Copyright Roland Böhme
Der Lufthansaflug LH 031 von Hamburg nach Frankfurt am Main hatte weit über eine Stunde Verspätung. Ein lang andauerndes Gewitter mit Starkregen und Sturmböen verhinderte an diesem frühen Samstagabend einen pünktlichen Start des Airbus A320.
Dies bedeutete, dass Robert Weiß erst etwa eine Stunde vor Mitternacht in Frankfurt eintreffen würde. Doch machte ihm das nicht allzu viel aus, denn es würde ihn dort niemand empfangen.
Anders sah es da bei vielen seiner Mitreisenden aus. Als die Verspätung angesagt wurde, telefonierten sie noch im Abflugbereich heftig gestikulierend, andere eher pragmatisch mit den sie nach der Landung am Zielflughafen Erwartenden.
Die Gewitterwolken zogen so schnell ab wie sie kamen und nahmen die Sturmböen gleich mit. Der Luftweg Richtung Süden war nun frei.
Die Startbahn glitzerte noch durch den Widerschein der vielen Landeleuchten im noch nicht abgeflossenen Regenwasser, als der Airbus endlich abhob.
Da Robert den Fensterplatz innehatte, beobachtete er das langsam mit jedem Meter Mehr an Flughöhe ameisenhafter werdende pulsierende Lichtermeer der unter ihm vorbeiziehenden Hamburger Straßen und Siedlungen. Nach der Stadtgrenze wurde es von der Dunkelheit über ländlichem Bereich und den nur noch vereinzelt auftauchenden kleineren hellen Streifen und Flecken beleuchteter Straßen und Dörfer abgelöst.
Schon nach wenigen Minuten hatte er genug davon. Auch erreichten sie nun eine Flughöhe, bei der sie in die wabernden Nebel der dem Gewitter folgenden lockereren Wolkendecke eintauchten.
Robert schaute sich um, suchte nach einem geeigneten Fluggast, mit dem er einige Worte wechseln konnte. Jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Landung.
Durch einen Leerplatz getrennt saß neben ihm eine etwa fünfundzwanzigjährige Frau, die ihm bereits auf dem Weg zu seinem Sitz auffiel. Eine absolute Schönheit, wie er feststellen konnte, als sie aufstand, um ihm den Weg zu seinem Fenster freizumachen.
Doch sein Versuch, sie in ein Gespräch zu verwickeln, blieb im Ansatz stecken. Sie gab ihm klar zu verstehen, dass sie an einer Unterhaltung nicht interessiert ist und erwies sich somit als ebenso spröde wie schön.
‚Naja, dann eben nicht‘, dachte er nach einem weiteren halbherzig wie ergebnislos geführten Versuch im Stillen und widmete sich nach einem Drittel des Fluges intensiv seiner Oldtimerzeitschrift.
Zwischendurch bemerkte er, dass seine schweigsame Nachbarin interessiert immer mal wieder auf seine geöffneten Seiten blickte. Ein Ansatzpunkt, um doch noch mit ihr ins Gespräch zu kommen? Mehr will er nicht. Die Flüge empfindet er stets als Behinderung seiner Arbeit und somit reine Zeitverschwendung. Er hat im Flieger eine regelrechte Schreibblockade, die er nicht einmal mit Flugangst begründen kann.
Um der sich somit anbahnenden Langeweile zu entgehen, versucht er deshalb meist, die Zeit im Gespräch mit weniger rigoros gesprächsblockierenden Flug- und Sitznachbarn als die junge Frau neben ihm zu überbrücken.
Doch seine Überlegung kam zu spät. Der Pilot avisierte den Anflug auf Frankfurt und die Landung in wenigen Minuten. Ihm war es so recht.
Nach zehn Minuten rollte die Maschine auf der Landebahn aus und drehte ihre Nase in Richtung Stellplatz.
Die Passagiere lösten ihre Gurte, erhoben sich und griffen hektisch nach ihrem Handgepäck.
Natürlich hatten es alle aufgrund der Flugverzögerung eilig und drängten dem Ausstieg zu. Sie wollten die Geduld der vor dem Ankunfts-Terminal wartenden Bekannten oder Familienangehörigen vermutlich nicht noch stärker strapazieren.
