Cover

Tatort Dangast

 

 

Diebische Elstern

 

 

Gitte Jurssen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kriminalroman

 

 

telegonos-publishing

 

 

Über dieses Buch:

 

Aufregung auf der Feodora. Ein Leichenfund im Jadebusen holt die Vareler Kommissare aus ihrer coronabedingten Ruhephase zurück in den stressigen Alltag.

Kommissar Koller hatte sich schon beinahe verabschiedet. Er sollte wieder zu seiner Dienststelle in Oldenburg zurückkehren. Aber die Mordermittlungen sind nicht der einzige Grund, warum er in Varel gebraucht wird. Ein Dieb hat während der Abendfahrt auf dem Ausflugsschiff zugeschlagen. Wertvolle Schmuckstücke werden vermisst. Und das ist noch nicht alles. Eine Räuberbande treibt ihr Unwesen. Die Kunsthalle in Wilhelmshaven wurde ausgeraubt und auch das Radziwill-Haus bleibt nicht verschont. Wertvolle Gemälde sind verschwunden und das kleine Bild „Winterruhe“ sorgt für Rätsel. Zusätzlich bringt ein mysteriöser Vermisstenfall die Vareler Kommissare ins Schwitzen. Das Team um Kommissarin Christin Kim hat alle Hände voll zu tun.

Und wieder stellt sich die Frage, hängt vielleicht alles mit allem zusammen?

 

Copyright: © Gitte Jurssen 2022 – publiziert von telegonos-publishing

www.telegonos.de

(Haftungsausschluss und Verlagsadresse auf der Website)

Covergestaltung: Kutscherdesign auf Grundlage einer Fotografie von

Anja Zervoß www.anjazervosspixelgrafie.de

 

ISBN der Printversion: 978-3-946762-77-5

 

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

Dienstag, 17. August 2021

Er freute sich spitzbübisch auf die Abendtour mit der Feodora. Erst Samstag hatte er die kurze Nachmittagstour mit dem Ausflugsschiff zum Leuchtturm mitgemacht und seine Ausbeute war grandios ausgefallen. Niemand hatte etwas bemerkt. Sein Handwerk hatte er von seinem Vater gelernt und der wiederum von seinem und so ging das weit zurück bis ins vorletzte Jahrhundert. Er hatte darüber nachgedacht, seine Aktivitäten ins Internet zu verlegen, aber er hatte einen Heidenrespekt davor. Irgendjemand stellte sich immer geschickter dabei an als er selber. Er war auch fest davon überzeugt, dass irgendwann alle Nutzer enttarnt werden können. Und auch das Darknet war nicht mehr das, was es mal war. Langfristig empfand er die Tätigkeit eines Taschendiebs jedenfalls als nicht mehr zeitgemäß und wollte sich verändern. Mittlerweile hatte er sich auf Gemälde fokussiert. Man musste sich ja irgendwie weiterentwickeln. So ein berühmter Maler wie Radziwill und seine Werke waren da sehr willkommen. Der Wert seiner Bilder war in den letzten Jahren immens in die Höhe geschossen. Die Schätzwerte lagen zum Teil schon im sechsstelligen Bereich. Er wollte es aber nicht übertreiben. Das Bild ‚Winterruhe’ hatte es ihm sehr angetan. Es sollte sein Einstieg werden. Die Bilder von Radziwill waren der eigentliche Grund gewesen, nach Dangast zu kommen. Sein Hehler hatte ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt. Er solle die Örtlichkeiten im Radziwill-Haus doch mal inspizieren. Er hätte einen Interessenten, der ein gesteigertes Interesse an diesen Bildern hätte.

