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Kapitel 1




„Mama!“, rufe ich, „Wo sind meine neuen Schuhe?“
„Die schicken mit den süßen Steinchen?“, ruft sie zurück.
„Ja genau die!“
„Die hab ich mir gestern ausgeliehen. Ich hatte ein Date mit einem Traum von Mann.“
Sie stand nun vor meiner Zimmertür mit den Schuhen in der Hand. „Er wird dir gefallen, er kommt nachher zum Essen.“
„Oh, nein. Ganz bestimmt nicht. Ich will nicht noch mehr von deinen Traummännern kennen lernen.“, sage ich gereizt.
„Außerdem gehe ich heute feiern, ich bin also gar nicht da.“
„Aber Schatz, er kommt doch schon in einer Stunde.“, sagt sie.
„Man Mama, ich will diesen Typen nicht kennen lernen. Keiner von ihnen ist auch nur annährend so gut wie Papa. Ich gehe jetzt zu Mia, wenn was ist ruf mich auf mein Handy an.“, sage ich, nehme meine Sachen und verlasse genervt die Wohnung
Erst einmal will ich mich vorstellen. Ich heiße Lucia Bariello und bin 18 Jahre alt. Ich mache eine Ausbildung zur Tierarzthelferin, weil ich Tiere über alles liebe. Aber am liebsten mag ich Pferde. Ich habe mein eigenes, welches auf einem Hof nicht weit von mir zu Hause entfernt steht. Er heißt Principino. Zusammen mit meiner Mutter lebe ich in einer süßen Wohnung am Rande von Berlin. Seit meinem achten Lebensjahr, bin ich anders als normale Menschen. Ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll, aber ich denke ich bin eine Hexe. Leider weiß ich nicht mit meiner Gabe oder vielleicht auch Fluch, umzugehen. Also versuche ich es nur sehr selten und auch nur wenn ich mir völlig sicher bin das niemand in der Nähe ist. Ich habe mir zwar heimlich ein Buch über Hexen besorgt, aber das bringt gar nichts. Das meiste sind nur Legenden.
Das einzige nützliche ist mein sechster Sinn, der mich vor Gefahren warnt. Der hat mir schon oft meinen Arsch gerettet, wie man so schön sagt.
Nur meine Mutter weiß davon, aber wenn ich mit ihr darüber reden will, sagt sie, dass sie nichts davon wissen will und ich keiner Menschenseele davon erzählen soll. Ich glaube ihr ist es peinlich einen Freak als Tochter zu haben. Aber manchmal sehne ich mich nach jemanden mit dem ich darüber reden kann. Wenn mein Papa doch nur hier wäre.
Damals als meine Eltern noch glücklich verheiratet waren, haben wir in einem großen Haus in Italien gelebt. Mein Vater ist ein italienischer Geschäftsmann, der eine erfolgreiche Schuhladenkette in Italien eröffnet hat und viel Geld damit verdient. Von ihm habe ich auch meine neuen Schuhe.
Kurz vor meinem neunten Geburtstag trennten meine Eltern sich und wir zogen nach Berlin. Ich vermisse Italien, aber noch viel mehr vermisse ich meinen Vater. Ich habe ihn schon seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen, weil meine Mutter mich nicht hinreisen reisen lassen will.
Sie hat mir nie gesagt warum sie und Papa sich getrennt haben.
Dafür hat Papa es mir erzählt. Sie hat ihn mit so einem italienischen Aufreißer betrogen und deshalb hat Papa sich von ihr scheiden lassen.
Als ich sie darauf angesprochen habe, hat sie nichts gesagt und sich einfach weggedreht.
Und dafür mache ich ihr das Leben so schwer wie möglich. Ich weiß, dass das nicht nett von mir ist, sie ist ja schließlich meine Mutter. Aber ich kann einfach nicht anders, dafür vermisse ich Papa zu sehr. Ich darf noch nicht mal mit ihm telefonieren.
Wenn sie wüsste, dass ich heimlich mit ihm in Kontakt bin, würde sie ausflippen und wie schon so oft hysterisch rufen, dass es das Beste für mich ist ihn nie wieder zu sehen. Aber ich verstehe nicht warum es gut sein soll, seinen Vater nicht zu sehen. Aber man muss meine Mutter nicht verstehen, sie ist halt anders.
Klingeling. Mia öffnet mir die Tür. „Lucia, was machst du denn schon hier? Es ist noch nicht mal sieben.“
„Ja ich weiß, aber meine Mutter erwartet mal wieder unerwarteten Besuch.“, sage ich genervt.
„Man Lucia, sei doch nicht immer so. Gönn deiner Mutter ihren Spaß.“
„Sie benimmt sich schlimmer als ein pubertierendes Mädchen, das ist doch einfach nur peinlich.“, sage ich. Mia sagt lachend: „Ich weiß Lucia, aber sei froh das deine Mutter nicht so über besorgt ist wie meine.“
Mia ist zwei Monate älter als ich und ich kenne sie seitdem ich hier lebe. Meine Mutter ist mit mir zu dem kleinen Spielplatz um die Ecke gegangen, damit ich Freunde finde, und da habe ich sie kennen gelernt. Seitdem sind wir die besten Freunde. Wenn Mia nicht wäre, hätte ich schon so manche Dummheit begangen die ich später bereut hätte. Ich bin wirklich froh sie zu haben.
„Also was wollen wir jetzt machen?“, fragt sie.
„ich weiß nicht. Ich habe auf jeden Fall einen Bärenhunger. Wie wäre es wenn wir erst einmal was essen? Ich rieche doch das deine Mama gekocht hat.“, sage ich grinsend.
Mia beginnt zu lachen und sagt: „Essen müsste eigentlich gleich fertig sein. Lass uns nachschauen.“
Wir gehen in die Küche, wo Mias Mutter vor dem Herd steht.
„Hallo Frau Lehmann .“, sage ich.
„Hallo Lucia, schön dich zu sehen. Du kommst zum richtigen Zeitpunkt, essen ist fertig. Möchtest du mitessen?“, fragt sie mit einem liebevollem Lächeln.
„Oh, danke, sehr gerne.“
„Na dann, setz dich. Mia würdest du bitte deinem Vater Bescheid sagen?“
„Klar, Mama.“, sagt Mia und geht.
„Was möchtest du trinken, Lucia?“, fragt sie.
„Ich nehme einen Apfelsaft. Danke.“, sage ich höflich.
Das Essen schmeckt so lecker, das man es gar nicht beschreiben kann. Es gibt Spaghetti Bolognese, mein absolutes Lieblingsessen.
„Das sind die besten Spaghetti Bolognese, die ich in meinem ganzen Leben gegessen habe.“, sage ich.
Mias Mutter lacht und bedankt sich bei mir.
Als wir aufgegessen haben, gehen Mia und ich in ihr Zimmer. Wir haben noch eine Stunden Zeit bis wir uns fertig machen müssen, also legen wir uns auf Mias Bett und gucken Fernsehen. Aber weil nichts Gutes läuft, quatschen wir mehr als wir gucken.
„Wer kommt eigentlich nachher noch alles mit?“, frage ich Mia.
„Die üblichen Leute, Melli, Alina, Tyler, Marc und Flo. Ach, Tyler bringt noch einen Freund mit, den er vom Fußball kennt. Ich hoffe er sieht gut aus.“, sagt Mia grinsend.
Ich lache und sage: „Ich hoffe dieser nervige Typ vom letzten Mal ist nicht da. Wie hieß er doch gleich?“
„Oliver!“, stößt Mia lachend hervor. „Der hat dich ja nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen.“
„Genau deswegen hoffe ich, dass er nicht da ist. Außerdem küssen konnte er auch nicht.“, antworte ich schmunzelnd.
„Dafür hoffst du aber, dass der süße Barkeeper da ist, hab ich Recht?“, fragt Mia neugierig.
„Oh man, der sieht ja so süß aus, oder findest du nicht? Ich hoffe nicht nur das er da ist, ich bete das er da ist.“, sage ich lachend und Mia lacht sofort mit mir.
„Komm wir machen uns jetzt fertig, es wird Zeit.“, sage ich. „Umso früher wir fertig sind, umso können wir los und ich kann meinen Barkeeper sehen.“
Mia zieht ein wunderschönes rotes Kleid an, was ihre Figur vorteilhaft betont. Ihre Haare hat sie sich geschickt hochgesteckt ohne, dass es zu streng wirkt. Rote High Heels mit einem silbernen Absatz und silberner Schmuck machen ihr Outfit perfekt. Sie sieht einfach umwerfend aus.
Ich ziehe ein weißes weit ausgeschnittenes Kleid an, welches vorne kurz und hinten länger wird. Meine Haare lasse ich offen, ich föhne sie und style sie mit Haarschaum, welches meinen Haaren Volumen gibt. Dazu ziehe ich meine neuen High Heels von Papa an, meine silbernen Creolen und meine silberne Kette mit dem Herzanhänger, die mir Papa vor der Trennung geschenkt hat.
Nun sind wir Aufbruch bereit.
„Mama wir gehen jetzt.“, sagt Mia.
„Bitte seit vorsichtig Kinder, steigt bei niemandem den ihr nicht kennt ins Auto ein und wenn was ist, ruft an egal wie spät es ist, okay?“, antwortet Mias Mama besorgt.
„Mama, wir sind keine Kinder mehr, außerdem gehen wir nicht alleine. Mach dir keine Sorgen.“, sagt Mia genervt.
„Um mein einziges Kind, mache ich mir immer sorgen, mein Schatz.“, sagt Mias Mutter und gibt ihr einen Kuss auf die Wange.
„Tschüss Frau Lehmann und danke nochmal für das leckere Essen.“
„Immer wieder gern Lucia, viel Spaß wünsche ich euch.“
Als wir am Bahnhof ankommen sind schon fast alle da. Nur Tyler und sein Freund fehlen.
„Da seid ihr ja endlich!“, ruft Melli. „Wir warten schon eine halbe Ewigkeit.“
„Fünf Minuten um genau zu sein.“, gebe ich schnippisch zurück. „Außerdem ist Tyler doch auch noch gar nicht da.“
„Doch, das ist er, mit seinem süßen Freund.“, wirft Alina ein.
„So gut sieht er nun auch nicht aus.“, sagt Marc etwas enttäuscht. Ich glaube er will schon seit Ewigkeiten was von Alina, doch sie merkt es einfach nicht. Und glauben tut sie uns auch nicht.
„Und wo sind die beiden dann?“, fragt Mia.
„Sie holen uns was zum vor glühen.“, rief Flo erfreut.
„Du denkst wieder nur ans trinken, nicht wahr?“, sage ich und verdrehe die Augen.
„Nein, nicht nur, aber es gehört dazu.“, erwidert er lachend.
Und da kommt er hinter Tyler aus dem Supermarkt. Der Traum von einem Mann.
Das ist ein Freund den Tyler von Fußball kennt? Man der sieht besser aus als Brad Pitt und George Clooney zusammen. Mia blieb der Atem weg, als er ihr die Hand reichte und sich vorstellte.
„Hi, ich bin Fabio.“
„I-ich bin Mia.“, stottert sie.
Er schaut sie mit einem Lächeln an, bei dem einem die Knie weich werden. Dann wendet er sich mir zu.
„Und du bist, principessa?“, fragt er und gibt mir die Hand.
Principessa? Er spricht italienisch, denke ich und mein Herz schlägt höher.
‘Gefahr‘, sagt mir meine innere Stimme.
„Ähm… ich heiße Lucia.“
„Lucia, ein sehr schöner Name. Passt zu so einer schönen Frau wie dir.“, sagt er und küsst meine Hand.
„D-danke.“, murmelte ich überrascht und geschmeichelt.
Wir gehen hoch zur Bahn und steigen ein. Die ganze Fahrt bis zum Club, gibt es kein anderes Thema außer Fabio. Zum Glück ist der Weg nicht weit, denn ich spüre genau wie der Blick von Fabio die ganze Zeit schon auf mir ruht.
„Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der so wunderschön ist wie Fabio.“, schwärmt Alina.
Ich sehe rüber zu ihm und schaue direkt in seine wunderschönen, eisblauen Augen. Er schaut mich mit einem wissendem schmunzeln an.
„Ich glaube, dass weiß er auch.“, erwidere ich genervt.
„Och Lucia, wir wissen genau, dass du ihn auch toll findest, du brauchst uns nichts erzählen.“, sagt Melli.
„Ja okay er sieht gut aus, kann ja alles sein, aber er ist mir zu aufdringlich, ganz einfach. Ich mag den Typen nicht.“, antworte ich.
„Aufdringlich? Was ist los mit dir Lucia? Dieser Mann ist nicht aufdringlich, sondern charmant, gutaussehend und geheimnisvoll. Er hat dir die Hand geküsst, welcher Mann macht das heutzutage noch?“, sagt Mia zu mir.
„Das ist mir egal, ich mag den Typen einfach nicht, okay?“, sage ich gereizt.
„Dir ist doch echt nicht zu helfen Lucia.“, sagt Mia kopfschüttelnd.
Als ob er jedes Wort verstanden hat, was wir gesagt haben, wirkt sein Blick nun richtig kess, als hätten ihn meine Worte angespornt. Irgendwas stimmt nicht mit ihm, das spüre ich einfach.
Endlich am Club angekommen, laufe ich ohne auf die Anderen zu warten, an der langen Schlange vorbei nach vorne zu den Türstehern. Sie erkennen mich sofort.
„Lucia, schön dich mal wieder zu sehen. Du siehst toll aus.“, sagte Jim mit einem erfreuten Lächeln.
Jim kenne ich seitdem ich das erste Mal hier war. Er muss sich in mich verliebt haben, warum sonst würde er mich und meine Freunde, vor allen anderen Partygästen reinlassen?
Wie auch immer, er ist ein netter Kerl, mehr auch nicht. Aber ich bin ihm wirklich dankbar nicht in dieser Schlange warten zu müssen.
„Hey Jim.“, begrüße ich ihn, gebe ihm einen Wangenkuss und zwinkere ihm dankend zu .Dann zeige ich auf meine Freunde und Fabio. „Sie gehören zu mir.“, sage ich und er lässt uns ohne Widerworte sofort rein.
Drinnen angekommen, schnappe ich mir Mia und ziehe sie zur Tanzfläche. Die Anderen setzen sich an die Bar.
Eines meiner Lieblingslieder läuft und Mia und ich bewegen uns sinnlich und sexy zum Takt.
Ich weiß nicht warum, aber meine Augen suchen immer wieder nach Fabio und wenn ich sehe wie er zur uns rüber schaut, versuche ich mich besonders sexy zu bewegen. Ich lasse meine Hüften kreisen, als wäre es ein Wettbewerb, wer hat den besten Hüftschwung. Da bleibt nicht nur der Blick von Fabio auf mir hängen, sondern die vieler anderer Männer. Sogar der des DJ´s. Dieser konnte es natürlich nicht lassen gleich etwas in die Menge zu rufen.
„Schaut euch diese Augenweide an. Jung, wunderschön und eine hervorragende Tänzerin. Ein Applaus für unsere südländische Schönheit.“
Die Menge schreit, naja zumindest die männliche Hälfte.
„Dieses Lied ist für dich, Schönheit!“
Er spielt von Eros Ramazotti- Se bastasse una canzone. Ich sehe wie Frauen ihre Männer auf die Tanzfläche zerren und wie Männer Frauen zum Tanz auffordern. Sogar Marc wird mutig und fordert Alina auf mit ihm zu tanzen, welche plötzlich ganz rot wird und schüchtern seine Bitte annimmt. Ich wollte grad Mia auffordern, als mir jemand von hinten die Hand auf die Schulter legt.
Ich drehe mich um und sehe in sein Gesicht.
„Oliver, was machst du denn hier?“, frage ich ihn geschockt.
Ich höre wie Mia zum Tanz aufgefordert wird und sie dankend annimmt und wusste sofort wie meine letzte Chance dem Typen zu entkommen, gerade verschwunden ist. So ein Mist.
„Dasselbe wie du, feiern.“, antwortet er grinsend. „Warum hast du nicht angerufen?“
„Äh, ich… ich habe deine Nummer verlegt.“, sage ich prompt.
„Ist ja auch egal, ich bin froh dich hier wieder zu treffen. Lass uns tanzen.“
Bevor ich etwas einwenden konnte hat er seine Hand, etwas zu tief, auf meine Hüfte gelegt und nach meiner Hand gegriffen.
„Ähm Oliver, mir ist grad wirklich nicht danach zu tanzen.“, sage ich und schiebe seine Hand an meiner Hüfte ein Stück höher, was jedoch nichts nützt, denn sie wandert gleich zurück an denselben Fleck.
„Komm schon, wir haben uns so lange nicht gesehen. Ich habe dich vermisst.“, bringt er in einem Ton hervor, der keine Widerrede duldet.
„Oliver bitte. Ich will wirklich nicht mit dir tanzen. Lass mich bitte los.“, sage ich und wurde etwas panisch, als sich sein Griff verstärkte.
„Du hast gesagt du rufst mich an und du hast es nicht getan. Nein ich lasse dich nicht los. So schnell gebe ich nicht auf.“, sagt er und in seinen Augen blitzte Zorn auf.
Das war genug, was denkt er mit wem er es zu tun hat? Mit einem Mädchen, welches nicht in der Lage ist sich zu wehren? Da hat er sich aber geschnitten. Mein sechster Sinn warnte mich, ‘Gefahr‘, aber ich höre nicht hin.
„Pass mal auf, mein Freund, an dem Abend als wir uns kennen lernten, habe ich zu viel getrunken. Wir haben zwar ein bisschen geflirtet und rumgeknutscht, aber das hat nichts bedeutet. Oliver du warst für mich nichts Ernstes und das wirst du auch nie werden. Sieh es ein, was du hier versuchst bringt gar nichts. Lass mich jetzt los.“, brachte ich wütend hervor, aber meine Wut verfliegt sofort als ich seinen Blick sehe.
„Du kleines Miststück, du hast mit meinen Gefühlen gespielt. Ich lass mich nicht einfach so verarschen.“, sagt er wutentbrannt, zieht mich an sich und versucht mich zu küssen.
Doch soweit kommt es nicht, da Fabio plötzlich neben uns steht und Oliver mit einem Blick anschaut, der ihn 10 Mal getötet hätte, wenn Blicke töten könnten.
„Lass sie los.“, mehr sagt er nicht.
„Sagt wer?“, erwidert Oliver trotzig.
„Lass sie los.“, wiederholt Fabio.
„Was wenn nicht?“, fragt Oliver mit einem schiefen Grinsen.
„Wenn nicht werde ich dich zwingen müssen.“
„Das glaubst du doch wohl selber nicht.“, antwortet Oliver nun doch etwas verunsichert, beim Anblick von Fabios Muskeln.
Fabios Blick wurde zornig: „Willst du es drauf ankommen lassen?“
Oliver schüttelt den Kopf, schaut Fabio verängstigt an, dreht sich um und geht.
„Ist alle okay mit dir?“, fragt Fabio. Er klingt ernsthaft besorgt.
Ich schaue ihn nur beeindruckt an. Sieht der gut aus.
Nun wird sein Blick noch besorgter und ich bemerke, dass er mich etwas gefragt hat.
„Was- was hast du gesagt?“, frage ich ihn. „Ob mit dir alles okay ist?“
„Ja, alles in Ordnung. Danke, dass du ihn verscheucht hast. Er ist echt lästig.“, sage ich lächelnd.
Sein Blick wird wieder gelassen und er sagt: „Kein Problem, cuore mio.“
Er spricht schon wieder italienisch. Ich habe das Gefühl, er weiß genau, dass ich darauf anspringe, denn meine Knie werden schon wieder ganz weich. Er hat so schöne Augen.
„I-ich gehe mir mal was zu trinken holen.“, sage ich und will mich schon umdrehen.
„Ich begleite dich, wenn es dir nichts ausmacht.“, sagt er und es klang irgendwie hoffend.
„Nein, ich schaff das schon alleine. Ich bin ein großes Mädchen, weißt du.“
‘Gefahr‘, meldet sich mein sechster Sinn.
Zum zweiten Mal an diesem Abend, hatte er so einen kessen Ausdruck auf dem Gesicht und jetzt weiß ich auch was dieser Ausdruck bedeutet. Aber da hat er sich getäuscht, das lasse ich nicht zu. Er weiß genau wie er auf Frauen wirkt und mich sieht er nur als eine harte Nuss, die er noch knacken muss. Ich schaue ihn trotzig an, drehe mich um und gehe zur Bar.
Ich setze mich genervt an die Bar und durchstöbere die Karte. Und plötzlich änderte sich meine Laune, als ich den süßen Barkeeper auf mich zukommen sehe. Ich schenke ihm mein charmantestes Lächeln.
„Ah, die hübsche Dame von letzter Woche.“, sagt er grinsend. „Was darf ich dir bringen?“
„Du erinnerst dich an mich.“, sage ich überrascht.
„Wie könnte ich dich vergessen?“, antwortet er schmeichelnd.
„Ich hätte gerne einen Long Island Iced Tea.“
„Kommt sofort!“, sagt er und geht.
Man ist der süß. Ich sehe ihm verträumt hinterher, dann drehe ich mich um und suche in der Menge nach Fabio. Und ich sehe ihn umgeben von drei Frauen, die ihn verliebt umschwärmten. Ich kann es nicht fassen und meine Wut loderte wieder auf. Ich weiß, dass ihm keiner widerstehen kann und er weiß das erst recht. Aber mich kriegt er nicht rum. Er lächelt mir zu, aber ich drehe mich wieder weg um ihn nicht weiter sehen zu müssen. Was er kann, kann ich schon lange, denke ich als der süße Barkeeper mit meinem Drink kommt.
„Willst du nicht mit raus an die frische Luft kommen? Es ist hier so stickig und ich könnte ein bisschen Gesellschaft gebrauchen.“, frage ich ihn und zwinkere ihm zu.
„Wenn du schon so fragst, wie könnte ich da nein sagen? Ich sag nur schnell meiner Kollegin Bescheid.“
Ja, Strike. Er kommt mit, tja Fabio so gut bist du wohl doch nicht.
Der Barkeeper kommt zurück und sagt: „Komm mit ich kenne einen Ort an dem wir unsere Ruhe haben.“ Mein sechster Sinn warnt mich wieder, ‘Gefahr‘, aber ich ignoriere sie zum zweiten Mal an diesem Abend.
Der Barkeeper führt mich in einen kleinen Hinterhof des Clubs, der ziemlich schäbig aussah.
„Naja nach Ruhe sieht das hier nicht gerade aus.“, sage ich. „Wie heißt du eigentlich?“
„Spielt mein Name denn eine Rolle?“, fragt er und sieht mich mit einem lüsternen Blick an.
„Ja, eigentlich schon.“, sage ich verunsichert.
„Da bin ich anderer Meinung.“, bringt er hervor und drängt mich an die Wand.
„Was hast du vor?“, frage ich ängstlich.
„Dasselbe wie du.“, sagt er und fasst mir in den Ausschnitt.
„Nein, das hatte ich nicht vor.“, sage ich nun panisch und versuche ihn wegzudrängen. Warum war ich nur so dumm?
„Achso? Naja, ist mir auch egal.“
Seine Hände wandern unter mein Kleid zu meinem Slip und ich merke, dass es keinen Zweck mehr hat sich zu wehren. Mir kommen die Tränen.
Doch plötzlich reißt jemand den Barkeeper von mir.
Fabio hat den Barkeeper am Kragen gepackt und hält ihn in der Luft. Wow, ist er stark.
„Du wirst doch wohl eine Lady nicht so behandeln, oder?“, fragt Fabio. In seinem Ton hört man die Wut sofort raus.
„Nein, nein, sie wollte es auch.“, winselt der Barkeeper.
Fabio sagt knurrend: „Das glaube ich weniger.“ Ich weiß nicht was mich dazu bringt, aber in dem Blick des Barkeepers sehe ich Todesangst. Ich gehe dazwischen.
„Fabio, mir geht es gut. Lass ihn gehen.“
„Warum sollte ich das tun?“, fragt er. „Er wollte dich entehren.“
„Das hat er aber nicht geschafft, dank dir. Lass ihn gehen.“, sage ich entschlossen.
Fabio sieht mich an, seufzt und lässt ihn los. Der Barkeeper rappelt sich schnell auf und flüchtet nach drinnen.
„Geht es dir gut?“, fragt Fabio mich.
„Ja, es geht schon. Aber ich gehe jetzt besser nach Hause.“, antworte ich erschöpft.
„Ich begleite dich, ich glaube es ist nicht gut dich alleine zu lassen. Außerdem kann ich für nichts garantieren, wenn der mir nochmal über den Weg läuft.“
Mein sechster Sinn beginnt verrückt zu spielen.
„Das ist nicht nötig.“
„Ich weiß du bist ein großes Mädchen, aber du darfst auch mal Schwäche zeigen, das ist menschlich.“
Ich bin dankbar für die Worte und nicke nur.
Fabio sagt den anderen Bescheid, dass er mich nach Hause bringt und wir gehen los Richtung Bahnhof.
Dort angekommen setzen wir uns auf die Bank und warten auf die Bahn. Keiner sagt etwas. Ich beginne zu bereuen mir keine Jacke mitgenommen zu haben, denn es ist ziemlich kühl geworden.
Fabio muss das gemerkt haben und legt mir seine über die Schultern. Wow, hat der Oberarme.
„Danke.“, murmele ich.
„Geht es dir wirklich gut?“, Fragt er nochmal.
„Ja, mach dir keine Sorgen.“ Eine kurze Pause. „Woher wusstest du wo ich bin und das ich in Schwierigkeiten bin?“
„Ich bin euch gefolgt. Ich wusste gleich das der Typ nichts Gutes im Sinn hat.“
„Oh, danke.“
Nun schweigen wir uns wieder an. Was hat der Barkeeper in Fabios Blick gesehen, dass er so eine Angst bekommen hat? Das wovor mich mein sechster Sinn versucht zu warnen. Dieser Mann ist nicht das, was er zu sein scheint.
Die Bahn kommt und wir steigen ein. Ich lehne meinen Kopf gegen die Wand und schließe die Augen.
Er beobachtet mich, das spüre ich. Fest entschlossen es zu ignorieren, lasse ich die Augen zu.
Doch nach ein paar Minuten halte ich es nicht mehr aus, öffne die Augen und frage ihn: „Was ist los?“
„Nichts, du bist nur so schön, dolcezza.“, erwidert er.
„Warum redest du mich immer mit italienischen Kosenamen an?“, frage ich entnervt.
„Ich höre auf, wenn du es nicht willst.“, sagt er nur.
„Italien ist meine Heimat, ich habe dort meine halbe Kindheit gelebt. Ich vermisse es.“, bringe ich hervor.
„Mir geht’s genauso wie dir. Italien ist auch meine Heimat“, antwortet er schmunzelnd.
„Wirklich? Wann bist du nach Deutschland gekommen?“
„Seit paar Monaten erst, ich bin noch nicht lange hier.“, antwortet er.
„Warum hast du Italien verlassen?“, frage ich.
„Ich wollte die Welt sehen.“
„Und wie viel von der Welt hast du schon gesehen?“, frage ich neugierig.
Er lächelt und sagt: “Ich war schon in Spanien, Mallorca, Frankreich, Portugal, Brasilien und in den USA.“
„Wow!“, bringe ich staunend hervor. „Woher hast du das Geld?“
„Ich habe halt gute Eltern.“, sagt er immer noch lächelnd.
Dieser Mann fasziniert mich. Er ist wunderschön, stark und Italiener. Ein Traum von einem Mann.
Die Bahn hält an meiner Bahnhofstation und wir steigen aus. Eigentlich will ich noch nicht zu Hause ankommen, auch wenn ich es mir nicht eingestehen will, ich glaube ich mag diesen Mann. Ich sollte ihm lieber nicht trauen, aber es wird immer schwerer.
Dann kommen wir an meinem Haus an. „Danke fürs nach Hause bringen.“, sage ich verlegen.
„Ich bringe dich noch nach oben.“, sagt er.
„Das ist wirklich nicht nötig, Fabio.“
„Doch das ist es. Ich will sicher gehen, das du wirklich gut zu Hause ankommst.“, sagt er und schaut mich mit einem Blick an, der ehrlicher nicht sein kann. Also lasse ich ihn mich nach oben begleiten. Ich schließe die Tür auf und gehe in die Wohnung. Sofort bereue ich es, erlaubt zu haben das er mich nach oben begleitet. Meine Mutter kommt völlig betrunken aus dem Wohnzimmer getaumelt.
„Lucia mein Schatz, was machst du denn schon hier?“, lallt sie und sieht Fabio in der Tür stehen.
„Ein Traum von einem Mann. Da hast du dir aber einen hübschen, jungen Mann geangelt.“, kichert sie. Fabio grinst und sagt: „Hallo, wenn ich mich vorstellen darf. Ich bin Fabio Pellicano.“
„Ich freue mich dich kennen zu lernen ich bin Fabienne.“, erwidert sie lallend.
„Nein Mama, du bist Frau Bariello, klar? Und jetzt geh einfach.“, stoße ich wütend hervor.
„Ist ja gut mein Schatz. Du willst den hübschen Kerl ganz für dich alleine haben. Bin schon weg.“
Ich könnte ausflippen. Warum muss meine Mutter mich immer peinlich machen?
„Lustig deine Mutter.“, sagt er lachend.
„Das ist nicht lustig, sondern peinlich, du solltest jetzt besser gehen.“, antworte ich gestresst und reiche ihm seine Jacke.
„Wie du wünschst, mia bella.“, sagt er, nimmt meine Hand und küsst sie.

