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Über dieses Buch:

Über dieses Buch:

 

Das Glück des Genetikers Dr. Thomas I. Becker und der Wissenschaftsjournalistin Alina Karlovski wird wegen eines Zeitungsartikels über eine Kugel, mit der Zeitreisen möglich sind, mit einem Schlag brutal zunichtegemacht. Von da an überschlagen sich die Ereignisse.

Prof. Jung, der mit Hilfe dieser Kugel inzwischen im Jahr 1503 lebt, macht einen folgenschweren Fehler. Er hat durch seine Unbedachtheit zwei bedeutende Männer aus dieser Zeit auf den Scheiterhaufen gebracht und somit den ursprünglichen Verlauf der Geschichte fundamental verändert. Aus Verzweiflung reist er zurück in die Gegenwart und bittet Thomas und Alina um Hilfe. Zu allem Übel ist er nicht allein, Leonardo da Vinci ist versehentlich mit dabei.

Gnadenlos verfolgt von einem extrem gefährlichen Psychopathen und weiteren auf den Plan gerufenen Mächten, versuchen Thomas und Alina bei ihrem Wettlauf gegen die Zeit und quer über den Globus die beiden Größen der Renaissance vor diesem grausamen Tod zu bewahren.

Kann ihnen bei ihrer Hetz, in der sie auch noch feststellen, dass in naher Zukunft die Menschheit vor dem Untergang steht, ihr Vorhaben gelingen, oder müssen zwei Männer einen Tod sterben, der so nicht vorgesehen war?

  

DIE KUGEL DER ZEITEN - Wille (Band 2)

  

Copyright © 2022 by Peter Egly – publiziert von telegonos-publishing

www.telegonos.de

(Haftungsausschluss und Verlagsadresse auf der website)

  

Coverdesign: Yvonne Less – art4artists.com.au

  

  

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

  

ISBN der Printversion: 978-3-946762-70-6

  

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

  

  

TEIL 1

 

 

TEIL 1

 

 

Kapitel 1

 

Die herbstlichen Nebelschwaden hatten sich inzwischen verzogen. Bürger Roms und der Umgebung hatten sich am Morgen des fünften Oktobers anno 1503 vor der Treppe zum Atrium der konstantinischen Basilika San Pietro versammelt.

»Großer Gott, was habe ich nur getan?«, drückte sich Professor Doktor Karl Jung entsetzt seine linke Faust in den Mund.

Mit brutaler Wucht und hoffnungslosem Blick auf den vorbereiteten Scheiterhaufen realisierte er jetzt erst, was er für einen folgenschweren Fehler in seiner Unbedachtheit begangen hatte.

»Was sagst du?«, fragte ihn ein alter Mann auf Italienisch, der neben ihm stand.

Jung, der nicht beabsichtigt hatte unnötig aufzufallen, gab keine Antwort, stülpte sich stattdessen die Kukulle seiner Mönchskutte über den Kopf und zog sie tief ins Gesicht hinein.

Nicht weit vom Hinrichtungsplatz entfernt, hatte er sich unter das wartende Volk gemischt.

Ein schwerer Feldwagen bahnte sich seinen Weg über den unebenen Boden. Er war auf dem Weg zum Scheiterhaufen, welcher vor der Treppe zum Atrium, der Basilika errichtet war. Auf dem Wagen war ein Käfig, in dem zwei junge Männer kauerten.

»Das ist meine Schuld!«, murmelte der Professor mit Blick auf den heranfahrenden Käfigwagen vor sich hin.

Die beiden Gefangenen, die kümmerlich in dem Verschlag saßen, trugen trotz der kühlen Jahreszeit einfache Leinenhemden. Diese waren genauso verdreckt und verschwitzt wie die verurteilten Delinquenten selbst. Um den Hals hatten sie schwere Eisenringe, an denen eine Kette befestigt war. Mit zusammengebunden Händen saßen die beiden Männer auf dem Boden, der aus Brettern gezimmert war. Durch den holprigen Weg, über den der Wagen sich quälte, wurden sie hin und her geschleudert.

Der laut tobende Mob stand links und rechts am Rand des Weges bis zum Scheiterhaufen. Einige der Menschen drohten siegessicher mit Blick auf den Gefangenentransport mit ihren Mistgabeln oder Schaufeln in der Luft. Die, die in der ersten Reihe standen, spuckten auf den Gefangenenwagen. Nicht anders verhielt sich die Menschenmenge bei den zwölf Soldaten, die in schwarzes Leder gekleidet und mit Lanzen bewaffnet, den Wagen begleiteten.

Nur wenige Menschen versuchten, den verurteilten Häretikern Mut zu machen, indem sie ihre Mistgabeln und Schaufeln auf den Boden senkten.

Nur mit sichtlich großer Mühe gelang es den deutlich genervten Söldnern vor dem Wagen, die aufdringlichen und laut tobenden Menschen zur Seite zu schieben, weswegen der Karren nur mühselig vorankam. Die Räder des Käfigwagens quälten sich regelrecht durch den schlammigen und aufgewühlten Boden, da es nur ein Tag zuvor geregnet hatte.

»Los, verschwinde«, fauchte ein Soldat den Professor auf Italienisch an, als dieser auf den vor ihm steckengebliebenen Wagen zugehen wollte.

Grob wurde er von dem genervten Soldaten mit seiner Lanze zurückgestoßen. Wenn der Mann hinter ihm ihn nicht im letzten Moment gestützt hätte, wäre Jung rückwärts in den Matsch gefallen. Seine Kukulle klappte zurück und gab seinen Kopf frei.

Einer der Gefangenen erkannte den Professor sofort und rief ihm zu: »Bringt Euch in Sicherheit, edler Freund. Kümmert Euch nicht um … Aaaah«, brach er jäh aufschreiend seinen Satz ab.

Ein Soldat griff blitzschnell durch die Gitterstäbe hindurch und packte ihn an der Nase. »Halt dein dreckiges Maul, Kopernikus, sonst reiß‘ ich sie dir ab, noch bevor du in Flammen stehst, verstanden?«, drohte ihm der Soldat und zerrte ihn ruckartig zu sich heran.

Der junge Gefangene krachte an die Metallstäbe und zog sich eine Platzwunde an der Stirn zu.

Laut auflachend ließ der Söldner ihn wieder los.

Der zweite Delinquent spuckte dem Soldaten auf die Brust.

»Tu das nicht!«, wandte sich Kopernikus an seinen Mitgefangenen.

Der getroffene Soldat wollte mit wutverzerrtem Gesicht den ihn anspuckenden Gefangenen mit seiner Lanze durchbohren, wurde aber im letzten Moment von einem seiner Kameraden zurückgehalten. Lachend sagte der zu ihm:

»Lass doch diesen Wurm, der brennt doch sowieso gleich, dann kannst du dir die Hände wärmen. Dieser Narr ist es nicht wert, dass du dir deine Hände an ihm schmutzig machst.«

Missmutig zähneknirschend zog der betroffene Soldat seine Lanze zurück und wischte sich sein Gesicht ab.

Wenige Sekunden später fanden sich die Blicke des Professors und des blutverschmierten Kopernikus, aber keiner der beiden sagte etwas.