Er war dann tatsächlich nach Dangast gereist und hatte sich mit seinem Wohnmobil auf dem Campingplatz „An der Rennweide“ einquartiert. Zunächst hatte er sich den Ort und die Umgebung näher angesehen. Den Wechsel von der alten Etta auf die neue Feodora hatte er ganz aktuell mitbekommen. Auch den berühmten Kapitän Tapken lernte er dabei kennen. Ein wirklich uriger Typ. Ganz anders als der smarte Wassermeier, der jetzt das neue Schiff lenkte. Während er dann die erste Tour mit der Feodora gemacht hatte, saß er neben so einem Vollpfosten, der ihm mehrfach seine Garmin Smartwatch unter die Nase gehalten hatte. Fast 2.000 Euro war die wert. Es war eine MARQ Adventurer, da kannte er sich aus. Diese Dumpfbacke quatschte ihn mit irgendwelchem Zeugs voll, das ihn nicht interessierte. Er hatte kaum zugehört und erst beim Abmarsch auf der schmalen Gangway zugeschlagen. Das Gedränge war so groß, dass der Kerl den Diebstahl gar nicht bemerkt hatte. Und genau das war der Auslöser gewesen, es wieder zu versuchen. Und genau heute war es soweit.

 

Das Bäderschiff tuckerte langsam durch die seichten Wellen, die den Arngaster Leuchtturm umspülten. Es war völlig windstill und der Redefluss des Kapitäns war zwischenzeitlich zur Ruhe gekommen. Aber da war noch so eine Art „Wikiwisser“, der jetzt seine Weisheiten über das Wattenmeer zum Besten gab. Eine gute Gelegenheit, die Passagiere zu beobachten, die auf die Worte des Mannes und auf den Leuchtturm achteten und entsprechend abgelenkt waren.

Eine aufgetakelte alte Dame war ihm aufgefallen. Die lauschte fasziniert, als es um das versunkene Dorf und Kirchspiel Arngast ging, das sich im mittleren Jadebusen befunden hatte. Obwohl ihn das nicht wirklich interessierte, konnte er nicht umhin zuzuhören. Der Name Arngast, damals noch Arigast, wurde 1448 das erste Mal erwähnt, erzählte der Mann. Auch dass Gast so viel wie Geest bedeutet, bekam er mit. Tatsächlich hatte wohl die Antoniusflut 1511 aus der Halbinsel eine Insel gemacht. Durch mehrere Sturmfluten und illegalen Sandabbau verschwand Arngast immer mehr. 1909 wurde mit dem Bau des Leuchtturms begonnen, der 1910 in Betrieb genommen wurde.

Während er zuhörte verlor er das goldene Armband nicht aus dem Blick, das das knöcherne Handgelenk der Dame zierte. Ihr gesamtes Outfit verriet, dass sie wohl über viel Geld verfügte. Die Diamanten waren echt, daran zweifelte er nicht. Manche Menschen lechzen geradezu danach, bestohlen zu werden. Meistens waren die Damen ja so gut versichert, dass ihnen ein Diebstahl noch nicht einmal besonders wehtat. Sie kauften sich einfach etwas Neues. Er atmete tief durch. Er würde den richtigen Moment abwarten.

Nach dem Passieren des Leuchtturmes rumorte es auf dem Schiff. Der Grill war jetzt in Betrieb genommen worden und die ersten Bratwürste dufteten schon köstlich. Die Feodora tauchte in eine diffuse und fast geheimnisvolle Abenddämmerung ein. Geradezu eine Einladung für Langfinger wie ihn.

 

Kapitel 2

 

Christin Kim hatte es sich nach dem Abendessen auf der Couch bequem gemacht, um vor dem Fernseher zu entspannen. Sie war müde und desillusioniert. Die Büroarbeit im Kommissariat war in der Vergangenheit nicht nur langweilig, sondern auch außerordentlich frustrierend gewesen.

Insbesondere in den letzten eineinhalb Jahren war auf dem Vareler Polizeirevier wenig los gewesen. Corona hatte die ganze Welt in Atem gehalten und der Lockdown hatte ihnen als Hauptaufgabe die Überwachung der CoronaMaßnahmen beschert. Ein Ende der Pandemie war noch nicht abzusehen, aber wenigstens waren die Auflagen gelockert worden und die Touristen durften wiederkommen. Nachdem die ‚Etta von Dangast’ in den Ruhestand geschickt worden war und ganz Dangast und Umgebung bangte, dass nun das Ende der Ausflugsschifffahrt im Jadebusen kommen könnte, wurde glücklicherweise die Feodora gechartert und die Ausfahrten um den Arngaster Leuchtturm oder bis zum Wilhelmshavener Marinehafen konnten glücklicherweise weitergehen.

