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„Christine, steh endlich auf!“ rief ihre Mutter aus der Küche, „Ich bring dich heute in die Schule.“ Musste das wieder sein? Seitdem es passiert ist, macht sie es ständig. Ich habe keine Lust mehr, dachte Christine. Wütend stand sie auf, kämmte schnell ihre Haare und putzte die Zähne. „Hast du mein Geldbeutel gesehen?“ fragte sie ihre Mutter. „Er liegt hier unten“. Sie zog sich an, rannte runter um ihn einzupacken, schnappte sich ihr Brötchen und rannte aus dem Haus. Ständig dieses Kontrollieren! Ich halte es langsam nicht mehr aus! Sie lief schnell an den Häusern vorbei, links, rechts, links – Schule. Sie hatte die Gelegenheit, wegzurennen. Einfach alles zu verlassen, neu anzufangen. Nichts hat sie sich schöner vorgestellt. Sie ging an die Bushaltestelle, schaute auf die Uhr. In zehn Minuten kommt ein Bus. Soll ich wirklich einsteigen? – Ja. Ich kann nur dann alles vergessen, wenn ich nichts mehr sehen kann, was mich an das erinnert. Im Bus probierte sie sich abzulenken, indem sie Musik hörte: „It would be better, I would not be here. I'd rather fly above the clouds…“ – Es wäre besser, wenn ich nicht hier wäre. Ich würde lieber über den Wolken fliegen… Ja - sie wollte frei sein, frei wie ein Vogel. Sorgenfrei, Unabhängig. Sie müsste sich keine Sorgen mehr machen und hätte keine schlechten Erinnerungen. Ein lauter Krach weckte sie aus den Träumen. „Endstation, bitte Aussteigen“. Erschöpft stieg sie aus dem Bus. Diese Gegend war düster und ruhig. Man hörte nur die Blätter rauschen und offene Fenster klappern. Das passte zu Christine – sie war immer dunkel angezogen, hatte schwarze, lange und glatte Haare, kleine Augen und zierliches, kleines Gesicht, mit eher schmalem, nie grinsendem Mund. Etwas unsicher, mit kleinen Schritten, ging sie den Weg entlang. Neben ihr große Bäume, wodurch kaum Sonne durchkam. Hier war ich noch nie, wunderte sie sich. Sie schaute jedes Haus an, alles schien verlassen. Die Gärten waren zugewachsen, in den Häusern alles dunkel. Plötzlich läuteten die Glocken aus der kleinen Kirche direkt vor ihr. Christine zuckte zusammen. Sie ging jeden Tag in die Kirche, aber nicht um zu betten, sondern um sich hinzusetzen und ihr Tagebuch zu schreiben. Das war der einzige Ort wo sie sich sicher fühlte, wo sie alleine war. Sie beschloss, einen Blick hineinzuwerfen. Es ist eine sehr schöne, kleine Kirche. Dort gab es nur ein duzend Bänke. Als sie hinausging merkte sie, dass sie nicht ganz allein war. Eine kleine, schwarze Katze folgte ihr. Sie schlang an ihren Beinen hin und her. Sie ließ sich nicht ablenken und ging weiter. Wo kann ich denn hier meine Nacht verbringen, dachte sie. Da sah sie ein kleines Gasthaus, war nicht größer als die anderen Häusern dort. Die Tür war sehr schwer zu öffnen, wie in einer Geistervilla aus den Filmen, stellte sie sich vor und lachte vor sich hin. Alles aus dunklem Holz mit einer kleinen Theke gleich am Eingang. Christine klopfte ein mal und wartete, bis jemand auftaucht. „Hallo, meine Liebe. Was kann ich für dich tun?“ Eine ältere Frau, mit kleinen Falten im Gesicht und grauen, kurzen Haaren trat aus einem kleinen Nebenzimmer hervor. „Ich wollte fragen, wie viel es kostet, eine Nacht hier zu schlafen.“ fragte Christine, mit etwas unsicherer Stimme. „Es kostet 15$ für eine Nacht, ohne Essen. Mit Frühstück 20$. Was macht so eine junge Frau wie Sie hier in unserem kleinen Dorf?“ - „Ich brauche etwas Abstand. Dann hätte ich bitte ein Zimmer ohne Frühstück. Können sie mir sagen, ob es hier ein Kiosk gibt, wo man sich etwas kaufen kann?“ Die Frau, an deren Namenschild Frau Swan stand, gab ihr den Schlüssel und sprach mit etwas erhobten Stimme: „Gleich nebenan, aber verzeih mir, ich muss jetzt leider wieder gehen, auf mich wartet noch vie Arbeit“. Sie verschwand bevor sich Christine verabschieden konnte. Sie ging auf ihr Zimmer, dass altmodisch gestaltet war, mit roten Teppichen und altem, quietschendem Bett. Dort stand ein handgeschlitzter Schrank. Das Zimmer war recht dunkel, etwas leer und klein, aber für den Preis richtig gut. Mit einem eigenen Bad! Sie packte aus, dabei fiel ihr Handy auf den Boden. Sie hob es auf und merkte, dass ihre Mutter sie öfters angerufen hat. Christine legte sich erschüpft ins Bett und schrieb kurz eine SMS: „Mama, mir geht es gut. Ich brauche nur meine Ruhe und bin für ein paar Tage verreist. Mach dir bitte keine Sorgen. Pass auf dich auf, Tinchen.“ Sie hasste es, wenn man sie Tinchen nannte, aber ihre Mutter fand es immer total süß. Sie schlief langsam, ohne an was Schlechtes zu denken ein…

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Tag der Veröffentlichung: 07.03.2011

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