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Jeden Morgen sitzt sie da, wenn ich vom Zug komme und in den Bus einsteige, als ob sie schon auf mich gewartet hätte. Zum viertem Mal diese Woche, stets am gleichen Platz, in einer Vierpersonennische, gegen die Fahrtrichtung, dass ich mich ihr gegenüber setzen kann. Und ich tue es natürlich auch, jeden Morgen. Sie sitzt da, mit ihren Knöpfen in den Ohren, hört sich irgendwelche Hits an, bewegt sich leger zu dröhnenden Bässen, wie ich vernehme.


Und erst die Düfte, die sie dazu rüber transportiert. Muss ein tolles Parfum sein, denn jeden Tag entdecke ich eine andere Note, die mich berauschen will. Montags war es Veilchen, dienstags dominierte Jasmin, gestern war es Rose und heute dieser betörende Moschus, den ich auch bei Frauen so mag. Ich bin mittlerweile wie berauscht. Ich muss sie ansprechen, ja, denn Anhimmeln und sich betören lassen wäre doch nur Blödsinn.


Da gerade Ferienzeit ist, muss sie doch schon arbeiten, stelle ich mir vor, kann also nur wenige Jahre jünger sein als ich. Höchstens drei Jährchen? Würde ich sagen. Bestimmt. Und sie schaut mich auch so einladend an, wenn sie ihren Kaugummi im Mund von einer Seite auf die andere bewegt. Einfach süß!


Heute werde ich es einfach wagen, unbedingt. Bevor wir an unsere gemeinsame Endstation ankommen und sie wieder in die andere Richtung verschwindet. Junge, gib dir einen Schub! Bist doch sonst nicht aufs Maul gefallen.


Der Bus fährt schon die vorletzte Station an, sie schaltet ihren Player aus, steckt ihn mit den Ohrstöpseln in ihre Tasche. Das ist die Gelegenheit, ich blicke sie direkt an, lächele ihr in die Augen und finde die rechten Worte:


„Ist doch schon schade, wenn man seinen guten Sound abbrechen muss, oder? Was hörst du denn gerade so, sag`mal?“ Frage ich sie mit lächelnd untermaltem Ton. Den vernichtenden Blick, den sie mir daraufhin entgegen warf, konnte ich gleich in meinen ungeklärten Dokumenten abspeichern. Ein visueller Schauder überkam mich, wie auch ihre Antwort ein akustischer bedeutete, in einer ganz speziellen Tonart legte sie los:


„Ey, was?
Willst du mich jetzt anmachen oder was?
Ey Mann, lass mich in Ruhe, ey!
Bist du Pädo oder was, ey?
Verdufte!“


Wow, das war so klar wie deutlich. Aus dem Bus gestiegen, ging sie in die andere Richtung, spuckte ihren Kaugummi aufs Pflaster und verschwand. Ich nahm sie voll beim Wort, ich verduftete. Auf meine Nase wollte ich mich so schnell nicht mehr verlassen.

Impressum

Texte: be4ugo.de
Tag der Veröffentlichung: 04.08.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Claire, Susi, Jenny, Kathy, die so darüber lachen mussten.

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