Auch auf dem Vareler Kommissariat gab es Neuerungen. Der Kollege Edmund Schuler, Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität, war pensioniert worden und Kriminalhauptkommissar Jannek Koller war der Einzige gewesen, der sich auf die Stelle beworben hatte. So wurde er angenommen.

Koller war so glücklich darüber, dass er in Varel bleiben konnte, dass er ein großes Gartenfest in seinem Haus in Rallenbüschen stattfinden ließ. Dadurch hatte er sein persönliches Ansehen nachhaltig steigern können. Noch vor zwei Jahren hatte er sich niemals vorstellen können, seine Stelle in Oldenburg gegen die in Varel eintauschen zu wollen. Aber er hatte sich nicht nur in Dangast, sondern auch in seine Kollegin Milla Fuchs verliebt, so dass er seine Meinung zwischenzeitlich geändert hatte.

Der Vareler Kripochef Meisner konnte ihn zwar nicht ausstehen, hatte aber positiv anerkennen müssen, dass Koller sich bei den letzten Mordfällen sehr gut geschlagen hatte. Auch Kim sah das zwischenzeitlich so, und ihr Verhältnis zu Koller hatte sich deutlich gebessert. Zu Anfang hatte auch sie ihn für einen ausgemachten Fiesling gehalten.

Ihr Lebensgefährte Michael war auf den Tennisplatz gefahren. Er hatte sich mit einem Freund für ein Match verabredet. Kim überlegte gerade, sich zum Kickbox-Training aufzumachen, als plötzlich das Telefon klingelte.

„Wie bitte?“ Eine Leiche im Jadebusen? Sie war plötzlich hellwach. Spontan rief sie Koller an, der immer ihr erster Ansprechpartner gewesen war. Aber der war ja jetzt der neue Leiter der Wirtschaftskriminalität und eigentlich nicht mehr zuständig. Er erwiderte, er sei noch im Büro, weil er sich in seine neue Aufgabe einarbeiten müsse. Sie schilderte, dass die Mannschaft der Feodora einen Müllsack mit einer Leiche entdeckt hatte. Koller überlegte und zögerte nur eine Sekunde: „Ich bin dabei“, rief er unmittelbar und schnell entschlossen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3

 

Die Touristen standen dicht gedrängt am Heck des Schiffes um den Grill herum und warteten geduldig, bis sie bedient wurden. Ein Matrose wendete geschickt das Fleisch und teilte die Leckerbissen nach den Bestellungen zu. „Bratwurst ist fertig“, rief er laut in die Runde und die Gäste stellten sich mit ihren Tellern an. Die Dame mit den auffälligen Klunkern war noch nicht an der Reihe und blickte mit einigen anderen Wartenden derweil auf die Wellen, durch die das Schiff dümpelte. Er hatte sich rechts von ihr an die Reling positioniert und wollte das Gedränge ausnutzen, um möglichst geschickt und unauffällig zuzugreifen. Genau in diesem Moment schoss die Hand der alten Dame in die Höhe und sie wies gestikulierend auf das Wasser. Aufgeregt schrie sie: „Da schwimmt ein Müllsack mit einer Hand dran!“ Alles drängte sich jetzt sofort neben sie und er fluchte innerlich. Sie fuchtelte so mit dem Arm herum, dass er keine Chance sah, das Armband vom Arm zu entfernen. Er hatte keine andere Wahl, er musste jetzt warten, bis sich alles wieder beruhigt hatte.

Die Matrosen hatten sich jetzt entsprechend Platz verschafft und schauten zu der Stelle, auf die die Dame zeigte. Tatsächlich. Ein blauer Müllsack, aus dem eine Hand ragte. Sofort eilte ein Mitarbeiter zum Kapitän und informierte ihn. Der drehte spontan bei und setzte den Anker. Mit einiger Mühe gelang es der Mannschaft, den Sack zu fixieren und auf den Bug des Schiffes zu hieven. Hier war der Zugang für die Fahrgäste verboten. Alle waren jetzt sehr aufgeregt und einige ließen dabei ihre Bratwurst kalt werden.

