sicher erreichen wollen.“
Erstaunt und doch bereitwillig ließ sich das wesentlich größere Mädchen von Tamos an die Hand nehmen. Gemeinsam traten sie dann auf den Gang hinaus.
Durch die hohen Deckengewölbe hallten selbst ihre leisen Schritte furchtbar laut in ihren Ohren. An hohen gewölbten Fenstern schlichen sie sich vorbei wie Diebe. In den Nischen zwischen den Fenstern standen Rüstungen aus längst vergangenen Zeiten. Genau gegenüber waren die Halterungen für die Fackeln aus der damaligen Zeit angebracht. Fast am Ende des Ganges angelangt, blieb Tamos stehen, sah seine Freundin einen Moment lang verschwörerisch an und legte dann seine Hand an einer dieser Fackelhalter. Er drückte ihn kurz in die Richtung, in der sie gerade gegangen waren und lautlos öffnete sich neben ihnen ein Stück der Wand. Dann zog er die erstaunte Kesia schnell in den Gang und schon schloss sich die Tür hinter ihnen.
Völlige Dunkelheit umgab sie jetzt. „Geht die Tür wieder auf?“ Fragte Kesia leise und ein Zittern lag in ihrer Stimme. Das Gesicht ihres Freundes konnte sie zum Glück nicht sehen, aber seine ebenfalls nicht sehr sichere Stimme sagte ihr genug. „Ich hab es von dieser Seite aus noch nicht versucht. Hab ja den Gang selbst erst gestern Nachmittag beim Spielen entdeckt. Bin zufällig an den Fackelhalter gekommen, als ich stolperte. Die anderen Jungs, die mich verfolgten, haben es nicht gesehen. Sie haben sich den ganzen Nachmittag gefragt, wohin ich verschwunden bin. Manche dachten schon, ich hätte mich in deinem Zimmer verkrochen.“
Tamos nahm sie wieder an der Hand und sagte: „Komm, gehen wir. Es gibt keine Stufen. Der Gang ist nicht sehr breit und führt sanft nach unten. Immer in der Mauer des Schlosses entlang. Du wirst staunen, wo wir raus kommen!“
An der Seite ihres Freundes tastete sie sich die Mauer entlang abwärts. Die Zeit kam ihr ewig vor in dieser völligen Dunkelheit. Doch fürchtete sie sich nicht. Ihr ganzer Körper war gespannt und innerlich fieberte sie nun doch dem Ereignis entgegen, auf das sie sich seit fast einem Jahr gefreut hatte. Immer wieder hatten ihr Vater und die anderen Männer am Hof davon gesprochen. Und nun endlich war es soweit, sie aber durfte nicht dabei sein. Davon hatte nie jemand gesprochen, dass ein Mädchen dieses Ereignis nicht erleben durfte!
Plötzlich blieb Tamos stehen und nahm ihre Hand fester. „Wir sind an der unteren Tür,“ sagte er und drückte seinen Körper fest nach vorn. Die Wand vor ihm gab nach und ein schmaler Streifen grelles Licht fiel in den Gang. Fast hätte Kesia aufgeschrien, so war sie geblendet. „Jetzt komm schon,“ sagte Tamos und zog sie in die Helligkeit.
Kesia brauchte einige Augenblicke, teils um sich an das helle Licht zu gewöhnen, teils um zu erkennen, wo sie sich befanden. Hinter ihnen lag die Wand des Schlosses. Die Geheimtür hatte sich bereits hinter ihnen geschlossen und war nicht mehr zu erkennen. An das große Wohngebäude schloss sich ein Flachbau, die Schlossküche, an. Auf deren Dach standen die beiden jetzt. Tamos aber zog Kesia nach unten und beide schmiegten sich ganz dicht an das Dach. „Hier müssen wir ein Stückchen kriechen,“ meinte Tamos, „sonst kann man uns vom Hof aus sehen.“
Kesia wußte, dass sie es nun fast geschafft hatten. Die Stirnseite der Schlossküche grenzte an den massiven Fels, vor dem die gesamte Schlossanlage erbaut war. Und hinter der kahlen Felswand verborgen lagen die wichtigsten, die geheimnisvollsten Anlagen - ja der ganze Sinn dieses Schlosses verborgen. Wenn man auf dem Schlosshof stand und nach dieser Seite schaute, sah man die alles überragende Felsenwand und fast über deren gesamte Breite ein riesiges Tor aus schwerer Bronze, über und über verziert mit geheimnisvollen Zeichen und Symbolen. Eine Arbeit, wie sie wohl nur vor vielen Jahrhunderten hatte ausgeführt werden können. Und damals wußte man vielleicht auch noch um die Bedeutung der mystischen Zeichen.
Neben dem gewaltigen Tor, genau über dem Dach eines auf der linken Seite angrenzenden Geräteschuppens, war ein kleines Bogenfenster in die Felswand eingelassen. Und genau ein solches befand sich auch auf der rechten Seite, über dem Dach der Schlossküche. Und dorthin deutete Tamos jetzt mit dem Kopf. „Da hinein, Kesia“, sagte er. Und sie verstand. „Ich habe es heute Nachmittag nicht ganz zu gemacht,“ setzte er fort, „als ich mit Vater drin war.“
Um dieses Privileg hatten alle Kinder auf dem Schloss Tamos von jeher beneidet. Da sein Vater ja der oberste Hüter der königlichen Tiere war, konnte sich sein Sohn ungehindert in deren Unterkünften aufhalten.
Auf dem Schlosshof erklangen plötzlich die Schritte und Stimmen mehrere Männer. Tamos kroch vorsichtig an den Rand des Daches und schaute nach unten. Dann kam er leise zurück. „Mein Vater bringt die Gesandten jetzt zur Audienz beim König und dem Hohen Rat. Eigentlich würde ich zu gern wissen, was es dort zu bereden gibt.“ Kesia zuckte die Schultern. „Ich weiß es auch nicht. Aber ich glaube, es ist besser, wenn wir uns bald einen sicheren Platz suchen. Sonst erwischen sie uns noch.“ Nachdenklich geworden setzte sie dann hinzu: “Werden sie dich nicht suchen? Du darfst doch bestimmt mit, nachher, schließlich bist du ja kein Mädchen!“ Tamos sagte nichts und drückte vorsichtig das Fenster auf. Nacheinander kletterten sie beide hinein.
Kurz unterhalb des Fensters befand sich ein hohes hölzernes Gestell. Auf diesem blieben sie erst mal still hocken und Tamos schloss das Fenster. Dann konnten sie nach unten klettern.
Sie standen in einer riesigen, von Säulen getragenen, langgestreckten Halle. Jeweils zehn hohe Säulen auf jeder Seite trugen das uralte, aus dem kahlen Fels gearbeitete Gewölbe.
Quer zum Gang stand jeweils zwischen einer Säule und der Längswand einer große, hölzerne Truhe. Große eiserne Schlösser sicherten diese vor dem Hineinsehen. Die Truhen waren alle mit Schnitzereien versehen, welche die gleichen Symbole zeigten, wie sie auch an dem großen Tor zu sehen gewesen waren. Außerdem waren immer wieder Bildnisse großer Drachen zu sehen.
Genauso kunstvoll waren die Wände der Halle gestaltet. Die Wandmalereien, zumeist vermutlich schon Jahrhunderte alt, stellten ebenfalls große Drachen in allen erdenklichen Farbgebungen dar. Über jedem der herrlichen Tiere waren die Porträts von Männern dargestellt. Manchmal eines, meistens aber zwei. Nur hin und wieder tauchten drei Gesichter an einer Drachendarstellung auf. „Wenn ich mal erwachsen bin, werde ich auch ein Drachenreiter.“ Stellte Tamos mit einem Blick auf die Gemälde fest. „Ja, ja“, seufzte Kesia, „immerhin bist du ja auch ein Junge und der Sohn des Ersten Drachenreiters meines Vaters. Du wirst wohl auf alle Fälle diesen Weg gehen. Und ich? Nur mein Vater kann sagen, was er mit mir vorhat und was ich in meinem Leben mal machen werde.“ „So schlimm wird es schon nicht werden.“ Sagte Tamos. „Du bist und bleibst ja die Prinzessin von Enodless.“ „Und außerdem weiß man ja nie, was das Leben für einen bereithält.“ Setzte er hinzu, als er Kesias mürrisches Gesicht sah.
Langsam schritten sie den Gang auf das Ende der Halle zu. Dort befand sich ein ähnliches Tor wie auf der anderen Seite, nur das dieses aus Holz war. Großartige Schnitzereien prangten auch hier. Auch hier waren Drachen und Menschen aus dem Holz heraus gearbeitet. Langsam strich Kesia mit der Hand über das Holz. „Wunderbar!“ sagte sie nur, und Tamos wußte nicht so ganz, ob sie die Darstellungen oder die Tiere meinte.
Dann nahm Tamos den großen Bronzering an der Tür in die Hand und zog sie auf. „Komm schon rein“, sagte er, „wird Zeit, dass wir uns verstecken!“
Der Raum, welcher sich an die große Halle anschloss, war noch viel gewaltiger in seinen Ausmaßen. Ebenso wie in der Eingangshalle war in der Mitte ein Gang, rechts und links gesäumt von hohen Säulen. Diese waren hier allerdings mit den schönsten und wertvollsten Edelsteinen geschmückt, die man sich vorstellen kann. Gut versteckt waren hier und da kunstvolle Fackelhalter angebracht. Ihr Licht brach sich tausendfach in den Diamanten, Saphiren und Rubinen. Dadurch herrschte eine Farbenvielfalt, die durch das Fackellicht auch noch in ständiger Bewegung war, dass es einem jeden Menschen, der diesen Raum betrat, den Atem verschlug. Dazu lag ein Geruch in der Luft, der trotz zugesetzter Duftstoffe auf die Haltung von Tieren hinwies.
Und links vom Gang waren auch Tiere untergebracht. Zwanzig gewaltige Boxen öffneten sich in den Felsen hinein. Ein hinteres Ende war nicht zu sehen. Vermutlich schloss sich ein Labyrinth aus Gängen dort an, die aber noch nie ein Mensch betreten hatte. In einigen Boxen hielten sich die Bewohner im vorderen Teil ihrer Unterkunft auf. Kesia und Tamos traten an die Tiere heran. Beide waren sie schon oft hier gewesen und hatten beim Füttern und Reinigen geholfen. Es handelte sich natürlich um riesige, wunderschöne Drachen aller Farbschattierungen.
Langsam gingen beide Kinder an den Drachen vorbei und begrüßten jeden einzelnen liebevoll mit seinem Namen und einem sanften Streicheln. Von den zwanzig Boxen waren aber nur sechzehn benutzt. In der Letzten lag ein herrliches, goldenes Drachenweibchen. Ihr Kopf lag nahe dem Gang auf einem Strohballen. Kesia kniete neben dem schönen Tier nieder und strich ihm langsam über den Kopf. „Na, Elidaria,“ sagte sie, „heute ist dein großer Tag! Und ich hab die doch versprochen, dass ich dabei sein werde. Es ist schön, dass ich es geschafft habe. Na, ohne Tamos wäre es wohl nicht möglich gewesen. Ich wünsche die viel Glück für nachher.“
Dann sah sie zu Tamos auf. „Suchen wir uns ein Versteck,“ sagte sie und sah sich um. Genau gegenüber Elidarias Box stand ein Holzgestell, eine Art Regal, auf welchem Heu und Futtermittel gelagert waren. „Das ist gut“, sagte sie zu Tamos, „wir verstecken uns dort im Heu und können alles bestens sehen.“ Auch Tamos fand das Versteck hervorragend geeignet.
„Was besseres können wir kaum finden!“ meinte auch er und sie kletterten in das Heu hinauf.
Inzwischen hatte König Berion im Thronsaal alle Gesandten versammelt. Ihm zur Seite standen der Hohe Rat Brygor und der Erste Drachenreiter Tabor.
Berion hatte zu Ehren des Tages seinen tiefblauen Krönungsmantel umgelegt. In der rechten Hand hielt er das Zeichen seiner Macht, das Drachenzepter. Hoch aufgerichtet stand er vor den Männern. Seine fast vierzig Lebensjahre sah man ihm nicht an. Ohne jede graue Strähne fiel ihm das schwarze Haar auf die Schultern. Auch sein Vollbart war noch ohne ein graues Haar. Dafür fiel seine muskulöse Gestalt um so deutlicher auf.
Der ihm zur linken Seite stehende Brygor hob die Hand. Gespannt sahen alle im Saal versammelten Männer auf den Alten. „Ihr seit heute hier vor dem König dieses Landes erschienen, um ein ganz besonderes Ereignis mitzuerleben“, begann er. „Nur wenige Menschen haben je die Gelegenheit, dies zu sehen. Ihr seid von euren Dorfältesten oder Stadträten hierher geschickt worden, und nur dieses wurde euch mitgeteilt. An mir ist es nun, euch allen zu verkünden, was euch erwartet. Doch, habt noch etwas Geduld, liebe junge Freunde. Eines nur will ich noch vorausschicken, das ihr wissen müsst. Einer von euch wird seinen Heimatort für lange, lange Zeit verlassen haben. Die anderen werden morgen früh zu ihren Lieben heimkehren, aber mit einem bleibenden Erlebnis in ihrem Inneren.“
Ein Raunen ging durch die Runde der jungen Männer. Jeder sah den anderen an. „Was soll das heißen, Hoher Rat?“ fragte ein junger Bursche, höchstens sechzehn oder siebzehn Jahre alt, im braunen Sonntagsrock eines Dorfbewohners.
„Es ist nicht richtig, junger Freund Mantilia aus Bresbonia“, rügte ihn Brygor, „den Hohen Rat des Königs in seiner Rede zu unterbrechen. Aber Dank deiner Jugend sei dir noch einmal verziehen. Wer weiß, vielleicht bist gar du es, der auserwählt wird, seine nächsten Jahre auf der Burg zu verbringen.“ Beschämt sah der Junge zu Boden und verneigte sich vor Brygor und dem König. Der Hohe Rat sah erneut in die Runde. Die Gesichter der jungen Männer hatten an Ernsthaftigkeit und Spannung gewonnen, gerade, als ob sie sich jetzt erst bewusst geworden wären, welche Ehre ihnen von ihren Städten und Dörfern entgegengebracht wurde.
Zufrieden nickte er. „So will ich dann erst mal dem König das Wort erteilen.“, sagte er und trat drei Schritte zurück.
Jetzt trat Berion nach vorn, ging aber noch weiter an die Männer heran. „Ihr alle wisst, weshalb diese Burg erbaut wurde und was für eine Aufgabe sie zu erfüllen hat.“ begann er. „Ja, wir sind die Halter und Züchter der großen Drachen dieses Landes. Vor vielen Jahrhunderten begann es mit einem wahnsinnigen Krieg, in den nach und nach alle Völker unseres Planeten gestürzt wurden. Auf allen Seiten starben die besten und treuesten Söhne und Töchter ihres Volkes. Und dennoch war viele Jahre kein Ende abzusehen. Wahrscheinlich hätten sich sämtliche Völker gemeinsam ausgerottet, wenn nicht an einem hellen, strahlenden Tag sich plötzlich der Himmel verfinstert hätte. Aber nicht die Sonne hatte sich zurückgezogen, sondern riesige Schwingen verdeckten den Himmel. Keiner, ob Mensch, Elf oder irgendein anderes Wesen wußte, woher die seltsamen Wesen kamen, die auf einmal den Himmel bevölkerten. Und auf ihren Rücken saßen Reiter, die uns sehr ähnlich sahen, aber keine von uns waren. Sie hatten keine Waffen bei sich und doch wagte niemand, sie anzugreifen. Kaum dass ihre Tiere auf dem Boden gelandet waren, sprangen die Reiter herunter und gingen auf die Heerführer der Kämpfenden zu. `Wir sind gekommen, um dieses sinnlose Kämpfen zu beenden`, sagten sie in den verschiedenen Sprachen der Völker. `Wir werden mit euren Anführern reden und dann werdet ihr alle zurückkehren und es wird wieder Frieden auf eurem Planeten herrschen`, meinten sie und wie unter einem Bann stehend, nahmen die Anführer der Völker je einen der Drachenreiter mit in ihre Unterkunft. Bis heute weiß kein Mensch, kein Elf oder sonst jemand, was dort besprochen wurde. Auf alle Fälle haben die Unterredungen mehrere Tage gedauert. Dann kamen die Drachenreiter mit den Heerführern wieder zu den Kämpfern und der Große Frieden wurde noch am gleichen Tage beschlossen. Seit dieser Zeit kam es zwar immer wieder zu kleineren Auseinandersetzungen zwischen den Völkern, aber nie mehr zu einem solchen Krieg.“
Gespannt sah er in die Gesichter der Männer und ging unter ihnen herum, während er weiter sprach. „Viele Jahrzehnte später kamen die fremden Drachenreiter wieder. Aus allen Völkern wurden mehrere Anführer zu einer gemeinsamen Beratung gebeten. Da sich die Beziehungen zwischen allen Lebewesen auf Enodless verbessert hatten, überreichten die Fremden kostbare Geschenke an alle Völker. Wie sich herausstellte, waren alle Drachen, mit denen die Fremden diesmal gekommen waren, Weibchen, die in wenigen Wochen ihr Ei legen würden. Die Drachenjungen waren für die Völker von Enodless bestimmt. Welch unheimliche Menge an Dachen müssen die Fremden in ihrer Heimat besessen haben! Wie wir heute wissen, werden die Drachen zwar sehr alt, bis zu dreihundert Jahre, legen aber nur wenige Eier. Normale Drachen etwa fünf oder sechs Stück in ihrem Leben, die Königsdrachen-Weibchen aber nur eines oder höchstens zwei. Und auch von diesen waren ein paar dabei. Nun, um es kurz zu machen, die Jungen schlüpften etwa ein halbes Jahr später. Bis dahin hatten die fremden Drachenreiter aus jedem Volk junge Leute ausgebildet und ihnen beigebracht, mit diesen herrlichen Tieren umzugehen. Vieles wäre noch zu sagen, aber alles dürft ihr nicht wissen, junge Freunde. Und vieles wissen auch nur die Drachenreiter und kein anderer. Denn seit dieser längst vergangenen Zeit werden die Geheimnisse der Drachenzüchtung nur unter den Reitern weitergegeben. Doch jetzt habe ich genug gesprochen, alles was noch zu sagen ist, erfahrt ihr von Brygor.“ Damit trat der König aus dem Kreis der Männer heraus und ließ sich auf seinem Thron nieder.
Der Hohe Rat, Brygor von Hermsdellen, trat wieder in den Kreis der Männer. Er war um die sechzig Jahre alt, aber noch voll bei Kräften. Um sein langes, ergrautes Haar trug er einen goldenen Stirnreif mit verschiedenen geprägten Motiven. Sein tiefblauer Mantel reichte bis zum Boden. Weniger aus Kraftlosigkeit, vielmehr voller Erhabenheit stützte er sich auf einen weißen Stab in seiner Rechten.
„So wisst, denn edle Männer dieses Landes, dass heute der Tag gekommen ist, an dem Elidaria, des Königs treue Begleiterin, das goldene Königsdrachen-Weibchen, ihr einziges Ei ausbrüten wird. Ganze einhunderteinundachtzig Tage hat sie es in ihrer Bauchtasche getragen und gewärmt. Und heute nun, an diesem denkwürdigen Tage, wird ihr einziges Junge das Licht dieser Welt erblicken!“
Für einen Augenblick herrschte tiefstes Schweigen in der großen Halle. Brygor genoss es richtig, in die fassungslosen Augen der Umstehenden zu sehen. Die jungen Männer wagten kaum, sich zu bewegen. Denn sie sahen dem Hohen Rat an, dass er noch etwas zu sagen hatte. „Ja, hochverehrte Herren“, setzte er dann auch fort, „ihr werdet heute Zeugen dieses äußerst seltenen Ereignisses sein. Und noch eure Nachkommen werden ihren Kindern davon berichten. Aber noch etwas, ist wichtig an diesem Tag, diesem Abend oder dieser Nacht. Euer König hat euch vorhin die Geschichte der Drachenreiter nicht umsonst erzählt. Denn heute wird sich entscheiden, wer von euch der nächste Drachenreiter an unserem Hof werden wird! Denn der junge Drache wird sich seinen Reiter, seinen Betreuer und Begleiter auf Lebenszeit selbst erwählen. Und dieser, dem sich heute sein Schicksal offenbaren wird, kann nicht mehr nach Hause zurückkehren. Er wird sein Leben dem Drachen weihen müssen und ist auf ewig mit ihm verbunden.“
Damit trat der Hohe Rat zurück und überließ die Männer für einige Augenblicke ihren Gedanken und Gefühlen. Kaum einer wagte es, sich zu rühren oder zu sprechen. Damit hatte keiner von ihnen gerechnet.
Dann trat zu ersten Mal auch Tabor nach vorn. Im gleichen Alter etwa wie der König, aber von untersetzter Gestalt, mit kurzen gelockten blonden Haaren, in den Trachtenanzug des Landes gekleidet, machte er eher den Eindruck eines Jägers, als den einer hochrangigen Persönlichkeit am Hofe.
„So lasst uns dann, nach dem ihr alles Notwendige erfahren habt, die Unterkunft der Drachen aufsuchen, damit dass Schicksal seinen Lauf nimmt. Ich werde euch dabei begleiten. Der König und der Hohe Rat werden sich etwas später dazu gesellen. Macht euch aber auf das wichtigste und schönste Ereignis eures Lebens gefasst.“
Dann verließ er mit den Männern den Thronsaal.
Auf dem Holzgestell hatten es sich Tamos und Kesia inzwischen einigermaßen bequem gemacht. Zwischen den Heuballen hatten sie sich weit nach vorn gegraben, damit sie einen guten Blick auf Elidaria hatten. Die hatte sich wieder hingelegt und die wunderschönen Augen geschlossen. Die anderen Drachen zogen sich nach und nach in ihre Höhlen zurück. „Als ob sie merken, dass bald etwas geschehen wird.“, sagte Kesia. Tamos nickte und flüsterte: “Und als ob sie wüssten, dass sie dabei sowieso niemand beachten würde.“
Kurz darauf erhob sich Elidaria für einen Moment auf ihre Hinterbeine und breitete die gewaltigen Flügel aus. Der Luftstrom den sie verursachte, als sie die Flügel wieder anlegte, wehte eine Menge von dem Heu, das die Kinder versteckte, weg und Kesia musste niesen. „Hoffentlich passiert das nachher nicht.“, meinte Tamos und fragte dann: „Hast du das Ei gesehen?“ Kesia schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie, „das hat sie bestimmt noch in ihrer Bauchfalte. Vater hat mir erzählt, dass die Drachenweibchen das Ei genau dreihundert Tage in einer Bauchfalte bei sich tragen. Erst wenige Minuten vor dem Schlüpfen des Jungen wird das Ei dann auf dem Boden abgelegt. Das ist der Moment, auf den alle hier warten.“
„Man kann sich kaum vorstellen, dass ein Drachenjunges mal so ein riesiges Tier werden kann.“, sagte Tamos. „Wieso, hast du schon eines gesehen?“ fragte Kesia ihn. „Nein,“ lachte er, „ich meine ja nur. Es ist bestimmt klein und niedlich.“ „Du warst auch mal klein und niedlich.“ „Ach, und du wohl nicht ?“
Sie hätten sich so bestimmt noch eine ganze Weile weiter geneckt, wenn nicht in diesem Augenblick die gewaltige Holztür aufgestoßen wurden wäre und Tamos Vater mit den Gesandten die Drachenhalle betreten hätten.