Kapitel 2




Ich habe diese Nacht kaum geschlafen. Obwohl Pupetta die ganze Nacht neben mir auf meinem Kopfkissen lag und vor sich hin geschnurrt hat, konnte ich nicht einschlafen. Dabei wiegt mich ihr Schnurren jede Nacht in den Schlaf. Ich habe die ganze Zeit über Fabio nachgedacht. Was hat den Barkeeper so eine Angst eingejagt? Und warum sagt mir mein sechster Sinn, ich soll mich vor Fabio in Acht nehmen? Das muss einen Zusammenhang haben. Ich muss es herausfinden.
Fabio ist kein normaler Mensch, das ist sicher. Aber er ist gutaussehend und einfühlsam, wie kann er da böse Absichten haben? Ich verstehe es nicht. Vielleicht sollte ich erst einmal versuchen etwas zu essen. Dann kann ich weitere Nachforschungen anstellen.
Ich stehe auf und ziehe mir eine Jogginghose an und gehe ins Bad um mir die Zähne zu putzen. Dort treffe ich auf meine Mutter.
„Guten Morgen mein Schatz, hast du gut geschlafen?“, fragt sie.
„Nicht wirklich!“, antworte ich ihr und nehme meine Zahnbürste.
„Wer war denn dieser hübsche, junge Mann gestern Abend?“, fragt sie neugierig.
„Isch glau‘ nisch dasch disch dasch etwasch angehd.“, erwidere ich gereizt.
„Warum bist du nur immer so zickig, Lucia?“
„Weil-du-nervschst!“
Sie sieht etwas gekränkt aus und lässt mich allein. Eigentlich müsste sie mir jetzt Leid tun, aber ganz im Gegenteil. Es tut gut sie so zu sehen. Selbst Schuld.
Ich gehe in die Küche und nehme mir ein Brötchen. Die eine Seite bestreiche ich mit Nuss-nugatcreme, die Andere mit Marmelade, gehe zurück in mein Zimmer und schalte den Fernseher ein. Ich zappe aus Gewohnheit zu ProSieben durch, weil da meistens was Gutes läuft. Und ich hatte wieder Recht. Scrubs läuft, das wird mich erst einmal ablenken von Fabio.
Aber noch nicht einmal meine Lieblingssendung hilft dabei, diesen Mann für kurze Zeit zu vergessen.
Also kann ich auch gleich den Fernseher aus lassen. Ich schalte den Fernseher wieder aus und bringe meinen Teller in die Küche. Dann setze ich mich an meinen Laptop und öffne Google. Nur was soll ich als Suchbegriff eingeben? Starke, gutaussehende, einfühlsame Männer? Ich denke damit komme ich nicht weit. Fangen wir mit übernatürliche Wesen an. Es kommen zig Suchergebnisse und klicke wahllos auf das Erste. Leider steht nichts brauchbares drin, genauso wie bei mehreren anderen Suchergebnissen. Ich weiß einfach zu wenig über Fabio und beschließe erst einmal die Suche aufzugeben.
Aber was mache ich jetzt? Irgendwie muss ich mich von Fabio ablenken.
Ich weiß es, shoppen und danach zu meinem Pferd. Also stieg ich in die Dusche. Als ich mich sauber fühle drehe ich den Wasserhahn ab und trockne mich ab. Ich föhne mir die Haare, schminke mich und ziehe mir ein hübsches rosa Sommerkleid und rosa Sandalen mit Keilabsatz an.
Jetzt kann es los gehen.
Ich rufe meiner Mutter zu, „Ich gehe shoppen.“, und schließe die Tür hinter mir.
Ich mache mich auf Richtung Bahnhof. Auf der Hälfte des Weges, fühle ich, dass ich verfolgt werde und drehe mich um. Ich sehe einen schnittigen Ferrari California.
Der Ferrari kommt näher und hält neben mir. Die Scheibe fährt surrend runter und ich schaue in Fabios grinsendes Gesicht. Da er eine Sonnenbrille trägt, kann ich seine Augen nicht sehen.
Ich frage ihn verärgert: „Warum verfolgst du mich?“
„Du siehst wunderschön aus“, gibt er grinsend zurück.
„Danke. Ich habe dich übrigens was gefragt.“, sage ich und verdrehe die Augen.
„Ich wollte wissen wo du hingehst.“, antwortet er immer noch grinsend.
„Das geht dich gar nichts an.“, gebe ich trotzig zurück.
„Ich weiß, deshalb frage ich dich ja auch nicht.“, erwidert er und nimmt die Sonnenbrille ab. „Kann ich dich irgendwo hin mitnehmen?“
Meine innere Stimme spielt schon wieder verrückt, aber seit gestern fällt es mir anscheinend leicht sie zu ignorieren. Außerdem will ich herausfinden was er ist. Das ist die Möglichkeit, ihn besser ken-nen zu lernen.
„Ja klar, warum nicht“, sage ich seufzend und steige ein.
Sofort kommen mir die Worte von Mias Mutter in den Kopf, wir sollen bei keinem Fremden ins Auto einsteigen und muss schmunzeln.
„Also, wo soll es denn hingehen?“, fragt er neugierig.
„Ins Einkaufszentrum, bitte!“, antworte ich.
„Ach die Dame, will shoppen gehen. Das hätte ich mir eigentlich auch denken können.“, sagt er lachend und fährt los.
Nach ein paar Minuten frage ich ihn: „Deine Eltern müssen wirklich sehr großzügig sein, wenn sie dir so ein Auto kaufen.“
„Ja, das sind sie.“, erwidert er, mit einem Gesichtsausdruck der eher auf das Gegenteil weist.
Ich schaue ihn verwirrt an und kann meinen Blick nicht mehr abwenden. Er sieht so sexy aus. So männlich und stark. Natürlich bemerkt er meinen Blick und fragt: „Was ist los, alles okay?“
„Klar!“, antworte ich ertappt und schaue verlegen weg.
An der nächsten roten Ampel lehnt er sich ein Stück zu mir rüber, schiebt seine Sonnenbrille tief auf seine Nasenspitze und schaut mich mit seinen eisblauen Augen an.
„Was?“, frage ich.
„Habe ich dir eigentlich schon gesagt wie wunderschön du heute aussiehst?“
„Ja, hast du!“, sage ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Du siehst heute wunderschön aus.“, wiederholt er.
„Das war jetzt das dritte Mal.“, erwidere ich.
„Gewöhn dich dran, du wirst es von mir noch oft hören.“, sagt er und fährt weiter.
Wir sind da, aber ich will eigentlich nicht, dass diese Autofahrt zu Ende geht, da mein Herz in seiner Gegenwart immer einen Tick zu schnell schlägt. Aber anstatt vor dem Einkaufzentrum zu halten, fährt er weiter und biegt die nächste Straße ab und fährt ins Parkhaus.
„Was machst du?“, frage ich.
„Dich ins Einkaufszentrum bringen, was sonst?“, antwortet er.
„Du hättest mich auch davor absetzen können.“
„Im Halteverbot parken? Keine gute Idee.“, sagt er.
„Parken?“ Ich muss verwirrt aussehen, denn er beginnt herzhaft zu lachen.
„Ich begleite dich, du brauchst doch jemanden der dich berät, oder nicht?“
Wir steigen aus dem Auto aus und laufen Richtung Eingang. Ein älteres Ehepaar kommt uns entge-gen, mit einem super, süßen Huskey-Welpen.
„Der ist ja knuddelig!“, rufe ich und beuge mich zu ihm runter. Der kleine Welpe beginnt sofort mit seinem Schwänzchen zu wedeln und versucht ganz aufgeregt auf meinen Arm zu springen.
Die Frau lächelt mich liebevoll an und sagt: „Er scheint dich zu mögen.“
„Ich mag ihn auch, er ist ja so süß. Wie heißt der Kleine denn?“, frage ich die nette Frau
„Wir haben ihm noch keinen Namen gegeben. Er ist erst seit gestern bei uns und uns ist bis jetzt nichts passendes eingefallen.“, antwortet die Frau.
„Zuccherino würde zu ihm passen. Das ist italienisch und heißt Zuckerstückchen. Weil er so zuckersüß ist.“
„Das ist ein schöner Name, mein Augenstern. Ich glaube sie hat Recht das passt wie angegossen.“, sagt der Mann.
„Also soll er Zuccherino heißen, das gefällt mir auch sehr gut, Liebling.“, antwortet die Frau und wendet sich wieder mir zu. „Wir danken dir junge Dame für deinen grandiosen Einfall.“
„Da gibt es nichts zu danken“, erwidere ich, „ich danke ihnen für ihre nette Gesellschaft.“
„Du bist ein sehr höfliches, nettes Mädchen. Wir wünschen dir und deinem Freund noch viel Spaß.“, sagt der Mann beim Gehen.
„Er ist nicht mein Freund, aber trotzdem danke, das wünsche ich Ihnen auch.“, antworte ich.
Fabio schaut mich überrascht an. „Du kannst gut mit Tieren und alten Menschen, das gefällt mir.“
„Zuccherino ist wirklich zuckersüß gewesen. Aber dieses Ehepaar war noch viel süßer. Er hat sie Augenstern genannt. Wie süß.“, schwärme ich.
„Ja das habe ich gehört, mia bellina stellina.“, sagt er und schmunzelt.
Ich schaue ihn von der Seite an. Das nette Ehepaar hat uns für ein Pärchen gehalten. Sehen wir, denn wirklich wie eines aus? Irgendwas in mir hofft das es so ist.
„Lass uns, ich bin jetzt im Shoppingfiber und du wirst jetzt darunter leiden.“, sage ich und lächele ich ihn herausfordernd an.
„Naja, als leiden würde ich es nicht bezeichnen, wenn ich eine so wunderschöne Frau wie du, eine Privatmodenschau für mich macht.“, antwortet er grinsend.
Dieser Typ bringt mich bald um meinen Verstand, wenn ich nicht aufpasse.
Ohne groß zu überlegen laufe ich schnurschtracks in die Richtung meines Stammklamottenladens.
Als wir ihn betreten, kommt sofort eine Verkäuferin auf mich zu.
„Lucia, mein Engel. Schön dich zu sehen. Hat dich dein berühmt berüchtigtes Shoppingfiber mal wieder gepackt?“
Sie umarmt mich und dann fällt ihr Blick auf Fabio, der sich grade eine paar High Heels ansieht. Echt schicke High Heels muss ich sagen, der Junge hat Geschmack. Ihr fällt die Kinnlade runter.
„Ähm…Tina, das ist Fabio.“, stelle ich ihn ihr vor.
„Hi Tina!“, sagt Fabio mit einem der charmantesten Lächeln die ich je gesehen habe. Tina fängt sich wieder.
„Hi Fabio. Es ist mir wirklich eine Freude dich kennen zu lernen.“, erwidert sie aufgeregt.
Sie zieht mich ein Stück zur Seite und flüstert mir zu: „Wo hast du denn die Sahneschnitte aufgega-belt, gibt es da wo er herkommt noch mehr von der Sorte?“
„Er ist nur ein Freund, mehr nicht.“, antworte ich, aber bin selber nicht sicher ob das so stimmt.
„Nur ein Freund?“, fragt Tina entsetzt. „Puppe ich kann dir nur sagen dieser Typ ist heiß, ohja, heißer als Feuer wenn du mich fragst. Schnapp ihn dir bevor es jemand anderes tut.“
Fabio der weiter, wie es scheint mit großem Interesse, die Schuhe anschaut, fängt plötzlich an zu schmunzeln, als hätte er jedes Wort verstanden.
„Ich weiß nicht, ob er zu mir passt.“, sage ich, weil mir nichts Besseres eingefallen ist.
„Ob er zu dir passt? Schätzchen, dieser Typ muss nicht zu einem passen. Schau ihn dir doch mal an. Hach, er macht mich noch ganz wuschig. Ich muss weiter arbeiten, sonst beschweren sich die Kun-den. Soll ich dir unsere neunen Sachen in die Kabine hängen?“, bringt sie außer Atem hervor und schaut zur Kasse.
Ich tu es ihr gleich und wir sehen fünf Frauen im Alter von zwanzig bis vierzig, welche es gar nicht interessiert ob Tina ihre Arbeit macht oder nicht. Sie haben nur Augen für Fabio. Tina geht ohne meine Antwort abzuwarten, weil sie sie schon kennt, aufgeregt zur Kasse und ruft die Frauen zur Ordnung: „Ladies, hier spielt die Musik. Der heiße Typ ist leider schon vom Markt.“ Die Frauen drehten sich enttäuscht um, konnten es aber nicht lassen immer mal wieder zu ihm rüber zu schauen.
Ich gehe zu Fabio rüber und frage: „Gefallen dir die Schuhe?“
„Einige sehen schon ziemlich sexy aus. Ich würde sie gerne an dir sehen.“, antwortet er mit einem verführerischen Funkeln in seinen Augen. Diese Augen.
„Ich kann sie ja mal anprobieren.“, sage ich und lächele ihn an.
„Ehrlich?“ Er klang Hoffnungsvoll.
„Ja, ehrlich. Warum auch nicht, ich liebe Schuhe.“, gebe ich zurück. „Such die raus die du am schöns-ten findest und bring sie mir in die Kabine, okay?“
„In die Kabine…alles klar, wird gemacht schöne Frau.“, erwidert er erfreut.
Bevor ich in die Kabine gehe, frage ich Tina nach einem Lappen oder Tuch. Sie gibt mir eins und ich verkrümmel mich hinter den Vorhang. Ich lege das Tuch auf dem Boden, ziehe meine Schuhe aus und stelle mich auf das Tuch. Dann lasse ich die Hüllen fallen. Ich zog mir mein Kleid über den Kopf und hänge es an den viel zu voll gestopften Haken. Ich nehme mir das erste Kleidungstück zur Hand und stelle fest, dass es ein gerade mal Gürtelbreiter Rock ist. Obwohl das eigentlich nicht mein Stil es probiere ich ihn an.
„Hier, ich habe dir fünf paar Schuhe mitgebracht.“, sagt Fabio, als er vor der Kabine steht.
„Danke, stell sie einfach vor die Kabine hin.“, antworte ich.
Ich ziehe mir das bauchfreie Top an, welches Tina mir zu dem Rock gehängt hat. Dann griff ich nach den Schuhkartons. „Woher wusstest du meine Größe?“, frage ich Fabio aus der Kabine heraus.
„Ich habe geschätzt.“, erwidert er, während ich den Vorhang aufziehe.
Er schaut mich an mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte.
„Tina, was hast du dir dabei gedacht?“, frage ich als ich mich im Spiegel betrachte.
„Schätzchen, bei deiner Figur, ist es keine Sünde so etwas zu tragen. Du kannst deine Kurven ruhig mal etwas mehr zeigen und die Männer in den Wahnsinn treiben. Ich finde es steht dir.“, verteidigt sich Tina.
„Was meinst du Fabio?“, frage ich ihn
Er hat die ganze Zeit den Blick nicht von mir abgewendet und sagt nun: „Du siehst sexy aus, einfach atemberaubend, aber ich bin anderer Meinung als Tina. Ich finde eine Frau sollte nicht zu viel von sich preisgeben.“
„Du hast Recht, ich probiere die anderen Sachen an.“ Ich verschwinde wieder in der Kabine und greife nach einer knappen Jeanshotpants und einem süßen Shirt mit V-Ausschnitt. Ich ziehe die Klamotten und die Schuhe an und öffne wieder den Vorhang.
„Und?“, frage ich Fabio und Tina.
„Das sieht süß aus, aber nicht sexy, Schneckchen.“, sagt Tina von der Kasse.
„Das sehe ich anders.“, bringt Fabio hervor und schaut mich fasziniert an.
Ich lächle ihm dankend zu und gehe zurück in die Kabine.
Nachdem ich noch ungefähr zehn weitere Outfits anprobiert habe, komme ich zum letzten.
Ein wunderschönes purpurfarbenes Kleid. Ich schlüpfe hinein und versuche den Reißverschluss im Rücken zu zuziehen, was mir natürlich nicht gelingt.
„Fabio, würdest du mir bitte mal helfen?“, frage ich aus der Kabine.
„Klar, was soll ich tun?“, antwortet er mir.
„Komm in die Kabine“, sage ich, „und zieh mir bitte den Reißverschluss zu.“
Er zieht den Vorhang ein Stück zur Seite und betritt die Kabine.
„Hübscher Ausblick!“, sagt er mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht.
„Entschuldige, dass ich dir nicht mehr zu zeigen habe.“, erwidere ich.
„Ein hübscher Rücken, kann auch entzücken.“, sagt er und zieht den Reißverschluss zu.
Ich drehe mich zu ihm um und schaue zu ihm auf. Er sieht so gut aus. Er hält meinen Blick mit seinen Augen fest und mein Herz beginnt wie wild zu rasen. Warum habe ich ihn gebeten mir den Reißverschluss zu zuziehen? Ich hätte auch Tina fragen können, aber ich musste ja ihn rufen. Und jetzt stehen wir hier zu zweit in einer Umkleidekabine und schauen uns in die Augen. Ist das nicht eigentlich der Augenblick an dem wir uns küssen sollten?
Anscheinend nicht, denn Fabio hebt die Hand und streichelt mir über mein Gesicht. Dann verlässt er die Kabine und lässt seinen unwiderstehlichen Duft zurück.
Ich ziehe mir die das letzte Paar Schuhe an, welche gleichzeitig die Schönsten sind und trete aus der Kabine. Fabio sieht mich mit offenem Mund an.
„Lucia, du siehst umwerfend aus. Wenn du dieses Outfit nicht nimmst, dann bist du echt bescheu-ert.“, sagt Tina wie eine stolze Mutter.
Ich lächele ihr zu und schaue dann zu Fabio, welcher mich immer noch mit offenem Mund anschaut.
„Und was sagst du?“, frage ich ihn und drehe mich um die eigene Achse.
„Wow!“, mehr sagt er nicht.
Ich geh zurück in die Kabine um mir mein Sommerkleid wieder anzuziehen. Raus komme ich mit 5 Outfits und drei Paar Schuhen, für die ich mich entschieden habe und gehe zur Kasse, Fabio dicht hinter mir.
„Ich denke, dass wird mich wieder einiges Kosten.“, sage ich und seufze.
Tina lächelt mich an: „Aber jedes Teil ist sein Geld wert, wie immer, nicht wahr Mäuschen?“
„Das ist ja das schlimme daran.“, antworte ich lachend.
„So, das macht dann 237 Euro und 73 Cent.“, sagt Tina.
Gerade als ich meine EC-Karte herausholen will, kommt mir Fabio zuvor und hält Tina eine goldene American Express Kreditkarte hin.
„Fabio, was soll das?“, frage ich ihn.
„Ich will nicht, dass du den Rest des Monats knapp bei Kasse bist. Außerdem will ich dir eine kleine Freude machen.“, erwidert er.
„Eine kleine Freude? Das fällt eher unter riesige Freude, also steck die Karte wieder ein.“, zische ich.
Tina beginnt zu lachen und Fabio stimmt sofort mit ein.
„Schätzchen, lass den Jungen zahlen, wenn er das will. Du kannst nur gewinnen.“
„Hör auf sie, ciccina und lass den Jungen zahlen.“, flüstert er an meinem Ohr, was mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt und meine Sinne benebelt.
„Das war es schon. Die Rechnung ist in der Tüte.“, sagt Tina grinsend, während Fabio ihr die Tüte abnimmt.
„Das kann…ihr habt mich reingelegt.“, rufe ich wütend hervor.
„Ja, stimmt. Aber dich muss man ja zu deinem Glück zwingen.“, erwidert Tina lachend. „Macht es gut Ihr Turteltäubchen!“, wünscht Tina uns und wir verlassen den Laden.
„Ich finde das nicht okay von dir Fabio. Ich kann meinen Kram alleine bezahlen und bin nicht auf dich oder sonst irgendjemanden angewiesen, klar?“, stoße ich zornig hervor.
„Das weiß ich, tenerezza. Aber kannst du dir vorstellen, dass ich dir wirklich nur eine Freude machen wollte, auch wenn es für dich wie Weihnachten und Ostern zusammen vorkommt?“, fragt er mit einem Blick, der mich zum Schmelzen bringt.
Er sieht, dass ich sprachlos bin grinst mich an und sagt: „Du bist so süß, angelino.“
„Ich habe einen Bärenhunger.“, sage ich als wir an einem Asia-Bistro vorbei laufen. „Es riecht so lecker.“
„Wir können uns gerne hier hinsetzen und essen wenn du willst, aber nur wenn ich bezahlen darf.“, sagt er schmunzelnd.
Ich seufze nur und nicke. In seinen wunderschönen, eisblauen Augen konnte ich den Sieg funkeln sehen. Aber es war mir egal, ich bin halb am Verhungern.
„Was willst du essen?“, frage ich ihn.
„Ich hab keinen Hunger.“, antwortet er.
Ich schaue ihn verwirrt an: „Du hast doch den ganzen Tag, auch nichts gegessen. Du musst etwas essen.“
„Ich hab wirklich keinen Hunger, mach dir keine Sorgen.“, erwidert er lächelnd.
„Dann trink wenigstens etwas.“, sage ich.
„Mia bellina principessa, ich brauche wirklich nichts. Bestell dir so viel du willst und schlag dir den Bauch voll.“
Das tue ich dann auch. Denn mein Magen hat sich schon mehr als einmal, meckernd zu Wort gemel-det. Als sie mir endlich meine Chinapfanne mit Gemüse bringen, kann ich es kaum noch erwarten, die leckeren Nudeln im Mund zu schmecken.
Ich spüre Fabios Blick auf mir während ich esse, aber ich achte nicht darauf. Nach der Hälfte des Tellers spüre ich schon ein Sättigungsgefühl und nach drei weiteren Gabeln voll mit Nudeln, gebe ich auf.
„Es ist einfach zu viel.“, sage ich voll gefuttert.
„Zu viel?“, fragt Fabio verwundert.
„Ja, hier“, ich deute auf meinen Bauch, „passt gar nichts mehr rein.“
Fabio fängt aus vollem Halse an zu lachen. „Was ist?“, frage ich?
„Du bist echt einmalig. Benimmst dich wie ein tigrotta, bist aber eher eine kleine, süße micia.“
Ich schaue ihn verlegen an, als er die Hand hebt um mir über mein Gesicht zu streicheln.
Als wir wieder im Auto sitzen ist es schon fast acht Uhr. Eigentlich hatte ich nicht vor so lange im Einkaufszentrum zu bleiben, ich muss ja schließlich noch zu meinem Pferd. Mein armer principino vermisst mich bestimmt schon. Naja, dann muss ich ihn halt im Dunkeln besuchen.
Wir kommen vor meiner Haustür an, Fabio schaut mich an und fragt: „Was hast du für Pläne für diesen Abend?“
„Ich habe ein Date mit meinem Principino.“, sage ich ohne nachzudenken.
Seine eisblauen Augen verengten sich. „Date? Principino? Wer soll das sein?“
Ich schaue ihn an und erlaube mir einen Spaß mit ihm. „Mein Principino halt. Er ist groß, kohlraben-schwarz, stark und wunderschön. Und er würde mich niemals verlassen, weil er mich mehr liebt, als alles andere auf der Welt. Und ich liebe ihn über alles. Mein Principino.“, sage ich schwärmend.
Ich spüre wie Wut und Hass in ihm auflodern, aber nicht auf mich sondern, auf meinen süßen Principino.
Ich kann mir das Lachen nicht mehr verkneifen und lasse es einfach raus.
Fabio sieht mich verwirrt an und fragt leicht gereizt: „Warum lachst du?“
„Fabio, du bist doch nicht etwa eifersüchtig oder?“
„Quatsch, warum sollte ich?“, gibt er sauer zurück. „Geht mich doch nichts an, mit wem du dich triffst.“
„Fabio, ich treffe mich wirklich mit meinem Principino und er ist auch männlich und genauso wie ich ihn beschrieben habe, aber er ist eindeutig nicht mein Freund oder Liebhaber.“, sage ich kichernd.
„Was ist der dann?“, fragt Fabio. Er wirkt irgendwie erleichtert.
„Principino ist mein treuester Freund und steht mir immer zur Seite wenn ich traurig. Wenn du willst stelle ich ihn dir vor.“
„Okay, ich bin dabei!“, sagt Fabio erfreut.
„Aber zuerst muss ich noch mal hoch. Du kannst gerne mit rein kommen, meine Mutter ist nicht da.“
Wir gehen hoch in die Wohnung und ich sage zu Fabio: „Fühl dich ganz wie zu Hause und mach es dir bequem.“
Doch anstatt es sich bequem zu machen bleibt er dicht hinter mir und lässt mich nicht aus den Au-gen. Ich gehe in die Küche und Pupetta kommt sofort zu mir und schmiegt sich an meine Beine. Sie muss Hungrig sein, denn meine Mutter hat ihr nicht mal ein Schälchen Trockenfutter stehen lassen.
Ich hebe Pupetta in meine Arme und gebe ihr einen Kuss.
„Hallo angelo, es gibt sofort was zu fressen meine Hübsche.“, sage ich ihr. Ihre Ohren spitzen sich.
Dann lasse ich sie wieder runter und öffne ihren Futterschrank. Ich nehme eine Tüte mit Nassfutter und fülle die ganze Tüte in ihren Napf.
Pupetta beginnt dankbar zu fressen.
„Man merkt wirklich, dass du Tiere liebst.“, sagt er lächelnd.
Ich gehe in mein Zimmer und auch dahin folgt er mir. Er schaut sich genau in meinem Zimmer um, während in meinem begehbaren Kleiderschrank verschwinde um die neuen Klamotten zu verstauen. Dann nehme ich mir eine meiner Stallhosen und vielleicht ein etwas zu tief ausgeschnittenes Shirt. Als ich wieder rauskomme sehe ich, dass Fabio das Poster mit dem nackten Männeroberkörper betrachtet.
„Und den Typen findest du sexy, ja?“, fragt er schmunzelnd
„Man sieht doch nur seinen Oberkörper und ja den finde ich sexy. Sieht doch gut aus so ein Sixpack. Hat nicht jeder.“, erwidere ich kess
„Auf was willst du anspielen, dolcezza?“, fragt er und in seinen Augen lag ein herausforderndes Funkeln.
„Auf nichts, ich denke nur, dass nicht jeder gutaussehende Mann, auch einen durchtrainierten Körper hat.“, sage ich und blicke kurz fragend in seine Augen.
Ich weiß genau was für ein Prachtkörper sich unter dem Shirt von Fabio versteckt, aber die Vorstel-lung ihn einmal ohne Shirt zu sehen, ist sehr verlockend.
Fabio lacht leise. „Das ist doch das Schöne daran. Man kann sich die Person nur nackt vorstellen und freut sich später umso mehr aufs Auspacken.“
Seine Augen wandern von meinem Gesicht, runter zu meinen Brüsten, weiter über meinen Bauch bis zu meiner… „I-ich gehe mich mal umziehen!“, sage ich stotternd und verlasse mit rotem Gesicht das Zimmer. Kaum bin ich im Bad, bereue ich es ihn in meinem Zimmer allein gelassen zu haben. Jeder würde die Gelegenheit nutzen das Zimmer zu durchstöbern.
Ich ziehe mich in Windeseile um, damit er nicht viel Zeit dazu hat.
Schnell öffne ich die Tür und gehe in mein Zimmer.
„Gemütlich hier drinnen, ich könnte mich dran gewöhnen.“ Er sitzt auf der Bettkante meines Futonbettes und legt sich nun hin. Seine Brustmuskeln spannen sich an, als er die Arme hinter den Kopf hebt. Ich kann nicht aufhören ihn zu bestaunen, er ist einfach zu schön. Ich habe in meinen ganzen Leben noch nie so einen schönen Menschen gesehen. Diese anmutigen Bewegungen, es ist so übernatürlich. Er kann einfach kein Mensch sein. Aber was ist er dann?
Ich grüble weiter, beim Turnschuhe anziehen
Fabio richtet sich auf. „Was soll das denn sein, ein neuer Style?“ Er lacht.
Ich strecke ihm die Zunge raus. „Das sind Chaps!“
„Und was sind Chaps?“, fragt er neugierig?
„Das wirst du schon noch sehen.“
Wir steigen ins Auto ein und Fabio fragt: „Wohin soll es gehen, amore?“
„Ich lotse dich.“, sage ich.
Es ist nicht weit weg zu Principino, nach fünf Minuten kommen wir an.
Wir steigen aus und er schaut sich verwirrt um. „Und was soll das nun sein?“
Wir stehen vor einer länglichen Holzhütte, hinter der sich ein großes Gelände befindet.
„Komm mit!“, flüstere ich voller Vorfreude auf meinen Principino.
Ich öffne dir Tür und gehe rein. „Lucia, es ist viel zu dunkel. Du siehst doch gar nichts.“
„Ich muss nichts sehen, ich kann es spüren.“, erwiderte ich ohne nachzudenken.
„Spüren?“, fragt er überrascht.
„Warte!“, sage ich, öffne die Scheunentür und schalte das Licht ein.
„Wow, eine Schönheit, ganz aus dem nichts. Ist das denn möglich?“, fragt er.
Principino wiehert vor Freude mich zu sehen und kratzt ganz aufgeregt an seiner Tür. „Hey, hier ist Principinos Revier. Hier gehöre ich ganz ihm.“ Principino wurde nun ganz hippelig. Ich stürme lachend auf seine Box zu und öffne sie ohne Rücksicht auf Verluste.
„Lucia, tu das nicht, pass auf.“, ruft Fabio.
Plötzlich steht er neben mir, nimmt mich in seine starken Arme und zieht mich zur Seite. „Was…?
Wie hast du das gemacht?“
Er antwortet nicht, sondern sieht einfach zu Boden.
Principino wiehert. „Ich muss mich um Principino kümmern, wir reden später.“
„Hallo, mein Süßer!“, rufe ich und werfe mich ihm an den Hals. „Komm mit raus.“
Er läuft direkt hinter mir wie ein Hund. Ich weiß er bleibt immer bei mir. Ich spüre es tief in ihm. Mein Principino, wenn ich dich nicht hätte. Du lässt mich alles vergessen.
Fabio kommt hinter uns her. Principino schabt mit dem Huf auf den Boden und ich weiß worauf er hinaus will.
Ich sehe Fabio an und sage: „Okay du bist sehr schnell, dann wird es bestimmt kein Problem sein mit uns mitzuhalten oder?“
Er sieht mich verunsichert an. „Du brauchst nicht versuchen es zu verstuschen, ich weiß was ich gesehen habe und frage erst einmal nicht weiter nach. Aber ich weiß es jetzt also, tu es. Es ist okay für mich.“
Er nickt. „Kein Problem mit euch mitzuhalten.“
„Also gut!“
Ich schwinge mich auf Principino und los geht es.
Ich greife in seine weiche Mähne und ich fühle mich frei.
Er hält genau auf die Springhindernisse zu. „Du willst es mal wieder wissen, nicht wahr?“, ich lache.
Und da ist auch schon das erste Hindernis. Und er springt als ob er Flügel hätte.
„Gleich das Nächste!“, rufe ich und er springt.
Es geht immer so weiter bis wir beide völlig aus der Puste sind. Wir halten an den kleinen Bach, damit Principino trinken konnte.
Ich setze mich neben Principino auf den Boden und lausche dem Wind.
Er hört sich an wie ein wunderschönes Lied, dessen Melodie ich schon vor Ewigkeiten vergessen habe. Ich gleite mit den Fingern über die Erde, was mich unglaublich beruhigt.
Ich spüre seinen Blick von hinten auf mir ruhen, er will mir nicht zu nah treten. Dabei ist es genau das wonach ich mich grad sehne.
„Setz dich zu mir!“, fordere ich ihn auf. Er kommt zu mir uns setzt sich.
„Lucia, ich…“
„Schschsch! Jetzt keine Erklärungen. Lausche dem Wind…, fühle die Erde.“
Fabio sieht mich verzaubert an.
„Pass jetzt gut auf.“, flüstere ich.
Ich schließe die Augen, atme tief durch und strecke meine Arme aus. Ich lasse meine Finger im Takt des Windes tanzen. Ich atme noch einmal tief ein und die murmele die Worte: „Arrivare a ci, fanaleria, arrivare a ci.“
Von überall kommen viele wunderschöne Schmetterlinge und führten um uns herum, einen wunderschönen Tanz auf.
„Wow, wie hast du das gemacht?“, fragt er erstaunt.
„Ich habe sie nur gerufen, der Rest war ihr verdienst.“, antworte ich.
„Ich kenne eines deiner Geheimnisse und du eines meiner. Wir sind quitt.“
Liebevoll schaut er mich an: „Du bist etwas ganz besonderes, dolce cuoricino amato. Ich werde dich immer beschützen.“
Ich sehe in seine funkelnden Augen und spüre nichts als die Wahrheit die in diesem Satz mitschwingt.
Er beugt sich vor und streckt seine Hand aus um mein Gesicht zu streicheln.
„Wir sollten langsam gehen“, flüstere ich.
Er springt auf nimmt mich in seinen Arm und hebt mich auf Principino. Dann steigt er selbst auf und sagt: „Halt dich fest!“
Ich tue was er, sagt und schlinge meine Arme um ihn. Ich fühle seine stählernen Muskeln unter seinem Shirt. Mein ganzer Körper kribbelt vor Anspannung und Erregung.
Ist der scharf. Tina hat Recht, er ist heißer als Feuer.
Er führt Principino direkt vor den Stall und springt ab.
Bevor ich es ihm gleich tun konnte waren, seine Hände an meiner Hüfte um mich runter zu heben.
„Danke.“, murmele ich und bringe Principino in seine Box.
Ich gebe ihm einen Kuss auf die Stirn und wünsche ihm eine gute Nacht.
Ich verschließe seine Tür und werfe ihm noch einen Handkuss zu bevor ich das Licht lösche.
Fabio und ich verlassen den Stall. Wir steigen ins Auto. Fabio startet den Motor und fährt los.
Ich lehne mich mit dem Kopf gegen die Scheibe und lächele. Es war wunderschön.
Fabio sieht immer wieder zu mir herüber und seinem Blick nach zu urteilen, erfreut sich an meinen Anblick. Er hält vor meiner Haustür an.
Wir steigen aus. Natürlich bringt er mich wieder bis vor meine Wohnungstür, damit er sicher sein kann, dass es mir gut geht.
„Gute Nacht!“, hauche ich ihm verlegen zu.
„Träume süß, bellina angelino.“ Er nimmt meine Hand und küsst sie.
Dabei sieht er mir in die Augen und lässt jeden Widerstand fallen. Er zieht mich einfach in seine Arme, hält mich mit dem einem Arm fest umschlungen. Seine andere Hand ruht unter meinem Kinn. Er sieht zu mir herab, beugt sich runter und küsst mich. Mir stockt der Atem. Er hat so weiche Lippen. Bitte hör nie wieder auf mich zu küssen.
Er löst seine Lippen von meinem und schaut mir tief in die Augen. Seine Augen ziehen mich in seinen Bann. Sie sind so wunderschön. Er lächelt, lässt von mir ab und geht.
Ich schließe die Tür und flitze zum Fenster. Er läuft zu seinem Auto. Bevor er einsteigt sieht er hoch zu dem Fenster, hinter dem ich stehe. Ich halte den Atem an. Er sieht mich doch nicht etwa? Unsinn, das kann nicht sein.
Er steigt ein, startet den Motor und fährt los. Er ist weg. Wann sehe ich ihn wieder?
Ich gehe in mein Zimmer und greife nach meinem IPod. Ich stecke die Kopfhörer ins Ohr und schalte ihn ein. Dann suche ich ein ganz bestimmtes Lied und stelle auf Return.
Luther Vandross beginnt zu singen: ‘My love, there’s only you in my life, the only thing that’s right.’
Dann Mariah Carey: ‘My first love, you’re every breath that I take, you’re every step I make.’
Ich lege mich auf mein Bett, genau auf die Stelle wo Fabio heute gelegen hat und singe mit.
„And I, I want to share all my love with you. No one else will do.”
Dieses Lied spricht mir aus der Seele. Ich fühle mich so sehr zu Fabio hingezogen. Das ist kein verliebt sein, nein, ich weiß das es Liebe ist.
Vom ersten Augenblick, habe ich es gefühlt. Es ist als würde ich ihn seit Ewigkeiten kennen und ihn seit Ewigkeiten lieben. Fühlt er sich auch so?
Mir kommen die Tränen. Er ist noch nicht einmal eine halbe Stunde weg, aber er fehlt mir so sehr das es weh tut. Was ist nur los mit mir?
Bis jetzt habe ich mich in meinem Leben erfolgreich von der Liebe zurückgezogen. Ich hatte noch nie eine feste Beziehung, geschweige denn Sex.
Ich wollte nie eine Beziehung, da ich anders bin. Eine Hexe.
Aber bei Fabio ist es anders. Ich will ihn, ich brauche ihn, ich liebe ihn.
Und dann verlieren sich meine Gedanken und ich schlafe ein.