»Habt Vertrauen, liebe Freunde, habt Vertrauen, ich werde euch nicht im Stich lassen!«, rief er entschlossen und zu allem bereit mit ausgestrecktem Arm dem weiter fahrenden Wagen hinterher.

Der Söldner, der einen der beiden Gefangenen vor wenigen Minuten aufspießen wollte, öffnete hinten den Verschlag und lachte, während er die Kette von Kopernikus schnappte und diesen zu sich zerrte. »Nun mach schon, du widerliche Kröte!«, drängte der Soldat und zog ihn ruppig aus dem Wagen. »Wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.«

»Es tut mir leid, edler Freund«, klagte der andere Gefangene leise und mit Tränen in den Augen.

Auf dem mit Schlamm verschmierten Tritt rutschte Kopernikus ab, verlor das Gleichgewicht und stürzte vornüber in den Matsch. Das Volk begann laut zu lachen und verspottete ihn.

»Hoch mit dir, du Ratte!«, zerrte der Soldat den wehrlosen Mann brutal an der Kette wieder auf die Beine.

Die Menge lachte erneut über den Delinquenten, der von oben bis unten mit Schlamm bedeckt war.

»Ich weiß ja, dass du dich im Dreck wohl fühlst, aber wir wollen dich schließlich brennen sehen.«

»Komm schon, Luther«, zerrte ein anderer Soldat den zweiten Gefangenen aus dem Karren.

Der Professor wollte dazwischen gehen, wurde aber sofort von zwei weiteren der schwarz gekleideten Soldaten daran gehindert.

»Ich bin ein Mann Gottes«, wehrte er in italienischer Sprache die Söldner ab.

»Gott ist immer auf der Seite des Stärkeren«, erklärte der Soldat mit abfälligem Blick, »Und du … du siehst nicht gerade stark aus.«

Luther versuchte, sich mit dem Ärmel sein Gesicht und seine Augen frei zu wischen, und warf dem Söldner, der ihn fest im Griff hatte, einen verächtlichen Blick zu: »Ihr seid ein bedauernswerter Narr.«

Der Soldat spottete nur, schnappte sich die Kette, an der Kopernikus festgemacht war und zog die beiden Verurteilten über eine Holzplanke hinweg zu dem frisch aufgebauten Scheiterhaufen.

Zwei Männer, die an den beiden Holzpfosten auf dem Hinrichtungsplatz warteten, übernahmen die Gefangenen und rissen ihnen zunächst das Leinenhemd vom Leib. Anschließend banden sie Luther und Kopernikus schweigend mit ihren Armen und Beinen an den für sie vorgesehenen Pfählen fest und stellten sich daneben.

Die Volksmenge grölte.

Am Fuß der Treppe zum Atrium war ein Podest aufgebaut, auf dem der neue Bischof von Rom, Papst Pius der III., Platz zwischen zwei Soldaten mit Lanzen genommen hatte. Er wurde erst vor wenigen Tagen ins höchste Amt der römischen Kirche gewählt. Unverkennbar durch den Lärm genervt, strich er sich über die Stirn, bevor er mit seiner rechten nur halb angehobenen Hand den Menschen zuwinkte.

Das war der Augenblick, als das Volk laut zu jubeln anfing.

Der Camerlengo trat kurz drauf einen Schritt vor und hob beide Hände.

Zügig wurde es still unter den Zuschauern.

»Wer ist das?«, wollte ein Junge leise fragend von seiner Mutter wissen.

»Das ist der Camerlengo, der Stellvertreter des Papstes«, antwortete Jung dem kleinen Mann neben sich in dessen Sprache, bevor es die Mutter tun konnte.

»Endlich«, hörte man den müden alten Pontifex, kümmerlich stöhnend auf seinem Stuhl sitzen.

Gequält massierte er sich die Schläfen. Augenfällig hatte er Kopfschmerzen.

Die Menschenmenge wurde leiser.

Der Camerlengo deutete auf den Mann im purpurnen Wams, welcher rechts neben dem Oberhaupt der Kirche stand. Mit einer ausholenden Handbewegung verkündete er mit lauter Stimme: »Gonfaloniere der päpstlichen Truppen, Herzog von Valence, Graf von Diois, Herr über Issodoun, Forlì und Imola, sowie Generalkapitän, Cesare Borgia.« Dann wandte er sich dem Herzog zu und machte erneut eine ausladende Geste. »Bitte.«

Cesare Borgia nickte ihm dankend zu und trat vor. Hustend warf er dem Papst einen kurzen, aber strengen Blick über die Schulter hinweg zu und ließ sich, um scheinbar schnell von seinem Husten abzulenken, vom Camerlengo zwei Schriftrollen überreichen. Wie ein Gockel lief er auf dem Holzpodest mehrmals vor dem Papst hin und her, bevor er seine Hände anhob und innehielt. Sofort wurde es still und alle Augen waren auf den General gerichtet, der sich nach einem erneuten Hustenanfall aber schnell wieder fasste. »Du wirst bald sterben, du Mistkerl«, flüsterte Jung vor sich hin.

»Bürger von Rom …«, begrüßte Borgia die Menschen mit seiner lauten und kräftigen Stimme.

Papst Pius saß schweigend auf einem Holzstuhl. Er wirkte in seiner roten Mozetta und seinem fellbesetzten gleichfarbigen Camauro fast wie ein Gespenst neben dem strahlenden und hochmütig dreinblickenden und jungen Cesare Borgia. Er faszinierte mit seiner langen, dunklen und lockigen Haarpracht und dem purpurnen Wams die Menschen mehr als der Papst selbst.

Es wird Zeit, dachte Professor Jung und sah gen Himmel. »Es tut mir so leid«, sagte er daraufhin leise zu sich, warf einen letzten kurzen Blick über die Köpfe der Zuschauer hinweg auf zwei der bedeutendsten Menschen der Renaissance, die seinetwegen auf dem Scheiterhaufen endeten.

»Was sagst du?«, fragte ihn der Junge auf Italienisch.

Der Professor legte ihm kopfschüttelnd sanft eine Hand auf den Kopf. Wie soll ich einem Kind erklären, das ich durch meine Unbedachtheit den Verlauf der Geschichte verändert habe? Grund Gütiger.

Schweiß lief ihm die Schläfen herunter. Große Schuldgefühle plagten ihn, weshalb er nachts kaum noch ein Auge zumachen konnte. Dem Jungen ein letztes Lächeln zuwerfend verließ er zügig durch die Menschenmenge seinen Platz.

»Das Dekret ist klar. Hört nun das Urteil unseres Heiligen Vaters, liebe Bürger«, rief Borgia, der mit seiner lauten und festen Stimme bis in den hintersten Winkel zu hören und zu verstehen war. Langsam rollte er die beiden Todesurteile von Martin Luther und Nikolaus Kopernikus auf und fing laut und deutlich an sie vorzulesen, musste aber mehrmals wegen seines Hustens unterbrechen.

Den völlig übermüdeten und durch die Menge hetzenden Professor trieb die Stimme Borgias fast zur Weißglut, als er in das Wirtshaus unweit der Basilika stürmte. Er hatte sich erst einen Tag zuvor dort einquartiert.

