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PLOPP!

"Huch! Gabriel! Musst du denn immer so überfallsartig erscheinen? Kannst du dich denn nicht langsam materialisieren, so wie deine Kollegen auch? Michael verwendet neuerdings sogar sanfte Sphärenmusik im Vorfeld, mindestens fünf Minuten lang, bevor er-"

"Ja, Santa, ist gut, krieg dich wieder ein. Noch nicht mal tausend Jahre alt und schon schreckhaft wie ne alte Jungfer! Außerdem, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich Gabe

nennen sollst. Ist das denn so schwer zu behalten?"

"Nein, Gabe

, ist es nicht, aber an diesen albernen Amerikafimmel, den du in letzter Zeit aufgezogen hast, gewöhne ich mich einfach nicht. Nur weil du deinen neuen Nebenwohnsitz in Los Angeles hast..."

"Spannender als am Nordpol ist es dort aber, das kann ich dir flüstern. Und öfter mal was Neues würde dir auch ganz gut tun. Womit ich schon zur Sache komme-"

"Was soll das heißen, was Neues? Der ganze Punkt ist doch, dass ich so bleibe, wie ich bin und immer zur selben Zeit dasselbe tue. Die Menschen wollen sich schließlich auf mich verlassen können, ich bin eine der letzten Bastionen der Beständigkeit in einer Welt, die-"

"Hohle Public Relation. Das fällt bei mir völlig ins Leere. Und außerdem kannst du es löschen. Ich habe dir nämlich etwas Wichtiges zu verkündigen: Du sollst Fred heuer vertreten."

"Was? Aber...das geht doch gar nicht! Erstens befinde ich mich zur Zeit in meinem wohlverdienten Urlaub-"

"Der übrigens immer ein dreiviertel Jahr dauert..."

"Da redet der Richtige!"

"Natürlich ist mein Verkündigungsbusiness auch kein Fulltime Job, aber ich bin schließlich ein Erzengel, da geht ja wohl Qualität vor Quantität!"

"Und ich bin der Weihnachtsmann! WEIH-NACHTS, wohlgemerkt, und nicht OS-TER! Leute wie wir sind grundsätzlich nicht gegeneinander austauschbar, also von wem stammt diese unsinnige Idee?"

Gabriel deutete lässig mit dem rechten Zeigefinger nach oben und grinste.



"Du meinst...vom Boss höchstpersönlich? Das gibts doch nicht! Und warum braucht Fred auf einmal eine Vertretung, der hat doch immer-"

"Und weils immer so war, solls immer so bleiben, gelle, Opa? Aber weil du es bist, will ich dich mal nicht so zappeln lassen: Fred ist auf Entziehungskur. Die Ärzte sagen, seine Leber ist völlig hinüber, sie wollen ihn auf alle Fälle bis Ende Juni unter Beobachtung halten..."

"Häh? Spinnst du? Fred soll ein Alkoholiker sein? Das glaube ich nicht! Ich meine, er ist doch ein Hase! Ich habe ihn nie mit etwas anderem als einem Glas Karottensaft in der Pfote gesehen!"

"Na, ja, man kann sich auch mit Karottensaft eine Bloody Mary machen ..."

"Aber er war doch immer so fröhlich, so beschwingt ..."

"Genau. Und jetzt weißt du auch, warum. Angeblich war der Stress zuviel für ihn. Weil das Osterbusiness immer früher beginnt. Und die Kinder jedes Jahr zusätzlich zu den Eiern immer noch mehr Geschenke haben wollen. Ostern ist das neue Weihnachten, behauptet er, und er hat keinen so riesigen Mitarbeiterstab wie du ..."