„Wir kehren in den Hafen zurück“, entschied Kapitän Wassermeier kurz entschlossen.

Während die Gäste nach Ankunft am Anleger nach und nach das Schiff verließen, gelang es ihm, sich neben die Frau mit den Klunkern zu schieben. Geschickt öffnete er jetzt endlich hochversiert den Verschluss und ließ das Armband in seine Tasche gleiten. Nur eine kleine Routineaktion für ihn. Dennoch war er wie immer bei so einer Tat konzentriert und sehr angespannt.

 

Kim und Koller warteten schon an der Pier, als die Feodora anlegte. Die Dämmerung hatte sich über dem Wasser ausgebreitet wie ein hauchdünnes Tuch. Die Szenerie war wunderschön, aber die beiden Kriminalbeamten hatten aktuell keinen Blick dafür. Sie harrten gespannt darauf, was auf sie jetzt zukam.

Auch die Mannschaft des KTI (Kriminaltechnisches Institut) war bereits vor Ort eingetroffen und wollte schnellstmöglich an Deck. Aber die Fahrgäste drängten zunächst von Bord und alle mussten geduldig warten, bis auch der letzte Gast von Bord gegangen war.

Der Leiter der Spurensicherung, Frieder Soltau, und seine Leute eilten zur Leiche und begannen sofort mit ihrer Arbeit. Der Dangaster Badearzt war inzwischen auch eingetroffen und bestätigte den Tod der männlichen Leiche auch amtlich. Koller machte etliche Fotos und gab sich Mühe, die andauernde Untersuchung nicht zu stören. Während die Spusi ihre Arbeit tat, hörte Kim sich den Kapitän und die Matrosen an.

„Wer hat den Müllsack entdeckt?“, fragte sie.

Der Kapitän sah auf seine Mannschaft, die sich wiederum gegenseitig musterten.

„Eine Frau“, antwortete der Grillmeister.

„Wie heißt sie?“

„Keine Ahnung.“

„Wo ist sie?“

Ein Raunen ging durch die Crew. „Wir haben sie nicht gefragt. Ist das denn so wichtig? Sie hat doch nur auf die Leiche gezeigt. Den Rest haben wir doch erledigt“, erklärte ein Matrose.

„Okay. Wäre aber schön gewesen, wenn wir ihren Namen erfahren hätten. Wissen Sie wenigstens, wie die Frau aussah?“

„Na ja. Sie hatte ihre Maske auf. Das war doch Vorschrift, wegen Corona“, erklärte sein Kollege jetzt leicht verunsichert.

„Haben Sie ihre Fahrgäste dokumentiert?“, fragte Kim.

„Klar, wir haben doch die Luca-App“.

„Na, das ist ja schon mal was. Dann bekommen wir das sicher heraus“, freute sich Kim.

„Können Sie uns den Fundort der Leiche zeigen?“, fragte sie den Kapitän.

„Ja, ich habe ihn digital festgehalten“, erklärte Wassermeier und führte Kim zu seinem Monitor.

Koller war inzwischen zu ihnen gestoßen und sie sahen sich zu dritt den Fundort auf dem Bildschirm an.

„Ist wahrscheinlich schon Wilhelmshavener Terrain“, bemerkte Kim. „Aber wir gehören ja ohnehin zur Wilhelmshavener Inspektion.“

 

 

Mittwoch, 18. August 2021

Am nächsten Morgen auf dem Revier druckte Koller seine bisherigen Fotos aus und heftete sie an die Pinnwand. Kim eilte zu Meisner, um die Zuständigkeit zu klären. Sie hatten grünes Licht aus Wilhelmshaven bekommen und bildeten erneut die Gruppe aus Felix Henrich, im Team nur Felix genannt, Andreas Bremer, der seinen Nachnamen zum Rufnamen gemacht hatte und Milla Fuchs. Niemand im Revier kannte so wirklich ihren Nachnamen, obwohl sie wegen ihrer roten Haare einem Fuchs nicht unähnlich war. Christin Kim, deren Nachnamen viele für ihren Vornamen hielten, fungierte wieder als Leiterin und Jannek Koller, den alle nur Koller riefen, sollte, sofern es sein neuer Arbeitsplatz zuließ, die Gruppe unterstützen. Die Abteilung Wirtschaftskriminalität war derzeit coronabedingt nicht voll ausgelastet, das würde sich aber sicher schon bald wieder ändern.

