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Die aufgehende Sonne schickt ihre ersten bleichen Strahlen durch den Eingang der Höhle bis zur oberen Höhlenwand, an der wir unser Schlaflager haben.
Dies bedeutet, dass es außerhalb der Behausung ungemütlich kalt ist. Die Tage, an denen die Sonne ihre tägliche Wanderung fast über unseren Köpfen vollzieht und dadurch morgens das Lager der Älteren an der gegenüber liegenden Felsenwand beschienen wird, sind sehr viel wärmer.
Ich befreie mich von den Fellen, unter denen ich liege – und sofort springt mich die eisige Kälte wie ein blitzartig zuschlagendes Raubtier an.
Schnell wickele ich mir den aus dem Pelz des vor dem letzten Winter erlegten Bären geschnittenen Umhang um meinen Körper und die Felllappen um die Füße bis hoch zu den Knien.
Jetzt lässt sich der starke Frost wesentlich besser ertragen.
Einige der Alten schlafen noch, die Kinder liegen im hinteren Teil der Höhle und sind auch noch nicht zu hören.
Die Anderen schälen sich im Augenblick ebenso wie ich mich aus den Schlaffellen oder sitzen bereits an der Feuerstelle und halten an einem langen Holzspieß Teile des am Vortag erlegten Hirsches in die Flammen, um das Fleisch zu rösten.
Mein Gefährte Duka kniet auch schon dort und zerrt mit den Zähnen an einem dampfenden angebrannten Knochen, an dem noch einige kräftige Fleischstücke hängen.
Wenig später erhebe ich mich, gehe zu ihm und schneide mir mit meinem neuen Steinmesser eine ordentliche Portion davon ab. Duka grunzt nur und lässt es auch zu, dass ich mich neben ihn setze. Er, der Jagdführer, ist in letzter Zeit nicht immer so friedlich, wie er sich in diesem Augenblick gibt.
Gleich werden auch die Alten und die Kinder kommen und ihren Anteil verlangen.
Nach langer Zeit ist es den Männern kurz vor Einbruch der letzten Nacht endlich gelungen, wieder für Nahrung zu sorgen. Eine Hirschkuh, der sie schon längere Zeit auf der Spur waren, ist erlegt worden.
Endlich! Die allerletzten Fleischvorräte wurden schon vor zwei Tagen von den Jägern gegessen. Sie sind es, die bei Kräften bleiben müssen, um uns mit Nahrung zu versorgen.
Es hat in der vergangenen Nacht zum ersten Mal nach einer nicht allzu langen Warmzeit leicht geschneit. Vom Eingang unserer Höhle, die in mittlerer Höhe eines Gebirgszuges liegt, sehe ich unser schneebedecktes Tal vor mir liegen.
Spuren vor dem Höhleneingang weisen darauf hin, dass es in der Dunkelheit zu einem Zusammenstoß zwischen Wölfen und unserem Posten gekommen ist. Die tierischen Räuber folgten sicher der Fährte unserer Jäger, witterten das Fleisch des Hirsches und sind dann von Tanka – unserem Wächter während der letzten Nacht – erfolgreich vertrieben worden.
Er schläft jetzt in der Nähe der Kinder. Ich mag ihn, sogar noch mehr als meinen Gefährten. Aber Duka ist trotz seines geringen Alters von 19 Wintern der Clanobere und nimmt sich, was ihm zusteht. So habe ich zwar nicht den Mann, der mir am nächsten steht, aber ich habe einen hohen Rang in der Sippe.
Es ist schon seltsam, dass er gerade mich ausgewählt hat. Die anderen Frauen in meinem Alter sind alle wesentlich stärker und kleiner als ich es bin. Ich habe fast die Körpergröße der Männer. Wenn ich liege, sind es zwei Schritte vom Kopf bis zu den Füßen. Auch haben sie ein etwas anderes Aussehen als ich.
Aufgefallen ist mir dies bei einer Flussüberquerung während der vorletzten Warmzeit, als ich mein Spiegelbild im Wasser sah.
Fast sehe ich dem Mann ähnlich, den ich kurz danach am anderen Ufer des Flusses erblickte.
Solch einem Menschen bin ich bisher noch nie begegnet.
Meine Mutter sagte mir, er ist aus einem Clan, der erst vor etwa 30 Wintern zugewandert ist und nun weit oben am Fluss eine Höhle bewohnt.
Einige Male schon sind unsere Männer auf die Jäger dieser fremdartigen Gruppe gestoßen. Bisher sind sie sich allerdings aus dem Weg gegangen, weil die Sonne hoch stand und es deshalb ausreichend Beutetiere gab.
Ich weiß nicht, wie eine Begegnung jetzt ausgehen würde, da sie lange suchen müssen, um ihre Speere und Pfeile einsetzen zu können. Es könnte einen Streit um das Wild geben, denn beide Sippen spüren den Hunger.
Die Fremden sollen wesentlich beweglicher und schneller, dafür aber nicht so kräftig wie wir sein. Auch sie jagen mit Bogen, Speer, Steinaxt, Steinmesser und beherrschen ebenso wie wir das Feuer.
Hinten in der Höhle wird es in diesem Augenblick lauter. Die ersten Kleinen scharen sich um die Glut und streiten sich um die Reste des kurz zuvor gerösteten Hirschfleisches. Die jungen Mütter stillen ihre Neugeborenen. Ich sehe, dass auch sie frieren. Es wird Zeit, dass Holz nachgelegt wird. Dies ist tagsüber die Aufgabe von Doda, unseres alten Schamanen und Wächters des Feuers, der bisher schon 30 Winter erlebt hat. Nachts ist der Wachtposten für die Erhaltung der Glutstelle zuständig.
Einer der Jungen, zum ersten Mal allein auf Posten, ist einmal kurz vor dem letzten Winter während der Wache eingeschlafen.
Als er geweckt wurde, war die Feuerstelle nur noch ein kalter grauer Aschehaufen. Doda brauchte lange, um die getrockneten Baumpilze zu entzünden, die durch die Funken, die beim Aneinanderschlagen zweier Feuersteine entstehen, zum Glimmen gebracht werden, da es vorher tagelang regnete und alles feucht war.
Es ist nachts nicht nur wichtig, dass das Feuer unterhalten wird, auch ein anderer Clan oder Raubtiere könnten uns angreifen und im Schlaf überraschen. Bären und Wolfsrudel streifen, gerade in langen und eisigen Kaltzeiten, immer wieder durch das Tal.
Aus den Erzählungen der Alten wissen wir, dass vor langer Zeit unsere Ahnen eines Nachts von einem anderen Stamm angegriffen wurden. Sie konnten ihn aber dank des seinerzeit aufmerksameren Postens wieder verjagen und seitdem haben wir Ruhe.
Zur Strafe bekam der verschlafene Wächter den ganzen Tag über nur eine kleine Nahrungsration.
Seine nächste Aufgabe dann einige Nächte später hat er zur vollen Zufriedenheit aller jedoch mühelos bewältigt. Er hat aus seinem Fehler und der daraufhin folgenden Lektion seine Lehre gezogen.
Ich habe Durst und greife mir einen der Wassersäcke, die aus Schweinsblasen hergestellt sind.
Es wird langsam Zeit, dass wir diesen durch einen Neuen ersetzen, denn er hat schon einige Schwachstellen und wird nicht mehr lange halten. Die Blase des nächsten erlegten Schweins wird dazu herhalten müssen.
Die um die Feuerstelle Sitzenden trinken ebenfalls, sodass sich der Wassersack schnell leert.
Da die anderen Frauen sich zusammen gesetzt haben und Kleidungsstücke aus den Fellen der in der letzten Warmzeit erlegten Tiere schneiden und zusammennähen, nehme ich die leeren Beutel und gehe hinunter zum noch nicht zugefrorenen Fluss, der in Richtung Sonnenuntergang fließt. Der Schnee ist noch nicht sehr hoch. Er reicht kaum bis zum Fußknöchel. Später, wenn die Sonne noch niedriger steht, kann er bis zur Hüfte reichen. Dann wird ein Jagen sehr viel mühevoller werden.
Es heißt also, vor dieser Zeit noch einige Tiere zu erlegen, um Vorrat für die ganz kalten Tage zu haben. Es wartet also noch ein hartes Stück Arbeit auf unsere Jäger.
