Der kalte Wind strich mir übers Haar und einzelne Strähnen flogen mir ins Gesicht. Eine Träne fiel auf den Boden, der mit Herbstlaub bedeckt war.
Meine Schwester Grace starb mit 21 Jahren und ich wünschte, ich hätte sie damals nicht alleine gelassen. Vielleicht wäre sie dann noch am Leben, vielleicht hätte ich ihren Tod verhindern können. Vielleicht. Sie war Opfer eines Serienmörders geworden, der auch noch acht Jahre nach ihrem tragischen Tod auf freiem Fuß war.
Ich wusste, dass ihr Mörder ein Mann war. Doch es gab keine heiße Spur, er machte keine Fehler. Sogar die Polizei war ratlos. Ich ballte meine Hände zur Faust und spürte wie meine manikürten Nägel in meine Haut stachen. Der Schmerz war erträglich und nichts im Vergleich zu der Leere in meinem Inneren.
„Ich werde dich rächen“, flüsterte ich dem strahlenden Gesicht meiner Schwester zu. Es war wirklich ein sehr schönes Bild, das meine Eltern damals in den sonst schlichten Grabstein eingelassen hatten. Der Blick auf die bronzene Jahreszahl erschreckte mich jedes Mal aufs Neue. Wie unglaublich schnell die Zeit vergangen war. Acht Jahre. Es war schrecklich, ohne meine Zwillingsschwester war das Leben nicht mehr wie zuvor. Sie fehlte mir. Ich konnte sie nicht zurückholen, doch ich konnte ihren Peiniger finden und sie rächen.
Traurig verließ ich den Friedhof und stieg in mein kleines Auto. Die Stimme des gutgelaunten Moderators empfand ich als unangebracht und so drückte ich auf den Knopf „CD“.
Ich ließ den Motor an, der wie eine Katze schnurrte. Sie, ja ich gab meinem Auto nicht nur ein Geschlecht, sondern auch einen Namen, war nicht mehr die Jüngste. Eve war bereits 10 und ich hatte sie damals mühsam von meinem ersten Gehalt abgespart. Ich hatte mich sofort in das knallige Rot, das nun mit der Zeit ein wenig verblasst war, verliebt. Ich setzte den Blinker und fuhr zu meiner kleinen bescheidenen Wohnung in der Innenstadt. Ich parkte meine Süße und nahm die drei Stockwerke zu meiner Wohnung zu Fuß. Der Fahrstuhl war öfter kaputt, als heil und ich hatte mich schon daran gewöhnt. Mit der Zeit war ich auch nicht mehr so außer Atem, wie am Anfang. Ich schloss die Tür auf und streifte meine Schuhe vor der Tür ab. Es hatte in der letzten Woche so stark geregnet, dass der Boden völlig aufgeweicht und vermatscht war, doch nichts hätte mich davon abhalten können, Grace an diesem Tag zu besuchen.
Ich hängte die beige Jacke auf den Kleiderständer und schmiss die kleine Kaffeemaschine an, die ich auf Ebay für wenige Euro erworben hatte. Mit warmem Wasser wusch ich mir die Hände und taute sie somit wieder auf, dann streifte ich die Jeans ab und schlüpfte ich in meine bequeme Lieblingshose. Dann schenkte ich mir eine Tasse Kaffee ein. Langsam schlürfte ich das Getränk und ließ es meinen Körper erwärmen.
Im Arbeitszimmer betrachtete ich die Karte, die ich mit den Angaben meines Freundes bei der Polizei angefertigt hatte. Ich hatte ihn anflehen müssen, mir die Details zu geben und nur widerwillig hatte er sie mir ausgehändigt. Ich wusste nun, wo die anderen Frauen ermordet worden waren und hatte die verschiedenen Plätze auf der Karte eingezeichnet. Er hatte ein System, das wusste ich. Doch noch konnte ich es nicht erkennen. Die Frauen waren nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Heute Abend würde er wieder zuschlagen, immer am ersten Samstag im November und heute würde er mir nicht entkommen, nicht schon wieder. Ich hatte drei Clubs ausgewählt, die er noch nicht aufgesucht hatte. Es waren die Letzten in der Stadt, die noch verschont geblieben waren. Ich musste den Richtigen auswählen.
Ich ging in mein Zimmer, holte das Outfit, das ich schon seit Wochen zu Recht gelegt hatte und hüpfte unter die Dusche. Dann zog ich mir die Partyklamotten an und verstaute meine Waffe in meinem Stiefel. Heute würde ich diesen Menschen, ach was rede ich, dieses Monster, ermorden.
Nachdem ich meine Haare in Form gebracht und mir mein Gesicht mit Makeup verschönert hatte, sah ich auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde bis die Clubs öffneten. Verdammt noch mal, in welchen sollte ich gehen? Welchen würde er aussuchen? Ich drehte mich um und stieß, tollpatschig wie ich bin, gegen den Becher kalten Kaffee, den ich zuvor auf dem Tisch abgestellt hatte. Die Flüssigkeit lief genau auf meine Unterlagen und krampfhaft versuchte ich sie zu retten, doch ich machte es nur schlimmer und einige Kaffeetropfen fielen auf meinen weißen Teppich, gefolgt von einigen verschmierten Blättern. Plötzlich fiel mein Blick auf ein Blatt, wo ich handschriftlich die Namen der Tatorte festgehalten hatte. Ich rief mir ein Taxi und krallte mir meine Jacke, dann ließ ich mich auf das schäbige Polster des Rücksitzes gleiten.
