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Mitteilung an: Luna

Ich tippe In acht Minuten gehe ich weg, für immer



In acht Minuten ist es zehn Uhr und ich werde hier ganz allein sein, denn um diese Zeit gehen alle ins Flamingo, die einzige Disco in unserem Ort.

Am Samstagabend sind wir immer zuerst dorthin, zum chillen, und nachher dann ins nächste Kaff, ins P2, oder sogar ins Flex nach Graz. Mitfahrgelegenheiten hat es genug gegeben, denn mit Luna hat man die Trophäe im Auto gehabt. Schöne, schlaue, strahlende Luna.

Weißblonde lange Locken, blasses, feingeschnittenes Gesicht, langgliedrige, hochgewachsene Gestalt. Als ob eine Cate- Blanchett-artige Adelige aus einem von den alten Ölschinken herausgestiegen wäre, die uns der Preißler in Bildnerische Erziehung immer zeigt. Nur nicht so spießig, denn Luna ist ein Partygirl, ein magnetischer Mittelpunkt. The Queen of the Night. Die jeden unter den Tisch säuft und als letzte heimgeht.

Uns gabs aber nur zu zweit, acht Monate lang, seit dem Tag, an dem Luna plötzlich in unserer Klasse aufgetaucht ist. Wer sie dabeihaben wollte, hat mich dazu nehmen müssen.

Du gehst mir voll ab, scheiße, dass du dich nie meldest. Kannst du deine Mutter nicht überreden, zurückzukommen



Ich lösche die beiden Sätze wieder.

„Oida, du foast jo wia a Vullspasti, jetzt schau amol meine Moves au“

Ein paar Jungs drehen scheppernd noch eine letzte Runde, durch einen Spalt in dem lilaschwarzen Schnürlvorhang aus Haaren, der mein Gesicht verdeckt, sehe ich Motz und Jona, beide aus meiner Klasse, und Shelly. Der hats gut, er ist ein Jahr älter und hat seit kurzem die Matura hinter sich. Alle anderen sind schon weg, der Skaterpark liegt komplett im Schatten, nur drüben, unter der Feistritzbrücke, zittern noch ein paar trübe Lichtflecken auf dem Wasser. Mir ist eiskalt, obwohl Sommer ist.

Ich kauere mich noch weiter über mein Handy. Sicher ist es unpackbar gewesen, allein hier abzuhängen, ein ganzes Monat, wo ich mit keinem geredet hab und keiner mit mir. Als ob ich gar nicht da wäre. Aber die acht Monate vorher ist es eben unser Platz gewesen, Lunas und meiner, jeden Abend, außer wenns geregnet hat. Also wo bitte soll ich es sonst durchziehen? Wenn, dann muss es schon irgendwie symbolisch sein.

Wie ich so daliege, unter den Bäumen, im Vollmond.
Wie sie mich finden am nächsten Vormittag.

Jetzt könnten die Jungs dann bald mal abhauen, die bringen noch meinen ganzen Zeitplan durcheinander:

Die Acht ist meine Glücks- und Bedeutungszahl, sie steht für das Geheimnis und die Unendlichkeit.

Luna ist deshalb schlau gewesen, weil sie gewusst hat, wie man die Leute um den Finger wickelt.So,dass sie voll auf einen abfahren. Aber ich bin auch nicht blöd, ich weiß genau, was gelaufen ist: Am Ende hat sie schon fast bei uns gewohnt, meine Eltern haben sich IRRSINNIG gut mit ihr verstanden. Und mit meinem Vater hat sie hinter dem Rücken von meiner Mutter geflirtet, ich habs genau gesehen. Und klar hab ich ihr die Hausaugaben gemacht, beim Ramminger wäre sie sonst nie aufs „Genügend“ gekommen.

Wir waren wirklich wie der Mond, sie die helle, von der Sonne beschienene Seite, offen, lachend, gesprächig, alle Augen auf sich ziehend. Ich die dunkle, verborgene, dem Weltall zugewandte: Unsicher, gehemmt, einsilbig. Unsichtbar.

Dabei bin ich nicht immer so gewesen. Mit meinen früheren Freundinnen. Viele waren es eh nicht. Die sind dann auf einmal alle weggewesen, weil sie Luna nicht durchgedrückt haben.

Meine Mutter säuft wenigstens nicht und mein Vater ist kein Arschloch. ICH bin gut in Mathe und Physik. Ich weiß genau, warum du mit mir befreundet warst



Und löschen.

Es geht ums Relativitätsprinzip, das weiß ich jetzt. Mädchen wie Luna suchen sich immer eine Unscheinbare, Durchschnittliche als Freundin, weil sie neben so einer erst richtig gut kommen. Und weil die alles für Ihre Majestät tut und drauf wartet, dass für sie auch mal irgendwas passiert.