Kapitel 3




Wir liegen in meinem von Rosenblättern bedeckten Bett, er hält mich in seinen starken Armen. Ich habe ein sexy rotfarbenes Seidennegligé an. Es bedeckt gerade so die wichtigsten Stellen. Ich schmiege mich an seine stählerne Brust. Überall sind Kerzen. Wir reden nicht, wir genießen einfach nur die Gegenwart des anderen. Nach kurzer Zeit schiebt er mich sanft, aber bestimmt von sich und nimmt mein Gesicht in seine Hände. Er sieht mir in die Augen, ich kann die Spannung fühlen. Langsam kommen sich unsere Gesichter näher. Er legt seine Stirn gegen meine und seine Hand in meinen Nacken. Zärtlich küsst er mich. Ich hebe meinen Arm und lege meine Hand auf seine Brust um seinen Herzschlag zu spüren. Aber da ist keiner. Eigentlich sollte ich verwirrt sein, aber ich spüre nur noch Lust. Er legt seinen anderen Arm um meine Taille und zieht mich verlangend an sich.
Ich stöhne leise auf. Mir läuft ein wohliger Schauer über den Rücken.
„Du bist so sexy, mia belva micini.“ Sanft legt er seine Lippen auf meine und wandert mit seinen Händen weiter runter. Er fasst unter mein Negligé und streichelt nur mit den Fingerspitzen über meinen Po, wo sich eine Gänsehaut bildet. Er grinst mich an, legt die Hände wieder auf meine Taille und drückt mich auf das Bett. Er sitzt zwischen meinen Beinen und legt einen Finger auf meine Lippen. Langsam streicht er mit dem Finger meinen Hals runter, an meinen Brüsten vorbei zu meinem Oberschenkel. Beide Hände legt er an die Außenseiten meiner Oberschenkel und schiebt den unnützen Stoff hoch, aber enthüllt noch nicht meine Brüste. Er beugt sich runter und küsst meinen Bauch entlang, dicht an meiner Fiore und zieht mir dann das Negligé über den Kopf.
„Du bist so schön.“ Nur noch im Slip liege ich vor ihm. Mein Herz rast, ich will ihn in mir. Er streichelt meine Brustwarze, bis sie hart ist. Dann beugt er sich über die andere, leckt sanft mit der Zungenspitze rüber. Sie wird ebenfalls hart. Grinsend schaut er mich an. Er weiß genau, wie man eine Frau verführt. Endlich knöpft er sein Hemd auf und öffnet seine Hose. Ich starre ihn atemlos an. Ein Traum von einem Mann.
Er zieht Hemd und Hose aus und ich kann durch die Shorts seinen Cazzo sehen. Ich weite die Augen und schlucke. Er beugt sich vor, bis seine Lippen meinen Bauch berühren und wandert mit dem Kopf küssend runter zu meiner Fiore. Seine Finger greifen nach meinem Slip und ziehen ihn runter. Dann küsst er meine Fiore. Mein Körper verbiegt sich vor Lust.
Nun zieht er seine Shorts aus, legt sich auf mich und sagt: „Lucia! Lucia, wach auf Mia ist am Tele-fon!“
Ich schrecke hoch.
„W-was?“, frage ich verwirrt.
„Mia ist am Telefon, habe ich gesagt. Hier, nimm.“, antwortet meine Mutter und reicht mir das Telefon.
„Hallo?“, frage ich, immer noch nicht ganz bei mir.
„Lucia, entschuldige das ich dich wecke.“, sagt Mia fröhlich.
Ich bemerke, dass ich geträumt habe. Ein Gefühl der Trauer, überkommt mich. „Schon okay, aber hättest du nicht zehn Minuten später anrufen können?“
„Wo ist da der Unterschied?“, fragt sie.
„Ich hätte in Ruhe zu Ende träumen können.“
Sie lacht. „Achso, es muss ein guter Traum gewesen sein. Erzähl!“
„Sei nicht immer so neugierig.“, antworte ich.
„Das ist mein Job, als beste Freundin.“, gibt sie lachend zurück. „Und jetzt erzähl!“
„Ich habe von… Fabio geträumt.“, sage ich zögernd.
„Etwas genauer, wenn ich bitte darf.“, fordert sie neugierig.
Ich seufze. „Es war ein sehr unanständiger Traum. Grade als es zur Sache gehen sollte, hast du angerufen.“
Plötzlich ruft sie laut aus: „Hab ich es doch gewusst, du stehst doch auf ihn. Du warst gestern mit ihm unterwegs, stimmt`s?“, fragt sie aufgeregt.
„Ja!“, sage ich.
„Alles klar, ich will alles wissen. Um zwei bei Starbucks?“
Ich willige ein und lege auf. Seufzend lege ich mich wieder hin. Mein Herz klopft wie wild, wenn ich an diesen Traum denke. Es war einfach perfekt. Er wusste genau, wie er mich berühren musste.
„Ach, man!“, sage ich enttäuscht. Zu gerne hätte ich zu Ende geträumt.
Ich schiebe die Bettdecke zur Seite und stehe auf. Ich gehe ins Bad um mir die Zähne zu putzen und zu duschen. Dann gehe ich in die Küche frühstücken. Meine Mutter sitzt am Tisch und trinkt einen Kaffee.
„Du musst gestern ziemlich kaputt gewesen sein. Ich musste dich umziehen und ins Bett legen. Was hast du gemacht?“, fragt sie.
„Ich war shoppen und dann bei Principino.“, antworte ich und nehme Pupetta, die um meine Beine streift, auf den Arm.
„Hast du den hübschen, jungen Mann, von vorgestern Abend getroffen?“, fragt sie neugierig.
Ich antworte genervt: „Ja, warum fragst du?“
„Schatz, ich will doch nur an deinem Leben Teil haben.“, sagt sie.
Ich lasse Pupetta wieder runter, nehme mir ein trockenes Brötchen und verziehe mich wieder in mein Zimmer. Dort angekommen, schalte ich meinen Laptop ein.
Ich setze mich davor und beiße von dem Brötchen ab. Als er sich hochgefahren hat öffne ich meinen Internetbrowser und öffne Google.
Ich weiß nach dem gestrigen Tag, deutlich mehr über Fabio. Vielleicht finde ich jetzt mehr.
Ich gebe ‘schnelle, hungerlose Wesen‘ ein und klicke auf Suche starten.
Natürlich gibt es wieder tausende Suchergebnisse und ich entscheide mich wieder wir das Erste.
Die Seite, die sich öffnet hat einen schwarzen, geheimnisvollen Hintergrund.
Die Überschrift lautet ‘Vampire im modernen Zeitalter‘.
Ich beginne zu lesen. „Alle die glauben, dass Geschichten von Vampiren nur Legenden sind, haben sich getäuscht. Sie existieren mitten unter uns. Ihr Nachbar oder Freund, jeder könnte einer sein.“ Ich ziehe die Nase kraus. Wer auch immer, das geschrieben hat, muss verrückt sein. Ich überspringe ein paar Zeilen und lese weiter.
„Sie fragen sich, wie man sie erkennt. Lassen Sie sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen. Vampire sind wunderschön und wirken auf uns sehr anziehend. Sie sind außerordentlich schnell und besitzen keinen Herzschlag.“
Ich muss an meinen Traum denken und erinnere mich, dass Fabio dort keinen Herzschlag hatte.
„Sie essen nie, denn ihre Nahrung ist Blut. Ihre Bewegungen sind anmutig und sie sind sehr stark. Meist haben sie eine auffällige Augenfarbe.“
Ich lese den Text bis zum Schluss und kann es nicht fassen. Wirklich jedes kleinste Detail, passt zu Fabio. Ich schlage die Hände vor den Mund. Das kann nicht sein. So etwas gibt es nicht.
Es gibt keine Vampire. Das ist unmöglich.
Ich schaue auf die Uhr und sehe, dass ich in einer Stunde mit Mia verabredet bin. Heute ziehe ich meine neue Jeanshotpants und das blaue Shirt dazu an. Dann schminke ich mich. Als ich damit fertig bin gehe ich in meinen Kleiderschrank und überlege welche Schuhe ich anziehe. Ich entscheide mich für meine blauen Pumps.
„Ich gehe zu Starbucks, bin dort mit Mia verabredet.“, rufe ich meiner Mutter zu und verlasse die Wohnung.
Das gelesene geht mir nicht aus dem Kopf. Auf dem Weg zu Starbucks führe ich im Kopf eine Diskussion mit mir selbst. Fabio kann kein Vampir sein. Aber alles was dort stand trifft auf ihn zu. Es ist aber unlogisch, jeder weiß, dass Vampire nur Legenden sind. Der Verfasser dieser Internetseite hat nicht alle Tassen im Schrank.
Aber warum würde mein sechster Sinn mich sonst vor ihm warnen? Er muss ja auf irgendeine Art gefährlich sein.
„Hey Lucia!“, ruft Mia und winkt mir zu. Ich gehe zu ihr.
„Hey!“, sage ich. Wir betreten das Café und gehen zum Tresen.
„Hallo, Ihre Bestellung bitte!“, sagt die Bedienung lächelnd.
Ich sage: „Ein Caramelfrappé, bitte.“
„Und einen Latte Macchiato.“, ergänzt Mia.
„Zahlen Sie zusammen oder getrennt?“, fragt sie.
„Getrennt.“, antworte ich.
Wir bezahlen, nehmen unsere Gläser und setzen uns draußen an einen freien Tisch.
„Na dann, erzähl mir alles.“, sagt Mia und schaut mich abwartend an.
Ich beginne ihr zu erzählen, dass er mich mit dem Auto verfolgte, mich beim Einkaufen begleitet und bezahlt hat. Ich erzähle, dass ich ihn mit zu Principino genommen habe und dass wir zusammen auf ihm geritten sind. Und natürlich erzähle ich von dem Kuss.
„Oh, Lucia!“, sagt Mia aufgeregt. „Ich wusste, dass er dich mag. Und gibst du ihm eine Chance oder willst du als alte Jungfer sterben?“, fragt sie lachend.
„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“, antworte ich wahrheitsgemäß.
„Wie du weißt es nicht?“, fragt sie. „Magst du ihn auch oder nicht?“
„Doch, ich mag ihn. Sogar sehr. Aber…“, ich spreche nicht weiter.
„Aber…?“
„Ach, ich weiß es nicht.“, sage ich.
Mia nimmt meine Hand. „Lucia, du hattest noch nie einen Freund, weil keiner wirklich zu dir gepasst hat. Aber du kannst doch nicht jeden abblitzen lassen. Fabio mag dich und du ihn. Versuch es mit ihm. Außerdem ist der Typ so heiß, wenn du ihn dir nicht schnappst, wärst du schön blöd.“
„Vielleicht hast du Recht.“, gebe ich zu.
„Natürlich habe ich Recht.“, antwortet Mia überzeugt und grinst.
Ich erzähle ihr nichts über meine Nachforschungen.
Ich spüre einen Blick im Rücken. ‘Fabio‘, denke ich und sehe mich um. Aber nicht Fabio beobachtet mich, sondern jemand anderes.
Ein paar Tische weiter sitzt ein Mann, ein verdammt gutaussehender Mann. Er sieht mich mit einem durchdringenden Blick an, steht auf und kommt zu uns rüber. Wie anmutig er sich bewegt.
„Hallo ihr Hübschen, darf ich mich zu euch setzen?“, fragt er und grinst mich frech an.
‘Gefahr‘, meldet sich meine innere Stimme. Seine Augen, sie haben ein auffälliges bernsteinfarben. Mia antwortet bevor ich reagieren kann. „Klar, du musst dir nur einen Stuhl holen.“
Ich trete ihr gegens Bein. „Was ist? Er ist heiß.“, sagt sie flüsternd.
Er stellt einen Stuhl an den Tisch und setzt sich. „Ich bin Noel.“, sagt er immer noch grinsend.
„Ich heiße Mia.“
Ich verdrehe die Augen und sage gar nichts.
„Und wie heißt du?“, fragt er an mich gewandt.
„Lucia.“, sage ich ohne aufzublicken.
„Schöner Name. Italienisch richtig?“
„Trinkst du nichts?“, antworte ich mit einer Gegenfrage.
Er lacht. „Nein, ich trinke keinen Kaffee.“
„Es gibt hier nicht nur Kaffee.“, antworte ich aufsässig.
„Ganz schön temperamentvoll. Das mag ich.“, grinst er mich an.
Ich stehe auf. „Ich gehe mich mal frisch machen.“
Mit dem Typen stimmt irgendetwas nicht. Diese Augen. Seine Bewegungen. Sein unnormal gutes Aussehen. Und trinken tut er auch nichts. Warum geht er in ein Café und trinkt nichts?
Die Beschreibung eines Vampirs, passt genauso perfekt auf ihn wie auf Fabio. Wen sie wirklich Vampire sind, warum tauchen sie ausgerechnet in meinem Leben auf? Ich sollte Mia nicht mit ihm alleine lassen. Ich trage mir noch schnell Lipgloss auf und gehe zurück.
Mia lacht aus vollem Herzen, als ich mich wieder setze.
„Du bist so lustig, Noel.“, sagt sie immer noch lachend.
Er grinst über beide Backen. Mia sieht mich an und beginnt zu reden. „Noel, hat mir gerade er-zählt,…“ Weiter kommt sie nicht.
„Lass gut sein Mia.“, unterbreche ich sie.
„Man Lucia, sei doch nicht immer so gereizt.“
„Ich bin nicht gereizt.“, erwidere ich zickig.
„Doch bist du.“, wirft Noel ein.
Ich schaue ihn aus zusammen gekniffenen Augen an. „Halt du dich daraus.“, zische ich.
„Siehst du.“, antwortet er.
„Du nervst.“, sage ich und wende mich meinem Frappé zu.
Plötzlich fährt ein Auto mit quietschenden Reifen und einem mörderischen Tempo, um die Ecke und hält vor Starbucks.
Es ist ein Ferrari.
„Fabio!“, murmele ich mit klopfendem Herz.
Ich stehe auf und gehe ihm entgegen. Er sieht ja so gut aus.
„Fabio“, sage ich, „was machst du denn hier?“
„Ich bin wegen dir hier.“, antwortet er und schaut wütend Noel an.
„Woher wusstest du, wo du mich findest?“, frage ich ihn überrascht.
Er sieht mir in die Augen. „Deine Mutter ist sehr gesprächig.“
Oh nein, meine Mutter hat ihn zu gelabert. Das ist so peinlich.
Er deutet auf Noel. „Was will er von euch?“
Ich schaue ihn verständnislos an. „Was will ein Typ von zwei Mädchen, die ohne Begleitung in einem Café sitzen, lass mich überlegen.“
„Ich verstehe“, sagt er und geht auf Noel zu. „Hi Mia!“, begrüßt er sie und schaut Noel an. „Würdest du bitte mal mitkommen?“
Noel steht auf. „Ladies, ich bin gleich wieder bei euch.“
Fabio und Noel laufen zu seinem Auto.
„Kennen die sich?“, fragt Mia verwirrt.
Ich zucke mit den Schultern. „Ich würde zu gerne wissen, über was sie reden.“
Ich sehe wie wütend und angespannt Fabio ist.
Nach ein paar Minuten kommen sie wieder. „Da bin ich wieder, meine Hübschen.“, sagt Noel und sieht mich grinsend an.
Fabio greift nach einem Stuhl, stellt ihn neben mich und setzt sich hin.
Ich schaue ihn fragend an, aber er reagiert nicht. Er lässt Noel nicht aus den Augen.
„Was habt ihr Hübschen, denn heute noch vor?“, fragt Noel.
„Eigentlich nichts Besonderes.“, antwortet Mia.
Noel schmunzelt. „Was haltet ihr davon, wenn wir zusammen zum See fahren?“
„Nicht viel!“, zischt Fabio.
„Warum nicht? Ich hätte Lust.“, sagt Mia.
Ich schaue sie an. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“
„Warum denn nicht? Es ist so warm, was sollen wir sonst machen?“
„Wir können auch gerne alleine gehen.“, sagt Noel an Mia gewandt.
Mia sieht verträumt Noel an. „Klar, ich bin dabei.“, haucht sie.
Ich kann sie nicht alleine gehen lassen.
„Dann komme ich auch mit.“, sage ich trotzig. „Wir treffen uns in einer halben Stunde hier wieder.“
Ich warte bis Mia nach Hause läuft, um ihre Badesachen zu holen und Noel sich verzieht. Dann sehe ich zu Fabio rüber. „Wer ist dieser Noel?“
„Wir sollten los, Badesachen holen.“, sagt Fabio.
„Lenk nicht vom Thema ab.“, antworte ich.
Er nimmt meine Hand und küsst sie. Mein Herz macht einen Sprung. „Ich werde es dir erklären, aber nicht jetzt, principessa. Jetzt fahren wir erst einmal zu dir und holen deine Badesachen.“
Ich widerspreche ihm nicht und steige ins Auto ein.
Als wir vor meiner Haustür halten, flitze ich schnell hoch. In Windeseile ziehe ich mich aus. Ich suche mir den schönsten Bikini raus und ziehe ihn an. Ich betrachte mich im Spiegel und zupfe den Bikini zurecht. Dann wird mir erst klar, dass ich heute Fabio Oberkörper frei sehen werde. Mein Herz fängt gleich wieder an zu klopfen. Ich nehme meine Strandtasche und packe frische Unterwäsche, meinen IPod, ein Handtuch, meine Sonnenbrille und etwas zu trinken ein.
Als letztes ziehe ich meine Flip Flops an und verlasse die Wohnung.
Fabio startet den Motor, als er mich kommen sieht. Ich steige ein und er fährt los. Zehn Minuten später, hält er vor einem nobel aussehenden Haus.
„Komm mit.“, sagt er und ich steige aus.
Ich folge ihm in den Hausflur. Er ruft den Fahrstuhl. Die Tür öffnet sich und wir steigen ein. Er drückt auf die vier und der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung.
„Du siehst heute mal wieder wunderschön aus.“, bringt er lächelnd hervor.
„Danke.“, murmele ich zurück.
Der Fahrstuhl hält, Fabio und ich steigen aus. Er schließt eine Tür auf und bittet mich herein.
„Nach dir, mia bella.“
Hier wohnt er also. Es ist eine schöne Wohnung und dafür das er ein Mann ist, erstaunlich hübsch dekoriert. Es hängen viele Bilder an der Wand, die bestimmt von berühmten Künstlern gemalt wur-den. Er geht ins Schlafzimmer und ich folge ihm. Warum hat er so ein großes Bett? Soviel Platz braucht er doch gar nicht. Ich setze mich auf die Bettkante und sinke ein.
„Wow, das ist ja ein Wasserbett.“, sage ich erstaunt.
„Ja“, antwortet er, „es ist echt bequem, aber für andere Dinge die man im Bett macht echt nicht zu gebrauchen.“
Ich spüre wie mir das Blut in die Wangen schießt. Er fängt an zu lachen und geht ins Bad um sich seine Badehose anzuziehen. Nach zwei Minuten kommt er wieder raus, schwingt sich seinen Rucksack über die Schulter und fragt: „Können wir?“
Wir fahren zurück zu Starbucks um Mia und Noel abzuholen. Sie warten schon und steigen ein. Dann geht es weiter zum See.
„Zu welchem See fahren wir?“, fragt Mia.
„Er ist außerhalb der Stadt, aber dafür der klarste See in der ganzen Umgebung!“, antwortet Fabio.
Noel unterhält sich die ganze Fahrt angeregt mit Mia, da ich ihm nur kurz angebundene Antworten gebe. Nach zwanzig Minuten kommen wir an. Als ich aussteige höre ich eine Stimme: „Lucia, komm zu mir.“
Ich sehe mich um. „Habt ihr das gehört?“
„Was denn?“, fragt Mia.
Ich runzele die Stirn. „Nichts, ist schon okay.“ Mia sieht mich besorgt an, aber sagt nichts.
Was war das? Anscheinend bekomme ich Halluzinationen.
Wir suchen uns einen sonnigen Platz und breiten unsere Handtücher auf den Boden aus.
„Wow, du hattest Recht, Fabio. Der See ist wundervoll.“, flötet Mia fröhlich.
Ich sehe mich um. Ich spüre die Anwesenheit einer großen Aura. Respekteinflößend, aber zugleich spüre ich, dass ich willkommen bin.
„Ja, ich weiß. Ich habe ihn vor kurzem erst entdeckt.“ Er lächelt ihr zu und zieht sein Shirt aus.
Wow, diese Muskeln, er muss so stark sein. Auf der Stelle seines Herzens hat er ein Tattoo. Es sieht aus wie eine Sonne, die in zwei Hälften geteilt ist, wie ein Ying und Yang Zeichen. Auf der linken Seite ist eine Fledermaus zu sehen und auf der Rechten ein Adler. Es scheint als würden sie kurz vor einem Kampf um Leben und Tod stehen.
Nun zieht auch Noel sein Shirt aus. Zwar hat er nicht so kräftige Oberarme oder einen so stark ausgeprägten Sixpack wie Fabio, aber sein Körper ist deswegen keineswegs weniger anziehend. Er wirkt trotzdem männlich, stark und sexy. Noel dreht sich mit dem Rücken zu uns und sucht in seinem Rucksack nach irgendetwas. Mir bleibt der Mund offen stehen. Auf seinem linken Schulterblatt, hat er genau dasselbe Tattoo wie Fabio. Was hat das zu bedeuten?
Noel dreht sich wieder zu uns. „Na los, meine Hübschen. Zieht euch aus und ab ins Wasser.“, sagt er und schaut mich mit seinem frechen Grinsen an.
„Was ist los, Noel? Hast du es so nötig, die beiden halbnackt zusehen? Wo ist dein gutes Benehmen geblieben?“, zischt Fabio gefährlich.
„Fabio, an einem See zieht man sich für gewöhnlich aus, das hat nichts mit nötig haben zu tun.“, erwidert Noel kopfschüttelnd.
Ich höre ein leises Knurren aus Fabios Richtung.
„Hört auf euch anzugiften, wir wollen einen schönen Tag verbringen.“, sagt Mia und verzieht ein Gesicht.
Noel schaut Mia verführerisch an. „Für dich gerne, meine Schöne.“
Jeder konnte sehen wie sie unter seinem Blick dahinschmilzt.
Um Mia auf den Boden zurück zu holen, wechsle ich das Thema. „Also ich weiß ja nicht was ihr macht“, sage ich und ziehe mein Shirt aus, „aber ich springe jetzt ins Wasser.“
„Oh ja, es ist so heiß.“, antwortet Mia und zieht sich ihr Sommerkleid über den Kopf. Ich schlüpfe noch schnell aus meiner Hose und wir rennen, ohne auf die Jungs zu warten lachend ins Wasser. Wir bespritzen uns gegenseitig mit Wasser und schreien bei der plötzlichen Kälte.
„Wartet auf mich, ihr schönen Meerjungfrauen.“, ruft Noel und rennt nun auch ins Wasser.
Aus trotz sage ich zu Mia: „Schnell Mia, wir müssen weg. König Triton will nicht, dass wir uns mit Menschen einlassen.“ Sie lacht, als ich untertauche um wegzuschwimmen und kommt mir hinterher.
Plötzlich hält mich etwas am Bein fest und zieht mich runter. Noel grinst mich unter Wasser an und drückt mich an sich. Ich mache mich von ihm los und wir tauchen beide auf.
„Mach das nie wieder, klar?“, zicke ich ihn an.
Er lacht. „Was denn hattest du Angst?“
„Weißt du was? Ich kann dich nicht leiden, also lass mich in Ruhe“, sage ich mit einem bösen Blick und dem Finger auf seiner Brust, „Und fass mich nie wieder an!“
Ich schubse ihn. Er stolpert und fällt zurück ins Wasser. Genervt setze ich mich ans Ufer. Fabio setzt sich zu mir.
„Hey, du wirst doch wohl an so einem schönen Tag nicht schlecht gelaunt sein, oder?“, fragt er lä-chelnd.
„Ich bin nicht schlecht gelaunt“, erwidere ich, während ich Noel und Mia beobachte, „nur ein biss-chen genervt.“
Er schaut mich von der Seite an. „Na was sitzen wir dann hier rum?“
„Fabio, was…was tust du?“, frage ich lachend, als er mich in seine Arme hebt und ins Wasser rennt.
Ich habe beide Hände um seinen Hals geschlungen und sehe zu ihm herauf. Er sieht zu gut aus.
Er reißt mich aus meinen schwärmenden Gedanken für ihn, indem er mich ins Wasser wirft.
Ich tauche lachend auf. „Das war nicht fair, ich hatte keine Chance mich zu wehren.“
„Die solltest du auch nicht haben.“, antwortet er grinsend.
Dann taucht er unter. Ich tu es ihm gleich und sehe wie er extrem schnell wegschwimmt. Da komm ich nie hinterher, denke ich, also tauche ich wieder auf. Wo schwimmt er denn hin?
Plötzlich taucht wieder Fabio vor mir auf. Wow, nass sieht sein Körper noch anziehender aus. Ich darf mich nicht von seinem Anblick durcheinander bringen lassen, das könnte peinlich für mich enden.
Er hält einen in allen Farben glänzenden Stein in der Hand.
„Den schenke ich dir. Er wird dich beschützen, aber nur wenn du ihn immer bei dir trägst.“ Er schaut mich ernst an.
„Danke.“, sage ich und nehme den Stein. „Ich lege mich ein bisschen in die Sonne.“
Er nickt und schwimmt zu Mia und Noel rüber. Ich lege mich auf mein Handtuch und betrachte den Stein. Merkwürdig, irgendwo habe ich so einen Stein schon einmal gesehen, aber wo?
Ich verstaue ihn in meiner Tasche, setze mir meine Sonnenbrille auf, schalte meinen IPod ein und stecke mir die Kopfhörer ins Ohr.
Sofort trällert Mariah Carey wieder los. Aber jetzt ist mir nicht nach ‘endless love‘. Ich schaue meine Lieder durch und schalte dann von Rihanna ‘only girl‘ ein. Leise singe ich mit, schließe die Augen und genieße die Sonnenstrahlen auf meiner nackten Haut. Als ich die Augen wieder öffne sitzt Fabio auf seinem Handtuch und beobachtet mich. Ich ziehe mir einen Stöpsel aus dem Ohr. „Was ist los?“
„Nichts. Ich höre dir nur zu. Du hast eine schöne Stimme.“, sagt er.
Ich werde rot. Eigentlich mag ich es überhaupt nicht vor Anderen zu singen. Und erst Recht nicht vor Fabio. Er beginnt zu lachen. „Warum wirst du rot? Ich meine das Ernst du singst ganz toll.“
„Ja, äh…danke.“ Mehr bringe ich nicht raus. Mia und Noel kommen aus dem Wasser und legen sich auf ihre Handtücher. „Jetzt ist es Zeit zu entspannen und zu brutzeln.“, sagt Mia außer Atem.
„Typisch Frau!“, antwortet Noel lachend.
„Ja da hast du Recht, aber was tut man nicht alles für die Schönheit.“, erwidert Mia grinsend.
Ich drehe mich auf den Bauch und schaue weg. Noel geht mir so auf die Nerven. Und Mia fällt natürlich voll auf ihn rein. Naive Mia, immer muss ich auf sie aufpassen. Ich stecke mir den zweiten Kopfhörer wieder ins Ohr und schalte von Alice Cooper ‘Poison‘ ein. Das wird mich erst einmal ablenken. Laut, rockig und einfach gut. Und irgendwie passt es zu mir und Fabio. Mia tippt mich an.
Ich ziehe einen Stöpsel aus dem Ohr und schaue sie fragend an. „Ich will mithören.“
Also reiche ich ihr den Ohrstöpsel und drehe meinen IPod lauter.
Sie verzieht ein Gesicht. „Mach mal was anderes an.“
„Warum?“, frage ich, „Das ist Kult.“
„Ja und uralt. Komm schon, mach was cooles an.“ Ich seufze und schalte um.
„Schon besser.“, sagt Mia fröhlich als sie den Beat von Katy Perry mit ‘Firework‘ hört und legt sich auf den Rücken.
„Baby you're a firework, come on let your colors burst “, trällert sie den Chorus mit. Dann legt sie sich auf den Rücken und genießt die Sonne.
Noel liegt ganz ruhig auf dem Rücken. Anscheinend ist er eingeschlafen.
Fabio hat ein Skizzenbuch vor der Nase und einen Bleistift in der Hand. Immer wieder wandert sein Blick von dem Buch zum See rüber. Er zeichnet. Ich wusste nicht das er zeichnet, woher auch? Aber jetzt hat er mich neugierig gemacht. Ich würde zu gerne sehen wie das Bild aussieht.
Fabio muss bemerkt habe, dass ich ihn beobachte, denn sein Blick wandert diesmal nicht zum See rüber, sondern zu mir.
Ertappt halte ich den Atem an. Er schmunzelt. „Willst du mal reinschauen?“
„Ja, sehr gerne.“, antworte ich und nehme ihm das Buch ab.
Ich blättere durch das Buch und sehe viele Bilder, eins schöner, als das Andere. Hauptsächlich malt er
Landschaften, aber es sind auch einige Bilder mit Tieren drauf dabei. Ich blättere weiter und bleibe
bei einem Bild, auf dem eine wunderschöne junge Frau zu sehen ist stehen. Diese Frau sieht aus als
käme sie aus einem anderen Zeitalter. Eine Maske verhüllt ihr Gesicht. „Wow!“, murmele ich.
Ich streichele mit den Fingern, über das Gesicht der jungen Frau. „Sie ist wunderschön.“
„Ja das ist sie wirklich. Du solltest sie ohne Maske sehen.“, sagt er schwärmend.
Ich spüre wie mich ein Gefühl der Eifersucht überkommt. Es gibt diese Frau wirklich? Und Fabio
schwärmt für sie? Das kann nicht sein. Wir haben uns geküsst. Er kann keine andere haben.
Ich schaue mir noch die restlichen Bilder an und gebe ihm sein Buch zurück.
„Du bist wirklich talentiert. Das sind ganz tolle Bilder.“, sage ich.
Er lächelt mich an. „Danke, ich weiß dein Lob zu schätzen.“
Noel richtet sich auf, kramt in seinem Rucksack und holt einen Volleyball raus. „So Leute, genug
gechillt. Lasst uns nochmal ins Wasser gehen.“
„Ja, ich komme mit.“, sofort hat Mia ihr Buch zur Seite gelegt und steht auf. „Komm Lucia, steh auf
und begib dich ins Wasser.“
„Eigentlich will ich jetzt nicht ins Wasser.“, erwidere ich.
Fabio steht auf. „Doch willst du, du weißt es nur noch nicht.“
Seufzend lege ich meine Sonnenbrille und meinen IPod zur Seite und stehe auf. Mia nimmt meine
Hand und zieht mich hinterher Richtung Wasser. Dieses Mal sind die Jungs vor uns im Wasser.
„Was ist los Fabio, wollen wir eine Runde Wasservolleyball spielen?“
Fabio kneift die Augen zusammen und sagt; „Wenn du verlieren willst?“
Noel lacht laut. „Das hatte ich eigentlich nicht vor.“ Er pritscht den Ball zu Fabio rüber. Fabio haut mit der Faust auf den Ball und er fliegt in extrem schnell zurück zu Noel, welcher den Ball, wie es aus-sieht, problemlos zurück pritscht. So geht es weiter. Mia und ich schauen uns an. Ich runzele die Stirn und sie zuckt mit den Schultern.
„Komm schon, Lucia. Bei drei rennen wir rein, okay?“
„Okay!“ Wir zählen zusammen runter.
„Eins, zwei, drei!“ Wir rennen los und springen dann mit dem Kopf zuerst ins Wasser.
Als ich wieder auftauche, halte ich Ausschau nach Mia, aber ich sehe sie nirgends. Plötzlich schwimmt
etwas zwischen meine Beine. Gerade als ich schreien wollte, taucht Mia unter mir auf und hebt mich
auf ihre Schultern.
„Mia, du kannst mich doch nicht so erschrecken.“, rufe ich und lache.
„Doch kann ich, pass mal auf.“ Sie wirft mich rückwärts von ihren Schultern und ich plumpse wieder
ins Wasser. Als ich auftauche stehe ich direkt vor Noel und unterbreche deren Spiel. „Hallo Schön-heit, freut mich dich zu sehen.“
Er lächelt mich so verführerisch an, dass ich mich nicht rühren kann. Noel ist wirklich ein sehr attrak-tiver Mann. Also wenn Fabio nicht wäre, könnte ich mir gut vorstellen mit ihm…
Was denke ich da eigentlich? Noel ist gefährlich, ich darf mich nicht von ihm einwickeln lassen. Schnell weiche ich einen Schritt zurück, drehe mich um und tauche unter. Dann schwimme ich zu Mia und schwimme diesmal zwischen ihre Beine. Aber Mia ist schneller. Gerade als ich mich halb aufgestellt halb, zappelt sie so rum, dass wir geradewegs wieder umfallen. Ich tauche auf und bespritze sie mit Wasser. „Verdammt beinahe hat es geklappt.“, sage ich lachend.
„Nee, nee Schätzchen. Da musst du schon schneller sein.“, gibt sie ebenfalls lachend zurück.
„Mia, bleib genauso stehen. Jetzt machen wir Dirty Dancing.“, rufe ich ihr zu.
Sie nickt mir zu. „Alles klar, ich halte dich.“
Ich gehe ein paar Schritte zurück. Dann renne ich auf Mia zu und springe. Sie greift mich an den Hüften und versucht mich hochzuheben. Und sie schafft es sogar die Arme durchzudrücken, aber das nicht länger als eine Millisekunde. Wir fallen beide um. Sofort tauchen wir auf und beginnen zu lachen. „Nochmal, aber jetzt versuchst du mich zu halten.“, sagt sie und geht einige Schritte zurück.
Sie rennt auf mich zu und springt. Ich fasse an ihre Hüften und versuche sie hoch zu heben, aber vergeblich. Mia fällt auf mich drauf und wir tauchen unter. Als wir wieder hochkommen, sagt sie: „Okay, ich glaube das wird nichts. Ich versuche nochmal dich hoch zu heben.“
„Gut, diesmal schaffen wir das.“, antworte ich voller Elan. Also gehe ich wieder mehrere Schritte zurück, nehme Anlauf und springe auf Mia zu. Aber auch diesmal schafft Mia nur ganz kurz mich zu halten. „Ich glaube, das schaffen wir nicht. Nicht das du schwer bist, aber so viel Kraft hab ich nicht.“, sagt sie. „Naja egal, beinahe hätten wir es doch geschafft.“, antworte ich grinsend.
„Fabio kann dich bestimmt halten.“, sagt Mia mit einem schelmischen Grinsen und laut genug, dass die beiden sie hören konnten.
„Kann sein.“, erwidere ich kleinlaut.
Fabio schaut mich an und lächelt. „Klar würde ich das schaffen.“
„Na dann, versucht es. Ich hol nur schnell mein Handy. Davon brauch ich ein Foto.“, ruft Mia beim weg laufen.
Sie kommt wieder und geht ungefähr knietief ins Wasser. „Na los, Aufstellung!“
Also stellt Fabio sich dort hin wo Mia zuvor stand und ich stehe ein paar Schritte von ihm entfernt.
„Bei drei!“, ruft Mia. „Eins, zwei, drei!“
Ich renne auf Fabio zu, springe, er fasst an meine Hüften und hebt mich in die Höhe. Und dort bleibe ich auch. Ich spanne meinen Körper an, damit ich nicht runterfalle.
„Ja, das sieht toll aus. Fabio schaffst du es dich seitlich zu mir zu drehen?“, fragt Mia.
„Klar, kein Problem. Halt dich fest da oben.“, sagt Fabio.
Wenn das so einfach wäre. Aber ich verkrampfe meinen Körper so stark, dass ich nicht falle.
„Das ist ein super Foto. Das muss ich nachher in Facebook reinstellen.“, flötet Mia fröhlich.
Fabio lässt mich wieder runter und lächelt mich an. „Das Bild sieht bestimmt klasse aus.“
Ich merke, dass ich rot werde. „Ja, bestimmt.“
„Mia zeig mal her das Bild.“, ruft Fabio ihr zu.
Wir gehen beide zu Mia und schauen uns das Bild an. Ich bin erstaunt, es sieht wirklich klasse aus.
„Du musst mir das Bild schicken.“, sagt Fabio.
„Ja, das machen wir gleich.“, antwortet Mia.
Wir gehen alle wieder zurück zu unseren Handtüchern. Fabio holt sein Handy raus und Mia schickt ihm das Bild. Plötzlich klingelt mein Handy.
Ich krame in meiner Tasche, finde mein Handy und nehme ab.
„Hallo?“
„Guten Tag, spreche ich mit Lucia Bariello?“, fragt sie Person am anderen Ende der Leitung.
„Ja. Wer ist denn da?“, antworte ich.
„Hier spricht Schwester Bäcker aus dem Apollo Krankenhaus. Ihre Mutter wurde vor ein paar Minu-ten eingeliefert. Sie hatte einen Autounfall. Sie ist schon im OP. Es tut mir leid, aber es sieht nicht gut aus.“
Ich reiße die Augen auf. „Ich komme sofort.“
„Was ist los Lucia?“, fragt Mia verunsichert.
„Meine Mutter wurde von einem Auto angefahren und liegt im Krankenhaus. Ich muss sofort hin.“
Wir springen alle auf und packen schnell unsere Sachen zusammen. Dann ziehen wir uns an, Fabio nimmt meine Sachen und wir gehen zum Auto.
„In welchem Krankenhaus ist sie?“, fragt Fabio.
„Im Apollo Krankenhaus.“, antworte ich atemlos. Bitte nicht. Mama bitte bleibe bei mir.
Mia kommt zu mir, sie merkt, dass ich wacklig auf den Beinen. Sie fasst mir um die Taille um mich zu stützen. „Es wird alles gut Schatz.“
Ich schaue sie an, mir läuft eine Träne über die Wange. Mia drückt mich an sich und zieht mich wei-ter. Wir steigen ein und Fabio fährt viel zu schnell und ohne Umwege zum Krankenhaus.
Dort angekommen, reiße ich die Tür auf und stürme ins Krankenhaus. An der Rezeption, bleibe ich stehen und bringe keuchend hervor: „Meine Mutter…Ich bin Lucia Bariello. Meine…“
Meine Stimme bleibt weg, aber die Schwester weiß sofort was los ist.
Als Mia, Noel und Fabio reinkommen sagt sie: „Sie müssen den Gang runter, dort ist ein Fahrstuhl. Fahren Sie in die zweite Etage und gehen nach rechts. Dort wenden sie sich an meine Kollegin Schwester Bäcker. Sie werden schon erwartet.
Ich renne los und die Anderen bleiben dicht hinter mir. In der zweiten Etage angekommen, sehe ich schon Schwester Bäcker und gehe auf sie zu.
„Sie müssen Frau Bariello sein. Sie und Ihre Freunde können gerne in die Cafeteria gehen und dort warten. Wenn es was Neues gibt, gebe ich Ihnen sofort Bescheid.“
„Nein, ich will zu ihr. Sorort.“
„Das geht jetzt noch nicht. Sie ist noch im OP. Sie müssen sich gedulden.“
Ich schüttele nur den Kopf dann fasst Mia mir an die Schultern und sagt: „Schatz, sie hat recht. Lass uns etwas essen gehen und dort warten. Komm.“
Also gehen wir in die Cafeteria. Mia holt uns beiden eine Portion Pommes mit Schnitzel. Die Jungs essen nichts. „Iss Lucia. Du musst etwas essen.“, sagt Mia.
Ich stochere in meinem Essen rum und beiße ab und zu von einer Pommes ab. Ich höre den dreien kaum noch zu, ich denke nur noch an meine Mutter. Was ist, wenn sie von mir geht? Und mich alleine lässt? Sie darf einfach nicht gehen. Warum musste es gerade sie treffen? Ich brauche sie doch, wo ich meinen Vater nicht habe. Sie ist hier meine einzige Familie. Wenn sie weg ist bin ich ganz allein.
Ich weiß nicht wie lange ich meinen Gedanken nach gehangen haben muss, aber nun sehe ich Schwester Bäcker auf mich zu kommen. „Doktor Martens, erwartet sie im Zimmer Ihrer Mutter. Folgen Sie mir.“
Wir stehen auf und folgen ihr wieder nach oben. Vor der Tür, bleiben alle stehen und ich gehe alleine rein. Ich sehe meine Mutter, die künstlich beatmet wird auf einem Bett liegen zwischen Geräten die piepen und Schläuchen durch welche Medikamente in ihren Körper gepumpt werden. Doktor Martens steht neben ihrem Bett und schaut mich an. „Hallo Frau Bariello. Es tut mir sehr leid, aber ich fürchte ihre Mutter wird nie wieder aufwachen.“ Er legt eine Hand auf meine Schulter. „Sie liegt im Koma. Sie hat mehrere innere Verletzungen, die langsam und nur sehr schwer verheilen…“ Mehr von seinem Ärztegelaber verstehe ich nicht, aber eins ist sicher. Mama, du wirst schlafen. Für immer. Warum tust du mir das an?
„Mehr konnten wir nicht für sie tun. Es tut mir leid.“ Ich stehe am Rand des Bettes und nehme ihre Hand. Doktor Martens stellt mir einen Stuhl ans Bett und sagt: „Ich lasse sie dann mal alleine. Wenn sie etwas brauchen, drücken sie diesen Knopf.“ Er deutet auf ein Telefon, auf einen roten Knopf. „Schwester Bäcker wird dann sofort für sie da sein.“ Dann zieht er sich zurück. Ich setze mich und schaue meiner Mutter ins Gesicht. „Mama, es tut mir so leid. Es tut mir so leid, dass ich immer so gemein zu dir war und das ich versucht habe dich aus meinem Leben auszuschließen. Mama es tut mir alles so leid, ich hoffe du kannst mich hören. Ich habe dir das Leben so schwer gemacht, es tut mir so leid.“ Die Tränen laufen mir in Strömen übers Gesicht und ich küsse ihre Hand. Dann lege ich meinen Kopf auf ihren Bauch und schlinge die Arme um sie. Und weine. Ich weine lange, aber ir-gendwann kommen keine Tränen mehr. Ich bleibe einfach nur liegen und schließe die Augen, meine Mutter in meinen Armen. Irgendwann kommt Schwester Bäcker ins Zimmer und sagt: „Frau Bariello, es ist spät. Sie sollten jetzt erst einmal nach Hause gehen und schlafen. Sie können morgen wieder kommen.“ Sie legt den Arm um mich und führt mich aus dem Zimmer. Draußen sitzt Fabio auf einem Stuhl, er stützt seinen Kopf mit seinen Händen, seine Ellbogen ruhen auf seinen Oberschenkeln. Als er mich sieht, steht er sofort auf. Er kommt auf mich und Schwester Bäcker zu, um mich zu stützen.
Ohne ein Wort zu sagen bringt er mich zu seinem Auto. Er hilft mir beim einsteigen. Dann steigt er selber ein und startet den Motor. „Wo sind Mia und Noel?“, frage ich mit dünner Stimme.
„Ich habe sie nach Hause gebracht und bin dann wieder gekommen um auf dich zu warten.“, antwortet er.
„Wie spät ist es?“
„Es ist gleich Mitternacht.“ Ich drehe mich weg und schaue aus dem Fenster. Mehr sprechen wir nicht. Nach einer Weile halten wir vor meiner Haustür. Wir steigen aus, Fabio nimmt meine Tasche und kommt wieder zu mir um mich zu stützen. So gehen wir hoch und ich schließe die Tür auf.
Pupetta kommt lauthals maunzend auf mich zu, hört jedoch gleich wieder auf. Sie merkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Die arme kleine. Sie hat bestimmt großen Hunger. Ich gehe in die Küche, greife in ihren Futterschrank und gebe ihr eine Tüte Nassfutter. Dann gehe ich ins Bad und putze mir die Zähne. Als ich fertig bin gehe ich in mein Zimmer und Fabio folgt mir. Ich gehe in meinen Kleiderschrank, ziehe mir ein seidenes Nachthemd über und gehe wieder raus. Fabio schaut mich mit offenem Mund an. „Ich glaube, ich geh dann jetzt besser.“
„Nein, bitte. Lass mich jetzt nicht alleine.“, sage ich.
Er sieht meinen verzweifelten Blick und nickt. Ich lege mich in mein Bett. Fabio setzt sich neben mich auf das Bett und nimmt mich in seine Arme. Er streichelt mir über mein Haar und mir laufen wieder die Tränen über die Wangen. Ich beginne zu schluchzen. „Pschsch. Weine nicht mia Bella. Versuch zu schlafen.“, flüstert er und drückt mich fester an sich. Seine Stimme beruhigt mich sehr und es dauert nicht lange und ich bin eingeschlafen.