Sofort verharrten die Kinder ohne sich weiter zu mucksen. Tabor ging mit den Männern zielstrebig bis zu Elidarias Lager. Dort ließ er die Männer einen Halbkreis bilden. Viele von ihnen hatten noch nie einen Drachen gesehen oder doch zumindest nicht aus einer solchen Nähe. „Eines muss ich euch noch sagen Freunde,“ begann er, „was auch geschieht, wie groß euer Erstaunen auch sein wird, bleibt bitte an eurem jetzigen Platz stehen. Und versucht auch nicht, das Tier zu berühren. Sie darf durch nichts erschreckt werden. Das könnte lebensgefährlich für uns alle sein.“
„Es stimmt also, dass Drachen Feuer speien, wenn sie wütend sind?“ fragte der junge Mantilia. Tabor lächelte. „Nein junger Freund. Seit vielen Jahrhunderten schon nicht mehr. Früher, ja da gab es viele Arten, denen diese fürchterliche Waffe gegeben war. Da sie aber nicht mehr zu kämpfen brauchen, weder für sich noch für uns, hat sich diese Eigenschaft vermutlich zurück gebildet. Vielleicht, wenn es überhaupt noch wilde, freie Drachen gibt, vermögen diese das noch. Aber glaub mir, auch ohne Feueratem sind Drachen furchtbare Gegner und sehr gefährlich, wenn sie erschreckt oder wütend werden.“
„Wann wird das Junge schlüpfen?“ fragte ein anderer junger Mann. Tabor zuckte die Schultern. „Es kann jeden Moment soweit sein. Die dreihundert Tage, die das Weibchen an dem Ei trägt, sind heute um. Aber auf die Stunde genau kann man es nicht bestimmen.“
Dann trat er zu Elidaria und streichelte ihren Kopf. Die großen Drachenaugen sahen ihn jetzt ganz fest an. „Du hast es bestimmt bald geschafft, du Liebe“, sprach er mit ruhiger Stimme zu ihr. Seit vielen Jahren wartet der Königshof auf einen neuen jungen Drachen. Und das ausgerechnet du uns dieses Glück bescherst, ist ein große Geste von die, Königin unserer Drachen.“
Als ob sie ihn verstehen könnte, drückte Elidaria ihren Kopf an seine Schulter. Tabor streichelte ihr dann den schlanken schuppigen Hals. Wie Schlangenhaut fühlte er sich an. Und dennoch schien es Tabor, als könne er ihr Blut aufgeregt durch die Adern strömen fühlen. „Es geht bald los, stimmt's?“ sagte er. Und wie zur Bestätigung hob das Drachenweibchen majestätisch den Kopf.
In ihrem Versteck stieß Tamos seine Freundin an. Sie nickte zur Bestätigung, denn sie hatte genauso wie er die Worte seines Vaters verstanden. Um besser sehen zu können, schob sie sich ganz langsam und vorsichtig nach vorn. Kein Mensch, aber Elidaria hatte das Geräusch vernommen. Sie drehte plötzlich den Kopf und schien Kesia genau anzusehen. Die wollte sich, obwohl es sicher nicht nötig gewesen wäre, zurückziehen. Doch plötzlich gab das Brett des Regals unter ihr nach. Mit einem gewaltigen Krach brach ihr Versteck zusammen.
Noch ehe die anwesenden Männer reagieren konnten, sprang das Drachenweibchen mit einem riesigen Satz von seinem Lager auf, stieß einen trompetenden Schrei aus und erhob sich mit einem gewaltigen Flügelschlag in die Luft. Holz und Heu wurden in die Luft gewirbelt, Männer stürzten zu Boden und keiner bemerkte, wie ein großes, graues Ei aus Elidarias Bauchtasche auf den Boden fiel. Dann flog sie auch schon auf das Ausgangstor zu. Selbst Tabor war nicht in der Lage, sie aufzuhalten. Mit einem lauten Krach brach das Tor aus den Angeln, als sich der Drache mit seiner ganzen Kraft dagegen warf.
„Nein,“ rief Tabor, „du darfst nicht fliehen, bleib hier, Elidaria !“ Doch es war zu spät. Verzweifelt rannte er ihr nach in die Vorhalle. Auch die anderen jungen Männer rannten ihm nach. Jeder versuchte in dem Durcheinander den großen Drachen irgendwie aufzuhalten.
Aber es half nichts, mit ihrer gewaltigen Kraft stieß das Drachenweibchen auch die bronzene Tür der Vorhalle auf und gelangte auf den Hof. In ihrer Angst drehte sie sich in der Luft um sich selbst und riss Tabor und alle seine Männer erneut zu Boden. Dann schwang sie sich in den Himmel und flog mit hoher Geschwindigkeit davon.
Gerade in diesem Augenblick traten der König und der Hohe Rat aus dem Gebäude auf die Schlosstreppe. Entsetzt starrten sie auf die Männer und dann dem davonfliegenden Drachen nach, dessen Schuppen in der untergehenden Sonne rotgolden leuchteten.
Tabor hatte sich als erster wieder gefasst. Er begriff, was für einen Fehler er gemacht hatte. „Kommt, schnell, zurück in den Stall!“ rief er seinen Männern zu.
Doch es war bereits zu spät. Kesia und Tamos hatten sich aus den Trümmern des Regals gewühlt und versuchten, sich von Staub und Heu zu befreien. Plötzlich schrie Tamos leise auf. „Sieh, Kesia, Das Drachenei ist gesprungen, es platzt auseinander!“ Als das Mädchen zu Elidarias Lagerstatt hinübersah, schob sich bereits ein kleiner, schlangenähnlicher Kopf aus dem Ei. Nur wenige Augenblicke später hatte sich das Drachenjunge schon fast ganz befreit. Es öffnete die Augen und sah Tamos ganz genau an, der nur etwa eine Armlänge von ihm entfernt auf dem Boden hockte. Ein sanfter goldener Schimmer lag über den kleinen Drachenaugen. Tamos konnte ganz einfach nicht anders. Er nahm den kleinen Drachen in die Arme und dabei entdeckte er ein zweites Ei. Es lag genau an der Stelle, auf der Elidaria noch vor wenigen Minuten gelegen hatte. Und auch dieses Ei hatte bereits Risse. Noch ehe er etwas sagen konnte, hatte auch Kesia es gesehen. Ungläubig kam sie ein Stück näher. Noch nie hatte sie gehört, dass ein Drachenweibchen zwei Eier auf einmal gelegt hatte. Während ihre Finger immer noch zweifelnd über die glatte Schale glitten, zersprang es in zwei Hälften. Zwischen den Schalen lag ein kleiner Drachen, genauso goldfarben wie der erste. Aufgeregt und liebevoll zugleich streichelte Kesia das kleine Tier. Es atmete ruhig und sein ganzer Körper hob und senkte sich mit jedem Atemzug.
Genau in dem Moment, als Kesias Drachen die Augen aufschlug und sie mit ruhigem, wissenden Blick ansah, betraten Tabor und die anderen Männer den Drachensaal.
Der Drachenreiter wurde blass und klammerte sich bestürzt und verzweifelt an eine Säule, als er die beiden Kinder mit den Drachen da sitzen sah. Mantilia und seine Gefährten sahen voller Unverständnis und doch überwältigt auf die ganze Szenerie. Keiner sprach auch nur ein Wort.
Der Erste, der sich wieder rühren konnte, war Tabor. Langsam ging er auf die Kinder zu. Schweigend sah er sie und die beiden Drachen an. Auch für ihn war es unfassbar, zwei junge Drachen auf einmal zu sehen. So etwas war seines Wissens noch niemals vorgekommen. Aber nicht das war es, was ihn so erschreckt hatte. Etwas viel Unerhörteres war geschehen. Er schüttelte den Kopf und sagte mit leiser Stimme zu den beiden Kindern: „Ihr könnt ja gar nicht wissen, was ihr da angerichtet habt.“
Da betraten Berion und Brygor den Saal. Als sie sich durch die wie eine schweigende Mauer im Raum stehende Menge der Männer geschoben hatten, standen sie genauso fassungslos vor Elidarias Lager wie die anderen. Der König sank auf die Knie und schlug die Hände vor das Gesicht, als könne er den Anblick der sich ihm bot, nicht ertragen. Brygor war totenblass und seine Finger krampften sich um den Stab. Er stützte sich auf den am Boden knienden König und murmelte unverständliche Worte. Wohl ein uraltes, seit Menschengedenken nicht mehr gesprochenes Gebet.
Berion sah zu Tabor auf und fragte: „Wie konnte das nur passieren ?“ Der Angesprochene konnte nur mit Schultern zucken. Die beiden Kinder wagten sich nicht zu bewegen. Ihnen war nicht klar, was die Erwachsenen so entsetzte. Beide kleinen Drachen schienen völlig gesund zu sein und waren ausgesprochen niedlich. Und sie selbst hatten ja keinem etwas getan.
Wieder war es Tabor, der sich als erster fasste. Er trat zu seinem König und legte ihm ebenfalls die Hand auf die Schulter. Als Berion zu ihm aufsah, sagte er: „König Berion, ich werde mich auf die Suche nach Elidaria machen. Es ist wichtig, dass sie zu ihren Jungen zurückkehrt. Sorgt nur bitte dafür, dass Bent Heerwegen noch in dieser Nacht zu meiner Unterstützung geholt wird. Er soll gen Osten fliegen, ich nehme die südliche Richtung. Vermutlich ist sie in die Nebelberge geflohen. Die jungen Männer hier lasst bitte im Schloss übernachten und schickt sie morgen in ihre Dörfer und Städte zurück. Sie mögen aber einen heiligen Schwur leisten, über das hier Gesehene bis an ihr Lebensende zu schweigen.“
Dann wandte er sich zu den Kindern um. „Und ihr werdet hier verharren, bis ich mit Elidaria zurück bin und sie sich um ihre Jungen kümmern kann. Oder bis diese beiden edlen Geschöpfe in euren Armen für immer einschlafen. Länger als zwei Tage wird das sowieso nicht dauern. Bis dahin müsst ihr versuchen, sie warm zu halten, mit Stroh abzureiben und vielleicht fällt euch auch etwas ein, wie ihr sie ernähren könnt. Auf keinen Fall dürft ihr euch in dieser Zeit von ihnen trennen. Solltet ihr es aber dennoch wagen, wird euch eine harte Strafe treffen.“
Damit schritt er den Gang entlang auf die große Halle zu und blieb vor dem ersten Drachenlager neben dem zertrümmerten Eingangstor stehen. Er formte seine Hände vor dem Mund zu einem Trichter und rief in Richtung der Felswand: „Komm mir zu Hilfe großer Berikator, eine Aufgabe haben wir zu erfüllen, zu unserer beider Ehre und zu Anderer Glück!“
Nur wenige Augenblicke, nachdem er diesen uralten Spruch seinem Drachen zugerufen hatte, schob dieser sich aus der Höhle.
Tabors Drachen war einer der große roten Rasse. Er war über zwölf Meter lang und seinen gewaltigen Kopf zierten eine festes Nackenschild und zwei nach vorn gebogene Hörner. An der Vorderseite des Halses und bis zur Bauchdecke schien die rote Farbe mit feinem Silber vermischt zu sein. Am Ende seines Schwanzes war eine streitkolbenartige Verdickung zu sehen. Eine gefährliche Waffe.
Trotz seines furchteinflößenden Äußeren begrüßte er Tabor sehr vertraut und rieb seinen Kopf an dessen Brust. Erst nachdem Tabor ihm liebevoll über den Kopf gestreichelt hatte, bewegte das Tier sich langsam in die Vorhalle. Dort öffnete sein Reiter eine der großen Truhen. Und nun sah man auch, dass deren Verzierungen das genaue Abbild Berikators darstellten. Aus der Truhe nahm Tabor verschiedenes Sattelzeug, Lederriemen, Bündel und verschieden Packen. Das alles befestigte er gewandt und geschickt an seinem Drachen.
Nur wenige Minuten später erhob sich Berikator mit ihm in den Himmel, der sich allmählich verdunkelte.
In der Drachenhalle drehte sich der König zu den wartenden Männern um. Mit einer müden Armbewegung zur Tür hin sprach er: „Geht nun auf eure Zimmer, Freunde. Ihr werdet mit Speisen und Tränken versorgt werden. Ihr habt gehört, was Tabor gesagt hat, für euch gibt es hier nichts mehr zu tun. Morgen früh, ehe ihr aufbrecht, werde ich euch noch einmal rufen lassen.“
Nachdem die jungen Männer die Halle verlassen hatten, sagte er zu Brygor: „Es ist unfassbar, was heute geschehen ist. Wir sollten uns jetzt ebenfalls zurückziehen und besprechen, was wir als nächstes unternehmen müssen.“
Der Hohe Rat nickte nur. Seine Hände krampften sich um den Knauf des Stockes. Kraftlos erschien er den beiden Kindern jetzt. Ein alter, gebrochener Mann. So hatten sie ihn noch nie gesehen.
Endlich fand Kesia wieder ein paar Worte. „Was ist denn bloß geschehen, Vater? Wir haben doch nichts gemacht. Das mit Elidaria tut uns leid, glaub mir, aber...“ . „Schweig“, herrschte der Vater sie an. „Kein Wort mehr heute. Ich ... ach“, er brach ab und drehte sich um. Langsam verließ er mit Brygor die Halle.
Im Schein einer einzigen Fackel blieben die Kinder zurück. Die beiden kleinen Drachen hatten sich an ihre Seiten geschmiegt und schliefen. Beide Kinder decken die Drachen mit dem herumliegenden Heu zu. Dann versuchten auch sie einzuschlafen.
„Kannst du die vorstellen, warum alle so entsetzt und böse auf uns sind?“ fragte Tamos dann leise. „Nein, wir haben doch wirklich nichts weiter getan,“ antwortete Kesia. „ Ich wollte doch nicht, dass Elidaria so erschrickt und gleich wegfliegt.“ „Mein Vater wird sie schon zurückbringen, hab nur keine Angst.“
Dann schmiegte er sich fester an das Drachenjunge. Das sanfte Pulsieren des Blutes unter dessen Haut wiegte ihn in den Schlaf. Kurz darauf waren beide Kinder eingeschlafen.
Stunden später, etwa zwei Stunden nach Mitternacht, betrat ein junger Mann mit einer Fackel in der Hand die Halle. Ähnlich wie Tabor war er gekleidet, in Ledergewänder von brauner Farbe. Um die Hüfte einen Gurt geschnallt, an welchem sich viele kleine Taschen befanden. Jünger war er als Tabor, höchstens fünfundzwanzig Jahre alt. Lange braune Locken fielen ihm auf die Schultern, von einem breiten, silbernen Reif aus der Stirn gehalten.
Er trat an das Lager der Kinder, betrachtete diese und die beiden Drachen mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht und drehte sich dann zu der Drachenbox neben Elidarias Lager. Auf die gleiche Art und Weise wie zuvor Tabor rief er laut: „Komm mir zu Hilfe großer Dragonidor, eine Aufgabe habe wir zu erfüllen, zu unserer beider Ehre und zu Anderer Glück!“
Davon erwachten die beiden Kinder. „Bent“, rief Tamos erfreut. „wirst du Vater und Elidaria finden?“ „Klar, Tamos, morgen Abend hast du deinen Vater wieder. Das verspreche ich dir bei meiner Ehre.“
Inzwischen war Dragonidor aus seiner Höhle gekrochen. Er war ein ganzes Stück kleiner und schmaler als Berikator. Seine Schuppen hatten eine grünglänzende Farbe und waren auch kürzer. Während Bent seinen Drachen in die Vorhalle führte, drehte er sich noch einmal um und sagte zu Tamos und Kesia: „Ich kann es noch gar nicht glauben, dass wir bald schon Gefährten sein werden.“
Die beiden Kinder sahen sich verdutzt an, dann sprangen sie auf und liefen ihm nach. Bent zog gerade die Sattelgurte fest, als Kesia ihn fragte: „Wie hast du das denn gerade gemeint, mit den Gefährten?“
Bent Heerwegen sah die Kinder verblüfft an. „Haben sie euch das noch nicht gesagt?“ Als die Kinder in fragend ansahen, musste er lachen. „Sieht ihnen ähnlich, den alten Herren. Damit haben sie im ganzen Leben bestimmt nicht gerechnet!“
Er kniete sich vor die beiden Kinder hin und sah ihnen fest in die Augen. „So wisst denn“, sagte er, „dass der erste Mensch, den ein Drachenjunges in seinem Leben sieht, auch sein Reiter sein wird. Bis an dessen Lebensende wird er niemandem anderen dienen. Beide sind verbunden für ein ganzes Leben.“
Dann schwang er sich auf den Rücken von Dragonidor, blickte sich noch einmal nach den Kindern um, nickte ihnen freundlich zu und flog in die dunkle Nacht hinaus.
Kesia und Tamos blieben noch lange fassungslos in der Vorhalle stehen und hielten sich an den Händen. Dann kehrten sie zu ihren Drachen zurück und nahmen die kleinen Geschöpfe liebevoll in die Arme.
Kesia lehnte ihren Kopf an den Hals des jungen Drachen und spürte wieder durch dessen noch zarte Haut das langsame Pulsieren des Blutes. Es klang wie eine fremde Musik in ihren Ohren und irgendwie schien sie sich diesem Rhythmus anzugleichen. Wenige Augenblicke später war sie auch wieder eingeschlafen.
2. Kapitel
Auf der Suche nach Elidaria
Noch ist genügend Licht, um bis zum Nebelgebirge zu kommen, dachte Tabor bei sich. Dann wird es schwierig werden. Wie immer war er versucht, nach unten zu schauen, das Gefühl zu genießen, hoch über allem dahinzugleiten und vor allem die grenzenlose Weite um sich zu wissen. Doch wie immer verdeckten die riesigen Flügel Berikators ihm die Sicht auf die Welt da unten. Der langsame, gemächliche Flügelschlag des Drachen brachte sie schnell voran. Tabor konnte sich jetzt bequem in seinem Sattel zurücklehnen. Dieser glich einer großen ovalen Schale mit hohen Rändern. Im Vorderteil befanden sich der mit Fellen gepolsterten Sitz und mehrere hölzerne Griffe, die über Lederriemen mit dem Hals und dem Kopf des Drachen verbunden waren. Im hinteren Teil war eine verschlossene Kiste befestigt. Es war genügend Platz, um bei sicherem Flug aufzustehen und nach hinten zu gehen. Denn in dieser Kiste befanden sich die Vorräte, Karten und noch so manches Zubehör.
Bedächtig löste Tabor dann die Riemen, mit denen er sich beim Start an den Sitz geschnallt hatte und begab sich dorthin. Er entnahm der Truhe eine Rolle und öffnete sie. Zum Vorschein kam ein länglicher, etwa oberarmdicker Schlauch, an den verschiedenfarbige Lederschnüre befestigt waren. Der Schlauch schien von einer Flüssigkeit oder einem Gas gefüllt zu sein. Damit begab er sich wieder nach vorn.
Dort betätigte er einen der hölzernen Griffe und Berikator hob ohne seine Flugbahn zu ändern oder die Geschwindigkeit zu verringern den schlanken Hals steil in die Höhe. Geschickt legte Tabor ihm den Schlauch um und befestigte ihn mit zwei Schnüren an zu diesem Zweck in der Seitenwand eingelassenen Ringen. Während Berikator seine normale Flughaltung wieder einnahm, zog Tabor an einer andersfarbigen Schnur, die mit dem Schlauch verbunden war und sofort begann dessen Inhalt stark zu leuchten.
Inzwischen waren sie auch bereits viel näher an das Gebirge herangekommen. Die ersten Ausläufer lagen bereits unter ihnen. Das Tageslicht ließ nun immer schneller nach und es wurde zusehends kühler. Tabor wollte geradewegs zum zentralen Punkt des Nebelgebirges, dem Kronen-Massiv, fliegen und von dort aus seine Suche beginnen. Ihm war klar, dass dieses Unternehmen weder leicht noch ungefährlich war. Denn das Nebelgebirge war Grenzgebiet. Ein großer Teil davon gehörte bereits zum benachbarten Königreich. Zwar war er selbst auch schon Grenzkontrolle geflogen und kannte die Drachenreiter des Königs Alagnon ganz gut, aber wenn sich Elidaria in dessen Gebiet begeben hatte, könnte es Probleme geben. Außerdem konnte er nur hoffen, dass Elidaria sich auf einem der Berge zur Ruhe gelegt hatte. Sollte sie sich in eines der Täler begeben haben und sich verstecken, würde er sie in der Nacht wohl kaum finden können. Drachen können Artgenossen zwar sehr gut am Geruch erkennen, aber in die engen Schluchten und Täler zu fliegen, war bei der Größe und Schnelligkeit der Tiere mehr als gefährlich, ganz besonders nachts.
Es war schon ziemlich dunkel geworden und die Berge unter ihnen wurden allmählich höher und schroffer, als Berikator plötzlich seinen Kopf aus der Flughaltung erhob und zu wittern schien. „Was ist“, rief Tabor, „hast du sie gefunden?“ Wie zur Bestätigung wendete sich der Drachen jäh nach links, wobei er sich fast auf die linke Seite drehte. Tabor konnte gerade noch rechtzeitig in die Haltegriffe fassen. In rasendem Tempo flog Berikator dann auf ein kleines Seitental zwischen den Berghängen zu. Im Lichtschein sah Tabor zerklüftete Felswände kaum eine Armlänge von den Drachenflügeln entfernt vorbei gleiten. Und dann hörte er es auch. Langgezogene, trompetenähnliche Rufe gellten durch die beginnende Nacht. Angst- und Schmerzensschreie eines Drachen! Hatte Elidaria sich an den rauen Felswänden verletzt oder, noch schlimmer, war sie angegriffen wurden? Vergeblich versuchte Tabor, vor sich etwas zu erkennen. Immer tiefer tauchte Berikator in das Gewirr von Tälern und Schluchten des Nebelgebirges ein. Ohne das Tabor ein Lenkmanöver ausführen musste, suchte er sich seinen Weg durch die Nacht und die Felsen. Für Tabor dauerte es eine halbe Ewigkeit, ehe der Drache seinen wilden Flug verlangsamte. Die Schreie waren inzwischen fast ohrenbetäubend geworden.