Er selbst hatte Zeit. Wenn er ein Taxi benötigt hätte, wäre er wesentlich flinker gewesen. Hätte es auch sein müssen, denn das Angebot an Fahrzeugen ist reichlich knapp, gerade zur Messezeit. Doch für seine Heimfahrt stand im Parkhaus des Flughafens sein Oldtimer bereit, ein 1968er Mercedes-Benz 280 SL, im Volksmund ‚Pagode’, werksintern W 113 genannt.
Nur langsam löste sich das entstehende Chaos und selbst die sehr eiligen Passagiere warteten nun gezwungenermaßen geduldig, bis sie den Airbus verlassen und die Schleuse betreten konnten.
Die Schönheit neben ihm blieb ebenso wie er noch sitzen. Entweder hatte sie wie er ein Fahrzeug am Flughafen stehen oder es wartete jemand auf sie, der es nicht so eilig hatte.
Da sie den Platz direkt am Gang innehatte und so seinen Weg versperrte, blickte sie ihn fragend an. Doch er machte eine abwehrende Handbewegung und deutete damit an, gleichfalls das Ende des Ansturms der Passagiere abwarten zu wollen. Erst als sich die Reihe lichtete machten auch sie Anstalten, das Flugzeug zu verlassen.
Robert zog mit einiger Mühe die eingeklemmte voluminöse Tasche der Frau aus dem Ablagefach über ihnen und reichte sie ihr. Dabei betrachtete er das Stück verwundert, denn für ein Handgepäck erschien es ihm etwas zu groß geraten.
Im Regelfall würde ein Teil dieser Abmessungen im Frachtraum transportiert werden müssen. Doch am Abfertigungsschalter in Hamburg saß ein Mann – und einer solchen Frau kann man(n) einfach nichts abschlagen! Somit hatte der Flughafenmitarbeiter ihr gegenüber absolut keine Chance.
Verhalten lächelte sie Robert kurz an und bedankte sich, worauf er mit einem knappen Kopfnicken reagierte.
Da er das lange Warten vor dem Laufband der Gepäckausgabe hasst, lässt er auf Flugreisen seinen Koffer stets durch einen speziellen Dienstleister direkt zu seinem jeweiligen Zielort transportieren. Deshalb führte er als einziges Gepäckstück nur eine Sporttasche mit sich. Er verstaute sein Heft darin und betrat als Letzter den jetzt nur noch von der Frau und zwei weiteren Nachzüglern belebten Gang zum Ausstieg.
Am Zeitungsstand kaufte er ein Abendblatt und verließ das trotz der späten Stunde noch immer stark frequentierte Flughafengebäude.
‚Na klar - Messetag! Die Stadt quillt vor Besuchern wieder einmal über’.
Wenig später konnte er den Flug und seine Begleiterscheinungen vergessen. Jedenfalls vorübergehend, wie er eine Minute später erfahren musste.
Auch hier in Frankfurt scheint das Wetter nicht besonders geeignet zu sein für seine anstehende Heimfahrt mit dem Benz, denn eine von einer dunklen Gewitterfront verfolgte dünne Wolkendecke verdeckt in diesem Augenblick den Mond.
Gewitter in Hamburg vor dem Abflug, Gewitter in Frankfurt nach der Ankunft.
‚Na, was wird das Wochenende noch bringen? Meist sind es doch drei Missgeschicke hintereinander.‘ Robert ist nicht abergläubisch, doch ab und an erwischt es ihn schon.
Das drohende Unwetter nähert sich mit großer Geschwindigkeit aus dem Westen und verspricht eine regenreiche Aquaplaning-Tour.
Trotzdem freut er sich auf seinen Oldie und will gerade den Taxistand passieren, der auf dem Weg zum Parkhaus liegt, da entdeckt er seine spröde Flugnachbarin. Demzufolge war seine Vermutung falsch und sie ist auf eine professionelle Transportmöglichkeit angewiesen.
Ratlos steht sie mit einigem Abstand zu drei ebenfalls wartenden Männern vor dem Parkstreifen, auf dem im Normalfall die Droschken stehen.
Im Normalfall. Doch da ihr Flug auch mit zwei weiteren Landungen zusammenfiel und sie als eine der Letzten aus ihrem Flugzeug stiegen, sind alle Taxis mit den etwas schnelleren Reisenden unterwegs – und die nächsten drei zu ihrem Standort zurückkehrenden Fahrer dürften von den vor ihr stehenden Männern beansprucht werden.
