„ Ich wusste sofort was ich getan hatte. Zugleich wusste ich was ich tun musste. >> Nein! << Branwen packte mich an der Tunika. Aber es war zu spät. Ich hatte mich bereits in die b-brüllenden Flammen ge- gestürzt.
Dann: der Schmerz. D-der Schmerz in meinem Gesicht und meiner rechten Hand sagte mir, dass ich tatsächlich am Leben sein musste. Es war ein s-s-sengender Schmerz. Ein r-reißender Schmerz. Als ob mir die Haut a-a-a-abgezogen würde - …“.
„Ok Victoria das reicht. Dein Gestottere kann sich ja keiner länger anhören. Ralf, liest du weiter?“
Bitte, wieso tust du mir das an Gott? Was habe ich verbrochen, das ich so etwas erleiden muss?
„Du darfst niemanden davon erzählen und heul jetzt nicht rum!“
Ich zwang die Tränen zurück und bog meine Lippen mit aller größter Mühe zu einem Lächeln. Wahrscheinlich war es eher eine Grimasse, aber Mr. Reddl schien nichts aufzufallen.
„Ok so etwas hast du doch schon etliche Male gemacht. Versuch es einfach zu ignorieren.“
Doch es war schwer ein nicht vorhandenes Feuer, das mir gerade die Haut abzog zu ignorieren. Ich unterdrückte einen Schrei, als die Flammen an meinen Knochen leckten.
Keiner bemerkte etwas; schließlich brannte ich auch nur innerlich. In meinem Geiste. Sowohl außen als auch innen blieb mein Körper unversehrt.
Vor ein paar Jahren hatte ich herausgefunden was mit mir los war.
Anscheinend konnte ich die Gefühle von den Teilnehmern in Büchern richtig fühlen wenn ich selber las. Seit ich angefangen hatte zu lesen war es so gewesen.
Und am Anfang war es ja ganz schön gewesen. In der ersten und zweiten Klasse las man ja nur so Kleinkinderkram wo alles Friede- Freude- Eierkuchen war. Auch in der dritten und vierten und fünften Klasse war es nicht schlimm gewesen, da hatten wir zum Beispiel „Die wilden Hühner“, „Herr der Diebe“ oder „Krabat“ gelesen.
Aber dann in der sechsten war es um einiges unangenehmer geworden. An den Tagen an denen wir „Löcher“ gelesen hatten, hatte ich wahrscheinlich danach immer 2 Liter Wasser getrunken, weil diese Hitze, die in diesem Buch beschrieben wurde, kaum auszuhalten gewesen war. Und ab da fing auch die Stimme in meinem Kopf an zu reden. Es war eine Stimme, die gehörte nicht mir, obwohl ich mir das immer einzureden versuchte. Doch wenn das nicht meine innere Stimme war, wessen Stimme war es dann?
Sterben konnte ich beim Lesen nicht. Obwohl ich es mir manchmal wünschte. Das wusste ich, weil wir am Anfang der siebten Klasse „Kampf um Troja“ in der Kurzfassung gelesen hatten und – natürlich – ich ein paar Sterbeszenen habe lesen müssen. Es war schmerzhaft gewesen, sehr, sehr schmerzhaft. Aber da diese Szenen eigentlich nie richtig ausgeschmückt waren, war es auch schnell vorüber gewesen.
Nicht so bei diesem Buch. Ich krampfte immer noch und biss die Zähne zusammen um nicht laut zu schreien.
Doch trotz des Schmerzes hatte ich nie jemanden davon erzählt. Sonst säße ich jetzt schon längst in einer Gummizelle. Wer glaubt dir denn schon wenn du sagst: ´Hey ich erleide ungeheure Schmerzen wenn ich schlimme Szenen in Büchern lese und dann versucht mich eine fremde Stimme in meinem Kopf immer zu beruhigen und ermahnt mich niemanden davon was zu erzählen´?
Genau, niemand. Also wusste niemand davon. Obwohl ich mir manchmal wünschte ich könnte mir mein Problem bei irgendwem von der Seele reden.
Tag der Veröffentlichung: 02.09.2010
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