Symptome1
Persönlichkeitsveränderung
Da saß Linda auf ihrem Waschkorb im Badezimmer und blickte ungläubig auf den Schwangerschaftstest, den sie seit 10 Minuten in der Hand hielt. Er zeigte 2 knallblaue Streifen. Sie war offensichtlich schwanger. Die Gefühle, die dieser Schnelltest im Sonderangebot von der Supermarktkasse auslöste, lag irgendwo zwischen Freude und Misstrauen. Sie entschloß sich, zuerst nichts zu verraten. Ein Arzt musste her.
Es könnte ja durchaus ein Fehlalarm sein.
Wenige Tage später bekam sie es Schwarz auf Weiß vom Herrn Doc persönlich, JA sie war schwanger!
Als Mike nach Hause kam, konnte sie ihre Aufregung kaum verbergen.
- Himmel, ich dachte du kommst nicht mehr nach Hause!- sagte sie mit strengem Tonfall.
- Was ist los??? fragte Mike und lies seine Tasche fallen.
- Mike....ich bin schwanger! - sagte Linda und strahlte.
Mike ging auf Linda zu und hob sie hoch in der Luft.
Beiden waren Ende 20 und seit ein paar Jahren verheiratet und kurz nach der Hochzeit entschloss sich Mike, Bauingenieur zu werden. Linda arbeitete als Verkäuferin in einer Parfümerie und war so zu sagen Alleinverdiener. Mike jobbte ab und zu und das, was er verdiente war nicht gerade viel, aber sie kamen gut damit zurecht.
Fast 2 Jahren hatte Mike noch vor sich, aber sie nahmen das anspruchlose Leben gern auf sich. Irgendwann würden bessere und sichere Zeiten auf sie zukommen und zwar sobald Mike sein Studium beendet hatte.
Der Zeitpunkt war nicht gerade optimal für ein Kind, aber Mike und Linda schwebten trotzdem auf Wolken 7. Sie waren sicher auch das meistern zu können.
Sie begannen sofort sich Gedanken über alles Mögliche zu machen und nach 4 Stunden planen und überlegen, schien alles klar und lückenlos organisiert zu sein.
Aber dann fiel Linda etwas ein, an was beiden im Glückstaumel nicht gedacht hatten. Und zwar Mike’s Mutter.
- Deine Mutter wird ausflippen! - sagte Linda besorgt.
- Ach was!- erwiderte Mike.
Da Mike bereits mehrere Male ein Studium begonnen und gleich danach wieder abgebrochen hatte, war sein Studium dieses Mal ungeheuer wichtig. Ganz besonders für seine Mutter. Man könnte glauben, dass ihre Leben davon abhängen würden. Als er wieder begann zu studieren sagte sie:
- Ich hoffe du hältst dieses mal durch. Noch eine Niete vertrage ich nicht! Und du Liebes (sie meinte Linda) werd bloß nicht schwanger. Das wäre ja furchtbar! Ihr könnt ja gerade mal eure Mäuler stopfen. -
Und genau das, was seine Mutter als so “furchtbar” bezeichnete, war nun geschehen. Linda konnte es schon vor ihren inneren Augen sehen: Martha (Mike’s Mutter) in ihrem Sessel mit besorgter Miene und ihren vorwurfsvollen Blick auf sie gerichtet. In der rechten Hand hält sie ein Glas Kirschlikör und sitzt minutenlang stumm da, bis sie endlich die Frage alle Frage stellt. “ Sag’mal Liebes, nimmst du nicht die Pille? “
- Darüber solltest du dir keine Gedanken machen. Sie wird vielleicht ausflippen, aber nach ein paar Tagen hören wir nichts mehr von ihr. Wir sehen sie kaum. Sie ist immer unterwegs! - versicherte Mike.
Martha machte Urlaub in Frankreich mit ihrer besten Freundin Rosalie. Beide waren 68 Jahre alt und streitsüchtig. Wenn sie zusammen unterwegs waren, stand Streit
ganz oben auf der Liste von “Dinge die wir heute machen wollen”.
Martha rief aus Frankreich an. Eigentlich wollte sie nur Luft auslassen und über Rosalie lästern, aber Mike hörte nicht wirklich zu.
- Hallooooo.....hörst du überhaupt zu???- fragte Martha ungeduldig.