Soll er ihr den zweiten Platz in seinem Fahrzeug anbieten? Doch irgendetwas sträubt sich in ihm gegen die Vorstellung, eine Frau in seinem Benz mitfahren zu lassen. Außerdem: verdient hat sie es nicht. Trotz seiner Vorbehalte überlegt er nicht lange, sondern tritt auf sie zu. Mehr als eine weitere Abfuhr wird es schon nicht sein, die sie ihm erteilen kann. Und sollte sie wirklich derart reagieren, nun, dann hat er ihr wenigstens seine Hilfe angeboten.
„Wenn Ihr Ziel auf meinem Weg liegt, kann ich Sie mitnehmen. Es wird sicherlich einige Zeit dauern, bis die ersten Fahrzeuge erneut einsatzbereit sind.“
Er wirft während seiner Worte einen weiteren prüfenden Blick zum Himmel. „Wie es aussieht wird uns auch gleich die Gewitterfront erreicht haben und ihre Schleusen öffnen. Kommen Sie, mein Wagen steht nur wenige Schritte von hier entfernt.“
„Danke für Ihr Angebot. Ich werde auf das nächste Taxi warten.“ Robert will sich schon mit einem Schulterzucken abwenden und seinen Weg zum Parkhaus fortsetzen, doch genau in diesem Moment bekommt sie den ersten nassen Gruß von oben direkt auf ihre Nase. Es ist ein erster voluminöser Fährtensucher des sich so ankündigenden Regengusses.
„Bitte geben Sie mir Ihre Tasche. Wenn wir uns beeilen, kommen wir noch einigermaßen trocken ins Parkhaus.“
Sie sieht die im Eiltempo über den Frankfurter Himmel jagenden dunkeldrohenden Wolkenberge und überlässt Robert zögernd das Gepäckstück. Der erste die Düsternis aufreißende Blitz veranlasst sie, dem Mann und ihrer Tasche mit Meter für Meter schneller werdenden Schritten zu folgen.
Es sind im Moment noch vereinzelte schwere Tropfen, die als Warnung vor einem sintflutartigen Sturzregen wie kleine Bomben um sie herum auf den Asphalt platschen und sie so zu noch größerer Eile drängen.
Vor dem Parkhauseingang angekommen stellt er ihre Tasche ab, öffnet mit der nun freien Hand die Tür und lässt sie zuerst eintreten. Hinter sich hört er das heftige Prasseln des gerade in diesem Augenblick stürmisch einsetzenden Gewitterregens.
„Geschafft. Im allerletzten Moment.“
Auch sie wirft noch einmal stumm einen Blick auf den Wasserschleier jenseits der Eingangstür. Wenn sie stur geblieben wäre und auf die nächste Fahrgelegenheit gewartet hätte, würde sie nun ebenfalls völlig durchnässt neben den auf die Taxis wartenden Männern stehen.
Die Drei schafften es nicht mehr rechtzeitig, unter ein schützendes Vordach zu gelangen und wischen sich nun die Nässe aus dem Gesicht.
Sicher hätte es auch einiger Zeit bedurft, um ihre Kleidung und die dichten, langen hellblonden Haare wieder getrocknet zu bekommen. Allein schon dieser Gedanke bewegte sie dazu, dem Mann zu folgen.
Ein leeres Taxi fährt in diesem Augenblick vor. als Robert die Eingangstür hinter sich schließt. Einer der Drei läuft durch den Regen darauf zu und steigt ein. Die zwei Anderen, die offensichtlich auch kein gemeinsames Ziel haben, bleiben zurück. Dies bedeutet für die Frau, dass sie auf das Eintreffen des dritten Fahrzeugs warten müsste. So entscheidet sie sich widerstrebend für das Angebot ihres ehemaligen Sitznachbarn. Mehr als eine für sie unangenehme Fahrt wird ihr sicher nicht bevorstehen.
Sie wendet sich vom Eingang ab und folgt dem Mann, der mit ihrem Gepäck in der Hand zwei Schritte vor ihr auf sie wartet.
Weitere Blitze zucken durch die dunkelwabernden Wolken und lassen mit ihrem rollenden Donner die Trommelfelle beben.
„Mein Fahrzeug steht im zweiten Stock. Zwanzig Meter geradeaus ist auf der rechten Seite der Fahrstuhl.“
Sie geht voraus. Während Robert ihr folgt, mustert er bewundernd ihre Rückenpartie.
Wie diese tollen langen Beine wohl in High Heels wirken, ist seine an sich selbst gerichtete stumme Frage. Und allein schon ihr Gang würde auch den Uraltgallier Methusalix selbst von seiner jungen Frau losreißen können.