Gerade will ich im Schutz eines umgestürzten und im Wasser liegenden Baumstammes den gefüllten Wassersack verschließen, da höre ich aus dem Gebüsch am gegenüber liegenden Ufer ein leises Rascheln. Es ist windstill, also muss es ein Tier sein, das seinen Durst löschen will.
Da ich sehen muss, was da nun zum Ufer kommt, verhalte ich mich still. Immerhin könnte unsere nächste Beute gleich vor mir stehen. Das noch eisfreie Stück des Flusses ist hier mindestens fünfzehn Schritte breit, es besteht für mich also keine Gefahr, von einem Wolf oder anderen Raubtieren vom jenseitigen Ufer aus angegriffen zu werden. Außerdem habe ich mein fast unterarmlanges Steinmesser dabei, mit dem ich sehr gut umgehen kann.
Was da aber nun aus dem Busch tritt, ist alles andere als ein Tier. Es ist einer dieser andersartigen Zweibeiner, von denen mir meine Mutter vor vielen Monden erzählte und ich bereits einen aus der Ferne sah.
Er hat mich bisher noch nicht bemerkt, also kauere ich mich hinter dem Baumstamm auf den Boden und blicke durch die toten Äste.
Die dicke, unförmige Fellkleidung verbirgt seine Gestalt, ich kann also nur vermuten, dass es ein Mann ist.
Seltsamerweise, so bemerke ich jetzt, als er sein Gesicht in meine Richtung dreht, trägt er einen dichten und starken Bart von dunkler Farbe, ganz anders als unsere Männer, denen nur ein spärlicher hellrötlicher Bart sprießt.
Auch er füllt einen Wassersack, schnürt ihn zu und verschwindet mit leichten, schnellen Schritten, wie ich sie von den Mitgliedern unseres Clans nicht kenne, wieder im Buschwerk.
Eigenartig benommen und aufgeregt nehme ich meine Sachen auf und gehe zurück zur Höhle. Oben angelangt ziehe ich meine Mutter in den rückwärtigen Raum der Höhle. Tanka schläft immer noch. Er wälzt sich kurz unruhig auf seinem Felllager, liegt dann aber wieder still. Nur ein leichtes Schnarchen kommt jetzt aus seiner Ecke. Wir setzen uns und ich erzähle ihr ausführlich von meiner Begegnung am Fluss.
Meine Mutter war die Gefährtin von Frano, meines Vaters, dem früheren Clanoberen, der vor fünf Wintern bei der Jagd auf ein Mammut von dem später erbeuteten Tier nieder getrampelt und getötet wurde. Sie ist in unserer Familie sehr hoch geachtet und wird von allen Tobe genannt, was so viel bedeutet wie weise und kluge Frau, denn sie hat uns vor vielen Wintern eine neue, ausführlichere Sprache gebracht.
Nach meinem Bericht ist es lange Zeit still zwischen uns. Ich warte darauf, dass sie etwas sagt. Aber sie sitzt in sich versunken und scheint alles um sich herum vergessen zu haben.
Dann kommen die ersten langsamen Worte, mit leiser, schleppender Stimme gesprochen, die ich so gar nicht von ihr gewohnt bin. Sie erzählt mir nun zum ersten Mal von ihrer Begegnung mit einem Mann des vermutlich selben Stammes. Ich erkenne gleich, dass es ihr sehr schwer fällt, mit mir darüber zu sprechen.
Ebenso wie ich wollte sie eines Morgens vor vierzehn Wintern am Fluss allein Wasser holen, als sich ihr von hinten die Geräusche leichter Schritte näherten. Es musste ein Tier sein, denn die Männer ihrer Gruppe traten fester auf, jeder Schritt klang bei ihnen beinahe wie ein leichtes Donnergrollen.
Im gleichen Moment trat auch schon einer dieser fremdartigen Menschen, von deren Aufeinandertreffen mit unseren Jägern sie schon gehört hatte, aus dem Ufergebüsch und stand ihr gegenüber.
Voller Angst umklammerte sie ihr kurzes Steinmesser, bereit, zuzustoßen, wenn sie von ihm angegriffen werden sollte.
Als er meine Mutter bemerkte, zuckte seine Hand sofort zur Steinaxt, die unter dem Seil steckte, das um seine Hüfte geschlungen war und mit dem sein Fellkleid zusammengehalten wurde.
Als er aber sah, dass er eine Frau vor sich hatte, ließ er zögernd die Hand wieder sinken und sprach einige Worte, die meine Mutter allerdings nicht verstand.
Nachdem er merkte, dass eine Verständigung auf diesem Wege nicht möglich war, setzte er sich in fünf Schritt Entfernung von ihr am Ufer auf den Boden und holte aus einem mitgeführten Fellsack ein kleines Stück Trockenfleisch hervor, das er meiner Mutter hinhielt.
Da sie damals noch keinen Gefährten hatte, sie war erst 11 Winter alt, nahm sie den Fleischfetzen und aß ihn auf. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und es war sehr warm, als er unvermittelt aufstand.
Mit dem rechten Arm deutete er auf die Sonne, dann auf die Stelle des Sonnenaufgangs, von dort aus beschrieb er einen Bogen bis zur Sonne und hielt einen Finger hoch. Meine Mutter verstand, und so trafen sie sich am nächsten Mittag und danach noch viele Male.
Während dieser Zeit lernte sie, einen Großteil seiner Sprache zu verstehen und auch zu sprechen.
Dann, nachdem der Mond sich zweimal veränderte, erschien er nicht mehr. Sie sah ihn nie wieder. Viel später erzählten ihr einige Jäger unserer Gruppe, dass sie gesehen hätten, wie ein Wollnashorn von den Fremden gejagt wurde und es einen von ihnen tötete.
Kurz nach seinem Verschwinden nahm mein Vater Frano sie zur Gefährtin und ich wurde wenige Monde später geboren.
Am Tag des Unglücks war es ein großer Schock für uns alle, als mein Vater schwer verletzt von den anderen Jägern zum Lager getragen wurde. Es war eine Jagd wie alle vorausgegangenen Jagden auch. Von zwei ausgesandten Spähern wurde im Tal nicht weit von einer unserer Fallen ein großer, ausgewachsener Mammutbulle entdeckt. Der Jüngere der Beiden kam zur Höhle gelaufen und berichtete uns davon.
Sofort machten sich mein Vater und die restlichen Jäger auf den Weg, um das Tier einzukreisen und so vorsichtig in Richtung Falle zu drängen.
Mit Steinen, Ästen und viel Geschrei trieben sie es vor sich her, immer von den Jägern umgeben und verfolgt.
Die Aufgabe meines Vaters war es, vorn in Höhe des Mammutkopfes mit den riesigen Stoßzähnen neben dem Tier zu laufen und ein Ausbrechen zu verhindern. Es ging eine Weile gut, alle fünfzig Schritte drehte das Tier sich um und versuchte, die Jäger zu vertreiben, wurde aber durch dicke Steinbrocken und Äste immer wieder weiter zur Fallgrube getrieben.
Dann plötzlich brach es ganz unvermittelt zu der Seite aus, an der mein Vater lief, überrannte ihn und verletzte ihn dabei so schwer, dass er drei Tage später an seinen Wunden starb.
Ich habe immer noch vor Augen, wie die Mitglieder unserer Familien seinen Leichnam still und voller Trauer abseits am Fuße des Berges begruben.
Ich war erst elf Winter alt, da erklärte Duka mich zu seiner Gefährtin. Seitdem sind zwei weitere Winter vergangen und ich habe ihm immer noch keinen Sohn geboren.
Meine Mutter ist darüber sehr besorgt, denn es besteht für mich die Gefahr, von meinem Gefährten verstoßen zu werden, was für sie und für mich den Verlust eines großen Teils unseres Ansehens bedeuten würde.
In diesem Moment toben die Kinder heran, somit ist unser Gespräch abrupt beendet.
Ich nehme mir fest vor, mich mit ihr über dieses Thema, das mich in seinen Bann zog, noch einmal zu unterhalten.
Auch Tanka rollt sich jetzt von seinem Schlaflager, vom Lärm der Kinder aufgeweckt, und setzt sich grollend zu den Anderen an das Feuer. Er wird etwas essen und sich dann wieder schlafen legen, nachdem er die Kinder aus der Höhle getrieben hat.