»Ersticken sollst du, du Ausgeburt der Hölle«, fluchte er, vom Fenster seine Kammer aus. Mit entsetztem Blick starrte er auf die Henker, die sich mit ihren Fackeln dem Stroh unter den beiden Verurteilten näherten.

»Dieser Befehlsgockel Cesare Borgia ist die widerlichste Ratte, mit der ich je in meinem Leben gesprochen habe«, fluchte er laut. Verächtlich spuckte er auf den Boden, bevor er sich vor seinem Schlafplatz hinkniete.

Hastig zog er einen Koffer darunter hervor, warf ihn auf sein Bett und öffnete ihn.

»Für mich bist du nichts weiter als ein Meuchelmörder. Dir kann es gar nicht schnell genug gehen, diese Menschen brennen zu sehen … Lieber Gott, du weißt, dass ich nicht an dich glaube, aber wenn es dich wirklich gibt, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, es zu beweisen«, flehte er mit Blick zur Decke, um sich gleich darauf mit der im Koffer befindlichen Radschlosspistole wieder ans Fenster zu stellen. »Es ist so weit.«

Mit vor Anspannung zitternden Händen versuchte er, den Hahn vom geschlossenen Pfannendeckel zu schwenken.

»Verflucht«, schalt er nach Betätigung des Abzugs, da außer einem Klick nichts weiter passierte. »Ich Idiot«, beschimpfte er sich selbst.

Er hatte vor lauter Aufregung vergessen, Schwarzpulver auf das Pfännchen zu streuen. Unschwer konnte er beim zwischenzeitlichen Aufstreuen des Schießpulvers erkennen, wie das Reisig um den Scheiterhaufen von Luther und Kopernikus zu qualmen anfing.

»Wie gut, dass es gestern noch geregnet hat, so bekommt ihr Mistkerle das nicht so leicht angezün …«, stockte er, nachdem er sah, wie plötzlich ein paar Männer vor dem Hinrichtungsplatz auftauchten und trockenes Reisig und Stroh dazulegten, dass rasch zu lodern begann.

Vor sich hinfluchend sah er, wie die Flammen sich bedrohlich weiter nach oben ausbreiteten und sich an die beiden Verurteilten herantasteten. Völlig durchnässt vom Angstschweiß um seine Freunde wischte er sich erneut über die Stirn und legte danach den Beutel mit dem Schießpulver zur Seite. Jede Faser seines Körpers war zum Reißen angespannt.

»Okay … okay, okay«, schnaubte er, zielte mit der geladenen Radschlosspistole gen Himmel. Von Angst erfüllt starrte er in der Ferne auf die Basilika. »Komm schon, komm schon … komm schon!«, schwenkte er mit zittriger Hand die Pistole hin und her.

Sein Herz drohte zu versagen.

In seiner Anspannung vor sich hin stotternd versuchte er, sich Mut zuzusprechen: »Ich schaff das, ich schaff dass … Grund … Grund Gütiger, ich muss das hinkriegen.«

Hastig atmete er durch den Mund.

»Sie werden leben … sie werden leben, bei Gott das werden sie, denn so zu sterben darf nicht ihr Schicksal sein«, packte er letztlich die Pistole mit beiden Händen und betätigte den Abzug.

Kapitel 2

Kapitel 2

 

510 Jahre und 8 Monate später erwachte Doktor Thomas I. Becker im Hotel Friedberger Warte in Frankfurt am Main. Von der Polizei ursprünglich dort einquartiert, erholte er sich von den Strapazen, die er und seine Freundin, die Wissenschaftsjournalistin, Alina Karlovski, durchmachen mussten.

Er streckte sich genüsslich und rieb sich die Augen. Schlaftrunken tastete er, ohne sich umzudrehen, hinter sich und schob versehentlich den Hörer vom Telefon, welches neben seinem Bett stand. »Alina!?« Verwundert drehte er sich um und stellte fest, dass er alleine im Zimmer war. Er griff das Handy auf dem Nachttisch und schaute aufs Display, das zwanzig Minuten nach acht anzeigte. Mit einem Seufzer ließ er es neben sich fallen und streckte seinen nackten Körper der Länge nach aus wie eine Katze.

»Na Tiger, endlich ausgeschlafen?«, lächelte Alina, die ebenfalls splitternackt war und mit einem Handtuch die Haare trockenreibend aus dem Badezimmer kam. »Ich hoffe, das ist okay für dich, wenn wir den letzten Tag auf dem Zimmer frühstücken? Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber heute ist Freitag, der Dreizehnte.«

»Darauf gebe ich nichts und was das Frühstück betrifft, wir machen das schon seit zwei Wochen so, Liebling«, lachte der Tiger. »Ist doch nur fair von diesem Berglander, dass wir zwei Wochen hierbleiben dürfen, findest du nicht? Ich brauche nicht mehr als dich, diese Suite und meinen Computer. Wie siehst du das?«

»Können die sich das überhaupt leisten? Ich meine die ganzen Polizisten, die hier rumlungern und nichts anderes machen, als uns zu belagern, das kostet doch nur unnötig Steuergeld.«

»Die belagern uns nicht, die sind um unseren Schutz bemüht.«

»Ha, ha, dass ich nicht lache, denen geht es schon lange nicht mehr um unseren Schutz, die wollen nur die Kugel, alles andere ist denen doch scheißegal.«

»Schatz, beruhige dich.«

»Ich bin ruhig«, scherzte Alina und nahm ihren Bademantel, der über einem der beiden Stühle neben dem Bett hing. »Seit zwei Wochen sind wir schon hier, das ist mir gar nicht so bewusst gewesen. Ursprünglich sollte es nur eine Woche sein.«

»Warte!«, deutete Thomas mit ausgestreckter Hand in ihre Richtung, setzte sich aufrecht und bedeckte seine Manneskraft, ohne den Blick von seiner Freundin zu lassen.

»Meinetwegen musst du ihn nicht zudecken«, schmunzelte diese und legte den Bademantel wieder ab.

»Alina Karlovski, ich genieße den Anblick deines Körpers.«

»Spricht da jetzt der Genetiker in dir, oder der Tiger?«, grinste sie.

Thomas schlang liebevoll einen Arm um sie und zog sie zu sich heran. »Was ist denn das für eine komische Frage?«, küsste er sie auf die Schulter. »Würde ich dich als Wissenschaftler ansehen, wie bekloppt müsste ich sein. Du bist so …«

Unvermittelt klopfte es an der Tür. »Zimmerservice.«

»Niemand zuhause, außerdem brauchen wir nichts«, wehrte Thomas ab und sah auf die Tür, als könnte er sehen, wer davor stand.

Alina sprang auf. »Doch, doch, ich komm schon«, korrigierte sie, schlüpfte schnell in ihren Bademantel und ging zur Tür.

»Spielverderberin«, knurrte ihr Tiger trotzig.

»Keine Sorge, das ist unser Frühstück«, hauchte sie ihm mit leiser Stimme zu, warf ihm gleich darauf einen Handkuss zu und öffnete einen Spalt breit die Tür.

