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Sie hing mit weit gespreizten Beinen kopfüber an Ketten. Die Muskeln unter der warmen, zartrosafarbenen Haut zuckten nervös. Werner setzte sorgfältig das rasierklingenscharfe Messer an, stach direkt in die pulsierende Halsschlagader und tötete sie. Das war stets der Moment, an dem ein zufriedenes Lächeln seine Mundwinkel umspielte. Ein Beobachter hätte der Situation etwas Bizarres abgerungen, denn der Genuss des Tötens war an den markanten Gesichtszügen des Mannes deutlich zu erkennen. Er stellte eine große Metallschüssel unter ihren Körper und betrachtete wohlgefällig, wie das warme, rote Blut rhythmisch, dem Herzschlag angepasst, den Körper verließ, in die Schüssel rann und sich langsam verdunkelte. Er kniete sich vor sie hin, zog einen großen Rührlöffel achtförmig durch die Schüssel und summte dabei lächelnd einen Shanty. Immer wieder rührte er durch das Blut und die glänzende Schüssel spiegelte sich glitzernd in seinen Augen. Als kaum noch Blut aus ihr heraus kam, stand er auf, ergriff erneut das Messer und öffnete mit einem langen, geraden Schnitt vorsichtig ihre Bauchdecke. Die Därme waren zu sehen, ein süßlicher Geruch waberte langsam und unaufhaltsam durch den Raum.
Ulrike drehte sich um und erbrach sich. Sie mochte es nicht sehen, sie ekelte sich, es zu riechen. Nach all den Jahren wollte sie immer noch nicht dabei sein, wenn er eine Sau schlachtete. Bereits der Moment, an dem er das Bolzenschussgerät ansetzte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Das Geräusch des Bolzens, der unerbittlich in den Schädel eindrang und das Opfer nicht immer tötete, löste bei ihr Entsetzen aus. Sie hatte sogar lernen müssen, wie man das Gerät mit dem Zündhütchen bestückt, den Bolzen spannt und er ließ sie schon oft zusehen, wo man das Gerät ansetzen muß. Sie fragte sich, wann er ihr das Gerät in die Hand gab und sie auch noch selbst abdrücken musste. Vor diesem Tag hatte sie entsetzliche Angst. Der Geruch der abgeflämmten Schweineborsten, der sich widerlich in Kleidung und Haare setzte, tat nun sein übriges. Ihr ganzer Körper schüttelte sich vor Abscheu. Werner herrschte sie an:
„Schau her, Du Nichtsnutz! Ich will, dass Du endlich lernst, dass unser Wohlstand nicht vom Himmel gefallen ist. Komm jetzt und rühr das Blut, sonst gerinnt es! Mit den Schlachtungen verdienen wir eine Menge Geld. Es wird höchste Zeit, dass Du das begreifst. Du hilfst mir, es ist mir egal, ob es dich ekelt oder nicht. Ich werde Dir Deinen Ekel austreiben, Du faules Stück.“
Ulrike holte einen Eimer mit Wasser, einen Schrubber, einen Lappen und beseitigte ihr Erbrochenes. Sie zitterte am ganzen Körper als sie zu ihm ging, sie wagte nicht zu widersprechen. Welchen Sinn hätte es auch? Er würde sie nur wieder schlagen, spätestens, wenn er getrunken hat, würde er sie in unmenschlicher Weise verprügeln. Mit allem was er gerade greifen konnte, schlug er zu. Sein Gürtel, ein Kleiderbügel, eine Gardinenstange, alles musste schon einmal herhalten, um ihr zu zeigen „wo es lang geht“, wie er sich auszudrücken pflegte. Sie hasste ihn. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wie lange es her ist, dass sie ihm verliebte Blicke zuwarf und sich über seine warmen Streicheleinheiten gefreut hat. Sie hasste sich selbst. Sie hasste sich dafür, dass sie alles mit sich machen ließ. Wann hat es nur begonnen? Als ihr der Arzt bescheinigte, dass sie ihm den so ersehnten Stammhalter nicht schenken konnte, der einst den Hof und die Ländereien übernehmen sollte? Als er langsam aber stetig immer mehr Alkohol trank? Sie wusste es nicht. Irgendwann ist es passiert, irgendwann schlug er sie und sie wehrte sich nicht. Seine Exzesse wurden immer ausschweifender. Er ging nach getaner Arbeit aus dem Haus, sagte ihr nicht, wohin er ging und kam betrunken zurück. Dann schlug er sie. Das war ihr Tagesablauf. Immer und immer wieder. Sie fühlte sich längst wie tot, kalt, leblos.