Er wundert sich über seine Gedanken. Trotz seiner derzeitigen seelischen Verfassung hat er den Blick für die Schönheit mancher Menschen offenbar doch noch nicht vollständig verloren.
Sie hält vor dem Aufzug und drückt auf die Ruftaste, derweil er neben ihr steht und das vom Kopf bis zu den Füßen äußerst ansehnliche Profil der jungen Frau betrachten kann.
„Leben Sie in Frankfurt oder sind Sie zu Gast in der Stadt?“
„Jetzt am Wochenende besuche ich die Buchmesse. Ich habe ein Zimmer im Hotel Emeraldo geordert und hoffe, dass ich Ihnen keine Umstände bereite, wenn Sie mich dort absetzen.“
„Sagten Sie Emeraldo?“ fragt er ungläubig. „Das Emeraldo in der…. warten Sie… Sauerlandstraße?“
„Ja, ich glaube, das ist die Adresse. Warum? Was ist mit ihm?“
„Wenn ich richtig informiert bin, dann ist es eher mehr als weniger ein Stundenhotel. Wie kommen Sie an diese Adresse?“
Sie blickt ihn mit großen, angstvollen Augen an. „Oje, was mache ich denn nun, wenn Sie Recht haben? Meine Reise hat sich sehr kurzfristig ergeben. Es war bereits alles ausgebucht, als ich mich um ein Zimmer bemühen musste. Das Emeraldo war das Einzige, das mir noch etwas anbieten konnte.“
„Ich kann Sie natürlich dort hinfahren, muss allerdings selbst erst über das Navigationsgerät herausfinden, in welchem Stadtteil die Straße liegt. Aber absetzen werde ich Sie dort keinesfalls.“
„Ich möchte mir doch gerne selbst vor Ort ein Bild von dem Hotel machen. Entschuldigen Sie bitte mein Misstrauen – aber ich kenne Sie nicht… Sie könnten mir auch das Blaue vom Himmel lügen.“
„Natürlich, könnte ich vielleicht. Nur wäre es im Augenblick bei den derzeitigen Wetterverhältnissen etwas schwierig.“ Über sein ‚könnte ich vielleicht‘ selbst überrascht lächelt er sie unsicher an, während sie ihm forschend in die graugrünen Augen blickt und die Fahrstuhltür sich lautlos vor ihnen öffnet.
Indem sie die Kabine betreten, senkt sie mit zusammengezogenen Augenbrauen den Kopf.
„Sollte wirklich stimmen, was Sie sagen, werde ich mich um eine andere Unterkunft bemühen müssen. Um diese Zeit, dann noch während der Buchmesse vermutlich eine schiere Unmöglichkeit. Was mache ich denn jetzt?“
„Keine Ahnung. Ich wohne selbst erst seit drei Monaten in Frankfurt. Deshalb besitze ich auch noch keine Kontakte, die eine seriöse Unterbringungsmöglichkeit anbieten könnten. Mein Vorschlag wäre, parallel zu Ihrem, und auch, um Ihr Misstrauen zu zerstreuen, erst einmal dieses Etablissement aufzusuchen. Es kann durchaus möglich sein, dass ich mich täusche. Glaub’ ich allerdings nicht, denn einige sehr negative Nachrichten in letzter Zeit über dieses von den Medien großzügig ‚Absteige’ genannte Haus sprechen eine doch allzu deutliche Sprache. Danach, wenn Sie sich überzeugt haben, können wir immer noch per Telefon die seriöseren Hotels befragen. Obwohl ich hier absolut keine Erfolgsaussicht für Sie sehe.“
„Warum sorgen Sie sich so sehr um mich? Sie könnten mich meinem Schicksal überlassen und selbst nach Hause fahren. Stattdessen machen Sie sich meinetwegen eine solch große Mühe.“
„Wenn ich morgen die Zeitung aufschlage, möchte ich nicht von einer toten oder missbrauchten schönen Frau im Park lesen müssen. Es ist also reiner Selbstschutz.“
Warum verlor ihr bisher gesunder, offensichtlich cremefreier Teint bei dem Wort ‚Missbraucht’ so sehr die Farbe? Es war doch nur ein Scherz.