Die Servicedame schob den Wagen vor sich ins Zimmer und fing an, das Frühstück auf dem Tisch zu servieren. »Der O-Saft kommt noch.«

»Ist gut, danke«, stoppte sie Alina, drückte der Frau einen Zehner in die Hand.

Stumm nickend verabschiedete sich die Angestellte.

»Weißt du, Schatz, ich möchte mit dir heute noch ein letztes Mal alleine frühstücken, und zwar ohne Polizei und ohne die Reporter, die hier schon die ganze Woche rumlungern, allen voran diese Matak«, schenkte sie Kaffee in beide Tassen und setzte sich an den Tisch.

»Verstehe.«

»Ich kann keinen Schritt machen, ohne dass sie mich wegen der Kugel anspricht.«

»Ach lass sie doch. Die erhoffen sich, dass sie etwas über dieses Ding herausfinden. Du müsstest das doch am besten verstehen.«

»Apropos Ding … ich meine die Kugel, was denkst du, wie es Karl wohl ergeht?«

»Hmmm …«, verzog Thomas die Mundwinkel und kratze sich an der Stirn. »Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber streng genommen ist er schon seit fast 500 Jahren tot … Ich frage mich allerdings, wo die Kugel jetzt abgeblieben ist?«

»Zimmerservice«, klopfte es erneut an die Tür. »Ich bringe Ihnen noch den Orangensaft.«

»Danke«, rief Thomas. »Stellen Sie ihn einfach vor der Tür ab.«

Alina öffnete kurz darauf die Tür und holte den Fruchtsaft. Gedankenversunken sagte sie, während die Tür offen stand: »Kugel, Kugel, Kugel … Diese Kugel … Weißt du was? Diese Kugel der Zeiten hättest du nie finden sollen, alle interessieren sich nur für dieses Ding.«

»Ach komm schon, Karl hat sie schließlich was gebracht. Er konnte sich einen Traum erfüllen und er kann laufen. Du weißt doch, dass er in unserer Zeit gelähmt war.«

»Ich weiß, aber dafür ist Melanie tot, oder hast du das vergessen?«

»Natürlich nicht.«

Alina schloss wieder die Tür.

»Sag mal, was ist das eigentlich für ein Päckchen, was da unter dem Fernseher liegt?«

Alina äußerte sich nicht dazu.

»Oh, Schatz.«

»Melanie fehlt mir«, bemerkte sie und schnitt sich ein Brötchen auf.

»Mir auch, sei nicht traurig, bitte«, entgegnete Thomas, drehte sich ihr zu, legte seinen Kopf auf seine linke Hand und wechselte schnell das Thema. »Mal im Ernst, du als Journalistin solltest doch diese Aasgeier am besten verstehen.«

»Ich bin eine renommierte Wissenschaftsjournalistin, keine Klatschspaltentante, das ist schon ein Unterschied.«

»Klatschspaltentante!?«

»Du nimmst mich nicht ernst«, nörgelte sie, schnappte sich ein Bettkissen und warf es ihm aufs Gesicht.

Thomas kippte lachend zur Seite.

»Stört es dich denn überhaupt nicht, dass die alle hier rumhängen? Ich meine, dieser Keller sitzt hinter Gittern, also sollten die uns doch endlich in Ruhe lassen«. Sie trank einen Schluck heißen Kaffee. »Ich will endlich wieder hier raus und mich frei bewegen können, verstehst du?«

»Ich finde es hier sehr gemütlich mit dir. Ich brauche da draußen nichts, außerdem gehen wir hier doch abends immer ins Restaurant. Weißt du, Udo Lindenberg lebt auch in einem Hotel?«, hob er den rechten Zeigefinger. »Haben wir nicht Ruhe verdient, ich meine, nach diesem ganzen Stress, diesem …?«

»Ja sicher«, nickte sie und bestrich sich ein Brötchen mit Honig. »Also, wenn ich an diese Wilden auf der Osterinsel …«

»Nicht, hör auf damit, lass sein, okay?«, unterbrach er sie jäh, sprang auf und setzte sich zu ihr. »Wir sind im hier und jetzt und außerdem haben wir frischen Kaffee.«

»Stimmt.«

»Weißt du was?«, stellte er seine Tasse ab und faltete seine Hände hinter dem Kopf. »Ich habe eine Idee. Wir sollten noch eine Woche dranhängen oder hey, warum nicht gleich ein ganzes Jahr. Na, was meinst du, wie klingt das für dich?«

 

»Wir haben schon eine Woche drangehängt, schon vergessen?«

»Hmm.«

»Weißt du, ich würde gerne mal mit dir auf der Donau fahren.«

»Auf der Donau fahren? Wie kommst du denn jetzt darauf?« riss er verwundert die Augen auf.

»Das kam mir wieder mal in den Sinn, nachdem ich mit meiner Freundin aus Kindheitstagen telefoniert hatte.«

»Aha.«

»Sag mal …«

»Augenblick mal«, wandte Thomas ein und hob eine Hand. »Du hast mit einer Freundin telefoniert? Wann war das? Davon hast du mir gar nichts gesagt.«

»Ich sage es jetzt … Okay sag, was hältst du davon, mit mir mal über die Donau zu fahren? Du musst wissen, ich habe das als Kind mal gemacht und möchte das gerne wieder erleben … mit dir erleben, verstehst du?«

»Das hast du mir gar nicht erzählt.«

»Du bist gut, wann hätte ich das erzählen sollen, du schläfst ja andauernd?«

»Na ja, zum Beispiel, als wir zwei Tage in den Staaten im Gefängnis saßen oder jetzt wo wir schon zwei Wochen hier sind.«

Alina sah gedankenversunken zum Fenster.

»Okay, erzähl mir von deiner Kindheit und was da so Besonderes an dieser Schiffsfahrt gewesen war!«

»Nun ja …«

Wieder klopfte es an der Tür.

»Nein, nicht jetzt. Bitte«, protestierte Thomas.

»Ihre Zeitschrift und die anderen Sachen, die Sie bestellt haben, Frau Karlovski«, meldete sich eine männliche Stimme vor der Tür.

»Was denn für eine Zeitschrift? Was für andere Sachen?«

»Oh, das hab’ ich ganz vergessen«, schleckte sich Alina schnell ihre mit Honig bekleckerten Finger ab und sprang auf. »Ich komme.«

»Hier, da ist alles drin, was Sie verlangt hatten«, reichte ihr der Mann eine Tasche durch die einen Spalt weit geöffnete Tür.

»Vielen Dank … Ach sagen Sie, könnten Sie eine Sekunde warten, bitte?«

»Kein Problem.«

Alina schloss die Tür, holte rasch das kleine Päckchen vor dem Fernseher, huschte damit zurück zur Tür und öffnete sie. »Danke, dass Sie gewartet haben«, guckte sie an dem Mann vorbei links und rechts den Gang herunter.

Dieser sagte nichts.

Alina reichte ihm, nachdem sie einen raschen Blick auf beide Seiten des Flurs warf, das Päckchen und erklärte ungewöhnlich laut: »Bitte bringen Sie diese Kugel hier umgehend zur Post! Ich verlasse mich auf Ihre Diskretion.«

»Diskretion?«, nickte der Mann, mit weit geöffneten Augen verwundert der lauten Worte von ihr.