- Ich höre doch, aber was soll ich dazu sagen? - antwortete Mike gelangweilt.
- Ich bitte dich, Mike! Rotwein zum Fisch! Zum Fisch! Rosalie macht mich wahnsinnig.- sagte sie und seufzte dabei.
- Mutter, hör zu, was machst du im März? Hast du was vor? - fragte Mike plötzlich.
- Wat??? Wie kommst du jetzt darauf? - fragte Martha irritiert.
- Hast du was vor? Ja oder nein? Ein ganz einfache Frage. - erwiderte Mike ungeduldig.
- NEEEEIIIIIN! - antwortete sie mit barschem Ton.
- GUUUUT! Dann kannst du bei der Geburt deines Enkelkindes dabei sein! - erwiderte er.
- Wat? Wo? Wie? Was für eine Geburt? - stotterte sie an Telefon.
- Mutter, Linda ist schwanger und das Baby kommt im März. Hallo???-
Totenstille herrschte auf der anderen Seite der Leitung. Kein Pieps war mehr zu hören. Mike war ein wenig verwirrt und schaute hilfesuchend zu Linda, die kopfschüttelnde daneben saß.
- Super gemacht Mike! Du hast deine Mutter zu Tode überrascht! - sagte Linda.
- Hallo? - meldete sich Martha wieder.
- Also, was sagst du dazu?- fragte Mike jetzt verunsichert.
- Was soll ich sagen? Ich melde mich wieder wenn ich zu Hause bin. - sagte sie und legte auf.
Mike blieb nicht anderes übrig, als auch aufzulegen. Er schaltete das Fernsehen ein , nahm Platz auf dem Sofa neben seiner Frau und machte dabei einen zufriedenen ruhigen Eindruck.
- Und ,wie war es? - fragte Linda neugierig.
- Wie erwartet. - antwortet er.
- Und was heißt das? - fragte sie weiter.
- Sehr gut! Jetzt spielt Rotwein zu Fisch keine Rolle mehr. - sagte Mike.
Ein paar Tage später war Martha wieder zu Hause und lud Mike und Linda zum Abendessen ein. Wieder einmal sagte sie nicht sehr viel am Telefon. Sie war sehr kurz gebunden gewesen und schien fast gleichgültig, als sie die beiden anrief.
An dem Abend fühlte sich Linda nicht gerade sehr wohl und wünschte sich, sie wären schon auf dem Weg nach Hause, statt zu Mike’s Mutter. Linda machte sich auf alles gefasst und rechnete mit einer kleinen Familienauseinandersetzung bei Kerzenlicht.
Aber was da wirklich auf sie zukommen würde, hätte sie nicht mal im Traum geahnt. In diesen paar Tagen Frankreich, nach der Bekanntgabe der Schwangerschaft, begann die Metamorphose der Mutter bzw. Schwiegermutter in eine nerventötende, zeitaufwendige, geduldstrapazierende und zur Verzweiflung treibende Kreatur. Die sie war dabei, zur OMA zu werden.
Da standen sie nun ahnungslos vor ihrer Tür. Ohne zweimal zu überlegen klingelte Mike. Hektik machte sich bemerkbar, laute Schritte waren zu hören. Dann ging plötzlich die Tür auf.
- KINDER!!!!!! Ich glaube es einfach nicht. Ich werde Oma! - rief sie laute und deutlich, mit Betonung auf laut.
Martha zog Mike und Linda an sich und drückte sie mehrmals so fest, dass Linda fast die Galle hoch kam. Sie sprang herum wie ein Kind an Heiligabend vor der Bescherung. Martha strahlte vor Glück, kicherte auffällig und hatte irgendwie einen irren Blick in Augen.
- Alles in Ordnung mit Dir? - fragte Mike irritiert.
- Aber ja doch! Warum sollte etwas nicht in Ordnung sein? Wir bekommen ein Baby!!!! Baby, Baby, Baby. - sagte sie euphorisch und rieb dabei ihre Hand an Lindas Bauch.
“WIR bekommen ein Baby????”, dachte sich Linda.
Martha sprach pausenlos an diesem Abend und offenbarte erfreut, wie viele “Projekte” sie geplant hatte. Kinderfotos von Mike wurden gezeigt, unzählige Geschichten erzählt und vor allem Pläne geschmiedet. Was Linda oder Mike davon hielten, danach wurde nicht gefragt.
