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Ausweglos


Kapitel 1:

Sie wusste es, sie wusste es seit dem ersten Moment, wo er einen Blick ins Zimmer warf. Sie würde hier nicht mehr lebend heraus kommen. Sie würde nicht mehr im Park spazieren gehen können. Sie liebte es spät abends spazieren zu gehen; dann konnte sie noch einmal über alles nachdenken was am Tag so passiert war. Sie konnte ihre Gedanken ordnen. Und dass war im Moment mehr als nötig. Sie wusste nicht wie es so weit kommen konnte.
Eine Träne lief ihre Wange herunter und landete schließlich auf ihrem Oberschenkel. Von dort aus suchte sie sich einen Weg auf den schmutzigen Boden. Wie hatte es nur so weit kommen können? Warum hatte sie nicht einfach in der Apotheke ihrer Eltern arbeiten können, so wie sie es ihr angeboten hatten? Aber nein, sie hatte ja unbedingt Model werden wollen… Wie konnte sie nur so naiv sein? Eine weitere Träne floss über ihre Wange. Ok, sie sah ganz gut aus, aber wer schaffte es dann auf die großen Laufstege? Den meisten Mädchen ging es doch wie ihr. Sie verließen ihre Freunde und ihre Familie um berühmt zu werden, schafften es nicht und sackten ab. So wie sie, ja so wie sie… Ihr Atem ging schneller; war da jemand, ihre Augen versuchten das Dunkle um sie herum zu zerbrechen, aber sie sah nur die Dunkelheit, die sie umschloss. Als etwas sie am Bein streifte wusste sie was dieses Geräusch war. Eine Ratte. Ihr Schwanz, lang und rau, berührte immer noch, auf dem Weg zu ihrem Bau, ihre Wade. Sie wollte schreien, sie hatte Angst, obwohl Angst es nicht wirklich war, denn Angst verspürte sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Sie wollte nur nicht gebissen werden, denn diese Tiere hatten sicherlich viele Krankheitserreger in sich. Sie wollte noch nicht sterben, aber wieso eigentlich nicht? Besser als hier würde es nach dem Tod auf jeden Fall werden. Aber nein, sie wollte noch nicht von dieser Welt gehen. Nicht so, ohne ihrem Peiniger noch einmal in die Augen zu schauen.
Er hatte sie in einen stickigen, dunklen Raum eingesperrt, er hatte sie zu sich gelockt, obwohl, dass war halt ihr Geschäft. So verdiente sie ihren Lebensunterhalt. Obwohl man es nicht so nennen konnte. Sie übernachtete mal hier und mal dort. Hätten ihre Eltern gewusst, dass aus ihrer Tochter so etwas geworden war… Ihre Gedanken wurden abgelenkt. Was war das? Schon wieder. Nein, bitte nicht. Sie hörte Schritte. Gleich würden sie bei ihrer Tür angekommen sein. Die Schritte verstummten. Ein Schlüssel wurde herum gedreht, die Tür geöffnet und sie schaute in das Gesicht ihres Verfolgers.

Es fühlte sich immer noch so unwirklich an. Sie hatte solch eine Angst gehabt. Er war einfach herein gekommen, hatte sich, während sie sich ängstlich in ihre Ecke verkroch, an die ihr entgegen gesetzte Seite an die Wand gesetzt und sie angesehen. Lange hatte er sie angeschaut und sie fragte sich schon ob er eingeschlafen sei, doch der Anschein trog, als sie genauer hinsah. Auch durch das dunkle Zimmer hindurch, sah sie seine Augen leuchten. Er sah nicht bösartig aus, hatte sie ja auch nicht angefasst, soweit sie dies beurteilen konnte. Aber was machte ihm dann so einen Gefallen daran sie hier fest zu halten? Sie konnte es sich nicht erklären.
In den nächsten Wochen war es bereits eine Art Ritual geworden. Er behielt immer ein Chema bei, machte immer dasselbe. Er saß nur da und schaute, ja starrte sie fast schon an.
Er gab ihr regelmäßig etwas zu essen, saß während sie aß weiter da und beobachtete sie. Wenn sie fertig war, nahm er ihren Teller und ging schweigend hinaus.
Es war und blieb ihr ein Rätsel. Einmal hatte sie ihn gefragt, er hatte sie nur schweigend angesehen, sie dachte, vielleicht hätte er sie nicht gehört und fragte wieder, doch er lächelte sie nur an. Es war kein fröhliches Lächeln, eher ein trauriges, leicht verträumtes.