Einige der älteren Männer sitzen in der Kälte vor dem Eingang und schärfen abgewetzte Messer, Speerspitzen und Schlagäxte.
Das Hämmern von Stein auf Stein deutet darauf hin, dass Takka, unser Waffenmacher, der am Ende der vergangenen Kaltzeit mit seinen zwei Söhnen auf Wanderung ging, um einige neue Feuersteine zu besorgen, daraus nun große Steinsplitter schlägt, um aus ihnen später neue Waffen zu fertigen.
Mein Gefährte hat sich vom Feuer entfernt und ersetzt gerade den Holzschaft seines Speeres, der am Vortag bei der Jagd auf die Hirschkuh zersplitterte, nachdem er sie damit tödlich treffen konnte.
Es war gestern schon dunkel, als die Schar der Jäger fröhlich lärmend zurück zur Höhle kam.
Die Beute hatten die Männer gleich an Ort und Stelle zerlegt und das Fleisch in das Fell gewickelt.
Sofort bildeten die Clanmitglieder einen dichten Kreis um die Heimkehrenden.
Die Fellpakete wurden geöffnet und begutachtet. Alles schwatzte aufgeregt durcheinander.
Das Überleben der Gruppe war für die nächsten Tage erst einmal wieder gesichert. Aber wir stehen erst am Anfang der Kälteperiode.
Zwei Jäger bereiten sich in diesem Augenblick auf einen erneuten Streifzug vor, um im Schnee nach Spuren weiterer Beutetiere zu suchen. Es ist ein älterer, erfahrener Jäger mit seinem Sohn, den er in die Geheimnisse des Fährtenlesens einweihen will.
Sie stecken sich einen kleinen Essensvorrat in den Fellbeutel, den sie mit sich tragen, greifen sich ihre Waffen und stapfen hinaus in den Schnee. Unsere Hoffnungen begleiten sie.
Wenn sie die Spuren eines kleineren Tieres entdecken, etwa die bis zur Größe eines Schweines oder eines jungen Hirsches, dann folgen sie ihnen und versuchen, es zu erlegen. Bei den Fährten etwa eines Mammuts, Wollnashorns oder Auerochsen rufen sie die Gruppe zu Hilfe. Es sind dann größere Vorbereitungen zu treffen.
Wenn sie Glück haben, befindet sich das Tier gerade in der Nähe einer unserer Fallgruben, die wir bei günstigen Umständen auch für die Jagd benutzen.
Meine Mutter tritt zu mir. Die anderen wissen bisher noch nichts von meiner Begegnung am Fluss.
Wir beratschlagen kurz und kommen überein, dass wir es Duka mitteilen müssen.
Da er seinen Speer repariert hat, der nun zum Trocknen des Pechs auf einer Steinplatte liegt, sitzt er wieder am Feuer und hört den Erzählungen der Alten zu.
Sie berichten über frühere Erlebnisse während der Jagd, aus einer Zeit, als das Wild selbst in der kalten Jahreszeit noch zahlreich war.
Da die jüngeren Jäger vermuten, dass die Tiere unseres Tales kurz vor dem Schneefall in die tiefer gelegenen Gebiete abwandern und nach der Schneeschmelze wieder zurück kommen, hatten sie schon einmal vorgeschlagen, die Höhle während dieser Zeit zu verlassen und den Tieren zu folgen.
Bisher sind sie aber bei den Älteren, die ihr ganzes Leben hier verbracht haben und nichts anderes kennen, auf Ablehnung gestoßen.
Aber die Älteren sind es auch, die von nicht so langen und kalten Wintern erzählen.
Ich denke ebenfalls, wir müssten etwas unternehmen, um das weitere Überleben der Familien zu sichern.
Nachdem ich mich zu den Männern an das Feuer gesetzt habe, hört sich Duka meinen Bericht an. Die anderen Männer lauschen interessiert.
Bisher ist es nicht vorgekommen, dass einer von den Fremden so tief in unser Gebiet eingedrungen ist. Deshalb sind einige der Älteren besorgt.
Schnell wird beschlossen, zwei Jäger zum Fluss zu schicken, um der Spur des Mannes zu folgen. Vielleicht finden sie heraus, woher er kommt und wohin er geht.
Da es gilt, keine Zeit zu verlieren, machen sich zwei jüngere Jäger augenblicklich auf den Weg.
Wir beobachten, wie sie durch das niedrige Buschwerk an vereinzelt stehenden Bäumen vorbei meiner Spur im Schnee folgen, die zu dem halb im Wasser liegenden Baumstamm führt und gehen dann zu der Stelle einige Schritte oberhalb des Flusses, an der sie ihn über von uns ausgelegten Steinquadern trocken und gefahrlos überqueren können.
Nachdem sie die Fährte gefunden haben, folgen sie ihr und verschwinden im angrenzenden Wald.
Ich hoffe nicht, dass sie auf ihn treffen, denn es könnte den Tod des Fremden bedeuten.
Auf irgendeine Weise haben mich die Begegnung und die darauf folgende Erzählung meiner Mutter ganz seltsam berührt. Ich möchte nicht, dass er von unseren Jägern getötet wird.
Kurz vor Einbruch der Dämmerung kehren sie zurück und berichten, dass sie der Spur bis weit den Fluss hinauf gefolgt seien. Dann endete diese direkt am Flussufer an den Abdrücken von zwei nebeneinander liegenden Baumstämmen, einem großen und einem kleineren. Ist der Fremde auf dem Holz über das Wasser gegangen?
Ich habe schon einmal gesehen, wie ein kleines Stacheltier auf einem im Wasser treibenden dicken Ast gesessen hat. Hat er das ähnlich angestellt?
Eine Sache, über die ich nachdenken muss. Aber nicht jetzt, denn ich habe Hunger.
Es ist dunkel geworden. Der Halbmond steht am Himmel und beleuchtet schwach das Tal. Die Jäger sind bisher nicht zurückgekommen. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass sie auf die Spur eines Beutetieres gestoßen sind. Sie haben an mehreren Stellen in unserem Jagdgebiet die Möglichkeit, sicher zu übernachten. Es besteht also kein Grund zur Sorge.
Ich gehe zu unserem Nachtlager und setze mich darauf. Duka sieht es, steht ebenfalls auf und kommt hinter mir her.
Nachdem er sich auf mich gelegt hat, liegen wir eine Weile zusammen auf dem Fell. Einige andere Paare sind von unserem Tun animiert worden und machen es uns nach. Nachdem ich wieder zu Atem gekommen bin, stehe ich auf und trete vor die Höhle, um mich mit einigen Handvoll Schnee zu säubern. Schnell krieche ich wieder unter die Felle unseres Nachtlagers und kurz darauf schlafen wir beide nebeneinander ein.
Der Mond ist voll geworden. Unsere Jäger haben in den vergangenen Tagen noch großes Glück gehabt und ein Mammut erlegt. Sie konnten es in eine unserer Fallen treiben und dort töten. Nun haben wir genug Fleisch für den Rest des Winters.
Es war ein hartes Stück Arbeit für die Männer, die schweren Fleischbrocken zur Höhle zu tragen, und für uns Frauen, die Kinder und die alten Männer, diese zu verarbeiten, damit sie nicht verdarben.
Meine Schwester, die einen Winter jünger ist als ich und so wie alle anderen unserer Sippe aussieht, bekommt gerade ihr erstes Kind.
Sie ist mit einem der jüngeren Jäger zusammen, der ebenfalls an der Mammutjagd teilgenommen hat. Meine Mutter und eine ältere Frau kümmern sich um sie.
Ich stehe dabei und denke, dass alles normal verläuft. - Im gleichen Moment schießt Wasser zwischen ihren Beinen hervor, kurze Zeit später kommt ein kleiner Kopf zum Vorschein, an dem meine Mutter vorsichtig zieht. Der Hals erscheint, um den sich eine dunkel schimmernde Schnur gewickelt hat, die Mutter sofort löst, nachdem die Arme erscheinen. Das Gesicht ist blau angelaufen. Als die Füße zu sehen sind und das Kind vor uns auf einem Fell liegt, erkenne ich, dass es ein Junge ist. Ich sehe aber auch, dass es sich nicht bewegt und auch nicht schreit, wie es die meisten anderen Neugeborenen bisher getan haben.