Berikator faltete seine Flügel jetzt halb zusammen und ließ sich langsam dahingleiten. Jetzt konnte Tabor im Schein des Leuchtschlauches auch endlich etwas erkennen. Soweit er sich auskannte, waren sie sehr tief in den östlichen Teil des Nebelgebirges eingedrungen. Eine fast unerforschte, kahle und zerklüftete Gegend, in die sich kaum ein Tier, geschweige denn ein Mensch wagte. In den Tälern flossen hier keine Bäche und die Vegetation war mehr als spärlich. Wie und warum nur war Elidaria hierher geraten?
Jetzt stieß Berikator einen lauten Schrei aus und die anderen Drachenrufe verstummten. Dann zog der gewaltige Drache noch einmal nach rechts in eine enge Schlucht, die sich aber nach wenigen Metern zu einem weiten, fast kreisrunden Tal öffnete. Und hier standen auch einige riesige Bäume.
Zwischen diesen setzte Berikator zur Landung an. Tabor kletterte er vom Rücken des Drachen und stand kurz darauf vor einem umgestürzten Baum, unter dem ein jüngerer Drachen eingeklemmt am Boden lag. Es war auf alle Fälle nicht Elidaria. Im Schein des Leuchtschlauches an Berikators Hals schimmerten die Hals- und Rückenschuppen des fremden Drachen bläulich bis lila. Seine kräftigen Fänge hatten den Boden unter ihm aufgewühlt. Wahrscheinlich hatte er versucht, sich aus seinem Gefängnis heraus zu graben, was aber nicht gelungen war, da der weiche Boden nicht allzu tief war. Darunter war blanker Felsen zu erkennen. Der Drache hatte keine Chance gehabt, zu entkommen. Wie aber war er in diese Lage geraten?
Tabor ging vorsichtig näher heran, um festzustellen, ob das Tier verletzt war. Misstrauisch verfolgten die großen sanften Augen jede seiner Bewegungen. Nein, Verletzungen konnte Tabor nicht erkennen. Dafür aber etwas, was ihn mehr als nur erstaunte. Als er nahe genug an den Baum herantrat, der den Drachen auf der Erde festhielt, bemerkte er auf dessen Rücken die Reste eines Reitsitzes, den der Baum zertrümmert hatte. Er konnte nicht erkennen, ob sich der Reiter zum Zeitpunkt des Unglücks noch auf dem Rücken des Tieres befunden hatte. Er konnte nur hoffen, dass das nicht der Fall war. Sonst hätte dieser wohl keine Chance gehabt, sein Leben zu retten.
Dann begab sich Tabor zu seinem Drachen zurück. Aus der Transportkiste nahm er ein starkes Seil und band es um den Stamm des Baumes. Für Berikator würde es nicht sehr schwer sein, diesen anzuheben und seinen Artgenossen zu befreien.
Plötzlich stutzte er. Der Drachen hatte wohl einen Reiter getragen, aber wie wurde er gelenkt? Weder Zaumzeug noch Leinen waren zu sehen. Nur einen handbreiten, goldfarbenen Reifen hatte er um seinen Hals. Als Tabor diesen genauer untersuchte, bemerkte er einen kleinen Ring an der oberen Seite. Von diesem zog sich ein schmales Band aus einem ihm unbekannten Material in Richtung des Sitzes. Sollte das etwa die einzige Verbindung zwischen Drachen und Reiter gewesen sein? Vor einiger Zeit hatte Tabor von einem Magier, der im Schloss ausgeruht hatte, von einem Volk aus grauer Vorzeit gehört, dass eine unbekannte Art des Drachenreitens genutzt habe. Völlig ohne Zaum, ohne Navigationsgeräte und ohne Steuerungsleinen sei es ihnen möglich gewesen, ihre Drachen zu lenken. Geglaubt hatte Tabor und die anderen Drachenreiter es ihm aber nicht. Sollte es aber doch möglich sein?
Eine ruckartige Bewegung des fremden Drachens riss ihn aus seinen Gedanken. Das Tier hatte vermutlich wieder etwas Kraft geschöpft und versuchte erneut, sich zu befreien. Ruhig sprach Tabor ihm zu.
Er ging zu Berikator zurück und stieg auf dessen Rücken. Vorsichtig hantierte er mit den Steuerungsleinen. Berikator musste fasst senkrecht in die Luft steigen und dann den schweren Baum anheben, ohne ihn aber nach vorn ziehen oder den fremden Drachen anders zu verletzen. Dem Geschick Tabors und der Kraft Berikators war es zu verdanken, das die Rettung gelang und der Drachen nur wenig später aus seiner misslichen Lage befreit war.
Ganz anders als Tabor erwartet hatte, stieg der befreite Drache aber nicht sofort in die Luft, sondern blieb an seinem Platze liegen. Vielleicht hatte er sich doch verletzt.
Kaum dass Berikator wieder gelandet war, sprang Tabor von seinem Rücken und näherte sich dem anderen Drachen. Dieser legte jedoch seinen Kopf zurück und ließ ein deutliches Knurren hören. Für Tabor ein sicheres Zeichen, auf Distanz zu bleiben. So begab er sich lieber zu dem Baum zurück, um sein Seil zu lösen und wieder an sich zu nehmen.
Während er den Knoten löste, sah er auf den Wurzelballen des Baumes und entdeckte etwas sehr merkwürdiges. Die Wurzeln waren nämlich weder gebrochen noch abgerissen. Es schien fast so, als habe der Baum nur locker im Boden gesteckt und habe seine Wurzeln gar nicht in die Erde wachsen lassen. Wie konnte das nur möglich sein? Während er darüber nachdachte und den Baum gründlich untersuchte, fiel ihm noch etwas auf. Der Baum hatte so auf dem Drachen gelegen, dass sich die Krone in der gegenüberliegenden schroffen Felswand total verkeilt hatte. Das Tier hatte so das Glück gehabt, nicht von dem Baum erschlagen zu werden. Irgendwie war das alles seltsam und unheimlich.
Tabor ging zurück zu Berikator und wollte so schnell wie möglich diese unheimliche Schlucht verlassen. Aber was war mit dem fremden Drachenreiter? Sollte er nicht lieber nach ihm suchen? Immerhin war es möglich, dass er ebenfalls dringend Hilfe brauchte. Und außerdem war Tabor sehr daran interessiert, mehr über die ungewöhnliche Lenkmethode zu erfahren, die der fremde Reiter nutzte.
Als er gerade das Seil verstaut hatte, erklang hinter seinem Rücken eine fremde, tiefe Stimme. „Ich danke für die Rettung, Fremder. Zu gerne aber würde ich erfahren, wer uns aus dieser verdammten Falle herausgelassen hat.“
Tabor dreht sich langsam um. An den gefallenen Baum gelehnt stand ein fremder Mann von großer kräftiger Statur. Er überragte Tabor um mindestens zwei Kopf, hatte einen dunklen Vollbart und war in seltsame Ledersachen gekleidet, wie Tabor sie noch nie gesehen hatte. Über den Oberkörper trug er nur eine Art ärmellose Rüstung, die im hellen Lichtschein genauso glänzte wie die Bauchschuppen seines Drachens. Auf dem Kopf trug er eine Haube, die genauso gearbeitet war. Mit beiden Händen stützte er sich auf ein riesiges Schwert. Und das war etwas, was Tabor am stark verwirrte. Noch nie in seinem Leben hatte er einen so bewaffneten und gerüsteten Drachenreiter gesehen. Nur aus den alten Legenden kannte er so etwas. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte er ein Gefühl, das er längst überwunden glaubte – Furcht!
Trotzdem trat er drei Schritte auf den Fremden zu und legte die rechte Hand mit der Handfläche nach außen auf sein Herz, um ihn willkommen zu heißen und seine Friedlichkeit und Aufrichtigkeit zu zeigen. „Mein Name ist Tabor Verhargsteen, Erster Drachenreiter am Hofe von König Berion“, sagte er stolz. „Ich bin auf der Suche nach einem unserer Drachen, vielleicht habt ihr ihn sogar gesehen, Fremder.“
Der Andere schüttelte seinen Kopf und kam ebenfalls etwas näher. Er stellte sich neben seinen Drachen steckte das Schwert vor sich in den Boden. „Nein, einen fremden Drachen habe ich nicht gesehen, Herr. Es tut mit wirklich leid, euch nicht helfen zu können. Ich bleibe also weiter in eurer Schuld. Mein Name ist übrigens Hork del Eveen. Aus einem Lande so weit von hier, dass ihr es euch bestimmt kaum vorstellen könnt, komme ich und bin unterwegs zum Hofe des Königs Alagnon, wo ich eine sagen wir mal, diplomatische Mission zu erfüllen habe. Ich hatte mich in diesem Gebirge verirrt und wollte nur etwas rasten, als ich in diese heimtückische Falle geriet.“
„Von was für einer Falle redet ihr, Hork“, fragte Tabor, „ich sehe nirgends eine.“
„Ja, seid ihr denn blind, Drachenreiter“, brauste der riesige Fremde auf und wies auf den umgestürzten Baum. „Eine verdammte Elfenfalle ist das, die mir und meinem treuen Tier bald das Leben gekostet hätte. Nur diese spitzohrigen, hinterlistigen Geschöpfe können sich so etwas ausdenken und gar errichten. Vermutlich ist sie wohl von einem Krieg übrig geblieben, der schon seit Menschengedenken zurückliegt.“
Fassungslos starrte Tabor den Baum an. Das wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, aber Hork hatte sicher recht. Nur so waren die seltsamen Umstände, die auch er entdeckt hatte, zu erklären. Wohl nur Elfen oder Magier hätten so etwas bauen können.
„Ich sehe, ihr seid nicht nur ein kräftiger, sondern auch ein weiser Mann“, sagte Tabor. „König Alagnon wird mit euch sehr zufrieden sein.“
„Das will ich wohl hoffen“, nickte Hork und zum ersten Mal schien er ein wenig zu lächeln.
Dann drehte er sich um und trat an die Seite seines Drachens. „Leider habe ich keine Zeit mehr zum Reden, habe schon zu viel verloren“, sagte er und steckte das Schwert in eine kleine Lederschlaufe an seinem Gürtel. Aus einer anderen zog er ein kleineres Messer und durchtrennte mehrere Riemen, die den zertrümmerten Sattel hielten. Mit einer wuchtigen Handbewegung beförderte er die zerborstenen Teile auf den Boden. Dann schwang er sich auf den schuppigen Rücken des Tieres und griff nach der schmalen Leine.
Noch ehe Tabor etwas fragen oder sagen konnte, und ehe Hork auch nur einen Laut von sich gegeben hatte, stieg der fremde Drachen in die Luft empor.
Staunend beobachtete Tabor dieses Geschehen. „Grüßt König Alagnon von mir!“ rief er noch hinauf und verstehend und grüßend zugleich hob Hork eine Hand. Kurz darauf war er in der Dunkelheit verschwunden.
In Gedanken versunken ging Tabor zu Berikator hinüber. Der Drachen hatte die ganze Zeit still und fast bewegungslos an einer Stelle gestanden, als wäre auch ihm das Geschehen unheimlich. Zu gern hätte sich Tabor hier noch weiter umgesehen, doch auch ihn drängte die Zeit. Die Nacht war schon fortgeschritten und das Zentrum des Nebelgebirges noch nicht erreicht. Wenn er sich genau überlegte, würde er sogar einige Zeit brauchen, die Orientierung wieder zu finden. Seiner Meinung nach waren sie ziemlich weit nach Osten abgekommen.
Er stieg auf Berikators Rücken, machte es sich in seinem Sitz bequem und sagte mehr zu sich selbst, während er die Steuerleinen in die Hand nahm: „Lass uns zum Kronen-Massiv fliegen und Elidaria finden, großer Berikator.“ Und mit mächtigen Flügelschlägen erhob sich der Drachen wieder in den nächtlichen Himmel, zog noch eine Schleife über der unheimlichen Schlucht und flog in die Dunkelheit hinein. Tabor ließ die Steuerleine etwas lockerer, als er bemerkte, dass das Tier seinen Weg zu finden schien. Im schwachen Lichtschein vor ihm war kaum etwas zu erkennen und doch flog Berikator geradewegs in einer Richtung. Er war höher in den Himmel hinaufgestiegen als vorher und langsam wurde es seinem Reiter kalt. Soviel er auch versuchte, in der Umgebung etwas zu erkennen, einen markanten Punkt ausfindig zu machen, an dem er sich orientieren konnte, es war vergeblich. Tabor zog die Felldecke, die seinen Sattel polsterte, enger um sich. Fast wäre er eingeschlafen, als er plötzlich bemerkte, dass Berikator seinen Flug verlangsamte. Tabor richtete sich auf und bemerkte zu seinem Erstaunen das Kronen-Massiv fast zum Greifen nah vor sich.
Jetzt war seine volle Aufmerksamkeit gefordert. Er wollte nicht zu weit ins Nachbarland hinüber fliegen. Er zügelte seinen Drachen und ließ ihn jetzt langsam kreisen. Nur wenig später hatte er das große Plateau gefunden, das er sich als Startpunkt seiner Suche ausgewählt hatte.
Er ließ Berikator landen und etwas ausruhen. Während er selbst etwas von seinem Proviant zu sich nahm, überlegte er, ob er etwa hier auf Bent warten solle. Ein Blick an den Himmel sagte ihm, dass es noch einige Stunden bis zum Sonnenaufgang waren und zu gern hätte er diese genutzt, um etwas zu schlafen. Aber er wusste auch, dass jede Minute kostbar war. Selbst wenn Elidaria sich in der Nacht irgendwo zu Ruhe gelegt hatte, am nächsten Morgen könnte sie sich eine Höhle suchen und dann würde er sie vielleicht nie mehr finden können.
So stiegen sie nach einer kurzen Rast dann also wieder auf und durchsuchten zuerst die Schluchten und Plateaus des Kronen-Massivs, bevor sie sich in langsamen Flug wieder davon entfernten.
Bent Heerwegen hatte sich mit Dragonidor in östlicher Richtung zum Nebelgebirge aufgemacht. Sein Drachen gehörte einer anderen Art als Elidaria und Berikator an. Die Königsdrachen und auch die Großen Roten waren beide groß, stark und ausdauernd im Flug, erreichten aber lange nicht große Fluggeschwindigkeiten und waren auch nicht so wendig wie die kleineren, leichteren Luftdrachen zu denen Dragonidor gehörte. Pfeilschnell flog er mit Bent dem Gebirge zu. Auf dem Rücken des Drachen hatte dieser dafür auch nicht die Bequemlichkeit des Sitzes und Unterbringungsmöglichkeiten für Lasten und Gepäck wie Tabor. So saß er auf einer Art Sattel mit hoher gerade Lehne, an welcher er sich mit zwei Gurten festgeschnallt hatte, die Beine leicht angewinkelt mit den Füßen in zwei Bügeln, mit denen er dann auch seinen Drachen lenken konnte. Vor sich hatte er noch eine Ablage, in welcher sich jetzt die Karte des Nebelgebirges, mehrere Fackeln, ein Seil und noch ein paar kleine Utensilien lagen. Diese Ablage war dicht verschlossen, damit bei einem jähen Flugmanöver nichts herausfallen konnte. Einen Leuchtschlauch, wie Tabor in benutzte, hatte er nicht zur Verfügung.
Doch darüber machte er sich keine Gedanken. So schnell Dragonidor auch war, vor dem Morgengrauen würde er das Nebelgebirge kaum umrundet haben.
In der Dunkelheit kaum erkennbar zogen unter ihm Dörfer und Städte vorbei. Bent dachte über das nach, was den Kindern heute Nacht passiert war. Es war schon eine Sensation gewesen, wie er vor einigen Jahren von Dragonidor als Reiter angenommen wurde. Es war sein Vater gewesen, dem der Drache gehört hatte. Seit Bent denken konnte, war er mit dem Drachen zusammen aufgewachsen. Schließlich waren sie in derselben Nacht geboren. Und wohl nur deshalb hatte der König damals die Ausnahme zugelassen, dass er sich bereits als Kind um den Drachen kümmern durfte. Mit den Tieren von klein auf vertraut und durch seine angeborene Fähigkeit, alles genau zu beobachten und behalten zu können, wäre er mit den Jahren einer der besten Drachenreiter des Landes geworden. Was ihm fehlte, war ein eigener Drachen.
Eines Tages, Bent war noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, kehrte sein Vater von einem Grenzkontrollflug nicht zurück. Am nächsten Morgen brachen die fünf besten Drachenreiter auf, um nach ihm zu suchen. Doch auch sie blieben erfolglos. Zwei Tage später gaben sie die Suche auf. Tags darauf stand Bent, noch immer vor Kummer und Schmerz fast erstarrt auf dem Schlosshof, als am Himmel plötzlich eine schmale, taumelnde Silhouette erschien. Bent glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Es war Dragonidor, der im Hof landete und sich zu seinen Füßen niederlegte. Schwer verletzt war er, blutete aus einigen Wunden und schien auch einige innere Verletzungen davongetragen zu haben.
Zum Erstaunen der meisten Drachenreiter ließ er aber keinen in seine Nähe außer dem jungen Bent, der ihn innerhalb weniger Wochen gesund pflegte und den er danach als seinen Reiter akzeptierte. Was aber seinem Vater geschehen war, hatte Bent nie erfahren.
Eine plötzliche Wendung des Drachen nach links hätte ihn beinahe aus dem Sattel gekippt. Mit Mühe nur konnte er sich abfangen. Aus seinen Gedanken gerissen bemerkte er, dass sie das Nebelgebirge erreicht hatten. Vor ihnen lag nun ein großes hohes Plateau, auf dem die meisten Grenzreiter Rast machten, bevor sie sich in die weglose Wildnis des Gebirges aufmachten. Ein Lagerfeuer brannte dort und die Gestalt eines fremden Drachens war zu sehen. Bestimmt einer von König Alagnons Drachenreitern, dachte Bent und war froh über diese Abwechslung, denn auch Dragonidor schien eine kurze Rast nötig zu haben. Kaum in Rufweite, stieß er auch den Begrüßungsruf der Drachenreiter aus. Daraufhin erhob sich der fremde Reiter, welcher ihn bis dahin gar nicht bemerkt zu haben schien. Doch statt die Hand zum Gruß zu heben, sprang er auf sein Reittier und schneller als Bent es je für möglich gehalten hätte, war der Drachen mit seinem Reiter in der Luft.
Dragonidor war fast am Plateau eingetroffen, als der fremde Drachen schon in den grauen Nebelwolken über dem Lagerplatz verschwand.
Bent schüttelte den Kopf. So etwas hatte er noch nicht erlebt. Er hätte schwören können, dass weder der Drachen noch sein Reiter irgendein Wappen oder Zeichen getragen hatte. Doch wie war das möglich?
Der Fremde hatte sich nicht die Zeit genommen, das Feuer zu löschen und Bent ließ sich nur wenig später daran nieder. Das eben erlebte ging ihm nicht aus dem Kopf. Zu früheren Zeiten sollte es Drachenreiter gegeben haben, die keinem Herren gedient und stets allein unterwegs waren. Über ihre Missionen war aber so gut wie nichts bekannt. Manchmal sollten sie allerdings von den wahren Aufgaben der Drachenreiter total abgekommen sein und immer auf der Jagd nach versteckten Schätzen oder gar grausamen Trophäen gewesen sein. Da diese unehrenhaften Reiter aber stets verfolgt und hart bestraft wurden, waren es immer weniger geworden und seit vielen Jahrhunderten hatte man nichts mehr von einem derartigen Fall gehört.
Wenn Bent nicht die Aufgabe gehabt hätte, Tabor zu Hilfe zu eilen und Elidaria zu finden, wäre er dem Fremden auf alle Fälle gefolgt und hätte ihn zur Rede gestellt. So hatte er widerwillig darauf verzichten müssen. Voller Ärger auch über sich selbst, hatte er den Fremden doch erst auf sich aufmerksam gemacht.
Den Rücken an die kühle Felswand gelehnt, und den Blick in die schwächer werdenden Flammen des Feuers gerichtet, versuchte er sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Wie er Tabor kannte, würde dieser vom Zentrum des Nebelgebirges ausgehend Elidaria zu finden versuchen. Da Dragonidor schneller als Berikator fliegen konnte, war es sinnvoll, die Suche von außen, um das Nebelgebirge herum, zu beginnen. Trotzdem mussten sie beide viel Glück haben, wenn sie Elidaria auf diese Weise finden wollten. Aber das Glück hatte sie noch sehr selten im Stich gelassen.
Sie stiegen bis über die höchsten Gipfel des Nebelgebirges empor. Stunden später, die ersten goldenen Sonnenstrahlen durchbrachen gerade eine Nebelwand vor ihm, hatten sie das Gebirge umrundet und in immer enger werdenden Kreisen abgesucht.
Als sich der dichte Morgennebel in die tieferen Schluchten und Täler zurückgezogen hatte und Berge, Täler und Wälder fast endlos unter ihnen hingezogen waren, hatten sie noch immer keine Spur von Elidaria gefunden.
Wenn sich Elidaria nicht ebenfalls in einer der tiefen Schluchten oder einer Höhle aufhielt, und das war mehr als unwahrscheinlich, da es ihrer Natur mehr als widersprach, musste sie irgendwann zu finden sein.
Wieder waren mehr als zwei Stunden vergangen, Da plötzlich hob der fast waagerecht ausgestreckt fliegende Drachen den Kopf. Er hatte ein Geräusch gehört – für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar. Und wieder wäre Bent beinahe aus dem Sattel gekippt, so legte er sich auf die Seite, verstärkte den Schlag seiner Flügel und bog in ein schmales, zerklüftetes Seitental ab.
Fast windstill war es hier unten. Dragonidor flog nur knapp über den Baumwipfeln dahin. Kurz darauf lichtete sich unter ihm der Wald und eine riesige mit Felsbrocken übersäte Lichtung tat sich auf. An ihrem Rand, genau in der Richtung, auf die Dragonidor zuhielt, erhob sich ein mächtiges Felsplateau. Direkt über dem Boden glaubte Bent, eine Höhle zu erkennen. Auf dem Plateau, hoch über den Wipfeln der Bäume, lag Elidaria. Sie hatte die Ohren aufgestellt und blickte zu ihnen hinüber, erhob sich aber nicht. Sie wusste, dass Bent allein nicht in der Lage war, sie einzufangen und zurückzubringen. Von ihm und seinem Drachen ging für sie keinerlei Gefahr aus.