“Oma” übernahm automatisch die Kontrolle über alle Entscheidung als ob dieses Kind in Lindas Bauch, ihr und nur ihr, gehören würde. Als Martha anfing, das Kinderzimmer zu planen versuchte Linda das Ruder wieder zu übernehmen.
- Martha, dass ist ja alles sehr lieb von dir, aber wir wollen gern uns selbst darum kümmern. - sagte Linda und glaubte, sich klar ausgedrückt zu haben.
Martha beäugte Linda streng von oben bis unten und hielt inne. Nach ein paar Sekunden Stille brach sie ihre ihr Schweigen.
- Hast du Erfahrung mit Kindern, Liebes? - fragte sie vorwurfsvoll mit stechendem Blick.
- Natürlich nicht, aber...- begann Linda.
- Eben! Ich bin hier diejenige, die über 20 Jahre Erfahrung hat als Mutter und daher...wo waren wir? Ach ja! Mein Kind braucht ein Schlafsäckchen. - fuhr Martha fort.
Mein Kind???? Sofort läuteten Lindas Alarmglocken. Aber, lieber Leser, liebe Leserin, es war zu spät.
Symptome 2
Kaufrausch
Von diesem Abend an stand das Telefon bei Linda und Mike nicht mehr still. Jeden Tag rief Martha an, um irgend etwas zu fragen oder Bescheid zu sagen, dass sie etwas kaufen würde oder schon gekauft hatte.
Linda selbst hatte gerade mal ein paar Söckchen und eine Strampler besorgt, aber Martha dagegen war sehr fleißig und hatte schon allerlei Bettzeug, Decken, Kuscheltiere, Spieluhren, Kissen, Mützen, Handschuhe, Schuhe, u.s.w gekauft und das alles stand bereits bei Linda und Mike im Wohnzimmer, das kurzfristig zu einem Lager unrangiert wurde.
Martha hatte alles mögliche besorgt ohne Zustimmung der werdenden Eltern. Sie hatte alles gekauft, was das Kind brauchte und nochmal so viel von Zeug, das das Kind NICHT brauchte.
Was Linda besonders zu schaffen machte, war Marthas Geschmack, der meilenweit entfernt von dem von Linda und Mike war.
Alles, was Martha als schön empfand, verursachte bei Linda und Mike ein optisches Trauma. Unglaublich bunt und beladen mit Stickerei und allerlei an Schnickschnack.
Da das Geschlecht des Kindes noch nicht bekannt war, kaufte Martha alles in Grün, und zwar Grasgrün. Die richtige Farbe für kleine Kobolde!
Und wenn sie nicht einkaufen konnte, weil die Länden dummerweise zu waren, stöberte sie auf dem Dachboden.
Was für ein Schock war es, als Martha eines Tages vor der Tür stand, am Sonntag um 8 Uhr morgens mit einem Karton auf dem Arm, voller Kindersachen von Mike aus den 70ern. Ein Gräuel offenbarte sich, als Martha die Kiste öffnete.
Da waren sie! Der Gründe, warum man Kinderfotos als so amüsant und albern empfindet: Strickwaren mit Bommeln. Und das sollte das Kind in Zukunft tragen!
Strick-Jacke mit Bommel, Strick-Mütze mit Bommel, Strick-Schühchen mit Bommel. Bommeln in allen Größen und (un)möglichen Farben. Ein Bommel-Alptraum! Aber Martha war tatsächlich hin und weg vor Freude. Bei Mike und Linda hielt sich diese verständlicherweise in Grenzen.
Das beste Kleidungsstück hielt sie jedoch bis zum Schluss auf. Eine Cowboy-Weste aus Lederimitat mit aufgenähtem Sheriffstern.
- Schaut mal, ist das nicht kess? - fragte Martha begeistert.
- Das ist nicht dein Ernst? - fragte Mike verdutzt.
- Jetzt hört doch mal auf, Mike! Du hast das sehr gerne getragen, als du klein warst. Ich kann nicht abwarten, meinen Enkelsohn hier drin zu sehen. - sagte sie voll Vorfreude.
- Vielleicht wird es ein Mädchen. - dachte Linda laut.
- Dann wird es ein Cowgirl!!!!!!- erwidert Martha und lachte herzhaft.
