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Die siebziger Jahre und Friseur Längerer

 

 

LEONHARDSTRASSE

 

Wenn da nicht immer diese Parkplatzsuche wäre!

Schon das zweite Mal lenke ich erfolglos durch die enge, beidseitig zugeparkte Wegenergasse auf der Suche nach einem Autoabstellplatz. Da ich vorhabe, länger stehenzubleiben, muss ich auch die erlaubte Parkdauer im Auge behalten. Endlich ein freier Platz für den kleinen Clio, der nicht gerne anspringt, ist der Motor einmal abgeschaltet. Meine Begleiterin und ich steigen aus. Satte vier Euro sechzig schluckt der Parkautomat. Ich möchte ihr die Stätten meiner Kinder- und Jugendzeit zeigen, aber auch ich bin neugierig darauf, was aus der früheren Heimat geworden ist.

 

Bis ins späte neunzehnte Jahrhundert bestand Graz aus nur sechs Bezirken: Innere Stadt, St. Leonhard, Geidorf, Jakomini, Gries und Lend. Einmal las ich, schon 1930 sollte Liebenau eine Stellungnahme zu einer damals geplanten Eingemeindung abgeben. Sie antworteten: „Wir sind Schuldenfrei und wollen keinen Anteil an der Grazer Schuldenlast übernehmen!“ Durch den Anschluss im Jahre 1938 wurde in einem verkürzten Verfahren dennoch „Groß Graz“ gegründet, an dem noch Thondorf und Neudorf eingegliedert wurden. Nach Kriegsende 1946 entstanden dann die sechzehn Stadtteile von heute, 1988 wurde der Stadtplan von Graz mit Puntigam auf siebzehn Bezirke erweitert.

 

Die im zweiten Grazer Bezirk gelegene Leonhardstraße war um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert Wohnstätte von zumeist gut situierten Familien. Da es zum guten Ton gehörte, gab es dazu in den Haushalten Bedienstete, die für jede Art von Arbeiten zur Verfügung standen. Sie lebten in der Regel in Wohnungen unter dem erhöhten Erdgeschoss, mit Fenstern, die von außen betrachtet, knapp über dem Erdboden Tageslicht hereinließen. Viele dieser Hausangestellten kamen von den Vorstadtbezirken Waltendorf, Sankt Peter, Puntigam, Liebenau, Mariatrost oder Ragnitz in die Innenstadt zum Arbeiten. An den Zugangsstellen des damals viel kleineren Stadtgebietes waren mit Zollbeamten besetzte Mautstellen postiert. Jeder, der in den Stadtkern wollte, musste eine Gebühr, die Maut, dafür abliefern.

 

Meine Mutter war in der südwestlichen Steiermark in Groß Sankt Florian geboren worden. Sie hatte noch drei Geschwister, die in verschiedenen Orten geboren wurden. Ihre Eltern waren zu dieser Zeit sogenannte Winzerleute, die eine kleine Landwirtschaft gepachtet hatten. Einen Teil des Ertrages musste man an die Grundbesitzer abliefern. An einem bestimmten Tag im Frühjahr wurde jeweils mit den Grundbesitzern ausgehandelt, ob sie noch ein Jahr bleiben konnten oder weiterziehen mussten.

 

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kam die Familie an den Stadtrand von Graz, nach Liebenau, sie bewohnten den oberen Stock im Nebengebäude einer Schmiede. Der Vater, ein Schmiedemeister, hatte sich hier niedergelassen, er stammte ursprünglich aus dem heute ungarischen Teil Ostösterreichs. Der Name bedeutet auf Ungarisch auch Schmied. Seine Frau, meine Oma, besaß den wohlriechenden Namen Safran.

Meine Mutter Aloisia lernte einen Mann kennen, der allerdings sehr jähzornig war und seine Wut dann an seiner Frau ausließ. Der damalige Freund und spätere Mann einer ihrer Schwestern zeigte Zivilcourage und stellte den Mann zur Rede. Leider hatte es nicht viel geholfen und so verlangte sie eines Tages die Scheidung, was zu dieser Zeit eine eher mutige Handlung war.

 

Danach kam sie nach St. Leonhard, wo sie in den Dienst eines Prälaten trat. Der Herr Prälat war ein sehr umgänglicher Mann, Mutter führte für ihn den Haushalt und kam gut mit ihm zurecht. Im gleichen Haushalt lebte aber auch dessen Schwester, eine ältliche, hartherzige Frau, die dem eigenen Bruder ihren Willen aufzudrängen suchte. Sie kommandierte Mutter herum, nichts konnte diese ihr recht machen. Sie sagte, was auf den Tisch kommen sollte, Mutter musste, obwohl Geld genug da war, äußerst knausrig wirtschaften. Die Schwester gab ihr auch genau vor, wie im Winter eingeheizt werden musste. Dazu faltete sie das Zeitungspapier auf eine gewisse Art und duldete keine Änderung ihrer Vorgaben. Mit dem Holz musste sparsam umgegangen werden. Dass es der Mutter nicht gut ging, ignorierte diese gefühlskalte Frau und sie drangsalierte Mutter mit ihren Spitzfindigkeiten so lange, bis es auch dem um Frieden bemühten Herrn Prälat sogar einmal zu bunt wurde und er seine Schwester anherrschte, sie solle die arme Frau doch in Ruhe lassen. Meine Mutter dankte es, indem sie ihn in seiner schweren Krankheit geduldig pflegte.

 

Beinahe jeden Tag holte Mutter das Essen in einer nahegelegenen Auskochstelle, die sich KAROP nannte. Manchmal besorgte sie die Mahlzeit auch beim Edlinger, einem Gasthaus in der Leonhardstraße. Dort fand sich auch der Tischler Ludwig öfters ein. Seine erste Ehe war am Ende, seine Frau ging ihre eigenen Wege. Ludwig arbeitete in einer Werkstatt sozusagen gleich ums Eck, sie befand sich im Hof der „Kleinen Reiterkaserne“, er hatte da eine Zeit lang auch eine Wohnung im vorderen Teil des Hauses.

Immer wieder trafen sich die beiden, er zum Essen, sie zum Essen holen, in der Gaststube. Da Vater eine gewisse charmante Hartnäckigkeit besaß, konnte es nicht ausbleiben, dass es zu einer ersten Verabredung kam, der dann viele weitere folgen sollten.

Bald nach dem ersten Kennenlernen meiner Eltern erblickte ich die Welt, doch das Kind konnte als ehelich eingetragen werden.

Einerseits hatte Mutter den Herrn Prälat bis zu dessen Tod betreut, auf der anderen Seite hatte es sich ergeben, dass Vater die Werkstatt seines früheren Lehrherren übernehmen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: Bernd Valta
Tag der Veröffentlichung: 23.10.2018
ISBN: 978-3-7438-8437-3

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet meinen Eltern und der ganzen Familie. Leicht hatten wir es nie, doch irgendwie wurstelten wir uns immer durch.

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