In Englisch haben wir vor kurzem das Wort für Hofdame gelernt, Lady -in -waiting. Das triffts zu hundert Prozent.

Du hast mich voll ausgenutzt, du blöde Kuh, ich hasse dich



Buchstabe für Buchstabe trenne ich die Worte mit der Löschtaste wieder auf, wie beim Stricken.

Mondschatten sind ein Phänomen, das witzigerweise bei Sonnenfinsternissen auftritt.

Das ist was für ein bisschen Kopfmusical:

Ich stehe in einem hautengen, schwarzen Abendkleid auf einer Bühne. Mit einer eleganten, weitausholenden Armbewegung deute ich auf eine dunkle Gestalt hinten in der Ecke, die außerhalb des Lichtkreises der Scheinwerfer steht. Meine Stimme ist glockenhell.

I´ve been followed by a moon shadow, moon shadow, moon shadow …

Nein, der Text passt zwar, aber Cat Stevens ist voll out. Meine Mutter hört den immer.

Lieber was Eigenes.

The La-ha-dy in waiting, she wai-hai-ted to-ho long, swallowed by the shadow of the mo-hoooon …

Die dunkle Gestalt tritt nach vorne an den Bühnenrand, ins Helle, es ist Luna, in einer silbrig glänzenden Robe. Ich verpasse ihr noch Fangzähne, dunkle Ringe unter den Augen und einen blutverschmierten Mund.

You stepped between my su-hun and my earth … schmettere ich vorwurfsvoll und dann ziehe ich auf einmal einen winzigen Revolver unter dem Beinschlitz meines Kleides hervor. Er ist mit einer Silberkugel geladen. Ich ziele auf ihr Herz-

Ein lautes Krachen reißt mich raus, fix hat wieder mal einer sein Skateboard gecrackt.

„ Oida, du Loser“
„I wea da glei zagn, wea do da Loser is!“

Motz versucht, Jona die zwei Teile des kaputten Boards auf den Schädel zu knallen, aber der rennt weg und japst vor Lachen.

Ich taste nach dem Plastikröhrchen in meiner Tasche. Eine knappe Monatsration. Von meiner Oma. Morgen wird sie es merken.

Es ist soweit, ich sehe die drei zusammenpacken. Endlich! Gleich sind sie weg, höchstens eine Minute noch.

Kopfmusical, zu allerallerletzten Mal:

Einer von den Jungs, ich nehm Shelly, steht morgen früh mit hängenden Schultern vor der Halfpipe und krächzt heiser ins Mikro.

It's a fucking ordinairy Sunday morning, but Lu-huna is not here …

Hinter ihm, schütteln Motz und Jona traurig den Kopf und grölen im Chor.

Shes not here, man, no-hot heeereeeeee …

Plötzlich zeigt Shelly auf eine Stelle zwischen den Bäumen. But there! Who is that? Is it Cat?

Ein bleiches, wunderschönes Mädchen liegt dort auf dem Boden, wie schlafend, mit einem Blütenkranz auf dem Kopf und in einem langen, duftigweißen Kleid.

Motz und Jona, erstaunt: Cat?
Und dann, panisch: CAAAAAAAAAAAT!

Ich bin so mitgerissen, dass ich die Schuhe erst sehe, als sie direkt vor mir stehen. Der Rest verschwindet hinter dem Vorhang.

„Hey, wos laft, Kati?“

Ich ziehe meine Knie ganz an mich heran und warte auf die Lunafrage, der einzige Grund, warum ich die letzten paar Wochen überhaupt angesprochen worden bin: „Hey, wia geht’s da Luna in Schweden? Hots gmailt? Hots gesemest?“

Ich hab gar nichts geantwortet, außer „Frogs söwa. I bin jo net da Luna ia Auskunftsbüro!“

Nachher haben sie nur mehr den Andi gelöchert. Die arme Sau. Obwohl er der geilste Typ ist, den ich kenne, abgesehen von Robert Pattinson. Er hat einen BMW, voll reiche Eltern und studiert Sportwissenschaften in Graz. Nur ein Monat, bevor ihre Mutter mit ihr abgehauen ist, ist Luna mit ihm zusammengekommen. Es war wie in diesen schwachsinnigen amerikanischen Highschoolfilmen, wo die Cheerleaderteamleiterin immer den Kapitän der Baseballmannschaft bekommt. „SOOOOO a schens Poa“ hat meine Mutter geschwärmt. Luna hat dann mit dem Andi dauernd bei uns übernachtet.

Ich hab überhaupt noch nie einen Freund gehabt.

Zerschlissene, braune Dockers nähern sich schwarzen Ballerinas und stupsen sie an. „Wos is, bist zua, oda wos? Jetzt kenntast dann bold wieda amol zum Redn aufaungan! Gehst mit Flamingo?“

Ich schüttle den Vorhang. Er soll abhauen, die acht Minuten sind um und das nervt!