Bent war sich dessen natürlich ebenfalls bewusst. Er würde hier auf Tabor und Berikator warten müssen und dann stand immer noch in Frage, ob und wann Elidaria wieder zu fliehen versuchen würde. Aber auch, ob ihr Plan, sie einzufangen, gelingen würde. Ratlos sah er zu ihr hinüber. Komm mit uns nach Hause, Elidaria, dachte er. Sie hob ein klein Wenig den Kopf, so als ob sie ihn verstanden hätte. Er glaubte, ihre bernsteinfarbenen Augen aufleuchten zu sehen, doch das war aus dieser Entfernung kaum möglich.
Dragonidor hatte, nachdem sie Elidaria erblickt hatten, fast schwebend in der Luft verharrt. Auf Bents Zeichen hin setzte er jetzt zur Landung an.
Sie lagerten mitten auf der großen Lichtung. Kaum, dass er festen Boden unter den Beinen spürte, rollte der große Drachen sich zusammen und legte den Kopf auf die Vorderpranken.
Bent sprang von seinem Rücken und lehnte sich dann an ihn.
Elidaria sah zwar unverändert zu ihnen hinüber, regte sich aber sonst nicht. Von den beiden ging keinerlei Gefahr für sie aus. Sollte es nötig sein, würde sie unbehelligt fliehen können.
Bent und Dragonidor brauchten nicht lange zu warten. Die Ruhe auf der Lichtung wurde durch ein immer stärker werdendes Rauschen unterbrochen. Mit gewaltigen Flügelschlägen näherte sich der große rote Drachen.
Nur wenig später landete Berikator neben Dragonidor.
Während sie ihren Tieren etwas Ruhe gönnten, sprachen die beiden Drachenreiter über das eben erlebte.
„Es war bestimmt ein und dieselbe Person“, stellte Tabor fest. „Er sagte, er käme aus einem Land so fern, dass ich es kaum kennen würde. Das ist merkwürdig.“
„Es gibt auf Enodless kein Land, das wir nicht kennen!“, stellte Bent fest.
„Und nirgends werden Drachen ohne die althergebrachte Ausrüstung geflogen“, ergänzte Tabor. „Außerdem hatte er ein Schwert dabei. Hast du schon jemals einen bewaffneten Drachenreiter gesehen?“
Bent schüttelte den Kopf. „Auf ganz Enodless lösen wir Konflikte ohne Waffen. Das ist ja unsere Bestimmung.“
Tabor lief unruhig auf und ab. „Was wäre“, fragte er, „wenn sich ein paar von uns nicht mehr daran hielten? Wer könnte ihnen Einhalt gebieten?“
„Die Drachen“, sagte Bent und legte eine Hand auf Dragonidors Hals. „Sie würden uns beschützen. Und kein Mensch kann einen Drachen töten!“
„Vermutlich hast du Recht!“ Tabor nickte. „Auf alle Fälle sollten wir König Alagnon warnen. Ich habe so meine Zweifel, was diese angeblich diplomatische Mission des Fremden betrifft.“
„Hier etwas sehr Merkwürdiges im Gange“, meinte Bent. „Aber erst mal müssen wir uns um Elidaria kümmern. Ich glaube, sie beobachtet uns schon ganz genau.“ Er wies mit dem Kopf hinüber zum Plateau, auf dem die Drachenkuh zu dösen schien.
„Wenn sie schlau ist, fliegt sie alleine nach Hause“, sagte Tabor, der sich bereits an der Packkiste auf Berikators Rücken zu schaffen machte. Er entnahm ihr eine lange, dicke Rolle, die mehrmals zusammengeschlagen war und befestigte ein Ende der Rolle mit Lederschnüren und Schnallen am Sattelzeug des großen Drachens. Das andere Ende verband er auf die gleiche Weise mit dem Sattelzeug Dragonidors.
Kurz darauf waren beide Tiere mit ihren Reitern wieder in der Luft. Zwischen ihnen schwebte nun straff gespannt die Rolle. Langsam flogen sie auf das Plateau und damit auf Elidaria zu.
Keine Angst mehr. Die Sonne wärmt an genehm. Der Atem geht merklich ruhiger. Und doch Sorge. Etwas Neues ist geschehen. Noch nie war die dieses Gefühl da gewesen. Angst! Und gleich so stark. Bisher unvorstellbar. Und noch etwas. Viel schlimmer als die Angst. Versagen!
Die Jungen zurückgelassen.
Allein!
Es ist wirklich angenehm im Sonnenschein. Die Flügel ausbreiten und Energie aufnehmen. Und Wärme. Die Angst schmilzt in den Strahlen der Morgensonne. Immer weiter. Schön!
Und ... unangenehm.
Die Sorge nimmt zu.
Aber auch die Erkenntnis.
Es schmerzt.
Hunger, Durst und Todesangst. Nicht ihre Gefühle. Aber nah und erschreckend. Klagende Schreie in ihrem Kopf. Beruhigende Laute. Worte von Menschen. Kleinen Menschen. Dumme Menschen.
Zurück! Zurück! Zurück!!
Der den sie Dragonidor nennen und ihr Partner. Fliegen.
Gefahr.
Angst.
Panik.
Es brennt im Rachen. In der Kehle. Was ist das? Was ist das???
Zurück! Zurück! Zurück!!
Elidaria erhob sich und spannte die Flügel. Sie sah die beiden Drachen mit ihren Reitern auf sich zukommen. Längst hatte die Vernunft über die Angst gesiegt. Sie wollte, sie musste zurück zu ihren Jungen, die sie schutzlos zurück gelassen hatte. Die Menschen würden versuchen, sich um die Kleinen zu kümmern. Aber es würde ihnen nicht gelingen. Ihr blieb keine andere Wahl als zurück zu fliegen. Sie hätte sie niemals verlassen dürfen! Aber der Schreck war zu groß gewesen. Sie war nicht vorbereitet gewesen auf dieses Getöse.
Plötzlich sah sie, wie zwischen den beiden Drachen etwas zu Boden fiel. Nein, es fiel nicht zu Boden. Es hing zwischen ihnen. Ein riesiges Netz! Sie wollten sie einfangen und nach Hause schleppen. Sie konnte doch alleine fliegen!
Verwirrt bemerkte sie, wie ein seltsames Brennen in ihrem Hals aufstieg. So etwas hatte sie noch nie gefühlt. Ihr Herz schlug rasend schnell, als ob sie einen stundenlangen Patrouillenflug in schnellstem Tempo hatte absolvieren müssen. Sie schlug mit den Flügeln, wollte starten. Dann merkte sie, dass es zu spät war. Beim Abflug wäre sie bereits in das gespannte Netz geraten und hinter ihr befand sich eine massive Felswand. Sie hätte sich in der Höhle hinter ihr verbergen können. Und dann? Einen anderen Ausgang hatte diese nicht, das wusste sie. Gleich nach ihrer Landung auf dem Plateau hatte sie das erkundet. Sie wäre gefangen gewesen.
Mit ihrer Panik steigerte sich das Brennen in ihrer Kehle. Die beiden Drachen waren nur noch wenige Meter vom Plateau entfernt. Dann richtete Elidaria sich auf, riss das Maul auf und schleuderte den Anderen einen gewaltigen Feuerstrahl entgegen.
Die Flammenlanze erfasste das Netz und ließ es sofort zu Asche zerfallen. Elidaria hörte die beiden Drachenreiter entsetzt aufschreien und empfing die Gefühle der beiden Drachen. Angst und Erstaunen.
Dann erhob sie sich in die Luft und während Berikator und Dragonidor von ihren Reitern in die Höhe gerissen wurden, um nicht an die Felswand zu prallen, begann sie ihren Flug nach Hause. Schließlich warteten dort zwei kleine Wesen auf sie, die sie dringend brauchten. Und zwei andere kleine Wesen, die wiederum bald die anderen Beiden brauchen würden.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Mann, der sich Tabor als Hork del Eveen vorgestellt hatte, das Nebelgebirge weit hinter sich gelassen. Er flog über eine endlos scheinende, trostlose Steinwüste. Karges Strauchwerk bedeckte den Boden.
Nur hin und wieder ein einzelner, verdorrter Baum.
Keine Ansiedlung.
Kein Mensch.
Kein Tier.
Über der gesamten Landschaft schien ein grauer, staubiger Schleier zu liegen. Selbst hier oben, auf dem Rücken seines Drachens, fiel Hork das Atmen schwer. In all den Jahren hatte er sich nicht daran gewöhnen können.
Mit zusammengekniffenen Augen und versteinerter Miene starrte er nach unten. Innerlich aber jubelte er. Endlich hatte er gefunden, was er seit vielen Jahren suchte! Nun stand der Durchführung seines Planes nichts mehr im Wege!
Nur leider hatten ihn gleich zwei dieser verfluchten Drachenreiter Berions gesehen. Das war schon ein Problem. Nun, der erste war weit genug entfernt gewesen. Der würde ihn ganz sicher nicht beschreiben, geschweige denn wiedererkennen können.
Der Andere stellte schon eher ein Problem dar. Den würde er beseitigen müssen. Eigentlich hätte er es gleich erledigen können, aber die Erfolgsaussichten wären gering gewesen. Sein Drachen war durch die Falle schockiert und außerdem zu jung und unerfahren um es mit dem Großen Roten des Drachenreiters aufzunehmen.
Er musste wieder an seinen ersten Versuch denken, dass legendäre Schwert Dracomorta zu finden. Auch damals hatte ihn einer von Berions Drachenreitern überrascht. Gerade als er mit dem Schwert aus der Höhle trat. Der Drachenreiter wusste, was es mit dem Schwert auf sich hatte. Er versuchte ihn zu überzeugen, es in der Höhle zu lassen. Diese Diplomaten-Drachenreiter! Diese Schwächlinge! Noch heute, nach so vielen Jahren regte er sich bei dem Gedanken auf. Diese Idioten hielten den Schlüssel zu unbegrenzter Macht in den Händen und nutzen ihn nicht! Eher starben sie für ihre Überzeugung, jeden Konflikt ohne Waffen beenden zu können.
Das hatte auch jener Drachenreiter damals getan.
Er hatte gekämpft.
Ohne Waffen.
Nicht lange.
Im Wissen, dass er sterben würde.
Das hatte Hork in seinen Augen gesehen, eher er ihm mit einem letzten Streich den Kopf vom Leib trennte.
Dann hatte der Drachen des Getöteten ihn angegriffen. Mit unglaublicher Wut und Kraft war er auf Hork losgegangen. Er hätte ihn mit dem Schwert leicht erschlagen können. Wenn es sich nicht um einen Luftdrachen gehandelt hätte! Im Gegensatz zu den anderen Drachenarten war diese nicht an der Unterseite des Bauches verwundbar, sondern konnte nur mit einem Stich in den Nacken getötet werden. Und da der Luftdrache nur von oben angriff, hatte sich keine Gelegenheit für Hork geboten. Sein eigener Drache hatte versucht ihm zu helfen. Wütend waren die beiden gigantischen Tiere auf einander losgegangen. Irgendwie war es dem Luftdrachen gelungen, Horks Drachen mit einem Rammstoß auf die Seite zu werfen. Mit beiden Vorderklauen hatte er ihm die Bauchdecke aufgerissen. Als Hork seinem Drachen zu Hilfe eilen wollte, war er bereits zu spät. Der fremde Drache, aus vielen Wunden blutend, schickte ihm plötzlich einen glühendheißen Flammenstrahl entgegen. Da er nicht geübt genug war, Feuer zu speien, verbrannte die Flamme Hork nicht zu Asche, schleuderte ihn aber rückwärts in eine enge Felsspalte. Dann verlor er das Bewusstsein.
Nachdem er wieder zu sich gekommen war, gelang es ihm trotz der Brandwunden und unter starken Schmerzen, aus der Felsspalte zu kriechen.
Sein Drachen war bereits verendet. Der fremde Drachen mitsamt dem Schwert verschwunden. Er schien aber schwer verletzt zu sein und würde nicht weit kommen.
Hork ließ seinen Drachen und den Leichnam des fremden Drachenreiters auf dem Plateau zurück und machte sich an den schmerzhaften Abstieg.
Wie er es geschafft hatte, dem Nebelgebirge lebend zu entkommen, daran konnte er sich nicht mehr erinnern.
Lange hatten seine Wunden gebraucht um zu heilen.
Jahre hatte er gebraucht, bis ein Drachenjunges ihn als Reiter erwählte.
Vor Kurzem hatte er erfahren, dass der fremde Drachenreiter damals einen unglaublich mächtigen Gegenstand bei sich führte, den er an den Hof König Berions bringen sollte.
Es war an der Zeit, seinen Plan in die Tat umzusetzen!
Weh hatte es getan, auf dem Plateau zu landen und die Überreste seines Drachens vorzufinden. Er hatte fast einen Tag gebraucht, sie in die Höhle zu schaffen und diese zu verschließen. Dann hatte er die Knochen des fremden Drachenreiters, nachdem er zwischen diesen gefunden hatte, was er suchte, in die Tiefe geworfen. Das Schwert hatte er hier nicht gefunden.
Kurz danach war dann der fremde Drachenreiter aufgetaucht – auf einem Luftdrachen, wenn er richtig gesehen hatte!
Anschließend war er zum nächsten Plateau geflogen und hatte, nachdem sein Drachen in der verdammten Elfenfalle gefangen wurde, das Schwert gefunden. Ob er ohne fremde Hilfe seinen Drachen hätte befreien können?
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als plötzlich wie aus dem Nichts ein einzelnes Haus am Boden auftauchte. Windschief schien es sich zwischen zwei riesige Findlinge zu ducken. Vom Boden aus wäre es selbst aus ein paar Schritten Entfernung nicht auszumachen gewesen.
Der Drache landete direkt vor dem Haus und zog sich sofort hinter die Felsen zurück. Der allein vor dem Haus stehende Mann reckte das Schwert in den Himmel. Gerade als er mit der zweiten Hand ebenfalls nach dem Schwertgriff fassen wollte, brachen Sonnenstrahlen durch den grauen Dunst und erfassten den bernsteinfarbenen Stein auf dem Ring an seiner Hand. Das gebrochene Licht hatte die Farbe getrockneten Blutes als es auf die Schwertklinge fiel. Böse und in einer Aura nicht von dieser Welt schien das Schwert aufzuleuchten.
„Es ist an der Zeit zu töten“, rief der Mann, der sich Hork del Eveen nannte, mit schriller Stimme in die trostlose Ebene. „Es ist an der Zeit ein paar Drachen zu töten!“
3. Kapitel
Eine schwere Entscheidung
Es war noch dunkel, als Tamos erwachte. Ein leises, fiependes Geräusch hatte ihn geweckt. Im ersten Moment hatte er gedacht, es wäre eine Maus gewesen, die ganz in seiner Nähe durch das Stroh gekrochen war. ‚Wieso Stroh? ‘, dachte er dann. ‚Warum bin ich nicht in meinem Bett? ‘ Dann fielen ihm aber auch gleich die Ereignisse jenes vorangegangenen Tages ein. Und fast im gleichen Augenblick merkte er, wie sich etwas unter ihm bewegt. Das kleine Drachenkind! Und von diesem gingen auch die seltsamen Geräusche aus, die ihn geweckt hatten. Er drehte sich auf den Rücken und hielt das Kleine hoch. Erkennen konnte er kaum etwas, aber er spürte, wie der kleine Drachen sich in seinen Händen bewegte. „Ich kann dich nicht gehen lassen“, sagte Tamos leise. „Ich muss doch auf dich aufpassen, bis deine Mama wieder hier ist!“ Dann drücke er ihn wieder sanft an seine Brust. Der junge Drachen gab keine Ruhe. Immer wieder versuchte er sich aus Tamos‘ Händen zu befreien.
Inzwischen war auch Kesia wach geworden.
„Was ist denn los?“ wollte sie wissen. „Mein Drachen macht so komische Geräusche“ sagte Tamos. „Ich glaube, es klingt fast so, als ob er weint!“ setzte er dann hinzu.
„Meiner ist noch ganz ruhig!“ Aber kaum hatte Kesia das gesagt, fing auch ihr Drachen an, sich zu bewegen und ähnliche Laute auszustoßen.
„Soll ich mal etwas Licht machen?“ fragte Tamos. Kesia nickte, obwohl er es in der Dunkelheit ja gar nicht sehen konnte. „Ja, das wäre ganz gut. Glaube ich wenigstens“, sagte sie.
Tamos drückte ihr seinen Drachen in den Arm und stand auf. Langsam und vorsichtig tastete er sich zur Stallwand hinüber. Fast wäre er über die Trümmer des zusammengebrochenen Regals gestolpert. Nach einigem Suchen fand er an der Wand tatsächlich einen Fackelhalter mit einer Fackel darin. Jetzt musste er nur noch etwas zum Anzünden finden. Er wusste, dass in der Vorhalle Feuerzeuge aufbewahrt wurden. Sich immer wieder an der Wand entlang tastend, versuchte er zu der zerborstenen Tür zu gelangen.
Seine Freundin hatte inzwischen einige Mühe, die beiden ziemlich unruhig gewordenen Drachen festzuhalten. Immer wieder versuchten diese, sich aus ihren Händen zu befreien und in den Hintergrund des Stalles zu gelangen.
Als sie Tamos Drachenjunges einmal gerade noch an einem Hinterbein erwischen konnte, ehe es in der Dunkelheit verschwand, spürte sie plötzlich eine schnelle Bewegung des Tieres und gleich darauf einen heftigen Schmerz in ihrer Hand. Hatte der Kleine sie etwa gebissen? Fühlte sich ganz so an. Sie zog ihn dichter an sich, schob dann die beiden Drachenkinder näher zusammen und hielt sie jetzt vorsichtiger fest. Und daraufhin wurden die beiden Tierchen auch sofort ruhiger.
Irgendwann wurde es auf einmal von der Tür her heller und Tamos kam mit einer brennenden Fackel zurück. Er schob sie in die Halterung und legte sich wieder zu ihr. In der flackernden Beleuchtung sah die Szenerie irgendwie noch chaotischer aus als am Vorabend. Das ehemalige Regal war nur noch ein wüster Bretterhaufen und sein Inhalt, Töpfe, Schüsseln, Beutel und Lederriemen waren wild durch den Raum verteilt.
Trotz des Lichts war alles düster und voller Schatten. Doch dann sah Kesia erstaunt auf die beiden kleinen Drachen. Im Licht der Fackel leuchteten ihre Schuppen wie blankes Gold! Sie schienen regelrecht zu erstrahlen und warfen den Fackelschein tausendfach zurück. Und in dieses Leuchten getaucht saßen sie und Tamos auf ihrem Strohlager.
„Wie schön sie sind!“ meinte Tamos ganz leise und sprach ihr damit aus der Seele.
Da fing Tamos‘ Drachen auf einmal wieder an, dieses fiepende Geräusch von sich zu geben. „Weiß du was“, sagte Kesia, „vielleicht haben sie Hunger? Wir sollten doch zusehen, dass sie was zu fressen kriegen, hat dein Vater gesagt.“
Tamos nickte. „Hm, aber was fressen kleine Drachen eigentlich?“ Kesia zuckte die Schultern. „Woher sollen wir das wissen? So kleine Drachen haben wir doch noch nie gesehen.“
Plötzlich hob Tamos‘ Drachen den Kopf, drückte seinen Körper ganz tief in das Heu und starrte auf irgendeinen Punkt vor ihm im Heu. Gebannt sahen die Kinder zu. „Was tut er da?“ flüsterte Kesia und Tamos schüttelte vorsichtig den Kopf, um den kleinen Drachen nicht zu erschrecken.
Auf einmal entfaltete der junge Drachen kleine, zarte Flügel, die die Kinder bisher noch gar nicht bemerkt hatten.
Kesia öffnete den Mund und bekam ihn erst mal nicht mehr zu, denn der Drache sprang plötzlich etwa einen halben Meter hoch in die Luft und flog mehr als er sprang nach vorn. Sein Kopf vergrub sich im Stroh und ein anderes, fiel lauteres Fiepen als vorhin war zu hören. Als der Drachen seinen Kopf aus dem Heu zu, zappelte eine Maus in seinem Maul und war gleich darauf darin verschwunden. Dann kam der Drachen tapsig auf seinen vier Beinen zu den Kindern zurück und schmiegte sich an Tamos‘ Bein. Fassungslos starrten die Kinder ihn an.
Kurz darauf wunderten sie sich allerdings nicht mehr, als Kesias kleiner Drachen ganz genau das Gleiche tat. Nur hatte Kesia den Eindruck, dass ihr Drachen ein ganzes Stück weiter geflogen war.
„Sie haben ihr Futter selbst angelockt!“ flüsterte Kesia nur.
Der nächste Tag neigte sich bereits dem Ende, als die beiden kleinen Drachen, die den ganzen Tag ausschließlich mit Mäusefangen und Schlafen verbracht hatten, plötzlich wie auf ein Signal hin die Köpfe hoben und zu der zerstörten Tür hinüber starrten. Nachdem die Kinder eine Weile in diese Richtung gelauscht hatten, vernahmen sie ein immer stärker werdendes Rauschen, das sie bald darauf als das Schlagen großer Flügel erkannten, und kurz darauf stürmte Elidaria herein.
Die beiden Kinder erhoben sich und setzten vorsichtig die kleinen Drachen zu Boden. Elidaria blickte ihre Jungen an und es schien einen Augenblick lang so, als ob sie nicht wüsste, was sie mit den kleinen, goldglänzenden Geschöpfen anfangen sollte.
Kesia trat langsam ein paar Schritte näher und streckte zögernd die Hand aus. Wider Erwarten ließ sich Elidaria von ihr berühren. „Ganz ruhig, Große Elidaria“, sagte das Mädchen. „Du wirst dich gut um sie kümmern, das wissen wir.“ Sie blickte zu Tamos hinüber und dieser nickte sofort. Die Drachenkuh sah Kesia mit großen braunen Augen, in denen sich der Fackelschein wiederspiegelte, an. Dann schnaubte sie leise und streckte den Kopf nach ihren Jungen aus. Mit dem Maul hob sie beide Junge auf einmal an und ging dann langsam zu ihrer Box.
Nur wenige Augenblicke später war sie durch den Höhleneingang im Inneren des Felsens verschwunden.
Die beiden Kinder wussten nicht, was sie tun sollten und verließen deshalb erst mal das Stallgebäude. Gerade wollten sie auf ihre Zimmer gehen, als erneut ein heftiges Rauschen über ihnen ertönte. „Vater kommt zurück!“ rief Tamos und blickte aufgeregt nach oben. Tatsächlich tauchten bald die beiden großen Drachen am Himmel auf und landeten wenig später im Burghof.
