Das Leben ist ein Spiel, ein abgekartetes Spiel in dem es immer um Leben und Tod, um Gewinnen und Verlieren geht. Die meisten Spiele verlaufen nach Logik und Taktik, andere wiederrum durch Entscheidungen und andere werden durch den Zufall geprägt. Nun, mein Leben ist ein Spiel auf Leben und Tod! Und es kann sein, dass mich das „Game Over“ erwartet, sehr bald… Zu bald.
Zu einem Spiel gelangt man, wenn man eingeladen wird oder wenn man es empfohlen bekommt und man neugierig wird. Es kann sich um ein Brett,- Karten,- Onlinespiel handeln, es geht immer wieder darum, wer den anderen übertrumpft, ihn auslöscht, um an die Spitze zu gelangen, um der Gewinner zu sein. Lege ich beim Poker die richtigen Karten auf den Tisch, gehört der Einsatz mir, bekomme ich die meisten Kills in einem Onlinespiel, dann stehe ich an erster Stelle, schaffe ich es bei „Mensch-ärger-dich-nicht“ die anderen zu überholen oder gar rauszuschmeißen, um als erster ins Ziel zu gelangen, dann bin ich der Gewinner.
Ich bin süchtig nach Spielen. Mich fasziniert die Taktik, die hinter den meisten steckt.
Ich bin arbeitslos, ich gehe abends weg in ein Kasino oder in eine Bar um mir eine Runde Poker oder Billard zu gönnen. Morgens kehre ich heim, schlafe zwei Stunden, setze mich an den Computer und suchte einen Shooter nach einen anderen durch, lerne Strategien auswendig, sehe mir Videos an, von den besten Spielern. Ich lerne dazu!
Ich hatte gerade erst mein Abitur beendet, als mich Freunde zu einer Spielrunde einluden und als ich diese Zusammenkunft so betrachtete, spürte ich die tiefe Verbundenheit zu diesem Spaß, zu diesen Spielen. Es war wie eine Droge für mich. Immer öfter trafen wir uns, tauschten neue Taktiken aus, versuchten zu schummeln und uns weiter voranzubringen. Bis plötzlich ein Freund, Jesse war es, einen Bekannten mitbrachte. Keiner von unserer Gang hatte von ihm gehört, Jesse hatte ihn in einem Club kennengelernt und wollte ihn uns vorstellen. Sein Name war Till, er war ein Hacker, der selbst in einigen Spielen ganz oben in der Bestsellerliste stand. Er war ein Genie. Er zeigte uns Taktiken, von denen keiner zu träumen gewagt hatte. Wir verfeinerten sie zu Hause und versuchten immer wieder aufs Neue, Till zu schlagen, gegen ihn zu gewinnen. Es war schier unmöglich.
Ab und zu versuchten ein paar Freunde von mir in größeren Kreisen zu spielen, Till begleitete sie. Wenn wir dann als Gang wieder zusammentrafen, tauchten nicht alle auf. Immer wieder fehlte einer. Dann fehlten zwei. Dann fehlten drei.
Es wurden immer mehr Menschen rausgeschmissen, sie mussten eine Runde aussetzen.
Es hätte uns auffallen müssen…
Eines Tages hörte ich, dass einer meiner Freunde gestorben sei, der seit einigen Wochen nicht bei unseren Treffen auftauchte. Das Gerücht ging im gesamten Viertel herum, die Todesursache war brutaler Mord, der Täter jedoch unbekannt. Ich konnte nicht trauern, ich war beschäftigt mit dem verfeinern meiner Taktik. Jedoch fehlte er in unserer Gruppe, wir versuchten uns abzulenken, so gut es ging. Über den Täter machten wir uns keine Gedanken. Bis es einen zweiten erwischte. Die Todesursache war die gleiche. Die Angst keimte in uns auf.
Ein Monster war aufs Spielfeld getreten. Die Spieler mussten aufpassen, nicht von ihrem Feld gestoßen zu werden.