Marthas Kaufrausch wirkte zu erst einschüchternd, nach zwei Monaten besorgend, nach drei Monaten nervend und schlussendlich wurde jedes Sabberlätzchen zu einer Kriegserklärung.
Dann war die Zeit gekommen, die Notbremsen zu ziehen. Sie kamen nicht mehr aus der Nummer raus. Sie wollten dieses Mal die Sache anpacken und endgültig lösen. Auch wenn es sich undankbar anhörte, sie wollten von Oma Martha nichts mehr geschenkt. Genug war genug!
Mike war entschlossen, bei der ersten Möglichkeit die Initiative zu ergreifen.
Als sie wieder mal bei seiner Mutter eingeladen waren, begann sie bei Tisch über Kindermöbel zu sprechen.
- Mutter, stop! Du hast genug getan. Ab jetzt werden wir uns darum kümmern. O.K.? - sagte Mike bestimmt und glaubte, damit der Sache ein Ende gesetzt zu haben.
Martha biss sich in ihre Unterlippe und machte einen beleidigten Eindruck. Sie schwiegen eine Weile, aber diese kurze Stille wurde von einem traurigen Schniefen unterbrochen.
- Na kommt schon...es war nicht böse gemeint. - erklärte Mike seiner Mutter, die krampfhaft versuchte, ihre Träne zurückzuhalten.
- Nicht doch! Es tut ein bisschen weh, so abgewiesen zu werden aber ...es wird schon. - sagte sie mit Piep-Stimme.
- Martha versteh doch, wir sind sehr dankbar, aber... - begann Linda.
- Ja, man sieht es. - unterbrach sie und begann zu heulen.
Mike und Linda wussten gar nicht, wie es um sie geschah. Bei einer heulenden älteren Dame waren ihnen die Hände gebunden. Alle Versuche die Sache wieder ins Lot zu bringen scheiterten. Man konnte sie nicht mehr beruhigen. Da standen diese beiden widerlichen und böseartigen Menschen vor einem kleinen Häufchen Elend.....sie waren ausgeliefert!
- Mutter, bitte! Hör auf zu weinen. - flehte Mike sie an.
- Seit mein Albert von mir gegangen ist und mein einziges Kind das Nest verlassen hat, hat mein Leben kaum einen Sinn mehr gehabt. Ich bin einsam und traurig. - erzählte sie unter Tränen.
- Wirklich? Davon haben wir nichts mitgekriegt. Du warst andauernd auf Feiern und Kreuzfahrten. - rutschte es plötzlich aus Linda raus.
- Das alles war eine Tarnung, Liebes! Ich wollte nicht zur Last fallen. Als ich von dem Baby erfuhr, bekam mein Leben wieder einen Sinn. Aber jetzt.....(Naseputzen!) ist er wieder weg!- schluchzte Martha dramatisch.
Eine zusätzliche Schweigeminute wurde eingelegt und die Hilflosigkeit von Mike und Linda stand ihnen auf der Stirn geschrieben.
- Mutter, das heißt jetzt nicht, dass du nichts für das Baby besorgen darfst, aber wir wollen auch etwas tun. - sagte Mike reumütig.
- Nein, wenn ihr was dagegen habt....tue ich nichts mehr.- sagte Martha ruhig.
- Wir haben nichts dagegen. - erwidert Mike.
- Wirklich nicht? - fragte sie mit Dackelblick.
- Natürlich nicht! - antwortet er.
- Und was sagst du dazu, Liebes?- wollte Martha von Linda wissen.
- Naja, gegen ein paar Kleinigkeiten habe ich nichts einzuwenden.- antwortet Linda zögernd.
Drei Tage später wurden die Möbel fürs Kinderzimmer angeliefert.
Symptome 3
Besitzergreifung
Als das Kinderzimmer komplett ausgestaltet, die Kommoden und Schränke proppenvoll, die Wände tapeziert, die Lampe an der Decke, die Vorhänge an ihrem Platz und die Regale vollgestopft mit Staubfängern waren, hatte Martha nichts mehr zu tun außer zu warten.
Und Martha hatte plötzlich viel Zeit. Zeit zum Nachdenken. Zeit um an das Kind zu denken. Es sollte ein gesundes Kind werden, groß und stark. Dem Kind sollte es an nichts fehlen da wo es war. Und wo war es? Eben! In Lindas Bauch.