Fast zeitgleich betraten Berion, Brygor und ein weiterer Mann den Hof und eilten auf die Neuankömmlinge zu.
Kesia fasste Tamos‘ Hand und zog ihn in die Ecke zwischen Küchen- und Stallgebäude. „Hier können sie uns nicht sehen und wir können alles hören, was sie berichten!“ flüsterte sie ihrem Freund zu.
Aufgeregt vernahmen sie in ihrem Versteck den Bericht der beiden Drachenreiter. Als Tabor von dem bewaffneten Fremden sprach, drückte Tamos ganz fest Kesias Hand. Das Mädchen spürte deutlich seine Angst, obwohl der Junge keineswegs zitterte. Doch dann hätten die beiden Kinder beinahe aufgeschrien und sich damit verraten, als Bent von Elidarias Feueratem berichtete. Kesia und Tamos schauten sich ungläubig an und das Mädchen presste sich selbst eine Hand auf den Mund.
Sie sahen, dass auch die drei anderen Zuhörer sehr erstaunt reagierten. Berion schüttelte den Kopf und murmelte etwas Undeutliches. Brygor schrie laut auf und hob die Hände zum Himmel empor. Der dritte Mann, der Hofmagier Fram Trobrat, stampfte mit dem rechten Fuß auf den Boden und rief Worte einer den Kindern unbekannten Sprache.
„Nicht das ich meinen beiden besten Drachenreitern keinen Glauben schenke“, meinte König Berion an den Hohen Rat gewandt, „aber kann das wahr sein, Brygor? Von Feueratem der Drachen ist nur in den ältesten Legenden die Rede! Was hältst du davon? Und ihr Magister Trobrat, was sagt ihr dazu?“
Die beiden Angesprochenen sahen sich kurz an, dann nahm Brygor das Wort. „Nun, König Berion“, begann er, „selbstverständlich wird nur in den ältesten der Geschichten von feuerspeienden Drachen gesprochen. Aber da es die beiden ehrbaren Drachenreiter Tabor und Bent mit eigenen Augen gesehen habe, müssen wir davon ausgehen, dass sie die Wahrheit berichten. Wieso es heute dazu gekommen ist, dass wieder ein Drache dieses Mittel anwendete und ob es ihnen bereits die ganze Zeit möglich gewesen wäre, sie sich nur zurückgehalten haben, das muss nun unser Magister Trobrat untersuchen. Meine Aufgabe wird es sein, Vorkehrungen zu treffen, dass vorerst niemand außer den hier Anwesenden davon erfährt. Möglicherweise müssen auch Maßnahmen für den Schutz der Burgbewohner getroffen werden.“
Fram Trobrat hob plötzlich die Hand. Er sah zu der Ecke hinüber, in der sich die beiden Kinder versteckt hatten und Kesia war es, als würde er ihr dabei direkt in die Augen sehen. „Ich denke aber, das Weitere sollten wir nicht hier auf dem Hof besprechen. Es ist meiner Meinung nach bereits zu viel hier gesagt worden“, meinte er. Dabei sprach er so laut, dass die Kinder ihn unbedingt verstehen mussten.
König Berion nickte zu Tabor und Bent hinüber. „Ihr beiden kümmert euch jetzt erst mal um die Tiere“, sagte er dann. Und an Brygor und Fram Trobrat gewandt: „Wir besprechen uns im Audienzzimmer weiter.“
Mit diesen Worten schritt er zur Tür des Hauptgebäudes. Der Hohe Rat und der Hofmagier folgten ihm. Die beiden Drachenreiter führten daraufhin ihre Tiere in den Stall, Kesia und Tamos schlichen sich Minuten später ebenfalls ins Hauptgebäude und begaben sich auf ihre Zimmer.
Endlich. Ruhe. Dunkelheit. Geborgenheit. Die gewohnte Umgebung macht angenehm zufrieden. Viele Schritte durch enge Gänge bis in die Wohnhöhle. Bequem auf dem Lager ausstrecken und die zappelnden Bündel absetzen.
Angst. Nicht meine eigene. Die Jungen wollen nicht hier sein.
Elidaria hebt den Kopf. Sie spürt die Angst der beiden kleinen Drachen. Ihrer beiden kleinen Drachen. Die tiefe Dunkelheit der Höhle macht ihnen Angst, denkt sie. Ich hätte sie sofort hierher bringen müssen und nicht erst nach fast zwei Tagesläufen.
Der Geruch stört. Menschengeruch. Stört nicht die Jungen. Die Wohnhöhle riecht nach Menschen. Beide Jungen tragen den Geruch der Menschen an sich.
Die anderen Drachen werden das nicht akzeptieren. Und schon bald vernimmt Elidaria die Unmutsäußerungen aus den nebenanliegenden Wohnhöhlen. Schnauben und Fauchen. Sie hat keine Ahnung, was sie machen soll. Sie muss sich um die beiden Jungen kümmern. Bereits als sie noch die beiden Eier trug, meinten die anderen Drachen, dass das Unglück bringen müsse. Noch nie zuvor hat ein Drachenweibchen zwei Junge bekommen. Das ist gegen die Natur.
Die Angst wächst. Die Geborgenheit zieht sich zurück. Sie kann sie nicht Beide aufziehen! Unruhe breitet sich aus. Die Jungen rufen ängstlich.
Ihr Partner kommt zurück. Auch er schnauft vor Zorn über die beiden Jungen und den Menschengeruch in ihrer Wohnhöhle. Funkelt sie zornig an. Die Angst weicht purem Entsetzen. Hoffnungslosigkeit. Er hat Recht. Niemand wird ihr helfen. Eines nur kann sie allein aufziehen. Eines muss sie abgeben. Wem? Den Menschen. Den kleinen Menschen. Welches soll sie aus der Höhle schaffen? Welches?
>bring sie raus hier sollen die menschen sich um sie kümmern<
>es sind meine jungen ich werde sie aufziehen<
>das geht nicht ohne die hilfe der anderen und keine wird sich finden die dir ein junges abnimmt und aufzieht schaff wenigstens eines nach draußen<</font>
Das Audienzzimmer grenzte direkt an den Thronsaal, hatte kein Fenster und wurde durch einen Bediensteten bewacht. Sowohl die Tür wie auch drei zum Inneren des Gebäudes grenzende Wände waren mit dicken Lederbezügen gepolstert, auf die Außenwand hatte ein Künstler vor vielen Jahren vermutlich als Ersatz für das echte Fenster ein solches gemalt. Wer nicht genau hinsah, meinte tatsächlich, das hügelige Land im Umfeld der Burg und in der Ferne gar ein kleines Dorf erkennen zu können. Die schweren Vorhänge rechts und links dieses Fensters waren wieder echt.
Auf einem Podest an der Wand direkt gegenüber der Tür stand ein bequem gepolsterter Lehnstuhl. Die hölzernen Arm- und Rückenlehne sowie die Stuhlbeine waren mit aufwendigen Schnitzereien verziert. Dies war König Berions Platz, wenn er Abgesandte oder Gäste empfing. Den Hintergrund bildete ein gestickter Wandteppich auf dem die Ankunft der ersten Drachenreiter auf Enodless dargestellt war.
Auch an den anderen Wänden hingen Gobelins und Bilder, hauptsächlich mit Porträts der ehemalige Könige und deren Familienangehörigen, aber auch Landschaftsdarstellungen und die Porträts berühmter Drachen.
Der Raum wurde durch eine offene Feuerschale erhellt und gleichzeitig gewärmt, die auf einem steinernen Sockel an der Wand gegenüber dem gemalten Fenster stand.
Daneben befand sich eine kleine Sitzgruppe, bestehend aus einem quadratischen Tisch und vier schlichten Holzstühlen. Hier setzten sich in der Regel Berion, Brygor, Fram Trobrat und Tabor zur Beratung aller wichtigen Fragen zusammen.
Gerade betraten die drei Erstgenannten den Raum, nahmen aber nicht am Beratungstisch Platz, sondern blieben in der Mitte des Zimmers stehen.
„Ihr habt gehört, was Tabor Verhargsteen berichtet hat“, begann der König. „Für mich klingt das äußerst besorgniserregend. Ihr müsst unbedingt herausfinden, was es mit dem Feueratem auf sich hat und wie wir ob wir uns davor schützen können!“ wandte er sich an den Magier. Dieser schob seine Hände in die weiten Ärmel seines Umhangs und deutete eine leichte Verbeugung an. „Selbstverständlich, Hoheit! Ich mache mich sofort an die Arbeit. Die möglichen Ursachen für Elidarias Vermögen Feuer zu speien, zu ergründen, sehe ich als relativ einfach zu bewerkstelligen an. Eine Möglichkeit, sich generell vor dem Feueratem der Drachen zu schützen, halte ich allerdings eher für ausgeschlossen.“ Während der König bedächtig nickte, verfinsterte sich Brygors Miene bei diesen Worten. „Ihr seid der Magier an diesem Hof“, fuhr der Hohe Rat ihn an. „Es muss eine Möglichkeit geben, Magister! Beherrscht die Elemente oder den Willen der Drachen, lasst euch etwas einfallen, Magister Trobrat!“ Ein spöttisches Lächeln erschien auf dem Gesicht des Hofmagiers. „Ihr schätzt meine Kräfte sehr hoch ein, wie es scheint, Hoher Rat, das war nicht immer so!“
Brygor wollte auffahren, aber der König legte ihm besänftigend eine Hand auf den Unterarm. „Ich denke, wir sollten nicht in Streit verfallen“, meinte er leise, „sondern uns um Aufklärung bemühen. Magister Trobrat wird seine Aufgabe erfüllen, dessen bin ich mir sicher!“
Berion ging unruhig ein paar Schritte auf und ab, beide Hände hinter dem Rücken verschränkt. „Was mir bald noch größere Sorge bereitet, ist dieser mit einem Schwert bewaffnete Drachenreiter“, sagte er dann an Brygor gewandt. „Wenn es sich um einen Drachenreiter aus den sechs Königreichen von Enodless handeln würde, der mit seinem Drachen aus den Diensten eines Herrschers oder einer Herrscherin desertiert wäre, wüssten wir es. Dafür hätten die Hofmagier“, er blickte Magister Trobrat an, „bereits gesorgt, nicht wahr?“
Der Angesprochene nickte. „Selbstverständlich, Hoheit. Das ist auszuschließen. Aber die Möglichkeit, dass ein Mensch einen wildlebenden Drachen gefunden und gezähmt hat, erscheint mir bald noch unwahrscheinlicher. Es sei denn…“ er brach ab und Brygor ergänzte: „es sei denn, dieser Mensch ist ein Magier, wolltet ihr sagen…“.
Fram Trobrat sah ihn mit einem finsteren Blick an. „Das wäre möglich. Wenn dieser Magier in Beherrschungsmagie gelehrt ist und außerdem mit Drachen umzugehen versteht, was schon wieder unwahrscheinlich ist, da ich kein Mitglied unserer Zunft kenne, dass sich näher mit Drachen beschäftigt hat. Unsere Interessen liegen auf anderen Gebieten, wie ihr wisst!“
„Könnte es sich um einen Drachenreiter handeln, dessen Heimat nicht auf Enodless liegt?“ fragte König Berion leise und sah auf den Gobelin hinter dem Podest. „Dafür würde auch das seltsame Zaumzeug sprechen, von dem Tabor berichtete.“
„Nun König, es gibt auch noch eine andere Möglichkeit“ wandte der Hohe Rat ein und sah wiederum dem Magier scharf ins Gesicht. Dieser hob die Schultern und ließ sie betont langsam wieder sinken. Der König sah ihn jetzt ebenfalls an. „Nun ja“, hub er dann an, „es gibt Gerüchte. Seit geraumer Zeit. Weit im Süden von Enodless soll es ein siebentes Land geben. Von wem es beherrscht wird und wie es heißt, vermag Keiner zu sagen. Drachen soll es dort geben, genau wie in den anderen Ländern. Doch die Drachenreiter sollen mit bloßer Geisteskraft die Tiere lenken und beherrschen können.“
Der König sah ihn ungläubig an. Dann richtete er seinen Blick auf Brygor. „Wieso weiß ich davon nichts?“
Der Angesprochene senkte schuldbewusst den Blick. „Nun, es ist wie gesagt nur ein Gerücht, Tavernenthema, Kindermärchen – denke ich wenigstens.“ Magister Trobrat hob die Hände in die Höhe. „Kein Ammenmärchen, verehrter Hoher Rat, Hoheit! Magier aus allen Reichen von Enodless berichten davon. Allerdings ist es noch keinem von uns gelungen, auf irgendeine Weise Näheres über dieses Land zu erfahren. Alle unseren magischen Anstrengungen waren umsonst. Aber es muss etwas daran sein. In anderen Reichen wurden Personen, die davon berichteten, magisch untersucht; mit dem Ergebnis, dass keiner als Lügner überführt werden konnte!“ „Das heißt, sie sprachen die Wahrheit?“ fragte der König. „Dann müsste ja auch herauszufinden sein, was genau sie wissen!“ Fram Trobrat zuckte mit den Schultern. „Magie ist nicht allmächtig, Hoheit!“
Der König nickte. „Bleibt aber dran, Magister. Bezieht auch ihr diese Forschungen in eure Untersuchungen ein. Und nun macht euch an die Arbeit, ich muss noch ein paar Worte mit dem Hohen Rat besprechen!“
Magister Fram Trobrat verneigte sich und verließ mit schnellen Schritten das Audienzzimmer.
Nachdem Magister Trobrat das Zimmer verlassen hatte, nahm Berion auf seinem Stuhl in der Sitzecke Platz und deutete auf den neben sich. „Setz dich, Bryogor!“ sagte er dann. Der Hohe Rat folgte der Aufforderung und sah den König erwartungsvoll an.
„Die beiden Kinder müssen zu Drachenreitern ausgebildet werden“, begann der König nach einigen Augenblicken der Besinnung. „Daran gibt es keinen Zweifel. Doch wer soll sie unterrichten, Brygor? Soll ich sie in Tabors Hände geben oder jedem einen Drachenreiter zuweisen wie es normalerweise üblich wäre? Aber ich werde auch das Gefühl nicht los, dass sie noch viel zu jung sind für diese Ausbildung. Körperlich meine ich, und überhaupt.“
Der Hohe Rat nickte. „Es sind eben noch Kinder, mein König. Und es wird Dinge geben in der Ausbildung, die wir einfach noch nicht von ihnen verlangen können. Abgesehen davon“, er strich sich das lange Haar aus dem Gesicht, „müsste der Drachenreiter, der ihre Ausbildung übernimmt, sie irgendwann mitnehmen, falls er eine Mission übertragen bekommt. Und das ist in ihrem Alter ebenfalls wohl kaum möglich. Nicht einmal ihr wisst immer, wohin die Drachenreiter berufen werden und was ihre Aufgabe ist.“
Berion seufzte. „Ich weiß. Der Tribut an die alten Drachenreiter und für den Frieden, in dem wir hier leben!“
„Es ist auch zu eurem und unserem Schutz!“ meinte Brygor schulterzuckend. „So blieben wir seit Jahrhunderten erfolgreich vor allem Bösem bewahrt!“ Der König schlug leicht mit einer Hand auf die Tischplatte. „Ja Brygor, und wissen bis heute nicht, wem wir Jahr für Jahr wirklich unsere Abgaben liefern!“
Der Hohe Rat zog die Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn. „Den Drachenreitern ist dieses Geheimnis vorbehalten, mein König. Und es ist nicht zu viel, was wir abgeben müssen dafür, dass wir ein Leben in Glück und Frieden führen können!“ „Aber du hast Recht, Berion“, fuhr er dann sanfter fort. „Das ist einer der Umstände mit denen wir Kesia und vor allem den kleinen Tamos keinesfalls behelligen sollten! Dieser Aufgabe wären sie mit Sicherheit nicht gewachsen. Wir müssen einen Weg finden, der beides ermöglicht: Die Kinder zu Drachenreitern auszubilden und sie gleichzeitig vor Gefahr zu bewahren.“
„Nun, gehen wir davon aus, dass auch die jungen Drachen mindestens drei Jahre brauchen, um in einen ersten Einsatz geschickt zu werden, bleibt uns zwar etwas Zeit“, Berion lehnte sich zurück und sah dem Hohen Rat ins Gesicht, „aber die Kinder werden dann trotzdem erst dreizehn bzw. elf Jahre alt sein. Kein Alter, für das, was sie erwarten würde!“
„Eine Möglichkeit wäre vielleicht, sie zwar mit den jungen Drachen aufwachsen zu lassen, die Ausbildung aber erst in sechs, sieben Jahren richtig zu beginnen“, meinte Brygor dann.
In diesem Moment klopfte es an der Tür und kurz darauf trat die Wache ein. „Drachenreiter Tabor wünscht euch zu sprechen, Hoheit!“ verkündete er. Der König nickt und der Bedienstete hieß Tabor eintreten. Danach schloss er die Tür wieder.
Auf dem Gesicht des Drachenreiters lag ein entsetzter und ratloser Ausdruck. „Was ist los, Tabor?“ Berion war die Sorge anzumerken, denn schon lange nicht mehr hatte er seinen Ersten Drachenreiter in so einer Verfassung gesehen.
„Elidaria hat gerade die beiden Drachenjungen nach vorn in den Stall gebracht und sich in ihrer Höhle verkrochen.“ Tabor sprach leise, mühsam beherrscht.
Der König sah erst ihn, dann Brygor entsetzt an. So etwas war noch nie passiert! Normalerweise nahmen die Drachenmütter ihre Jungen mit in die Höhle und kümmerten sich ein Jahr um sie. Was genau in den Tiefen des Berges vor sich ging, hatte noch nie ein Mensch erfahren. In dieser Zeit hatten die jungen Auserwählten theoretischen Unterricht bei erfahrenen Drachenreitern, dem Hohen Rat und dem Hofmagier. Sie erfuhren dabei alles Wissenswerte über Geschichte und Aufgaben der Drachenreiter sowie über Arten, Aufzucht und Lebensgewohnheiten sowie Hege und Pflege der Drachen.
Nach etwa einem Jahr brachte die Drachenmutter das Junge das erste Mal wieder ins Freie. Von diesem Zeitpunkt an begann die Arbeit der jungen Drachenreiter. Gemeinsam mit einem erfahrenen Drachenreiter lernten sie das Fliegen der Drachen und absolvierten praktische Übungen. Wenn dann später, nach etwa zwei bis drei Jahren, ihr Lehrmeister entschied, dass es Zeit sei, ein selbstständiger Drachenreiter zu werden, legte er einen Termin für die Prüfung fest. Diese bildete dann den Abschluss der Ausbildung.
„Was sollen wir tun, Brygor?“ König Berion war sichtlich ratlos. Er war aufgestanden und ging wieder unruhig auf und ab.
Brygor von Hermsdellen starrte auf den Tisch vor sich, als ob dieser ihm die Lösung offenbaren konnte. „Da so etwas meinem Wissen nach noch nicht vorgekommen ist, kann ich nicht mal sagen, ob es gefährlich für die jungen Drachen ist, nicht in der Höhle zu sein. Ich gehe aber davon aus, Hoheit. Wir müssen dringend etwas unternehmen!“ Er stützte den Kopf in die Handfläche der rechten Hand und murmelte: „Als ob wir nicht schon genug Probleme haben!“
Der Drachenreiter war der Erste, der sich nach ein paar Minuten des Schweigens äußerte. „Vielleicht sollten wir Königin Elysaria um Hilfe bitten“, sagte er leise. Zornig sah ihn der König an. „Ihr wisst genau …“, dann brach er aber ab und sah zu Brygor hinüber.
Der nickte. „Ich denke auch, dass das die beste Lösung wäre, mein König. Es gibt niemanden auf dem gesamten Planeten, der sich besser mit den Drachen auskennt, als die Königin der Eiselfen.“
Daraufhin verschränkte Königin die Arme vor der Brust und knurrte mürrisch: „Nur da ich selbst keine Lösung sehe, werde ich mich an euren Rat halten. Ihr wisst, dass ich es hasse, mit dieser Frau zu reden, aber ich werde Fram bitten, mir sofort einen Kontakt herzustellen. Ich glaube, wir haben nicht mehr viel Zeit! Ich begebe mich zu Fram und du, Tabor weckst deinen Sohn und schickst ihn sofort zu seinem Drachen. Brygor, du sorgst dafür, dass Kesia ebenfalls sofort geweckt wird. Sie sollten die kleinen Drachen jetzt nicht alleine lassen!“
Entgegen seiner Gewohnheit ließ König Berion den Magier nicht zu sich rufen, sondern begab sich selbst in dessen Gemächer. Es tat ihm leid, dass er die beiden Kinder um den Schlaf bringen musste, aber er sah keine andere Möglichkeit. Vielleicht war es einfach ihre Nähe gewesen, die die beiden kleinen Drachen über die ersten zwei Tage gerettet hatte. Natürlich war es auch möglich, dass dies gar keine Rolle spielte in der Entwicklung der jungen Drachen. Wenn es jemanden gab, der das mit Bestimmtheit sagen konnte, dann Elysaria.
In diese Gedanken versunken schritt er durch dunkle, nur von wenigen Fackeln erhellte Flure und stieg mehrere Treppen hinauf. Der Hofmagier bewohnte Gemächer in der obersten Etage des Hauptgebäudes. Sein Labor und die Bibliothek befanden sich im angrenzenden Turm.
Als er alle Zimmer im Hauptgebäude verschlossen fand, begab sich König Berion in die Bibliothek hinauf.
Er fand den Magier an einem seiner Lesepulte stehend vor, den Blick in ein dickes, sehr altes Buch vertieft.
Magister Trobrat hatte sein Eintreten aber bemerkt und drehte sich langsam um. Hinter den dicken Gläsern seiner Lesebrille wirkten seine Augen merkwürdig vergrößert und sein Blick stechender als je.
Ehe der König etwas sagen konnte, meinte er: „Ich habe es vorhin schon befürchtet, Hoheit, aber es könnte schlimmer sein, als wir bisher angenommen haben.“ Berion sah ihn an und überlegte, ob er erst berichten oder zuhören sollte. Er entschied sich für das Zweite. Mit einer Handbewegung forderte er den Magister zum Weitersprechen auf, schob einen auf einer Bank am Fenster liegenden Bücherstapel beiseite und setzte sich.
„Der fremde Drachenreiter, von dem Tabor und Bent berichtet haben“, begann Fram Trobrat, „hatte ein Schwert bei sich. Jedenfalls als er von Tabor gesehen wurde.“ Er räusperte sich und stützte sich mit einer Hand auf das Lesepult. „Diese Beschreibung kam mir merkwürdig bekannt vor. Ich habe sie erst nicht einordnen können, nach langer Suche aber gefunden.“ Der König sah ihn interessiert an und nickte.