Bevor die Wissenschaftsjournalistin die Tür von innen wieder schloss, winkte sie den Hotelangestellten zu sich ins Zimmer und tippte eindringlich auf das Päckchen in dessen Hand. »Sie müssen mir einen Gefallen tun. Bitte sagen Sie laut und deutlich an der Rezeption, dass diese Kugel … ich meine, dieses Paket, umgehend zur Post muss, verstanden? Machen Sie genau denselben Versprecher wie ich.«

Der Mann sah sie ungläubig an.

»Ich weiß, es klingt seltsam für Sie.«

»Ich denke, Sie werden schon Ihre Gründe dafür haben.«

Alina nickte. »Ich möchte einfach nur, dass jeder mitbekommt, dass in diesem Päckchen eine Kugel ist, verstehen Sie?«

»Ich verstehe?«

»Gut«, nickte sie und steckte ihm einen Fünfzig-Euro-Schein in die Seitentasche.

»Oh, danke Madam. Sie können sich auf mich verlassen.«

»Danke«

»Was war das jetzt«, fragte Thomas, nachdem der Mann wieder weg war.

»Weißt du, die da draußen werden uns nie in Ruhe lassen, also dachte ich mir, ich muss das irgendwie ändern?«

»Und wie willst du das anstellen?«

»Ich schicke die Kugel an eine Freundin … an die Freundin, die ich als Kind auf der Donau kennengelernt hatte.«

»Die Kugel?! Aber du hast sie doch gar nicht.«

»Und?«, zuckte sie mit den Schultern. »Wenn wir Glück haben, verschwinden diese Geier endlich.«

»Das kannst du doch nicht machen, du hetzt deiner Freundin damit die Meute an den Hals!«, richtete sich Thomas erschrocken aufrecht hin.

Alina sagte nichts und setzte sich wieder zu ihm an den Tisch.

»Solltest du deiner Freundin dann nicht wenigstens Bescheid geben?«

»Das habe ich doch. Ich habe dir doch gesagt, dass ich mit ihr telefoniert habe. Sie machte selbst den Vorschlag, nachdem ich ihr davon erzählt habe, wie die Menschen uns hier belagern. Es war ihre Idee.«

»Ich finde das keine gute Idee. Woher sagtest du, kennst du sie nochmal?«

»Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«

»Sicher.«

»Ich war noch ein Kind, da lernte ich Dagmar auf diesem Schiff kennen. Wir wurden sofort Freundinnen«, Alina blätterte suchend durch das Magazin. »Ah, da ist es«, stoppte sie und hielt Thomas die Zeitschrift vor die Nase. »Hier, siehst du?«

»Das Geheimnis der Moais«, las er laut und tippte auf die Zeile unter der Überschrift. »Und was bedeutet das hier?«

»Das ist Rapanui und heißt übersetzt so viel wie Das Geheimnis der Moais.«

»Du sprichst Rapanui?«

»Nein nicht wirklich«, lachte sie.

»Beeindruckend. Wie viele Sprachen sprichst du?«

»Perfekt oder einigermaßen?«

»Einigermaßen.«

»Ich kann sehr gut Englisch, Französisch, …«

»Dachte ich mir«, grinste Thomas. »Ne, war nur Spaß … weiter!«

»Ich kann ganz gut Italienisch, Latein und noch einige weitere tote Sprachen wie Mayatan. Mongolisch kann ich auch etwas, aber nicht ganz so gut.«

»Mongolisch? Du sprichst mongolisch? Wieso bist du so sprachtalentiert?«

»Durch meinen Vater. Er war ein Genie. Ihm sind die Sprachen nur so zugeflogen und da ich oft als Kind bei ihm sitzen durfte, wenn er die Sprachen … vor allem die alten, studierte, studierte ich irgendwie mit, verstehst du?«

»Verstehe«, erwiderte Thomas und klappte das Heft wieder zu. »Trotzdem hoff ich, dass du weißt, was du tust oder was du mit diesem Artikel vielleicht auslösen könntest.«

»Keine Sorge, ich weiß was ich tue, außerdem ist das eine Art Gedenken … Abschied nehmen von Melanie. Sie liebte diese Figuren sehr.« Alina bekam glasige Augen. »Sie fehlt mir sehr.«

»Mir auch. Sie war eine sehr liebenswerte Frau.«

»Ja, das war sie wirklich.«

Für eine Weile frühstückten sie, ohne etwas zu sagen.

»Ich habe über eine Woche an diesem Artikel gearbeitet, das weißt du doch selbst«, rechtfertigte sie sich. »Hättest du mir auch nur einmal über die Schulter geschaut, anstatt zu schlafen oder …«

»Oder Sex?«

»… dann wüsstest du, dass ich den Artikel über die Steinfiguren allgemein gehalten habe und eine mögliche Erklärung dazu liefere, warum es die Moais überhaupt gibt, das ist alles. So kann ich zum einen das Ganze für mich verarbeiten und zum anderen ein kleines Zeichen für Melanie setzen, verstehst du, auch wenn ich sie selbstverständlich nicht darin erwähnt habe?«

»Du musst wissen, was du tust.«

»Weißt du, das Kapitel Kirche habe ich jetzt erst mal ad acta gelegt«, lenkte sie vom Thema ab.

»Du denkst an Markus, oder?« Er legte die Zeitschrift weg und nahm sanft ihren Kopf zwischen seine Hände.

Bevor ihre Lippen voller Hingabe ineinander verschmolzen, sahen sie sich einander sekundenlang nur an.

»Ich habe eine Idee«, wich er zurück. »Dieser Mistkerl von Freising hat uns so viel Geld vererbt, wir kaufen einfach dieses Hotel. Dann schmeißen wir alle Gäste … diese rasende Reporterin und die Polizei einfach raus.«

»Ach Thomas …«

»Was?«

»Du bist ein Kindskopf. Ich will das Geld von Freising nicht. Das heißt, ich will es schon, aber ich will es spenden. Ich möchte damit etwas Gutes, etwas Sinnvolles tun. Wir beide können uns von unserem eigenen selbst verdientem Geld irgendwo ein kleines Häuschen mit Garten kaufen. Was sagst du dazu?«

Als Alina das sagte, strich er ihr mehrmals sanft über ihre langen braunen Haare.

»Ist dieser Gedanke so falsch?«, hakte sie nach.

»Nein, nein … nein, natürlich nicht«, wirkte er abwesend.

»Du denkst an deine Familie, weil ich das Haus erwähnte, stimmt’s?«

Thomas senkte den Kopf.

»Tut mir leid, das wollte ich nicht.«

»Alles gut.«

»Na schön, was hältst du von einer schönen Wohnung ganz weit oben über der Skyline von Frankfurt?«

»Und was machen wir mit dem ganzen Geld? Ich meine, es sind immerhin zwanzig Millionen Euro.«

»Wie gesagt, wir spenden es.«

Thomas nickte stumm.