Koller war das sehr recht. Er wollte ohnehin alles dafür tun, wieder in die Abteilung Kapitalverbrechen zu wechseln. Aber in einem so kleinen Revier wie Varel wurden die Gruppen immer nach den aktuell anstehenden Fällen sortiert und Mord war so ein Anlass, an dem dann quasi das ganze Revier mitarbeiten musste. Das alles geschah immer mit klarer Billigung der vorgesetzten Stelle in Wilhelmshaven, auch wenn der Leiter der Polizeiinspektion ihnen meistens freie Hand ließ. Bei den letzten Mordfällen hatte sich dieses Prozedere bewährt und Koller zweifelte keine Sekunde daran, dass es diesmal auch so sein und wieder gut funktionieren würde.

Kim hatte in einem kurz angesetzten Briefing allen Kollegen zunächst die üblichen Routinearbeiten zugeteilt. Identifizierung der Leiche, Zeugenbefragung, Recherche im Internet und so weiter.

Alle murmelten leise vor sich hin, als sie sich an die Arbeit machten. Millas Haare waren inzwischen schon wieder zu einem Pferdeschwanz herangewachsen. Die dekorative Pagenlänge hatte sich nicht bewährt. Ständig hingen ihr irgendwelche Lockenenden in der Nase. Koller hatte ihr neuer Haarstil gefallen. Er liebte diesen Rotschopf, auch wenn sie ihm in Sachen ‚Zusammenziehen’ eine Abfuhr erteilt hatte. Er hoffte aber insgeheim weiter.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4

 

Dienstag, 17. August 2021

Tilda Sommer schrie empört „Das darf doch nicht wahr sein“, als sie den Verlust ihres Armbandes bemerkte.

Erst als sie sich zur Nachtruhe begeben wollte, fiel ihr auf, dass der Schmuck fehlte. Ihr Herz fing sofort an zu hämmern und sie ließ sich auf den neuen Hocker fallen, der seit kurzem in ihrem Bad stand. Die Schwindelanfälle hatten sich in letzter Zeit bei ihr gehäuft und da sie allein lebte, bereiteten ihr die altersbedingten Wehwehchen immer größeren Kummer. Trotz großer Mühe suchte sie die Wohnung nach ihrem Armband ab. Nichts! Auch in ihrer Jacke war es nicht. Ich kann es nur auf der Feodora verloren haben. Oder es wurde gestohlen? Sie seufzte tief. Sollte sie jetzt noch die Polizei informieren? Aber es war doch schon nach 22.00 Uhr und das schien ihr eher unpassend. Aber sie musste ihren Frust sofort artikulieren und rief ihre Freundin Rita Rossel an. Sie war mit ihr zusammen auf der Feodora gefahren. Eine einfache Frau und sehr gute Seele. Tilda hatte ihr die Fahrt geschenkt, weil Rita nur Anspruch auf eine geringe Rente hat und sich so eine Fahrt eigentlich nicht leisten konnte. Rita hatte sie schon oft ermahnt, wenn sie ihren Schmuck so offensichtlich präsentierte. Aber was wollte man mit solchen Preziosen, wenn man diese nicht auch mal zeigen durfte? Sie hatte Ritas Bedenken bisher immer eher unwillig bei Seite geschoben. Das hatte sie nun davon.

Aber wie kann der Dieb das geschafft haben?, grübelte Tilda. Sie war sich immer sicherer, dass sie das Armband nicht verloren hatte. Der Verschluss wurde zusätzlich mit einem Sicherheitskettchen fixiert. Seit dem Tod ihres Mannes vor einigen Jahren hatte sie es ständig um. Es war sein letztes Geschenk gewesen. Jetzt stiegen ihr doch tatsächlich Tränen in die Augen. Ja, sie hatte ihn geliebt und ja, sie vermisste ihn immer noch.