Aus dem Dorf hat man ihr immer wieder berichtet, wohin seine Wege führten. Kaum eine Witwe oder alleinstehende Frau, die er nicht besuchte. Er betrog sie und sie wusste es. Danach ging er ins Wirtshaus und betrank sich. Sie hatte keine Kraft, ihn zu verlassen. Er gab ihr Haushaltsgeld, aber gerade so viel, dass sie einigermaßen damit zurecht kam. Eigenes Geld hatte sie nicht. Sie arbeitete zwar seit Jahren Tag für Tag auf dem Hof, doch selbstverständlich unentgeltlich und unversichert. Sie fühlte sich ihm ausgeliefert. Bis dass der Tod Euch scheidet, hatte der Pfarrer gesagt, als sie in ihrem rüschenbesetzten, langem weißen Kleid mit ihm vor dem blumengeschmückten Altar in der romanischen Kirche standen und sie sich das Jawort gaben. Sie konnte sich gut erinnern.
„Komm jetzt endlich her, verdammt noch mal, Du verdirbst noch die Blutwurst." Werner war wütend. Er nahm die Schüssel, setzte sie auf einen Schemel in der Ecke des Schlachtraums und drückte Ulrike den Löffel in die Hand. Ulrike hatte Angst vor diesem unheilbringenden Blick und folgte seinen Anweisungen trotz ihres gefühlten Ekels, übernahm den Rührlöffel und schwang ihn, wie sie es bei Werner gelernt hatte. Werner nahm das blitzende Messer zur Hand, setzte mit Sachverstand die Schnitte, um die Därme vom Körper zu lösen und ließ sie in eine weitere bereitgestellte Schüssel fallen. Dann begann er kundig die Innereien der Reihe nach sorgfältig zu entfernen und nacheinander fielen Magen, Leber, Milz, Niere, Herz , die Lungenflügel und sämtliche Innereien nach unten in eine weitere bereitgestellte Schüssel. Er säuberte alles sorgfältig. Dann löste er mit einem Ausbeinmesser die Zunge aus dem Kopf.
Ulrike reagierte mechanisch. Ihre Gedanken schweiften ab in eine Zeit, als sie noch eine erfolgreiche Reiseverkehrskauffrau in Düsseldorf war. Damals hatte sie für ihre Angebote recherchiert, Urlaub auf dem Bauernhof war angesagt und so lernte sie Werner kennen. Ein starker Mann, zwei Meter groß, mit entzückenden Grübchen beim Lachen und einem unbeschreiblichem Charme, dem sie schnell erlegen war. Sie hatte sich verliebt, ohne es zu wollen. Sie schrieben sich, besuchten sich gegenseitig und mit der Zeit konnte Ulrike sich vorstellen, auf einem Bauernhof zu leben. Für ihn gab sie alles auf, ihre ganze Zukunft, ihr eigenes Reisebüro, das ihr Vater finanziell möglich gemacht hatte. Der Tod ihres Vaters, eine Woche nach Eröffnung ihres Reisebüros, hatte sie sehr mitgenommen. Ihre Mutter lebte schon lange nicht mehr und sie hat es immer bedauert, keine Geschwister zu haben, mit denen sie sich gut verstand und sich austauschen konnte. Als sie auf den Hof zog, lebten Werners Eltern noch, die nie sehr nett zu ihr waren. Sie war ein Kind aus der Stadt, passte nicht in die Vorstellungen der Schwiegereltern für die Hofnachfolge und das hatten ihr Werners Eltern oft genug zu verstehen gegeben. Sie drückten es im Testament deutlich aus, indem sie Werner zum Alleinerben einsetzten. Schon zu Lebzeiten seiner Eltern hatte Ulrike nichts zu lachen. Insbesondere Werners Mutter hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie mit der Wahl seiner Braut absolut nicht einverstanden war. Dementsprechend benahm sie sich Ulrike gegenüber und zeigte ihr bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit, wie unerwünscht Ulrike auf dem Hof war. Schlimmer noch war die Ignoranz von Werners Vater, der immer so tat, als sei Ulrike Luft für ihn und er nehme sie überhaupt nicht wahr. Das tat weh.