»Schön«, freute sich Alina. »Übrigens, da fällt mir gerade ein, als ich gestern Morgen kurz in der Redaktion war, um den Artikel abzugeben, da tauchte plötzlich die Engelmann auf. Sie hat mich auf dich angesprochen.«

»Auf mich?«, wunderte sich Thomas.

»Eigentlich ging es ihr nicht direkt um dich. Na ja, sie hatte dich zwar vorgeschoben, aber es ging ihr natürlich nur um die Kugel. Sie wollte wissen, was es damit auf sich hat, dass Menschen einfach verschwinden würden. Ich denke, diese Matak hat mit ihrem Artikel über deine Kugel unnötig viel Staub aufgewirbelt.«

»Verstehe, dann ist das sicherlich der Grund, warum uns eine weitere Woche von diesem Berglander geschenkt wurde.« Thomas rieb sich das Kinn. »Die weiß doch aber überhaupt nichts über die Kugel.«

»Du weißt doch selbst, wie manche Journalisten sind. Wenn sie nichts haben, dann erfinden sie halt was.«

»Nein, nein, nicht die Matak«, wandte Thomas ein.

»Du magst sie?«

»Unsinn. Ich weiß, sie ist eine Nervensäge, aber ich glaube nicht, dass sie einfach so was erfindet.«

»Wenn du dich da mal nicht täuschst, mein Schatz. Letzte Nacht, als du süß geschlummert hast, ich hingegen nicht einschlafen konnte, da habe ich ferngesehen. 24FNS zeigte einige Aufnahmen von uns und …«

»Ach, diese verdammte Kugel.«

»Nein, hör zu. Die haben gezeigt, wie wir in deinem Haus waren und wie du die Kugel aktiviert hast, erinnerst du dich? Man konnte genau sehen, wie wir uns in Luft aufgelöst hatten.« Alina deutete auf die Tür. »Du glaubst gar nicht, wie die da draußen alle nach diesem Ding lechzen. Denen geht es überhaupt nicht um unseren Schutz. Die sind alle nur hinter deiner verfluchten Kugel her«, verzog sie das Gesicht. »Wie schon gesagt, dieser Keller sitzt hinter Gittern, es gibt also nichts mehr zu beschützen.«

»Beruhige dich«, tippte sich Thomas auf die Lippen. »Apropos aktiviert. Wieso konnte die Matak überhaupt diese Bilder machen? Ich meine, wieso war sie so schnell vor Ort?«

»Genau das habe ich die Engelmann auch gefragt.«

»Und, was hat sie geantwortet?«

»Sie sagte, dass Keller bei der Presse und bei der Polizei angerufen hätte. Er muss uns seit dem Institut beobachtet und verfolgt haben. Er wollte, dass die Polizei uns erschießt.«

»Gruselig«, schüttelte sich Thomas. »Ich denke, wir sollten diesen Psychopaten einfach vergessen.«

»Du hast sicherlich recht.«

»Natürlich habe ich recht.«

Sie grinste.

»Du bist nicht nur ausgesprochen sexy, nein, du bist weit mehr. Du bist eine wunderschöne und sehr kluge Frau, weißt du das?«

Erneut fanden sich ihre Lippen und ihre Körper vereinigten sich.

Kapitel 3

Kapitel 3

 

Zur selben Zeit, in der die beiden innig vereint waren, beobachtete Kriminalkommissarin Engelmann von ihrem Wagen aus, wie Menschen zielstrebig auf den Eingang zum Polizeipräsidium Frankfurt am Main zugingen. Sie waren auf dem Weg zur Arbeit. Beim Durchgang durch die Sicherheitsschleuse im Foyer wurden sie wie jeden Morgen freundlich von dem Beamten, der das Ganze überwachte und zusätzliche Sichtkontrollen durchführte, begrüßt.

Vor dem Gebäude parkte ein Getränkelaster, aus dem ein Mann mit einer Baseballkappe und Blaumann, Kästen mit Limonade stapelte. Niemand schenkte ihm Beachtung. Er stellte den Transportkarren direkt neben Eingang ab, ohne dabei die Menschen beim Betreten des Gebäudes zu behindern. »Mist, jetzt habe ich in der Zentrale den Schlüssel für die Automaten vergessen und das bei dem knappen Zeitlimit … Shit«, schlug er sich laut fluchend, mit Blick auf seine Uhr, gegen die Stirn.

»Kommt vor, das ist mir schon oft passiert«, lächelte ein junger Mann, der an ihm vorbei das Gebäude betrat.

Der Getränkelieferant ließ den Sackkarren mit den Kisten stehen, lief zügig zu seinem Lastwagen zurück, zurrte in Windeseile die Plane seitlich zu und fuhr gleich darauf davon. Im Inneren des Gebäudes starrte ein zweiter Wachmann in der Wachstube zur Wanduhr. Er bezweckte offenbar seine Armbanduhr, die schon alt aussah und aufgezogen werden musste, exakt auf die volle Stunde einstellen. Der Sekundenzeiger hatte drei Sekunden bis zur zwölf, dann wollte er den Einstellknopf eindrücken. Als die Uhr an der Wand auf neun Uhr umsprang, drückte der alte Mann den Knopf und im selben Augenblick flogen mit einer gewaltigen Explosion die Getränkekisten auf dem Sackkarren in die Luft. Die Druckwelle schleuderte die Menschen wie Puppen durch die schwarzgraue Staubwolke. Für diejenigen, die zu nahe an den Kästen waren, kam jede Hilfe zu spät.

Die, die sich im Innenbereich des Polizeigebäudes aufgehalten hatten, wurden mitsamt allen Gegenständen, die sie bei sich hatten, durch den Druck gegen die Wände gepresst oder stürzten auf den Boden. Die Frau, die in derselben Sekunde auf gleicher Höhe mit den Getränkekisten war, wurde regelrecht zerfetzt und ein Mann vor dem Gebäude krachte auf die Windschutzscheibe eines Polizeiwagens, der keine zehn Meter weit entfernt geparkt war. Er brach sich sofort das Rückgrat. Eine Frau, die neben dem Streifenwagen dabei war, ihr Fahrrad abzuschließen, wurde frontal gegen einen Baum gedrückt. Teile der Glastür und der Fassade wurden hoch in die Luft geschleudert, bevor sie großflächig wieder zurück auf die Erde stürzten. Wenige Sekunden nach der Detonation hörte man panisches und wildes Kreischen, vor und aus der undurchsichtigen Staubwolke. Die Menschen, die nicht betroffen waren, liefen in ihrer Panik kreuz und quer umher. Wieder andere waren vor Schock wie erstarrt.

 

Engelmann, die keine Minute zuvor in ihrem Wagen saß und eine Weile die Menschen beobachtet hatte, wunderte sich über die Hektik des Getränkefahrers.

»Der hat es aber eilig«, schüttelte sie den Kopf, als plötzlich die Bombe hochging. Erschrocken zuckte sie zusammen und nachdem sie realisiert hatte, was passiert war, sprang sie aus ihrem Wagen und sah sich um. Sie wusste nicht, wo sie zuerst hinrennen sollte, entschied sich aber dann für den Wachmann, den sie blutüberströmt vor dem Eingang liegen sah.