Es dauerte ewig, bis ihre Freundin ans Telefon ging. Ganz verschlafen meldete sie sich. Nachdem Tilda ihr die Sache geschildert hatte, war zunächst Schweigen am anderen Ende.

Wenn sie jetzt sagt, das musste ja so kommen. Ich habe es dir immer wieder gesagt, springe ich ihr bei Gelegenheit an den Hals, dachte Tilda.

Aber Rita hatte sich offensichtlich schnell gefasst und sie meinte nur: „Oh Gott, wie furchtbar! Hast du das schon der Polizei gemeldet?“

„Nein. Ich denke es reicht, wenn ich das morgen früh gleich erledige“, antwortete sie bestimmt.

 

 

Mittwoch, 18. August 2021

Am nächsten Morgen machte Tilda Sommer sich auf den Weg zur Polizei, anstatt zu telefonieren. Sie hielt das für die bessere Idee. Die junge Polizistin, die den Diebstahl aufnahm, bat Tilda, ein Foto des gestohlenen Armbandes zu schicken. Als sie hörte, dass der Diebstahl mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf der Feodora geschehen war, wurde sie sofort hellhörig. War da nicht am gleichen Tag eine Leiche gefunden worden? Tilda bestätigte dieses und merkte an, dass sie den Müllsack mit der Leiche als erste erspäht hätte.

Nachdem die Zeugin das Polizeirevier verlassen hatte, eilte die Beamtin sofort zu Kim, um ihr von dem Vorfall zu berichten. Kim war nicht begeistert, dass sie die Frau hatte gehen lassen. Aber jedenfalls hatten sie jetzt den Namen der Frau und eine zeitaufwendige Recherche blieb ihnen somit erspart. Unverzüglich versuchte sie, Tilda Sommer telefonisch zu erreichen. Aber es meldete sich nur deren Anrufbeantworter.

Sie hinterließ eine Nachricht, in der sie die Dame bat, sich so schnell wie möglich auf dem Revier zu melden. Aber den ganzen Tag über tat sich hier nichts mehr. Bevor es in den Feierabend ging, versammelte sich die „Gruppe Feodora“, wie sie fortan genannt wurde, zum Briefing.

Der Tote war bisher noch nicht identifiziert worden. Auch eine Vermisstenmeldung war weder in Wilhelmshaven noch im weiteren Umfeld eingegangen. Zunächst blieb die Identität der Leiche somit ein Rätsel. Die Leiterin der Gerichtsmedizin, Dr. Martha Hillmann, wollte sich melden, sobald sie den Toten obduziert hatte. Milla Fuchs hatte recherchiert, dass es sich bei Tilda Sommer um eine Witwe handelte, deren Mann vor fünf Jahren gestorben war. Weder sie noch ihr Gatte hatten sich jemals etwas zuschulden kommen lassen. Zumindest war nichts in dieser Hinsicht registriert worden. Nachdem Kim die Anweisungen für den nächsten Tag zugeteilt hatte, verabschiedete sie sich zum Kickboxtraining, das mehrmals in der Woche auf ihrer Tagesordnung stand und das sie nur sehr ungern verpasste. Nachdem sie vor etwa zwei Jahren ihre Gebärmutter und beinahe auch ihr Leben verloren hatte, war sie etwas zurückhaltender in ihrem harten Sport geworden. Letztendlich war das aber auch der Tatsache geschuldet, dass sie es ihrem Lebenspartner Michael ganz fest versprechen musste, hier wirklich umsichtiger zu sein.

 

Tilda Sommer hatte sich nach der Anzeige im Revier mit einem Mitarbeiter ihrer Versicherung verabredet. Sie fackelte nicht lange, wenn es darum ging, ihre Dinge zu regeln und auch entsprechend durchzusetzen. Weil sie eine der bestabgesicherten Klienten war und den Versicherungsagenten persönlich kannte, bekam sie bereits am Nachmittag einen Termin. Die Zeit bis dahin nutzte sie, um das Grab ihres Mannes auf dem Friedhof zu versorgen. Weil das Armband sehr wertvoll war, grübelte sie darüber nach, ob sie wohl eine ausreichende Entschädigung bekommen würde. Aber als sie ihren Agenten am späten Nachmittag verließ, war sie bereits einigermaßen beruhigt. Seitens der Versicherung würde es wohl keine größeren Probleme geben. Jedenfalls den materiellen Wert des Armbandes würde sie mit aller Wahrscheinlichkeit vollumfänglich erstattet bekommen.