Nachdem Mutter bestürzt festgestellt hat, dass der Junge nicht atmet, nimmt sie ihn schnell auf, gibt ihm einige Klapse auf das Hinterteil. Es erfolgt keinerlei Reaktion. Daraufhin bearbeitet sie seinen kleinen Brustkorb, drückt und presst ihn, bis sie nach langer Zeit aufgibt, den Kleinen in das Fell wickelt und ihn bekümmert aus der Höhle trägt.
Wenn die Männer nachher ein Loch in den hartgefrorenen Boden geschlagen haben, wird der Kleine begraben werden. Meine Schwester weint.
Es ist zwar häufig, dass Frauen ihr erstes Kind verlieren, aber dieses Wissen ist im Augenblick kein Trost für uns alle.
Ihr Gefährte kommt zu ihrem Lager und setzt sich traurig neben sie. Sie sind noch jung und haben beide noch ein langes Leben vor sich, in dem sie weitere Kinder zeugen können.
Wichtig ist im Augenblick, dass ausreichend Vorräte gelagert sind, mit deren Hilfe die Gruppe den Winter überstehen wird.
Dieses Mal gehe ich bei starkem Schneefall zusammen mit meiner gleichaltrigen Freundin Siene hinunter zum Fluss, um die Wassersäcke zu füllen.
Wir unterhalten uns auf dem Weg hinunter ins Tal über die Totgeburt, das erlegte Mammut und die nächsten noch zu überstehenden kalten Tage. Unten am Fluss gehen wir zu dem von den Männern in die Eisdecke geschlagenen Loch, in dem sich auf der Wasseroberfläche wieder eine dünnere Eisschicht gebildet hat. Mit zwei großen Steinen vom Flussufer schlagen wir das Wasserloch frei und füllen die Schweinsblasen.
Dies ist der Augenblick, an den ich später sicher noch oft denken werde. Meine erste Begegnung mit Auno, der dritte Jäger aus dem fremden Clan, den ich erblicke. Wir bemerken uns fast gleichzeitig. Meine Begleiterin schreit leise auf. Ich bleibe ruhig, denn auch wenn das ein Jäger ist, zwei Frauen können es mit ihm aufnehmen. Wir sind beide mit einer kurzen Lanze und jeweils einem Messer bewaffnet, das wir immer mitnehmen, wenn wir zum Fluss gehen.
Es ist ein noch junger Mann, etwas älter als wir, der uns überrascht, denn er lässt sich langsam auf seine Knie sinken, legt seine Waffen ab und verharrt so, um uns eine zeitlang zu beobachten.
Dann spricht er zu uns. Es sind seltsamerweise Worte, die wir verstehen, die meine Mutter vor einiger Zeit schon der Gruppe beigebracht hat. Aber er spricht fließender und schneller als wir, ich muss ihm also sehr genau zuhören, um zu verstehen, was er von uns will.
Er erzählt, dass er Hunger habe und an das Eisloch wolle, das er vor kurzer Zeit entdeckt hat. Ein langes dünnes Tau hält er in der Hand. An einem Ende hängt ein Stück zugeschnittener Knochen in Form eines spitzen Hakens, an dem wiederum ein kleines Stück Fleisch steckt. Diesen Haken will er, so erklärt er uns, mit einem kleinen Stein beschwert an der Schnur durch das Eisloch in das Wasser halten. Wenn er Glück hat, schnappt ein Fisch nach dem Köder und bleibt an dem Knochenhaken hängen. Wenn er dann das Seil herauszieht, zieht er auch gleichzeitig den Fisch mit heraus. So kann er dann seinen Hunger stillen.
Nachdem ich ihm gestattet habe, seinen Köder auszulegen, will er nun wissen, wo wir unsere Behausung haben. Ich versuche, ihm zu erklären, dass sie im Wald liegt und wir eine starke Gruppe sind.
Er sieht mich zweifelnd an und deutet auf unsere Fußspuren, die von unserer Uferseite aus in das Gebüsch führen. Zum Glück verwehen der frisch fallende Schnee und der leichte Wind unsere Fährte schnell wieder, aber wenn er uns auf dem Rückweg folgen sollte, dann entdeckt er unsere Höhle, und das könnte gefährlich für uns alle werden.
Wir unterhalten uns noch eine Weile. Hierbei erfahre ich, dass sein Clan weit oben am Fluss wohnt und einzelne Jäger gelegentlich auch in unsere Jagdgebiete gelangen.
Er nennt uns seinen Namen und will wissen, woher wir seine Sprache kennen. Ich sage ihm, dass wir Siene und Tunde heißen und meine Mutter diese Sprache in unseren Clan gebracht hat.
Die drei so unterschiedlichen Menschen sitzen während der Mittagszeit um das Eisloch versammelt, an dem der Mann seine Angelleine ausgelegt hat und versuchen, sich durch Gesten und Worte, die der Mann manchmal etwas langsamer wiederholen muss, zu verständigen. Die zwei jungen Frauen verstehen nicht alles, aber es reicht vollkommen, um zu begreifen, was der Jäger ausdrücken will. - Der dunkelhaarige Mann ist groß und schlank, sehr beweglich und hat ein schmales Gesicht mit hoher Stirn und nah beieinander stehenden Augen, die von nur angedeuteten Augenwülsten überdeckt sind. Ganz anders sieht die kleinere der beiden Frauen aus. Sie ist stämmig mit kurzen Beinen, hat ein fast farbloses Gesicht mit hellen, fast rötlichen Haaren und dicken Knochenwülsten über weit auseinander liegenden Augen, eine flache Stirn und ein fliehendes Kinn. Die zweite Frau scheint eine Mischung von Beidem zu sein. Sie hat die gleiche Statur wie der Mann, ist nur eine knappe Handbreit kleiner als dieser, aber deutlich größer als die andere Frau, hat die gleiche Haarfarbe wie diese und fast die Gesichtszüge des Mannes. Die Augen unter nicht sehr stark ausgeprägten Wülsten liegen etwas weiter auseinander als seine, was ihrem Gesicht einen fast schönen Ausdruck verleiht. Sie ist vielleicht dreizehn Jahre alt, also eine Frau schon in gebärfähigem Alter. Die kleinere Frau ist gleich alt, der Mann ist etwa sechzehn, wie ein Jäger gekleidet und ebenso bewaffnet. - Seine Waffen, Pfeile und Bogen, eine Axt aus Feuerstein, das in der Regel auf Grund der Seltenheit nicht aus diesem Material hergestellt wird, ein Obsidianmesser und ein Speer mit einer Spitze aus dem gleichen Material, liegen einige Schritte von den Dreien entfernt auf dem Eis des Flusses. So, als wenn der Mann zeigen wollte, dass er in friedlicher Absicht gekommen ist.
Die kleinere Frau hält sich etwas im Hintergrund, während sich die Größere mit dem Mann angeregt unterhält. Es ist zu erkennen, dass die Zwei Gefallen aneinander gefunden haben.
„Ich bin morgen wieder hier, um die gleiche Zeit. Kommst Du dann auch?“ fragt Auno. Er blickt Tunde direkt an, diese überlegt kurz, nickt dann und sagt: „ich werde kommen.“
Im gleichen Moment bewegt sich die Angelleine. Hätte Auno nicht augenblicklich zugepackt, wäre sie schnell im Wasserloch verschwunden. So zieht er nach einem kurzen Ruck an der Leine einen kapitalen, armlangen Fisch aus dem Eisloch, packt ihn und schlägt seinen Kopf zwei Mal kräftig auf die Eisfläche. - Das muss ich den Jägern erzählen, denkt sich Tunde. So haben wir noch nie Fische aus dem Fluss geholt.
Ihr ist die Fischjagd nur mit Speeren bekannt, den ein im seichten Uferwasser des Flusses stehender Jäger einem von den anderen Männern zugetriebenen Fisch in den Körper stößt. Oft genug ist es so, dass der Fisch schneller ist als der Speer. Wenn der Fluss zugefroren ist, ist diese Art der Jagd dann natürlich nicht möglich, also steht im Winter Fisch selten auf ihrem Speiseplan.
Das Prinzip des Fischens mit der Angel hat sie erkannt. Sie sieht den Angelhaken mit dem Fleischstück, das Loch am Ende des Hakens, durch das die Schnur gezogen und verknotet ist und hat bemerkt, dass der Fisch Köder und Haken verschluckte, der durch den Ruck an der Leine in die Innenseite des Fischmauls gedrungen ist. So konnte der Fisch fast mühelos aus dem Eisloch gezogen werden. Sie wundert sich, dass ihr Clan bisher noch nicht selbst auf diese Fangmethode gekommen ist. Es war so genial einfach.