„Schön, einverstanden’, kommt zögernd ihre Antwort auf seinen Vorschlag. „Fahren wir also zu diesem Hotel, bitte, wenn es kein zu großer Umweg für Sie ist.“
„Ach was. Ich bin gern mit meinem Oldie unterwegs.“
Mit einem leichten Ruck hält die Fahrstuhlkabine im zweiten Stockwerk, die Tür öffnet sich hier quietschend. Sie tritt hinaus und dreht sich mit fragendem Blick nach ihm um. Mit der leichteren Sporttasche an seiner rechten Hand deutet er nach vorn.
„Einfach geradeaus. Der links hinter der nächsten Mauer stehende kleine Weiße ist es.“
Sie macht wieder kehrt und geht drei Schritte vor Robert her. Ihm ist es recht, kann er doch so noch einmal ihren laufstegreifen, trotzdem sehr natürlich wirkenden Gang bewundern.
‚Sie muss Mannequin oder Fotomodell sein! Allerdings nicht zur Gattung dieser spindeldürren, magersüchtigen Hungerkuren-Mädchen gehörend, sondern zu der der Schlanken mit Rundungen an genau den richtigen Stellen. Mit diesem Aussehen und dem Bewegungsablauf kann sie gar nichts anderes sein. Damit wäre auch ihre seltsame Art erklärt’.
Er reißt sich von dem Anblick los und hat sie nach wenigen Metern eingeholt, geht nun neben ihr und steuert auf seinen SL zu.
Als sie das Fahrzeug sieht, bleibt sie überrascht stehen.
„Eine Pagode? Sie fahren wahrhaftig eine Pagode?“
„Ja. Ist etwas mit diesem Wagen?“
„Mein Traumauto aus Kindheitstagen. Noch vor dem 190 SL der 1950er Jahre. Jetzt bin ich sogar froh darüber, Ihr Angebot angenommen zu haben.“
Als sie im Fahrzeug sitzen und Robert nach der Adresseingabe in sein mobiles Navigationsgerät aus der Parklücke fährt, blickt er sie kurz an. „Sie sind Oldtimer-Fan?“
„Mein Großvater besaß seit Mitte der 1960er Jahre einen 250 SL Roadster, den er noch bis ins hohe Alter fuhr. Da ich damals mit all den Sorgen und Nöten eines noch kleinen Mädchens zu meinen Großeltern kommen konnte, ist mir - sicherlich aus dem Grund - dieses Modell ans Herz gewachsen. Während meine Freundinnen mit den neuen, großen Fahrzeugen ihrer Familien protzten, habe ich liebend gern auf seiner hinteren Notsitzbank gesessen, wenn sie mit mir ans Meer fuhren.“
„Sie stammen aus Hamburg?“
„Ja, doch ich versuche, hier in Frankfurt Arbeit zu bekommen. Am Montag habe ich mein Vorstellungsgespräch. Bis dahin wollte ich die Buchmesse noch etwas durchstöbern.“
Was ein schönes Fahrzeug bei einer an Oldtimern interessierten Frau doch bewirken kann. Vor wenigen Minuten noch war sie kühl und distanziert, sogar abweisend. Jetzt, seitdem sie im Mercedes sitzt, leuchten ihre herrlich großen, wie bei einer Asiatin leicht schräggeschnittenen Augen. Sie ist sogar richtig aufgeschlossen und gesprächig geworden.
„In den letzten Minuten während unseres Fluges ist mir bereits Ihr Interesse an meiner Zeitschrift aufgefallen. Sie mögen generell alte Fahrzeuge?“
„Oh, das haben Sie bemerkt? Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen aufdringlich erschien. Ja, ich mag sie. Sie haben noch Charakter, jedes von ihnen ein eigenes Aussehen. Ganz anders als die heutigen Einheitskarossen.“
„Da haben Sie, jedenfalls was dieses Thema betrifft, in mir einen absolut Gleichgesinnten.“
Nach Auskunft des Navigationsgeräts liegt das Hotel acht Kilometer vom Flughafen entfernt im Südosten der Messestadt.
„Ihr Ziel liegt nur etwa drei Kilometer abseits der Strecke zu meiner Wohnung. Ein großer Umweg ist es also nicht.“
Sie nickt nur stumm, blickt sich aber interessiert im Fahrzeug um.
Nach wenigen Minuten bemerkt sie, „die Pagode meines Großvaters hatte noch eine Bank hinter den Vordersitzen. Bei dieser fehlt sie. Warum?“
„Sie sagten, Ihr Großvater fuhr einen Roadster. Sein
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 11.02.2016
ISBN: 978-3-7396-8239-6
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