Erstaunt war sie, als sie am Abend ihren Anrufbeantworter abhörte. Was will denn jetzt die Polizei wieder? Hatten die den Dieb etwa schon geschnappt? Sie versuchte, die Anruferin, die sich als Hauptkommissarin Kim vorgestellt hatte, telefonisch zu erreichen. Aber man sagte ihr, die hätte schon Feierabend gemacht. Na, dann eben morgen, sinnierte sie.

 

 

Donnerstag, 19. August 2021

Kim und ihr Team hatten, nachdem die DNA der Leiche sie nicht weitergebracht hatte, ein Foto, das sie in dem Portemonnaie des Toten gefunden hatten, an die Zeitungen gegeben, um die Bevölkerung um entsprechende Mithilfe zu bitten. Auf dem Foto waren der Mann und eine Frau abgebildet, und da dieses Foto hinter einer Plastikhülle geschützt war, konnte man es noch einigermaßen verwerten. Leider befand sich weder ein Personalausweis noch sonst irgendetwas, was der zweifelsfreien Identifizierung hätte dienen können, in der Kleidung des Mannes. Sie hofften nun darauf, dass sich die Frau, die auf dem Bild abgebildet war, bei der Polizei melden würde, da auch sie bisher völlig unbekannt war.

Die Erkenntnisse, die sie durch die Aussage von Tilda Sommer erhalten hatten, brachten sie aktuell leider auch nicht weiter. Die Frau war nur wütend darüber, dass ihr Armband gestohlen worden war. Die Leiche und die weiteren Umstände interessierten sie nicht wirklich. Auch auf dem Foto konnte sie weder die Frau noch den Mann einordnen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 5


Freitag, 20. August 2021

Wie jeden Morgen hatte er sich Brötchen und die Nordwestzeitung von Pieper, dem ansässigen Edeka-Laden in Dangast, geholt. Nachdem er in der Zeitung ein Foto des Mannes gesehen hatte, der auf der Feodora im Wasser entdeckt worden war, zögerte er. Hatte er den Kerl nicht vor ein paar Tagen gesehen? Der hatte doch neben ihm im Café „Zweite Heimat“ gesessen. Die Frau auf dem Foto war nicht dabei gewesen, aber ein anderer Mann. Die Polizei bat um Mithilfe. Zeugen, die die Personen auf dem Foto kannten, sollten sich melden. Die beiden seien bisher nicht identifiziert worden. Mit weiteren detaillierteren Informationen hielt man sich zurück. Wie immer in solchen Fällen hieß es lapidar, die Ermittlungen sollten nicht gefährdet werden.

Er würde einen Teufel tun und seine Erkenntnisse mitteilen. Er würde doch keine schlafenden Hunde wecken wollen. Bei dem Mann musste es sich um einen Kunstsammler oder so etwas in der Art handeln. Er hatte sich mit seinem Gegenüber über irgendwelche Ausstellungen unterhalten. Weil es im Gespräch auch um Radziwill ging, hatte er aufmerksam gelauscht. Aber es ging vor allem um eine Ausstellung im Kurhaus. Die Männer hatten beide einen leichten Akzent, aber er war schlecht im Erkennen von Mundarten und Nationalitäten. Vielleicht kamen sie aus Bayern oder Österreich. Er hatte den anderen Mann, der noch lebte, schon einmal gesehen. Damals stand er im Kurhaus bei Maren Tapken, der Kurhauschefin, und redete engagiert auf sie ein. Dabei gestikulierte er lebhaft mit den Händen. Er hatte vermutete, dass es um eine Ausstellung ging. Dass Maren Tapken hin und wieder Ausstellungen von verschiedenen Künstlern organisierte, war bekannt.

Neben dem Aufruf der Polizei zur Mithilfe stand als riesiger Aufmacher auf der ersten Seite der

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 25.11.2022
ISBN: 978-3-7554-2594-6

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