Die zwei Frauen erheben sich, die Größere spricht noch einige Worte mit dem Jäger, dann gehen sie, nachdem sie ihre Wassersäcke aufgenommen haben, eine kurze Strecke am Fluss entlang, um dann unvermittelt im Gebüsch unter zu tauchen. Der Mann soll nicht unbedingt erkennen, in welche Richtung sie gehen. Es schneit immer noch, der Wind hat etwas aufgefrischt, sodass die Spuren schnell wieder zugeweht sein werden.
Tunde freut sich schon auf das morgige Treffen mit Auno. Er hat einen tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen.
„Unsere Begegnung behalten wir für uns, wir berichten davon nur meiner Mutter“, sagt sie zu Siene. Diese nickt nur und stapft wortlos neben ihr durch den Schnee. Was sollen wir die Anderen misstrauisch werden lassen, denkt sie. Auno sah nicht so aus, als könne er dem Clan gefährlich werden. Außerdem gefiel er ihr ebenfalls, deshalb wollte sie auch morgen wieder mit Tunde zum Fluss gehen.
Siene selbst hat bisher noch keinen Partner gefunden. Es gibt im Clan nicht einen Mann, der noch keine Frau genommen hat. Sie muss also warten, bis ein Mann frei wird; durch den Tod einer Frau oder den Zuzug eines Mitglieds aus einem anderen Clan, was bisher allerdings sehr selten geschah. Es gibt auch noch die Möglichkeit, dass sie selbst zu einer anderen Gruppe wechselt, bei der ein Mann noch frei ist. Aber das will sie nicht. Sie mag diese Landschaft, in der sie ihr ganzes bisheriges Leben verbrachte, und ihre Familie, bei der sie schon eine gewisse Stellung einnimmt, obwohl sie noch keinen Mann hat.
Wenn es sich nicht anders ergibt, denkt sie, bleibt sie eben wie die Schwester ihrer Mutter ohne Partner. Vielleicht ist es sogar besser so, denn ein Mann kann auch lästig werden.
Jedoch diese Gedanken sind wohl eher als Trotzreaktion zu bewerten als dass sie ihrem Naturell entsprächen. Sie lag nachts oft wach in der Nähe der Kinder und hörte den anderen Paaren zu, wie sie sich auf ihren Lagern wälzten. Dann wünschte sie sich schon einen Mann neben sich auf ihrem Fellbett.
Sie haben die Unterkunft erreicht und blicken zurück zum Fluss. Sie können die Stelle, an der sie mit dem Jäger saßen, nicht sehen, da sie von den auf dieser Flussseite vereinzelt stehenden Bäumen verdeckt wird. Also kann auch Auno sie nicht sehen.
Eigentlich liegt die Höhle an der Südseite des Felshügels, doch da sie hinter einer Felsnase verborgen liegt, ist der Eingang nach Ostsüdosten ausgerichtet und so vom Tal aus nicht sichtbar. Davor befindet eine etwas größere, ebene und nur mit Gras bewachsene Fläche, die von niederem Buschwerk umsäumt ist. Zum Fluss hin senkt sich der Boden sanft. Im Sommer ist dies ein herrliches Tal mit dichtem Mischwald und viel Wild, im Winter erscheint es starr und feindlich. Nur selten sieht man dann einen Schneehasen oder ein anderes Kleintier auf den vereinzelten Lichtungen. Wer für diese Zeit nicht vorgesorgt hat, der hat sehr hart zu kämpfen, um hier zu überleben. Doch diese Gruppe existiert hier schon, solange ihre Erzählungen zurück reichen. Sie hat sich hier festgebissen und weiß, wie sie hier die harten, entbehrungsreichen Wintermonate überstehen kann. Im Sommer und Herbst sammeln sie die Früchte des Waldes wie Birnen, kleine Äpfel, Buchen- und Grassamen, Beeren, essbare Pflanzen und Nüsse, die sie im rückwärtigen Teil der Höhle in einer etwas größeren Kammer lagern, um sie im Winter zu essen. Dies macht etwa zehn Prozent ihrer Nahrung aus. Der größte Teil jedoch besteht aus dem Fleisch der Wildtiere, die sie auch während der kalten Jahreszeit jagen müssen.
Tunde und Siene betreten die Höhle und hören im gleichen Moment, wie zwei Kinder sich wegen eines Knochens balgen, an dem noch einige Fleischfetzen hängen. Sie gehen am Feuer vorbei zu Tundes Mutter, hocken sich rechts und links neben sie auf den Boden und erzählen leise von ihrem Abenteuer. Tobe hört sich an, was die Zwei zu erzählen haben, ohne sie zu unterbrechen. Dabei wird sie immer stiller, denkt wieder wie so oft an ihre eigene Jugend, als sie sich mit einem der fremden Jäger ebenfalls an diesem Ufer traf. Sie konnte während dieser Zeit des Zusammenseins viel von dem Mann lernen. Auch hatte sie damals gesehen, wie er mit einer Leine Fische aus dem Wasser zog, begriff aber nicht, wie er das anstellte. Als ihre Tochter ihr davon erzählte, fiel es ihr wieder ein.
All das Wissen, was sie von ihm übernahm, gab sie später an den Clan weiter. So auch einen großen Teil der Sprache der Fremden. Als ihre Flussbekanntschaft dann plötzlich von einem Tag auf den anderen nicht mehr erschien, war sie verzweifelt. Erst als kurz darauf ihre zurückkehrenden Männer von dem Jagdunglück der fremden Menschen an der Gebietsgrenze erzählten, ahnte sie, was geschehen war und ergab sich in ihr Schicksal. Kurz darauf wurde sie die Frau des Clanoberen. Sie hatte diese Treffen mit dem fremden Jäger die ganze Zeit für sich behalten, keiner wusste davon. So war es auch nicht verwunderlich, dass niemand misstrauisch wurde, als Tunde so kurz nach der Zusammenlegung der beiden Nachtlager zur Welt kam und ein vollkommen anderes Aussehen hatte als die übrigen Kinder. Tobe rät den zwei jungen Frauen, diese Begegnung für sich zu behalten. Sie möchte einen Streit mit Duka vermeiden, der sicher unausweichlich ist, wenn er davon hört, dass seine Frau mit einem fremden Mann gesprochen hat. Er kann manchmal sehr jähzornig werden, und da er der körperlich Stärkste der Gruppe ist, ist er dann kaum zu bändigen. Auch von den insgesamt sieben anderen Männern nicht. Die zwölf Frauen und sechs Kinder suchen verschreckt bei solchen Ausbrüchen stets den hinteren Teil der Höhle auf.
Er war nicht immer so, erst seit kurzer Zeit lässt er seinen Gefühlen mehr und mehr freien Raum. Tobe sieht es als Reaktion darauf, dass Tunde ihm bisher noch kein Kind geboren hat. Und da sie eine vorausschauende Frau mit viel Erfahrung ist, hofft sie, dass Tunde durch die Treffen mit dem fremden Jäger vielleicht ein Kind empfangen könnte. Während der zwei Jahre des Zusammenseins mit Duka zeigt ihre Tochter keinerlei Anzeichen einer Schwangerschaft.
Tobe macht sich aus diesem Grund große Sorgen, denn es besteht durchaus die Möglichkeit, dass Duka Tunde verstößt und sich eine andere Frau aussucht, die ihm Kinder bringt. Sie muss nur darauf Acht geben, dass Tunde nicht dem fremden Jäger folgt, also die Sippe verlässt und mit zu dessen Stamm geht. Dann hätte sie selbst einen sehr schweren Stand in der Familie. Vielleicht würde sie dann sogar ausgestoßen, im schlimmsten Fall von Duka getötet werden. Sie musste also sehr vorsichtig zu Werke gehen.
