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PROLOG

DAS LICHT des halben Mondes glänzte auf den Granit- felsen und verwandelte sie in Silber. Die Stille wurde nur durch das Plätschern des rasch fließenden, schwarzen Flusses unterbrochen und das Flüstern der Bäume im dahinterliegenden Wald.
In den Schatten rührte sich etwas und von überall her krochen geschmeidige, dunkle Gestalten verstohlen über das Gestein. Ausgestreckte Krallen funkelten im Mondlicht. Wachsame Augen blitzten wie Bernstein.Unddann, wie auf ein stilles Kommando, sprangen die Tiere aufeinander los, und plötzlich wimmelten die Felsen von kämpfenden, kreischenden Katzen.
Mitten in dem wilden Getümmel aus Fell und Krallen presste eine massige, dunkle Tigerkatze einen rotbraunen Kater zu Boden und reckte triumphierend den Kopf.
»Eichenherz«, knurrte der getigerte Kater.
»Wie kannst du es wagen, auf unserem Territorium zu jagen? Die Sonnenfelsen gehören dem DonnerClan!«
»Nachheute Nacht, Tigerkralle, wird dies ein weiteres Jagdgebiet des FlussClans sein!«, fauchte der rotbraune Kater.
Ein Warnschrei ertönte vom Ufer, schrill und voller Angst.
»Passt auf! Da kommen noch mehr FlussClan-Krieger!«
Tigerkralle wandte sich um und sah schlanke, nasse Leiber aus dem Wasser unterhalb der Felsen gleiten. Die fremden Krieger sprangen lautlos das Ufer hinauf und stürzten sich in die Schlacht, ohne auch nur das Wasser aus dem Fell zu schütteln.
Der getigerte Kater warf Eichenherz einen funkelnden Blick zu.
»Ihr mögt schwimmen wie die Otter, aber du und deine Krieger haben nichts in diesem Wald verloren!«
Er zog die Lippen zurück und bleckte die Zähne, während sich sein Gegner unter ihm zu befreien suchte.
Der verzweifelte Schrei einer Kätzin aus dem DonnerClan erhob sich über den Lärm. Ein drahtiger Kater aus dem Fluss-Clan hatte die braune Kriegerin flach auf den Bauch gedrückt und schnappte nach ihrem Genick. Aus seinem Maul troff noch das Wasser des Flusses, den er soeben durchquert hatte.
Tigerkralle hörte den Schrei und ließ von Eichenherz ab. Mit einem gewaltigen Sprung stieß er den feindlichen Krieger von der Kätzin weg.
»Schnell, Mausefell, lauf!«, befahl er ihr, bevor er sich dem Kater zuwandte, der sie bedroht hatte. Mausefell rappelte sich auf, zuckte vor Schmerz zusammen und stürmte trotz der tief klaffenden Wunde in ihrer Schulter davon.
Tigerkralle fauchte vor Wut, als der Kater aus dem Fluss-Clan ihm die Nase aufriss. Blut nahm ihm für einen Augenblick die Sicht, aber ohne darauf zu achten, warf er sich nach vorne und schlug die Zähne in das Hinterbein seines Gegners. Der kreischte auf und kämpfte sich frei.
»Tigerkralle!«
Der Ruf kam von einem Krieger, dessen Schwanz rot wie das Fell eines Fuchses war.
»Es ist zwecklos! Es sind zu viele Gegner!«
»Nein, Rotschweif. Der DonnerClan gibt sich niemals geschlagen!«, heulte Tigerkralle zurück und sprang an die Seite von Rotschweif.
»Dies ist unser Territorium!« Über seiner breiten, schwarzen Schnauze quoll noch immer Blut hervor.
Er schüttelte unwillig den Kopf und rote Tropfen spritzten auf die Felsen.
»Der DonnerClan wird deinen Mut zu würdigen wissen, Tigerkralle, aber wir können es uns nicht leisten, noch mehr Krieger zu verlieren«, drängte Rotschweif. »Blaustern würde niemals ihre Krieger gegen eine derartig gewaltige Übermacht kämpfen lassen. Wir werden eine andere Gelegenheit bekommen, uns für diese Niederlage zu rächen.«
Unbeirrt erwiderte er den Blick aus Tigerkralles bern- steinfarbenen Augen, dann wandte er sich um und sprang auf einen Felsen am Rande des Waldes.
