Die Zeit der Weihnachtsmärkte war für ihn die schönste Zeit im Jahr. Die Touristen machten es ihm einfach. Mit seinem roten Mantel, der kuschelig warmen Zipfelmütze und dem angeklebten, langen, weißen Bart war es so leicht, Kontakt herzustellen. Während sie ihm einen Glühwein spendierten, klopfte er den anderen am Stehtisch weilenden Weihnachtsmarktbesuchern brüderlich mit der linken Hand auf die Schulter, während die rechte mit geschickten Fingern das Portemonnaie aus der Gesäßtasche zupfte und ungesehen in seinem großen Kartoffelsack verschwinden ließ, Nüsse und Mandarinen hervorzauberte und großzügig am Tisch verteilte. Mit einem grüßenden
„Ho, ho, hoo, ein schönes Weihnachtsfest allerseits“ zog er weiter. Niemand bemerkte etwas. Abends seine Beute zu zählen war sein größtes Vergnügen. In dieser Zeit konnte er immer etwas für den Januar und Februar zurücklegen, die erfahrungsgemäß beutemässig etwas schmaler ausfielen. Heute war ein besonders ertragreicher Tag, was an der Schwere des Sackes fühlbar war. Er musste zwischendurch sogar sein Hotelzimmer aufsuchen, um den Geldbörsen ihren Inhalt zu entnehmen. Die teilweise wertvollen Lederbehältnisse interessierten ihn nicht, die Papiere auch nicht. Diesen überflüssigen Schnickschnack entsorgte er gewissenhaft in verschiedenen Papierkörben der Stadt. Das Bargeld wurde sorgsam in einer alten Blechdose verstaut, die er unterhalb seines Nachttisches aufgewahrte. Keine Beweisstücke im Zimmer lassen, war stets seine Prämisse.
Es war ein Tag wie aus dem Bilderbuch, kalt, blauer Himmel und an den Rändern der Alster glitzerten kleine Eiskristalle, in denen sich das Sonnenlicht brach. Er liebte diese Stadt, er liebte seinen Job als gewitzter Taschendieb. Ein ungefährlicher Kleinkrimineller sagte einmal ein Richter über ihn. Im Gefängnis war er schon, aber besonders gefallen hat ihm das nicht. Die achtzehn Monate waren schnell vorbei und er schwor sich, nur noch im äußersten Notfall in diese ungastlichen Gefilde zurückzugehen. Niemals hatte er das Gefühl, etwas unrechtes zu tun, teilte er doch nur den zur Verfügung stehenden Reichtum etwas gerechter auf und holte sich seinen Teil des Kuchens. Nicht frieren, nicht hungern, mehr braucht der Mensch zum Leben nicht.
Mit der Zeit wurde er immer geschickter und lernte, den Leuten beim punschseligen Schunkeln die Verschlüsse der Armbanduhren unbemerkt zu öffnen. So manche Rolex oder Piaget verschwand in seinem Jutesack. Es war kein Problem, diese wertvollen Stücke in Bargeld zu verwandeln. Wer sich eine juwelenbesetzte Armbanduhr leisten konnte, würde sie kaum vermissen, das war seine Ansicht. Niemand kam darauf, dass der Weihnachtsmann ein Dieb sein könnte, er hatte ein ruhiges Leben. Er stand schon oft lächelnd am nächsten Stand und beobachtete, wie die Bestohlenen lauthals lamentierend den Diebstahl verkündeten, doch noch nie hat ihn jemand verdächtigt. Längst hatte er die zivilen Polizeistreifen erkannt, die auf den Weihnachtsmärkten Touristen vor Diebstählen bewachen sollten, er schmunzelte darüber. Dieses Jahr war ein besonders gutes Jahr, sein Polster wuchs zu einem stattlichen Vermögen heran.
Der heilige Abend selbst war der Höhepunkt dieser Zeit. Jedes Jahr verbrachte er ihn in einem anderen Nobelviertel einer anderen Stadt, letztes Jahr im Kölner Hahnwald, im Jahr davor auf dem Stuttgarter Killesberg und dieses Jahr war die Elbchaussee in Hamburg an der Reihe. Es bedurfte einiger Investitionen und Vorbereitungen, seiner Vermögensbildung einen weiteren Auftrieb zu verschaffen. Er kaufte Unmengen billiger Parfums und Krawatten ein, packte sie in rotes Papier für die Damen und dunkelgrünes Papier für die Herren. Damit füllte er seinen Sack und zog von einer Villa in die nächste.
„Ho, ho, ho…….mich schickt ein Freund“ war die Zauberformel, die ihm in seinem roten Gewand über sämtliche Überwachungsanlagen hinweg die Tür öffnete. Ein kleines Gedicht, ein netter Spruch und die Gesichter strahlten, wohin er auch kam. Während er je nach Laune der Dame oder dem Herrn des Hauses ein Päckchen überreichte und die Hausbewohner darüber grübelten, wer ihnen denn ein Geschenk gemacht haben könnte, verschwanden unter dem Weihnachtsbaum herumliegende Kostbarkeiten wie Brillantringe, Handys, Perlenketten oder sonstige weihnachtliche Freudenbringer wie von selbst in seinem braunen Sack. Er musste nur abends spät genug losziehen, dann war in den meisten Häusern die Bescherung vorüber, die Villenbewohner hatten bereits etliche Gläser Champagner konsumiert und bemerkten die wirkliche Bescherung erst am nächsten Tag. Jedes Jahr wunderte er sich von neuem, wie leicht es war. Wie gutgläubig die Menschen an diesem Tag waren, wie nett und freundlich. Sonst hinter meterhohen Mauern abgeschirmt, öffneten sich an diesem, wie an jedem anderen vierundzwanzigsten Dezember, die Türen wie von selbst. Jedes Jahr machte er reiche Beute, jedes Jahr in einer anderen Stadt. Um Mitternacht war er verschwunden. Ein paar letzte Diebstähle am Hauptbahnhof und weg war er. Er freute sich auf zuhause, endlich in Ruhe Weihnachten feiern.
Texte: © alle Rechte, auch für das Titelfoto, bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2009
Alle Rechte vorbehalten