„Träum nicht, rühr weiter“ hörte sie wie aus weiter Ferne Werners Stimme. Ihr Körper war im Schlachtraum und tat, was von ihm verlangt wurde, ihre Gedanken schweiften zurück, zu der Zeit, als sie noch mit Werner eine glückliche Ehe führte. Ihr imponierte seine Entschlossenheit, seine Kraft, schnelle Entscheidungen zu fällen, sein unermüdlicher Optimismus. Das Landleben machte ihr nichts aus, sie fühlte sich wohl in der Natur, genoss die Nähe zum Meer. Hier in Dithmarschen war sie nur wenige Kilometer von der Nordsee getrennt und wenn ihr alles zuviel wurde, nahm sie den Autoschlüssel, fuhr an die Nordsee und ein langer Spaziergang im Wattenmeer befreite sie von jeglichen trüben Gedanken. Das kreischende Kiau-Kiau der Möwen glaubte sie schon fast zu verstehen, waren doch die Möwen oft ihre einzigen Gesprächspartner. Gespräche mit Werner waren immer seltener geworden, irgendwann hat sie den Zugang zu ihm verloren und die Ehe wurde immer wortkarger. Sie bestand, wenn sie es genau betrachtete, nur noch aus Befehlen seinerseits und dem Befolgen der Befehle ihrerseits. Das war nicht das Leben, das sie sich erträumt hatte.
„Ist gut jetzt, stell die Schüssel auf die Ablage. Komm her und hilf mir, die Innereien zu säubern" herrschte Werner sie an. Sie folgte ihm aufs Wort, obwohl sich innerlich alles in ihr sträubte. Die Schlachttage waren die Hölle für sie, immer wieder hat Werner sie einbezogen, obwohl oder gerade weil er wusste, dass sie sich davor ekelte. Sie selbst aß kein Fleisch, was ihr herbe Kritik von Werner einbrachte, der ihr immer wieder vor Augen hielt, dass sie nur Produkte veräußern könnten, von denen sie selbst überzeugt seien. Fleisch gehörte in seinen Augen dazu. Dabei liebte Ulrike die Kohlzucht, sie versuchte sich sogar am Züchten neuer Kohlsorten. Der Weißkohl hatte ihre ganze Fürsorge, nachdem sie die Liebe zu Werner verloren hatte. Ihre Liebe gehörte ihrer Katze, die den ungewöhnlichen Namen „Key West“ trug. Key war eine dreifarbige Glückskatze, mit seidigem Fell, mit sturem Eigensinn, wie ihn alle Katzen haben und mit einem Blick, der Eisberge zum Schmelzen brachte. Ulrike beneidete Key um ihre Freiheit, gehen zu können, wohin sie wollte, neugierig die Welt zu erkunden und niemanden zu fragen, wann sie kommt oder geht. Sie liebte Key abgöttisch.
Jetzt galt es, Werner zufriedenzustellen. Das war nicht leicht. Werner kommandierte sie herum, während er selbst die Organe des Schweins voneinander trennte, auswusch, die Därme spülte, die später mit Wurstmasse gefüllt werden sollten und bis zur Wurstbereitung in den Kühlraum legte. Das Schwein wurde an seinen Ketten mit dem elektrischen Flaschenzug heruntergelassen und kam zum Ausbeinen auf den großen Tisch in der Mitte des Raumes. Werner beorderte Ulrike zu sich an den Tisch und zwang sie, zuzuschauen. Um ihre Qual zu erhöhen, kommentierte er jeden einzelnen Schritt, der nun folgte, als müsse er einen Lehrling ausbilden. Mit jedem Satz rückte Werner dem Schwein mit dem Ausbeinmesser, dem Hackbeil und einer Säge zuleibe. Nach und nach häuften sich saftige Rippchen, große Schinkenstücke, zarte Filetstücke und durchwachsene Nackenstücke auf dem Tisch. Aus dem weniger guten Fleisch machte Werner Rollbraten, der, gut gewürzt und kompakt zusammengewickelt in ein Gumminetz geschoben wurde. Ulrike nahm die Fleischpakete fast apathisch an sich und schaffte sie in die Kühlkammer. Sie seufzte leise und schluckten ihren