Kapitel 4




„…it was only just a dream. So I travel back, down that road. Will she come back? No one knows. I realize, yeah, it was only just a dream…”, schrillt mein Wecker los. Ich vergrabe meinen Kopf unter meinem Kissen und strecke den Arm aus um den Wecker auszuschalten. Dann fällt mir wieder ein, was passiert ist. Ich richte mich auf und schaue mich um. Mama! Ich muss zu ihr. Wie spät ist es? Halb sieben. Ich muss zur Arbeit. Aber ich muss so schnell wie möglich zu ihr. Vielleicht hat meine Chefin Verständnis. Hoffentlich. Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. Ich weiß noch nicht mal was genau passiert ist. Oh Mama. Vielleicht könnte ich irgendetwas tun. Ich könnte versuchen sie zu heilen. Darüber steht etwas in dem Buch. Ich könnte… Nein. Das kann ich nicht. Vielleicht mache ich einen Fehler und meine Mutter stirbt. Das Risiko ist zu hoch. Ich bin so unerfahren. Wenn ich es doch nur irgendwie lernen könnte.
Ich steige aus meinem Bett und gehe ins Bad. Dort putze ich mir die Zähne und steige unter die Dusche. Als ich fertig bin ziehe ich mir meinen Bademantel an und gehe in die Küche, wo Fabio auf mich wartet. Auf dem Küchentisch stehen frische Brötchen, Belag und eine Tasse warmer Kakao.
Ich setze mich. „Guten Morgen. Wie geht es dir?“
„Es geht schon, danke.“ Ich nehme mir ein Brötchen und schneide es in zwei Hälften. Fabio beobachtet mich sagt aber nichts mehr. Dann nehme ich mir eine Scheibe Käse, lege sie auf eine Brötchenhälfte und beiße ab. Aber ich merke sofort, dass mir schlecht wird. Also lege ich die Brötchenhälfte wieder zurück und schiebe den Teller von mir.
„Du musst etwas essen.“, sagt Fabio.
„Ich hab keinen Hunger und außerdem wird mir davon schlecht.“
Er sieht mich besorgt an, während ich einen Schluck von dem Kakao nehme. Pupetta kommt in die Küche gelaufen und springt auf meinen Schoß. „Hey, mein Schatz.“
Ich kraule sie hinter den Ohren und sie beginnt dankbar zu schnurren. Ich trinke meinen Kakao aus. Dann hebe ich Pupetta von meinem Schoß und gebe ihr was zu fressen. Die ganze Zeit spüre ich Fabios Blick im Rücken. Er macht sich Sorgen um mich, das ist echt süß von ihm. Aber ich sage nichts und gehe ins Bad um mich zu schminken. Danach ziehe ich mir ein rotes Top und einen Jeansrock an. Ich packe alles zusammen, was ich für die Arbeit brauche und gehe zurück in die Küche.
„Ich muss jetzt zur Arbeit.“, sage ich zu Fabio.
Er mustert mich von oben bis unten. „Du siehst toll aus. Ich bringe dich gerne hin.“
„Danke.“, antworte ich.
Wir gehen runter zum Auto und fahren los. „Willst du nachher wieder ins Krankenhaus gehen?“
„Ja.“, erwidere ich.
„Ich begleite dich, wenn du willst.“
Ich schaue ihn an. „Das ist lieb von dir. Aber ich glaube ich muss erst einmal ein bisschen alleine sein. Entschuldige.“
Ich spüre, dass ihm meine Antwort nicht recht ist, aber er sagt es nicht.
„Das ist okay. Ich kann das verstehen.“
Dann kommen wir bei der Tierarztpraxis an. „Danke, für alles. Für alles was du für mich getan hast.“ „Das ist doch selbstverständlich.“, antwortet er.
„Nein, ist es nicht. Ich weiß das sehr zu schätzen.“ Ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange, steige aus und verschwinde in die Praxis ohne mich noch einmal umzublicken.
„Guten Morgen.“, rufe ich.
„Morgen Lucia. Wir haben heute eine Menge zu tun.“, antwortet meine Chefin.
Ich gehe ins Büro und ziehe mir meine Arbeitskleidung an. Dann gehe ich ins Behandlungszimmer.
„Unser erster Patient, müsste sofort kommen.“ Da öffnet sich die Tür und eine ältere Frau, kommt mit ihrer Katze rein.
„Guten Morgen, Frau Schulz. Kommen Sie doch gleich ins Behandlungszimmer.“
Frau Schulz tritt mit ihrer Katze ein. Sie erzählt meiner Chefin, Frau Lehmhagen, was mit ihrer Katze nicht stimmt. Dann stellt Frau Lehmhagen eine Diagnose und behandelt das Tier. Der Katze geht’s besser und Frau Schulz zieht dankbar ab. So läuft es die ganze Zeit. Die Leute kommen mit ihren Tieren, sie werden behandelt und sie gehen wieder. Die ganze Zeit, muss ich Medikamente, Spritzen oder spezielle Geräte zur Behandlung der Tiere holen, aber ich bin heute nicht ganz bei der Sache und bringe oft die falschen Sachen. Eine große Hilfe bin ich heute nicht, denn meine Gedanken sind die ganze Zeit bei meiner Mutter. In der Mittagspause spricht Frau Lehmhagen mich an: „Lucia, was ist los mit dir? Du bist total unkonzentriert. So viele Fehler wie heute hast du noch nie gemacht. Stimmt irgendwas nicht?“
Ich sitze vor einer Schüssel Cornflakes, die Frau Lehmhagen oft für uns kauft weil sie die so gerne isst. Ich starre nur auf die Cornflakes. „Ich fühl mich nicht besonders.“
„Das merke ich. Du wirst doch nicht krank, oder?“, fragt sie fürsorglich.
„Nein, machen Sie sich keine Sorgen. Es hat nichts mit meiner Gesundheit zu tun.“
Jetzt runzelt sie die Stirn. „Lucia, ich sehe doch, dass etwas nicht in Ordnung ist. Du kannst immer mit mir reden.“
Nun schaue ich auf und mir laufen wieder die Tränen über die Wangen.
„Meine Mutter…“, weiter komme ich nicht, denn ich beginne hilflos zu schluchzen. Frau Lehmhagen kommt zu mir und nimmt mich in den Arm.
„Och Schätzchen, weine doch nicht. Was ist denn mit deiner Mutter?“
„Sie- sie hatte einen Unfall…und…sie liegt im Koma. Die Ärzte glauben nicht das sie jemals wieder aufwacht.“
„Das kann doch nicht…oh Lucia, das tut mir so leid. Warum hast du mir das denn nicht schon früher gesagt? Ich will dich heute und auch den Rest der Woche hier nicht sehen, okay? Unter diesen Um-ständen kannst du nicht arbeiten. Kann ich irgendetwas für dich tun?“
„Nein, der einzige der das könnte ist Gott“, schluchze ich und schaue zu ihr hoch, „Und alleine lassen kann ich Sie mit der ganzen Arbeit auch nicht. Es ist so viel zu tun.“
„Also wirklich, um mich brauchst du dir am wenigsten Sorgen machen. Ich schaffe das schon. Geh nur ich werde mir für die Tage schon Hilfe suchen.“
Ich weiß nicht was ich sagen soll, deshalb antworte ich nur: „Danke. Ich danke Ihnen.“, Dann erhebe ich mich, um mich um zu ziehen.
„Ach, das ist doch nichts. Wenn du jemanden zum Reden brauchst, ich bin für dich da, okay?“
„Ja, das mache ich. Nochmal danke.“, sage ich und nehme meine Tasche.
Meine Chefin sieht mich mitfühlend an. „Kein Problem. Mach’s gut.“
„Tschüss.“, verabschiede ich mich und verlasse die Praxis.
Ich laufe gleich zur S-Bahn und fahre ins Krankenhaus zu meiner Mutter. Als ich davor stehe, bleibt mir der Atem weg. Ich habe Angst, davor sie wieder so zu sehen.
Aber ich muss zu ihr, also gehe ich rein und fahre direkt nach oben. Dort gehe ich zu Schwester Bä-cker.
„Hallo.“, begrüße ich sie.
„Oh, hallo Frau Bariello.“
Ich schaue sie erwartend an. Sie merkt, dass ich wissen will, ob es was Neues gibt. Sie schüttelt den Kopf. „Ich habe keine erfreuenden Neuigkeiten für Sie. Es tut mir leid, an dem Zustand Ihrer Mutter hat sich nichts geändert.“
Ich seufze. Was habe ich auch erwartet? Das sie fröhlich in ihrem Bett liegt und jeden Arzt anbaggert, der nach ihr schauen geht? Natürlich hat sich nichts verändert.
„Können sie mir erzählen, wie das passiert ist?“, frage ich zurückhaltend. Ich weiß nicht ob ich das wirklich wissen will, aber ich muss einfach.
„Ein Hirsch. Ein großer Hirsch ist auf die Autobahn gelaufen und sie wollte ausweichen. Dadurch ist sie in den Graben neben der Autobahn gefahren und hat sich mehrere Male überschlagen.“
Ich schlage die Hände vor den Mund. „Danke.“ Ich drehe mich um und gehe zu ihr ins Zimmer. Sie liegt genauso wie gestern in ihrem Bett. Man sieht, dass sie sich nicht bewegt hat. Mir kommen wieder die Tränen. Ich nehme mir einen Stuhl und stelle ihn an ihr Bett. Dann setze ich mich und schaue meiner Mutter ins Gesicht. Sie ist wirklich eine sehr hübsche Frau. Die Schönheit hab ich wohl von ihr geerbt. Oh Mama, wenn du nur wieder aufwachen würdest.
Die ganze Zeit sage ich kein Wort. Ich bin einfach nur bei ihr, ich hoffe sie spürt meine Anwesenheit. Mama, du bist nicht alleine.
Doch nach einer Weile, macht sich mein Magen bemerkbar. Ich schaue auf die Uhr. Schon nach zwei. Und bis jetzt habe ich kaum etwas gegessen. Also mache ich mich auf den Weg in die Cafeteria.
Ich schaue auf die Tafel um zu sehen, was es gibt. Spaghetti Gorgonzola. Wenigstens etwas Leckeres.
„Einmal Spaghetti Gorgonzola, bitte.“
„Zweifufzisch, macht dit.“, antwortet die Bedienung genervt.
Sie hat Glück, das ich andere Probleme habe, denn sonst hätte ich ihr ein paar Takte erzählt. Aber ich gebe ihr einfach das Geld, nehme den Teller und Besteck und setze mich an den nächstbesten Tisch.
Ich rolle ein paar Spaghetti mit der Gabel auf und schiebe sie mir in den Mund. Nach zwei weiteren Bissen wird mir schlecht. Mit dem noch fast, vollem Teller, gehe ich zurück zur Kasse und Stelle ihn auf den Abräumwagen. Die unhöfliche Alte schaut mich grimmig an, aber soll sie doch denken was sie will. Interessiert mich ‘nen feuchten Keks.
Als ich im Zimmer meiner Mutter ankomme, sehe ich einen Arzt, der über meine Mutter gebeugt ist und zwei Schwestern, die hektisch seine Anweisungen befolgen. Er ruft laut die Worte ‘Weg bleiben!‘ und ich sehe wie der Körper meiner Mutter zuckt. Ich sinke auf die Knie, Mama bitte bleib bei mir.
Schon wieder ruft der Arzt, weg bleiben und schon wieder zuckt ihr Körper. Mir laufen die Tränen in Strömen über die Wangen. Du darfst nicht sterben, jetzt doch noch nicht.
Ein drittes Mal, schießt ein Stromschuss durch den Körper meiner Mutter.
Und plötzlich beginnt eines der Geräte zu piepen. Und wieder. Das piepen wird regelmäßiger. Sie haben es geschafft.
Schwester Bäcker kommt auf mich zu. „Frau Bariello, sie müssen jetzt gehen.“
„Nein, nein, ich will zu ihr!“, rufe ich aufgebracht.
„Sie müssen gehen, wir müssen uns um sie kümmern. Bitte kommen sie morgen wieder.“
Sie zieht mich mit sich aus dem Zimmer und bringt mich zum Fahrstuhl. Ich steige ein und fahre run-ter. Dann verlasse ich das Krankenhaus. In Tränen aufgelöst, laufe ich zur S-Bahn. Die Leute schauen mich fragend, verwirrt und verständnislos an. Sie können ja nicht wissen, was ich wirklich durchmachen muss. Es ist mir egal.
Ich steige in die S-Bahn und steige, zwanzig Minuten später an meiner Haltestelle aus. Dann laufe ich nach Hause. Zu Hause angekommen renne ich die Stufen rauf und gehe in die Wohnung. Ich gehe in mein Zimmer und schaue in den Spiegel. Ich sehe furchtbar aus.
Also schminke ich mich ab. Dann lege ich mich auf mein Bett. Aber nach ein paar Minuten merke ich, dass es keine gute Idee ist hier rum zu liegen. Ich muss mich ablenken. Principino. Ja ich werde mich ablenken gehen. Ich springe vom Bett und ziehe mir schnell eine Leggings und ein langes, enganliegendes, weit ausgeschnittenes Shirt an. Dann meine Turnschuhe und Chaps. Nachdem ich damit fertig bin nehme ich meine Umhängetasche und packe die wichtigsten Sachen ein. Mein Handy und mein Portemonaie. Als ich nach meinem Labello in meiner Arbeitstasche krame, fällt mir etwas anderes in die Hand. Ich hole es raus und betrachte es. Es ist der glänzende Stein, den Fabio mir geschenkt hat. Wie kommt der denn da hin? Er sagte ich soll ihn immer bei mir tragen. Also packe ich ihn und den Labello ein. Dann renne ich aus der Wohnung. Ich hole mein Fahrrad aus dem Keller und radele los. Nach zehn Minuten komme ich bei Principino an. Ich schließe mein Rad an und gehe in den Stall.
Als Principino mich sieht wiehert er erfreut. Ich öffne die Box ich falle ihn um den Hals.
„Hallo mein Schöner, ich hab dich vermisst.“
Er scharrt mit dem Huf, als wolle er sagen, dass es ihm genauso ging. Dann stupst er mit seinem Kopf gegen meine Schulter.
„Mein Süßer, dass du immer merkst, wie ich mich fühle. Ich brauche jetzt einfach nur einen langen Ritt. Komm mein Hübscher.“
Er kommt mir hinterher raus auf die Weide. Dort ist Janina, die Stallbesitzerin.
„Hey Janina.“, sage ich.
„Hallo Lucia, wie geht’s dir?“, fragt sie gut gelaunt.
Ich lächele sie mit einem aufgesetzten Lächeln an: „Mir geht’s super. Danke der Nachfrage.“
Schnell sattele ich Principino, lege ihm sein Zaumzeug an und steige auf.
Janina öffnet das Tor, damit wir raus können. „Na denn, wünsch euch viel Spaß.“
„Danke.“, antworte ich und wir galoppieren los.
Principino pest über die Feldwege. Ich liebe es den Wind in meinen Haaren und auf meinem Gesicht zu spüren. Wir galoppieren noch eine ganze Weile so weiter ohne das Tempo zu zügeln. Es tut uns beiden gut, es beruhigt mich und befreit meinen Geist von allen Sorgen, zumindest für eine Zeit lang und Principino kann endlich seine angestaute Energie raus lassen, ich weiß das er es liebt so zu rennen. Nach einiger Zeit kommen wir an eine sandige Strecke. Ich sehe Reifenspuren im Sand. Scheint als würden ein paar Jugendliche hier mit ihren Motocross Motorädern lang fahren.
Naja, dann wird diese Strecke jetzt halt für uns umfunktioniert.
„Los mein Hübscher, zeig was du kannst.“ Sofort galoppiert Principino los. Es gibt viele Unebenheiten im Sand, aber Principino sieht diese als Herausforderung. Hier und da, macht er ein paar Freudensprünge über etwas größere Sandhügel und ich versuche nicht ihn zu zügeln. So ist es am schönsten, wenn er wild und ungestüm durch die Gegend rennt. Plötzlich höre ich hinter uns Motorgeräusche. „Hab keine Angst mein Prinz, lauf so schnell du kannst.“
Und genau das macht er auch. Aber ich höre, dass sich die Motorgeräusche rasch nähren. Schon fährt der Typ mit seinem Motorrad neben uns. Er kommt mir bekannt vor, aber ich kann ihn nicht richtig erkennen, da er eine Sonnenbrille trägt.
Ganz frech winkt er mir zu. Principino merkt sofort, dass der Typ mich nervt und wird davon ange-spornt, noch schneller zu rennen. Doch abhängen können wir ihn nicht. Ein Stück weiter vor uns ist ein ziemlich breiter Bach, vor dem eine Schanze steht. Na mal sehen ob er sich das traut. Ich lasse Principinos Zügel locker und greife in seine Mähne.
„Prinz, da vorne hängen wir ihn ab, gib alles.“
Er wiehert zur Antwort und legt noch etwas an Tempo zu. Aber der Typ auf seinem Motorrad gibt auch Gas, er wird doch nicht wirklich dort rüber springen wollen?
Wir kommen dem Bach immer näher, aber er macht keine Anstalten abzubremsen. Kurz vor der Schanze gibt er Gas und Principino zieht mit. Und dann springen wir. Es fühlt sich an als würden wir fliegen. Wir kommen drüben an und Principino bäumt sich auf.
„Ja, mein Hübscher. Du bist der Beste.“, rufe ich lachend.
Dann halte ich Ausschau nach dem Motoradtypen. Auch er ist auf der anderen Seite des Baches angekommen und steigt gerade von seinem Motorrad ab. Er kommt auf mich zu.
Mein sechster Sinn, warnt mich vor ihm. Wer ist er?
Nun steht er vor uns und setzt seine Sonnenbrille ab.
„Was? Du? Was machst du denn hier?“, frage ich verwundert.
„Dasselbe wie du, schätze ich. Spaß haben.“
Noel bedenkt mich mit einem frechen Grinsen, welches jedoch schnell einem Blick der Sorge wich.
„Wie geht es dir?“
Ich schaue zur Seite. Davon will ich gar nicht sprechen. „Es geht schon.“
„Wirklich?“, fragt er und er klingt wirklich besorgt.
„Ja klar. Themawechsel, bitte.“
Er schaut, als würde er sich selber Ohrfeigen wollen. „Klar, natürlich. Entschuldige.“
„Mach dir keine Gedanken.“, antworte ich und steige von Principino ab.
Noel tritt neben mich. „Ein Friesenpferd. Das sind wundervolle Tiere, soviel Kraft und Power. Gehört er dir?“
„Ja.“ Ich nehme Principino sein Zaumzeug ab, damit er grasen und trinken kann und gehe zum Bach um das Gebiss abzuspülen. Ich höre das Noel flüstert: „Die hast du ja schon immer geliebt.“
Ich tue so, als hätte ich ihn nicht gehört. Was meint er damit? Seltsamer Typ. Ich sollte vielleicht doch etwas vorsichtiger sein. „Darf ich vorstellen? Das ist Principino, Er hat mein Herz im Sturm erobert.“ Principino wiehert vor Freude.
Noel beginnt zu lachen. „Das kann ich verstehen. Bei so einem wunderschönem Tier, würde jeder sein Herz verlieren.“
Ich setze mich ins Gras neben dem Bach. Noel setzt sich zu mir.
„Ich würde dir gerne ein bisschen Gesellschaft leisten, wenn es dir nichts ausmacht.“
Eigentlich sollte ich verneinen, aber dieser Typ hat meine Neugierde geweckt. Ich muss herausfinden was er, mit dem was er sagte, meint.
„Klar, vielleicht ist Gesellschaft gar nicht so schlecht. Na dann erzähl mal. Du fährst Motorrad, ja? Ist es nicht eigentlich verboten, hier zu fahren?“
Er lacht. „Erwischt. Ja, eigentlich ist es verboten, aber Gesetze sind da um sie zu brechen, oder nicht?“
Ich schmunzele. „Das sagt man zumindest.“
„Außerdem gibt es hier niemanden der sich beschweren kann.“, sagt er.
„Da hast du wohl Recht.“, antworte ich.
„Weißt du was der Nachteil daran ist? Oft kommen hier Idioten her, mit denen man sich lieber nicht anlegen sollte.“ Er grinst und spricht weiter: „Du solltest hier nicht allein unterwegs sein.“
Principino schnaubt. „Du hast es gehört, ich bin nicht alleine unterwegs.“
Er lächelt. „Ja stimmt. Trotzdem glaube ich, es ist besser für dich, dass wir uns getroffen haben.“
„Wieso, denkst du etwa du wärst eine große Hilfe?“, frage ich frech.
„Ja, das denke ich.“, antwortet er selbstsicher.
Ich sehe ihn skeptisch an. „Achja, und warum das?“
„Sagen wir, ich habe mir einen gewissen Respekt verschafft.“
Jetzt bin ich neugierig. „Wie das denn?“
„Glaub mir, irgendwann wirst du es wissen, aber jetzt noch nicht.“, antwortet er geheimnisvoll.
„Jetzt bin ich verwirrt. Warum noch nicht jetzt?“, frage ich.
Er lächelt. „Es ist einfach noch nicht an der Zeit.“
Ich sehe ihn herausfordernd an. „Ich werde dich nerven, bis du es mir sagst.“
„Egal was du machst, ich werde es dir nicht sagen. Aber bitte versuch es doch.“
„Noel, sag es mir. Ich will es wissen. Warum machst du mich erst neugierig, aber erzählst es dann nicht. Das ist unfair.“, sage ich verärgert.
Er beginnt zu lachen. „Du bist süß.“
„Süß!“, ich verziehe ein Gesicht. Ich gebe es auf.
Wir schauen beide aufs Wasser. Nun keiner sagt was. Ich schiele heimlich zu Noel rüber. Er sieht wirklich sehr gut aus. Seine Haare stehen, durch den Fahrtwind, ziemlich ungestüm von seinem Kopf ab. Aber das lässt ihn frech und wild wirken. Wie ein Krieger oder Abenteurer, der vor nichts zurückschreckt. Irgendwie sexy. Der Gedanke lässt mein Herz höher schlagen. Er bemerkt meinen Blick und sieht mich mit seinem verführerischen Lächeln an. „Was ist los?“
Ich schnappe nach Luft. „Nichts, ich-äh, versuche nur aus dir schlau zu werden.“
„Warum willst du das denn?“, fragt er schmunzelnd.
„Weil…es ist merkwürdig, aber ich finde dich heute viel netter als gestern. Ich kann dir nicht sagen, woran das liegt.“
„Du bist heute auch viel netter als gestern.“, sagt er grinsend.
Principino stupst mir gegen die Schulter. „Ich glaube, er will weiter.“
„Gute Idee, ich kenne eine gute Strecke, mit vielen Hindernissen.“
Principino wiehert erfreut. „Okay, zeig sie uns.“
Ich stehe auf, lege Principino sein Zaumzeug an und steige auf. Noel setzt seine Sonnenbrille auf und startet sein Motorrad.
„Los, mein Hübscher.“, rufe ich und wir galoppieren los.
Noel gibt Gas und fährt ein Stück vor uns. Nach kurzer Zeit sind wir in einem Wald angekommen. Wir stehen an einem Weg. Es geht bergab, dort sind viele Graben und Baumstämme auf dem Weg. Vor jedem Hindernis sind kleine Holzschanzen. Die haben sich hier eine richtig coole Strecke gebaut. Principino kann kaum noch still halten. Noel sieht mich über den Rand seiner Sonnenbrille an.
„Dann wollen wir mal.“ Er grinst und gibt Gas. Ich sehe, wie er die ersten Hindernisse mit Bravour meistert. Ziemlich cool. Aber das können wir auch. „Bist du bereit, mein Süßer?“
Er gibt mir ein Schnaufen als Antwort. „Na dann los.“, rufe ich.
Principino wiehert und rennt los. Er springt über einen Baumstamm und gleich danach über einen Graben. Es ist wundervoll. Er gibt alles was er kann. Er nimmt jedes Hindernis mit. Keines lässt er aus. Ich sehe, dass der Weg vor uns zu Ende ist. Dort ist ein Abhang, über den wir springen können. Ich merke, dass Principino fest entschlossen ist es zu tun. Wir werden es schaffen. Ich lasse wie vorhin die Zügel locker und greife in seine Mähne. Principino legt noch einen Zahn zu und dann springt er.
„Jihaaa!“, rufe ich. Wir kommen drüben an und Principino wiehert vor Freude. Vor uns kommen noch ein paar Hindernisse, die für uns kein Problem darstellen. Dann kommen wir am Ende der Strecke an, wo Noel schon auf uns wartet. Er grinst mich frech an.
„Das war der Wahnsinn.“, rufe ich glücklich.
„Ich weiß, ich wusste, dass es euch gefällt.“, erwidert er.
Wir lachen beide. Ich klopfe Principino auf den Hals. „Ich glaube, wir sollten uns ein schönes Plätz-chen suchen, wo wir uns etwas ausruhen können.“
„Okay, dann los.“
Wir galoppieren los. Noel fährt neben uns. Plötzlich höre ich eine Stimme in meinem Kopf.
„Lucia, komm zu mir!“, flüstert sie. Ich bringe Principino zum Stehen. Noel bremst sofort ab.
„Was ist los? Willst du dich hier ausruhen?“, fragt er.
Schon wieder so eine Stimme. „Nein.“ Die Stimme in meinem Kopf sagt: „Wende dich nach rechts. Du kennst den Weg. Komm zu mir.“
„Was hast du vor? Wo willst du hin? Da ist nichts, außer Bäume.“, sagt Noel.
Ich führe Principino weiter in diese Richtung. „Doch, da ist etwas. Ich spüre es. Komm mit.“
Ich lasse Principino in die Richtung galoppieren. Noel ist dicht hinter mir. Es muss ziemlich schwer für ihn sein hier sein Motorrad unter Kontrolle zu halten. Die Stimme meldet sich: „Lucia, du kennst den Weg.“ Ich sehe mich um. „Hier ist nichts Lucia, lass uns zurückgehen.“
„Doch, irgendetwas…“, ich spüre einen Windzug und sehe in die Richtung aus der er kam, „Ich kenne den Weg. Los, komm!“ Wir kommen immer näher. Und auf einmal…
Eine riesige Wiese. Überall sind bunte Blumen und nicht weit von uns entfernt ist ein kleiner See. Es ist wunderschön.
„Wow, ich kenn mich aus in diesen Wäldern, aber das hier ist mir neu.“, sagt Noel erstaunt.
Er sieht mich an und beginnt zu lachen. „Man, wie krass ist das denn? Woher wusstest du das?“
„Weiblicher Instinkt.“, antworte ich gebannt.
„Damit brauchst du mir nicht kommen. Du kennst die Wiese, hab ich recht, du willst mich nur verführen.“, er zwinkert mich sexy über den Rand seiner Sonnenbrille an.
Ich erröte und sage verärgert zur Verteidigung: „Ich bin genauso wie du zum ersten Mal hier. Eine Stimme in einem Kopf, sie... ach vergiss es einfach.“
Er sieht mich verwundert an, aber versucht seine Verwunderung mit einem Lachen zu überspielen.
Ich hätte das nicht sagen dürfen, ich bin so unvorsichtig. Mist, entweder denkt er jetzt ich bin Ver-rückt oder vielleicht zieht er daraus andere Schlüsse. Das war nicht gut.
Ich führe Principino zum See, Noel folgt uns. Ich steige ab und nehme ihm wieder sein Zaumzeug ab.
Er beginnt zu trinken und ich lehne mich gegen ihn und sehe auf den See. Ich spüre wieder die Ge-genwart etwas großem, wie am See gestern. Es ist wunderschön hier. Ich setze mich neben Principino ins Gras. Noel setzt sich neben mich. Ich krame in meiner Tasche und hole mein Handy raus. „Hast du Lust auf ein bisschen Musik?“
„Klar, wieso nicht.“, antwortet er.
Ich mache von Usher ‘DJ got us fallin in love‘ an.
Wir schauen aufs Wasser. Plötzlich springt ein Frosch aus dem Wasser, er trägt etwas in seinem Mund. Er lässt es fallen und hüpft schnell wieder weg. Ich betrachte was der Frosch liegen ließ. Es ist ein Stein, ich greife nach ihm. Es ist genauso ein Stein, wie Fabio mir gestern geschenkt hat. Also haben der See gestern und dieser Ort etwas gemeinsam. Irgendetwas ganz Besonderes ist an diesem Ort. Aber was ist es nur? Was verbirgt sich hier?
Ich hole den anderen Stein aus meiner Tasche, ich halte beide in den Händen und betrachte sie.
„Also warst du doch schon einmal hier, der Stein hat dich verraten.“, sagt er grinsend.
„Nein, Fabio hat mir diesen hier gestern am Strand geschenkt. Er hat ihn dort gefunden. Ich habe noch nirgendwo solche Steine gesehen. Noel dieser Ort ist etwas Besonderes.“
Noel sieht mich etwas ernster an. „Wie lange kennst du Fabio?“
„Ein paar Tage erst. Aber was geht dich das was an?“, frage ich verunsichert.
„Nichts. Es hat mich nur…interessiert.“, antwortet er.
Ich sehe ihn an. „Weißt du Noel, du bist wirklich gar nicht so blöd wie ich dachte. Ich glaub ich mag dich sogar ein bisschen. Um ehrlich zu sein, du hast mir den Tag gerettet.“
Er lächelt. „Ja, ich denke ich mag dich auch. Und es freut mich das du durch mich einen schönen Tag hattest.“
Das Lied ist zu Ende und das nächste beginnt zu spielen. Usher featuring Alicia Keys ‘My boo‘.
Ich nehme das Handy und will weiterschalten, doch Noel hält mich auf.
„Lass es an, dass ist eins meiner Lieblingslieder.“
„Wirklich? Es ist auch eines meiner Lieblingslieder“, antworte ich überrascht.
Usher beginnt zu singen: „There’s always that one person that will always have you’re heart.
You never see it coming cause you’re blinded from the start.”
Ich sehe, dass Noel die Lippen zum Text mitbewegt. Ich schmunzele. „Sing ruhig laut. Das wird be-stimmt lustig.“
Er sagt lachend: „Okay, dann pass mal auf.“
Der Vers von Usher beginnt und Noel singt mit:
„Do you remember girl I was the one who gave you you’re first kiss.
Cause I remember girl I was the one who said put your lips like this.”
Ich glaube es nicht. Er hat eine wunderschöne Stimme. Ich bekomme am ganzen Körper eine Gänsehaut. Er singt dieses Lied, als wäre es seine Geschichte.
„Even though we use to argue it’s alright.
I know we haven’t seen each other in a while.
But you will always be my boo”
Ich sehe ihn überrascht an. Und ich weiß nicht was genau mich dazu verleitet hat, aber ich tue es einfach. Das erste Mal, dass ich einfach so vor jemanden beginne zu singen.
„I was in love with you when we were younger you were my.
When I see you from time to time as if you’re like.
You can see it no matter how I try to hide.”
Noel sieht mich erfreut an. Und lauscht weiter, als der Vers beginnt.
„Yes I remember boy cause after we kissed, I can only think about your lips
Yes I remember boy the moment I knew, you where the one I could spend my life with”
Ich singe den Vers zu Ende und sehe Noel an. „Das war der hammer, wir sind ein super Duett. Viel-leicht sollten wir in eine Castingshow gehen. Sie würden uns lieben.“, sagt er.
„Es hat so einen Spaß gemacht. Ich hätte nicht gedacht, dass du so gefühlvoll singst. Ich hatte Gänsehaut.“, erwidere ich aufgeregt.
„Ich hätte es auch nicht geglaubt, wenn ich nicht ich wäre.“, antwortet er grinsend. „Ich wusste, von Anfang an, dass du singen kannst.“
„Das kannst du gar nicht gewusst haben.“, sage ich.
„Hab ich aber.“
Man ist der der Typ verwirrend. „Naja, wenn du meinst.“ Ich sehe zum Sonnenuntergang.
„Ich habe schon ewig nicht mehr vor jemanden gesungen. Das fühlt sich gut an“
Noel sieht zu mir. „Ich singe immer alleine zu Hause, beim Klavier spielen.“
„Das muss wunderschön klingen. Kannst du auch dieses Lied spielen?“, frage ich.
„Klar.“ Zu gerne, würde ich mit zum Klavier singen. Es ist so befreiend, es raus zulassen.
„Also, wenn du Lust hast…“, setzt er an. Ich unterbreche ihn. „Oh nein, du und ich alleine bei dir zu Hause? Keine gute Idee, glaube ich.“
„Ich würde nichts machen was du nicht willst, versprochen.“, sagt er schelmisch lächelnd. Aber genau das ist es ja. Ich traue mir selber nicht.
„Ich würde mich freuen, wenn du ja sagst.“, sagt er.
„Noel“, ich hole Luft, „besser nicht.“
„Warum denn nicht? Hast du Angst, dass du mir nicht wiederstehen kannst?“, fragt er frech grinsend.
Empört gebe ich zurück: „Wie kann man nur so arrogant sein?“
„Das ist keine Arroganz, sondern ein gesundes Selbstbewusstsein.“
Ich beginne zu lachen. „Oh Noel, du bist echt einmalig.“
„Wäre auch schlimm, wenn nicht.“, antwortet er.
Schon komisch. Gestern konnte ich mit ihm und seiner Art nicht viel anfangen. Heute sitze ich mit ihm zusammen im Gras und lache über seine Späße. Er hat wirklich Humor. Irgendwie schafft er es mir sein Machogehabe gut zu verkaufen. Er wirkt sogar recht sympathisch.
Principino wiehert. „Was ist los Prinz, ist dir langweilig?“, frage ich.
„Ich könnte mit ihm eine Runde drehen, ich bin ewig nicht mehr geritten.“, sagt Noel.
Principino scharrt als Bestätigung mit dem Huf.
„Du kannst reiten?“, erstaunt sehe ich ihn an.
„Ich bin damals nur geritten, aber Zeiten ändern sich und da bin ich auf Motorräder umgestiegen.“
Ich stehe auf und lege Principino sein Zaumzeug an. „Bitte, aber sei vorsichtig, Principino ist sehr stürmisch“
Er lächelt. „Umso besser.“ Er steigt auf. Ohne abzuwarten galoppiert Principino los. Aber Noel hält sich erstaunlich gut auf ihm. Das hätte ich nun wirklich nicht gedacht.
„Lucia, endlich sind wir allein.“
„Was?“, erschrocken sehe ich mich um. Wieder diese Stimme, die mich gerufen hat.
„Habe keine Angst, Kind. Ich spüre du hast viele Sorgen. Deiner Mutter geht es sehr schlecht. Es verändert sich viel in deinem Umfeld und du bist verwirrt. Aber du bist nicht alleine. Wir werden dich führen.“
Ich sehe immer noch in alle Richtungen. „Wer wir?“
Plötzlich entsteht in der Mitte des Sees ein Strudel und über ihm entsteht ein zierlich schimmernder Schatten, in Gestalt einer wunderschönen Frau. Mir bleibt der Mund offen stehen.
„Wir sind die heiligen Geister der Seen und Meere. Du bist hier an meinem Schrein. Man nennt mich Maylea. Nicht jeder kann uns hören und finden. Du bist etwas Besonderes Lucia und zu etwas großem bestimmt. Aber zuerst müssen wir deiner Mutter helfen. Wenn es ihr nicht gut geht, geht es dir nicht gut.“
Entgeistert sehe ich die Frau an. „Du kannst meiner Mutter helfen?“
„Nein, mein Kind. Aber du kannst es, du weißt es.“
„Ich?“, frage ich zögernd. Dann schüttle ich entschlossen den Kopf. „Nein, das kann ich nicht. Wie sollte ich das anstellen?“
„Wir haben nicht viel Zeit, dein Freund wird gleich zurück sein. Du kannst es, Lucia. Du musst es nur wirklich wollen. Sieh da hinein.“ Sie deutet auf den See. Ich sehe auf die Spiegelglatte Wasseroberfläche, wo sich plötzlich Bilder bewegen. Ich sehe mich selbst in einem Kampf verwickelt. Um mich herum eine Schar Soldaten die mich im Kampf unterstützen. Ich bin völlig unbewaffnet, denn ich brauche keine Waffen. Ich bin eine mächtige Hexe. Mit heftigen Druckwellen stoße ich die Gegner von mir und das mit nur einer Handbewegung. Außerdem spreche ich mächtige Zauber aus, die Feuer oder Eis beschwören. Damit setze ich weitere Gegner außer Gefecht. Wir gewinnen den Kampf, doch es gibt einige Tote und Verletzte. Ich knie mich neben einem stark verwundeten Soldaten und halte meine Hände über seinen Körper. Meine Augen sind geschlossen und ich murmle einen Zauber. Dabei bewegen sich meine Hände über die verwundeten Stellen. Ein eigenartiges Licht strömt aus den Wunden und sie beginnen sich zu schließen. Die Bilder erlöschen.
„Ist das meine Zukunft?“, frage ich voller Ehrfurcht.
„Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit… nenn es wie du willst. Aber du musst wissen, es steckt in dir. Du bist eine Hexe und du kannst deiner Mutter helfen.“
Erstaunt sehe ich sie wieder an. „Woher weißt du das alles?“
„Wir wissen alles, mein Kind. Und unsere Aufgabe ist es, dir zu helfen und dich zu führen. Du hast einen langen, steinigen Weg vor dir. Aber nur du kannst es vollbringen. Das ist deine Bestimmung.“
„Was muss ich vollbringen?“, frage ich verblüfft.
„Du wirst es früh genug erfahren, mein Kind. Jetzt ist keine Zeit, du weißt wo du zu suchen hast. Höre auf dein Herz, dann wird sich dir der richtige Weg offenbaren. Wir sind an deiner Seite, aber du musst daran glauben. Und nun geh und hilf deiner Mutter, Kind.“
„Warte, ich habe noch so viele Fragen.“, doch sie verblasst vor mir und an Stelle des Strudels dreht sich die Wasseroberfläche nur noch ein bisschen. Hinter mir höre ich Princpino mit Noel an galoppieren.
„Wow, der hat ja wirklich ganz schön speed drauf. Ich hab ganz vergessen wie viel Spaß es macht zu reiten.“, ruft Noel lachend. Dann sieht er mich an. „Ist irgendwas nicht in Ordnung?“
Ich sehe zu ihm auf. „Nein, nein. Es ist alles okay.“
„Nach okay sieht das aber nicht aus.“, er sieht nun besorgt aus.
„Es ist nur… Meine Mama. Ich- ich muss ihr helfen.“ Ich springe auf und steige auf Principinos Rü-cken.
„Lucia, warte. Du kannst nichts für sie tun, gesteh es dir ein, sonst machst du dich nur selbst kaputt. Die Ärzte geben ihr Bestes deiner Mutter zu helfen.“, sagt Noel währenddessen er auf sein Motorrad steigt.
„Du irrst dich Noel, ich bin die Einzige die ihr helfen kann.“, sage ich und reite los.
Noel fährt mir hinterher. Wir reiten durch den Wald zurück zu dem Weg, woher wir gekommen sind, vorbei an der Hindernisstrecke. Weiter über den kleinen Bach, wo wir uns getroffen haben und zurück zum Stall. Vor dem Tor steige ich ab und öffne es. Principino geht schon von alleine rein. Noel folgt mir in den Stall. Ich nehme ihm den Sattel vom Rücken und befreie ihn vom Zaumzeug. Dann bringe ich ihn in seine Box. „Gute Nacht, mein Hübscher. Wir sehen uns bald wieder.“ Ich küsse ihn auf die Schnauze und er wiehert zum Abschied.
Dann verlasse ich den Stall.
„Was hast du vor Lucia?“, fragt Noel.
„Ich muss nach Hause.“, antworte ich und schließe mein Fahrrad ab.
Er steigt wieder auf sein Motorrad und sagt: „Dann begleite ich dich noch bis dahin.“
„Das ist nicht nötig, Noel.“ Ich steige aufs Rad.
„Doch ist es. Ich bin keiner von den Männern, die eine Frau wie dich alleine im Dunkeln nach Hause gehen lassen würde.“, erwidert er frech.
„Wie charmant.“, sage ich. Seine Worte schmeicheln mir, aber ich lasse es ihn nicht wissen.
Ich radele los, nach Hause. Nach kurzer Zeit kommen wir vor meinem Haus an. Noel trägt mein Fahrrad für mich in den Keller und bringt mich nach oben zur Haustür.
„Danke fürs bringen Noel.“, sage ich.
„Das ist Ehrensache.“ Wir sehen uns sekundenlang schweigsam an. Dann unterbreche ich die Stille und sage: „Ähm… Ich geh dann mal besser rein.“
„Ja, ja. Du solltest reingehen.“, er lächelt mich zaghaft an, „Lucia, du sollst wissen, dass ich die Zeit mit dir wirklich sehr genossen habe.“
Ich hole Luft. „Ja, wir hatten viel Spaß. Es war wirklich schön.“
„Vielleicht können wir das mal wiederholen.“, antwortet er.
Ich schlucke und öffne die Tür. „Vielleicht. Komm gut nach Hause, Noel.“
„Das werde ich. Schlaf schön.“, sagt er und wendet sich zum Gehen. Ich schließe die Tür. Puh, das war mal wieder eine völlig unpassende Situation. Wir haben uns doch nur zufällig getroffen, sonst wäre es gar nicht so weit gekommen. Aber wenn wir das wiederholen, dann wäre es ja ein Date. Ein Date mit Noel… Naja, er sieht wirklich sehr gut aus und seine freche Art ist irgendwie anziehend.
Ich habe jetzt keine Zeit um mir darüber den Kopf zu zerbrechen, das muss ich verlegen. Maylea sagte, dass ich weiß wo ich suchen muss. Meine erste Vermutung ist das Buch über Hexen. Ich gehe in mein Zimmer und krame in der Schublade, in der ich das Buch versteckt habe und hole es raus.
„Was ist das denn?“ In meiner Hand halte ich ein großes, dickes Buch mit einem dunkelbraunen Einband, auf welchem ein seltsames Symbol abgebildet ist. Es ähnelt einer Lilie. Das verstehe ich nicht, wie kommt das anstelle meines Buchs? Ich öffne das Buch. Die erste Seite ist leer. Ich blättere weiter aber auch alle anderen Seiten sind nicht beschrieben. Was hat das zu bedeuten? Wie soll ich meiner Mama helfen können, wenn hier nichts drinsteht? Ich wusste ich kann es nicht. Maylea hat sich geirrt. Mir kommen die Tränen. Erst macht man sich Hoffnungen und dann ein Schlag ins Gesicht. Dran glauben, dass ich nicht lache. Ich stopfe das Buch frustriert zurück in die Schublade. Dann stelle ich mich unter die Dusche. Ich lasse das warme Wasser über meinen Körper laufen, bis meine Tränen versiegen. Danach putze ich mir die Zähne und lege mich ins Bett. Pupetta springt aufs Bett und legt sich neben mich. Ich lausche ihrem gleichmäßigen Atem und schlafe ein.