„Ich habe hier ein Buch mit den wahrscheinlich ältesten Überlieferungen unserer Urahnen. In diesen ist von einem großen Krieg zwischen Drachen und Elfen die Rede.“ König Berion stand auf und kam ein paar Schritte auf ihn zu. „Ein Krieg der Drachen und der Elfen, sagt ihr? Wie ist so etwas möglich?“
„Nun, König Berion, das geschah am Beginn der Zeiten. Das Menschengeschlecht war damals noch jung und unbedeutend. Nicht viel unterschied es von den Tieren im Wald. Lange Zeit waren damals die großen Drachen alleinige Herrscher auf Enodless. Keine andere Rasse konnte es mit ihnen aufnehmen. Aber es waren andere Drachen als heute. Wild und feuerspeiend flogen sie über das Land, krochen in der Erde und durchpflügten die Meere und verschlangen alles, was ihnen in den Weg kam.
Zu dieser Zeit erhob sich das Elfenvolk aus dem Staub und begann, friedlich und im Versuch harmonisch mit allen anderen Wesen diese Welt zu teilen, die Herrschaft auf dem Planeten zu übernehmen.
Die Drachen waren klug genug, dass bald zu erkennen und machten schließlich nur noch Jagd auf die Elfenvolk. Nachdem viele Elfen in diesem aussichtslosen Kampf ihr Leben gelassen hatten, beschlossen sie, die Drachen ein für allemal zu unterwerfen. Ihnen war bald klar, dass das mit ihren friedlichen Mitteln niemals gelingen würde. So lernten sie Waffen herzustellen, Fallen zu bauen und Magie zu gebrauchen. Diese Magie hat ihre Wurzeln in der Kenntnis der Natur und der Elemente, die die Elfen schon immer zu nutzen verstanden.
So gelang es ihnen, Waffen herzustellen mit denen es möglich war, die Panzer der Drachen zu durchdringen und diese Tiere zu töten. Der Kampf wurde immer grausamer und verheerender und hätte beinahe zum Ende beider Rassen geführt. Doch kurz bevor es soweit war, konnten sich die Anführer beider Rivalen einigen. Die Drachen ließen das Elfengeschlecht von da an in Frieden und diese schwuren, nie wieder einen Drachen zu töten.
Die drachentötenden Waffen wurden vernichtet, die Fallen abgebaut und zerstört. Irgendwann verschwanden die Drachen dann im Laufe der Zeit ganz von Enodless, bis sie durch die fremden Drachenreiter zurückgebracht wurden. Das ist aber eine andere Geschichte, die aber bekannt ist.“
„Eine erstaunliche Geschichte, Magister. Aber was hat das mit dem Drachenreiter im Nebelgebirge auf sich?“ fragte König Berion.
„Ja, mein König. Die Geschichte ist noch nicht ganz zu Ende erzählt. Es hält sich nämlich unter dem Volk der Elfen bis auf den heutigen Tag das Gerücht, ein einziges Schwert aus dieser Zeit sei damals nicht vernichtet wurden. Auf Geheiß des Elfenkönigs Karsian sollte es für den Fall, dass die Drachen den Vertrag brächen, versteckt werden. Nachfolgenden Generationen wollte er die Möglichkeit geben, sich gegen die erneut aufbegehrenden Drachen zu wehren und gleichzeitig das Geheimnis der Herstellung derartiger Waffen wahren. Das letzte Schwert mit dem Namen Dracomorta soll in einer Höhle im Nebelgebirge versteckt wurden und mit einer Falle vor fremden Zugriff geschützt wurden sein!“
Berion starrte aus dem Turmfenster und sah am Horizont die Sonne aufgehen. Langsam wich die Schwärze der Nacht dem Grau eines beginnenden neuen Tages.
„Es scheint, als sei jemand mit Nachforschungen zu jener Legende beschäftigt gewesen und hat gefunden, was er gesucht hat“, sagte er leise. „Daneben nimmt sich das Ansinnen, das mich hierher geführt hat, beinahe nebensächlich aus.“
Der Magier trat neben ihn und starrte ebenfalls in die endende Nacht. Langsam und leise, so als ob er die Stille da draußen stören könnte, begann Berion zu berichten.
„Selbstverständlich kann ich euch sofort einen telepathischen Kontakt zu Königin Elysaria herstellen, Hoheit. Begeben wir uns dazu in mein Labor.“
Der König nickte bedächtig. „Wir müssen aber auch Alagnon warnen“, meinte er dann. „Wie es aussieht, droht ihm und ganz Enodless gewaltige Gefahr! Wenn es dieses siebente Land tatsächlich gibt und es einem der Drachenreiter aus diesem Land, wie auch immer, gelungen ist, das Schwert Dracomorta zu finden, ist er damit in der Lage, großes Unheil über alle Länder von Enodless zu bringen.“
„Wir werden ihn rechtzeitig ausfindig machen und stoppen, mein König!“ wandte Brygor ein. „Lasst uns nun mit Königin Elysaria sprechen!“
„Das ist richtig, Brygor. Aber zuerst werde ich meinen schnellsten Drachenreiter zu König Alagnon senden, um ihn zu warnen!“
Bent Heerwegen landete mit Dragonidor im Hof der Burg König Alagnons. Er wurde von Ramos de Terry, dem Ersten Drachenreiter Alagnons begrüßt. „Schön dich zu sehen, Bent!“ lachte der. „Bring Dragonidor in das Stallgebäude, du kennst dich ja aus. Was führt dich her?“
Während Bent der freundlichen Aufforderung nachkam und begann, das Sattelzeug abzuschnallen, antwortete er: „Ich habe eine dringende Botschaft für König Alagnon zu überbringen. Gefahr ist im Anzug für ganz Enodless.“ Er überlegt kurz und fragte dann: „Sag mal, ist bei euch in den letzten Tagen ein seltsamer fremder Drachenreiter aufgetaucht?“
Ramos de Terry verzog kurz das Gesicht und meinte dann: „Nein, ein Fremder schon, aber kein Drachenreiter.“
Bent hob den Kopf und unterbrach das Absatteln seines Drachens. „Ein Fremder, sagst du? Ein hochgewachsener Mann mit Vollbart und einer seltsamen Lederbekleidung?“
„Nein. Gar nicht. Magister Khorkan Vendelen ist ein älterer Magier, der stets leicht gebückt geht, aber ziemlich widerwärtig aussieht, wenn du mich fragst.“
Verwundert den Kopf schüttelnd sagte Bent: „Das ist schon irgendwie merkwürdig. Ich kann dir momentan nur Eines sagen: Nehmt euch in acht vor ihm und passt gut auf eure Drachen auf!“
Ramos sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Wie meinst du das, Bent?“ fragte er. „Tut mir Leid mein Freund, aber ich kann dir noch nicht mehr sagen. Zuerst muss ich mit Alagnon reden. Was ist überhaupt mit Magister von Hernstett? Wie kommt es, dass ihr einen neuen Hofmagier habt?“
„Das ist eben auch merkwürdig. Seit zwei Tagen ist Magister von Hernstett wie vom Erdboden verschluckt. Keiner hat ihn gesehen, keiner weiß, wohin er gegangen sein könnte. Und dann taucht gestern Abend plötzlich dieser Khorkan auf und bietet seine Dienste als Hofmagier an. König Alagnon nimmt sein Angebot sofort und ohne zu zögern an, als ob Magister von Hernstett nicht jeden Augenblick wieder auftauchen könnte.“
Während des Gesprächs waren die beiden Männer mit ihrer Arbeit zu Ende gekommen und Dragonidor rollte sich zufrieden in der leeren Box zusammen und schloss die Augen. Gemeinsam begaben sich die beiden Drachenreiter in das Hauptgebäude.
König Alagnon empfing Bent in seinem Audienzzimmer, das bis auf wenige Details in Größe und Ausstattung dem von König Berion glich.
Alagnon hatte auf dem erhöhten Stuhl vor dem großen Gobelin Platz genommen, ihm zur Linken stand Delian Hammersfeld, der Hohe Rat, zu seiner Rechten ein etwa sechzig Jahre alt scheinender Mann mit kurzem, grauen Haar und einem ebensolchen Vollbart. Er trug den weiten dunkelblauen Mantel des Hofmagiers. Das musste dieser Khorkan sein, dachte Bent. Ein seltsames Lächeln umspielte die Mundwinkel des Magiers als er den Drachenreiter musterte und sein Blick schien ihn auf der Stelle durchbohren zu wollen.
„Ihr wollt also behaupten, Bent Heerwegen, dass ein Drachenreiter aus dem mysteriösen siebenten Land unterwegs in unser Reich ist, um unsere Drachen zu töten?“ fragte Delian Hammersfeld spöttisch nachdem Bent seinen Bericht beendet hatte. „Klingt das nicht selbst in euren Ohren sehr seltsam?“
Ehe Bent etwas erwidern konnte, schaltete sich König Alagnon ein. „Ihr vergesst, Delian, dass Drachenreiter Heerwegen sich diese Geschichte nicht ausgedacht hat und nicht aus eigenem Antrieb den weiten Weg zu uns auf sich genommen hat! Mäßigt also eure Worte. König Berion wird sich etwas dabei gedacht haben, wenn er einen seiner Drachenreiter mit einer Warnung hierher sendet!“ Er sah zu Khorkan hinüber. „Was denkt ihr, Magister?“
„Nun ja“, begann der Angesprochene, „sowohl die Legende über das siebente Reich wie auch die über das drachentötende Schwert gibt es. Die Erste kann nicht widerlegt werden, die Zweite ist nie bestätigt worden. So unglaublich das Ganze auch klingen mag, es ist nicht völlig ausgeschlossen. Ihr solltet auf der Hut sein!“ Seine Stimme klang fest und kräftig, sein eisiger Blick war, obwohl er mit dem König sprach, starr auf Bent Heerwegen gerichtet. Dieser hatte das Gefühl, seine Haut sei mit Raureif überzogen.
„Ich danke euch für die überbrachte Warnung“, sagte Alagnon zu ihm. „Ruht euch jetzt aus und macht euch dann gestärkt auf den Rückweg. Richtet König Berion meinen Dank aus und berichtet ihm, dass hier alles in bester Ordnung ist.“
Damit war Bent entlassen. Während er den Raum verließ, zogen sich die drei anderen Männer an den Tisch im Hintergrund zur weiteren Beratung zurück. Als sich die Tür hinter Bent geschlossen hatte, huschte ein dämonisches Grinsen über das Gesicht des Hofmagiers. Er schlug den weiten Mantel, der bisher seine Hände verborgen hatte, zurück. An seiner rechten Hand trug er einen auffälligen Ring mit einem großen Stein, der in sanfter Bernsteinfarbe schimmerte.
Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages schienen durch die kleinen Fenster in den Drachenstall. Kesia und Tamos hockten übernächtigt und aneinander gekuschelt im Stroh der letzten Box. Zwischen ihnen lagen die beiden kleinen Drachen. Beide hatten den Kopf auf dem Schoß des jeweiligen Kindes liegen und die Augen offen. Sie hatten sich, seit die Kinder sie in der Nacht an sich genommen hatten, so gut wie nicht bewegt.
Kesia schlug das Herz bis zum Hals. Eine furchtbare Angst, die kleinen Drachen könnten in den nächsten Stunden sterben, hatte sich ihrer bemächtigt. Ohne dass sie miteinander gesprochen hatten, wusste sie, dass es Tamos nicht anders erging. Anfangs hatten sie versucht einzuschlafen. Das war ihnen aber nicht gelungen. Dann saßen sie nur still beieinander und streichelten ab und zu zärtlich die kleinen Tiere neben sich. Kesia hatte immer gedacht, auch bei jungen Drachen müssten die Schuppen hart und kalt wie bei den erwachsenen Tieren sein. Doch die kleinen goldenen Schuppen waren weich wie dünnes Leder und warm wie die Haut eines Menschen.
Nur wenig später betrat ihr Vater den Stall. Auch er sah blass und übermüdet aus, als er sich zu den Kindern ins Stroh setzte. Als er zu sprechen begann, war sein Blick auf die beiden Drachenjungen gerichtet. „Ihr werdet eine weite Reise machen müssen, ihr vier“, sagte er. Die Kinder blickten gespannt zu ihm auf. Mit einem Mal war die Müdigkeit verflogen.
„Die beiden kleinen Drachen würden hier ohne mütterliche Fürsorge zwar vielleicht sogar überleben können, könnten aber niemals auf ihre spätere Bestimmung vorbereitet werden. Sie müssen von anderen Drachen unterrichtet werden.“ Er unterbrach sich und blickte jetzt die Kinder an. „Genau wir ihr müssen sie vieles lernen. Nur dass es bei ihnen vermutlich schneller geht, als bei euch. Ihr seid durch dieses von euch selbst verschuldete Chaos viel zu früh in die Lage geraten, zu Drachenreitern ausgebildet werden zu müssen. Es gibt hier keinen Drachenreiter, der so kleine Kinder beaufsichtigen und ausbilden kann.“
„Mein Vater kann das!“ fiel ihm Tamos ins Wort. Kesia legte sofort ihre Hand auf seinen Mund. Sie wusste, dass man ihren Vater nicht unterbrechen durfte. Doch irgendwie schien ihn das gar nicht so zu stören. Er sah den kleinen Jungen an. „Vielleicht hast du sogar Recht, Tamos. Dein Vater ist sicher ein guter Lehrer. Aber als Drachenreiter hat er viele Aufgaben zu erfüllen und muss immerzu irgendwohin, das weißt du doch. Außerdem“, er blickte jetzt Kesia an, „müsst ihr Beiden in der Nähe eurer Drachen sein. Wir können nicht sagen, ob die anderen Drachen sie annehmen werden. Und wenn nicht…“ Er brach ab und zuckte mit den Schultern.
Kesia nahm die Hand ihres Vater und fragte: “Gibt es denn ein Land, in dem die Drachenreiter nicht so viel zu tun haben wie unsere und sich um uns kümmern können?“ Ein leichtes Lächeln glitt über sein Gesicht. „Es gibt ein Land, in dem es bei Weitem mehr Drachen als Drachenreiter gibt und in dem auch so einiges anders ist als hier.“
„Aber die Menschen sind doch friedlich und nett?“ fragte Kesia.
„Das ist ja das Problem. Dort gibt es keine Menschen. Oder besser gesagt: nicht viele!“ Berion sah in die entsetzten Augen seiner Tochter. Tamos hatte sich bei diesen Worten verängstigt an seine Freundin geschmiegt.
„Wo schickst du uns hin, Vater?“ Kesias Stimmer zitterte und ihre Augen schimmerten plötzlich ganz feucht. „Ihr braucht keine Angst zu haben“, meinte König Berion und lächelte etwas. „Elysaria kann ganz nett sein. Vor allem zu kleinen Drachen!“ Er hockte sich hin und streichelte die beiden Drachenjungen. So konnten die Kinder sein Gesicht nicht sehen.
Kesia stand starr vor Schreck. „Zur Königin der Eiselfen?“ flüsterte sie. Verständnislos sah Tamos sie an. Sie nahm seine Hand. „Mein Vater schimpft immer, wenn das Gespräch auf sie kommt!“ erklärte sie. „Königin Elysaria ist eiskalt wie ihr Land und hat kein Verständnis für die Menschen – eher für die Probleme der Drachen, sagt er immer.“
„Sie ist die Einzige, die diesen beiden hier wirklich helfen kann!“ König Berion ließ noch einmal seine Hand über die beiden kleinen Drachenköpfe gleiten und stand dann auf. Er legte die Hände auf Kesias Schultern und sah ihr lange in die Augen. „Und: Sie ist deine Mutter!“
4. Kapitel
Die Reise beginnt
Mit schweren Flügelschlägen kämpften sich die beiden Drachen durch die dicke, graue Wolkendecke. Seit zwei Tagen waren sie fast ununterbrochen unterwegs und langsam ließen ihre Kräfte nach. Nur in der Nacht hatten sie ein paar Stunden auf einem Gebirgskamm am Rand des Nebelgebirges geruht. Seit dem Morgen waren sie stets in nördliche Richtung geflogen und jetzt wurde es merklich kühler und ungemütlicher.
Auch die Menschen auf ihrem Rücken hüllten sich in Felle oder wollene Decken und versuchten Schutz vor der zunehmenden Kälte und dem eisigen Regen zu finden.
Tamos hatte das Gefühl, noch nie so gefroren zu haben wie heute. Er hockte in dem nussschalenähnlichen Sattel zwischen Transportkiste und dem Sitz des Drachenreiters, den jungen Drachen in seinem Schoß. Der schlief die meiste Zeit ganz friedlich und schien die ungemütliche Umgebung gar nicht wahrzunehmen.
Zu Beginn der Reise war Tamos furchtbar aufgeregt gewesen. Auf einem Drachen zu fliegen, hatte er sich schon immer gewünscht. Als der sich dann in die Lüfte erhob, krampfte sich dem Jungen der Magen derart zusammen, dass er beinahe sein Frühstück wieder von sich gegeben hätte. Er krümmte sich und wollte nur schnell wieder festen Boden unter den Füßen spüren. Kurz darauf hatte er sich wieder erholt, aber es folgte die nächste Enttäuschung. Tamos richtete sich etwas auf und versuchte über den Rand des Transportsattels nach unten zu sehen. Das hatte er sich immer ganz besonders aufregend vorgestellt: wie die Dörfer und Städte, Wälder und Bergketten tief unter ihm hinweg zogen. Aber außer den sich unermüdlich auf und ab bewegenden Schwingen des Drachen war nichts zu sehen.
Gestern war das Wetter ja noch einigermaßen schön gewesen und die Sonne hatte noch angenehm gewärmt. Heute früh aber waren sie bei strömenden Regen aufgestiegen und viel besser war das Wetter im Laufe des Tages nicht geworden. Nur diese eisige Kälte war hinzugekommen. Die beiden Drachenreiter blieben solange wie möglich in den Wolken, doch um sich zu orientieren, mussten sie immer wieder hinab in den nicht nachlassenden Regen tauchen.
Was Tamos aber noch mehr ärgerte war, dass sein Vater ausgerechnet Raém Breskow gebeten hatte, ihn ins Eisland zu fliegen. Den stets mürrischen, alten Drachenreiter hatte Tamos noch nie leiden können und dieser Flug hatte seine Einstellung keineswegs geändert. Raém hatte während der nun fast zwei Tage außer den ständigen Ermahnungen, sitzen zu bleiben und auf den kleinen Drachen aufzupassen so gut wie kein Wort mit ihm gewechselt. Wenn sie für wenige Minuten rasteten, wich er nicht von seiner Seite und in den Stunden der Nachtruhe hatte der Alte die ganze Zeit, an seinen schlafenden Drachen gelehnt, Wache gehalten. Tamos fragte sich, ob Raém nie oder während des gesamten Fluges schlief und deshalb nicht mit ihm sprach.
Da hatte es Kesia mit Tycar Staerekum eindeutig besser getroffen, dachte er. Der Drachenreiter war etwa so alt wie Bent Heerwegen und genauso freundlich. Kein Wunder, dass die beiden jungen Männer beste Freunde waren!
Der kleine Drachen in Tamos‘ Schoß bewegte sich ein wenig, öffnete die Augen und ließ das nun schon bekannte leise Fiepen vernehmen. Der Junge lächelte, strich dem Kleinen sacht über den Kopf und öffnete mit der anderen Hand eine Umhängetasche an seine Seite. Er zog eine tote Maus daraus hervor und hielt sie dem kleinen Drachen hin. „Hier“, sagte er leise. „Leider wieder nur ‘ne tote, aber wir dürfen hier ja nicht rumtollen und wer weiß, wann wir mal wieder landen!“
Während der Drachen die Maus verschluckte, dachte Tamos daran, wie gern er seinem Schützling schon einen Namen gegeben hätte. Sein Vater hatte ihm aber erklärt, dass einzig Magister Madolas, der Magier Königin Elysarias, berechtigt war, den jungen Drachen Namen zu geben. Der alte Madolas führte das Drachenregister, in dem jedes einzelne Tier, das seit dem Auftauchen der Drachenreiter auf Enodless gelebt hatte, verzeichnet war. Kein Name durfte jemals doppelt vergeben werden. Dass der Name des jungen Drachen außerdem mit dem gleichen Buchstaben wie der seiner Mutter beginnen musste, wusste Tamos. In Gedanken hatte er seinen Drachen bereits Echéathor getauft. Allerdings wusste er nicht genau, ob es sich tatsächlich um einen männlichen Drachen handelte.
„Festhalten!“ Durch die laute, brummige Stimme Raém Breskows wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Tamos, der an seinem Sitz festgeschnallt war, umklammerte mit beiden Armen den kleinen Drachen und krallte sich außerdem am Rand des Sattels fest. Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Augenblick stürzte sich der Drachen in die Tiefe und wurde von einer heftigen Sturmbö erfasst. Winzige Eiskörner prasselten auf das Gesicht und die Hände des Jungen. Es kostete ihn alle Kraft, trotz der furchtbaren Schmerzen nicht loszulassen. Taumelnd kippte der Drachen zur Seite und Tamos sah plötzlich eine schier unendliche weiße Fläche auf sich zu rasen. Der Sturm riss einen angstvollen Schrei von den Lippen des Jungen und trug ihn davon.
Nicht nur, dass es heute viel ungemütlicher war als gestern, jetzt wurde auch die Landschaft immer trostloser. Kesia kuschelte sich in ihre dicke Wolldecke und dachte an Tamos. Einige Male hatte sie einen Blick auf den anderen Drachen erhaschen können. Doch Raém Breskow hielt seinen Drachen gerade in der Flugrichtung und von ihrem Freund war nichts zu sehen gewesen. Armer Tamos, dachte sie, er kann den Flug gar nicht genießen!
Sie selbst hatte es mit Tycar Staerekum wirklich gut getroffen. Der junge Drachenreiter hatte ihr zur Sicherheit einen Gurt angelegt, der quer über ihre Brust verlief und mit zwei weiteren Riemen locker an Ösen rechts und links am Sattel befestigt war. So konnte sie aufstehen und über Tycar hinwegsehen. Der kleine Drachen hatte sich von Kesia ebenfalls einen schmalen Gurt umlegen lassen, mit dem er am Sattel angeleint werden konnte. Tycar hatte Kesia nur gebeten, sich sofort zu setzen und festzuhalten, wenn er es ihr sage.