Sie denkt wieder an ihren fremden Jäger, mit dem sie vor 14 Jahren eine so schöne Zeit verbracht hatte und lächelt. Immer wieder drehen sich ihre Gedanken um ihre Tochter. Ihr wird klar, dass Tunde schwanger werden muss. Zur Not auch durch die geheime Verbindung mit einem anderen Mann, sicherheitshalber mit einem aus einem anderen Clan. Ich werde es ihr vor dem Schlafengehen noch beibringen müssen, überlegt sie sich. „Tunde, morgen gehen wir beide zum Fluss und holen Wasser“ sagt Tobe in die plötzlich eingetretene Stille. Sie entschließt sich dazu, ihre Tochter nicht direkt in ihre Pläne einzuweihen, sondern es ihr versteckt anzudeuten, was sie zu tun hat. „Siene, Du bleibst morgen hier oben in der Höhle“.
Diese hatte sich so auf das morgige Treffen gefreut, dass es sie wie ein Schock trifft. Sie darf nicht mit zum Fluss! Da Tobe eine ranghöhere Frau ist, muss sie ihr gehorchen. Sie tut es nur sehr widerwillig. Aber sicher wird sich später eine Möglichkeit ergeben, wieder mit zum Fluss gehen zu dürfen. Diese Aussicht beruhigt sie etwas. Trotzdem aber bleibt eine leichte Enttäuschung in ihr zurück. Was hat Tobe vor, dass sie nun selbst mit ihrer Tochter zu der Verabredung am Fluss gehen will und sie nicht dabei sein darf? Warum soll Tunde sich mit dem fremden Jäger treffen, wo sie doch die Frau des Clanoberen ist? Sie versteht es nicht.
Das war schon eine herbe Enttäuschung, die mir Tobe da gerade bereitet hat. Warum will sie, dass Tunde - ihre Tochter, die mit Duka, dem Clanführer zusammen ist, sich allein mit dem fremden Jäger trifft? Ich bin es doch, die keinen Gefährten hat. Dabei gefiel mir der Fremde so gut, obwohl er sich fast ausschließlich mit Tunde unterhielt.
Aber sie konnte sich auch wesentlich besser mit ihm verständigen als ich. Er sah ganz anders aus als die Mitglieder meines Clans - mit Ausnahme von Tunde, die eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Mann hat. Hmmm, schon seltsam! Ich denke, ich werde ihnen morgen doch, allerdings unbemerkt, zum Fluss folgen.
Der nächste Morgen ist grau verhangen und eisig. In der vergangenen Nacht hat es stark geschneit. Nun fällt leichter Schneegriesel aus den tiefliegenden Wolken und deckt die Landschaft weiter zu. Zum Schutz vor dem Südostwind haben die Männer den Eingang mit großen Tierhäuten verhängt. Es ist zwar kalt in der Höhle, aber durch das Feuer lässt es sich aushalten. Jeder der Bewohner hat sich dick in seine Felle gewickelt.
Dadurch, dass genug Feuerholz gesammelt und durch das erlegte Mammut ausreichend Fleisch vorhanden ist, wird es nicht notwendig sein, dass jemand jagen und somit die Höhle verlassen muss.
Tunde sitzt links vom Feuer an die Felswand gelehnt und schnitzt mit ihrem Obsidianmesser an einem Stück Knochen. Es ist ein etwa vier Zentimeter langes Stück, das schon fast so aussieht wie der Fischhaken des fremden Jägers, dem sie und ihre Freundin gestern am Fluss begegnet sind. Sie ist sehr geschickt mit dem Messer, deshalb ging ihr die Arbeit schnell von der Hand. Niemand der Gruppe hat bisher bemerkt, woran sie arbeitet. Nun nimmt sie einen harten, spitzen Stein und bohrt langsam und vorsichtig ein kleines Loch in den Schaft des Angelhakens. Fertig. Sie begutachtet den Knochen noch ein letztes Mal und versteckt ihn dann heimlich unter ihrem Fell. - Wenn sie nachher mit ihrer Mutter zum Fluss gehen wird, denn sie hat sich fest vorgenommen, trotz des schlechten Wetters das Treffen mit Auno nicht zu versäumen, kann sie den Haken ausprobieren. Sie braucht jetzt nur noch ein Stück Schnur, das nicht so dick ist wie die Taue, die sie normalerweise benutzen. Sie wird gleich einmal in der Vorratskammer die Nesseln inspizieren. Wenn ich einige der getrockneten Fasern dünn zusammen drehe, denkt sie sich, dann müsste es doch passen.
Tobe kommt zu ihr und setzt sich neben sie. Vorsichtig holt Tunde den Fischhaken hervor und zeigt ihn ihrer Mutter. Die besieht sich das Stück Knochen und nickt anerkennend mit dem Kopf.
„Genau so hat das Stück ausgesehen, das damals der fremde Jäger aus dem Fisch herausholte, den er mit einer Schnur aus dem Wasser zog“.
„Ich habe mir gedacht, wenn ich dünn zusammen gedrehte Nesselfasern nehme und dann den Haken daran befestige, müsste ich genau so einen Fischfänger haben wie der Jäger vom Fluss“.
Die zwei Frauen erheben sich, Tobe zieht ein brennendes Stück Holz aus dem Lagerfeuer und beide gehen in Richtung Vorratskammer. Vor dessen Eingang hängt ebenfalls ein Tierfell, um im Sommer die Insekten fern zu halten. Sie schieben es etwas zur Seite und schlüpfen durch die entstandene Lücke. Die eingelagerten Nesseln haben sie schnell gefunden. Tunde nimmt einige der getrockneten, schon bearbeiteten Fasern und beide Frauen gehen wieder zu ihrem Sitzplatz am Feuer. Nachdem Tobe eine etwa fünf Meter lange Schnur gedreht und am Haken befestigt hat, bestreicht sie diese mit Tierfett, das sie aus der Kammer mitbrachte. Sie betrachtet das gemeinsame Werk zufrieden, rollt es zusammen und versteckt es unter ihrem Fell. Tunde lässt es geschehen, es herrscht keine Rivalität zwischen Mutter und Tochter.
Am späten Vormittag reißt der Himmel auf und durch die Wolkenlücken kommt vereinzelt die Sonne zum Vorschein. Der eisige Wind hat etwas nachgelassen, aber es ist immer noch recht kalt.
Es ist Zeit für Tunde und Tobe, sich auf den Weg zum Fluss zu machen. Jede nimmt einen Fellmantel mit. Sie wickeln sich darin ein und machen sich auf den Weg zum Fluss. Es wäre zwar ein Leichtes gewesen, den Schnee vor ihrer Behausung zu schmelzen, aber sie erklären den Anderen, dass sie das Wasserloch wieder aufschlagen müssten, da es sicher wieder zugefroren sei. Sie verlassen die Höhle durch eine am Ausgang seitlich offen gelassene Lücke zwischen Fels und Windschutz, die durch ein außen überlappendes kleineres Fell abgedeckt ist. Sofort empfängt sie die eisige Kälte, die sie trotz ihrer dicken Fellkleidung spüren. Hohe Schneewehen haben sich auf dem Pfad zum Fluss gebildet. Es wird ein mühsamer Weg werden, erschwert dadurch, dass sie einen weiten Rechtsbogen schlagen müssen, um nicht direkt ihren Ausgangsort zu verraten.
Etwas später erscheint Siene am Ausgang, sieht, dass Mutter und Tochter außer Sichtweite sind und schlägt den gleichen Weg Richtung Fluss ein. Sie weiß, dass sie in die Spur der zwei vor ihr Gehenden treten muss, um nicht eine Zweite zu ziehen, die sie später verraten würde, wenn Tunde und Tobe den Rückweg einschlagen. Es schneit nicht mehr, das Wetter ist besser geworden, sodass die Fußstapfen noch lange zu sehen sein werden. Sie erkennt, dass die zwei Frauen vor ihr eine Spur getreten haben, die in einem weiten Bogen über ein spärlich bewachsenes, vom starken Wind während der Nacht fast schneefrei gefegtes Gebiet zum Fluss führt. Siene achtet darauf, dass sie nicht zu schnell ist, denn sie hat es etwas leichter durch den stellenweise frisch getretenen Pfad vor ihr.
Da Tobe die stärkere der zwei Frauen ist, geht sie vorweg und erreicht so auch als Erste den Fluss. Das Eis ist ebenfalls wie glatt gefegt, nur an den Uferböschungen haben sich hohe Schneewehen gebildet. Von dem fremden Jäger ist nichts zu sehen. Sie schlagen mit einem großen Stein, den sie vorher am Flussufer los gebrochen haben, das Eisloch wieder auf, füllen ihre Wassersäcke und tragen sie zum Gebüsch. Dann nimmt Tobe die Angelschnur, bespickt den Haken mit einem Stück Fleisch und lässt ihn, beschwert durch einen kleinen Kiesel, durch das Loch in der Eisdecke in das kalte Wasser gleiten. Das Ende sichert sie mit dem schweren Uferstein.