»Rückzug, DonnerClan! Rückzug!«, schrie er. Sofort kämpften sich seine Krieger von ihren Gegnern frei und zogen sich fauchend und knurrend zu Rotschweif zurück. Einen Herzschlag lang wirkten die Katzen des FlussClans verwirrt.
War diese Schlacht so leicht gewonnen? Dann stieß Eichenherz einen Triumphschrei aus und seine Krieger schlossen sich dem Siegesgeheul ihres Zweiten Anführers an.
Rotschweif blickte hinab auf seine Krieger. Mit einem Zucken des Schwanzes gab er das Signal und die DonnerClan-Katzen stürmten die flussabgewandte Seite der Sonnenfelsen hinunter und verschwanden zwischen den Bäumen.
Tigerkralle folgte ihnen als Letzter. Am Rande des Waldes zögerte er und warf einen Blick zurück auf das blut- getränkte Schlachtfeld. Sein Gesichtsausdruck wirkte grimmig, die Augen waren zu wütenden Schlitzen zusammengekniffen. Dann folgte er seinem Clan und entschwand in den schweigenden Wald.
Auf einer verlassenen Lichtung saß allein eine alte, graue Kätzin mit blauen Augen und starrte hinauf zum klaren Nachthimmel.
Um sie herum in den Schatten waren das Atmen und
die trägen Bewegungen schlafender Katzen zu hören.
Aus einer dunklen Ecke trat eine kleine, schildpattfarbene Kätzin auf flinken, leisen Pfoten hervor.
Die graue Katze senkte grüßend den Kopf.
»Wie geht es Mausefell?«, fragte sie.
»Ihre Wunden sind tief, Blaustern«, antwortete die Schildpattfarbene und ließ sich auf dem nachtkühlen Gras nieder. »Aber sie ist jung und stark, sie wird rasch wieder gesund werden.«
»Und die anderen?«
»Auch die werden sich alle erholen.«
Blaustern seufzte.
»Welch ein Glück, dass wir diesmal keinen unserer Krieger verloren haben. Du bist eine begabte Heilerin, Tüpfelblatt.«
Erneut legte sie den Kopf in den Nacken und betrachtete die Sterne.
»Ich bin sehr beunruhigt wegen der Niederlage heute Nacht. Noch nie, seit ich den DonnerClan führe, ist er auf seinem eigenen Territorium geschlagen worden«, murmelte sie.
»Es sind schwierige Zeiten. Die Blattfrische verspätet sich dieses Jahr und es hat weniger Junge gegeben. Der DonnerClan braucht mehr Krieger, wenn er überleben will.«
»Aber das Jahr hat doch gerade erst angefangen«, erwiderte Tüpfelblatt ruhig.
»Es wird mehr Junge geben, wenn die Blattfrische kommt.«
Die Graue zuckte mit ihren breiten Schultern. »Vielleicht hast du ja Recht. Aber die Ausbildung unserer Jungen zu Kriegern dauert ihre Zeit. Wenn unser Clan sein Territorium verteidigen will, braucht er neue Krieger, so bald wie möglich.«
»Suchst du nach Antworten beim SternenClan?«, fragte Tüpfelblatt sanft und folgte Blausterns Blicken hinauf zum funkelnden Sternenband am dunklen Himmel.
»In diesen Zeiten brauchen wir die Worte der alten Krieger, damit sie uns helfen. Hat der SternenClan zu dir gesprochen?«, fragte Blaustern.
»Nicht in den letzten Monden.«
Plötzlich leuchtete eine Sternschnuppe über den Baum- wipfeln auf. Tüpfelblatts Schwanz zuckte und auf ihrem Rücken sträubte sich das Fell.
Blausterns Ohren stellten sich auf, doch sie blieb still, während Tüpfelblatt weiter hinauf in die Sterne sah.
Ein paar Augenblicke später senkte Tüpfelblatt den Kopf und murmelte: »Das war eine Botschaft vom SternenClan.«
Ein abwesender Blick trat in ihre Augen. »Nur Feuer kann unseren Clan retten.«
»Feuer?«, wiederholte Blaustern. »Aber alle Clans fürchten das Feuer! Wie kann es uns retten?«
Tüpfelblatt schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht«, gab sie zu. »Aber das ist die Botschaft, die der SternenClan mir mitgeteilt hat.«
Blaustern richtete ihre klaren, blauen Augen auf die Heilerin.
»Du hast dich noch nie geirrt, Tüpfelblatt«, sagte sie.
»Wenn der SternenClan gesprochen hat, dann muss es so sein. Feuer wird unseren Clan retten.«