Kapitel 5




Schweißgebadet wache ich am nächsten Morgen auf. Ich habe von dem Kampf geträumt, den Maylea mir gestern gezeigt hat. Nur hat es sich nicht wie ein Traum angefühlt. Ich war mittendrin und habe meinen Verbündeten zum Sieg verholfen. Mächtige Zauber habe ich beschworen. Es hat sich so echt angefühlt. Ich habe die Wärme des Feuers und die Kälte des Eises gespürt. Ich habe den Schmerz gespürt, der mir durch die Klingen meiner Gegner zugefügt wurde. Und ich habe die Leben dreier Soldaten gerettet, die mir im Kampf tapfer zu Seite standen. Aber am wichtigsten, ich habe diese ungewohnt starke Kraft in meinem Körper gespürt. Es war erschreckend, doch zugleich war es überwältigend. Ich fühlte mich so stark, wunderschön und entschlossen zu siegen.
Ich sehe auf die Uhr. Kurz vor sechs. Da kann man schon mal ausschlafen, aber wacht trotzdem so früh auf. Ich atme nochmal tief durch bevor ich aufstehe.
Das war unglaublich, ich habe mich noch nie so selbstbewusst gefühlt. Schade das es nur ein Traum war. Wenn ich so stark wäre, wäre es ein Leichtes Mama zu helfen. Wie werde ich nur so stark?
Ich muss daran glauben… Das tu ich doch! Oder etwa nicht? Ich weiß das ich vielleicht dazu in der Lage wäre meine Mutter zu heilen, ich weiß nur nicht wie. Wie soll ich das herausfinden? Grübelnd steige ich unter die Dusche und mache mich fertig. Ich ziehe mir ein rotes knielanges Sommerkleid an. Dann gehe ich in die Küche und schmiere mir ein Toast mit Schokocreme. Ich beiße ein paarmal ab und schmeiße es dann weg. Mir wird wieder schlecht. Ich fülle ein Glas mit Wasser und trinke es mit einem Zug aus, um den Geschmack weg zu kriegen. Plötzlich klingelt das Telefon. Ich nehme ab: „Hallo?“
„Lucia?“, fragt Mia.
„Ja?“ Ich höre wie sie erleichtert aufatmet. „Schatz, geht’s dir gut?“
„Den Umständen entsprechend, würde ich sagen.“, antworte ich.
Hektisch beginnt sie zu plaudern. „Als es schon kurz vor Mitternacht war konnte ich nicht länger warten, deswegen hat Fabio uns nach Hause gebracht. Ich wollte dich gestern auf dem Weg zu Arbeit anrufen, aber dann hatte ich mein Handy vergessen. Und als ich dann zu Hause war habe ich versucht dich zu erreichen, aber du bist nicht rangegangen und dein Handy war aus.“
„Mia, beruhige dich. Es ist okay. Mach dir keine Sorgen.“, sage ich und versuche locker zu klingen.
„Oh, es ist so schrecklich was passiert ist. Willst du vielleicht ein paar Nächte bei mir verbringen? Du solltest nicht alleine sein.“
Schnell überlege ich mir eine Ausrede. „Mia, wirklich es geht mir gut. Ich komme klar. Außerdem bin ich nicht alleine Pupetta ist da.“
„Du kannst sie mitbringen, ich bin sicher in dieser Situation machen meine Eltern eine Ausnahme.“, bringt Mia hervor.
„Das- geht nicht, Maus. Es ist wirklich okay so. Ich kann so besser nachdenken.“
„Schatz, ich hab heute wieder einen langen Tag, aber wenn was ist ruf mich an. Ich bin für dich da okay? Ich rufe dich wenn ich wieder zu Hause bin an. Ich muss jetzt los. Bye.“
Ich lege auf. Mia ist immer so aufgedreht. Aber sie meint es nur gut. Wie auch immer, es muss einen Weg geben meiner Mutter zu helfen. Wenn ich daran glaube, finde ich den Weg. Ich gehe wieder in mein Zimmer und krame nochmal das Buch hervor. Doch die Seiten sind nach wie vor leer.
Was mache ich jetzt? Wie fange ich am besten an? Mein erster Gedanke ist das Internet. Also schalte ich meinen Laptop ein und öffne den Browser.
Ich gebe ‘Heilungszauber‘ ein, weil mir nichts Besseres einfällt. Nach wenigen Sekunden spuckt er mir tausende Suchergebnisse aus und ich durchstöbere mehrere Links. Doch das meiste ist alles nur Blödsinn und hilft mir nicht weiter. Nachdem ich alle Suchergebnisse auf den ersten drei Seiten durchforstet hat, werde ich fündig. Naja, ich habe die erste nützliche Information gefunden. Es ist ein Forum. Jemand hat die Frage gestellt, ob es so etwas wie Hexen wirklich gibt. Es gibt viele Antworten wie ‘So ein Schwachsinn, allein schon der Gedanke ist hohl ;) ‘ oder ‘Ich hab noch eine gesehen, also gibt es auch keine‘.
Jedoch eine unter diesen Antworten hat meine Aufmerksamkeit erregt.
‘Vor zwei Jahren, hat mir eine Freundin eine Hellseherin empfohlen. Aus Neugierde bin ich zu ihr gegangen. Alles was sie mir vorausgesagt hat, ist eingetroffen. Bevor sie mir meine Zukunft vorausgesagt hat, ist sie kurz in ein Hinterzimmer gegangen. Im Raum waren viele merkwürdige Kräuter und Gegenstände, die ich mir angeguckt habe. Dann hat es gescheppert. Ich bin zu Tür des Hinterzimmers gegangen, um zu sehen ob, alles okay ist. Und dann sehe ich wie vor der Hellseherin, die Scherben einer Vase in der Luft schweben und sich selbständig zusammenfügen. Das war schon ziemlich gruselig, deswegen habe ich nicht nachgefragt. Aber ich finde das könnte man schon als hexen bezeichnen :) ‘ .
Ich muss diese Frau treffen. Glücklicherweise hat jemand gefragt wo diese Hellseherin zu finden ist. Es ist hier in Berlin. Ich muss dahin fahren.
Ich notiere mir die Adresse und schalte dann den Laptop aus. Ziemlich weiter Weg von hier aus, aber das ist mir egal. Schnell packe ich alles was ich brauche in meine Tasche und verlasse die Wohnung.
Die letzten Meter zum Bahnhof muss ich rennen. Gerade als die Türen schließen, schlüpfe ich noch schnell in die Bahn. Ich suche mir einen freien Platz und setze mich.
Meine Gedanken schweifen von meiner Mutter, zu der Hellseherin und dann zu Noel.
Er will mich wiedersehen. Mein Herz schlägt höher. Das sollte es nicht tun. Ich sollte gar nicht an ihn denken. Aber gestern war es wirklich sehr schön mit ihm zusammen zu sein. Aber warum so plötz-lich? Ich konnte ihn doch überhaupt nicht leiden. Ich bin wahrscheinlich, durch diesen Vorfall über-emotional. Das legt sich bestimmt, wenn es Mama besser geht.
Ja, so wird es sein. Er sieht wirklich gut aus, aber er ist gar nicht mein Typ.
Und dann ist da ja auch noch Fabio. Er war die ganze Nacht bei mir, als es geschah. Darüber habe ich noch gar nicht wirklich nachdenken können. Wir haben schon zusammen geschlafen.
In meinem Bauch machen sich Schmetterlinge breit. Ja, Fabio ist wirklich mein Typ. Er ist so stark, bei ihm fühle ich mich sicher. Und seine Augen ziehen mich immer in seinen Bann. Er hat so wunderschöne Augen. Ihn würde ich wirklich gerne wiedersehen, aber wie kann ich ihn erreichen? Gar nicht. Zwar weiß ich wo er wohnt, aber einfach bei ihm auftauchen will ich nicht. Ich hoffe wir treffen uns bald wieder.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als wir am Hauptbahnhof sind und ich aussteigen muss. Zügig laufe ich zum nächsten Gleis. Nach kurzer Zeit kommt die Bahn und ich steige ein. Ich fahre nur ein paar Stationen, dann muss ich in den Bus umsteigen. Mit diesem fahre ich ungefähr zehn Minuten. Als ich aussteige, orientiere ich mich an den Hausnummern. Ein paar Häuser weiter stehe ich davor. Es ist völlig unscheinbar, die Schaufenster sind mit schwarzen Stoffen bedeckt. Nirgendwo ist ein Hinweis darauf, um was für einen Laden es sich handelt. Lediglich ein kleines Schild an der Tür mit Öffnungszeiten ist zu finden. So ein Mist, von achtzehn bis zwanzig Uhr. Warum denn so spät?
Ich krame in meiner Tasche und sehe auf mein Handy. Grad mal halb zehn.
Was mache ich jetzt? Auf dem Rückweg zur Haltestelle beschließe ich erst einmal ins Krankenhaus zu fahren. Ich setze mich in den Bus und fahre zurück zum Bahnhof. Von dort fahre ich mit der Bahn durch, bis zum Krankenhaus. Wie vorhin, denke ich über Fabio und Noel nach.
Beide tragen ein großes Geheimnis mit sich, das weiß ich. Ich bin mir aber irgendwie nicht ganz sicher ob ich es wirklich wissen will. Was wenn sich meine Vermutung wirklich bewahrheitet?
Das würde alles verändern. Vielleicht ist es gar nicht so unwahrscheinlich. Wenn es Hexen gibt, dann kann es genauso gut andere mystische Wesen geben.
Ich steige aus der Bahn aus und laufe zum Krankenhaus. Dort angekommen fahre ich nach oben und begrüße Schwester Bäcker. „Hallo.“
„Guten Morgen Frau Bariello. Ihre Mutter ist nun wieder stabil, aber ihr Zustand hat sich nicht verändert.“, sagt sie mit traurigen Blick.
Ich nicke und gehe zum Zimmer meiner Mutter. Mehrere Minuten stehe ich einfach nur neben ihrem Bett und sehe in ihr Gesicht. Dann rege ich mich und ziehe einen Stuhl heran. Ich nehme ihre Hand. „Du hast immer gesagt ich soll es einfach vergessen und es bloß nie gebrauchen. Es tut mir leid Mama, aber ich muss es tun. Ich muss dich heilen, ob du es willst oder nicht. Ich brauche dich zu sehr, um es nicht zu tun. Ich liebe dich Mama.“, sage ich unter Tränen.
Ihre Hand an meine Wange legend rede ich weiter: „Und du musst durchhalten, bis ich so weit bin Mama. Versprich mir, dass du kämpfen wirst und mich nicht verlässt und ich verspreche dir, dass ich mein Bestes gebe und dich ganz schnell wieder Gesund mache.“
Lange sitze ich so da und weine. Immer wieder sage ich ihr, dass sie durchhalten soll und durchhalten muss. Dass sie mich nicht im Stich lassen darf. Aber nach einer halben Stunde, versiegen meine Tränen.
Mein Wille sie zu heilen, ist gerade gewachsen und ich kann nicht mehr tatenlos rumsitzen. Ich gebe Mama einen Kuss auf die Stirn und gehe aus dem Zimmer.
„Tschüss.“
„Tschüss Frau Bariello.“, antwortet Schwester Bäcker.
Schnell verlasse ich das Krankenhaus und gehe zum Bahnhof. Ein paar Stationen weiter steige ich aus. Nach kurzer Zeit stehe ich vor der Bibliothek. Vielleicht finde ich hier was Nützliches.
Zielstrebig betrete ich die Bibliothek und gehe auf eine Bibliothekarin zu.
„Ich suche…“, grübelnd halte ich inne. Ja was suche ich denn eigentlich? Bücher über Hexen? Bücher über Magie? Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Weil mir kein passender Begriff einfällt sage ich tatsächlich einfach, dass ich Bücher über Hexen und Magie suche.
Die Bibliothekarin sieht mich mit einem abschätzenden Blick an, sagt jedoch nichts dazu. Sie führt mich in die Abteilung, wo ich Bücher dieser Art finden kann.
Ich sehe mich um. Viele Bücher gibt es nicht zu diesem Thema.
Wahllos greife ich nach einem der Bücher. Auf dem Einband steht „Mythos Magie“.
Ich schlage es auf und beginne zu lesen.
´Viele Menschen glauben daran, andere denken es wäre Schwachsinn. Magie ist ein lang diskutiertes Thema, welches nie auf einen Nenner gebracht werden konnte.`
Ich blättere in die Mitte des Buches und lese weiter.
´Manche haben sich die Magie zu Eigen gemacht, man nennt sie Zauberer. Diese Zauberer jedoch beherrschen nicht wirklich die Kunst der Magie. Sie arbeiten mit Tricks, welche sie als Magie verkaufen. Damals dachten die Menschen, das sie diese Kunst beherrschen, da sie es nicht besser wussten und es sich nicht erklären konnten.`
Das hilft mir nicht weiter, also blättere ich zur letzten Seite.
´Die Magie ist ein undurchdringbares Thema. Wenn es sie wirklich gibt, wird es dauern bis wir es erfahren. Der Mensch ist zu sehr auf das logische Denken konzentriert, dass er solches als nicht Möglich auffasst. Vielleicht wird der Mensch sich eines Tages für derart übernatürliche Dinge öffnen, falls es sie gibt. Heute jedoch konnten wir weder beweisen noch wiederlegen, ob es die Magie tatsächlich gibt.´
Seufzend schlage ich das Buch zu und stelle es zurück. Ich nehme mir vier weitere Bücher, deren Titel vielversprechend klingen und blättere sie durch. Doch auch diese vier Bücher weisen nichts Brauchbares auf. Ich stelle die Bücher zurück. Plötzlich fällt mein Blick auf einen Bücherrücken, den ich zuvor noch nicht gesehen habe. „Die Welt der Hexen, vom Mittelalter bis zur Neuzeit“, steht drauf. Ich nehme das Buch, schlage es auf und beginne zu lesen.
´Hexen hat es schon immer gegeben. Die Menschheit hat sie vergessen und Legenden formten sie zu hässlichen, alten Frauen mit Warzen auf der Nase. Im Mittelalter wurden die Hexen bewusst zu etwas bösem geformt. Jedoch haben unsere Recherchen etwas ganz anderes ergeben. Hexen waren weder böse noch hässlich. Ganz im Gegenteil, sie waren wunderschöne und selbstbewusste Frauen, welche nur Gutes taten. Ob in der Wahrsagerei, der Heilkunst oder auf dem Schlachtfeld, sie standen den Menschen zur Seite. Überall sind Spuren von ihnen zu finden. ´
Treffer! Ich glaube ich habe gefunden was ich gesucht habe. Ich blättere ein paar Seiten weiter.
´Es gab mehrere kleine und große Verbände von Hexen die sich auf der ganzen Welt verteilten. Jeder Verband hatte eine Hexe, welche diese regierte. Der größte Hexenverband hat seinen Ursprung in Italien. Die dort regierende Hexe war die Oberste der Hexen. Sie hatte das Sagen über alle Hexenverbände die es gab. Ihr Name war Alessia Angeletti.
Damals herrschte ein Mann, welcher sein Volk tyrannisierte und quälte. Die Oberste Hexe scharrte die Hexen der anderen Verbände um sich um die Menschheit von diesem Tyrannen zu befreien. Die Oberste Hexe musste mitansehen wie viele ihrer Gefährten, schwer verletzt und getötet wurden.
Das größte Opfer brachte jedoch sie selbst. Wunderschön, tapfer und mutig wie sie war, begab sie sich mithilfe ihres Geliebten, welcher sie schweren Herzens gehen lassen musste, in die Höhle des Löwen. Mit einem der mächtigsten Zaubersprüche gelang es ihr den Tyrannen zu vernichten. Jedoch beinhaltet dieser Spruch auch den Tod, desjenigen der ihn ausspricht. Also befreite sie das Volk von dem Tyrannen und tötet sich selbst. Das letzte was von ihr übrig blieb ist ihre Legende und eine Malerei von ihr.´
Ich blättere eine Seite weiter. Ein Bild von einer Frau ist über die ganze Seite gedruckt. Atemlos starre ich das Bild an. Diese Frau sie sieht mir erschreckend ähnlich. Besser gesagt ich sehe ihr erschreckend ähnlich. Wie ist das möglich?
Ich halte inne um meine Gedanken zu sammeln und sehe auf die Uhr. Schon nach sechs.
Jetzt muss ich mich aber beeilen. Zügig stehe ich auf, nehme meine Tasche und das Buch und gehe zur Ausleihe.
„Das Buch möchte ich mir bitte ausleihen.“, sage ich zu der Bibliothekarin.
„Haben Sie einen Bibliothekausweis?“, fragt sie.
Ich schüttele den Kopf. „Dann müssen Sie das hier ausfüllen und ich bekomme zwanzig Euro von Ihnen.“
Schnell überfliege ich das Formular und krame gleichzeitig in meiner Tasche nach meinem Portemoineé. Mist, ich habe nicht genug Geld.
„Ich habe leider nur fünfzehn Euro in bar, kann man denn auch mit Karte zahlen?“, frage ich hastig.
Die Bibliothekarin zieht die Augenbrauen kraus. „Wir sind eine Bibliothek, kein Supermarkt.“
„Dann komme ich später wieder, würden Sie das Buch zurücklegen?“
Sie verdreht die Augen und antwortet genervt: „Ja, ich kann es Ihnen zurücklegen, aber wir schließen in einer halben Stunde.“
„Dann komme ich morgen wieder. Danke. Tschüss.“, sage ich und gehe.
Vor der Bibliothek beginne ich Richtung Bahnhof zu rennen.
Völlig außer Atem, komme ich am Bahnhof an und sehe die Bahn gerade losfahren.
Fluchend setze ich mich auf eine Bank. Die nächste Bahn kommt erst in zwanzig Minuten. Hoffentlich komme ich nicht zu spät bei der Wahrsagerin an. Ich muss sie unbedingt treffen, heute noch.
Grübelnd warte ich auf die Bahn. Dieses Buch geht mir nicht aus dem Kopf. Alessia muss eine sehr starke Hexe gewesen sein. Das heißt, wenn die Geschichte wirklich wahr ist. Aber wenn sie wahr ist, warum sehe ich ihr dann so ähnlich? Sie könnte praktisch mein Zwilling sein. Vielleicht bin ich auf irgendeine Art und Weise mit ihr Verwandt. Ich wüsste zwar nicht wie, aber es könnte sein das sich mein Familienstammbaum bis zu ihr zurückzieht. Ich muss unbedingt mehr über sie erfahren, viel-leicht kann mir die Wahrsagerin etwas darüber erzählen. Außer die Geschichte ist nicht wahr, dann wird sie wohl kaum etwas darüber wissen. Aber wenn sie nicht wahr ist, woher haben sie dann diese Malerei? Vielleicht ist diese gar nicht echt, aber wie kann es dann so eine Ähnlichkeit zwischen uns ergeben?
Die einfahrende Bahn reißt mich aus meinen Gedanken. Ich steige ein und suche mir einen Sitzplatz. Nicht weit weg von mir sitzt ein verliebtes Pärchen, welches sich grade leidenschaftlich küssen.
Sofort muss ich an Fabio denken. An unseren Kuss an meiner Haustür. Mein Herz beginnt zu klopfen und mein Bauch kribbelt, bei der Erinnerung. Es war schön ihn zu küssen. Und so unerwartet. Ich will ihn wirklich gerne wiedersehen.
Ich beobachte die beiden weiter, als sie beginnen sich zu necken. Schon sind meine Gedanken bei Noel. Er sagte ich bin süß und das er mich gerne wiedersehen will. Es schmeichelt mir, dass er mich wiedersehen will. Und vielleicht will ich ihn ja auch wiedersehen. Irgendetwas ihn mir sehnt sich nach ihm, ein Teil tief in mir. Das spüre ich. Aber es ist besser ihn nicht wiederzusehen. Warum sonst hätte meine innere Stimme mich warnen sollen? Aber vor Fabio hat sie mich auch gewarnt.
Meine Gedanken verwirren mich und ich bin froh, dass ich aussteigen muss und mich für kurze Zeit nicht mit Ihnen beschäftigen muss.
Meinen Anschlusszug habe ich perfekt erwischt. Nach ein paar Stationen steige ich aus und gehe zum Bus. Zum Glück hat dieser ein paar Minuten Verspätung gehabt, sodass ich nicht lange auf den nächsten warten musste. Im Bus sehe ich auf die Uhr. Gleich halb acht. Viel Zeit ist nicht mehr.
An meiner Haltestelle steige ich aus. Schnell gehe ich zu dem kleinen Geschäft der Wahrsagerin.
An der Tür hängt ein Schild ´Geöffnet`. Ich trete ein.
Sofort spüre ich eine vertraute Aura.
Der Laden ist in den Farben rot und schwarz gehalten und nicht gerade groß. Überall hängen alter-tümliche Bilder und Kräuter. An den Wänden hängen mehrere Regale, vollgestopft mit jede Menge Büchern. Figuren von Göttern, Fabelwesen und Tieren die ich noch nie gesehen habe stehen auf einer Kommode. In der Mitte steht ein kleiner runder Tisch mit zwei Stühlen. Auf dem Tisch steht eine Glaskugel. Jedoch ist nirgendwo jemand zu sehen.
„Hallo?“, rufe ich verunsichert.
„Ich komme sofort.“, antwortet mir die Wahrsagerin aus einem hinteren Raum.
Neugierig gehe ich zu einem Tisch in der Ecke. Eine elektrische Herdplatte mit Topf, Mörser und Stößel und wie es scheint eine Menge Zutaten stehen darauf.
„Finger weg.“, ertönt die Stimme hinter mir. Ich drehe mich um. In der Tür steht eine schlanke, junge und sehr hübsche Frau, ein kleines Stück größer als ich mit einen dunklem Teint. Sie trägt ein kurzärmliges bodenlanges Kleid in türkis, welches ihre Figur reizvoll zur Geltung bringt. Ihre Haare hat sie hochgesteckt, was sie elegant wirken lässt.
„Entschuldigung, ich wollte mich nur umsehen. Ich heiße Lucia und habe einige Fragen, die sie mir vielleicht beantworten können.“
Die Frau zieht scharf die Luft ein. Mit geweiteten Augen antwortet sie: „Nein, ich schließe gleich. Bitte gehen Sie.“
„Sie haben doch bis um acht geöffnet, das ist noch genug Zeit um mir wenigstens ein paar Fragen zu beantworten.“, sage ich um sie umzustimmen.
„Ich werde Ihnen heute und auch sonst keine Fragen beantworten. Und jetzt verschwinden Sie.“
Was ist ihr denn über die Leber gelaufen? Ich lasse mich nicht einfach so abwimmeln.
„Nein, ich muss es wissen. Ich weiß was Sie sind. Sie sind keine gewöhnliche Wahrsagerin. Sie können wirklich in die Zukunft sehen.“ Ich mache eine kurze Pause bevor ich weiterrede. „Sie sind eine richtige Hexe, hab ich Recht?“
„Nein, haben Sie nicht. Und jetzt ist Schluss, gehen Sie.“, antwortet sie nun gereizt.
„Ich lasse mich nicht einfach so abwimmeln, Sie wissen genauso gut wie ich, dass es stimmt. Ich brauche Ihre Hilfe. Meine Mutter liegt im Krankenhaus im Koma. Sie müssen mir helfen sie zu heilen. Ich…“
Wütend unterbricht sie mich: „Ich will mit deinen Problemen nichts zu tun haben, ich habe eigene. Und jetzt raus aus meinem Laden, oder ich rufe die Polizei.“
Mit Tränen in den Augen verlasse ich den Laden. Wie kann sie nur so herzlos sein? Ich setze mich im Park gegenüber auf eine Parkbank und weine. Was soll ich jetzt nur tun? Alleine werde ich meiner Mutter nicht helfen können und die Chancen stehen gut, dass sie stirbt. Das darf nicht passieren, ich darf sie einfach nicht verlieren. Irgendwie muss ich es alleine schaffen. Ich muss einen Weg finden es alleine zu lernen und meine Mutter zu heilen. Ich weiß nicht ob ich es schaffe oder stark genug dafür bin, aber ich muss es versuchen. Ich muss einfach, sonst würde ich mir mein Leben lang Vorwürfe machen. Aber was ist wenn ich es versuche und etwas schief läuft? Wenn sie nur wegen mir stirbt?
Das würde ich mir niemals verzeihen.
Verzweifelt gebe ich mich meinen Tränen hin. Ein paar Leute gehen an mir vorbei und starren ver-dutzt zu mir rüber, aber das ist mir egal. Sollen ihnen vom glotzen doch die Augen rausfallen. Wenn sie wüssten was für eine schwere Last ich auf den Schultern trage, würden Sie bestimmt nicht so gucken. Aber sie wissen es nicht, woher auch? Sie sind keine Hexen oder Hellseher.
Nach ungefähr einer halben Stunde habe ich mich einigermaßen beruhigt. Ich mache mich auf, zur Bushaltestelle. Dort angekommen warte ich auf den Bus. Fünf Minuten später kommt er auch schon. Als ich einsteigen will ruft jemand hinter mir: „Halt Lucia, warte.“
Ich drehe mich um und sehe die Hexe. „Was ist noch?“
Seufzend antwortet sie: „Es tut mir leid. Ich hätte nicht so überreagieren sollen. Bitte komm mit mir, wir haben einiges zu besprechen.“
Was sollten wir zu besprechen haben? Was auch immer es ist, lange muss ich nicht überlegen, ob ich einsteige.
Gemeinsam gehen wir zurück in Ihren Laden und sie dreht das Schild an der Tür auf ´Geschlossen` um.
„Setz dich. Ich komme gleich wieder.“, sagt sie und verschwindet im Nebenzimmer.
Ich tue was sie sagt und setze mich. Nach ein paar Minuten kommt sie mit zwei Tassen Tee wieder und setzt sich mit gegenüber.
„Es gibt eine Menge zu besprechen Kind. Erst einmal, ich bin Jolanda.“
Ich sehe sie nur schweigend an. Sie räuspert sich. „Lucia, es ist nicht leicht. Als du hier aufgetaucht bist, habe ich Angst bekommen. Es tut mir leid wie ich reagiert habe.“
„Angst? Vor mir? Soll das ein Witz sein?“, frage ich irritiert.
„Ja Angst. Du weißt nicht viel über uns Hexen oder? Ich werde es dir erklären.“
Jolanda erzählt mir etwas über die Vergangenheit der Hexen.
Vor langer Zeit, noch vor Christi Geburt, gab es eine Zeit in der die Menschen und Hexen vereint in Frieden lebten. Für die Menschen ist diese Zeit in Vergessenheit geraten. Die Hexen standen den Menschen in der Heilkunst, der Wahrsagerei, der Kampfkunst und vielen anderen Dingen zur Seite.
Nach vielen Jahren des Friedens, kam in Rom ein Mann namens Demetrio Ferro an die Macht.
Er hat nicht viel von Hexen gehalten und bezeichnete sie als Ausgeburt der Hölle, die vom Teufel selbst geschickt wurden um der Menschheit zu Schaden. Er erzählte seinem Volk, das Gott nicht Menschen und Hexen erschaffen haben kann. Gott würde kein Geschöpf bevorzugen und einige unter Ihnen mit einer Gabe segnen und andere wieder nicht, Gott ist gleichgerecht. Solche Fähigkeiten kann nur der Teufel erschaffen mahnte er sein Volk und wer nicht für Gott ist, steht auf der Seite des Teufels und muss bestraft werden. Das Volk hat die Worte ihres Imperators geglaubt und wer nicht spurte wurde ertränkt, viergeteilt oder gekreuzigt.
Ein Krieg zwischen Menschen und Hexen ist entstanden, angestachelt von Demetrio Ferro. Demetrio war ein gerissener Mann. Er stachelte den Krieg an, als wir Hexen schwach waren. Es herrschten Unruhen und Unstimmigkeiten zwischen uns. Die oberste Hexe war unterwegs um diese Angelegenheiten zu klären und zu beseitigen. Genau da griffen die Menschen an.
Schon damals hatten sie Mittel und Wege eine Hexe aus dem Weg zu schaffen. Sie schnitten den Hexen erst die Hände ab und befragten und folterten sie dann. Danach nähten sie ihnen den Mund zu und kerkerten sie ein. Fünf Tage lang bekamen die eingekerkerten Hexen kein Essen und Trinken.
Nach diesen fünf Tagen wurden sie auf einem Scheiterhaufen vor dem versammelten Volk verbrannt und die Menschen sahen es als Akt der Belustigung und jubelten. Viele Hexen starben durch diese Art von Hinrichtung.
Als die oberste Hexe davon hörte, hat sie sofort die einzelnen Verbände zusammengerufen und ist mit ihnen zurück nach Rom gereist. Auf einer großen Ebene außerhalb der Stadtmauern von Rom kam es zu einer grausamen und blutigen Schlacht. Hexen, sowie Menschen starben an jenem Tage in Massen. Als die oberste Hexe sah wie viele fielen, Menschen und Hexen, tat sie das Mutigste, Tapferste und Selbstloseste was in ihrer Macht stand. Sie kämpfte sich mithilfe ihres treuen Gefährten und Geliebten Federico Ganzoli durch die Menschenmasse, hinein in die Stadt, wo sich Demetrio feige versteckt hielt.
Nun standen sie sich gegenüber Demetrio Ferro Imperator des römischen Reiches und Alessia Angeletti die Oberste der Hexen.
Es war ein langer bitterer Kampf, welcher sich nicht dem Ende neigen wollte. Doch der Imperator hatte einen Plan um Alessia zu überrumpeln. Was keiner wusste, er selbst hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, welcher ihm eine uralte böse Macht vermittelt hat um die Hexen und alles Gute von der Erde zu vertreiben. Demetrio zückte den Dreizack des Teufels, Diavolo, schwang ihn und fesselte Alessia mit den geheimen Kräften Diavolos. Sie versuchte sich von diesem Höllending zu befreien, jedoch vergeblich. Da begriff sie, dass sie nur eine Wahl hatte.
´La luce di Dio, vieni via conquistare il buio, il bene vince`
„Die gesamte Kathedrale stürzte in sich zusammen und begrub alles unter sich. Alessia musste sich opfern, um die ganze Welt zu retten. Sie war die letzte oberste Hexe die es gab.“
Erstaunt sehe ich sie an. „Alessia Angeletti…ich…ich habe ein Bild von ihr gesehen. Heute erst in einem Buch in der Bibliothek. Dort steht auch etwas von einem Kampf drin, aber ganz anders. Jedenfalls, dieses Bild…die Frau auf dem Bild sah genauso aus wie ich.“
Jolanda steht auf und verschwindet im Hinterzimmer. Nach ein paar Minuten ist sie wieder bei mir, mit einem dicken Wälzer in der Hand, der schon ziemlich verkommen aussieht. Sie schlägt es auf und legt es vor mir auf den Tisch.
„Ja, genau dieses Bild, war auch in dem Buch aus der Bibliothek abgebildet. Was hat das zu bedeu-ten?“, frage ich verwundert.
Jolanda sieht mich mitfühlend an. „Das du einen langen und steinigen Weg vor dir hast.“
Verwirrt frage ich: „Wie meinst du das?“
„Pass auf, Kind. Diese Frau auf dem Bild sieht dir so ähnlich, weil sie du ist. Und du bist sie.“
„WAS?“
„Das bist du. Sie ist deine Vergangenheit hier auf Erden. Du bist die Helden, die mutige Alessia Angeletti, die sich dem Teufel in den Weg stellt.“
Ich fange laut an zu lachen und es hört sich in meinen Ohren etwas schrill an. „Ich? Das ich nicht lache. Ich bin weder mutig, noch tapfer, noch sonst irgendwas. Ich bin ich und das ist schon schwer genug.“
„Lucia, du bist unsere einzige Hoffnung. Du bist die einzige, die uns retten kann.“, antwortet Jolanda.
„Retten? Vor was denn bitte retten?“ Langsam kommen mir Zweifel ob es richtig war Jolanda aufzusuchen.
„Als ich dich gesehen habe, kamst du mir bekannt vor. Ich habe nur in die falsche Richtung gedacht. Ich dachte du gehörst zu ihnen, aber du gehörst zu uns. Gott hat uns dich nach so vielen Jahrhunderten zu unserer Rettung geschickt.“
Was redet sie da für ein wirres Zeug? „Du dachtest, dass ich zu wem gehöre?“
„Zu den Luciferian. Es gibt sie noch heute, zwar ist Demetrio Ferro schon lange tot, aber viele seiner Männer lebten weiter und suchten einen neuen Anführer. Diese Suche hat Jahrhunderte gedauert, aber jetzt haben sie einen Nachfolger gefunden und dieser ist auf der Suche nach Diavolo. Wenn sie ihn finden sind wir alle verloren. Nur du, mein Kind, kannst sie aufhalten und Diavolo vor ihnen finden. Aber du musst noch so viel lernen. Wir müssen sofort abreisen. Ich bringe dich an einen sichereren Ort.“
Überrumpelt von alledem rufe ich empört: „Nein, ich gehe nirgendwo hin. Das einzige was ich von hier wollte, ist meiner Mutter zu helfen. Ich muss sie heilen, Jolanda. Bitte hilf mir. Bring es mir bei oder heile du sie.“
„Kindchen, ich kann sie nicht heilen. Meine Kunst ist die Wahrsagerei. Jede Hexe hat eine andere Gabe. Es gibt nur eine unter uns Hexen die sie alle beherrscht und noch viel mehr als das. Und diese eine Hexe bist du. Du musst dich dem stellen und lernen deine Kräfte zu beherrschen.“
Wie soll ich diese eine Hexe sein? Ich beherrsche ja noch nicht mal die simpelsten Tricks der Hexerei.
Sie setzten die Hoffnung in die Falsche, ich bin das nicht.
„Jolanda, ich will meine Kräfte beherrschen, aber ich bin sicher nicht die für die du mich hältst.“
Ein leichtes Schmunzeln umspielt Jolandas Lippen. „Oh doch mein Kind, das bist du und du wirst es schon noch glauben. Also willst du deiner Mutter helfen oder nicht?“
„Ja, das will ich.“, antworte ich.
„Dann müssen wir schnell abreißen. Ich kann dir die Wahrsagerei beibringen, aber nicht die Heil-kunst. Dazu müssen wir noch Österreich zu einer meiner guten Freundinnen. Bist du bereit diese Reise anzutreten?“
Ich sehe sie verunsichert an. Was sage ich Mia? Und was erzähle ich Frau Lehmhagen?
Es geht um meine Mutter, ich muss es tun. Mir bleibt keine andere Wahl. Schließlich nicke ich.
„Fein, dann geh mal fix nach Hause und pack deine sieben Sachen. Wir brechen noch in dieser Nacht auf.“
„In dieser Nacht noch?“, frage ich verdattert.
Jolanda nickt. „Ja in dieser Nacht noch, jetzt ab mit dir nach Hause ich stehe um drei Uhr vor deiner Haustür.“
Mit dem Satz schiebt Jolanda mich aus der Tür. Ich kann das alles nicht fassen. Das was Jolanda er-zählt hat kann nicht stimmen. Ich bin nicht Alessia Angeletti. Ich kann es einfach nicht sein.
Den ganzen langen nach Hause Weg denke ich über Jolandas Geschichte, Alessia und mich selbst nach. Meine Gedanken rattern dadurch vergeht die Zeit wie im Fluge. Kaum eingestiegen bin ich auch schon da. Gerade als ich den Schlüssel ins Schloss stecken will, höre ich jemanden meinen Namen rufen.
„Lucia!“
Vor Schreck lasse ich die Schlüssel fallen. Ich atme tief durch bevor ich mich umdrehe.
„Fabio!“, sage ich verlegen. Oh, er ist so schön. Ich spüre ein wohliges Kribbeln im Bauch. Er trägt eine dunkle Jeans und ein enganliegendes blaues Poloshirt, welches jeden einzelnen Muskel seines Oberkörpers sanft umspielt. Die schicken Lacoste Turnschuhe machen das Outfit perfekt.
„Ja, entschuldige ich wollte dich nicht erschrecken.“, sagt er unsicher unter meinem träumerischem Blick.
Ich reiße mich von seinem Anblick los und frage überrascht: „Was- was machst du hier?“
Er kommt auf mich zu und sieht mich besorgt an. „Ich wollte wissen wie es dir geht.“
„Und da kommst du um halb zwei Uhr in der Nacht?“, frage ich schmunzelnd.
Fabio lacht leise. „Vielleicht klingt das jetzt verrückt, aber ich stehe hier schon seit heute Mittag. Ich habe gewartet bis du kommst, weil ich mir Sorgen gemacht habe.“
„Was?“, frage ich verwirrt. „Du hast…ähm…ich- ich war im Krankenhaus, den ganzen Tag.“
„Du bist eine schlechte Lügnerin. Es geht mich ja auch nichts an.“, gibt er zurück. Er wirkt geknickt, versucht es aber mit einem Lächeln zu überspielen.
Er hat hier den ganzen Tag auf mich gewartet. Ich sehe auf die Uhr. Warum vergeht die Zeit nur so schnell? Ich würde ihm so gerne alles erzählen. Leise höre ich in meinem Kopf meine innere Stimme flüstern. Aber ich darf ihn nicht zu nah an mich heranlassen, ich darf ihm nicht einfach blind vertrauen. Dabei ist das im Moment genau das was ich will. Ihn an meiner Seite wissen und mich an seiner starken Schulter anlehnen können.
„Entschuldige, aber ich muss rein gehen. Ich stehe ein bisschen unter Zeitdruck.“, sage ich erstickt.
Er runzelt die Stirn. „Unter Zeitdruck um fast zwei Uhr in der Nacht?“
Betreten sehe ich auf den Schlüssel in meiner Hand. Als ich wieder aufsehe, treffen sich unsere Blicke. Seine eisblauen Augen nehmen mich ganz für sich ein und ich fühle mich als würde ich komplett in ihnen versinken. Sekundenlang stehen wir schweigsam da und sehen uns in die Augen.
Fabio unterbricht die Stille. „Wie machst du das nur immer?“
„Was denn?“, frage ich benommen.
Fasziniert lächelnd erwidert er: „Mich so zu verzaubern.“
„Vielleicht bin ich ja eine Hexe.“, gebe ich zögernd zurück.
Oh nein, zu viel gesagt. Das war das Stichwort mich zu verabschieden. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und schließe die Tür auf.
„Es tut mir leid. Ich muss jetzt wirklich gehen.“
„Lucia, bitte warte…“, höre ich ihn noch sagen, aber ich schließe einfach die Tür hinter mir.
Ihn einfach so stehen zu lassen versetzt mir einen Stich ins Herz. Vielleicht hätte ich ihm doch ver-trauen sollen. Vielleicht habe ich ihn ja wirklich verzaubert. Vielleicht will er wirklich mit mir zusam-men sein. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Ich kann dieses Wort nicht mehr hören. Jetzt muss ich mich beeilen, keine Zeit über ihn nachzudenken.
Oben angekommen schnappe ich mir einen der größten Koffer die ich finden kann und schmeiße so gut wie alle Klamotten die ich besitze rein. Dann packe ich noch meine Kosmetik und Hygieneartikel ein und stopfe den Koffer zu.
Plötzlich kommt Pupetta miauend ins Zimmer gerannt und läuft schnurstracks auf die Schublade zu in der ich dieses Buch voller leerer Seiten versteckt habe.
„Ach meine Süße.“, sage ich und nehme sie auf den Arm. „Danke, dass du mich daran erinnert hast, vielleicht wird es mir doch irgendwann etwas nützen.“ Pupetta stimmt mir miauend zu.
Ich packe das Buch in den Koffer und schließe ihn. Dann suche ich auf meinem Schreibtisch Stift und Papier und schreibe rauf: ´Hallo Frau Schmidt, ich muss für einige Zeit weg und weiß nicht wann genau ich wieder da bin. Würden Sie sich bitte in der Zeit ein bisschen um Pupetta kümmern? Sie wissen sicherlich noch wo ihr Futter gelagert ist. Den Wohnungsschlüssel habe ich in Ihren Briefkasten geschmissen. Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Vielen Dank und liebe Grüße Lucia`
Schnell gehe ich ein Stockwerk höher und klebe den Zettel an Frau Schmidts Haustür.
Wieder in meinem Zimmer schreibe ich fast die gleiche Nachricht an Janina.
Dann flitze ich in den Keller und hole mein Fahrrad hoch. Schon halb drei. Jetzt muss ich mich aber beeilen.
Ich trete in die Pedale Richtung Principino. Ich kann nicht gehen ohne mich zu verabschieden.
Dort angekommen lasse ich mein Fahrrad achtlos auf den Boden fallen und gehe in den Stall.
„Hallo mein Schöner.“, sage ich und klebe den Zettel an die Pinwand, damit Janina ihn findet.
Principino wiehert vor Freude.
„Hey mein Süßer, ich kann nicht lange bleiben. Ich wollte mich nur von dir verabschieden.“
Principino spitzt die Ohren. „Ich muss gehen um zu lernen wie ich Mama heilen kann. Ich muss ein-fach, sie darf nicht von uns gehen.“
Er wiehert zur Bestätigung. „Ich weiß leider nicht wie lange ich weg sein werde, aber ich hoffe ich lerne schnell. “
Ich lege die Arme um Principinos starken Hals und küsse ihn auf die Stirn.
„Ich werde dich vermissen mein Süßer, ich bin so schnell ich kann wieder da.“
Ich gebe ihm noch einen letzten Kuss und verlasse den Stall.
Schnell radele ich zurück nach Hause. Ich bringe das Fahrrad zurück in den Keller und gehe nach oben. Ich sehe auf die Uhr. Inzwischen ist es Punkt drei. Ich werfe einen blick aus dem Fenster und sehe einen roten Opel Corsa davor stehen.
„Tschüss Pupetta, ich komme so schnell wie ich kann zurück nach Hause.“
Ich nehme meinen Koffer, gehe runter und steige ein.
„Hallo Kindchen. Schnall dich an und mach es dir bequem, wir haben einen langen Weg vor uns.“, flötet Jolanda gut gelaunt.
„Mhm…“, gebe ich mit einer nicht so guten Laune zurück.
Sie startet den Wagen und dreht die Musik lauter. Aus den Lautsprechern tönt eine gestellt wirkende Frauenstimme. Das hört sich an wie Bollywood. Wie unpassend zu meiner Stimmung. Jolanda sieht mich von der Seite an: „Was ist los, freust du dich nicht, dass du einen Weg gefunden hast deiner Mutter zu helfen?“
„Doch, doch schon. Aber…ach nichts.“, antworte ich.
„Wie nichts? Rede mit mir, du kannst und solltest mir vertrauen in diesen Zeiten.“
Nach einer kurzen Pause sage ich: „Es ist wegen einem Jungen.“
„Liebeskummer“, ruft Jolanda aus, „ damit kenne ich mich aus. Weißt du eigentlich wie viele Frauen zu mir kommen, um zu erfahren was ihr Liebster von ihr hält?“
„Ja, bestimmt eine Menge.“, sage ich seufzend.
Nun sieht Jolanda mich mitfühlend an. „Kindchen, er ist nicht aus der Welt. Du wirst ihn wiederse-hen. Mag er dich auch?“
„Er hat den ganzen Tag auf vor meiner Tür auf mich gewartet, um mich zu sehen. Also ich denke schon, dass er mich mag. Aber ich weiß nicht ob ich ihm trauen kann, er ist so…anders. Geheimnisvoll und undurchschaubar.“, sage ich.
„Achja? Wie sieht er denn aus?“, fragt sie. Irgendwas an ihrem Blick sagt mir, dass sie nicht aus rei-nem Interesse an seinem Aussehen fragt.
„Naja, er ist groß, muskulös, hat dunkle Haare und seine Augen, so wunderschöne eisblaue Augen, die einfach nicht von dieser Welt sein können. Er ist einer der schönsten Menschen, denen ich in meinem ganzen Leben begegnet bin.“, sage ich schwärmend.
Jolanda antwortet nicht, sondern sieht mich mit großen Augen verwundert an.
„Was, was ist?“, frage ich unsicher.
„Nichts, es scheint als hätte sich dein Männergeschmack nicht verändert.“
Ich runzele die Stirn. „Wie meinst du das?“
„Naja, deine Beschreibung, passt so ziemlich genau auf Alessias damaligen Geliebten, deinem damaligen Geliebten.“, antwortet sie.
Gereizt gebe ich zurück: „Nicht meiner, sondern ihr damaliger Geliebter. Ich bin nicht sie. Ich werde jetzt versuchen ein bisschen zu schlafen, wenn es recht ist.“
Jolanda schmunzelt und dreht die Musik leiser, als ich mich wegdrehe. Ich bin nicht sie, ich kann gar nicht sie sein. Wenn ich angeblich die mächtigste Hexe sein soll die es gibt, wäre ich sicher nicht zu ihr gegangen um mir Hilfe zu holen. Soll sie doch denken was sie will. Sie wird noch früh genug er-kennen, dass es nicht so ist. Die Ähnlichkeit zwischen mir und Alessia ist zwar sehr groß, aber es ist unmöglich, dass ich sie bin.
Mit diesem Gedanken sinke ich in den Schlaf.