Martha lud jedes Wochenende zum Essen ein um angeblich Dinge zu besprechen. Aber der wahre Grund blieb Linda nicht unbemerkt: Schwiegermama begann sie systematisch zu mästen.
- Nimmt doch noch ein Stück Braten, Liebes! - sagte Martha und bevor Linda antworten konnte, lag bereits ein weiteres Stück Braten auf ihrem Teller.
- Nein, nein. Ein Stück reicht völlig! - entgegnete Linda hilflos.
- So ein Quatsch! Du musst für Zwei essen, Liebes! - sagte sie und goss mehr Sauce darüber.
Das Aussehen oder das Geschlecht des Kindes konnte Martha nicht beeinflussen, aber sie konnte bestimmen, ob es ein Wonneproppen wird oder nicht.
Sie lies Linda nicht mehr aus den Augen. Was Linda aß oder trank wurde genau unter die Lupe genommen. Die Auswahl der Zutaten wurde penibel kontrolliert um sicher zu sein, dass das Kind nicht abgemagert auf die Welt kommt. Daher gab es kein Gemüse ohne Butter und keine Sauce ohne Speck.
Jede Frau, die einmal schwanger war weiß, wie hart es ist gegen den Heißhunger anzukämpfen. Linda war regelrecht ausgeliefert und Martha machte Gebrauch davon. Ein sehr ungerechter Kampf, den Linda nur verlieren konnte.
Zu Kaffee und Kuchen kam nur Schwarzwäldertorte auf den Tisch, alles andere war nicht akzeptabel.
Ja, die ”jute” Sahne! Und die arme Linda ahnte nicht, wie schwer Martha ihr das Leben später noch machen würde wegen der überflüssigen Pfunde um die Hüfte! Linda nahm in kürzester Zeit 9 Pfund zu und ihr Bauch nahm überdimensionale Gestalt an.
Nach neun langen und anstrengenden Monaten, war der Tag gekommen. Alles ging sehr schnell und nach 4 Stunden Pressen und Pusten, lag auf Lindas Arm ein kleines glitschiges Dinge, voller Käseschmiere und einem geschwollenen Gesicht, aber für die frisch gebackenen Eltern war es natürlich das schönste Kind der Welt.
Der kleine David war da! Und Oma Martha übrigens AUCH! So bald sie das Zimmer betreten durfte, stürzte sie sich auf das hilflose Wesen. Und damit war Linda gemeint, die sich nach der anstrengenden Geburt nicht wehren konnte.
- Wo ist mein Kind? Da ist er! Komm zu Oma. - sagte Martha und nahm das Kind an sich.
Es zurück zu bekommen war gar nicht so einfach, aber dem Himmel sei Dank für die Besuchszeiten in Krankenhäusern! Irgendwann wies die Krankenschwester Martha auf das Ende der Besuchszeit hin und sie ging, aber nicht ohne einen letzten bedrohlichen Satz.
- Ich komme morgen wieder! - sagte sie zum Abschied.
Und so würden die kommenden Jahre ablaufen. Sie kam immer und immer wieder. Man durfte keinen Geburtstag, keinen Feiertag oder Wochenenden ohne Oma Martha verbringen. Sie meinte, einen Anspruch auf David zu haben und von diesem Anspruch machte sie nicht nur Gebrauch sondern missbrauchte ihn auch, vor Allem aber Mikes und Lindas Geduld!
Symptome 4
Klugscheißerei
Martha war Expertin. Und wenn man sich fragt “für was?”, ist die Antwort einfach: Für Alles! Martha war Kinderärztin, Pädagogin, Logopädin, Orthopädin, Neurologin, Psychologin, Ernährungsberaterin, Verhaltensforscherin, Hellseherin und wenn es darauf ankam auch Astronautin. Martha wusste einfach alles besser. Vor alle besser als Linda, und auch Mike konnte ihr nicht das Wasser reichen.
- Du hältst das Kind falsch, Liebes! - stellte Martha fest.
- Nein, das tue ich nicht! - meinte Linda.
- Doch! Ich sehe es doch. - sagte Martha.
- Ich halte David genau so, wie die Hebamme es mir gezeigt hat. - erklärte Linda.
- Ach! Was weiß die schon?! - erwiderte Martha beleidigt.