Er hatte sich verändert. Der Rhythmus geriet ins stocken. An manchen Tagen kam er, an manchen Tagen auch nicht. Ja, er hatte sich verändert. Am meisten Angst hatte sie davor, dass er wütend war, oder andere Emotionen in ihm hochkochten. Denn sie war abhängig von ihm. Wenn er gute Laune hatte, saß er ihr einfach nur gegenüber, blickte sie an und ging dabei seinen eigenen Gedanken nach. Später stand er auf und ging, immer noch schweigend, hinaus. Hatte er aber schlechte Laune, musste sie vielleicht sogar mit dem Tod dafür bezahlen. Sie hörte seine schweren, schleifenden Schritte ständig in ihren Träumen und... Was war das?
Hatte sie etwa Schritte gehört? Aber nein, sie bildete sie sich bestimmt nur ein... Aber nein, jetzt hörte sie sie schon wieder...Aber es waren andere Schritte. Diese waren rhythmischer und doch schwer. Eindeutig Männer schritte. Wer konnte das nur sein? Was vielleicht jemand gekommen um sie zu retten? Die Polizei? Ihre Hoffnung wuchs. Der Riegel vor der Tür wurde krachend zurück geschoben. Die Tür öffnete sich. Doch in der Tür stand kein Mann in Uniform, oder jemand, der ihr freundlich seine Dienstmarke entgegen streckte. Nein, es war ein Mann, Mitte 40, mit dunklen, strähnigen Haaren, und ungepflegtem Äußerem. Ihr zweiter Blick fiel in seine Augen. Sie sahen wild entschlossen aus und blickten sie unentwegt an. In diesen Augen sah sie nichts als Entschlossenheit. Doch was ihr am meisten Angst machte, war nicht diese Dierecktheit, wie er sie ansah; sondern das Wohltun und der Gefallen an dieser Situation, die sie in seinen Augen aufblitzen sah. Er kam auf sie zu. Langsam, aber bestimmt. In einiger Entfernung bleib er stehen. Warum war der andere Mann nicht gekommen; was wollte dieser von ihr, denn sie bezweifelte, dass er nur seine Aufgaben für den heutigen Tag übernahm. Sie nahm all ihren Mut zusammen und fragte ihn. Der Schlag traf sie völlig unvorbereitet. Ihr wurde leicht schwarz vor Augen und ihre Umgebung begann leicht zu zittern. Sie durfte jetzt nicht ohnmächtig werden. Nicht in der Nähe von diesem Kerl. Sie zwang sich wach zubleiben. Jetzt wurde ihre Umgebung wieder schärfer. Wie er sie ansah, so gierig, ja fast schon besitzergreifend. Wie sie ihn so ansah merkte sie, dass sein Blick sich veränderte. Ja, er wurde fast schon irre. Seine Hand steckte in seiner Hosentasche, wanderte jetzt aber hinaus und zog seinen Hosenschlitz auf. Oh nein, hatte er etwa vor... Nein, das sollte doch wohl ein Scherz sein. Er kam auf sie zu. Jetzt schon zügig, Erwartungsvoll. Sie rutschte immer weiter auf ihrer Matratze zurück, zurück vor diesem Fremden, zurück vor all dem hier. Sie stief unsanft mit ihrem Rücken an die Wand. Er hingegen wurde immer gieriger. Zog sich währenddessen seine Hose herunter und stolperte so auf sie zu.
Sie saß in der Falle.

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Tag der Veröffentlichung: 14.09.2010

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