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Mein heimlicher Beruf

Am liebsten hätte ich mir eine reingehauen. Doch was dann? Nur wegen dieser blöden Sache? Und was, wenn ich viel kräftiger zuschlagen würde als ich es vertragen kann? Also ließ ich es sein. Und dabei sollte das eigentliche Dilemma erst noch anfangen. Mit einer einfachen, unverfänglichen Frage:
,,Name?"
,,Reiner Dittner."
Klackklackklackklackklack
,,Beruf?"
,,Überlebenskünstler." Stimmt ja auch. Ich hangele seit Jahren von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob. Ich krieg ein bisschen Stütze und habe manchmal mehr Freizeit als mir lieb ist.
Der Beamte sah mich prüfend an.
,,Schon gut", sagte ich. ,,Ich bin arbeitslos." Komischerweise fühlte ich mich jetzt gekränkt. Vielleicht kam ich deshalb auf den Gedanken. Aber zuerst zögerte ich wirklich noch. Der plötzliche Einfall hatte mich selbst überrascht. Bestimmt kommt das von dem vielen Grübeln in der vielen Freizeit. Jedenfalls fügte ich dann hinzu: ,,Früher hatte ich mal einen Beruf, doch den gibt es nicht mehr."
,,Wollen Sie mich verarschen?"
Sicher, die Frage ist einer allgemeinen Ahnungslosigkeit geschuldet. Bescheid wissend schüttelte ich mit dem Kopf. Doch die Laune des Uniformierten hinter seinem Schreibtisch schien davon unberührt.
,,Also gut", sagte der Beamte gereizt, ,,was für ein Beruf soll das dann gewesen sein, den Sie mal ausübten und den es nicht mehr gibt?"
,,Ist das denn so wichtig?" Etwas mulmig war mir noch. ,,Schreiben Sie einfach arbeitslos in Ihre Akten und gut ist es."
,,Nein, das geht nicht. Sie sind zweiundfünfzig, nicht wahr? Also ist stark anzunehmen, dass Sie irgendwann in ihrem Leben auch mal einen Beruf erlernt haben. Und genau das muss auch in den Akten stehen."
Na dann: ,,Wenn Ihnen das so wichtig ist", sagte ich ein wenig stolz, ,, ich war mal Gott."
,,Jetzt reichts mir aber", brüllte der Beamte los. ,,Glauben Sie vielleicht, dass hier ist eine Art Unterhaltungsquiz und die lustigste Antwort gewinnt den Hauptpreis?"
Kopfschütteln oder es bleiben lassen? überlegte ich. ,,Ich meine es ernst", sagte ich ernst.
,,Und ich ebenfalls. Meinen Sie, mir macht das Spaß? Den ganzen Schreibkram zu erledigen, nur weil der Kaufhausdedektiv auf eine Anzeige gegen Sie besteht."
,,Er muss das tun", klärte ich auf. ,,Das verlangt seine Rolle. Er ist sozusagen mein Judas, der Verräter, Sie verstehen schon."
Der Beamte raufte sich die Haare. ,,Meine Fresse", sagte er mehr zu sich selbst. Dann fasste er sich wieder. ,,Hören Sie jetzt auf mit dem Quatsch. Ich verstehe Humor. Aber nicht heute und nicht bei der Arbeit, und schon gar nicht für diese Lappalie. Einfach lächerlich ist das, wenn ich mal so ehrlich sein darf. Wegen eines Eis am Stiel, das Sie an der Kasse haben mitgehen lassen. Was hat sie da bloß geritten?"
,,Ich habe wirklich vergessen das Eis zu bezahlen. Ich hatte es schon vorher aus der Kühlbox genommen. Dann sah ich mich noch ein wenig bei den Sonderangeboten um und das Eis fing langsam an zu schmelzen. Also hab ich das Papier aufgemacht und das Eis, während ich noch ein wenig die Regale entlang schlenderte, gegessen. Beim Rausgehen dachte ich gar nicht mehr daran, obwohl ich noch den Holzstiel in meiner Hand hielt."
,,Und das ganze Szenario war auch prima auf der Kaufhauskamera zu sehen. Glückwunsch, Herr Dittner."
Also doch Verrat. Anscheinend sind sie überall, die Verräter. Eine Welt aufgeteilt in Jäger und Gejagte. In Täter und Opfer.
,,Und übrigens", fügte der Beamte an, ,,Gott ist kein Beruf."
,,Beruf kommt aber von Berufung. Und mit Gott sein meinte ich nicht, ich wäre allmächtig."
,,Ach. Auf einmal?"