„So kann das nicht weitergehen. Unsere Gruppe wird kleiner, weil ein dreckiger Mörder sie kalt macht. Wir müssen ihn finden. Weshalb sollten sie von ihm umgebracht werden?“ fragte ich in die Gruppe hinein, als sie schweigend hinter ihren Karten saßen und ihren nächsten Zug überlegten. Till war heute nicht da. Jack zuckte mit den Schultern und legte seine Karten auf den Boden. „Vielleicht waren zu tief in irgendetwas verwickelt“, fügte er hinzu. Hasan nickte daraufhin, der zu meiner linken saß. „Du weißt doch, die hatten was mit Drogen am Hut!“ Ich legte die Karten verdeckt hin und sah ihn stirnrunzelnd an. „Und deswegen sollten sie umgebracht werden?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ja, vielleicht war was mit der Ware kaputt. Vielleicht gab es gar keine… Kann doch sein.“ Ich schüttelte den Kopf und widmete mich den Karten. Ich würde mich auf die Suche nach diesem Dreckskerl machen.
Ich hatte gewürfelt und war auf einem Bonusfeld gelandet.
Ich lief in der Stadt herum, hatte einige Einkäufe zu erledigen und wollte nun nach Hause zurückkehren, währenddessen etwas Musik hören und entspannen, als mich irgendwer von hinten antippte. Es war Till. „Kann ich ein Stück mitkommen?“, fragte er und ich nickte, nahm den einen Ohrstöpsel heraus und sah ihn von der Seite an. „Sag mal, du hast dir noch gar kein Duell mit mir geliefert… Hättest du nicht Lust drauf?“ fragte er mich und sah mich an, die Kapuze auf dem Kopf. Es sah nach Regen aus. „Wieso nicht, könnte lustig werden“ erwiderte ich. Till lachte auf, „lustig“, murmelte er und sagte mir die Straße, in die ich heute Abend kommen sollte. Zum Abschied wank ich ihm und ging weiter, wieder der Musik lauschend.
Es war ein echtes Drecksloch, diese Gasse, die sich Straße nannte. Till kam mir entgegen und gab mir einen Handschlag als Begrüßung. „Wir werden ein kleines Publikum haben!“, meinte er grinsend, während ich beunruhigt schluckte. Etwas an dieser Situation war komisch, etwas an seinem Grinsen und an den umherstehenden Leuten war komisch. Es war eine Warnung, aber ich ignorierte sie und betrat das Haus. Es war eine heruntergekommene Kneipe, ein läppischer und fettiger Tisch stand in der Mitte, Platzgelegenheit hatte man an der Theke oder auf dem Billardtisch. Als ich sah, was auf dem Tisch stand, runzelte ich die Stirn. „Du willst Schach spielen?“ fragte ich verwundert und Till nickte. „Nimm doch Platz.“ So saßen wir gegenüber und sahen uns an. Ich war die schwarze Seite, er die weiße. Ein paar Männer mit Bier in der Hand lehnten sich an die Wände, schnieften etwas oder plauderten miteinander. Ich versuchte, sie zu ignorieren. „Du kannst doch Schach, nicht?“ fragte Till und ich nickte. „Dann möge der bessere von uns beiden gewinnen“ lächelte er, „Weiß beginnt und Schwarz gewinnt, heißt es, oder? Dann auf ein gutes Spiel.“
Er machte mich nervös, total nervös, wie er jeden Zug sofort analysierte, was ich ebenfalls tat, aber er tat es mit einer Geschwindigkeit, die zu schnell für meine Hirnkapazität war. Wir redeten nicht, ab und zu grinste Till, lachte auf, blickte wieder ernst drein und versuchte meine Schritte zu verstehen. Ich setzte das Pferd. Er konterte mit einem Läufer. Er hatte den Zug, ich hatte den Zug, dann wieder er. Es gab keine Zeit, aber die Atmosphäre in dieser Kneipe machte mich unsicher, aber wenn ich mich auf das Schwarz und Weiß konzentrierte, wurde ich ruhig und entspannt. Das Spielen war meine Bestimmung. Ich hatte Schach auf das genauste analysiert, ich würde gewinnen!