Ekel herunter. Der Zwang, ihm helfen zu müssen, war einer der Gründe, das sie unterdessen Vegetarierin war. Ulrike musste den Wurstkessel mit Wasser füllen und darin wurden die Schweinefüße, die herausgeschnittene Zunge und der Kopf gekocht. Als die Fleischteile weichgekocht waren, bestand Werner darauf, dass Ulrike den Kopf zerlegte. Das zarte Fleisch der Schweinebacken musste in kleine Würfelchen geschnitten werden, die so für die Wurstverarbeitung vorbereitet wurden. Nach und nach hatte Werner die Sau in ihre Einzelteile zerlegt und die Zubereitung der Wurst begann. Der Cutter wurde in Bewegung gesetzt. Diese laute Maschine, die alles, was immer man in seinen Schlund hineinwarf, zu Kleinteilen verarbeitete, machte Ulrike Angst. War die Schnittmenge noch nicht klein genug, wurde sie ein zweites Mal durch den Cutter gelassen. Auch dies verlangte Werner von Ulrike. Er bestand sogar darauf, dass sie ständig wiederholte, was er ihr über die Wurstherstellung beibrachte. Sie kam sich vor wie ein Schulkind, dass auf Leistung gedrillt wurde und fragte sich immer wieder, warum sie sich dies gefallen ließ.
„Schaff’ das Katzenvieh raus!" schrie Werner plötzlich aufgebracht.
Ulrike nahm zärtlich die Katze auf den Arm und setzte sie vor den Schlachtraum. Sie hörte ihn schimpfen, boshafte Beleidigungen ausstoßen, ihr war elend zumute. Werner herrschte sie an, wenn sie die Zunge für die Blutwurst nicht klein genug schnitt, er wurde zornig, wenn das Herz für den Presskopf nicht in seinem Sinne behandelt wurde und beim Sülzfleischschnitt konnte sie ihm auch nichts recht machen.
Ulrike handelte wie ein Roboter, der sprachprogrammiert Befehle ausführte.
Nach vielen Stunden waren die gröbsten Arbeiten erledigt, die Wurst gekocht, die ersten Würste in die Räucherkammer gehängt und das Fleisch passend zum Verkauf vorbereitet Das minderwertigere Fleisch wurde im Kutter so lange bearbeitet, bis es sich zu Lyoner verarbeiten ließ.
„Hol’ Eis“ zischte er sie an und zwei Schaufeln gefrorenes Trinkwasser wurden im Kutter zur Wurstmasse geschüttet.
„Wenn das Katzenvieh noch einmal in den Schlachtraum kommt, verarbeite ich sie zu Wurst, hast du das kapiert? Die hat hier nichts verloren!“
Das wusste auch Ulrike. Die Katze musste sich mit ihr hineingeschlichen haben und Ulrike hatte es übersehen. Das würde sie sicher büßen müssen. Ulrike zitterte.
„Dusch’ Dich, zieh Dich um, wird Zeit, dass Du in den Verkaufsraum kommst“ zeterte er indes. Ulrike hörte sofort. Sie räumte noch alle Utensilien weg und verließ den Schlachtraum über den Hof. Erschrocken fuhr sie zusammen, Key saß auf dem Apfelbaum und unter ihr Werner’s wild knurrender Schäferhund. Die Katze fauchte.
Nur zu gerne wäre sie der Katze zu Hilfe geeilt, doch die Angst vor dem Hund hielt sie ab. Noch zu frisch war die Erinnerung, als Werner den Hund auf Ulrike hetzte und sie vor Angst fast gestorben wäre, bis er ihn lachend zurückpfiff, nicht bevor der Hund einmal nach ihr geschnappt hatte. Normalerweise war der Schäferhund Arco an seiner Hundehütte angeleint, aber offensichtlich hatte er im Moment keine Leine und Ulrike war machtlos. Key war auf dem Baum in Sicherheit. Plötzlich hörte sie Arco laut aufjaulen, Key hatte ihm ihre Tatze mit ausgefahrenen Krallen quer über die kalte Hundenase gezogen. Ulrike grinste. Da der Hund laut aufjaulte, dauerte es nur wenige Sekunden, bis Werner aus dem Schlachtraum stürzte und sich um Arco kümmerte.