Beide Frauen haben vom Arbeiten im eisigen Wasser blau gefrorene Hände. Sie setzen sich neben die am Ufer aufgereihten Wasserbeutel mit dem Gesicht zum Fluss und stecken ihre Arme unter das wärmende Fell.
Nicht viel später hören sie das leichte Knacken eines Astes links hinter ihnen. Sekunden später steht der Jäger vor ihnen, erstaunt, eine ältere Frau bei der Größeren der beiden, denen er gestern begegnet ist, sitzen zu sehen.
Auch diese Frau spricht seine Sprache so, dass er sie gut verstehen kann. Dies erkannte er an dem Gespräch der Beiden, das er zuvor kurze Zeit belauscht hat. Das ist bei den anderen Gruppen dieser seltsamen Menschenart, denen er auf seinen Streifzügen verschiedentlich begegnete, noch nicht der Fall gewesen. Also muss sie bereits schon einmal mit einem Mitglied seines Stammes zusammen gekommen sein, hat vielleicht sogar bei ihnen gelebt. Doch von einem solchen Vorfall ist ihm und auch seinen Stammesgenossen bisher nichts bekannt.
Ihm sind zwar auf seinen vielen Wanderungen zwei weitere Clans seiner eigenen Menschenrasse begegnet, aber dessen Jagdgebiete liegen weit verstreut jeweils mindestens drei Tagesreisen vom Fluss entfernt, also dürfte es fast ausgeschlossen sein, dass die Ältere der beiden Frauen jemals mit einer dieser Gruppen in Kontakt getreten sein könnte.
Er setzt sich zu den zwei Frauen, die beide die Hände vom Griff ihrer Messer unter ihrem Mantel wieder gelöst haben, nachdem Tunde den Jäger erkannt hat und ihrer Mutter ein Zeichen gab.
„Auno, das ist Tobe, meine Mutter“. „Wie kommt es, dass Ihr meine Sprache kennt? Wer hat sie Euch beigebracht?“
„Ich habe vor vielen Wintern, noch vor Tunde‘s Geburt, einen Jäger Deines Volkes kennen gelernt. Er nannte sich Thulo und sah aus wie Du. Wir haben uns oft hier am Fluss getroffen und uns in Deiner Sprache verständigt, die ich mit der Zeit von ihm gelernt habe“.
„Von Thulo habe ich gehört. Er wurde vor fast 14 Wintern während der Jagd auf ein Wollnashorn schwer verletzt und ist anschließend von den Jägern zum Lager getragen worden. Dort ist er kurze Zeit später an seinen Wunden gestorben. Er war der jüngere Bruder meines Vaters, der nun seit einigen Wintern unser Stammesführer ist. Ich kann mich kaum noch an Thulo erinnern, da ich zu dem Zeitpunkt erst zwei Winter erlebt hatte.“
Nun ist es für Tobe traurige Gewissheit. Sie ist tief betrübt, aber so hat sie endlich eine Erklärung für das damalige Fernbleiben ihres Geliebten ohne ein vorheriges Abschiedswort von ihm und kann hierdurch diesen Teil ihres bisherigen Lebens abschließen. Die Ungewissheit ließ sie in all den Jahren nachts so manches Mal nicht einschlafen. Wenn sie an die Treffen mit Thulo dachte, spürte sie immer wieder dessen Umarmungen, die so ganz anders waren als die ihres Gefährten, des Mannes, den Tunde für ihren Vater hält.
Auno sieht die zwei Frauen eine zeitlang schweigend an. „Tobe, Du warst mit Thulo zusammen und Tunde ist Deine Tochter, die unserem Volk ähnlicher sieht als Deinem. Ist sie auch die Tochter des Bruders meines Vaters?“ Tobe senkt den Kopf und denkt kurz nach. Wenn sie die Wahrheit nun zugibt, könnte es ein Schock für Tunde sein, die von ihrer wahren Herkunft bisher noch keine Ahnung hat. Sie entscheidet sich daher, ihr Geheimnis noch nicht preis zu geben.
„Frano ist der Vater von Tunde, mein vor fünf Wintern bei der Jagd getöteter Gefährte.“
Auno nimmt es schweigend hin, obwohl in seinen Augen immer noch starke Zweifel zu erkennen sind.
Die Mutter erhebt sich, das Zeichen für Tunde, es ihr gleich zu tun.
Ein kurzes Zeichen von Auno hinter Tobes Rücken gibt ihr zu verstehen, dass er morgen gegen Mittag wieder hier am Fluss zu finden sein wird. Sie nickt kurz, geht zum Wasserloch, zieht die Angelschnur heraus und verstaut sie unter ihrem Fellmantel. Der Köder sitzt noch am Haken.
„Du musst schon etwas länger warten, es dauert manchmal sehr lange, bis ein Fisch anbeißt“, erklärt ihr Auno.„Morgen gelingt es vielleicht. Wir werden sehen.“
Dann nimmt sie die Wassersäcke auf, die Tobe ihr übrig ließ. Die zwei Frauen benutzen den gleichen Weg, den sie auf dem Hinweg zum Fluss genommen haben. Beide bemerken nicht die Fußabdrücke, die sich zwei Meter neben ihrer alten Spur hinter einem kleinen Gebüsch in den Schnee gegraben haben. Hier hat Siene durch einen Sprung den Weg verlassen und ist im Buschwerk unter getaucht.
In der Höhle angekommen setzen sie ihre Wassersäcke ab. Jede hängt ihren eigenen Gedanken nach. Keine von Beiden bemerkt, dass Siene nicht im Lager ist.
Durch einen Sprung über einen kleinen Busch Richtung Sonnenaufgang habe ich mich von der von mir benutzten Spur entfernt und schlage nun einen weiten Bogen durch das Buschwerk und die vereinzelten Bäume zum Ufer des Flusses, so dass ich mich von der anderen Seite wieder der Spur, dem Wasserloch und somit auch den Dreien nähere, denn Auno ist bereits eingetroffen.
Ich kann nicht so nahe heran, dass ich verstehe, was sie sagen, sehe aber, dass sie sich angeregt unterhalten. Die Kälte spüre ich nicht, da ich so angespannt und aufgeregt bin, dass ich sie nicht wahrnehme. Nach einiger Zeit erhebt sich Tobe abrupt, Tunde folgt ihr, nachdem sie ein dünnes Tau aus dem Wasserloch gezogen hat und beide verlassen mit den Wassersäcken den Treffpunkt. Ob ich mich Auno zu erkennen geben soll?
Besser nicht, denn in uns sitzt ein altes Misstrauen gegenüber dieser fremden Menschenrasse, das mich jetzt auch langsam und geräuschlos umkehren lässt. Außerdem, wenn ich es bedenke, ist er mir zu groß und zu dünn. Ich halte mich doch an einen aus meiner Sippe. Die Sonne ist nicht viel weiter gewandert, als ich die Höhle unbemerkt kurz nach Tobe und Tunde wieder betrete.
Etwas verwirrt und verärgert war ich doch, als Tobe so unvermittelt aufstand und ich mit ihr gehen musste. Ich wäre schon gern etwas länger geblieben. Aber ich verstand das Zeichen, das Auno mir hinter dem Rücken meiner Mutter gab. Morgen, wenn die Sonne hoch steht, würde er wieder hier am Fluss auf mich warten. Ich freue mich darauf.
Nun sitze ich wieder hier in der Höhle und repariere gerade meine Bekleidung und die meines Gefährten Duka. Einige Nähte haben sich gelöst, die Fellstücke stehen hier an diesen Stellen weit offen. Mit dünnen Stricken aus Pflanzenfasern und schmalen Lederstreifen, die ich durch die noch vorhandenen intakten Löcher ziehe, nähe ich sie wieder zusammen. Duka achtet nicht so sehr auf seine Kleidung, deshalb habe ich mehr als die anderen Frauen damit zu tun, sie wieder zu richten. Die Männer und einige der alten Frauen sitzen am Feuer und unterhalten sich. Ich bin fertig und setze mich ebenfalls dazu. Das Gespräch der Männer kreist um eine der letzten Jagden auf einen Moschusochsen. Sie berichten, dass Dena, ein erst 13 Winter alter Jäger, fast unter das aus dem Kreis der Männer ausbrechende Rind geraten wäre und sich im letzten Moment noch zur Seite werfen konnte. Als das Tier an ihm vorbei lief, hat er ihm noch seinen Speer in die Flanke stoßen können und damit die Fluchtrichtung so beeinflusst, dass es anschließend in die Falle stürzte, in der es dann von Duka getötet wurde.
