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Der goldene Einband

Es war Nacht. Eine dunkle, sternenlose Nacht. Sie rannte und rannte. Mal hier, mal da durch. Wo war sie hier bloss? Ein grosser, dunkler Wald breitete sich vor ihr aus. Ohne zu überlegen lief sie direkt ins dunkle der Bäume hinein. „Klack, klack, klack.“, drang es leise an ihr Ohr, oder hatte sie es sich nur eingebildet? Nein, da war es wieder! Angst stieg in ihr hoch. Egal wohin sie auch rannte, überall verfolgte sie dieses Geräusch. Callie stolperte über eine Wurzel, die urplötzlich aus der Dunkelheit aufgetaucht war. Sie rappelte sich auf ihre Knie, unfähig aufzustehen. „Klack, klack, klack.“ Es wurde lauter. Es kommt näher! Dachte sie schockiert.
Ohne auf die Dornen zu achten, die sich in ihren braunen Haaren verfingen und ihr das Gesicht zerkratzten, kroch sie vorwärts. Etwas hatte ihr Bein gepackt und zog sie zurück. Es war keine Hand, da war sie sich sicher. Sie setzte sich hin und versuchte das, was sie festhielt zu lösen. Doch sie zuckte mit der Hand sofort wieder zurück, als sie das kalte Metall berührte. Noch einmal, diesmal langsamer, führte sie ihre Hand zum Bein. Diesmal war sie auf das kalte Metall gefasst. Es hatte sich wie eine Schlinge um ihr Bein geschlungen und hielt sie mit eisernem Griff fest. Sie zerrte und riss an der Scherenhand, doch nichts geschah. Wieso griff es sie nicht an? Als hätte das Wesen ihre Gedanken gehört, schnellte ein Raubvogelartiges Gesicht nach vorne und streifte nur knapp ihren Arm. In der Dunkelheit konnte sie nicht erkennen was da vor ihr lauerte. Aber egal was es war, es verursachte dieses „Klack“ Geräusch.
„Hilfe, ich sterbe!“, wimmerte Callie. In diesem Moment sah sie neben sich den goldenen Einband eines Buches aufblitzen. Erleichtert atmete Callie auf. Sie wusste nicht wieso, aber irgendwie spürte sie, dass sie nach diesem Buch greifen musste. Kaum hatte sie den seidigen Einband berührt, drang ein grelles Licht in ihre Augen.

„Aufstehen du Schlafmütze. Komm schon Callie, du kommst zu spät zur Schule!“
Callie setzte sich in ihrem Bett auf und rieb sich die müden Augen. Wieder einmal hatte sie schlecht geträumt. Sie war in ihrem grossen Zimmer. Ihre Mutter hatte die Storen schon hoch gekurbelt und die Sonne schien herrlich am blauen Himmel.
Gähnend stand sie auf und wollte gerade zu ihrem Kleiderschrank gehen, als ihr Blick auf ein aufgeschlagenes Buch auf ihrem Pult fiel. Sie taumelte schlaftrunken zu ihrem Pult und starrte auf die aufgeschlagene Seite. Ungläubig rieb sie sich die Augen.
„Das ist unmöglich.“, murmelte sie müde und klappte das Buch mit einem dumpfen Schlag zu. Da stockte ihr der Atem. Es war das goldene, seidige Buch aus ihrem verrückten Traum. Wahrscheinlich gehörte es ihrer Mam, dachte sie. Da erst fiel ihr auf, dass sie noch immer ihre verschmutzten Turnschuhe trug, wie auch ihre dreckverschmierten Kleider. Hastig bückte sie sich und zog ihr linkes Hosenbein nach oben. Dort wo sie dieses komische Wesen gepackt hatte, klaffte eine tiefe Schnittwunde. Sie hastete, plötzlich hellwach, zu ihrem Spiegel, der neben der Tür an der Wand hing. Sie verstand nichts mehr. Ihr Gesicht war unversehrt. Kein einziger Kratzer von scharfen Dornen war zu finden. Aber ihre braunen Haare waren voller Dornen und Blätter.
War ihr verrückter Traum vielleicht gar kein Traum? Oder war er verrückter als sie gedacht hatte?

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Tag der Veröffentlichung: 03.11.2012

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