"Also, da geht er aber zu weit, Ostern und Weihnachten vergleichen, ich bitte dich. Außerdem, wie soll das gehen? Ich habe doch von Ostern keinen blassen Schimmer! Ich kann doch nicht mit einem Sack voller bunter Eier durch den Kamin-"

"Das mit dem Kamin würde ich in dem Fall eher weglassen. Wie gesagt, probier eben mal etwas Neues aus, lass dir etwas einfallen. Oder hol dir die nötigen Infos von Fred, ich hinterlege seine Adresse und die Besuchszeiten in deinem Büro. Der Boss glaubt fest an dich, das soll ich dir auch von ihm ausrichten, und so oder so, du kommst nicht drum rum. Denk einfach immer 'Yes, I can'. Und wenn du meine persönliche Meinung hören willst: Mal raus aus dem alten Trott und ungewohnte Wege beschreiten soll ja auch die grauen Zellen wieder auf Trab bringen. Flexibilität. Das ist heute unverzichtbar im Business. Also, pfeif deine Elfen und Kobolde aus dem Urlaub zurück und auf gehts an fröhliche Eierbemalen. Und Geschenke basteln. Mehr frühlingshaft diesmal. Kleine Stoffhäschen zum Beispiel. So long, Ostermann!"

PLOPP!

(Wenn ein Geräusch es jemals geschafft hatte, amüsiert

zu klingen, dann war es dieses.)

***

JINGLE BELLS, JINGLE BELLS, JINGLE ALL THE WAY ...

"Oh, hi Santa, das ist aber lieb von dir, dass du mich besuchst. Und sogar mit Vorabjingle. So wie Michael. Wie rücksichtsvoll..."

"Komm mir jetzt nicht so scheinheilig, Fred, du weißt genau, warum ich hier bin. Gerade war Gabe

bei mir und hat mir seine 'Frohbotschaft' verkündet. Das Ganze geht mir total gegen den Strich, Pelzgesicht, ich sag es dir so, wie es ist ..."

"Jaaaa, um diese direkte Art hab ich dich immer schon beneidet. Das ist viel besser, als alles runterzuschlucken. Mein Therapeut sagt ja: Sei nicht nett, sei ehrlich! Gar nicht so leicht, wenn mans nicht gewohnt ist, das ist nicht so wie bei dir, du hast nen Haufen Personal zum Rumkommandieren, aber ich bin allein-"

"Ach, hör doch auf zu jammern, Fred, du klingst wie ein Schulmädchen! Entzug, dass ich nicht lache! Reiß dich zusammen und mach dich an die Arbeit! Ich kann dich unmöglich vertreten, stell dir vor, mich sieht jemand! Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren! Soll ich vielleicht mit aufgeklebten Hasenohren durch die Gärten hoppeln?"

"Lerne 'nein' zu sagen und dich abzugrenzen, haben wir gestern erst als Thema in der Gruppentherapie durchgenommen. Ich probiers gleich bei dir aus: Santa, es ist DEIN Problem. Ich habe jetzt eine ärztlich verordnete Auszeit und basta! Und du hast einen vom Boss verordneten Vertretungsjob! Du kennst die Adressen, die Namen der Kinder, du weißt, wie das mit den Geschenken funktioniert, und die paar Eier wirst du ja wohl noch zusätzlich mitnehmen können! Und wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt gerne mein Buch weiterlesen. Es heißt'Mord unterm Tannenbaum'. Ts, ts. Was den Meschen immer einfällt. Der Mörder ist als Weihnachtsmann verkleidet und lacht immer ganz irre, wenn er mitten in der Nacht durch den Kamin kommt: HO, HO, HO...."

"Mistvieh!"

"Och, wer denn? Der Mörder? Ja, sag ich auch. Also, tschüß dann. Und frohe Ostern, Kollege! Ich wünsch mir übrigens den Nachfolgeband, 'Jingle Bells des Grauens'. Und die Schokoeier bitte ohne Likörfüllung, du weißt ja ..."

"..."

JINGLE BELLS, JINGLE BELLS, JINGLE ALL THE WAY ...

(Noch Minuten nach der Dematerialisation des Weihnachtsmanns hing die Melodie in der Luft. Sie klang stocksauer

.)

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.03.2012

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