,,Ich bin nur ein Teil. Genau wie Sie es sind. Wie es jeder und jedes ist. Alles zusammen wäre dann Gott. Und so betrachtet bin ich schon Gott, als Teil eben, und Sie sind es und alles andere ist es auch."
,,Interessant, interessant", machte der Beamte. Er hatte wohl gerade seine humoristische Ader wieder entdeckt. ,,Sagen Sie mal", sagte er dann, ,,wie steht es denn mit der Weltpolitik, dem Weltfrieden, Hungersnöte oder Naturkatastrophen? Sollten Sie sich da mal nicht kümmern?"
So ein dämliches Grinsen. Als hätte er mir einen prima Witz erzählt und kann nun selbst nicht mehr vor lachen an sich halten, eher die Pointe bei mir angekommen ist. ,,Wie ich schon sagte, alles zusammen wäre Gott. Also auch die Weltpolitik, der Weltfrieden, Hungersnöte und Naturkatastrophen. Dafür sind Sie und ich gleichermaßen verantwortlich."
,,Sie wollen mir also erzählen, ich sei für den Krieg im Nahen Osten verantwortlich?
,,Natürlich, in einem höheren Sinn."
,,Oh. Dann bin ich natürlich auch für den Finanzcrash verantwortlich, für alle Terroranschläge auf dieser Welt oder für die letzte Erdbebenkatastrophe. Ich verstehe schon. Was habe ich mir nur dabei gedacht."
,,Das, was Sie denken wollen, haben Sie sich dabei gedacht."
,,Nun werden Sie mal nicht komisch", maulte er mich an.
,,Ich helfe Ihnen nur auf die Sprünge", entgegnete ich.
,,Mir auf die Sprünge helfen? Das ich nicht lache. Dafür brauche ich Sie ganz bestimmt nicht."
,,Nein, wir schaffen das zusammen. Wir alle sind berufen, diese Welt und ihre Ereignisse uns so zurechtzulegen, wie wir das für notwendig erachten."
,,Aha. Und ich bin sozusagen der Bösewicht in dieser Welt und Sie der liebe Gott."
,,Sie verstehen es noch immer nicht, nicht wahr?"
,,Ich verstehe eine Menge", fuhr er mich an. ,,Und eines können Sie mir glauben, ich habe bestimmt schon mehr Spendengelder losgeschickt als wie Sie wahrscheinlich je in Ihrem Leben verdient haben. Mir geht so etwas zu Herzen, wenn ich hungernde Kinder in zerlumpter Kleidung und in ausgebomten Häusern sehe. Ich bin bestimmt kein schlechter Mensch, das können Sie auch schriftlich haben."
,,Gerne", sagte ich. ,,Aber das wird nicht viel nützen. Genauso gut könnten wir gerade eine Runde Monopoly spielen und Sie geben mir einen Packen Papiergeld in die Hand. Das Geld taugt nur für das Spiel. Im Grunde ist es wertlos."
,,So, ich bin also ein wertloser Mensch für Sie?"
,,Das habe ich nie behauptet."
,,Natürlich nicht. Sie sind ja Gott. Sie dürfen so etwas gar nicht behaupten. Sie sehen nur zu und die anderen können die Drecksarbeit erledigen."
,,Würden Sie das denn tun?"
,,Was tun?"
,,Die Drecksarbeit erledigen."
,,Das tue ich seit sechsunddreißig Dienstjahren schon. Heute scheint es mich besonders hart erwischt zu haben."
,,Sehen Sie, so spielt eben jeder seine Rolle. Es ist wie ein Spiel. Ein gut durchdachtes, perfekt inszeniertes Drama."
,,Den Schreibkram hier und ihr lächerlicher Ladendiebstahl bezeichnen Sie als Drama?"
,,Ich spreche vom Allgemeinen. Das ganze Leben. Und dennoch für jeden einzelnen von uns. Jeder spielt seine Rolle. Und im Grunde ist es gleich, was wir tun, wie irgendein Beruf heißt oder wer wir in diesem Leben sind. Es ist nur für das Spiel und die Rolle wichtig. Das habe ich damit gemeint, mein Beruf wäre Gott. Weil eben alles und jedes zusammen gehört, und so gesehen ist auch Ihr Beruf Gott, wegen der Berufung, diese Welt so zu gestalten, wie es uns erachtenswert erscheint. Egal, ob Hungersnöte, Finanzkrisen oder andere Ereignisse. Das gehört zum Spiel und wir alle spielen mit."
Der Beamte sah mich skeptisch, ja sogar ein wenig mitleidig an.,,Sie halten sich wohl für besonders gescheit?" fragte er mit ermattender Stimme.