Das war Marthas Standardreaktion, wenn einer es wagte, an ihren Kenntnissen und Erfahrungen zu zweifeln. Ihrer Meinung nach wusste niemand irgendetwas. Alles Idioten, inklusive Linda und Mike. Die waren die Oberidioten!
Daher fühlte Martha sich verpflichtet und dazu berufen, sich überall einzumischen und glaubte, ihre Nase in sämtliche Angelegenheiten stecken zu dürfen. Alles was man tat war grundsächlich falsch und sie entdeckte überall Auffälligkeiten.
Als David 5 Monate alt war, machte sie alle irre, weil das Kind noch keine Zähne hatte. Mike bekam schon mit 5 Monaten seine erste Zähne und anders sollte es bei David nicht sein. Für Martha war das äußerst besorgniserregend. Sie kontrollierte regelmäßig Davids Gebiss und stellte die wildesten Diagnosen, von akutem Vitaminmangel bis zu chronischer Zahnlosigkeit, verursacht durch einen Gendefekt. Höchstwahrscheinlich von Lindas kaputten Genen. Was sonst!?
Sie trieb alle damit an den Rand des Wahnsinns, bis Linda zum Arzt ging und sich bestätigen lies, dass nichts daran außergewöhnlich war.
- Ach!!! Was weiß der schon! - äußerte sie dazu.
Martha gehörte zur sogenannten “Kriegsgeneration”. Für sie galt ein schlankes und blasses Kind als krank. Zu Marthas Erstaunen war David bei der Geburt normalgewichtig. So lange er an den Brüsten seiner Mutter und später an der Flasche hang, konnte sie nichts dagegen machen. Aber als der Tag kam, ab dem David feste Nahrung zu sich nehmen konnte, hatte sie eine Mission.
- Warum hast du keine Butter auf sein Brot geschmiert? - fragte Martha verdutzt.
- Weil ich es mit Frischkäse beschmiert habe. Butter ist überflüssig. - erklärte Linda.
- Kein Wunder, dass das Kind so mager ist! - erwidert Martha vorwurfsvoll.
- Er ist nicht mager, Martha! -
- Der armer Junge! Aus dem wird nichts, wenn ihr ihn weiter so schlecht ernährt. - führte Martha fort, mit einer Spur von Mitleid in der Stimme.
Wenn Linda und Mike etwas zum Anziehen für David kauften, was es in Marthas Augen nicht warm genug oder aus minderwertiger Qualität. Wenn sie ihm etwas zu essen gaben, war es nach Marthas Meinung ungesund oder nicht nahrhaft genug, mit anderen Worten, es fehlte Butter oder Speck. Wenn sie ihm etwas beibrachten war es falsch und wenn sie mit ihm etwas unternahmen oder spielten war es öde!
Nur ihr Essen, ihre Kleidung, ihre Erziehungsmethoden, ihre Kindersendungen, ihre Lieder, ihre Bücher, ihre Vorschläge waren gut genug für David!
Symptome 5
Extreme Anhänglichkeit
Es ist Ihnen wahrscheinlich nicht unbemerkt geblieben, liebe Leserin und lieber Leser, dass, seit der kleine David gezeugt wurde, Martha rund um die Uhr präsent war. Sie los zu werden war ein bittere Aufgabe. Auf der einen Seite wollten Linda und Mike der Oma nicht auf die Füße treten, aber auf der anderen Seite hatten sie eine Überdosis an “Oma”.
Linda war schon fast froh, keine Mutter mehr zu haben. Die Vorstellung, zwei von der Sorte um sich herum zu haben, war einfach grauenhaft!
Als David etwa 18 Monate alt war, befanden sich Linda und Mike am Ende ihrer Kräfte. Um neue Energie zum tanken beschlossen sie, eine kurze Reise zu machen und zwar ohne die liebe Oma.
Martha diese Botschaft zu übermitteln, erwies sich aus schwierig, besonders, weil ihre Teilnahm an ALLEM für sie schon selbstverständlich war!
- Was machen wir dieses Wochenende? - fragte Martha bei einem ihrer regelmäßigen Besuche.
- Was du machst weiß ich nicht. Aber ich weiß, was wir machen. - antwortete Mike knapp.
- Lass den Quatsch! Also, wo fahren wir? - fragte sie weiter.