1. KAPITEL



ES HERRSCHTE tiefe Dunkelheit. Sammy spürte, dass irgendetwas in der Nähe war. Mit weit geöffneten Augen suchte der junge Kater das dichte Unterholz ab. Dieser Ort war ihm fremd, aber die seltsamen Gerüche zogen ihn an, weiter, tiefer hinein in die Schatten. Ihm knurrte der Magen, er war hungrig.
Er öffnete das Maul ein wenig, um die warmen Düfte des Waldes besser riechen zu können. Der dumpfe Geruch modernder Blätter mischte sich mit dem verführerischen Duft eines kleinen, pelzigen Tieres.
Plötzlich flitzte etwas Graues an ihm vorbei. Sammy verharrte still. Das Tier verbarg sich in den Blättern, weniger als zwei Schwanzlängen von ihm entfernt. Er wusste, es war eine Maus – er konnte den schnellen Schlag des winzigen Herzens deutlich spüren. Er schluckte und unterdrückte das Grummeln im Magen. Schon bald würde sein Hunger gestillt sein.
Langsam senkte er seinen Körper und brachte sich in Angriffsstellung.
Der Wind wehte von der Maus in seine Richtung, deshalb hatte sie ihn noch nicht bemerkt. Noch einmal überprüfte er, wo genau sich sein Opfer befand, dann ging er noch tiefer in die Hocke und sprang kraftvoll ab. Trockene Blätter wirbelten vom Waldboden auf.
Die Maus suchte Deckung und flitzte zu einem Loch im Boden. Aber Sammy war schon über ihr, schleuderte sie in die Luft, bohrte seine dornenscharfen Krallen in das hilflose Tier und warf es in hohem Bogen auf die laub- bedeckte Erde.
Die Maus war benommen, lebte aber noch. Sie versuchte zu fliehen, doch Sammy packte sie wieder, schleuderte sie erneut in die Luft, diesmal ein wenig weiter weg. Es gelangen der Maus ein paar unsichere Schritte, bevor der Kater sie endgültig schnappte.
Plötzlich ertönte ein lautes Geräusch. Sammy schaute sich um und schnell befreite sich die Maus aus seinen Krallen. Der Kater sah nur noch, wie sie in die Dunkelheit zwischen den verschlungenen Wurzeln eines Baumes huschte.
Wütend gab Sammy die Jagd auf. Seine grünen Augen funkelten, als er sich auf der Suche nach dem Geräusch, das ihn um sein Jagdglück gebracht hatte, wieder umdrehte. Das Klappern war immer noch zu hören und klang jetzt vertrauter.
Blinzelnd öffnete Sammy die Augen.
Der Wald war verschwunden. Er lag in einer heißen, stickigen Küche zusammengerollt in seinem Körbchen. Durch das Fenster schien der Mond und warf Schatten auf den glatten Fußboden. Das Geräusch war das Klappern harter, trockener Futterbröckchen gewesen, die in seinen Napf geschüttet wurden.
Sammy hatte geträumt.
Er hob den Kopf und legte das Kinn auf den Rand seines Körbchens. Am Hals scheuerte sein Halsband unangenehm.
In seinem Traum hatte frische Luft das Fell gestreichelt, wo sonst das Halsband zwickte. Sammy rollte sich auf den Rücken und genoss für ein paar weitere Minuten seinen Traum.
Noch immer hatte er den Geruch der Maus in der Nase. Zum dritten Mal seit Vollmond hatte er diesen Traum gehabt und jedes Mal war die Maus seinem Angriff entkommen.
Er leckte sich die Lippen, doch von seinem Körbchen aus stieg ihm nur der staubige Geruch des Futters in die Nase und verjagte die warmen Düfte seines Traums. Seine Besitzer füllten immer seinen Napf auf, bevor sie zu Bett gingen. Aber weiterhin knurrte der Hunger in seinem Magen, und so streckte sich Sammy träge und trottete über den Küchenboden zu seinem Abendessen. Das Futter schmeckte trocken und fad.
Widerstrebend schluckte er noch ein weiteres Maulvoll hinunter, dann wandte er sich vom Futternapf ab und schob sich durch die Katzenklappe hinaus ins Freie. Er hoffte, der Duft des Gartens würde ihm das Gefühl aus seinem Traum zurückbringen.
Draußen schien ein heller Mond. Es regnete leicht. Sammy stolzierte durch den gepflegten Garten und folgte dem sternenbeschienenen Kiesweg, wobei er die Steinchen kalt und scharf unter den Pfoten spürte. Er erledigte sein Geschäft unter einem großen Busch mit glänzenden, grünen Blättern und schweren, purpurnen Blüten. Ihr ekelhaft süßer Duft sättigte die feuchte Luft um ihn herum, und er kräuselte die Lippen, um den Geruch aus der Nase zu vertreiben.