Es sah knapp aus! Till könnte durch fünf schlaue Züge Schachmatt setzen, wenn ich entsprechend konterte.„Schachmatt.“ Es kehrte Stille ein, ein Jeder in dieser Kneipe war ruhig, jeder schien den Atem anzuhalten. „Du…hast gewonnen?!“ rief Till aus und starrte entsetzt auf seinen König, der in einer äußerst misslichen Lage sich befand. Jemand hinter mir tippte mir auf die Schulter und hielt mir eine Pistole hin. Erschrocken sprang ich auf und starrte die Waffe in der Hand des wuchtigen Mannes an. „Sie haben gewonnen. Sie müssen den Verlierer eliminieren! So sind die Spielregeln!“ sagte er. „Spielregeln?“, ich sah zu Till, der ängstlich drein sah. Jetzt ergab das alles einen Sinn. Meine Freunde waren durch Tills Hand gestorben. Sie hatten gegen ihn verloren und mussten mit den Konsequenzen klarkommen. Ich wandte mich zum wuchtigen Mann und meinte: „Ich wusste nicht, dass die Spielregeln Mord innehalten!“ sagte ich entsetzt. Ich weigerte mich, die Waffe anzunehmen. Ich konnte niemanden töten! „Du musst“, sagte Till, schon fast gebrochen, „das besagen die Spielregeln, spiele gefälligst nach ihnen oder du bist der Verlierer und somit der Gehängte. Du müsstest aussetzen! Für immer.“ Ich schüttelte unablässig den Kopf und schwitzte vor Angst. „Nein!“, rief ich immer wieder, wie ein Mantra um mich zu beruhigen. „Tu es endlich“ sagte Till leise.
Ich nahm die Waffe, sie fühlte sich komisch in meinen Händen an, sie schmiegte sich an meine Hand und war schon entsichert. Ich schloss die Augen und weinte. Meine Hände zitterten, die Waffe rutschte mir fast weg. Ich zielte auf Till, schloss die Augen und zielte absichtlich daneben. Ich schoss ins Nichts, der Rückstoß sowie der Knall überraschten mich. „Game Over!“ riefen alle. Till sah mich entgeistert an.
Ich rannte. ich versuchte die Sechs zu würfeln. In der Liste mit den meisten Kills stand ich ganz unten. Ich war es, der leicht zu töten war. Dennoch war ich ein Gewinner. Die anderen schossen nach mir, ich versuchte auszuweichen und sprintete in andere Gassen hinein, die Waffe immer noch festhaltend. Es blieb mir nichts anderes übrig, als ins Ziel zu gelangen, die richtige Taktik anzuwenden und damit zu gewinnen. Ich sah es schon vor mir, wie es näher kam, mein Atem machte schlapp, meine Verfolger machten schlapp und ich konnte nicht mehr. Die Angst, das Adrenalin hielt mich wach und ließ mich weiter rennen.
Ich hatte mich geirrt. Ein Schmerz qualmte auf, mein Knie schien zu bersten, zu explodieren. Der Schmerz brachte mich um. Schreiend und heulend fiel ich auf den Boden, den Himmel anblickend. „Wer gegen die Spielregeln verstößt, wird getötet!“ sagte der eine und zielte mit der Waffe auf meine Stirn. Diese Schmerzen sollten aufhören, alles sollte aufhören. Ich war kein Gewinner. Das alles hatte keinen Sinn. Das alles war nicht schlau. Das alles war nicht überlegt. Ich war ein Dummkopf. Ein Knall ertönte und es wurde schwarz.
„Game Over!“
Texte: Hanndragggon/ Hannah P.
Bildmaterialien: Nekochan
Tag der Veröffentlichung: 07.06.2015
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