Minuten fühlten sich an, wie Stunden.
Die Müdigkeit stand ihr bereits ins Gesicht geschrieben, doch ans Schlafen gehen, wollte sie nicht denken. Langsam strich sie sich eine braune Strähne hinters Ohr, der Blick fest auf den unteren rechten Rand des Bildschirmes gerichtet. Stunden waren bereits vergangen, Stunden, die sich wie Tage angefühlt hatten. Bald war es endlich Mitternacht. Ihre schmalen Finger huschten über die Tastatur. Tippten Namen von Internetseiten ein, die dabei helfen sollten, die Zeit schneller herumzukriegen. Ihr Herz raste, die gähnende Leere der Einsamkeit schnürte ihr die Kehle zu und ein dumpfes Gefühl breitete sich in ihrer Magengrube aus. Die letzte Minute verstrich. Mitternacht. Es war soweit. Sie hatte endlich Geburtstag. Gespannt aktualisierte sie die Seite ihres Browsers. Eine Seite, die sie noch niemals geschlossen hatte. Das soziale Netzwerk war bereits ein Teil von ihr geworden. Es gehörte zu ihr und gab ihr das, was die reale Welt ihr nicht bieten konnte. Das Handy blieb still, doch im Internet fingen bereits die ersten Menschen an, ihr zu gratulieren. Menschen, die sie als ihre Freunde ansah, obwohl sie eigentlich keine hatte. Doch, das war ihr egal. Sie liebte jede neue Benachrichtigung. Sie war süchtig nach dem rotem Symbol auf dem typisch blauen Hintergrund. Es linderte den tiefen Schmerz, der in ihrer Seele tobte. Schon viele Male hatte sie probiert, in die reale Welt zurück zu finden. Doch dort wurde sie nicht so akzeptiert, wie hier. Dort machte man sich über sie lustig. Hänselte sie wegen ihres Übergewichtes und den billigen Klamotten. Dort, war sie allein. Aber hier, hier im Internet war sie jemand. Man machte ihr Komplimente über ihr schönes Gesicht und die tollen Augen. Man gab ihr hier etwas, was niemand ihr sonst geben könnte. Hier fühlte sie sich geliebt und geborgen.
Ein Lächeln umspielte ihre zartrosa Lippen, als erneut eine Benachrichtigung angezeigt wurde. Doch dieses schöne Lächeln verschwand, so schnell, wie es gekommen war. Entsetzen spiegelte sich in ihren grasgrünen Augen wider. Ihr Atem stockte, doch ihr Herz raste. Das drückende Gefühl in ihrer Magengrube verschlimmerte sich, es breitete sich aus und sie hatte das Gefühl zu ersticken. Die Welt, die sie so sehr geliebt hatte, zerbrach. Alles, was sie sich aufgebaut hatte, ihre neue Existenz, ihr neues Ich. All das wurde zerstört, von einer Person, die doch eigentlich all das hatte, was sie sich selbst so sehnlichst wünschte.
Und doch, hatte diese Person einen Kommentar geschrieben, der so gemein und geschmacklos war, dass es einem den Magen umdrehte. Das Mobbing war nun auch auf Facebook vorgedrungen. Ab jetzt würde es kein Zurück mehr geben. Es hatte angefangen und es würde nicht wieder enden. Ihr ganzer Körper zitterte von der traurigen Erkenntnis. Tränen stiegen ihr in die Augen und die ersten Tränen der Verzweiflung kullerten ihre Wangen hinab. Es war zu spät, um den Kommentar noch zu löschen. Bereits nur wenige Minuten danach, hatten bereits zwanzig Personen die niederschmetternde Sätze geliked.
Es war zu spät. Sie hatte verloren. Die Akzeptanz nahm die Stelle der Trauer ein. Sie schaltete den Bildschirm aus und verschwand im Badezimmer. Ihre Mutter hatte immer Schlaftabletten zu Hause. Besonders starke, da ihr Vater die schlechte Angewohnheit hatte, laut zu schnarchen. Mit den Tabletten schlief ihre Mutter jedoch, wie ein Stein. Aber das Mädchen hatte nicht vor nur zu schlafen. Sie wollte in der Traumwelt versinken. Denn im Traum konnte man ihre Welt nicht zerstören. Sie hatte die Gewalt, war die Herrscherin. Jeder würde sie vergöttern und schätzen. Man würde ihren Geburtstag feiern, zelebrieren, tagelang feiern. Der hübscheste Kerl der ganzen Schule, hätte nur Augen für sie. Niemand würde ihr mehr wehtun. Sie schluckte die erste Tablette, schluckte die zweite, schluckte die dritte. Sie nahm die ganze Packung. Bereits vor der letzten Pille wurden ihre Augenlider schwer, eine wundervolle Trance umgab sie. Doch es war die vollkommene Harmonie in ihrem Inneren, die sie nun lieben lernte. Es fühlte sich so viel angenehmer an, war mit dem ständigen Angstknoten, der sie geplagt hatte, nicht zu vergleichen. Alles fühlte sich so leicht an, so schön. Als schwebe sie auf Wolken. Langsam ließ sie sich in ihr Bett gleiten, bereit mit dem Leben – ob virtuell oder real – endlich abzuschließen.
Es war vorbei.
Es ist immer wieder ein Schock für mich,
wenn ich von solchen Schicksalen höre.
Ich möchte nur allen hiermit sagen:
Egal, wie schlimm es ist.
Von dieser Welt zu gehen, ist niemals eine Lösung.
Es wird immer Zeiten geben, in denen man sich verloren und einsam fühlt.
Aber es werden auch Tage, Wochen, Jahre kommen, in denen man nur das pure Glück fühlt.
Es wird sich immer lohnen, für diese Momente zu kämpfen und zu warten.
Bleib stark!
Texte: by me
Tag der Veröffentlichung: 17.11.2012
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