Dann ließ Sammy sich oben auf einem der Pfosten im Zaun nieder, der die Grenzen seines Gartens markierte. Das war einer seiner Lieblingsplätze, denn von dort konnte er direkt in die Nachbargärten blicken und auch in den dichten, grünen Wald auf der anderen Seite des Zauns.
Es hatte aufgehört zu regnen. Hinter ihm lag der kurz geschorene Rasen im Mondlicht, aber jenseits des Zauns war der Wald voller Schatten. Sammy streckte den Kopf vor, um die feuchte Luft einzuschnuppern. Seine Haut war warm und trocken unter dem dichten Haar, doch noch immer spürte er das Gewicht der Regentropfen auf seinem rötlichen Fell.
Er hörte, wie seine Besitzer zum letzten Mal von der Hintertür nach ihm riefen. Wenn er jetzt zu ihnen ginge, würden sie ihn mit liebevollen Worten und Zärtlichkeiten begrüßen und ihn in ihr Bett einladen, wo er sich schnurrend zusammenrollen und sich warm in eine Kniekehle schmiegen würde.
Diesmal jedoch beachtete Sammy die Stimmen seiner Besitzer nicht, sondern wandte den Blick wieder dem Wald zu.
Der scharfe Geruch der Bäume war nach dem Regen frischer geworden.
Plötzlich stellten sich die Haare auf seinem Rücken auf.
Bewegte sich dort etwas? Beobachtete ihn jemand? Sammy starrte geradeaus, aber es war unmöglich, etwas zu erkennen oder zu riechen in der dunklen, nach Bäumen duftenden Luft.
Kühn hob er das Kinn, stand auf und dehnte sich, streckte die Beine und krümmte den Rücken, wobei er sich am Zaunpfahl festkrallte. Er schloss die Augen und atmete tief den Duft des Waldes ein, so verheißungsvoll, als wollte er ihn in die wispernden Schatten locken.
Er spannte seine Muskeln an und duckte sich kurz. Dann sprang er auf leichten Pfoten hinab in das harte Gras auf der anderen Seite des Gartenzauns. Als er landete, tönte das Glöckchen an seinem Halsband durch die stille Nachtluft.
»Wohin gehst du, Sammy?«, miaute eine vertraute Stimme hinter ihm.
Er blickte auf. Ein schwarz-weißer Kater balancierte ungelenk auf dem Zaun.
»Hallo, Wulle«, sagte Sammy.
»Du willst doch nicht etwa in den Wald, oder?« Wulle riss seine bernsteinfarbenen Augen weit auf.
»Will mich nur mal umsehen«, beteuerte Sammy und trat verlegen von einer Pfote auf die andere.
»Mich würdest du da nicht hinbekommen. Es ist gefährlich!«
Wulle kräuselte voller Abwehr die Nase.
»Henry sagt, er ist einmal in den Wald gegangen.«
Das Kätzchen hob den Kopf und deutete mit der Nase über die Zaunreihen hinweg auf den Garten, wo Henry lebte.
»Dieser fette, alte Kater ist nie im Leben in den Wald gegangen!«, meinte Sammy verächtlich. »Er ist kaum über den eigenen Garten hinausgekommen seit seinem Besuch beim Tierarzt. Der will doch nichts anderes mehr als essen und schlafen.«
»Nein, das ist nicht wahr. Er hat dort ein Rotkehlchen gefangen!«, beharrte Wulle.
»Nun, wenn das stimmt, dann war das vor dem Tierarzt.
Jetzt beklagt er sich nur noch über die Vögel, weil sie seinen Schlaf stören.«
»Nun, jedenfalls«, fuhr Wulle fort und beachtete die Verachtung in Sammys Stimme nicht weiter, »Henry hat mir erzählt, dass es da alle möglichen gefährlichen Tiere gibt. Riesige Wildkatzen, die lebendige Kaninchen zum Frühstück fressen und ihre Krallen an alten Knochen wetzen!«
»Ich will mich ja nur umschauen«, wiederholte Sammy.
»Ich bleibe nicht lange.«
»Sag nur nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte!«, schnurrte Wulle und ließ sich vom Zaun zurück in seinen eigenen Garten fallen.
Sammy setzte sich in das Gras hinter dem Gartenzaun.


Copyright © Beltz & Gelberg

Impressum

Texte: Beltz & Gelberg ISBN: 978-3407810410
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2010

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