„Wohin?“
„Revolution“, antwortete ich dem Taxifahrer.
Ohne weitere Worte fuhr er direkt zum Club. Es war der erste Tatort gewesen und irgendwie spürte ich, dass es heute dort passieren würde.
Das Taxi hielt an und ich drückte dem Fahrer einige Scheine in die Hand und stieg aus.
Die Disco war noch relativ leer und ich setzte mich an die Bar und bestellte mir meinen Lieblingscocktail „Sex on the Beach“. Ich nippte etwas daran und ließ die Süße sich auf meiner Zunge entfalten. Langsam beobachtete ich, wie sich der Club füllte und ich heftete meinen Blick besonders auf die Männer, die eintraten. Jeden checkte ich sozusagen ab und überlegte mir, ob es sich hierbei um den Killer handeln könnte. Doch wie sieht ein Mörder schon aus? Wie du und ich, wie der nette Nachbar von nebenan, den Familienvater von gegenüber. Ich konnte nichts tun, als abzuwarten. Es dauerte nicht lange, bis sich die Getränke einen Weg zu meiner Blase gebahnt hatten und ich auf Toilette musste. Genervt reihte ich mich in die Schlange vor den WCs ein. Als ich den Raum wieder verließ, traf mein Blick auf die graublauen Augen eines Mannes, der eine schlichte Jeans trug, die schon leicht verwaschen war, und ein schwarzes T-Shirt. Perfekt. Er kam auf mich zu und reichte mir ein Getränk.
„Du bist mir schon an der Bar aufgefallen, Sex on the beach, richtig?“
Ich nickte nur verlegen und konnte nur erahnen, dass er etwas ins Getränk getan hatte, falls er wirklich der Mörder war. Vorsichtig ließ ich die Flüssigkeit meine Kehle hinuntergleiten und er schenkte mir ein verwegenes Lächeln. Es dauerte nicht lange da wurde mir etwas schummrig zumute und ich stellte das Glas zur Seite. Ich verzichtete darauf mehr davon zu trinken.
„Mir ist schlecht“, säuselte ich gespielt angetrunken und wie erwartet stützte er mich. Ich kicherte etwas und ließ mich noch etwas weiter absacken, sodass sein Griff sich verstärkte.
,,Du brauchst bestimmt frische Luft, Lexie.“
Ich erschrak, wann hatte ich ihm meinem Namen verraten. Jetzt wurde mir wirklich etwas schwindelig, als ich auf der Straße stand. Er ging mit mir etwas weiter vom Club weg, sodass uns kaum noch Licht erreichte. Er verschmolz mit der Dunkelheit der Nacht. Er war das Monster. Plötzlich schubste er mich in eine schmale, dunkle Gasse und ich war nicht in der Lage zu schreien.
„Du glaubst wohl, ich hätte nicht gewusst, wer du bist. Du siehst genauso aus, wie deine tote Schwester. Ich habe gehofft, dass du mich findest.“
Mit aufgerissenen Augen blickte ich ihn an.
„Mörder“, presste ich voller Abscheu aus meiner Kehle.
Er zog sich seinen schwarzen Ledergürtel aus den Schlaufen seiner Hose, aber ich konnte nicht wegrennen. Meine Beine knickten weg und ich glitt zu Boden. Ich musste an meine Waffe kommen, doch meine Bewegungen waren schwach, zu unkoordiniert. Das hatte ich nicht kommen sehen. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln und ich spürte das harte Leder an meiner Kehle, sowie die kalte Schnalle, die sich in meinen Kehlkopf bohrte. Verzweifelt versuchte ich nach Luft zu schnappen, doch nichts gelangte in meinen gequälten Körper.
Ich wollte um mich schlagen, doch vergebens. Krampfhaft versuchte ich mich zu verrenken, um die Waffe zu greifen, die mich retten würde, doch ich kam nicht dran. Meine schmalen Finger schrabbten über den Asphalt und kleine Steinchen bohrten sich in die offenen Wunden. Ein Fingernagel brach ab, doch ich wollte nicht aufgeben. Ich konnte mich noch nicht der Bewusstlosigkeit ergeben. Verzweifelt startete ich einen letzten Versuch in meinen Stiefel zu greifen und ich weiß nicht wie, doch ich schaffte es. Ich schätzte, dass ich mir dabei den kleinen Finger gebrochen hatte, doch das war nebensächlich. Der Schmerz war nebensächlich. Ich sah ihn an, er hatte nichts bemerkt, geilte sich zu sehr daran auf, wie ich starb. Dann drückte ich ab. Ich spürte, wie heißes Blut auf meinen Körper spritzte und ein unerträglicher Schrei hallte durch die Nacht. Erneut drückte ich ab und der Schrei verstummte. Sein lebloser Körper fiel auf mich und Blut tropfte aus einer großen Kopfwunde. Er war tot. Ich hatte es geschafft. Verzweifelt versuchte ich mich von dem Gürtel zu befreien, der immer noch um meinen Hals hing, doch die Last seines toten Körpers machte es mir unmöglich.
Dann sah ich in das Gesicht meiner geliebten Schwester. Grace.
Texte: Das Bild, welches mein Cover ziert stammt von Anita Patterson. Ich habe es nur durch meinen Schriftzug ergänzt. Ihr könnt es auf folgender Seite finden: http://www.morguefile.com/archive/display/68106. Die Verwendung hat sie genehmigt, wie ihr auf der Seite auch nachlesen könnt.
Tag der Veröffentlichung: 09.03.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch meinen treuen Lesern :)
Danke für die tolle Unterstützung.