Schnell eilte sie zu ihm, kniete sich neben ihn und legte seinen Kopf auf ihre Schenkel.

»Ich wollte doch nur meine Uhr stellen«, sagte er leise zu ihr. »Ich wollte nur meine Uhr stellen.«

»Ich weiß«, versuchte sie, ihn zu trösten.

»Ich wollte nur meine Uhr stellen«, wiederholte er immer wieder.

 

»Bleiben Sie ganz ruhig«, sagte sie zu ihm mit ruhiger Stimme so gut sie nur konnte. »Alles wird gut.«

»Was in aller Welt ist passiert?«, stürmte Kriminalhauptkommissar Harald Berglander mit weiteren Kollegen die Treppe herunter.

»Keine Ahnung«, hustete sie in der Staubwolke. »Wir brauchen dringend mehrere Krankenwagen, der Mann hier und weitere da hinten bei den Fahrrädern brauchen Hilfe.«

»Natürlich«, bestätigte Berglander und griff sich in die Tasche, um schnell festzustellen, dass sie leer war. »Scheiße, mein Telefon liegt oben.«

»Ich bin schon dabei«, keuchte einer der beiden Männer, die aus dem linken Gang herbeigeeilt kamen.

»Was ... Nein!«, erschrak er und ließ geschockt fast das Telefon fallen.

»Was ist los, Winkler?«, wollte Berglander ungeduldig wissen und schrie in der nächsten Sekunde: »Wo bleiben die Krankenwagen?«

»Die sind unterwegs, aber …«, stockte der Kollege und reichte ihm wie unter Trance sein Telefon.

»Nix aber … keine Zeit?«, knurrte der in den Apparat und wollte das Gespräch wegdrücken, der Anrufer war hingegen so energisch, dass Berglander doch aufmerksam wurde. »Was sagst du da?«, bellte er in das Smartphone. »Himmel, das gibt es nicht.«

»Alles wird gut«, versuchte Engelmann, dem Verletzen weiter Mut zuzusprechen, und tauschte mit Berglander kurz den Blick.

»Halte durch, Kollege, der Krankenwagen ist gleich ...«, stockte sie, nachdem sie bemerkte, dass der Mann in ihren Armen inzwischen schon tot war.

»Nicht nur wir sind in die Luft gesprengt worden«, sagte Berglander zu ihr, tippte das Gespräch weg und wählte eine andere Nummer.

»Was soll das heißen?«, legte sie behutsam den toten Mann ab und stand auf.

»Milan? Hör zu«, platzte Berglander dem Angerufenen gleich ins Wort, nachdem er eine Verbindung hatte. »Schaff die beiden sofort aus dem Hotel und bring sie irgendwo in Sicherheit. Hörst du? Ja, ja, später. Los, macht schon, schafft die beiden da weg. Sofort!«, fauchte er fordernd ins Mikrofon und drückte das Gespräch weg.

»Was ist?«

»Hör zu«, griff er Engelmann am Arm. »Du hast das Telefonat mit Milan gerade mitbekommen, fahr sofort mit dem Kollegen da hin. Du weißt, was zu tun ist.«

»Ja«, nickte sie und berichtete ihm noch rasch in ein paar kurzen Sätzen von dem Getränkefahrer.

»Okay, um den kümmer’ ich mich. Los jetzt. Uns läuft die Zeit weg.«

Mit Blaulicht und Sirene rasten Engelmann und ein Kollege, in ihrem Wagen davon.

Kapitel 4

Kapitel 4

 

Ebenfalls exakt um neun Uhr an diesem Morgen tauchten über dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Frankfurt drei schwarze Helikopter auf. Die Seitentüren waren offen. Sofort eröffneten Scharfschützen aus den Hubschraubern heraus das Feuer auf alle Wachleute, die ihnen vors Fadenkreuz kamen. Zeitgleich seilten sich mit hohem Tempo sechs schwarz gekleidete Männer in den Innenhof ab. Sie trugen Helme und hatten Maschinenpistolen im Anschlag. Einer von ihnen hatte eine Panzerfaust auf seinen Rücken geschnallt. Dieser stellte sich, nachdem er abgeseilt war, breitbeinig in Position, klappte das Gerät zügig auf und hievte es routiniert auf seine rechte Schulter. Zielsicher feuerte er sie auf die Zugangstür zum Gefängniskrankenhaus ab.

Zwei Vollzugsbeamte, die an dieser Tür gestanden hatten, wurden mit großer Wucht mit samt den aus der Angel gerissenen Türflügeln nach hinten in den Gang geschleudert. Drei der vermummten Männer drangen unverzüglich in das Hospital ein und erkannten sofort, wie zwei Beamte einen Häftling in großer Eile nach hinten wegschaffen wollten. Einer der beiden ließ den Gefangenen los, um seine Waffe zu ziehen, aber die Eindringlinge waren zu schnell. Kaltblütig schossen sie die beiden ungeschützten Beamten über den Haufen und schnappten sich den Häftling.

»Sind Sie …«, brummte einer der drei Vermummten den Mann im Krankenhemd an.

»Yep«, schnippte dieser lässig. »Pünktlich um neun, wie vereinbart auf der Krankenstation. Ich habe euch schon vom Fenster aus gesehen.«

»Nicht quatschen. Los kommen Sie!«

Zurück im Hof klinkten sich die sechs Männer mit ihrem lebenden Paket im Gepäck wieder in ihre Seile ein und wurden rasend schnell daran nach oben gezogen. Die Schützen in den Hubschraubern gaben ihnen durch ihr Dauerfeuer permanent Rückendeckung. Zusätzlich warfen sie reihenweise Handgranaten auf das Gelände der Justizvollzugsanstalt. Außer in Deckung zu gehen, blieb den Beamten nichts weiter übrig. Sie hatten nicht die geringste Chance, mit ihren Pistolen das Feuer zu erwidern. Sämtliche Gebäudetrakte wurden in Mitleidenschaft gezogen und das gesamte Gelände war kurzzeitig ein Kriegsschauplatz gewesen.

So schnell, wie die drei Helikopter am Himmel aufgetaucht waren, so zügig waren sie verschwunden und der Luftraum über der Justizanstalt war wieder frei.

»Na, das hat ja super geklappt«, freute sich der Häftling, setzte sich auf den ihm zugewiesenen Platz und schnallte sich an.

Die Männer sagten nichts. Sie starrten ihn nur an. Ihre dunklen Helme behielten sie auf.

»Was ist los, seid ihr alle stumm?«, sah der Befreite die anderen an. »Sag was!«, deutet er auf einen der beiden Männer, die ihn aus der Krankenstation geholt hatten.

»Hör zu«, antwortete dieser. »Du bist ein Arschloch und wenn es nach mir ginge, würdest du im Knast verrotten.«

»Offenbar geht es aber nicht nach dir.«

»Wir haben dich Stück Scheiße nur aus einem Grund da rausgeholt«, grunzte der Mann und deutete neben sich, wo ein anderer dabei war, seinen Helm abzuziehen, »und jetzt halt deine beschissene Fresse.«

»Zeig mir dein Gesicht, Groß…« Mit einem Schmerzschrei schnallte der Befreite ruckartig nach vorne, da sein Nebenmann ihm plötzlich mit Wucht in den Bauch boxte.