Dena wird eine große Zukunft als Jäger voraus gesagt, was er, der mit am Feuer sitzt, sichtlich genießt. Er hatte sich, als die Sonne noch höher am Himmel stand, eine gleichaltrige Gefährtin genommen, die kurz darauf schwanger wurde. Die erfahrenen Frauen sagen, sie wird nach dem Winter ihr Kind bekommen. Dann erzählen die Alten von der Geschichte unseres Volkes, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Die ersten unserer Vorfahren zogen vor vielen Menschenaltern über einen großen Gebirgszug, nachdem das Eis sich zurückzog und es wärmer wurde. Nach langer Wanderung, einige Gruppen sind zurück geblieben und haben in anderen Gegenden ihr Lager aufgeschlagen, fand unser Clan dieses Tal und dann diese Höhle oberhalb unseres Flusses. Die Sommer waren heiß und die Winter kühl, aber fast eisfrei. Wild bevölkerte das Tal während des gesamten Jahres, so dass Nahrung stets ausreichend vorhanden war. Seit einiger Zeit verändern sich nun die Temperaturen allerdings wieder. Es wird eisiger und das Wild zieht in der kalten Zeit aus unserem Tal in andere Gebiete.
In diesem Augenblick werden draußen vor der Höhle Stimmen laut. Das kleine Eingangsfell wird zur Seite geschoben und die zwei ausgesandten Jäger kommen mit dem Wachposten hereingestürmt. Alle Drei sind begeistert und berichten, dass draußen auf dem Platz ein erlegtes Schwein liegt, das die zwei Jäger gerade gebracht hätten. Natürlich hält es nun keinen mehr in der Höhle, selbst die Kinder treibt es nach draußen. Die Fortsetzung der Erzählungen kann warten.
Der kapitale Eber liegt mit zusammen gebundenen Läufen, durch die ein armdicker Ast gesteckt wurde, vier Schritte vom Eingang entfernt im Schnee. Nach einem kurzen Palaver machen sich die Männer daran, das Tier aufzubrechen. Es wird enthäutet, zerteilt, die einzelnen Fleischstücke werden in große immergrüne Pflanzenblätter gewickelt, zusammen gebunden und in die Vorratskammer geschafft. Ich habe die Schweinsblase vorsichtig heraus getrennt, gereinigt und sie zum Trocknen aufgespannt. Hiermit kann ich nun auch den beschädigten Wassersack ersetzen. Mit diesem guten Jagderfolg dürfte der Winter endgültig überwunden werden können.
Die Sonne ist hinter dem Horizont verschwunden, das Tal liegt in tiefer Dunkelheit. Wir haben unsere Arbeit erledigt und die Männer sitzen wieder am Feuer. Die zwei erfolgreichen Jäger erzählen von ihrem Jagdglück. Natürlich schmücken sie alles noch besonders aus, denn sie sind stolz darauf, wieder etwas zum Überleben der Sippe beigetragen zu haben. Wir Frauen ziehen uns nach einiger Zeit zurück und legen uns auf unsere Lager. Ich denke, dass wir in dieser Nacht nicht allzu viel Schlaf bekommen werden, nachdem sich die Aufregung am Feuer gelegt hat und sich auch die Männer in den Schlafbereich der Höhle zurückziehen werden.
Mit einem armdicken Ast auf den Schultern, an denen ein an den Läufen verschnürtes Schwein hängt, stapfen zwei Jäger die leichte Steigung zum Fuße des kleinen Höhenzuges hinauf. Sie sind beide stark gebaut, deshalb fällt ihnen der Anstieg nicht schwer, obwohl der Ast tief durchhängt, denn es ist ein mächtiger Keiler, der von den beiden erlegt wurde. Oben angekommen werden sie von einem Wachposten empfangen, der seinen etwas abseits gelegenen Beobachtungsplatz eilig verlassen hat und ihnen voller Freude entgegenstürmt. Die zwei Jäger legen die Beute auf einem freien Platz vor der Felswand ab. Alle Drei schieben ein kleineres Fell zur Seite und betreten eine Höhle, die ich im ersten Augenblick nicht bemerkt habe. Hinter dem Fellvorhang höre ich eine kurze, erregte Unterhaltung und wenig später steht eine Gruppe dieser kleinen, stämmigen Menschen vor dem Keiler. Nach dem ersten Freudentanz machen sich alle daran, den Tierkörper zu zerlegen und zu verpacken.
Niemand bemerkt mich auf meinem Beobachtungsposten in dem allgemeinen Trubel. Seit die Männer den Fluss überquert haben, bin ich ihnen gefolgt. Nicht weit von der Stelle, an der die Steinquader im Flusse liegen und als Furt dienen, habe ich vor drei Tagen im dichten Unterholz des Waldes mein Lager aufgeschlagen und wäre jetzt fast entdeckt worden, denn die Jäger passierten in einer Entfernung von nur 30 Schritten meinen Unterschlupf. Nur gut, dass ich eine Stelle fand, an der der Waldboden vom Wind frei geweht wurde. Sie hätten sicher meine Fährte im Schnee gesehen und hätten mich aufgespürt. Nun liege ich hier am Rande des Platzes im dichten Gebüsch und beobachte das Treiben der Gruppe.
Ich erkenne auch Tunde mit ihrer Mutter, Siene ist ebenfalls zu sehen. Es sind die drei Frauen, denen ich am Fluss begegnet bin.
Nachdem die gesamte Sippe wieder in der Höhle verschwunden ist, mache auch ich mich wieder auf den Weg zum Fluss, überquere ihn und krieche in mein Lager, nachdem ich über das Unterholz noch einige Tierhäute gespannt habe, die den steten Wind abhalten, so dass es recht angenehm zwischen meinen Fellen ist. Da die Sonne nun langsam hinter den Bergen verschwindet und es auch ein beschwerlicher Tag war, schließe ich meine Augen und denke über die Ereignisse des Tages nach.
Morgen treffe ich mich wieder mit Tunde, der größeren der drei Frauen, der ich am Flussloch hinter dem Rücken ihrer Mutter ein Zeichen geben konnte. Es wäre schön, wenn sie ohne Begleitung kommen würde. Ich freue mich schon darauf.
Am folgenden Morgen wagen sich erst weit nach Sonnenaufgang zwei der älteren Frauen aus der Höhle. Es ist klar und kalt. Die Aktivitäten endeten in der vergangenen Nacht weit nach Mitternacht. Ein Großteil der Bewohner schläft deshalb noch. Die Kinder sind froh, einmal nicht von den Erwachsenen gegängelt zu werden und verhalten sich still, um diese nicht zu wecken. Einige der älteren Bewohner sitzen am Feuer, das Daka, der neue Schamane und Sohn des vor einigen Monden verstorbenen Doda, aus der Glut heraus wieder zum Leben erweckt hat. Nun sitzt er bei den anderen und bespricht mit ihnen die Ereignisse des vergangenen Tages. Alle sind guter Dinge und lachen leise bei einigen von Dakas Bemerkungen. Den Kindern wird es mit der Zeit in der Höhle zu langweilig, deshalb schieben sie das kleine Fell zur Seite und veranstalten auf dem freien Platz eine Schneeballschlacht.
Aus tiefem, fast einer Ohnmacht ähnelnden Schlaf aufwachend kommt Tunde langsam wieder zu sich.
Besonders für sie ist die Nacht sehr lang geworden. Nachdem Duka sich auf sie gelegt hatte, forderte er noch einige Male sein Recht und bestieg sie noch mehrfach hintereinander. Er war dabei wild und ungestüm und ließ ihr kaum die Zeit und Gelegenheit, mit Spaß dabei zu sein.
Zwischendurch träumte sie von Auno. Sie saßen
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 14.10.2009
ISBN: 978-3-7309-3572-9
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