„Dieses Mistvieh kriegst Du zum Fraß, ich schwör’s Dir, Arco!"
"Du wirst die nächste sein, ich bring Dich um, ich werde Dich töten, wenn ich Dich erwischen sollte, dass Du mich um mein Geld betrügst!" stieß er ungehalten aus.
Ulrike machte, dass sie weg kam. Sie hatte Angst. Seine Drohungen entpuppten sich zwar meistens als heiße Luft, sie konnte sich jedoch nie sicher sein. Er hatte schon so oft gedroht, sie zu töten. Trotzdem blieb diese unbändige Angst.
Eine Stunde später stand sie erschöpft, aber frisch geduscht und adrett gekleidet im Verkaufsraum. Die erste Kunden kamen wenige Minuten später. Sie hätte sich nie gewagt, sich auch nur eine Minute zu verspäten, Werner wäre ausgeflippt. Die erste Kundin war Frau Riemann, die Eigentümerin der Mühlenhof-Pension. Sie war attraktiv und zeigte ihre Reize. Ulrike war zugeflüstert worden, dass die flotte Riemann zu den Favoriten von Werner zählte, wenn er seine Besuche machte. In ihrem kleinen, pittoreskem Dorf in Dithmarschen blieb nichts geheim. Die Bewohner der wenigen Häuser und der umliegenden Höfe kannten sich alle.
Die Riemann nahm eine große Salami in die Hand, roch daran und wog sie gefällig.
„Lang, dick und hart, so mag ich’s, die nehme ich“ und grinste dabei diabolisch.
Ulrike nickte freundlich, ihre Gedanken formten das Wort „Schlange“, der Mund sprach es zum Glück nicht aus. Die Riemann kaufte größere Mengen Wurst, einiges an Fleisch, zahlte und verließ lachend den Laden mit den Worten:
„Denn man viel Spaß heut’ Abend und schönen Gruß an Werner“. Ulrike hatte Probleme freundlich zu bleiben, als direkt danach Maike Sierks von der Fischräucherei erschien, von der sie genau wusste, dass sie mit Werner ein Verhältnis hatte. Maike war betont freundlich zu Ulrike und erzählte ihr alles, was sie wieder mal über Nachbarn in Erfahrung gebracht hatte. Ulrike setzte einen gelangweilten Blick auf.
„Na, wenn’s Dich nich’ interessiert, kann ich ja aufhör’n. Werner interessiert immer alles, was ich erzähle.“ schnaufte sie beleidigt. Ulrike packte alle gewünschten Waren in das Einkaufsnetz der Sierks und war froh als sie ging. Sie hatte sich so über die Sierks geärgert, dass sie vergaß, den bereits in die Kasse eingetippten Betrag auf den Tagesblock aufzuschreiben. Werner legte großen Wert darauf, zu wissen, welcher Kunde wieviel Geld bei ihm ließ und hatte daher Ulrike angewiesen, den kassierten Umsatz aufzuschreiben und den Kundennamen dazu. Abends addierte er die notierten Umsätze und verglich sie mit den eingetippten Beträgen. Der Verkaufsnachmittag ging schnell vorüber, es waren viele Kunden im Laden und sie war die ganze Zeit auf den Beinen. Müde schloss sie die Ladentür und begab sich in die Waschküche, denn die Wäsche musste erledigt werden. Als die Waschmaschine befüllt war, musste sie in die Küche, denn Werner wollte warm essen, bevor er sich wieder ins Dorf begab. Als sie in Richtung Küche ging, erwischte er sie im Flur. Ruckartig griff seine Hand in ihre Haare und zog ihren Kopf nach hinten. Er beugte sich über ihr Gesicht und sein übelriechender Atem zog ihr in die Nase.
„Die Kasse stimmt schon wieder nicht. Du willst mich wohl bescheißen, was? Das funktioniert so nicht, Du Schlampe! Wo hast Du die Kohle versteckt, in der Hosentasche?“ Grob durchwühlte er die Hosentaschen ihrer Jeans. Als er nichts fand, sah er sie mit glühend fanatischem Blick an und schrie:
„Wo ist es? Hast Du ein Depot in der Waschküche? Finde ich das Geld zwischen dem Waschpulver? Mach’ Essen, mach’s gut und schnell, rate ich Dir. Ich geh’ suchen und wenn ich fündig werde, gnade Dir Gott.“
Mit Tränen in den Augen bereitete Ulrike das Essen. Ein klägliches Miauen drang an ihr Ohr, laut und ängstlich und plötzlich war es still. Werner kam wieder nach oben und setzte sich wortlos vor den Fernseher.