,,Nein, ganz bestimmt nicht", antwortete ich. Doch er schien meine Antwort gar nicht hören zu wollen. Mit dienstlicher Beflissenheit begann er auf der Computertastatur herumzuhämmern, murmelte ab und an dabei, korrigierte mehrmals seine Sätze, fluchte leise und warf zum Schluss noch einen langen, prüfenden Blick auf den Bildschirm. Danach bemühte er sich noch mal auf der Tastatur. Es folgte ein Surren und ein eher klapperndes Geräusch, und gleich darauf schob der Drucker ein ordentlich bedrucktes Blatt Papier aus seinem Plastikschlund, welches mir der Beamte vor die Nase legte.
,,Das ist Ihr Aussageprotokoll", erklärte er kurz. ,,Hier unten rechts unterschreiben."
Das tat ich auch. Immerhin ging es nur um eine Lappalie, und so weit ich das Schriftstück überflogen hatte, war meine Erläuterung für diesen ungewollten Diebstahl glaubwürdig beschrieben. Also unschuldig, was sonst.

Ich hatte tatsächlich übersehen, dass in dem Schriftstück noch einige erläuternde Worte beigefügt waren. Wie die zwei, drei Sätze mit der Persönlichkeitsstörung. Oder dieser eine, sehr lange und verschachtelte Satz, wo es letzten Endes um meine psychologische Betreuung geht. Deshalb sitze ich jetzt hier und schaue aus dem Fenster. Das nasskalte Wetter lädt nicht gerade zu Spaziergängen im Klinikpark ein. Nur ab und zu eilen ein paar Leute vom Personal über den gepflasterten Gehweg. Allzu lange soll ich auch gar nicht hier bleiben, behauptet zumindest mein betreuender Psychologe. Nur bis die Sache mit meiner Persönlichkeitsstörung wieder in Ordnung ist. Weitestgehend, wie man mir erklärte. Oder sie wollen es mit Medikamenten versuchen, erwogen die Ärzte. Jedenfalls kann ich mit meiner baldigen Entlassung rechnen. Es ist ja auch nur die Abteilung III, Ziffer 1024. Also die für die leicht Beknackten, wie es im Klinikjargon heißt.
Vor mir auf dem Tisch liegt die heutige Tageszeitung. Aus lauter Langeweile habe ich sie schon zweimal gelesen. Im Nahen Osten ist kein Ende des Konflikts abzusehen, lautet eine Schlagzeile. Warum auch, denke ich. Barack Obama: Hoffnung und Segen?, lese ich. Ein neuer Datenskandal bahnt sich bei der Deutschen Bahn an, steht in einem anderen Artikel geschrieben. Und die deutsche Regierung sieht für das kommende Wirtschaftsjahr schwarz. Na ja, überlege ich kurz, stehe auf und mache mich auf den Weg. Mein Nachmittagstermin für ein erneutes psychologisches Gespräch steht heute an. Gestern sollte ich meinem Psychologen erklären, wie ich das verstehe, dass alles und jedes auf dieser Welt zusammenhängt und dass, egal um welche Ereignisse es sich dabei handelt, dies stets ein Zusammenspiel gedanklicher Kräfte sei? Und weshalb ich glaube, auch die katastrophalen Ereignisse auf der Welt sind nur Produkte unserer eigenen Unkenntnis beziehungsweise eine möglicherweise abgewandelte Variante einer alten Idee. Und überhaupt, wieso sollten wir alle Gott sein, wenn es doch nur einen gibt?
Ich ließ die Fragen offen stehen und bedeutete mit einem Achselzucken, dass ich nicht wisse, was ich manchmal rede. Hätte ich nur eine der Fragen beantwortet, so fürchtete ich, befördere mich das nur in die Abteilung römisch IV, Ziffer sowieso, zu den schwerer Beknackten. Und so gehe ich jetzt zu meinem psychologischen Gespräch, in guter Hoffnung, meine alltagsbedingte Depression habe sich auf ein Minimum reduziert, wie es mein Psychologe diagnostizierend vorausahnt. Doch am liebsten würde ich mir eine reinhauen. Aber was dann? Was, wenn das alles nur ein übler Traum ist, in dem ich freiwillig mein Leben träume? Ich könnte durch die Ohrfeige derart schockiert erwachen, dass ich erneut vor einem Dilemma stehe. Also gehe ich jetzt lieber in das Sprechzimmer meines Psychologen und lasse das andere sein.

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Tag der Veröffentlichung: 26.01.2009

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