Kapitel 6




Nach ungefähr fünf Stunden, wache ich auf und sehe verschlafen Jolanda an.
„Bist du die Nacht durchgefahren?“, frage ich gähnend.
„Sicher, wir haben keine Zeit zu verlieren.“, antwortet sie.
Verdutzt sehe ich sie an. „Bist du denn gar nicht müde?“
„Etwas, aber schlafen kann ich auch wenn wir ankommen. Willst du etwas essen?“
Kopfschüttelnd sage ich: „Man soll nicht müde Auto fahren und ja ich habe Hunger. Wo sind wir jetzt eigentlich?“
„Irgendwo in Bayern.“, sagt sie und fährt die nächste Raststätte an. Wir steigen aus dem Auto und gehen rein. Viel ist nicht los und das ist mir ganz recht. Ich sehe bestimmt furchtbar aus.
„Such dir was aus, ich bezahle.“, sagt Jolanda.
„Du brauchst nicht für mich zahlen Jolanda.“, wiederspreche ich.
Sie winkt die Bedienung heran. „Ich nehme ein Baguette mit Käse und einen Latte Macchiato“, sie wendet sich mir zu, „und doch ich zahle.“
Ich bin nicht in der Stimmung zu diskutieren, deswegen lasse ich es einfach zu und nehme das Selbe.
Wir setzen uns und essen. Nach ein paar bissen setzt die inzwischen gewohnte Übelkeit ein. Aus Anstand davor das Jolanda gezahlt hat, esse ich es wenigstens bis zur Hälfte und spüle es mit dem Latte Macchiato runter.
„Was ist, willst du nicht aufessen?“, fragt Jolanda.
„Nein, ich bin satt.“, antworte ich.
Jolanda sieht mich vorausschauend an. „Deswegen also.“ Bestimmend setzt sie hinzu: „Du wirst das essen Lucia.“
Ich kneife die Augen zu und zische: „Nein, werde ich nicht. Wieso sollte ich, ich bin satt.“
„Ich kann dir sagen wieso du solltest“, erwidert sie, „du bist schwach. Kein Wunder warum ich deine Aura nicht spüren kann.“
Ich sehe sie verwirrt an. „Was?“
„Deine Aura, Kind. Umso schwächer dein Körper ist, umso so schwächer ist deine Aura. Dein Körper ist sehr schwach. So wirst du nie lernen deine Kräfte zu beherrschen.“
„Ich bin seelisch schwach nicht körperlich. Meine Mutter liegt im Koma, falls du es schon vergessen hast.“, sage ich trotzig.
Jolanda lächelt erfahren. „Schätzchen, seelische Schwäche beeinflusst nicht den Körper sondern den Geist. Körperliche Schwäche kommt von nichts essen zum Beispiel.“
Als ich nur das Gesicht verziehe, das Baguette in der rechten und den Latte Macchiato in der linken Hand setzt Jolanda spöttisch hinzu: „Ich bin ein bisschen länger Hexe als du, mich kannst du nicht überlisten.“
Ich strecke ihr die Zunge raus und esse auf. Dann gehen wir zurück zum Auto.
Jolanda gähnt laut.
„Sag mal, bist du wirklich noch in der Lage zu fahren?“, frage ich.
„Ich bin schon müde, aber darauf kommt es nicht an. Es ist wichtig, dass wir so schnell wie möglich ankommen.“, sagt sie und steigt ein.
Ich schüttele den Kopf und bleibe stehen. Jolanda soll erst einmal ein paar Stunden schlafen, bevor wir fahren, solange steige ich nicht ein. Sie kurbelt das Beifahrerfenster runter.
„Würdest du bitte einsteigen oder wartest du bis Schnee fällt?“, fragt sie sarkastisch.
„Ich steige nicht ein. Ich habe keine Lust im nächsten Graben zu landen, Jolanda. Du bist zu müde.“, wiedersetze ich mich.
Gereizt giftet Jolanda zurück: „Dann fahr du doch.“
„Das werde ich nicht, ich habe keinen Führerschein.“, antworte ich unbeeindruckt.
Jolanda steigt aus und lächelt mich bitter an. „Du hättest mich nicht herausfordern sollen, Kindchen. Du hast die Wahl, entweder du fährst oder ich schlafe jetzt und…“
„Du schläfst jetzt!“, unterbreche ich sie.
Zornig kommt sie auf mich zu und bleibt nur einige Zentimeter vor mir stehen. „Ich war noch nicht fertig.“, sagt sie böse zischend, „Oder ich schlafe jetzt und fahre wenn ich wieder wach werde zurück nach Berlin.“
Erschrocken weite ich die Augen und kontere: „Das würdest du nicht tun. Du sagtest ich bin eure einzige Hoffnung.“
„Vielleicht habe ich mich geirrt. Das wissen wir erst wenn wir da sind. Du hast selber gesagt es ist unmöglich. Aber denke daran, dann wirst du nie erfahren wie du deiner Mutter helfen kannst.“, antwortet sie listig und steigt auf der Beifahrerseite ein.
Vor Zorn zitternd trete ich von einen Fuß auf den anderen und schnaufe verächtlich. Dann drehe ich mich kopfschüttelnd, immer noch vor Wut zitternd um. Was ist los mit ihr? Mich so gewissenlos zu erpressen, wie unmoralisch kann ein Mensch nur sein? Ach, sie ist ja kein Mensch sondern eine Hexe.
Jolanda beginnt provokant zu lachen. „Du schaffst das schon, das ist ein Automatikwagen. Nur Gas geben und bremsen.“
Ich halte die Luft an. Ein Wort noch und ich werde…
„Komm…“
SCHREIEN. Ich schreie so laut ich kann. Dann drehe ich mich um und sage: „Jolanda, du kannst mich mal!“ Wutentbrannt steige ich ein.
Jolanda lacht und reicht mir die Schlüssel. „Ich glaube wir werden gute Freundinnen.“
Ich starte den Wagen. „Was muss ich jetzt machen?“, frage ich zickig.
„Der Schaltknüppel steht auf P, also parken. R ist Rückwärts und D Vorwärts. Lass den Fuß auf der Bremse, wenn du auf D schaltest.“
Ich tue wie gesagt und warte auf die nächste Anweisung. Als nichts kommt frage ich genervt: „Ja und nun?“
„Was denkst du denn, nimm den Fuß von der Bremse und lenke. Der Blinker ist der Hebel links neben dem Lenkrad. Hoch ist rechts, runter ist links.“, antwortet sie augenrollend.
Unsicher löse ich meinen Fuß von der Bremse. Das Auto beginnt langsam zu rollen. Erschrocken trete ich wieder rauf. Ich hole einmal tief Luft und schließe die Augen. Bitte lieber Gott, mach das alles gut geht. Langsam löse ich den Fuß wieder und wir rollen los.
„Gut so, ganz sanft auf das Gaspedal treten.“, sagt Jolanda.
Ich tue es und wir werden langsam schneller.
Leicht hysterisch sage ich: „Jolanda, ich schaff das nicht, warum tust du mir das an?“
Sie lacht wieder. „Weil ich es lustig finde. Nun gebe schon Gas ich will heute noch ankommen, so schwer ist es nicht.“
Ängstlich trete ich auf das Gaspedal und ich merke wie das Auto immer schneller wird. Nun fahren wir auf die Einfahrt der Autobahn.
„Jetzt musst du Gas geben und links blinken, Kindchen. Wenn niemand kommt, wechselst du auf die andere Spur und dann fährst du einfach.“
Ich drücke das Gaspedal runter und bei ungefähr achtzig Stundenkilometer wechsele ich auf die andere Spur.
Ich beschleunige auf hundert Stundenkilometer und versuche die Geschwindigkeit zu halten. Meine Hände umklammern krampfhaft zitternd das Lenkrad. Ich bin schon einmal Auto gefahren, vor einem Jahr. Ein ehemaliger guter Freund hat mich fahren lassen und mir beigebracht wie ich das Auto zu bedienen habe. Ich habe es auch ganz gut hinbekommen. Jedoch sind wir in einem verlassenen Industriegebiet gefahren und das nicht mal annährend so schnell.
„Verkrampf dich nicht so. Entspann dich sonst tut dir nachher alles weh.“, sagt Jolanda belustigt.
„Wolltest du nicht schlafen?“, frage ich genervt.
Sie sieht mich an und zieht die Augenbrauen kraus. „Ich hab genauso wenig Lust wie du im Graben zu landen. Ich passe nur auf.“
Es stellt sich heraus, dass ich eine gar nicht schlechte Autofahrerin bin. Nach ungefähr einer halben Stunde fahren, fange ich an mich langsam zu entspannen und atme auf.
Hat Jolanda eigentlich darüber nachgedacht was für Konsequenzen auf uns zu kommen, wenn etwas schief geht? Wir können richtig Ärger bekommen.
„Jolanda was ist, wenn die Polizei uns anhält?“, frage ich schnippisch.
Sie schenkt mir ein wunderschönes aufgesetztes Lächeln und sagt: „Wir werden nicht angehalten. Wir sind zwei Freundinnen die ein paar Freunde besuchen fahren. Völlig ungefährlich.“
Ha, das ich nicht lache. Missmutig sehe ich auf die Straße. „Ungefährlich. Dein Wort in Gottes Ohr, Jolanda.“
„Jetzt macht dir mal nicht so einen Kopf. Wir Hexen können sehr überzeugend sein.“, antwortet sie gelassen. Naja wenn sie meint, wir werden sehen.
Ich fahre einfach weiter, ich hätte wirklich nicht gedacht, dass Autofahren so einfach ist. Ich denke, dass mir diese Erfahrung später, wenn ich den Führerschein mache sehr hilfreich sein wird.
Jolanda dreht ihre Bollywood Musik auf und ich versuche sie so gut wie möglich auszublenden. Ich denke nach über was ich nachdenken könnte, eigentlich komisch.
Aber als mir dann ein Thema einfällt, bereue ich es, dass ich nachdenken wollte um mich von der Musik abzulenken.
Sobald ich anfange an ihn zu denken, bekomme ich Herzrasen und Schmetterlinge im Bauch. Er sagte ich habe ihn verzaubert. Ich hoffe sehr, dass er das ernst meinte. Er sah so gut aus gestern, so männlich.
Ich muss plötzlich an den Traum denken. Wie er mich berührt hat, zärtlich und einfühlsam. Wie er mich angesehen hat voller Liebe, als wäre ich das Schönste was er in seinem Leben gesehen hat. Ich denke daran wie er mich ausgezogen hat. Wie er meine Brüste streichelte und meine Fiore küsste. Als ich seinen muskulösen Körper vor mir sah, seinen Cazzo lediglich von seiner Shorts bedeckt. Und wie er sich auf mich legte um in mich einzudringen. Warum musste Mia mich aus diesem Traum reißen? Wie kann man ein so schlechtes Timing haben?
Neben mir höre ich ein leises schnarchen. Ich sehe zu Jolanda rüber. Sie ist eingeschlafen. Zum Glück, denke ich und drehe die Musik leiser.
Ich gebe mich wieder meinen Gedanken hin und stelle mir vor wie der Traum hätte weitergehen können. Seine Haut reibt an meiner, während er sich rhythmisch in mir bewegt. Meine Hände strei-cheln über seinen Rücken. Ich spüre jeden Muskel seinen Körpers. Wir sehen uns in die Augen, bevor wir uns leidenschaftlich küssen und geben uns unserem Verlangen und der Lust hin. Er fühlt sich so unglaublich gut an. Und dann kommen wir gemeinsam zum Höhe…
„Lucia pass auf!“, ruft Jolanda aufgeregt.
Ruckartig trete ich auf die Bremse und schreie. Vor mir sehe ich einen rieseigen LKW der von der Einfahrt aus einschert. Ich wäre beinahe ihn hinein Gefahren, hätte Jolanda nichts gesagt. Mit großen Augen und schnell atmend sehe ich zu Jolanda rüber.
Aufgebracht ruft sie: „Was ist los mit dir? Wie kann man denn bitte einen LKW übersehen? Wenn ich nicht gewesen wäre, wären wir jetzt wahrscheinlich Tod.“
„Es- es tut mir leid, ich war unkonzentriert. Ich hätte nicht…“, ich atme tief durch.
Sie schnauft verächtlich. „Unkonzentriert. Woran hast du gedacht? Was war so wichtig, dass du unser Leben auf’s Spiel setzt?“
Ich kann spüren wie mir das Blut in die Wangen läuft und ich rot werde. „An ähm…naja…“
Jolanda fängt herzhaft an zu lachen. „Ist nicht wahr, oder? Na der Typ muss wirklich heiß sein, viel-leicht solltest du ihn mir mal vorstellen.“
Ich stimme ins Lachen ein. „Er hat mir vollkommen den Verstand geraubt.“
Alleine schon der Gedanke an ihn bringt mich in Gefahr. Vielleicht warnt mich mein sechster Sinn vor ihm, weil er sexuell viel zu attraktiv ist und einem in den unpassendsten Momenten im Kopf rum spukt.
„Ist er so gut im Bett?“, fragt Jolanda neugierig.
„Jolanda, ich habe doch noch nicht mit ihm geschlafen.“, sage ich verdutzt.
Sie zuckt mit den Achseln. „Was ist, Sex ist das wichtigste in einer Beziehung.“
„Und wie sieht es mit vertrauen aus?“, frage ich entgeistert.
„Wenn das Sexleben stimmt, stimmt es auch mit dem Vertrauen.“, erwidert Jolanda altklug.
Lachend schüttele ich den Kopf. Jolanda ist wirklich eine sonderbare Person. „Du bist verrückt.“
„Ich habe nicht am Steuer an Sex gedacht“, entgegnet sie grinsend, „Ich glaub ich fang langsam an dich zu mögen, Kindchen.“
Ich erzähle Jolanda davon wie ich Fabio kennenlernte, dass er mich am selben Abend vor zwei zu aufdringlichen Typen gerettet hat. Von dem Shoppingtrip, dem Abend bei Principino und dem unerwarteten aber schönen Kuss den wir uns gaben. Wie er für mich da war, als das mit meiner Mutter passierte und von gestern Abend.
„Für mich hört sich das nach einem gewöhnlichen Aufreißer an.“, sagt Jolanda.
Ich schüttele den Kopf. „Nein das ist er nicht, egal wo wir hingehen, wenn ich dabei bin hat er nur noch Augen für…“
„Dich!“, unterbricht mich Jolanda. „Oh ja, aber so was von typischer Aufreißer. Er verspricht für dich die Sterne vom Himmel zu holen, aber nachdem er dich im Bett hatte, ist er schneller weg als du gucken kannst.“
„Ach Jolanda, nun mach mich doch nicht noch unsicherer als ich schon bin.“, gebe ich kleinlaut zu-rück.
Sie sieht mich mitleidig von der Seite an. „Tut mir leid Schätzchen, vielleicht meint er es ja wirklich ernst mit dir. Ich meine nur sei vorsichtig, lass dich nicht auf ihn ein bevor du dir nicht sicher bist.“
Dankbar lächele ich ihr zu. „Das werde ich, auch wenn es wirklich unglaublich schwer ist, diesem Mann stand zu halten.“ Allmählich glaube ich, lockert sich die Stimmung zwischen uns. Zumindest hätte ich nicht gedacht, dass ich mir von ihr Beziehungstipps geben lasse.
Eine Stunde später fahren wir endlich über die Grenze nach Österreich.
Jolanda und ich jubeln und fahren die nächste Ausfahrt runter um zu tanken. Während Jolanda das Auto volltankt, suche ich drinnen nach etwas zu Trinken und einigen Snacks. Sie kommt rein und bezahlt. Gut gelaunt, weil wir endlich den größten Teil des Weges hinter uns haben, steigen wir ins Auto und fahren weiter.
„Sag mal Jolanda, wie hast du das mit dem LKW eigentlich mitbekommen? Du hast doch geschla-fen.“, frage ich verwundert.
Sie zwinkert mir zu. „Schätzchen ich bin eine Hexe.“
„Achja, das erklärt natürlich alles.“, sage ich grinsend.
Bisher ist die Fahrt eigentlich problemlos verlaufen. Bis auf das kleine Missgeschick mit dem LKW, aber das hat Jolanda glücklicherweise erfolgreich verhindert. Wir haben noch knapp zwei Stunden Fahrt vor uns und wir sind guter Dinge, dass wir gut durch kommen. Natürlich wird uns dieses Glück leider nicht zuteil. Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt, passiert es. Sie kommen von hinten, also bemerke ich sie erst als sie direkt neben uns fahren. Sofort verkrampfe ich mich wieder und blicke starr geradeaus. Sie überholen uns und scheren vor uns ein. An der Sirene blinkt in roten Buchstaben der Satz ´Polizei bitte folgen`.
Ich hätte nichts anderes tun können außer hinter ihnen die nächste Ausfahrt abzufahren.
„Verdammt, ich habe es gewusst.“, fluche ich.
„Jetzt bleib mal locker, ich regele das schon.“, sagt Jolanda ruhig.
Wie soll ich in dieser Situation denn locker bleiben. Ich habe sie davor gewarnt, dass es passieren könnte und nun ist es wirklich eingetroffen. Nervös bringe ich das Auto hinter ihnen zum Stehen. Vor uns steigen zwei Polizisten aus. Den Fahrer schätze ich so um die vierzig Jahre. Er ist sehr dünn, wirkt durch seine große Gestalt, jedoch respekteinflößend. Der Andere ist auch ein gutes Stück größer als ich und vielleicht um die Mitte bis Ende zwanzig. Er ist sehr gutaussehend und seine Uniform steht ihm wirklich außerordentlich gut. Sie kommen auf unseren Wagen zu, während Jolanda aussteigt. Ich tue es ihr gleich. Der hübsche Polizist sieht mich an. Ich sehe wie sich seine Miene von ernst, zu überrascht und dann zu heißblütig umschwenkt. Der andere Polizist sieht uns auch leicht erregt an. Beide scheinen sprachlos zu sein, also ergreift Jolanda verführerisch lächelnd das Wort. „Hallo Herr Polizeikommissar. Gibt es ein Problem?“
Peinlich berührt findet er seine Sprache wieder. „Nein, nur eine Routinekontrolle. Ich würde gerne Führerschein und Fahrzeugpapiere sehen und einen Blick in den Kofferraum werfen, bitte.“
„Herr Polizeikommissar, Ihr Job muss wirklich beschwerlich sein. Jeden Tag versuchen Sie die Welt zu einem besseren Ort zu machen ohne Verbrechen. Ich bewundere Sie dafür.“, sagt Jolanda schwärmerisch und öffnet den Kofferraum.
Der hübsche Polizist sieht kurz in den Kofferraum, scheint nicht das gefunden zu haben was er ge-sucht hat und sieht dann geschmeichelt zu Jolanda rüber. „Ja es ist beschwerlich, sicher. Aber es lohnt sich, wenn man bedenkt was schon alles passiert wäre, gäbe es die Polizei nicht.“
Nickend erwidert Jolanda: „Ja, da haben Sie vollkommen recht. Wie viele Verbrechen es gäbe, da könnten zwei Frauen wie wir nicht einfach durch die Gegend fahren schätze ich.“
Was versucht Jolanda mit ihrem Gerede zu bezwecken? Ich glaube nicht, dass ihr Schmeicheln sie davon abhalten wird nochmal nach dem Führerschein zu fragen.
„Mit Sicherheit nicht. Aber trotz allem sollten Sie immer vorsichtig sein, wir können nicht überall sein und es gibt genug Verrückte die hübschen Frauen wie Ihnen böses wollen.“, antwortet der Polizist und sieht mich fasziniert an.
Ich merke wie mir das Blut in die Wangen fließt, denn der Blick des hübschen Polizisten tastet jede Stelle meines Körpers ab. Er scheint mich in Gedanken regelrecht auszuziehen.
„Wenn ich mich erst einmal vorstellen darf: Ich bin Major René Graber. Und das ist mein Kollege Kommissar Peter Hechel.“, sagt der Polizist galant.
Jolanda erwidert mit einem verträumten Blick: „Mein Name ist Jolanda Nuri. Und die junge Dame dort drüben ist meine geliebte Cousine Lucia Bariello. Wir freuen uns wirklich sehr Sie kennenzuler-nen.“
„Die Freude liegt ganz auf meiner Seite.“, sagt der Polizist lächelnd.
Wie lange wird es dauern, bis er auf das wesentliche zurückkommt? Dieses nette Gespräch was Jolanda versucht aufrecht zu erhalten, wird sie nicht davon abhalten nochmal nach den Papieren zu fragen. Allein schon der Gedanke daran, erklären zu müssen, dass ich keinen Führerschein besitze lässt meinen Mut sinken. Scheinbar sieht man mir die Verzweiflung an, denn der junge Polizist richtet das Wort an mich.
„Frau Bariello, ist alles okay mit Ihnen?“, fragt er einfühlsam.
Aus meinen Gedanken gerissen, sehe ich in an und spüre wie meine Augen feucht werden.
„Ähm…ja sicher, alles okay.“ Und schon laufen mir die ersten Tränen über die Wangen. Wenn wir aus diesem Schlamassel nicht raus kommen, werde ich meiner Mutter nicht helfen können. Das ist meine einzige Chance. Hilflos versuche ich die Tränen zurück zu halten, jedoch vergeblich. Ich drehe mich weg, da es mir unangenehm ist vor den Polizisten zu weinen. Jemand kommt von hinten auf mich zu und legt mir eine Hand auf die Schulter. Ich dachte es wäre Jolanda und spähe über die Schulter. Aber es ist nicht Jolanda, sondern der wirklich sehr gutaussehende Major Graber.
„Frau Bariello, was immer Sie bedrückt, bitte weinen Sie nicht. Ich kann schöne Frauen einfach nicht weinen sehen. Kann ich irgendetwas für Sie tun?“
Teils verblüfft, teils geschmeichelt sehe ich mit tränennassem Gesicht zu ihm auf. Seine markanten Gesichtszüge sind ganz weich uns strahlen Mitleid aus.
Langsam drehe ich mich zu ihm und schüttele kaum merklich den Kopf. „Nein, ich denke nicht. Es gibt nur sehr wenige Menschen die in meiner Situation helfen könnten. Aber vielen Dank.“
Er räuspert sich besorgt und reicht mir ein Taschentuch. „Frau Bariello, ich will nicht neugierig wir-ken, aber wenn Sie irgendwelche Probleme haben die unter den Bereich der Polizei fallen, sollten Sie nicht zögern diese zu benachrichtigen.“
Berührt von seiner Besorgnis seufze ich und sage: „Die Polizei kann nicht alle Probleme lösen, es sei denn Sie können es mit dem Tod aufnehmen.“
„Das tut mir leid.“, sagt er mit einem Blick als könne er sich selber Ohrfeigen.
Ich sehe zu Boden und trockne mir die Tränen. „Fühlen Sie sich deswegen nicht schlecht. Der Tod ist ganz natürlich entweder man kämpft oder man hat verloren.“
Der andere Polizist räuspert sich und setzt, wie es scheint ungern hinzu: „Herr Major, ich will nicht unhöflich erscheinen, aber wir sollten nicht zu viel Zeit verlieren. Wir müssen zurück zum Revier.“
Leicht gereizt tritt Major Graber von einen Fuß auf den Anderen. „Ich weiß. Entschuldigen Sie Frau Bariello, aber ich muss Sie nach Ihrem Führerschein und den Fahrzeugpapieren bitten.“
Ich öffne den Mund um etwas zu erwidern, schließe ihn jedoch wieder. Was jetzt? Ich habe es ge-wusst, jetzt ist es vorbei. Jolanda hätte mich niemals fahren lassen dürfen. Meine Reise endet, bevor ich der Lösung meines Problems auch nur einen Schritt näher kommen konnte. Verzweifelt schüttele ich den Kopf und sehe zu Jolanda rüber, die leider auch ratlos scheint.
„Es tut mir leid Herr Major, aber ich habe keinen Führerschein.“, sage ich kleinlaut.
Major Graber seufzt und schließt die Augen einige Sekunden. Sekunden die mir wie eine Ewigkeit vorkommen. Als er sie wieder öffnet sieht er mich entschlossen an und sagt: „Dann muss ich Sie leider bitten mich zum Revier zu begleiten. Frau Nuri besitzen Sie denn wenigstens einen Führer-schein?“
„Ja Herr Major.“, erwidert Sie nachdenklich.
„Dann fahren Sie uns hinterher, Frau Bariello wird bei uns mitfahren.“, sagt er während er mich schon zum Wagen geleitet. Bevor ich einsteige blicke ich über die Schulter Jolanda an. Sie steht immer noch neben der Beifahrertür mit geschlossenen Augen. Ihre Lippen bewegen sich ganz leicht, es sieht aus, als würde sie in tiefer Trance etwas vor sich dahinmurmeln. Ich glaube sie schaut in die Zukunft, sie versucht herauszufinden wie wir hier wieder rauskommen. Darüber hätte sie sich wirklich früher Gedanken machen können. Ich runzele die Stirn. Durch meinen Blick angeregt, sieht Major Graber auch zu Jolanda rüber. Auch er runzelt die Stirn und räuspert sich.
„Frau Nuri, wenn Sie bitte einsteigen würden, wir haben keine Zeit zu warten.“
Sekundenlang passiert gar nichts. Endlich öffnet Jolanda die Augen und lächelt den Major mit einem hollywoodwürdigen Lächeln an. „Entschuldigen Sie bitte Herr Major, ich war in Gedanken. Wir wollen Ihre wertvolle Zeit ja nicht zu lange beanspruchen.“
Sie geht rüber zur Fahrerseite steigt ein und startet den Motor. Was hat sie gesehen? Sie wirkt ziemlich locker und gefasst in Anbetracht unserer Situation. Ich hoffe wirklich, dass dieses Auftreten mich nicht nur beruhigen soll. Ich steige in den Wagen und sehe zu, wie die beiden Polizisten ebenfalls einsteigen. Der Kommissar startet den Wagen und wir fahren los, Jolanda direkt hinter uns.
Wir fahren die erste Ausfahrt von der Autobahn ab, um direkt auf der nächsten zu landen. Doch auch auf dieser Autobahn bleiben wir nicht lange. Die dritte Ausfahrt fahren wir ab. Auf beiden Seiten der Straße befinden sich große Felder. Nach ein paar Kilometern kommt ein Ortsschild auf dem Salzburg draufsteht. Kurz darauf halten wir vor einem großen Gebäude. Die beiden Polizisten steigen aus, der Major öffnet mir die Tür und hält mir galant seine Hand als Ausstiegshilfe hin. Ich atme einmal tief durch, greife sie und steige aus. Jolanda kommt auf uns zu und wir betreten gemeinsam das Gebäude.
Sehr geschmackvoll ist es nicht eingerichtet. Die Wände sind ziemlich kahl, lediglich eine Pinnwand mit Informationen und Fahndungsfotos hängt daran. Auf der rechten Seite des Raumes steht eine hohe Theke hinter der zwei Polizisten arbeiten. Der Eine sitzt vor dem Computer und scheint ziemlich vertieft in irgendeine Recherche zu sein. Der Andere hängt am Telefon und ist in eine sehr aktive Diskussion verwickelt. Anscheinend zieht er den kürzen. Nach links geht ein Flur, an dessen Ende ich einen Versammlungsraum sehe, deren Wand aus Glas ist.
Der Major hebt den Arm zum Wink. „In fünf Minuten erwarte ich alle im Versammlungsraum.“
„Verstanden, Herr Major.“, antwortet der Polizist am Computer, der nun doch vom Bildschirm auf-blickt. Als er Jolanda und mich sieht bleibt ihm der Mund offen stehen.
Wir wenden uns nach links und gehen bis zum Ende des Ganges, der dort gar nicht zu Ende ist, son-dern nach rechts abbiegt. Dort stehen einige Stühle auf welche der Major uns verweist.
Natürlich, er will uns im Auge behalten, während der Besprechung.
„Wir müssen erst einmal wichtigere Dinge besprechen, um Ihre Angelegenheiten kümmere ich mich danach. Setzen Sie sich bitte.“, sagt der Major an mich gewandt.
Aufgeregt stürzt Jolanda hervor: „Herr Major, wir leiden schrecklich unter Zeitdruck, wie lange wird das ungefähr dauern?“
Leicht verdutzt schüttelt der Major den Kopf. „Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, aber die Be-sprechung wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Solange müssen Sie warten.“ Er wirft noch einen durchdringenden Blick auf mich, wendet sich dann ab und betritt den Besprechungsraum. Kommissar Hechel, der uns schon am Eingang verlassen hat, kommt um die Ecke und betritt den Besprechungsraum mit mehreren Aktenordnern unterm Arm. Nach und nach trudeln weitere Polizisten ein und nehmen an einem großen Tisch Platz. Der Major sitzt am Kopfende, uns direkt zugewandt, über einige Unterlagen. Immer wieder wandert sein Blick hoch zu mir.
Als alle Polizisten eingetroffen sind sieht der Major in die Runde und beginnt zu sprechen. Mehr als gedämpfte Töne kann ich nicht verstehen. Ich sehe Jolanda an.
„Genau, wie ich es prophezeit habe. Ich wusste das sie uns anhalten werden und jetzt sitzen wir in dem Schlamassel.“, sage ich aufgebracht.
Sie lächelt mich zynisch an. „Ich weiß, dass wir hier wieder rauskommen, also hör auf dich zu be-schweren.“
„Du nimmst alles auf die leichte Schulter Jolanda. Wie kannst du dir da so sicher sein? Ich glaube der Major nimmt seinen Job sehr ernst. Er wird uns nicht einfach so, ohne Strafe gehen lassen. Wer weiß vielleicht bekommen wir ein Einreiseverbot, oder sonst was.“, erwidere ich wütend.
Ungläubig schüttelt Jolanda den Kopf. „Weißt du was?“, fragt sie flüsternd. „Wenn du nicht an unsere Kräfte glaubst, wirst du sie auch niemals beherrschen. Ich habe es gesehen, Lucia. Wir kommen heil aus der Sache raus und setzen unseren Weg dann fort, als wäre nichts gewesen. Glaub endlich dran.“
Ich schnaufe verächtlich, schlage die Beine übereinander und sehe zur Seite. Nach kurzer Zeit, sehe ich sie wieder an. „Und wie Jolanda? Was wird passieren? Sag es mir, dass ich daran glauben kann.“
„Manchmal ist es besser nicht alles zu wissen, was auf einen zukommt. Das könnte den Lauf der Dinge verpfuschen und alles kommt anders. Das ist auch der Grund, warum die Menschen uns für Scharlatane halten. Wir können ihnen oft nicht mehr als ungenaue Angaben geben. Deshalb glauben sie nicht mehr daran.“, sagt sie trocken.
„Und ich kann es Ihnen nicht verübeln.“, erwidere ich höhnisch.
Dabei belässt sie es und ich füge auch nichts mehr hinzu.
Ich sehe den Major an. Er scheint ziemlich wütend zu sein und rauft sich die Haare. Kurz sieht er mich an und beruhigt sich leicht. Nur das er sich darauf gleich wieder aufregt, als einer der Polizisten noch etwas sagt. Er stützt seinen Kopf in die Hände und denkt angestrengt nach. Dann erhebt er sich plötzlich, stellt sich ans Fenster und sieht hinaus. Er erzählt etwas sehr ernstes, das sehe ich, da sich die Minen der Polizisten verdüstern. Blitzartig dreht der Major sich um, läuft zu dem Polizisten rüber der ihn vorhin hat so nachdenken lassen, haut vor ihm mit der Faust auf den Tisch und sieht ihn aus zusammen gekniffenen Augen an. Diese Abfolge von Geschehnissen lässt mich die Luft an halten und erstarren, mein Blick auf die Lippen des Majors fixiert. Und ich weiß nicht warum, aber ich verstehe jedes einzelne Wort, dass in diesem Moment über seine Lippen kommt.
„Und ich lasse nicht zu, dass die verdammte Mafia ihre illegalen Drogengeschäfte in meiner Stadt macht, wegen der nicht nur schon hunderte Zivilisten, sondern auch mehrere unserer Männer ums Leben gekommen sind. Das waren gute Männer und Frauen und sie haben jeden einzelnen auf ihrem Gewissen.“
Nachdem er das gesagt hat, entlässt er die Polizisten, reibt sich an den Schläfen und atmet tief durch. Ich bin noch nicht ganz aus meiner Erstarrung erwacht, als er auf uns zukommt.
„Frau Bariello, Frau Nuri, würden Sie mich bitte in mein Büro begleiten?“, sagt er etwas niederge-schlagen.
Wir erheben uns und folgen ihm den Gang entlang, bis zur letzten Tür. Ganz wie ein Gentleman hält er uns die Tür auf und bittet und einzutreten. Der Raum ist zwar nicht so groß wie der Versammlungsraum, aber er kommt dem ganz nahe. Die Wände sind in einem angenehmen hellen Blau und drei große Aktenschränke, mit unendlich vielen Ordnern, Urkunden, Auszeichnungen und Abzeichen verzieren sie. In der linken Ecke steht eine hübsche Zimmerpflanze, in der rechten sein Schreibtisch, auf dem mehrere Akten, kleine Zettel, Stifte, Familienfotos und ein Computer stehen. Der Schreibtisch ist Richtung Tür ausgerichtet ist. Dahinter ist direkt ein großes Fenster und davor stehen zwei Stühle. Ein moderner Deckenstrahler macht das Büro des Chefs perfekt. Er ist hier der Vorgesetzte, wir sind direkt dem Chef der Polizei in die Arme gelaufen. Ich merke, dass meine Hoffnungen immer mehr schwinden.
„Setzen Sie sich doch.“, fordert er uns auf.
Also setzen wir uns. Er tut es uns gleich und setzt sich in den Chefsessel hinter seinen Schreibtisch. Kurze Zeit herrscht angespanntes Schweigen. Dann ergreift der Major das Wort.
„Was haben Sie sich nur dabei gedacht? Wissen Sie was bei einem solchen Vergehen für Strafen auf Sie zukommen?“
Angeschlagen sehe ich auf meine Knie und schüttele kaum merklich den Kopf.
Jolanda kann es natürlich nicht lassen und plappert sogleich darauf los. „Um ehrlich zu sein, Herr Major, über die Konsequenzen haben wir nicht viel nachgedacht. Wie ich schon sagte, wir haben es sehr eilig. Ich konnte nicht mehr fahren, weil ich schon zu übermüdet war oder immer noch bin. Da haben wir beschlossen, dass sie weiter fährt. Wir hätten so etwas niemals getan, wäre es nicht so wichtig.“
Der Major sieht Jolanda mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ich möchte keine Ausreden hören, wenn etwas passiert wäre, Frau Nuri. Hätten Sie den Angehörigen der Todesopfer erzählt Sie hatten es eilig?“
Jolanda sieht sprachlos von ihm, zu mir und wieder zu ihm. „Ich- ich weiß es nicht.“, gibt sie kleinlaut zurück.
Der Major seufzt und lehnt sich in seinem Sessel nach hinten. Als er sich wieder nach vorne lehnt, ist sein Blick auf mich gerichtet. „Frau Bariello, wieso haben Sie da mitgemacht?“
Ich könnte ihm sagen warum. Aber ich werde es nicht tun. Es geht ihn immerhin nichts an und Aus-reden möchte er nicht hören, also beschließe ich einfach zu schweigen, mein Blick tief in seinem verankert. Der Major seufzt noch einmal lautstark. Dann dreht er sich mit dem Chefsessel Richtung Fenster und verschränkt die Arme hinter dem Kopf.
„Wissen Sie Frau Bariello, ich kann nichts an der Situation ändern, wenn Sie mir nicht mit mir reden.“
Ich starre auf den Rücken des Sessels und weiß nicht was ich sagen soll. Also beschließe ich weiter-hin zu Schweigen. Nach kurzer Zeit bricht der Major wieder das Schweigen.
„Frau Nuri, würden Sie vielleicht vor dem Zimmer warten?“
Sie sieht kurz zu mir rüber, wartet auf eine Reaktion, aber ich zeige nichts.
Kurzerhand steht sie auf sagt, „Sicher.“, und verlässt den Raum.
Leicht verwirrt und verunsichert rutsche ich auf dem Stuhl hin und her. Warum hat er Jolanda nach draußen geschickt? Was will er mir sagen, was sie nicht mitbekommen soll?
Er dreht sich wieder zu mir und lehnt sich mit den Ellenbogen auf dem Schreibtisch auf.
Dann räuspert er sich und beginnt zu reden: „Frau Bariello, ich will Ihnen helfen. Mir ist klar, dass Sie Ihre Gründe hatten sich hinters Steuer zu setzen. Aber ich kann rein gar nichts tun, wenn Sie mir keinen Hinweis geben.“
„Warum sollten Sie mir helfen wollen? Sie kennen mich noch nicht einmal.“, antworte ich schüch-tern.
Sein Blick bohrt sich standfest in meinen. „Ich weiß nicht, was Ihnen Kummer bereitet, aber ich denke jemand Ihrer Angehörigen liegt im Sterben.“
Betreten weiche ich seinem Blick aus und sehe auf meine Knie.
„Es tut mir Leid für Sie. Ich weiß wie es ist Familienangehörige zu verlieren. Ich werde täglich mit dem Tod konfrontiert, es ist schwer damit umzugehen.“, sagt er einfühlsam.
Ich spüre wie meine Augen anfangen zu brennen. Hartnäckig versuche ich die Tränen zurückzuhalten. Ich will nicht schon wieder vor ihm weinen, er wird denken ich bin die absolute Heulsuse. Reiß dich zusammen. Meine Hände ballen sich zu Fäusten und ich beiße die Zähne zusammen. Verkrampfe mich richtig nur um nicht in Tränen auszubrechen, mein Blick noch immer auf meinen Knien.
„Halten Sie Ihre Tränen nicht zurück, es tut manchmal ganz gut es raus zu lassen.“
Und da gebe ich meinen Widerstand auf und die erste Träne kullert meine Wange runter und fällt auf meinen Oberschenkel. Er reicht mir ein Taschentuch.
„Sie sind gut in Ihrem Job, nicht wahr? Oder bin ich so leicht zu durchschauen?“, frage ich halb scherzend um die Stimmung etwas zu lockern.
„Vielleicht beides.“, antwortet er neckend.
Nun sehe ich ihn an und gehe auf seine Neckerei ein. „Ich dachte Sie können schöne Frauen nicht weinen sehen?“
Er zieht die Stirn kraus und lächelt mich ertappt an. „Kann ich auch nicht, aber es gibt Frauen die eine Ausnahme wert sind.“
Ein Lächeln umspielt nun auch meine Lippen, als ich verlegen mit dem Taschentuch in meiner Hand spiele. Wir beide schweigen. Dann beginne ich zu sprechen: „Es ist meine Mutter.“
Er erwidert nichts und wartet, dass ich weiterspreche.
„Sie hatte einen Autounfall. Ein Hirsch ist auf die Autobahn gelaufen.“ Ich atme einmal tief durch.
„Sie wollte ihm ausweichen, so wie sie halt ist. Sie könnte keiner Fliege etwas zu Leide tun. Stattdessen nimmt sie es in Kauf in einen Graben zu fahren, sich mehrere Male zu überschlagen und nun im Koma zu liegen.“ Ich presse die Lippen aufeinander und versuche mir die Tränen mit dem Taschentuch wegzuwischen. Aber so schnell wie die fließen, kann ich sie nicht wegwischen.
Er zieht scharf die Luft ein und setzt an: „Das tut-…“
„Nein, Herr Major. Bitte.“, unterbreche ich ihn. „Ich möchte kein Mitleid, dass hilft mir nicht. Das bringt mir nur mehr Tränen ein.“
Ein kurzes Schweigen herrscht. Er überlegt was er sagen soll.
„Was machen Sie hier in Österreich?“, fragt er schließlich.
Ich seufze. „Ich habe die Hoffnung hier jemanden zu finden, der meiner Mutter helfen kann.“
„Ich kann eine Liste der besten Ärzte in Österreich beschaffen, aber ich will Ihre Hoffnung nicht trüben, ich denke nicht, dass einer von ihnen in diesem Fall helfen kann.“
Leicht belustigt sehe ich zu ihm auf. „Wer sagt, dass ich einen Arzt suche?“
„Wer sonst könnte helfen?“
Kurz überlege ich. Mein Herz würde ihm gerne vertrauen, aber ich kann ihm nicht die ganze Wahrheit sagen.
„Das ist ein Geheimnis. Ich darf es Ihnen nicht verraten.“, sage ich schmunzelnd.
Meine Tränen versiegen und ich wische mir die Wangen trocken.
Er wendet sich ab und erhebt sich aus seinem Sessel, verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich cool gegen die Wand.
„Also ich kümmere mich um unser Problem hier, dass Sie heil aus der Sache raus kommen.“
Ich wollte gerade erleichtert aufatmen, als er mir zuvor kommt.
„Unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“, frage ich.
„Sie und Frau Nuri steigen für den Rest des Tages in einem Hotel ab. Sie dürfen erst um Mitternacht die Stadt verlassen, wenn ich mir sicher sein kann, dass Frau Nuri genug Schlaf hatte.“
Jetzt erlaube ich mir erleichtert aufzuatmen. „Bringen Sie sich damit nicht selber in eine Missliche Lage, Herr Major?“
„Nur wenn ich es zulasse.“, erwidert er lächelnd.
„Ich danke Ihnen wirklich sehr.“
Er winkt mit der Hand ab. „Als Entschädigung für meine Mühen wünsche ich mir nicht Ihren Dank.“
„Was sonst könnte ich Ihnen geben?“, frage ich ernsthaft interessiert.
Ich glaube zu erkennen wie sein Gesicht leicht errötet. „Ich würde gerne diesen Tag mit Ihnen ver-bringen. Um Sie besser kennen zu lernen.“
Ich halte die Luft an. Warum eigentlich nicht? Was schadet es, vielleicht ein bisschen Spaß zu haben, während Jolanda schläft. Ich atme hörbar aus, sehe ihn an und lächele nickend.
„Ja, ich würde sehr gerne den Tag mit Ihnen verbringen, Herr Major.“
„Das freut mich wirklich sehr. Ich würde Sie gegen 16 Uhr in Ihrem Hotel abholen.“, sagt er mit einem riesen Lächeln.
„Können Sie mir eins in der Nähe empfehlen?“, frage ich.
Er stößt sich von der Wand ab. „Ja, ich bringe Sie dorthin.“
Ich erhebe mich von dem Stuhl, als er auf die Tür zugeht. Wir betreten den Flur und sehen Jolanda, die schlafend, auf einem der Stühle hängt. Ich gehe zu ihr und wecke sie. Zu müde, um die Augen richtig offen zu halten, zwinkert Sie mir zu. Sie hat genau gewusst was passieren würde und ich hab ihr das alles vorgeworfen. Nachher muss ich mich bei ihr entschuldigen.
Der Major schleppt die halb schlafende Jolanda zum Polizeiauto und verfrachtet sie auf den Rücksitz. Ich selber nehme auf dem Beifahrersitzplatz. Er startet den Motor und bringt uns zum Hote