Ulrike deckte den Esstisch und trug das Essen auf. Werner brauchte keine Einladung, er hatte Hunger, erhob sich von der Couch und beobachtete Ulrike aus schmalgeschlitzten Augen, als sie das Essen auf den Tellern verteilte. Ihr war der Appetit vergangen, die Haare schmerzten noch, so fest hatte er daran gezogen. Die Tränen standen ihr in den Augen, als sie lustlos auf ihrem Teller herumstocherte. Er stürzte sich auf das Essen, schmatzte und raunte ihr lediglich ein:
„Schlecht gewürzt“ über den Teller zu.
Als sein Teller leer war, stand er auf, noch bevor Ulrike zu Ende gegessen hatte und ging duschen. Als er zurückkam, war er schick angezogen, rief ihr noch ein gequältes
„Tschüss" zu und ging. Sie räumte den Tisch ab und säuberte die Küche. Jetzt musste die Wäsche fertig sein und in den Trockner befördert werden. Auf dem Weg über die Kellertreppe zur Waschküche dachte sie darüber nach, ob er wohl wieder betrunken nach Hause kommen würde. Als sie die Waschküche betrat, kam ein gellender Schrei aus ihrer Kehle, sie konnte den Anblick, der sich ihr bot, nicht ertragen ohne sich erneut zu übergeben.
Da lag Key mit durchschnittener Kehle. Auf den weißen Fliesen war alles voller Blut.
„NEIN“ schrie sie gellend aus vollem Hals.
„Ekelhaftes Monster, Mörder, Mörder, Mörder“ schrie sie weiter, als ob er sie hören könne. Sie setzte sich auf die Kellertreppe und weinte. Als Werner beim Ausschütten des Waschpulvers nichts gefunden hatte, war ihm Key in die Quere gekommen. Er hatte ihr Key genommen, er wusste, wie sehr sie das verletzen würde und genau aus diesem Grund musste die Katze sterben. Ulrike fiel in sich zusammen. Das war zuviel. Sie schüttelte sich in einem langanhaltenden Weinkrampf. Erst später schleppte sie sich mühsam die Treppe hinauf, unfähig, die Katzenleiche zu beseitigen. Sie konnte es nicht. Sie setzte sich an den Küchentisch und starrte vor sich hin. In ihr war nichts als Leere.
Gegen Mitternacht, sie saß immer noch regungslos am Küchentisch, vernahm sie lautes Poltern im Hausflur. Werner kehrte heim, betrunken wie immer. Sie ging ihm entgegen und bemerkte, dass ihre Befürchtungen berechtigt waren.
„Bring die Katz' innen Schlachtraum, hast schon gesehen, wo die ist. Arco hat’s verdient, dass er was ab kriegt“ lallte er fast schon und sie bemerkte, dass er auch heftige Schwierigkeiten hatte, zu laufen. Ulrike ging zurück in die Waschküche, die Tränen rollten ihr die Wangen herunter, während sie Key in einen blauen Müllsack einrollte.
„So ein widerliches, unmenschliches Schwein“ flüsterte sie leise vor sich hin, während unablässig ihre Tränen rollten. Ihr wahr klar, dass Werner es wahr machen würde, Key an Arco zu verfüttern.
Sie trug Key nach oben und weinte ununterbrochen. Werner hatte sich schon mit einem Messer bewaffnet, um tatsächlich vor ihren Augen Fleisch von Key an Arco zu verfüttern. Als sie die Katzenleiche bis zum Tisch trug, tropfte überall Blut auf den Boden, es sah grässlich aus und Ulrike bekam einen weiteren Weinkrampf. Werner machte nicht viel Federlesen und schnitt einige Fleischstücke aus dem Katzenkörper heraus, wobei er Ulrike zwang, hinzuschauen. Als er die Fleischstücke hinaus zu Arcos Hütte tragen wollte, passierte es.
Werner rutschte auf den Blutstropfen aus und knallte mit dem Kopf an das Tischbein des schweren Holztisches. Er lag reglos am Boden, die Fleischstücke noch in der Hand. Ulrike erstarrte.