Stattdessen lässt er sich mich neben mich plumpsen: „Wos haßt du gehst net mit? Heit spüln die Space Monkeys! Wos mochstn do iwahaupt? Schreibst an SMS Roman?“

Er schielt auf mein Display und ich stecke das Handy schnell in meine Hosentasche. Zum Röhrchen.

„Naa, as längste sms va da Wöd, i wü ins Guinnes Buach“, knurre ich. „Und jetzt schleich di“

„Geh kumm! Wos wüstn do alaa? Wiad sicha vull oag heit bam Konzeat“

Eigentlich mag ich Shelly. Er gehört überall und nirgends dazu, ist mit verschiedensten Leuten unterwegs. Früher war ich mit einer seiner Schwestern befreundet, da hab ich mit ihm auch ab und zu geredet. Meistens Blödsinn, aber manchmal auch ernst, über Physik. Er will das mal studieren.

Sein Gesicht ist schon ganz mit der Dämmerung verschmolzen, trotzdem sehe ich das Metall, es schimmert dumpf an seinem Mund.

„Neichs Piercing?“ frage ich betont gelangweilt. Die acht Minuten kann ich eh vergessen, ich muss halt nochmal acht drauflegen. Vielleicht werde ich ihn wenigstens vor der sechzehnten los.

„Korrekt“. Er berührt es mit der Zeigefingerspitze und verzieht das Gesicht zu einem schmerzhaften Grinsen. „Tuat no a bissl weh. Mit Rummochn wirds heit nix, Kati“.

Ur die Frechheit. Jetzt MUSS ich ihm einfach eine reinhauen. Er duckt sich und ich erwische nur seinen Oberarm.

„Au, au, Hüfe, hults die Rettung“. Er wälzt sich auf dem Boden. „Und die Polizei, des woa vasuchta Moad!“

„Mah, Oida, du bist so a Trottl“

„Na sichst, jetzt lochst jo scho a bissl. Oiso, wos is? Gehst mit Flamingo? I zohl da a Bier“

„MAH! Du fuckst mi au! Außadem wül i a Baccardi Cola. Mei Handy muaß i a nou checken“

„Passt“. Im Aufstehen klopft er sich den Staub von der Hose. „I gib da a Minutn. Muaß eh no mei Skateboad huln“

Ich ziehe mein Handy wieder heraus.
„In ana Minutn geh i weg, fia imma“, flüstere ich.

Ich öffne die Kontakte und gehe zu L wie Luna.
Kontakt löschen?

Klick.

Steif rapple ich mich hoch. Ich nehm halt acht Tage ... Und dann schau ich weiter. Die Straßenlaternen brennen schon, und Schelly schlendert mir entgegen, quer über den Platz, sein Skateboard unterm Arm.


Anhang- Übersetzung der Dialektpassagen in Hochdeutsch:

Dialog Motz und Jona:
„Alter, du fährst ja wie ein Behinderter, jetzt schau einmal meine Moves an“
„Alter, du Loser“
„Ich wird dir gleich zeigen, wer hier der Loser ist!“

Aussage Katis Mutter:
„So ein schönes Paar!“

Dialog Kati und andere:
„Wie geht’s der Luna in Schweden? Hat sie gemailt? Hat sie ein SMS geschickt?“
„Frag sie selbst. Ich bin ja nicht Lunas Auskunftsbüro“

Dialog Shelly und Kati:
„Hey, was läuft, Kati?“
„Was ist, bist du betrunken oder was? Jetzt könntest du dann bald wieder einmal zu Reden anfangen. Gehst du mit ins Flamingo?“
„Was heißt, du gehst nicht mit? Heute spielen die Space Monkeys! Was machst du da überhaupt? Schreibst du einen SMS Roman?“
„Nein, die längste SMS der Welt, ich will ins Guinnes Buch. Und jetzt verschwinde!“
„Ach, komm. Was willst du denn hier alleine. Wird sicher super am Konzert“
„Neues Piercing?“
„Korrekt. Es tut noch ein bisschen weh. Mit Knutschen wird heute nichts, Kati“
„Au, au, Hilfe, holt die Rettung. Und die Polizei, das war versuchter Mord!“
„Alter, du bist so ein Trottel“
„Na siehst du, jetzt lachst du sogar schon ein bisschen. Also, was ist, gehst du mit ins Flamingo?“
„Mah, du nervst! Außerdem will ich ein Baccardi Cola. Und mein Handy muss ich auch noch checken“
„Passt. Ich geb dir eine Minute. Muss eh noch mein Skateboard holen“

Aussage Kati:
„In einer Minute gehe ich weg, für immer“

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Tag der Veröffentlichung: 15.05.2011

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