Kapitel 7




Im Hotel angekommen, trägt der Major Jolanda ins Bett. Nebenbei hat er mir noch ihre Reisetasche abgenommen. Ich trage meine selber und stelle sie erst einmal mitten in den Raum. Um mich selbst drehend sehe ich mich um. Das Zimmer ist für den Preis gar nicht mal so schlecht. Ein Schlafzimmer mit Doppelbett und einem großen Kleiderschrank. An der Wand hängt ein Bild mit einer hübschen Landschaft drauf. Die Wand ist in einem gemütlichen hellen Rot gehalten. Ich ziehe die Vorhänge zu, dass Jolanda in Ruhe durch schlafen kann.
Das abgetrennte Wohnzimmer ist mit einer großen schwarzen Ledercouch mit Tisch, einem separa-ten Esstisch mit zwei Stühlen und einem Flachbildfernseher ausgestattet. Die Wände hier sind gelb gestrichen und wieder hängen Bilder mit Landschaften drauf herum. Der Major sieht mich kurz unschlüssig an, wendet sich dann zur Tür.
„Also sehen wir uns um 16 Uhr.“, sagt er grinsend.
„Ja, ich freue mich.“, erwidere ich.
Als er die Tür hinter sich schließt, greife ich nach meiner Tasche und krame nach meiner Kulturta-sche. Dann verschwinde ich ins Bad. Ich drehe das Wasser auf und stelle mich unter die heiße Brause.
Das Wasser fließt über meinen Körper, als es mir wieder einfällt. Wieso konnte ich hören was der Major in der Besprechung sagte? Vor allem warum gerade das? Ist das einer dieser Hinweise von denen Maylea gesprochen hat? Ich sehe da nicht den geringsten Zusammenhang. Ich werde später mit Jolanda darüber reden. Vielleicht weiß sie ja weiter.
Ich steige aus der Dusche und wickele mich in ein Handtuch. Dann nehme ich mir ein weiteres um meine Harre trocken zu rubbeln. Ich putze mir die Zähne und hülle mich in einen der Bademantel. Dann verlasse ich das Bad und suche in meiner Tasche etwas Geeignetes zum Anziehen. Und dann ziehe ich das Purpur farbene Kleid heraus. Ich seufze und setze mich auf die Couch, das Kleid auf meinem Schoß. Ich mustere eingehend die hübschen Muster der Spitze am Ausschnitt. Es ist wirklich ein wunderschönes Kleid. Ich denke an den Tag als ich es, oder besser er es mir gekauft hat. Der Tag an dem ich verstand, dass irgendetwas zwischen uns ist. Nicht nur eine tiefe Vertrautheit, nein irgendeine bedeutende Verbindung. Klingt vielleicht blöd, aber was ich bei ihm fühle, hatte ich bei keinem anderen Mann jemals zuvor. Wenn er mich ansieht laufen mir wohlige Schauer über den Rücken und immer wenn er mich berührt spüre ich diese lodernde Flamme die zwischen uns brennt. Die wunderschöne kribbelnde Hitze. Vielleicht hätte ich ihm alles erzählen sollen. Er hätte es verstanden.
Was ist wenn ich mir was vor mache? Ich kenne ihn nicht lange und ich glaube ich habe Gefühle für ihn, die weit über eine Verliebtheit hinausgehen. Ich weiß nicht ob das gut oder schlecht ist.
Ich drücke das Kleid fest gegen meine Brust und hoffe, dass es mich Fabio etwas näher bringt. Ich seufze noch einmal und stehe dann auf. Ich kann dieses Kleid nicht tragen. Dieses Kleid ist allein für ihn bestimmt. Ich falte das Kleid zusammen und lege es beiseite. Stattdessen fische ich ein Kleid heraus, welches auf eine andere Art wunderschön ist. Es ist eines meiner Lieblingskleider. Das Kleid ist Mintgrün mit einem leichten V-Ausschnitt. Die Träger kreuzen sich den Rücken runter und verbinden sich knapp vor dem Po wieder mit dem Stoff. Ich ziehe erst in Erwägung es anzuziehen, entscheide mich aber doch dagegen. Eindeutig zu sexy, nicht das er falsche Gedanken bekommt. Ich will ihm keine Hoffnungen machen, dass aus uns etwas werden könnte. Ich meine er ist wirklich ein sehr gutaussehender Mann, der ehrlich ist und nicht mit Frauen spielt. Dazu ist er noch sehr einflussreich. Und in seiner Uniform sieht er wirklich zum Anbeißen aus. Der perfekte Schwiegersohn, würde man sagen. Und vielleicht würde ich ihn wirklich in Betracht ziehen, wäre da nicht er.
Nachdem ich das dritte Mal in meine Tasche greife, finde ich wonach ich gesucht habe. Ein schlichtes weißes Kleid, mit einem etwas kleineren Ausschnitt. Es endet kurz vor den Knien.
Ich verschwinde nochmal im Bad um mir die Haare zu föhnen. Als ich fertig bin lege ich ein dezentes Make-up auf, lediglich etwas weißer Liedschatten und Mascara. Dann gehe ich wieder ins Wohnzimmer und lege den Bademantel ab. Als ich entblößt im Zimmer stehe läuft mir ein wohliger Schauer über den Rücken, solch einen wie ich ihn nur von Fabios Blicken kenne. Ich drehe mich um und suche das Zimmer ab. Schließlich sehe ich aus dem Fenster. Blödsinn er ist nicht hier. Wie sollte er auch? Er weiß doch gar nicht wo ich bin. Ich ziehe mir meine Unterwäsche und das Kleid an und sehe auf die Uhr. Kurz nach halb vier.
Nochmal gehe ich ins Bad und sprühe mir einen dezenten Duft an den Hals. Dann hole ich mir, die Schuhe die Papa mir vor einigen Tagen geschickt hat, aus der Tasche und ziehe sie an. Ich stecke mir meine Ohrringe an, lege mir Kette mit einem Herzanhänger um den Hals und stecke mir einen Ring um den Finger. Noch etwas Lipgloss, ein kurzer Blick in den Spiegel und fertig.
Jetzt habe ich noch eine viertel Stunde. Ich greife mir meine Handtasche, stecke Lipgloss, Handy und Portemonnaie ein. Dann suche ich mir einen Zettel und Stift und schreibe Jolanda eine Nachricht, dass ich mit dem Major unterwegs bin und sie mich auf meinem Handy erreichen kann. Ich lege die Nachricht offensichtlich auf den Couchtisch.
Da klopft es schon an der Tür. Ich laufe rüber und öffne sie.
„Hallo, Frau Bariello.“, er sieht mich kurz mit großen Augen und offenem Mund an, bevor er weiter-spricht. „Sie sehen bezaubernd aus.“
Ich lächele ihn an. „Vielen Dank, aber bitte nennen Sie mich doch Lucia. Diese Förmlichkeit muss nicht mehr sein.“
„Das sehe ich genauso Lucia, nenn du mich René.“, sagt er nimmt meine Hand und küsst sie.
Er sieht auch in Zivil sehr attraktiv aus. Er trägt ein grünes Shirt von Marc O`Polo, eine braune knie-lange Stoffhose und geschmackvolle braune Armani Turnschuhe mit grünen Akzenten.
Ich greife meine Tasche und hänge sie mir über die Schulter.
„Also was hast du mit mir vor?“, frage ich neugierig.
Er zwinkert mir zu. „Lass dich überraschen.“, antwortet er geheimnisvoll.
Wir betreten den Fahrstuhl. Niemand sagt etwas. Er drückt den Knopf fürs Erdgeschoss und der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung. Er beobachtet mich während ich verlegen mit dem Ring an meinem Finger spiele. Endlich öffnet sich die Tür des Fahrstuhls und wir verlassen das Hotel. Davor parkt ein riesiger weinroter Audi A8. Ich bleibe stehen und bewundere das Auto.
Er öffnet mir die Beifahrertür und winkt mich einzusteigen.
Ich schüttele lächelnd den Kopf. „Hm, protzig!“ Bevor ich einsteige halte ich noch einmal inne und sehe ihn an. „Ich hätte dich gar nicht so eingeschätzt.“
Er mustert mich mit einer Unschuldsmine und zuckt mit den Achseln. „Ich bin nun mal ein Mann und Männer stehen auf Autos. Naja vielleicht hätte ich mein anderes Auto nehmen sollen. Der ist etwas dezenter und schnittiger. Aber…“
Ich lächele ihn aufmunternd an. „Ich verstehe schon. Mir gefällt der Wagen.“ Dann steige ich ein. Naja, wenn ich an Fabios fahrbaren Untersatz denke, ist der hier ja noch dezent. Warum Männer immer versuchen die Frauen mit Autos und klobigen Geschenken zu beeindrucken. Ich meine, natürlich würde ich mich über jedes Geschenk freuen und ich fahre auch gerne in so einem Luxuswagen. Aber darauf kommt es doch nicht an. Das ist wenn überhaupt ein netter Zusatz, aber mehr auch nicht. Und wenn er arm wie eine Kirchenmaus wäre, an seinem Aussehen oder Charakter ändert das nichts. Und das ist das einzige was zählt. Ich würde ihn auch dann mögen. Aber es wird niemals mehr werden, als mögen.
Er läuft um den Wagen herum und steigt ein. Dann startet er den Motor und fährt los. Nach kurzer Zeit schaltet er das Radio ein. Heftiger Gitarrensound schallt uns entgegen und er sieht mich ent-schuldigend von der Seite an. Er will gerade umschalten, als ich ihn zurückhalte.
„Nein, lass das laufen, mir gefällt der Sound. Wer ist das?“
„Manowar. Die sind wirklich gut, das ist eines ihrer härteren Lieder. Aber sie machen auch tolle Bal-laden.“, antwortet er verblüfft.
„Zeig es mir.“, fordere ich ihn auf.
Er schaltet ein paar Lieder vorwärts. Und schon erklingt die Gitarre, ganz sanft und ruhig gespielt. Kurze Zeit später setzt der Sänger ein und es ist ein wundervolles Zusammenspiel. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen. Ich nehme diese wunderschön, beruhigende und gleichbleiben ruhige Melodie tief in mich auf. Dabei wird mir ganz warm ums Herz. Als der Refrain einsetzt, kommen Violinen dazu die sie Spannung erheblich steigern. Und dann setzt die Stimme aus und es beginnt ein unter die Haut gehendes Gitarrensole. Mein ganzer Körper ist von Gänsehaut bedeckt.
„Das ist Himmelsmusik.“, flüstere ich überwältigt.
Er lächelt mich erfreut an. „Und so hätte ich dich nicht eingeschätzt.“
Schmunzelnd schließe ich wieder die Augen. Ich höre gebannt zu und versuche jede einzelne Kleinigkeit in mich aufzunehmen. Dieses Lied geht immer mehr und mehr auf. Wie eine Blume. Bis schließlich die Klänge leiser werden.
„Wie heißt dieses Lied?“, frage ich sofort.
„Swords in the wind.“, antwortet er.
Ich schüttele den Kopf und beginne zu lachen. Ich lache so heiter und fröhlich, wie schon lange nicht mehr. René stimmt in mein Lachen ein und fragt: „Was ist los?“
Noch immer lache ich aus tiefstem Herzen. Ich atme tief durch, bevor ich zu sprechen beginne.
„Weißt du, ich hab mich schon lange nicht mehr so glücklich gefühlt, wie gerade eben. Und es hat sich verdammt gut angefühlt.“
„Es freut mich, dass ich dabei sein durfte.“, sagt er und sieht mich auf diese gewisse Art und Weise an. Und genau jetzt erscheint er in meinem Kopf. Seine einmalig schönen, eisblauen Augen. Wenn sie mich so ansehen. Und meine Knie ganz weich werden. Wie gerne ich jetzt bei ihm wäre. Dieser Mann treibt mich wirklich in den Wahnsinn. Ich seufze leise. Zeit für Ablenkung.
„Wie weit ist es noch?“, frage ich neugierig.
„Nicht mehr weit, um ehrlich zu sein, wir sind schon da.“, sagt er und grinst.
Er biegt ab, auf einen großen Parkplatz. Ich sehe aus dem Fenster und was ich sehe erstaunt mich. Ein riesiges Schloss mit gelben Fassaden und grauen Dächern. Rundherum ein riesiges Anwesen. Was sich dort wohl alles befindet.
„Wow, ich bin begeistert. Eine sehr gute Idee von dir, hier her zu kommen.“, sage ich anerkennend.
Er nickt bestätigt. „Danke, freut mich, dass es dir gefällt. Aber warte erst einmal ab was dich drinnen erwartet.“ Wir steigen aus dem Wagen und er verschließt ihn mit seiner Funkfernbedinung ganz cool über den Rücken. Wir laufen auf das Eingangstor zu, welches in etwa so breit ist wie eine zweispurige Straße. Davor stehen mehrere kleine Verkaufskabinen, von denen nur eine in Betrieb ist. In dieser wartet eine junge Frau, die uns sofort höflich begrüßt.
„Willkommen, auf Schloss Hellbrunn. Zweimal?“
„Hallo, ja zweimal bitte.“, antwortet René. Sie reicht ihm die Eintrittskarten und wir durchschreiten das Tor, welches in eine etwa hundert Meter lange Gasse führt, an dessen Ende zwei breit gebaute Männer stehen. Sie nehmen uns die Eintrittskarten wieder ab und wünschen uns viel Spaß. Schließlich stehen wir auf dem riesigen Vorhof, auf dem geschäftiges Treiben herrscht. Familien, verliebte Paare und Reisegruppen, aber auch Leute die für die Instandhaltung und Reinigung des Schlosses und des Geländes zuständig sind tummeln sich hier. Rechts befindet sich ein niedliches Restaurant und links ein Souvenirladen. René erzählt mir, dass sich auf diesem Vorhof jedes Jahr ein Weihnachtsmarkt befindet, der sehr gerne besucht wird, was ich mir wirklich gut vorstellen kann.
„Dann wollen wir uns das gute Stück mal von drinnen ansehen, meinst du nicht?“, fragt René lä-chelnd.
„Ja, sehr gerne.“, erwidere ich.
Wir laufen die Treppen hoch zum Eingang des Schlosses, betreten es und finden uns in dem großen Foyer wieder. Unwillkürlich halte ich die Luft an und lasse meinen Blick durch die Halle streifen. Links und rechts der Halle sind bis zur Decke reichende massive Holztüren, in Form eines Rundbogens. Geradezu öffnet sich das Foyer, ebenfalls rundbogenförmig, zu einer riesigen Halle. Am anderen Ende in der Mitte der Wand befindet sich ein prachtvoller Balkon von Säulen getragen, an dessen Seiten jeweils eine Treppe in einem Bogen nach unten führt. Die hohen Wände laufen zu einer sich nach außen wölbenden Decke hinauf, welche somit in der Mitte des Raumes am höchsten ist. Das lässt den Raum sehr eindrucksvoll wirken. René nimmt mich bei der Hand, was mich aus meiner begeisterten Starre holt und führt mich in die Mitte des Foyers. Er hebt die Arme und deutet auf die Wände. Jetzt fällt mein Blick erst richtig darauf und es verschlägt mir die Sprache. Die ganzen Wände sind dekoriert mit wunderschönen bunten Fresken. In einem gleichbleibenden Abstand, sind kleine Nischen in den Wänden, in dessen Mitte ein Fenster gemalt wurde. Hinter jedem dieser Fenster ist ein anderes Bild zu sehen, jedoch immer mit einem ähnlichen Hintergrund mit griechischen Häusern und Tempeln. Davor stehen verschiedene Personen. Mal alleine, mal mit andren zusammen. Sie arbeiten, unterhalten und einige umarmen und küssen sich auch. Neben den Fenstern sind detailreiche blaue Wandteppiche. Auf dessen unteren Ende steht ein kelchähnliches goldenes Gefäß mit einem spitzzulaufenden Deckel, der einen prunkvollen Kranz hält, der bis zum oberen Ende des Teppichs reicht. Ganz oben ist ein Löwenkopf eingearbeitet. Über den Fenstern stehen sich ein goldener Widder und ein goldener Panter gegenüber. Zwischen ihnen steht ein Baum, den beide mit den Vorderbeinen berühren. Es wurde so gemalt als wäre es in die Wände eingearbeitet.
Zwischen den Nischen wurden auf Sockeln stehende Marmorfiguren gemalt. Sie sind alle Männer in einer Kriegeruniform, die aussieht wie bei den alten Griechen. Einige halten ihre Schwerter in die Höhe, andere halten sie nur in der Hand oder tragen sie an ihrer Hüfte.
Neben den Türen, sind beidseitig jeweils zwei Säulen, die das genaue Abbild der Säulen unter dem Balkon sind. Mein Blick folgt den Säulen hinauf. Dort wo sie in die Decke übergehen, ist ein Geländer und dahinter befinden sich Menschen in edlen Gewändern. Es sieht aus, als würden sie feiern. Einige prosten sich mit ihren Kelchen zu. Über der Eingangstür ist der Himmel zu sehen und Vögel die in den Wolken fliegen.
„Das ist wirklich unglaublich.“, flüstere ich. René stößt ein leises Lachen aus, legt einen Arm um mei-ne Taille und zieht mich weiter.
„Und das ist noch lange nicht alles.“, erwidert er schmunzelnd.
Er führt mich weiter, in die riesige Halle geradezu. Und ich komme aus dem Staunen wirklich nicht mehr raus. Die Fresken wurden hier fortgeführt und zeigen hier eine riesige Menschenmenge, plaudernd, lachend, tanzend. Ich fühle mich völlig unpassend bekleidet, so echt wirkt diese gemalte Szenerie. Es ist wirklich faszinierend.
Plötzlich verschwimmt meine Sicht. Die vielen Farben um mich herum, laufen zusammen, vermischen sich vor meinen Augen. Und als sich dieser bunte Schleier wiederteilt, befinde ich mich noch immer in dieser Halle. Jedoch nicht mehr mit René. Hunderte andere Menschen scharen sich hier in ihren eleganten Roben und Gewändern. Verwirrt blicke ich an mir herab. Ich habe ebenfalls ein wunderschönes Kleid an. Blauer samtener Stoff schmiegt sich an meine Haut, betont sie noch mehr. Das Dekolleté ist einladend mit goldener Seide eingerahmt, welche sich sanft nach unten über meine Hüfte zum Saum des Kleides zieht.
Sprachlos blicke ich wieder auf und beobachte die Menschenmenge. Es wurde gerade zum Tanz aufgerufen und der Großteil von ihnen lässt sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Die Männer fordern die Frauen ihrer Wahl zum Tanz auf. Sie stellen sich gegenüber voneinander hin und die Musik beginnt zu spielen. Nun laufen sie aufeinander zu, erheben ihre Hände, als wollten sie ein klatschen. Jedoch tun sie dies nicht, nein sie berühren sich nicht einmal. Mit einem Anstand von einigen Zentimetern zwischen ihren Handflächen, bewegen sie sich umeinander herum und blicken sich tief in die Augen. Eine wirklich altmodische Art zu tanzen, aber es wirkt doch irgendwie sehr innig. Man ist sich so nah und dann doch wieder nicht. Wenn ich mir vorstelle, dass Fabio und ich uns gegenüber stehen…
Die Spannung und das Geknister zwischen uns, würde wahrscheinlich jeder blinde spüren. Er würde unglaublich gut aussehen, in solch einem Gewand. Oh nein, nicht gut, atemberaubend. Plötzlich fühle ich mich ziemlich einsam zwischen diesen ganzen erfreut tanzenden Menschen und ich wende den Blick ab. Mein Blick fällt auf die Treppe, welche zum Balkon führt. Langsam bahne ich mir einen Weg durch die Menschenmenge und schreite darauf zu. Gemächlich besteige ich die Treppe, Stufe um Stufe, meinen Gedanken an Fabio nachhängend. Es ist komisch, aber umso länger wir getrennt sind, umso öfter spukt er in meinem Kopf herum. Und umso mehr sehne ich mich nach ihm. Nach seiner beruhigenden Stimme, der kraftvollen Ausstrahlung, bei der ich mich immer sicher fühle. Und nach der Liebe und Zärtlichkeit in seinen Augen, wenn er mich ansieht. Es ist unglaublich. Ich kenne diesen Mann kaum und doch begehre ich ihn mehr, als ich jemals einen Mann begehrt habe. Seufzend stütze ich meine Arme an dem Balkongeländer ab, als ich plötzlich von hinten sanft gepackt werde. Automatisch drehe ich mich um und sehe in die Augen von René. Meine Sicht verschwimmt wieder und es scheint als bin ich in wieder in der Realität angekommen.
„Lucia, bitte antworte mir. Geht es dir nicht gut?“, fragt er mit besorgter Miene.
Verwirrt blicke ich über die Schulter hinunter in die Halle. Stirnrunzelt schüttele ich den Kopf und sehe wieder René an.
„Mir geht es gut. Ich habe nur…geträumt.“, erwidere ich.
Er zieht eine Augenbraue hoch und mustert mich durchdringend. Doch dann lässt er es einfach so im Raum stehen und geht nicht weiter darauf ein.
„Wofür war dieses Schloss?“, frage ich um die Stille zu unterbrechen.
René tritt ans Geländer und breitet die Arme aus. „Nach was sieht das aus?“, fragt er mit einem Lächeln auf den Lippen. „Es ist doch offensichtlich, hier wurden die besten Partys im ganzen Land gefeiert.“
Natürlich ist mir das schon klar gewesen, spätestens nach dieser Vision war mir klar wofür dieses Schloss gebraucht wurde. Ich habe es schließlich eben erst live gesehen.
„Ja, du hast Recht. Es ist offensichtlich.“, erwidere ich ebenfalls lächelnd.
René nickt und sagt: „Man nennt diese Art von Schloss, ein Lustschloss.“
Ich beginne zu lachen und René stimmt mit ein. Das ist doch mal eine geniale Bezeichnung.
„Markus Sittikus hat dieses Schloss in der Zeit von, 1612 bis 1619, errichten lassen. Er war der Fürsterzbischof von Salzburg, aber sein Eiflussbereich ging weit als nur Salzburg hinaus.“
„Wow, so alt ist das schon? Das hätte ich nicht erwartet.“, erwidere ich erstaunt.
René nickt und lässt nochmal die Szenerie auf sich wirken.
„Komm, ich möchte dir noch die Außenanlage zeigen.“, sagt er dann.
Überrascht frage ich: „Aber du hast mir hier drin, doch noch gar nicht alles gezeigt.“
„Ja, die weiteren Räume sind größtenteils Schlafgemächer, die man leider nur in einer Führung besichtigen darf.“ Er deutet auf eine Absperrung an der ein Schild, mit der Aufschrift, „Für Unbefugte betreten verboten“, steht.
„Schade.“, sage ich leicht enttäuscht.
René legt wieder seinen Arm um meine Taille und führt mich die Treppe wieder runter. Er führt mich zurück zu der großen Eingangstür, hält sie mir auf, damit ich rausgehen kann.
„Ich werde dir jetzt den prachtvollen Garten, dieses Schlosses zeigen. Du wirst erstaunt sein.“, sagt er schmunzelnd.
Und das bin ich in der Tat. Die Gärten könnten schöner wirklich nicht sein. Es ist im Grunde genom-men ein riesiger Park. Unglaublich viele verschiedene Bäume, Blumen und Sträucher säumen ihn und es strahlt alles in einer wunderschönen Farbpracht. Es sind unendlich viele Springbrunnen, auf dem ganzen Gelände. Auf oder in jedem Brunnen sind Figuren aufgestellt, Männer, Frauen und sogar Tiere.
„Die Figuren auf dem Brunnen stellen verschiedene Gottheiten dar. Eurydike, Neptun, den Jäger Akteon und die Jagdgöttin Diana.“, erklärt mir René.
„Wie du vielleicht siehst, wurde das ganze Schloss auf die griechische Mythologie aufgebaut.“
„Ja, es ist gar nicht zu übersehen. Es ist wirklich atemberaubend.“, antworte ich. „Was ist das dort?“, frage ich und zeige auf ein langes, rechteckiges Haus, welches den Weg säumt.
„Das sind die fünf Grotten. Willst du sie sehen?“, fragt René.
Grotten? Doofe Frage, natürlich will ich sie sehen. „Ja.“, antworte ich nur.
Wir laufen dorthin und betreten das Haus.
„Man nennt die fünf Grotten: Neptungrotte, Ruinengrotte, Muschelgrotte, Spiegelgrotte und Vogelsanggrotte.“
Wir betreten die erste und ich werde gleich von einem eine große Fratze in der Wand, welche die Augen rollt und die Zunge raustreckt. Ich beginne zu lachen. Davor steht ein sich drehendes Schleif-rad, betrieben von einer Frau. Dahinter steht ein Mann und davor sitzt ein Kind, welches Wasser speit. „Das ist ja Wahnsinn.“
René nickt zustimmend. „Das wird alles mit Wasser betrieben. Hinter dem Haus läuft versteckt ein kleiner Kanal, der das hier alles mit Wasser versorgt.“
„Wirklich? Unglaublich, dass sie das damals so…“, ich keuche erschrocken auf. Es beginnt zu regnen. Von der Decke spritzt, aus versteckten Düsen, Wasser und in der Mitte des Raumes entsteht ein wunderschöner Regenbogen. Schnell laufe ich durch die zur Tür der nächsten Grotte und bleibe darunter stehen. René lacht laut auf und kommt mir hinterher.
„Du!“ Ich schenke René einen tadelnden Blick. „Das hättest du mir durchaus vorher sagen können.“
Noch immer lachend sagt er: „Ja, das hätte ich, aber dann wäre ja die Überraschung verdorben gewesen.“
Nun kann auch ich nicht mehr an mich halten und lache hemmungslos mit. Eigentlich ist es ja wirklich echt witzig. Ich hätte es auch geheim gehalten.
Die nächste Grotte ist das einzige Chaos. Es wurde bis ins kleinste Detail eine zerstörte Ruine darge-stellt. An der Längswand des Raumes steht, wie René erklärt, Apollo vor Marsyas. Apollo hält ein Schwert in der rechten Hand. Mit der linken Hand schlägt er den Arm Marsyas weg und schlägt mit dem Schwert auf ihn ein um ihn zu schinden.
Eine sehr grausame Szene. Marsyas hat Apollo zum Wettkampf herausgefordert, welchen er natür-lich nicht gewann. Zur Strafe wurde ihm von Apollo die Haut abgezogen.