Während der ersten Stunden des Fluges hatte sie überwältigt und staunend hinter dem jungen Drachenreiter gestanden und ihn mit Fragen genervt. Geduldig hatte Tycar ihr geantwortet und ihr die Namen der Städte und Dörfer genannt, über die sie hinweg flogen. Er schien wirklich jeden noch so kleinen Ort im Reich zu kennen. Wenn sie etwas genauer sehen wollte, bat er sie, sich gut festzuhalten und ließ seinen Drachen die Stelle umrunden, wobei der sich etwas auf die Seite legte, so dass Kesia beim ersten Mal fast schlecht wurde. Da sie so aber wesentlich besser sehen konnte, legte sich ihre Aufregung und bald machte es Kesia solchen Spaß, dass sie den jungen Drachenreiter immer öfter bat, eine Runde zu fliegen. Tycar hatte gelacht und ihr den Spaß gegönnt.
Seit heute Morgen war das aber so gut wie vorbei. Solange sie durch die dichten Wolken flogen, war der junge Drachenreiter sehr schweigsam und Kesia langweilte sich. Sie saß auf ihrem Platz, den Kopf in die Hände gestützt und beobachtete nachdenklich den kleinen Drachen, der zu ihren Füßen zusammengerollt lag und schlief.
Von Zeit zu Zeit rief Tycar ihr zu: „Es geht nach unten!“. Dann sprang sie auf und hielt sich an der Rückenlehne des Drachenreitersitzes fest. Kaum durchstießen sie die Wolkendecke, peitschten Regentropfen in ihr Gesicht. Doch endlich konnte sie wieder etwas von der Landschaft erkennen! Die hatte sich, nachdem sie heute früh das Nebelgebirge verlassen hatten, drastisch verändert. Bei jedem Mal wurde die Gegend trostloser und grauer. Immer seltener tauchten unter ihnen noch Dörfer oder gar Städte auf.
Im Laufe des Vormittags waren die zusammenhängenden Waldflächen immer größer geworden. Später wichen die Wälder einer sich bis zum Horizont erstreckenden Ebene. Nur vereinzelt ragten ein paar niedrige kahle Bäume und entlaubte Sträucher wie dürre Gerippe auf. Wie Hände, die nach uns greifen und unsere Reise hier beenden wollen, dachte Kesia. Die Landschaft wurde auch nicht freundlicher, als sie sich stellenweise mit einer glitzernden weißen Decke überzog.
„Das erste Eis, Prinzessin“, hatte Tycar ihr erklärt.
„Wo sind wir hier?“ Hatte Kesia mit vor Kälte oder Angst zitternder Stimme gefragt. Ein unheimliches Gefühl hatte von ihr Besitz ergriffen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte das Mädchen ungläubig in die Tiefe.
„Wir fliegen gerade über die Sümpfe von Beril’nah. Hier wird es kälter als bei uns daheim. Hinter den Sümpfen beginnt dann das Meer. Aber bis dahin sind es noch einige Stunden.“
„Die Sümpfe von Beril’nah“, wiederholte Kesia. „Die Kinder sagen, dass hier das Totenreich beginnt. Stimmt das?“
„Ich weiß es nicht genau Prinzessin, aber ich denke, dass die Kinder Recht haben. Wo, wenn nicht hier, sollte der Eingang zum Reich des Todes liegen? In den warmen Wochen sieht es hier noch viel unheimlicher und dunkler aus als jetzt. Außerdem gibt es Geschöpfe in diesen Sümpfen, wie du sie dir nicht schlimmer vorstellen kannst! An Grausamkeit und Blutgier nicht zu überbietende Wesen, riesengroße und winzig Kleine. Jeder Schritt, jede schnelle Bewegung kann dir dort unten den Tod bringen!“
Dann hatte Tycar den Drachen wieder hoch hinauf in die Wolken gezogen und Kesia fühlte sich gleich wieder besser. Seit dem hatten sie keine noch so kurze Rast mehr eingelegt.
Jetzt, es musste schon später Nachmittag sein, hockte sie zusammengesunken auf ihrem Platz und wäre beinahe eingeschlafen, als ihr Drachenjunges mit einem Male ein seltsames Geräusch von sich gab, das wie das Jaulen eines Hundewelpen klang. Kesia blickte auf und sah, dass der kleine Drachen den Hals reckte und sie aus großen Augen ansah. „Was ist denn los mit dir?“ Fragte sie und nahm ihn auf den Schoß. Er drängte sich dicht an sie und jaulte leiser weiter. In diesem Augenblick rief Tycar ihr zu: „Da kommt was auf uns zu! Halt dich gut fest, Prinzessin!“
„Was ist los, Tycar?“
„Ein furchtbarer Sturm, Prinzessin. Wir müssen sofort runter und hoffen, dass wir uns in Sicherheit bringen können!“
Noch ehe Kesia etwas darauf sagen konnte, stürzte der Drachen fast senkrecht nach unten und dem Mädchen schien sich der Magen umzudrehen. Sie kämpfte mit dem Brechreiz, während sie Tycar fluchen hörte. Plötzlich sah sie ganz dicht neben sich den Drachen Raém Breskows an ihnen vorbei nach unten torkeln. Dann riss ihn ein heftiger Windstoß fort. Kesia war, als ob sie Tamos schreien hörte, aber im selben Augenblick war es auch schon vorbei und das Tosen des Sturmes verschluckte jedes andere Geräusch. Um sie herum wurde alles weiß.
Mit einem heftigen Krachen schlug der große steingraugeschuppte Drachen auf dem schneebedeckten Boden auf und während eine weiße Nebelwand aufstieg, hallte Kelomyths Wutschrei über die Ebene und übertönte sogar den Sturm um ein Vielfaches.
Tamos‘ Herz schlug heftig und er zitterte am ganzen Körper. Seinem kleinen Drachen ging es nicht viel besser.
„Los, nichts wie runter hier!“ Hörte er den alten Drachenreiter rufen, dann war Raém auch schon bei ihm und befreite ihn von dem Haltegurt. Er hob er den Jungen, der immer noch den kleinen Drachen im Arm hielt, über den Rand des Sattels und Tamos rutschte auf dem Drachenrücken nach unten.
Im selben Augenblick stand auch schon der Drachenreiter neben ihm. „Bist du in Ordnung?“ Fragte er, und zum ersten Mal spürte Tamos so etwas wie Besorgnis in seinen Worten.
Er nickte.
„Die Bruchlandung war nicht beabsichtigt.“ Sollte das eine Entschuldigung sein?
„Ich muss mir Kelomyth erst mal ansehen. Hoffentlich ist er nicht verletzt! Du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle!“ Mit diesen Worten ließ Raém Braeskow ihn stehen.
In diesem Augenblick schien sich schlagartig der Himmel zu verfinstern. Das Tosen des Sturmes schien von einem Moment auf den anderen auf das Doppelte anzuschwellen. Tamos zog den Kopf zwischen die Schultern und erwartete, weggeweht zu werden.
Da setzte mit heftigen Flügelschlägen Assayatha, Tycar Staerekums Drachen, neben ihm auf. Gleich darauf stand Kesia neben ihm. Auch sie hielt ihren kleinen Drachen im Arm. Dann plumpste ein großes Bündel neben ihnen in den Schnee und wenig später sprang Tycar vom Rücken seines Drachen herunter zu den beiden Kindern.
„Keine Angst“, beruhigte er sie. „Die Drachen geben uns erst mal Schutz vor Schnee und Wind. Ich mache euch ein kleines Feuer an und schau mich dann mal um, ob ich irgendwo einen Unterschlupf für die Nacht finde.“
Mit diesen Worten machte er sich an dem Bündel zu schaffen, zog ein paar Decken hervor und ein kleines, eisernes Gestell, in dem sich ein holzähnlicher Block befand.
Die beiden Drachen rückten enger zusammen und legten sich jeweils halbkreisförmig hin, so dass ihre Körper für die vier Menschen und die beiden kleinen Drachen eine Art Schutzwall vor dem Sturm bildeten. Dann entfalteten Kelomyth und Assayatha jeweils einen ihrer gewaltigen Flügel und legten ihn auf dem Körper des anderen ab.
Raém, der inzwischen auch wieder zu den anderen gestoßen war, sagte: „Kelomyth ist zum Glück nichts passiert. Soweit ich sehen kann, ist alles in Ordnung. Er ist aber völlig erschöpft. Ich glaube nicht, dass wir heute noch weiter können.“
Tycar, der dabei war, die kleine Feuerschale zu entzünden, gab ihm Recht. „Es hätte keinen Sinn mehr heute. Der Sturm wird sicher noch eine Weile anhalten. Selbst wenn die Drachen nur hier liegen und uns Schutz geben, geht das über ihre Kräfte.“
Sobald das kleine Feuer brannte, verbreitete es eine angenehme Wärme. Tycar entnahm dem Bündel etwas getrocknetes Obst und Fleisch und verteilte es. Nachdem sie gegessen hatten, wollte er losziehen und eine feste Unterkunft finden. Doch Raém hielt ihn zurück.
„Das ist zwecklos, Tycar“, meinte er. „Du wirst hier weder eine Höhle noch ein Haus oder irgendetwas in der Art finden. Wir sind hier fast an der Küste. Die Gegend ist völlig eben und selbst im Sommer ist es immer windig. Es gibt zwar ein paar winzige Bauernhöfe hier, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du bei diesem Wetter einen findest. Die nächste Stadt ist Wellstedt, etwa mehr als eine Flugstunde entfernt.“
Der junge Drachenreiter widersprach nicht und lehnte sich an Assayathas Rücken. Er blickte die Kinder an und zuckte die Schultern. „Machen wir es uns eben hier gemütlich!“ Er lächelte und schloss die Augen.
Raém hielt eine Weile schweigend die Hände über die Feuerschale, strich sich dann über den kurzen grauen Bart und knurrte: „Auch wenn ein Sturm tobt und die Drachen uns beschützen: Einer muss ja Wache halten.“ Dann hüllte sich in einen dicken dunkelblauen Umhang mit Kapuze und kletterte er behände auf Kelomyths Rücken hinauf.
Kesia und Tamos schmiegten sich eng aneinander und hüllten sich trotz des wärmenden Feuers gemeinsam in eine Decke. Sie hatten ihre Drachen gefüttert und nun tollten diese verspielt in dem kleinen Kreis herum, merklich froh, sich endlich etwas bewegen zu können.
Wie von Sinnen ritt der junge Mann durch das Nebelgebirge. Seit zwei Tagen gönnte er seinem Pferd kaum ein paar Augenblicke Rast, trieb er es danach umso heftiger an. Jetzt war es dermaßen erschöpft, dass es sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte.
Da erst hatte der Reiter Erbarmen mit dem Tier. Er stieg ab und nahm es am Zügel. Die Flanken des Braunen bebten, seine Beine zitterten und der Schweiß lief ihm in Strömen am ganzen Körper herab.
„Tut mir ja leid“, murmelte der junge Reiter, „aber ich kann einfach keine Unterkunft für uns finden. Ich habe das Gefühlt, fast das gesamte Gebirge durchquert zu haben und nirgends habe ich eine Höhle oder ähnliches für uns gefunden!“ Er nahm seine Mütze ab und wischte sich mit einer Hand über die Stirn. Er strich sanft über den nassen, bebenden Hals des Pferdes, das seinen Kopf auf seine Schulter legte und ihn, vorwurfsvoll wie es ihm schien, ansah.
„Was soll ich machen?“ Fragte der Junge das Tier. „Nach Hause kann ich nicht zurück. Nicht, dass sie mir nicht verzeihen würden“, er schüttelte heftig den Kopf, „das nicht. Aber ich könnte es nicht ertragen, mein Leben lang bedauert zu werden. Sie würden es nicht zugeben, sicherlich nicht. Aber in ihren Augen würde ich es sehen. Jeden Tag. Und das mein Leben lang! Bedauern und Mitleid und in denen der Bauern und Handwerker bestimmt auch ein ewiges schadenfrohes Grinsen!“ Er schnaubte wütend und der Braune tat es ihm, wie um seine Worte zu bestätigen, gleich.
Dann nickte der Junge. „Komm, Brauner“, sagte er leise, „gehen wir weiter.“
Widerwillig ließ das Tier sich weiterziehen. Trotz der hereinbrechenden Dunkelheit bemerkte der Junge plötzlich, dass sich der Wald zu einer Lichtung weitete.
Im Dämmerlicht erregte am gegenüberliegenden Rand der Lichtung ein riesiger Schatten seine Aufmerksamkeit. Es schien ein großer Felsbrocken zu sein. Dann bemerkte er, dass es sich um zwei dicht beieinander stehende Findlinge handelte. Und zwischen diesen flackerte ein schwaches Licht!
Beim Näherkommen erkannte der Junge dann, dass zwischen den Felsen eine kleine, halb zerfallene Hütte stand. Der Lichtschein drang durch eines der beiden winzigen Fenster nach draußen.
Jetzt spürte der Junge auch die Kälte, die langsam unter seine dünnen Sachen kroch, und den heftigen Hunger bemerkte er jetzt auch.
Vorsichtig trat er näher und klopfte an die Tür. Für einen Moment war kein Geräusch zu hören. Der Junge dachte erst, sein Klopfen sei zu leise und vorsichtig gewesen. Doch dann wurde im Inneren der Hütte mit lautem Poltern ein Stuhl zurückgestoßen und schwere Schritte näherten sich der Tür. Die Hände des Jungen griffen fester um den Zügel seines Pferdes und irgendwie hatte er das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Doch umzukehren und fortzureiten kam für Beide nicht mehr in Frage. Weder er noch der Braune konnten noch Weiter.
Als die Tür aufgerissen wurde, füllte die Gestalt ihres Bewohners den Türrahmen fast gänzlich aus. Ich hätte nie geglaubt, dass Riesen in so kleinen Hütten hausen, schoss es dem Jungen durch den Kopf. Denn nichts anders glaubte er vor sich zu haben. Der Mann war mindestens einen Kopf größer, als alle anderen, die er zuvor gesehen hatte und ein schwarzer, struppiger Vollbart verbarg einen Teil seines Gesichts. Trotzdem beeindruckten den Jungen am meisten die merkwürdigen Sachen, die der Riese trug. Dunkelbraune Lederkleidung, in einer Art geschneidert, wie sie der Junge noch nie gesehen hatte. Eine Art Schuppenpanzer trug er darüber. Auch so etwas kannte der Junge nur aus den alten Märchen, die seine Mutter ihm erzählt hatte, als er noch klein gewesen war.
Das wilde Aussehen des Riesen stand im völligen Gegensatz zum Strahlen seiner Augen. „Oh, Besuch!“ Meinte er fröhlich. „ Na, das ist doch mal was Anderes! Kommt herein, junger Freund. Viel kann ich euch nicht anbieten, aber ein wenig Braten ist noch übrig. Und guten Wein habe ich sowieso immer hier. Aber wie ihr ausschaut, ist euch ein Platz am Feuer und ein weiches Bett mindestens genauso lieb. Also: Herein mit euch!“
Immer noch und vielleicht sogar noch mehr als vorher, musste der Junge an die alten Geschichten denken, in denen Kinder mit Freundlichkeit in die Höhlen und Häuser von Riesen und Hexen gelockt wurden, nur um dann von deren Bewohnern versklavt oder gefressen zu werden. Dennoch konnte er nicht anders, als der Einladung des Riesen folgen.
In der Hütte war es wunderbar warm und er ließ sich erschöpft auf einen Stuhl am Feuer sinken. „Nehmt, was auf dem Tisch steht, esst und trinkt nach Herzenslust!“ Meinte der Hüne und wandte sich der Tür zu. „Ich stelle derweil euer Pferd unter und versorge es. Das scheint mir nämlich in einem genauso schlechten Zustand zu sein wie ihr!“ Damit verließ er die Hütte und der Junge fiel regelrecht über die auf dem Tisch stehenden Speisen her.
Als sein Gastgeber sich etwas später wieder zu ihm gesellte, fühlte er sich fiel besser, aber auch so müde, dass er am liebsten auf der Stelle umgefallen und eingeschlafen wäre.
„Ich hoffe, dass ich dein Pferd wieder hinbekomme.“ Sagte der Mann dann. „Zum Glück ist es starkes, ausdauerndes Tier, denn sonst hätte es den heutigen Tag nicht überlebt.“
Der Junge senkte schuldbewusst den Kopf.
„Nun, auf jeden Fall solltest du jetzt schlafen gehen. Morgen reden wir weiter!“
Wie er ins Bett gekommen war, wusste er am nächsten Morgen gar nicht mehr. Als er die Stube betrat, saß der riesige Fremde schon am Tisch und frühstückte.
„Komm, setz dich und lang zu. Wir müssen reden“, sagte dieser und lud ihn mit einer Handbewegung an den Tisch ein.
Nachdem der Junge sich gesetzt und während er das erste, mit einer dicken Bratenscheibe belegte Brot verspeiste, sprach der Fremde: „Mein Name ist Hork del Eveen. Und ehe du fragst: Viel mehr wirst du vorläufig nicht von mir erfahren. Außerdem muss ich bald für längere Zeit weg hier. Du siehst mir so aus, als könntest du eine Unterkunft brauchen. Kannst hier wohnen, wenn du etwas für mich tust. Oder willst du weiterreisen? Dein Pferd ist morgen denke ich wieder in der Lage dazu. Wenn du es unterwegs noch schonst!“ Er sah den Jungen fragend an.
Der überlegte, was er sagen sollte und plötzlich kamen ihm die letzten Ereignisse wieder in den Sinn. Tränen der Wut und Enttäuschung schossen ihm in die Augen, als er hervorstieß: „Mantilia heiße ich. Bin in Bresbonia geboren. Ausersehen war ich, ein Drachenreiter an König Berions Hof zu werden! Ich hab‘ gespürt, dass der Drachen mich auserwählen würde, und die alte Elvèria hat es mir auch so geweissagt. Doch dann, dann …“ Er schluckte heftig und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Dann haben diese blöden Königskinder alles kaputt gemacht! Ich will nicht mehr nach Bresbonia zurück. Wenn ich bleiben kann, bleibe ich hier – egal, was du dafür verlangst!“
Hork nickte. „Du kannst ihnen zu Hause nicht mehr unter die Augen treten. Verstehe ich. Auslachen würden sie dich. Oder zumindest hinter deinem Rücken über dich herziehen.“ Er strich sich mit einer Hand über den Bart. „Das kenne ich, Mantilia. Mir ging es mal nicht anders.“ Dann sah er dem Jungen fest in die Augen. „Drachenreiter willst du werden, ja? Nun, es gibt da schon eine Möglichkeit.“
Mantilia schüttelte den Kopf. „Ich hab‘ meine Chance gehabt. An den Königshof werde ich nicht mehr eingeladen. Wenn der nächste Drachen schlüpft, werde ich zu alt sein, um es noch einmal versuchen zu dürfen.“
Hork lachte leise. „Das kann schon sein junger Freund“, meinte er, „aber erstens befindest du dich nicht mehr im Reiche Berions, sondern im Königreich Alagnons, und zweitens muss es ja vielleicht nicht unbedingt ein Drachenreiter des Königs sein, was meinst du?“
Der Junge schrak zurück. „Kein Drachen des Königs? Meinst du …“ Angstvoll brach er ab und Horks Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Wilde Drachen, ja. Das wäre eine Möglichkeit.“
„Gibt‘s die wirklich?“ Mantilia beugte sich vor und legte die Arme auf die Tischplatte. „Das sind doch nur Märchen, oder?“
Hork schüttelte den Kopf. „Es ist vorgekommen, dass Drachenreiter von ihren Einsätzen nicht zurückkehrten. Manchmal blieben auch die Drachen verschwunden. Es ist möglich, dass sie sich in der Wildnis niedergelassen und sich auch vermehrt haben. Wenn du einen solchen findest und es dir gelingt, ihn zu bezwingen, wird er dir für immer dienen. Du bist dann dein eigener Herr, junger Mantilia!“
Mantilia sah Hork zweifelnd an. „Von solchen Drachenreitern habe ich noch nie gehört“, meinte er leise. Sein Gegenüber hob die Hände. „Es gibt auch nicht viele von ihnen. Zumal es ganz besonderer Fähigkeiten bedarf, einen wilden Drachen zu zwingen, sich zu unterwerfen.“
„Und du kannst mir das beibringen, Hork?“ Mantilia zweifelte noch immer.
Statt einer Antwort stand Hork auf. „Komm mit“, sagte er. „Damit sind wir bei dem, was ich dafür verlange, dass du hierbleiben darfst. Und: Ja, ich kann dir so einiges beibringen, wenn du dich gelehrig anstellst.“
Sie traten aus der Tür und gingen hinter das Haus. An einen der großen Findlinge gelehnt, stand da ein kleiner Stall.
Knarrend öffnete sich die Tür und Mantilia nahm den Geruch von Heu und Tieren wahr. Doch als sich seine Augen an das Dämmerlich gewöhnt hatten, sah er, dass nur sein eigener Brauner hier stand. Als er ihm freundlich den Kopf streichelte, meinte er wieder einen vorwurfsvollen und traurigen Ausdruck in den großen Augen des Tieres wahrzunehmen.
„Nun komm schon, ich will dir was zeigen“, vernahm er Horks Stimme. Der stand an der Rückwand des Stalles und hatte seine Hand auf einen hölzernen Hebel gelegt. Der Junge hob erstaunt die Augenbrauen. Als Hork den Hebel betätigte, verschob sich der gesamte Stall zur Seite.
Hork grinste als er den Blick Mantilias sah. „Gehen wir wieder nach draußen“, sagte er.
An der Stelle, an welcher eben noch der Stall gestanden hatte, gähnte eine Riesenöffnung im Stein. So breit war sie, dass mindestens zwei, wenn nicht gar drei Fuhrwerke nebeneinander hindurch gepasst hätten. Eine Schräge führte hinunter. Hork entzündete eine Fackel und schweigend gingen die beiden so unterschiedlichen Männer hinunter.
Nach vielleicht hundert Schritten weitete sich der breite Tunnel zu einer riesigen Höhle. Und was Mantilia im Fackelschein dort unten vor sich sah, verschlug ihm den Atem.
„Ein Drachen!“ Flüsterte er aufgeregt.
„Morqueytha“, sagte Hork und nickte. „Ein Drachenweibchen und noch sehr jung.“ Fügte er dann hinzu. „Und das wäre deine Aufgabe, wenn du bleiben möchtest: Du sollst dich die nächste Zeit um Morgueytha kümmern. Ich muss für eine Weile weg und kann sie nicht mitnehmen.“
„Du bist …“ Mantilia brach ab. „Ein freier Drachenreiter, ja.“ Hork sah ihn durchdringend an. „Ich will und werde keinem Herren mehr dienen.“
Mantilia wagte es nicht, die Fragen zu stellen, die ihm sofort durch den Kopf schossen. „Er wird mir nicht gehorchen“, sagte er zögernd.