Als sie aus ihrer Erstarrung erwachte, handelte sie blitzschnell, rannte zum Schrank, in dem Werner das Bolzenschussgerät aufbewahrte und lud es. Zündhütchen, Bolzen spannen, alles, wie er es ihr beigebracht hatte. Sie ging zu ihm hin, nahm ein letztes Mal seine Atemzüge wahr, setzte das Bolzenschussgerät direkt an die Schläfe, entsicherte und löste das Gerät aus. Mit einem Knall bohrte sich das Geschoss in Werners Schädel. Ihr Blick fiel auf Key, oder das, ws von Key noch übrig war und sie wickelte die Reste von Key in den blauen Müllsack. Dann entkleidete sie Werner schnell, zog ihn zum Flaschenzug, befestigte die Ketten um seine Knöchel und stellte den Motor an. Sie sah zu, wie er langsam nach oben gezogen wurde und sich seine Beine spreizten. Eine Metallschüssel, die auf dem seitlichen Regal stand, wurde mit schnellem Griff unter den Körper gestellt. Ulrike ergriff das Schlachtermesser, das er noch selbst nachgeschliffen hatte und setzte es an der Halsschlagader an. Ein kräftiger, tiefer Schnitt und das Blut fing an, in Herzschlagfrequenz aus dem Körper zu spritzen.
Als kein Blut mehr kam, stellte sie fest, dass auch das Herz zu schlagen aufgehört hatte. Sie setzte sich ruhig vor ihn hin, rührte das Blut in der Schüssel und hörte sich plötzlich selbst „Rolling home“ summen. Als ob sie es schon tausendmal gemacht hätte, setzte sie anschließend das Messer an und öffnete die Bauchdecke. Sie wunderte sich, dass es in einem menschlichen Körper nicht viel anders aussah, als in einem Schweinekörper. Dies erleichterte ihr allerdings die Arbeit. Ohne lange überlegen zu müssen, wusste sie, was sie zu tun hatte. Als alle Innereien entfernt waren, musste sie allerdings Schwerstarbeit leisten. Beim Zerlegen und Entbeinen hatte sie bisher nur zugeschaut und stellte nun fest, dass es ihren übermüdeten Körper höchste Anstrengung kostete, den Körper zum Ausbeintisch zu ziehen. Woher sie die Kraft aufbrachte, wusste sie selbst nicht, aber es gelang ihr. Irgendwo hatte sie in einem Bericht über Kannibalen einmal gelesen, dass der Geschmack von Menschenfleisch sich aufgrund der Ernährung und der anders gearteten Nierentätigkeit sich deutlich von tierischem Fleisch unterscheidet. Sie wandte daher den Trick an, das Schweinefleisch vom Vormittag mit dem von Werner zu mischen. Daraus bereitete sie alles, was sie sonst aus einem Schwein herstellten. Scharfe Gewürzmischungen in Wurst und Rollbraten und niemand würde es merken.
„ Du Schwein, Du Mörder“ sagte sie immer wieder leise vor sich hin.
Als sie den Rollbraten ins Netz schob, stellte sie sich bereits vor, wie die Riemann ihn genussvoll verzehrte. Fast alles wurde verarbeitet und was nicht in irgendeiner Weise verwertbar war, warf sie in den Cutter. Noch in der Nacht wurde Salami, Blutwurst, Leberwurst, Fleischwurst, Sülze und eine gehörige Menge Rollbraten vorbereitet. Die Haare hatte sie genau wie beim Schwein abgeflämmt. Die Knochen kamen nach dem Abkochen in die Knochenmühle und als es schon fast wieder hell wurde, arbeitete sie den organischen Dünger der Knochenspäne unter ihr Kräuterbeet. Einzig die Zähne blieben übrig, sie spülte sie in der Toilette herunter. Die Würste hing sie in den Rauch. Dann machte sie sich daran, den Schlachtraum ausgiebig zu reinigen.
Doch auch Arco sollte nicht hungern. Ein besonderes Stück, einstmals attraktiv, jetzt wie ein altes Wiener Würstchen aussehend, hatte sie für Arco reserviert. Er fraß es mit Genuss und schmatzte laut dabei.


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Texte: © alle Rechte, auch für das Titelfoto, bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 30.11.2009

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