In der dritten Grotte sind unendlich viele Muscheln in den Wänden eingearbeitet. Irgendwie erinnert es an Fossilien. Hier steht ebenfalls an der Längswand des Raumes ein sich drehendes Mühlrad. Daneben steht der Müller der aus einem Eimer, Mehl in das Mühlrad kippt. Es hört sich sogar an wie in einer Mühle.
An den Wänden der vierten Grotte fließt unentwegt Wasser hinab. In der Decke ist ein Loch welches eine Menge Tageslicht spendet. Durch einen Spiegel wird das Licht so gebündelt das es die ganze Grotte erhält und man sich im Wasser spiegelt. Auch hier steht wieder ein Schauspiel an der Wand.
Andromeda ist nackt an einen Felsen gefesselt. Davor ist ein Drache, der sich von links nach rechts bewegt. Neben dem Drachen steht Perseus, welcher immer wieder auf den Drachen einschlägt.
Wirklich spektakulär. Dass sie die Bewegungen der Figuren nur mit Wasser hervorrufen ist nicht nur klug durchdacht, sondern auch eine gute Technik.
In der letzten Grotte hört man Vogelgesang. Durch Ventile in den Wänden, werden mit verschiede-nen Wassermengen Töne erzeugen, welche stark an mehrere verschiedene Vögel erinnern.
Das letzte Schauspiel stellt eine kleine Töpferwerkstatt dar. Die Figur sitzt vor der sich drehenden Töpferscheibe und bewegt sich als würde sie ein großes Gefäß herstellen.
Als wir die Grotten wieder verlassen hat es schon zu dämmern begonnen.
„Ich bin wirklich begeistert. Ich hätte wirklich nicht geglaubt, dass hier solche faszinierenden Dinge zu bestaunen sind. Hätte ich, dass gewusst, wäre ich schon längst mal hergekommen.“, sage ich überschwänglich.
„Das wundert mich nicht.“, sagt René triumphierend grinsend und führt mich zu einem der Brunnen hinter dem Schloss zurück.
„Es beginnt langsam zu dunkel zu werden.“, sagt er aufgeregt. „Ich muss dir noch was zeigen.“
„Was denn?“, frage ich lächelnd.
Er zwinkert mir zu und sagt: „Das wirst du gleich sehen.“
An den ganzen hübschen Statuen, Pflanzen und Brunnen vorbei, führt er mich in ein etwas abgelegenes von Bäumen umringtes Stück des Grundstücks, was er mir tatsächlich noch nicht gezeigt hat. Als wir dort ankommen, komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus.
Man betritt eine Veranda an dessen Längsseite eine Wand aufgestellt ist. In der Wand sind Figuren von Göttern eingearbeitet und davor steht eine Art Altar. Am anderen Ende der Veranda ist ein Steintisch mit 2 Steinbänken aufgebaut. Dahinter ist ein wunderschöner Teich in dem verschiedene Figuren stehen, in Form von Fabelwesen stehen. Eine grandiose Aussicht. Weil es dunkel ist wird alles von versteckten Lichtern erleuchtet, welche der Atmosphäre einen sehr intimen und romantischen Touch verleihen.
Nach dem ich meine erste Bewunderung überstanden habe. Beginne ich herzhaft zu lachen und drehe mich gekonnt drei Mal, mit erhobenen Armen, um meine eigene Achse.
„Das ist, das ist wirklich das Schönste, was ich meinem ganzen Leben gesehen habe.“, sage ich be-geistert.
Er sieht, mich abermals mit diesem bestimmten Blick an. Ich merke, dass etwas an dieser Situation ganz falsch ist. Das ist der romantischste Ort an dem ich jemals gewesen bin, mit einem Mann. Nor-malerweise sollte ich jetzt wahnsinnig Bauchkribbeln haben und auf den ersten Kuss warten. Doch so ist es nicht. Nur wegen ihm. Er müsste an Stelle von René mit mir hier sein.
„Warum siehst du mich so an?“, frage ich schüchtern.
Er lächelt mich verlegen an. „Weißt du, es ist schwer sich auf etwas anderes zu konzentrieren, wenn du in der Nähe bist.“
Ich sehe ihm einige Sekunden in die Augen, bevor ich mich auf eine der beiden Steinbänke niederlasse. „René…“, ich halte kurz inne. Wie bringe ich ihm das jetzt am schonendsten bei? Ich atme tiefdurch bevor ich weiterrede. „Es tut mir wirklich leid, wenn ich dir irgendwie falsche Hoffnungen gemacht habe. Das war niemals meine Absicht. Du bist ein toller Mensch, ich durfte noch nie einen so Guten und Willensstarken Mensch wie dich kennenlernen und du verdienst eine außergewöhnliche Frau. Aber diese Frau bin leider nicht ich. Mein Herz gehört bereits jemand Anderem. Es tut mir leid.“, sage ich sanft. Jedes einzelne Wort hat mir selber einen Stich versetzt. Ich will ihn keinesfalls verletzen. Er lächelt mir traurig zu.
„Damit habe ich schon fast gerechnet. Er muss ein glücklicher Mann sein mit einer Frau wie dir.“
„Mit einer Frau wie mir?“, frage ich.
Er nickt. „Ja, du bist etwas Besonderes. Du bist enthusiastisch, klug, begeistert, emotional und so positiv. Und dazu noch wunderschön. Ich weiß, dass klingt jetzt vielleicht kitschig, aber wenn ich dich ansehe, sehe ich nicht nur dein atemberaubendes Erscheinungsbild. Nein, ich sehe ein helles Licht, was dich umgibt. Als würdest du von innen heraus strahlen.“
Ergriffen halte ich die Luft an und schließe die Augen. Ich spüre wie er näher kommt, sich neben mich setzt und meine Hand greift.
„Vielleicht klingt das für dich ziemlich überzogen, aber weißt du Lucia, du bist ein weitaus besserer Mensch als ich. Alle Menschen in deiner Umgebung, werden allein durch deine Anwesenheit fröhli-cher und glücklicher. Als würdest du sie alle an irgendetwas Aufregendes erinnern.“
Abstreitend schüttele ich den Kopf und öffne wieder meine Augen. Ich sehe ihn direkt an und will gerade etwas dazu sagen, als er weiterspricht.
„Heute im Auto, als du sagtest, das ist Himmelsmusik, weißt du was ich da dachte?“
Ich schüttele wieder mit dem Kopf.
„Ich dachte, du musst es ja wissen, du kommst schließlich dort her. Du mit deiner innerlichen und äußerlichen Schönheit und dazu noch dieses weiße Kleid, welches mein Bild von dir perfekt macht. Lucia, irgendetwas hast du an dir. Ich kann es nicht beschreiben, ich finde dafür keine Worte. Aber du bist mehr als nur außergewöhnlich. Für mich wirkst du übernatürlich. Als wärst du nicht von dieser Welt. Du bist so wunderschön, du…“, er hält kurz inne und sieht mir, bevor er weiterspricht direkt in die Augen. „Du kannst doch nur ein Engel sein.“
Sprachlos sehe ich ihn an. Das war die schönste Liebeserklärung die man mir jemals gemacht hat. Und sie lässt mich keinesfalls kalt, aber ich sollte jetzt ganz andere Gefühle spüren als Mitleid, dass ich ihm nicht das geben kann was er sich wünscht. Während mir tausende Gedanken durch den Kopf rasen, sieht er mich nur liebevoll an und wartet ab. Nachdem ich einige Minuten später immer noch nichts sage, flüstert er es nur.
„Ich würde dich gerne nur einmal küssen.“
Ein Kuss. Ein einziger Kuss. Mehr nicht. Soll ich ihm das wirklich abschlagen? Er hat es verdient, we-nigstens einen Wunsch den ich ihm erfüllen kann. Aber ich bin mir nicht sicher. Ist es richtig das zu tun? Was ist wenn er sich doch mehr erhofft von diesem Kuss? Ich will ihm nicht noch mehr wehtun.
Innerlich hin- und hergerissen antworte ich letztendlich: „Es tut mir leid. Ich kann nicht.“
Seufzend steht er auf, atmet einmal tief durch und fasst sich durch die Haare. Dann sieht er mich an und lächelt. „Es ist okay. Ich kann dich verstehen. Dein Freund kann sich glücklich schätzen.“
Das Wort Freund lässt mich leicht zusammenzucken. Jetzt wird mir erst richtig bewusst, was ich ihm gesagt habe. Ich sagte, mein Herz wäre schon vergeben. Ich sagte es mit einer solchen Selbstver-ständlichkeit, dass es mir jetzt erst richtig aufgefallen ist. Fühle ich mich ihm tatsächlich so hingezo-gen, dass ich diese Worte so leichtfertig in den Mund nehme? Und wenn es so ist? Wenn ich ihn wirklich liebe? Ich habe Angst diesen Gedanken weiterzuführen. Angst davor enttäuscht oder verletzt zu werden. Ich kenne ihn noch nicht einmal richtig. Im Grunde genommen weiß ich so gut wie nichts über ihn. In Gedanken versunken, knabbere ich an meiner Unterlippe und bemerke gar nicht, dass René schon Richtung Schloss zurückgeht. Auf halbem Weg dreht er sich zu mir um.
„Lucia, kommst du?“, fragt er.
Aus meinen Gedanken gerissen, raffe ich mich zusammen und stehe auf. „Ja!“
Ich folge ihm Richtung Schloss. Nachdem er um die Ecke verschwunden ist, drehe ich mich noch einmal um, um diesen wundervollen Anblick ein letztes Mal in mich aufzunehmen. Erschrocken halte ich die Luft an. Habe ich Halluzinationen? Mit gebanntem Blick sehe ich auf die Gestalt die anmutig auf dem Steintisch steht und mich mit seinen großen Augen in der Farbe eines Aquamarins ansieht.
Was dort vor mir steht, ist eines der schönsten Tiere die ich jemals gesehen habe.
Ein riesiger weißer Tiger. Aber anstelle von Angst, fühle ich mich zu ihm hingezogen. Ich spüre eine Verbindung zwischen mir und diesem prachtvollen, edlen Tiger. Sein schwarz- weiß gestreiftes Fell glänzt im Schein der Lichter. Desto länger ich ihn sehe, umso weicher werden meine Knie. Ich will zu ihm, muss ihn berühren. Aber ich rühre mich keinen Schritt von der Stelle. Als würde mein Körper sich strikt dagegen weigern. Und auch er macht keine Andeutung zu mir rüber zu kommen. Ganz langsam, als hätte er Angst mich zu verschrecken, lässt er sich auf dem Steintisch nieder. Stumm bewundere ich die geschmeidigen Bewegungen, der Muskeln unter seinem Fell, während er mich nicht aus den Augen lässt.
Kurz schließe ich die Augen und atme hörbar angespannt aus. Und plötzlich sehe ich Bilder vor mei-nen geschlossenen Liedern. Mich selbst, als ich noch klein war, ungefähr sieben Jahre alt. Und einen großen weißen Tiger. Wenn ich mich nicht irre, dieser weiße Tiger. Ich sitze auf seinem Rücken und klammere mich fest um seinen breiten Hals, während er, in einem mörderischem Tempo durchs Unterholz jagt. Langsam verblassen die Bilder vor meinem inneren Auge. Verwirrt blicke ich wieder auf, zu dem Steintisch. Aber der Tiger ist weg. So schnell wie er dort war, ist er auch wieder verschwunden. Ohne einen Laut von sich zu geben.
„Stimmt irgendetwas nicht, Lucia?“, ruft René mir von weiter vorne zu.
Tief Luft holend wende ich mich in seine Richtung und rufe: „Nein, alles Bestens. Ich konnte mich nur nicht von diesem Anblick lösen.“ Und das ist noch nicht einmal gelogen. Noch einmal sehe ich rüber zum Steintisch, doch er ist noch immer verlassen.
Schließlich atme ich einmal tief durch und schließe zu René auf. Schweigend verlassen wir das Gelände des Schlosses und gehen zum Wagen. Er hält mir zum Einsteigen die Tür auf und steigt schließlich selber ein. Dann lenkt er den Wagen vom Parkplatz und fährt zurück zum Hotel. Während der ersten Hälfte der Fahrt schweigen wir. Leise dudelt eines der Rocklieder aus den Lautsprechern. Was war das was sich vor meinen Augen abgespielt hat? Ist mir das wirklich passiert? Bin ich schon einmal auf einem Tiger geritten? Unmöglich, dass ich das vergessen habe. An so ein Erlebnis würde sich jeder erinnern. Man reitet schließlich nicht einfach mal so auf einem Tiger. Und was noch viel wichtiger ist, wieso habe ich das überhaupt gesehen? Ich habe es nicht mal darauf angelegt, mal davon abgesehen, dass ich gar nicht weiß wie das geht. Vielleicht war der Tiger den ich dort sah, der Auslöser dieser Vision gewesen. Nicht nur vielleicht, dass ist sogar sehr wahrscheinlich. Aber wenn es die Vergangenheit ist, warum erinnere ich mich nicht daran? Oder war das dort gar nicht die Vergangenheit, sondern ein Hinweis von Maylea? Wie der Vorfall vor dem Versammlungsraum im Polizeirevier. Was könnte sie mir damit sagen wollen? Ich sehe dazwischen keine Verbindung. Nachdenklich knabbere ich an meiner Unterlippe und runzele die Stirn. Was hat überhaupt ein Tiger auf dem Gelände zu suchen gehabt? Lassen die sie dort einfach herumstreunen? Oder war das derselbe Tiger aus dieser Vision? Das wäre gut möglich.
„Lucia, ist alles in Ordnung mit dir?“, fragt René besorgt.
Ich sehe auf und bemerke, dass wir schon vor dem Hotel stehen. Entschuldigend lächele ich René an.
„Ja, alles okay, ich war nur etwas in Gedanken.“
Er schmunzelt zurück und sagt: „Etwas ist gut. Du hast die ganze Fahrt über kein Wort gesagt.“ Er hält kurz inne, bevor er weiterspricht. „Pass auf, du brauchst dich nicht schlecht zu fühlen, weil du mich abblitzen lassen hast. Ich habe mir Hoffnungen gemacht, obwohl du mir dazu keinen Grund gegeben hast. Mach dir keine Gedanken ich, komme damit schon klar, auch wenn ich dich wirklich sehr gerne wiedersehen würde.“
Mit leichten Schuldgefühlen, weil ich ihm nicht mehr geben kann, sehe ich auf meine Hände, um mich zu sammeln. Dann blicke ich wieder auf und nehme sein Gesicht in meine Hände. Ich sehe ihm in die Augen, bevor ich beginne zu sprechen. „René, ich danke dir für alles, was du für mich und Jolanda getan hast. Du bist wirklich ein sehr guter Mann mit einem großen Herzen. Wären wir uns schon früher begegnet, dann wärst du jetzt wahrscheinlich der Mann meines Herzens.“ Ich atme einmal tief durch und rede dann weiter: „René, ich wünsche dir wirklich alles Glück der Welt. Ich wünsche mir, dass du eine Frau findest, die dich bedingungslos lieben kann und dich glücklich macht…“
„Lucia, ich…“
Ich lege ihm einen Finger auf den Mund um ihn vom Sprechen abzuhalten.
„Ich werde dich in meine Gebete mit einbeziehen und mir alles Gute der Welt für dich wünschen, Herr Major René Graber.“ Langsam beuge ich mich vor und gebe ihm einen ganz, sanften Kuss. Unsere Lippen streifen sich nur leicht, aber seinem Blick nach zu urteilen, ist das mehr als genug für ihn.
„Vielen Dank.“, sagt er leise.
Ich nicke ihm mit einem leichten Lächeln auf den Lippen zu, öffne die Autotür und verabschiede mich mit einem geflüsterten, „Auf wiedersehen.“
Ohne mich noch einmal umzublicken betrete ich das Hotel und gehe hoch in unser Zimmer. Dort erwartet mich eine sehr entspannte Jolanda.
„Hallo Liebes, ich dachte du kommst heute nicht mehr wieder. Hattest du Spaß mit dem Major?“, fragt sie verschwörerisch.
Ich ziehe die Augenbrauen kraus und antworte: „Ja, wir hatten sehr viel Spaß, aber nicht in dem Sinne, auf das du hinaus willst.“
„Schade eigentlich.“, erwidert sie schulterzuckend. „Der war doch eigentlich ein ganz süßes Schnu-ckelchen.“
Ich schüttele den Kopf und seufze. Jolanda erhebt sich von der Couch, klopft mir auf die Schulter und sagt: „Lass uns ins Restaurant gehen. Ich sterbe gleich vor Hunger.“
Schweigend folge ich ihr runter ins Hoteleigene Restaurant. Dort zerre ich sie an einen ziemlich weit abgelegenen Tisch, damit ich mich in Ruhe mit ihr unterhalten kann.
Nachdem wir beide die Karten durchstöbert haben und unsere Bestellungen abgegeben haben, beginne ich ihr von den Ereignissen zu erzählen.
„Heute sind wirklich merkwürdige Dinge geschehen. Ich selber kann mir darauf einfach keine Ant-wort geben.“
„Was ist passiert, Kindchen. Erzähl es Tante Jolanda.“
Ich kneife die Augen zusammen und zische ihr zu: „Es wäre mir ganz recht, wenn du die Sache etwas ernster nehmen würdest.“
Sie lächelt unschuldig. „Entschuldige bitte. Also was liegt dir auf dem Herzen?“
Ich erzähle ihr von dem Vorfall auf dem Polizeirevier, als ich plötzlich die Worte hören konnte die René sprach, welche jedoch keinen Zusammenhang mit meiner Lage haben.
„Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit den Kopf, was das bedeuten könnte, aber ich finde einfach keinen gemeinsamen Nenner. Ich bin mir inzwischen eigentlich ziemlich sicher, dass es ein Hinweis von Maylea ist, aber meine Mutter hat nichts mit der Mafia zu tun.“
„Maylea?“, fragt Jolanda mich mit großen Augen. „Du hast mit einem der Heiligen See- und Meeresgeister gesprochen?“
Verdutzt runzele ich die Stirn. „Ja. Ist das so ungewöhnlich?“
Entgeistert schüttelt Jolanda den Kopf. „Ungewöhnlich? Es ist die größte Ehre für jedes Lebewesen, überhaupt auf ihre Lichtungen eingeladen zu werden, aber auch noch mit ihnen zu sprechen…ich glaube das ist ein heiliges Geschenk, welches man nicht unterschätzen sollte.“
Mir bleibt der Mund offen stehen. Jetzt bin ich aber geplättet, damit hätte ich nicht gerechnet.
„Wow, ich dachte das wäre ganz normal bei Hexen.“
„Ganz und gar nicht.“, erwidert Jolanda trocken. Wir halten in unserem Gespräch inne, als der Kellner mit unserem Essen kommt. Als er wieder weg ist, schiebt sich Jolanda eine große Gabel mit Spaghetti in den Mund, stöhnt genüsslich auf und spricht mit vollem Mund weiter.
„Also ein Hinweis ist das mit Sicherheit. Aber worauf sie dich Hinweisen will, kann ich dir beim besten Willen nicht sagen.“
Grübelnd stochere ich in meinen Spaghetti herum, was mir einen bösen Blick von Jolanda einbringt.
„Muss ich dich schon wieder zum Essen zwingen? Iss wenigstens ein bisschen.“
Seufzend rolle ich ein paar Nudeln auf die Gabel. In letzter Zeit schmeckt alles so fad und liegt extrem schwer im Magen. Nach zwei weiteren Gabeln stochere ich wieder nur herum und blicke zu Jolanda auf.
„Da wäre noch etwas. Etwas was noch viel kurioser ist, als dieser Hinweis.“
Ich erzähle ihr von meiner Begegnung mit dem weißen Tiger und von der Vision.
Stutzig sieht sie mich an. „Ein weißer Tiger also. Das klingt wirklich ziemlich abgefahren.“
Langsam bildet sich ein wissendes Grinsen auf ihrem Gesicht.
„Wie sagtest du nochmal heißt dein Geliebter?“, fragt sie keck.
„Er ist nicht mein Geliebter, wenn man es so nimmt, dann haben wir uns ja noch nicht einmal richtig geküsst. Und sein Name ist Fabio.“
Jolanda bricht in schallendes Gelächter aus. „Das ist der absolute hammer. Du hast wirklich densel-ben Männergeschmack wie damals.“
„Wie meinst du das?“, frage ich verwirrt.
„Ach Kindchen, das wirst du noch früh genug erfahren, da werde ich nicht mitmischen. Aber eins kann ich dir sagen. Deine Vision war mit hundertprozentiger Sicherheit, deine Vergangenheit, sie wurde nur aus deinen Erinnerungen gelöscht.“
„Wie aus meinen Erinnerungen gelöscht?“, frage ich noch verwirrter als vorher.
Genüsslich isst Jolanda weiter ihre Spaghetti und schüttelt nur mit dem Kopf. „Das meine Liebe, ist nicht meine Aufgabe, dir zu erklären.“
Und mit diesen Worten wimmelt sie mich ab. Sie sagt nichts mehr zu diesem Thema und da sie offensichtlich etwas darüber weiß, könnte ich ihr den Hals umdrehen.
Ich zwinge mir noch ungefähr die Hälfte des Tellers hinunter, dann bezahlen wir und gehen zurück auf unser Zimmer. Dort geht Jolanda duschen und ich packe unsere Sachen zusammen.
Kurz vor Mitternacht checken wir aus und verladen unser Gepäck im Auto.
Dann setzen wir uns ins Auto und ich spüre wie sich in mir ein Knoten löst, da wir endlich unseren Weg fortsetzen können. Noch einmal versuche ich Jolanda dazu zu bringen, mir mehr über den Tiger zu erzählen, doch sie speist mich mit den Worten, „Mh mh…mein Mund ist verschlossen.“, einfach ab.
Seufzend lehne ich mich zurück, als Jolanda den Motor startet und auf die Straße lenkt.
Nachdem wir wieder auf die Autobahn gefahren sind und mich Jolandas Bollywoodmusik mich fast in den Wahnsinn treibt, drifte ich langsam ab ins Land der Träume. Meine Augen fallen mir zu und ich schlafe ein.
Ich stehe auf einer Lichtung umringt von vielen hohen Bäumen und sehe mich in alle Richtungen um. Niemand ist zu sehen, also lasse ich mich langsam ins Gras fallen, lege mich auf den Rücken und blicke zum Mond hinauf. Bewundert beobachte ich diesen leuchtenden Ball, als ich plötzlich einen warmen Wind über mein Gesicht streifen fühle. Ich setze mich auf und drehe mich um. Dort steht er. Der weiße Tiger mit seinen wunderschönen aquamarinfarbenen Augen, die mir direkt auf den Grund meiner Seele zu sehen scheinen. Langsam strecke ich meine Hand nach dem edlen Tier aus und streichele ihm über den Kopf. Dieser lässt sich geschmeidig ins Gras sinken und lässt meine Zärtlichkeiten willig über sich ergehen. Er beginnt glückselig zu schnurren. Ein riesiger weißer Tiger, der schnurrt. Was für eine Ironie. Zögernd rutsche ich näher an den Tiger heran, welcher inzwischen alle viere von sich gestreckt hat. Ich lege mich zwischen seine Beine und lasse meinen Kopf auf seinen Bauch sinken. Währenddessen streichele ich ihn weiter an seinem starken Hals. Bedächtig kommt er mit seinem Kopf hoch und sieht auf mich hinab. Seine wunderschönen Augen ziehen mich in ihren Bann. Ich kann mich von diesem Anblick nicht losreißen. Mein Herz beginnt augenblicklich an schneller zu schlagen. Plötzlich beugt er seinen Kopf zu mir herunter und leckt mir über die Wange. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und vergrabe meinen Kopf an seinem Hals.
Durch einen heftigen Aufprall werde ich augenblicklich hellwach.
„Was ist passiert?“, frage ich geschockt.
„Die versuchen uns von der Straße zu drängen.“, antwortet Jolanda nervös und umklammert mit beiden Händen fest das Lenkrad.
Ich blicke nach hinten und sehe einen schwarzen Jeep der gerade wieder den Abstand zu unserem Auto verringert um uns hinten reinzufahren. Das gelingt ihm auch und unser Auto beginnt zu schlit-tern. Jolanda versucht krampfhaft die Kontrolle über das Auto zu behalten und schafft es tatsächlich es in der Spur zu halten. Jedoch leider nicht lange, denn der Jeep setzt schon wieder an um uns hinten reinzufahren.
„Jolanda, wir müssen irgendetwas tun.“, rufe ich entsetzt.
„Ach was, dann lass dir mal schnell was sinnvolles einfallen.“, erwidert sie sarkastisch.
Bestürzt sehe ich mich um. „Wir müssen irgendwie von der Straße runter.“
„Wir sind auf einer Landstraße, wie du siehst ist hier nichts weiter außer Bäume.“, gibt Jolanda flu-chend zurück.
Verzweifelt überlege ich wie wir unsere Angreifer loswerden können, als hinter dem Jeep plötzlich eine schwarze Limousine ausschert, aufholt und dann auf gleicher Höhe mit uns fährt. Ich versuche durch die Scheibe jemanden zu erkennen, doch sie ist verdunkelt. Abrupt holt der Wagen aus um uns von der Seite zu rammen. Gleich darauf trifft uns der Jeep von hinten. Und noch einmal holt die Limousine aus und rammt uns. Unter solchen Umständen könnte der beste Fahrer das Auto nicht unter Kontrolle halten.
Wie nicht anders zu erwarten kommt unser Auto von der Straße ab und fährt mit voller Wucht gegen einen Baum. Es geht alles sekundenschnell. Die Airbags schlagen uns ins Gesicht. Meine Sicht verschwimmt und ich spüre eine warme Flüssigkeit meine Stirn hinablaufen. Blute ich etwa?, frage ich mich benommen. Jolanda hängt wie ein nasser Sack in ihrem Sitz und bewegt sich nicht. Schwach versuche ich nach ihrer Hand zu greifen, doch da werden die Türen schon aufgerissen. Jolanda wird von einem Mann herausgezogen, der kurz nach ihrem Puls tastet und dann jemanden zuruft: „Sie lebt noch.“ Ich höre Schritte näher kommen, bin aber zu schwach um mich umzusehen. „Wunderbar, nehmt sie mit.“, antwortet eine Stimme dem Mann. Dann beugt sich jemand ins Auto, sieht mich an und beginnt höhnisch zu lächeln. „Was sollen wir mit der machen?“
„Dieses Prachtstück kommt mit mir.“, sind die letzten Worte die ich höre bevor ich endgültig das Bewusstsein verliere.

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Texte: Rechte liegen bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 30.03.2011

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