- Wir fahren an die Nordsee. - gab Mike bekannt.
- Super! David und Oma zum ersten Mal an der Nordsee! Das wird ein Spaß! - rief Martha begeistert.
- Mutter, wenn ich WIR sage, meine ich nur 3 von uns. - versuchte Mike ihr durch die Blume klar zu machen.
- Warum? Kommst du nicht mit, Liebes? - fragte Martha Linda.
(Kurze Ratlosigkeit!)
- Nein, das ist ein Missverständnis! Wenn ich 3 von uns sage, meine ich Linda, David und mich. Klar soweit? - entgegnete Mike.
-Wie? Warum darf ich nicht mitkommen? Geht es hier ums Geld? - forschte Martha nach.
- Nein. Wir wollen nur einmal etwas zu dritt machen. Ist das so schwer zu verstehen? - antwortet Mike.
- Nein, nein. Ich verstehe sehr gut! Ich wäre sehr gern dabei gewesen, wenn mein Enkelsohn, mein einziger Enkel, zum ersten Mal am Meer ist, aber wenn meine Person so unerwünscht ist ....bitte! Ich hoffe ihr seid gnädig und bringt mir ein paar Fotos mit. Wenn es nicht zu viel verlangt ist. - sagte sie und stand schwer gekränkt auf.
Sie hatten diesen Urlaub so nötig, dass Linda und Mike nichts unternahmen als Martha aufstand, ihre Jacke anzog und die Wohnung als beleidigte Leberwurst verlies. Niemand hielt sie auf! Sie waren bereit, einiges in Kauf zunehmen.
Der Sommer war schon lang vorbei, aber die Sonne lies sich trotzdem regelmäßig blicken. Es war schön und erholsam, aber auch wenn es wie aus Eimern geregnet hätte, es wäre trotzdem schön gewesen. Schon allein aus dem Grund, dass Martha nicht dabei war. Es gefiel ihnen so gut, dass sie sich durchaus vorstellen konnten, für immer so zu leben. Sie begannen sich Gedanken zu machen: wie wird man Oma los auf eleganter Art und Weise?
Als Mike sein Studium endlich beendet hatte, bewarb er sich konsequent nur bei Firmen, die mindestens 500 Kilometer entfernt waren. Butter bei die Fische...er bekam einen guten Job in einem kleinen Örtchen und wieder mal gab es also eine Hiobsbotschaft, die Martha mitgeteilt werden musste.
- Du hast Arbeit gefunden? Das ist ja wunderbar! - freute sich Martha (noch!)
- Ja, und in ein paar Tagen geht es los mit den Umzug. - kündigte Mike an.
- Umzug? Warum umziehen? - fragte Martha verwirrt.
- Die Firma liegt 700 Km entfernt von hier. Es ist klar, dass wir umziehen müssen!- erzählte Mike weiter.
- Aber dann kann ich meinen Enkel ja gar nicht mehr sehen, sag’ mal?! - protestierte sie.
- Aber ja doch! Ein oder zweimal im Jahr bist du bei uns willkommen. -
Martha sagte an diesem Abend fast Garnichts mehr. Mit dieser Überraschung hatte sie nicht gerechnet und im Augenblick waren ihr die Hände gebunden. Den Umzug konnte sie nicht verhindern, aber Oma wäre nicht Oma wenn sie nicht etwas unternommen hätte.
Linda und Mike waren gerade zwei Woche in der neuen Wohnung und sie kam schon zu Besuch.
Sie kam und blieb eine ganze Woche und fand die Ortschaft so schön und idyllisch, dass sie sich vornahm öfter zu kommen. Die Abstände zwischen den Besuchen schrumpften bei jedem Aufenthalt ein wenig mehr. Anfangs kam sie jeden dritten Monate, dann alle zwei Monate und irgendwann alle vier Wochen. Als sie eines Tages am Telefon sagte:
.
- Hört’ mal! Ich habe meinen Enkel seit 14 Tagen nicht mehr gesehen. Ich komme mal rüber! - ,
begannen Linda und Mike sich Gedanke über das Auswandern zu machen. Australien schien plötzlich sehr attraktiv, trotz Hitze, Schlange und allerlei Krabbelgetier. Oder Grönland?
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 11.01.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Büchlein widme ich den 3 wichtigsten Personen in meinem Leben.