„Sie soll dir nicht gehorchen“, antwortete Hork. „Dir kann aber nichts passieren, wenn du nicht zu nah an sie herangehst.“
Jetzt erst bemerkte Mantilia, dass der Drachen wie ein Hund an die Kette gelegt war. Aber nicht nur das, auch alle vier Beine waren mit Ketten an Ringe im Boden gefesselt.
Er sah Hork fragend an. Der zuckte die Schultern. „Soll sie dir vielleicht wegfliegen?“
„Muss er, ich meine: sie, nicht ab und zu jagen?“ Wollte Mantilia wissen. Hork schüttelte den Kopf. „Nicht, solange ich weg bin. Ich habe hier in der Gegend überall Fallen aufgestellt. Die wirst du regelmäßig überprüfen und das Wild hierher bringen. Wie gesagt, gehe nicht zu nahe an Morgueytha heran, wenn du nicht selbst gefressen werden willst.“
Mantilia erschauerte. Aber der Gedanke, sich um einen echten Drachen kümmern zu dürfen verdrängte seine Angst.
Hork zog einen großen, schmalen Dolch aus dem Gürtel und reichte ihn Mantilia. „Den wirst du brauchen. Auch, falls irgendjemand der Höhle zu nahe kommt oder heil aus ihr heraus. Hast du mich verstanden?“
Zögernd nickte Mantilia. Er war sich nicht sicher, ob er zu dem, was der Drachenreiter da von ihm verlangte, in der Lage war, aber es war seine Chance, ein neues Leben zu beginnen.
Hork nickte ihm zu. „Du schaffst das schon, Mantilia. Und vergiss nie, den Stall wieder vor die Höhle zu schieben, wenn du sie verlässt. Und übrigens: Im Tausch für meinen Drachen leihe ich mir für meine Mission deinen Braunen aus!“ Sein wildes, lautes Lachen klang Mantilia noch Tage später in den Ohren.
Hork del Eveen war mehr als zufrieden. Sein Versteck würde bestens getarnt und geschützt, Morqueytha einigermaßen versorgt sein und er sparte die magische Energie für das tägliche Teleportieren. Und diese magische Energie konnte er, bei allen Göttern, weitaus besser gebrauchen!
„Freust du dich, deine Mutter kennenzulernen?“ Tamos flüsterte, da er sich keineswegs sicher war, dass der Drachenreiter eingeschlafen war.
Er spürte das leichte Schulterzucken Kesia. „Ich weiß nicht genau“, wisperte Kesia ihm zu. „Einerseits habe ich mir immer gewünscht eine Mutter zu haben, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob das so gut ist. Elysaria soll nicht sonderlich sympathisch sein, habe ich gehört.“
Tamos versuchte, ihr ins Gesicht zu sehen. „So schlimm wird sie schon nicht sein. Dein Vater muss sie doch geliebt haben, oder?“ Wieder zuckte das Mädchen mit den Schultern. „Ich hab‘ ihn das auch gefragt bevor wir losgeflogen sind. Aber er hat nur gelächelt und gemeint, dass manche Menschen ihre besten Eigenschaften vor den anderen verbergen müssen, um akzeptiert zu werden. Und mir würde es vielleicht auch mal so gehen.“
„Was er damit wohl gemeint hat?“ Tamos zog die Augenbrauen fragend hoch. Kesia blickte in die Flammen des kleinen Feuers vor sich und sagte ganz leise: „Das weiß ich auch nicht, Tamos. Aber ich befürchte, ich werde es irgendwann erfahren.“
Eine Weile waren die beiden Kinder ganz still. Dann sprach Kesia weiter. „Überhaupt war der Abschied von meinem Vater merkwürdig. Irgendwie so seltsam … kalt. So, als würden wir uns für immer verlieren.“
Ihr Freund nickte. „Das Gefühl hatte ich beim Abschied von meinem Vater auch. Er hat mich so seltsam angesehen und gemeint, dass meine Kindheit so schnell zu Ende gehe, habe er mir nie gewünscht. Aber ich soll das Beste daraus machen. Und dann hat er mir Lebewohl gesagt. Nicht Auf Wiedersehen wie sonst immer, verstehst du?“
„Naja“, Kesia schluckte, als ob sie gleich zu weinen anfangen würde, „immerhin werden wir mindestens drei Jahre von zu Hause weg sein. Das ist eine lange Zeit. Und ich habe gehört…“ Sie brach mitten im Satz ab.
„Was hast du gehört Kesia, was?“ Wollte Tamos wissen. Kesia biss sich auf die Lippen und starrte weiter in das Feuer. Die kleinen Drachen hatten ihr Herumtollen aufgegeben und sich ganz in der Nähe der Feuerstelle eng zusammengeschmiegt. Sie lagen bedrohlich nahe am Feuer und hatten die Augen geschlossen. „Die Zeit im Eisland soll anders vergehen, als in den anderen Ländern von Enodless.“ Kesias Stimme zitterte. „Ein Tag dort ist ein Jahr hier sagt man.“
Tamos sah sie voller Entsetzen an. Das Mädchen spürte, wie er am ganzen Körper zu zittern begann.
„Wo hast du das gehört, Prinzessin?“ Tycars Stimme klang dumpf und wie aus weiter Ferne. Hatte Kesia die letzten Worte lauter gesprochen, als sie gewollt hatte?
„Ich, nun, ich weiß nicht.“ Kesia stotterte vor Aufregung. „In der großen Halle, ich war noch ganz klein, ein Fest, weiß nicht.“
Tycar stand auf und trat an das Feuer. Er streckte seine Hände den Flammen entgegen und rieb sie sich warm. Dann drehte er sich zu den Kindern um und hockte sich hin, um ihnen ins Gesicht sehen zu können. Er schüttelte den Kopf.
„Das ist ein Märchen, glaubt mir“, sagte er leise. „Ich kenne das Eisland, Prinzessin. Ein Jahr ist ein Jahr, wie überall sonst auf Enodless auch. Nur sind die Bewohner dieses Landes keine Menschen wie eure Väter. Sie sind Elfen oder Elfenabkömmlinge. Und Elfen altern nicht so schnell wie Menschen. Sie werden hunderte Jahre alt. Und nur aus diesem Grund vergeht für sie die Zeit anders als für uns.“
Tamos nickt beruhigt. Dafür bebte Kesia jetzt am ganzen Körper. „Das gilt für Elfenabkömmlinge auch, Tycar?“
Der junge Drachenreiter sah sie verständnislos an und schwieg.
„Ja, Prinzessin, das gilt auch für Halbelfen!“ Raém Breskow stand plötzlich neben ihnen. „Für die meisten von euch jedenfalls,“ setzte er hinzu.
„Woher weißt du…?“ Flüsterte Kesia.
„Ich bin schon ziemlich lange am Hof deines Vaters, Prinzessin. Ich weiß vieles. Und manches reimt man sich eben zusammen.“ Er grinste und zu Tycar gewandt meinte er: „Unsere Prinzessin ist auch eine Elfenprinzessin, hast du das nicht gewusst?“
Der junge Drachenreiter schüttelte verwirrt den Kopf und starrte Kesia nachdenklich an.
Auch Tamos Augen irrten von einem zum Anderen. „Das heißt, aber das heißt ja …“, flüsterte er. Raém nickte. „Genau, du kleiner Schlaumeier. Das heißt, deine Freundin wird noch eine junge Frau sein, wenn du längst verrottet bist, mein Freund!“ Grinsend legte er dem Jungen einen Arm um die Schultern.
„Ihr solltet aber jetzt wirklich schlafen“, meinte er dann. „Wenn sich der Sturm morgen früh gelegt hat, brechen wir auf.“ Er sah Tamos an, dem ohne dass er es merkte, Tränen über die Wangen flossen und sagte: „Nun heul‘ mal nicht, so ist das Leben nun mal: hart und ungerecht. Aber man kann trotzdem dran hängen.“
„Außerdem hat es ja auch was Gutes“, meinte Tycar leise, „dein ganzes Leben lang wirst du eine junge, hübsche Freundin haben und das hat bei Weitem nicht jeder, Tamos.“
An den älteren Drachenreiter gewandt setzte er hinzu: „Die Drachen sind auch morgen früh noch längst nicht ausgeruht, Raém. Wir werden es nie und nimmer über das Eismeer schaffen.“
Der Angesprochene nickte. „Du bringst die Kinder bis Wellstedt. Dort findet sich eine andere Reisemöglichkeit für sie. Kelomyth braucht dringend ein paar Tage Ruhe. Er ist durch den Absturz doch stärker angeschlagen, als ich erst gedacht habe. Sobald es geht komme ich nach. Wir treffen uns dann in der Drachenstation von Wellstedt.“
Tycar lächelte. „Ich weiß, was du meinst, Raém. Einverstanden. Das wird ein unvergessliches Erlebnis für die beiden werden.“ Er zwinkerte den Kindern zu. „Ich denke, eure Väter verzeihen uns unsere Eigenmächtigkeit!“
Am nächsten Morgen war das Wetter nicht viel besser, aber wenigstens regnete es nicht mehr.
Tycar half beiden Kindern in den Sattel. Bis zur Stadt war es nicht mehr weit und dieses kurze Stück würde Assayatha sie alle drei tragen können.
Kesia hatte es Tamos überlassen, sich stehend angurten zu lassen. Sie selbst hockte still und in sich gekehrt auf dem Boden des Sattels und starrte vor sich hin. Eigentlich war sie furchtbar müde, denn sie hatte die ganze Nacht über kaum ein Auge zugemacht. Die Worte der beiden Drachenreiter gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie würde mehrere hundert Jahre alt werden, alle Menschen die sie kannte, deren Kinder und Kindeskinder überleben. Ja mehr, noch als junge Frau das Leben von Generationen der Menschen begleiten! Immer wieder war sie über diesen Gedanken in Tränen ausgebrochen, bis sie zu erschöpft zum Weinen gewesen war. Jetzt grübelte sie stumm vor sich hin. Raém hatte sie kurz vor dem Abflug heute früh bei Seite genommen und leise zu ihr gesagt: „Nimm es als ein Geschenk, Kesia! Lerne, in allen Dingen das Gute zu sehen, dann und nur dann wirst du mit Allem, was dir in deinem langen Leben begegnen wird, umgehen können ohne an deinem Elfenerbe zu zerbrechen!“
Es war das erste Mal gewesen, dass der alte Drachenreiter sie nur mit ihrem Vornamen angesprochen hatte und sie hatte zum ersten Male Sanftheit und Verständnis in seinen Augen gesehen.
„Was ist das dort, Tycar?“ Tamos Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Kesia richtete sich vorsichtig ein wenig auf und starrte über den Rand des Sattels. Die Landschaft unter ihnen schien in einer sanft geschwungenen Linie von dunklem Grau in helles Blau überzugehen, so als reiche der Himmel plötzlich bis zur Erde hinab. Aber als sie genauer hinsah, bemerkte sie, dass das Blau sich stetig bewegte. Wie, ja wie Wasser, dachte sie.
„Das ist das Meer, Kinder“, erklärte Tycar. „Wasser, soweit man sehen kann!“ Ehrfurchtsvoll starrte Kesia hinaus. Sie hatte davon gehört, aber dass der Anblick des Meeres so beeindruckend sein könnte, hätte sie nie gedacht. „Dahinter, am anderen Ufer des Meeres beginnt das Eisland“, setzte der Drachenreiter hinzu. „Ein Flug von mindestens zwei Tagen ohne eine Möglichkeit für Assayatha sich auszuruhen!“
„Eine Stadt! Da vorn ist eine Stadt!“, rief Tamos aufgeregt.
Nur ein paar Flügelschläge später landeten sie im Hof einer großen Drachenstation am Rande von Wellstedt. Ein Junge, ungefähr so alt wie Kesia und Tamos, empfing sie.
„Willkommen, Drachenreiter Tycar! Ihr werdet euch ausruhen wollen. Geht gleich rein in die Gaststube“, sagte er lachend. „Ich kümmere mich um euren Drachen.“ Er griff nach Assayathas Lenkseilen. Tycar schmunzelte. „Es gibt keine Drachenstation auf der man so freundlich empfangen wird wie hier, junger Beran Steinmacher!“ Er legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. „Das sind Kesia und Tamos“, sagte er und wies auf die Beiden. „Sie sind nur auf der Durchreise. Lass mich Assayatha in den Stall bringen und kümmere dich um die Beiden. Sag deiner Mutter, sie soll sie richtig gut versorgen! Und dann …“ Er überlegt einen Moment und sprach dann weiter: „Ist Hárwald’an oder jemand seiner Art in der Stadt?“
Beran nickte. „Er selbst nicht. Aber sein Bruder. Wollte grade wieder weg. Ich flitze dann gleich zum Hafen runter. Hoffentlich erwische ich ihn noch!“
Dann winkte der Junge Kesia und Tamos zu. „Na los, ihr Beiden, kommt schon rein und setzt euch in die Gaststube. Ich sag‘ nur schnell meiner Mutter Bescheid und renne dann zum Hafen.“
Die Kinder betraten den niedrigen, holzgetäfelten Raum in dem großen Haupthaus, der als Gaststube diente. Durch die winzigen Fenster drang nur wenig Licht herein. Es roch nach Rauch, Bier und Leder. Beinahe wie nach den Festen der Drachenreiter in der großen Halle der Burg, dachte Kesia. Doch dann bemerkte sie, dass sich hier noch andere, ungewohnte, Gerüche darunter mischten.
Zu dieser frühen Stunde waren noch keine Gäste zu sehen. Hölzerne Tische und Bänke standen in der Gaststube. Alle blitzsauber, stellte Kesia fest. Ein riesiger Kamin, der fast die ganze hintere Wand einnahm, verbreitete wohltuende Wärme. Sie nahm Tamos an die Hand und zog ihn zu einem Tisch in der Nähe des Kamins. Dann ließ sie sich auf die Bank fallen und zuckte die Schultern. „Wenigstens ist es warm hier!“ Meinte sie.
Der Junge nickt und ließ sich wortlos neben ihr auf die Bank sinken.
Kurze Zeit später erschien eine große stattliche Frau mit blonden Haaren in der Gaststube. Sie stellte je eine große Schüssel vor die Kinder hin und legte hölzerne Löffel daneben. „Ihr seid also Kesia und Tamos und sehr hungrig, habe ich gehört“, sagte sie lachend. Kesia schüttelte entrüstet den Kopf und Tamos nickte. Da mussten alle drei lachen.
„Ich bin Alsymea, Berans Mutter“, sagte die Frau und nickte den Kindern zu. „Ich hoffe, es schmeckt euch“, setzte sie hinzu als sie die misstrauischen, auf ihre Teller gerichteten Blicke der Kinder sah.
„Das ist Fischsuppe. Kennt ihr gar nicht, was? Na, versucht’s doch ruhig mal. Ich muss wieder in die Küche.“ Damit ließ sie die Kinder wieder allein in der Gaststube.
Nur wenig später kam auch Tycar herein und setzte sich zu ihnen.
„Wo sind die beiden kleinen Drachen?“ flüsterte Kesia. „In guter Obhut!“ Meinte der Drachenreiter. „Berans Mutter kümmert sich um sie. Sie kennt sich mit Drachen bestens aus.“
„Und sein Vater?“, wollte Tamos wissen. Tycars Gesicht verfinsterte sich. „Beran hat keinen Vater mehr. Ist ums Leben gekommen bei einer großen Sturmflut. Traurige Geschichte, kann ich jetzt nicht erzählen.“
Die Kinder begannen schweigend ihre Fischsuppe zu löffeln. Kesia hatte das Gefühl, noch nie zuvor etwas so Leckeres gegessen zu haben.
Sie hatten kaum aufgegessen, als ein seltsamer Fremder den Raum betrat. Er war hoch gewachsen und trug eine merkwürdige, hellblaue Kleidung, die aus tausenden winziger Schuppen zu bestehe schien. Auch sein Gang erschien Kesia seltsam. Er schaukelte beim Gehen von einer Seite auf die andere. Als er direkt vor ihnen Stand legte er sich beide Hände auf die Schultern und die Kinder sahen mit Entsetzen, dass er an jeder Hand nur vier Finger hatte, zwischen denen sich in Höhe des oberen Ende des mittleren Gliedes eine dünne Haut spannte. Der seltsame Fremde verbeugte sich vor Tycar und sprach mit einer wohlklingenden, leisen Stimme: „Seid mir gegrüßt, Drachenreiter Tycar aus dem Lande König Berions! Was führt euch an die Gestade unseres Reiches?“
Kesia sah, dass sich am Hals des Fremden drei tiefe Hautfalten befanden, deren Sinn sie sich nicht erklären konnte. Genauso seltsam fand sie seine winzigen Ohren und die Tatsache, dass sein Kopf völlig kahl war.
Tycar hingegen, der den Fremden offensichtlich kannte und ihn gar nicht seltsam zu finden schien, legte seine Hände ebenfalls an die Schultern und beugte sich leicht nach vorn. „Ich danke euch, großer Leóndaris’an, dass ihr meiner Bitte gefolgt seid. Auch ich freue mich, euch wiederzusehen. Mein Wunsch ist es, dass ihr diese beiden Kinder durch euer Reich an die Gestade des Eislandes bringt und dort an Königin Elysaria übergebt. Wir haben uns durch widriges Wetter kämpfen müssen und mein Drachen muss etwas ruhen. Die Kinder werden aber dringend auf der anderen Seite des Meeres erwartet.“
Nach diesen Worten erst richteten sich beide Männer wieder auf. So etwas Ähnliches wie ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des Fremden. „Gern tue ich dir diesen Gefallen, Tycar! Wem, wenn nicht dir, wären wir Meermenschen zu größerem Dank verpflichtet?“ Dann sah er die beiden Kinder an.
„Ihr braucht keine Angst zu haben“, sprach er. „Wir Meermenschen sehen in euren Augen ganz sicher etwas merkwürdig aus, aber wir sind nicht viel anders als ihr. Was uns so anders aussehen lässt“, er spreizte die Finger und wies auf sein Gesicht, „ist die Tatsache, dass wir mehr unter Wasser als an Land leben!“
Kesia und Tamos sahen sich verwirrt an. Wie konnte man unter Wasser leben?
„Am besten macht ihr euch sofort auf den Weg“, sagte Tycar in diesem Moment. Die Reise ist weit und Leóndaris’an kann nicht länger warten.“
Dann sah er den Meermenschen an und sagte: „Vorher müssen wir aber noch in den Stall, das Gepäck der Kinder abholen.“ Obwohl Kesia den seltsamen Wassermenschen genau beobachtete, konnte sie keine Regung in seinen Gesichtszügen erkennen.
Das änderte sich schlagartig, als er den Inhalt der beiden Körbe zu Gesicht bekam. In seiner Mine spiegelten sich jetzt Fassungslosigkeit und Besorgnis. Er stieß einen seltsamen Laut oder ein Wort in einer Kesia unbekannten Sprache aus. „Das kann nicht dein Ernst sein, Drachenreiter Tycar“, sagte er dann leise, „meinst du wirklich, dass die Beiden das überstehen?“
„Sie müssen es, Leóndaris’an! Es gibt keinen anderen Weg. Ich und Assayatha“, er sah zu seinem Drachen hinüber, „schaffen es nicht und sie müssen morgen Abend bei Elysaria sein, sonst sind sie verloren!“
„Du weißt, was du mir zumutest?“ fragte der Meermensch noch einmal. Tycar nickte. „Ich bin mir sicher, dass du es schaffst.“
Leóndaris’an wandte sich den beiden Kindern zu. „Ihr braucht keine Angst zu haben. Es geht nur darum, dass wir nicht sehr tief tauchen können mit den beiden kleinen Drachen. Das vertragen ihre Lungen nicht. Sie sind eben für den Himmel geschaffen, nicht für die Tiefe.“ Er strich Kesia mit seiner seltsamen Hand über den Kopf als er ihren immer noch ängstlichen Blick sah. „Ihr seid überhaupt nicht in Gefahr“, setzte er dann hinzu. „Menschen haben wir schon immer durch die Tiefen des Meeres transportiert!“
Langsam begann Kesia zu verstehen. Trotzdem kam ihr das alles unwirklich vor. Und sie hatte keine Ahnung, was ihnen wirklich bevorstand.
Wenig später gingen die Kinder, jeder den Korb mit seinem Drachen auf dem Arm, neben dem seltsamen Fremden durch die verwinkelten Gassen der Stadt zu Hafen hinunter.
Wellstedt war die größte Ansiedlung, die die Kinder bisher gesehen hatten. Die Häuser drängten sich dicht an dicht und jede Menge Menschen waren in den Gassen unterwegs. Kesia fragte sich, wem die Leute mehr nachstarrten: dem Meermenschen oder ihnen. Über allem lag ein Lärm, wie sie ihn bisher noch nie vernommen hatte. Auch Tamos fühlte sich unbehaglich und griff nach ihrer Hand.
Erst als sie am Hafen ankamen merkte Kesia, dass ihre andere Hand in der des Meermannes mit dem so seltsamen Namen lag.
Sprachlos starrte sie auf die Schiffe, die an der Hafenmauer festgebunden waren. Sie sahen aus wie riesige Badezuber mit jeweils zwei oder drei langen Stäben obendrauf. An diesen waren oben wieder quer Stangen befestigt und an einigen von diesen hingen riesige weiße oder bunte Tücher herab.
„Das sind Segelschiffe“, erklärte Leóndaris’an. „Mit denen reisen die Menschen über das Meer.“
„Mit welchem fahren wir?“ wollte Tamos wissen.
Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel des Meermenschen. Ohne zu antworten ging er langsam an allen Schiffen vorbei.
Als sie an das Ende der Hafenmauer kamen, hob er die Hände an den Mund und zum Erstaunen der beiden Kinder rief er auf das Meer hinaus: „Komm mir zu Hilfe großer Rasadjan, eine Aufgabe haben wir zu erfüllen, zu unserer beider Ehre und zu Anderer Glück!“
Vor den Augen der fassungslosen Kinder begann das Meer auf einmal zu tosen und ein großer, grüngeschuppter Kopf mit bernsteinfarbenen Augen erhob sich aus den Wellen. Nach dem Kopf erschien ein nicht enden zu scheinender Hals, der ansatzlos in einen schlanken, über und über mit winzigen Schuppen bedeckten Körper und dann in einen mindestens genauso langen Schwanz überging. Über Kopf, Hals und Rücken des gewaltigen Tieres zog sich ein Stachelkamm. Ein Tier solcher Größe hatten die Kinder noch nie in ihrem Leben gesehen! Es schob seinen gewaltigen Körper auf das flache Ufer hinauf und die Kinder sahen die breiten flachen Flossen an der Unterseite des Körpers.
„Ein Wasserdrachen!“ hauchte Kesia.
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2010
Alle Rechte vorbehalten