»Das reicht!«, wandte der Mann, der seinen Helm inzwischen abgesetzt hatte, ein.

Stöhnend vor Schmerzen versuchte der Befreite, den Kopf wieder anzuheben, um zu sehen, wer der Mann war, aber da traf ihn schon ein zweiter Schlag und nahm ihm das Bewusstsein.

Kapitel 5

Kapitel 5

 

Die Journalistin Vanina Matak kam, gleich nachdem sie ihren Sohn David vor der Schule abgesetzt hatte, abgehetzt ins Büro ihres Nachrichtensenders 24FNS. Ihr war klar, dass heute eine wichtige Redaktionskonferenz anstand, bei der alle Angestellten und freien Reporter, sowie die Kameraleute und Fotografen anwesend sein mussten. Zudem war sie für heute die verantwortliche Tagessprecherin und spät dran. Hastig schmiss sie ihre Jacke über den Stuhl und ihre Tasche auf den Tisch.

Mit einem kurzen Blick auf die Uhr an der Wand im Großraumbüro hetzte sie schnell eine Etage höher in den Besprechungsraum. »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich, gleich nachdem sie die Tür geöffnet hatte. »Was war das eben für …«, erschrak sie.

Ihr Chefredakteur Peter Knopf, der wie alle anderen in diesem Raum am Fenster stand und hinausschaute, drehte sich zu ihr um und hob kurz die Hand, während er telefonierte.

Matak zog symbolisch den Reißverschluss an ihren Lippen zu und lief um den Konferenztisch herum zur Fensterfront, wo ihre Kolleginnen und Kollegen mit entsetzten Gesichtern hinaus auf Frankfurt starrten. An zwei verschiedenen Stellen sahen sie über den Gebäuden schwarze Wolken, die sich aber langsam schon wieder verflüchtigten.

»Ach du lieber Himmel«, riss die Journalistin die Augen auf. »Das war kein Erdbeben, das waren Sprengungen. Großer Gott, das war ein Anschlag.«

»Boah, Vanina«, stöhnte Bernd, der seine Kamera auf der Schulter hatte und filmte. »Heute ist Freitag der 13.«

»Glaubst du etwa daran?«, deutete sie auf die linke Rauchwolke. »Hier, Bernd, zoom das mal ran. Ich glaube ich weiß, wo das ist … das ist …«

»… eine Polizeistation«, beendete Knopf leise ihre Feststellung und legte eine Hand aufs Mikrofon seines Smartphones. »Da hat einer alle Polizeistationen auf einmal hochgehen lassen. Ich versuche gerade, herauszubekommen, was da los ist, bevor ihr losrennt, okay?«

Da die Redaktion weit oben in dem Gebäude residierte und der Himmel wolkenfrei war, hatten sie eine gute Aussicht über Frankfurt.

»Das … huch«, zuckten Matak und die Kollegen vom Fenster zurück, in dem Moment als nah am Gebäude drei schwarze Helikopter mit offenen Seitentüren vorbeigedonnert waren.

»Das gibts doch nicht!«, riss sie die Augen auf. »Peter! Ich glaube, das war …«

Knopf, der seinem Gesprächspartner am Smartphone lauschte, hob eine Hand und deutete hektisch mit einem Zeigefinger auf den Tisch. Daraufhin packten alle sofort ihre Schreibsachen zusammen, während er weiter am Telefon hing und zwischenzeitlich auf einen Notizblock kritzelte.

»Claudia, hast du auch gesehen, wer das da war?«, wandte sie sich an ihre Kollegin.

»Nein, wer denn?«, fragte diese. »Ich habe keine Ahnung, was hier los ist, aber irgendwo muss hier heftig der Busch brennen.«

»Busch!? Soll das ein Witz sein? Das sieht mir eher nach einem Waldbrand aus.«

»Das gibts doch nicht? Okay, und du bist dir absolut sicher?«, fragte Knopf laut mit starrem Blick auf Matak. »Gut. Du hast was gut bei mir, danke«, beendete er sein Gespräch, legte das Smartphone auf den Tisch und drückte mit gefalteten Händen für wenige Sekunden auf seinen Kopf, so als beabsichtigte er ihn sich in den Hals drücken. »Leute, das Kaffeekränzchen ist beendet.« Barsch in einem Anflug von Hektik stemmte er seine Fäuste auf den Tisch. »Ich habe gerade erfahren, dass dies gezielte Bombenanschläge auf die Polizei waren«, fuhr er fast schon flüsternd mit schmerzverzerrtem Gesicht fort.

»Und ich bin sicher, ich weiß warum«, warf Matak dazwischen und scrollte gleichzeitig hektisch durch die Kontakte auf ihrem Smartphone.

Knopf presste sich seine Hände gegen den Kopf und wiederholte mit Blick zur Fensterwand: »Irgendjemand hat gerade sämtliche Polizeireviere der Stadt in die Luft gejagt. Ich will jetzt, dass ihr da rausgeht«, deutete er energisch auf die Tür, »und mir alles beschafft, was da gerade vor sich ging, verstanden? Redet mit euren Kontaktleuten, zapft die Netzwerke an. Vielleicht hat der eine oder andere sogar was vor Ort mitbekommen. Beschafft mir alles, was ihr kriegen könnt. Findet schnellstens heraus, wer hinter diesen Anschlägen steckt.«

»Peter, ich …«

»Warte Vanina«, unterbrach sie ihr Chefredakteur und fuhr in gewohnter Weise fort. Er redete wie immer sehr schnell und machte dazu eine Faust. Nach jedem Satz streckte er einen weiteren Finger davon aus, bis die Hand ganz offen war. Anschließend ballte er wieder eine Faust und fing von vorne an, seine Sätze zu zählen. »Wie gesagt, in allen Polizeidienststellen im Raum Frankfurt hat jemand Bomben hochgehen lassen.«

»Hör zu, Peter!«, deutete sie mit Blick auf ihn zum Fenster. »Ich denke, ich weiß auch, warum.«

»Zum Teufel, Vanina, fall’ mir doch nicht immer ins Wort«, fauchte der Chefredakteur sie an.

Matak war still. Sie wusste nur zu genau, warum ihr Chef in letzter Zeit so aggressiv reagierte. Ihr war nicht entgangen, dass die Intervalle zwischen seinen Schüben immer kürzer wurden.

»Wir fokussieren. Konzentriert euch auf die größten Stellen. Das Polizeipräsidium und den Knast. Beschafft mir alles, was ihr bekommen könnt.«

»Weißt du, was mit Peter los ist, der wiederholt sich in letzter Zeit immer öfter? Dann ist er auch noch so aggressiv?«, flüsterte Claudia Matak zu, obwohl Knopf weiterredete.

»Vergesst nicht die Handyvideos, von diesen Freizeitfilmern mit ihren Smartphones, bevor die Polizei sie krallt.«

Geschlossen nickten sie.

»Das hat jetzt oberste Priorität ... alles andere muss warten. Vanina, Claudia, Bernd, ihr bleibt noch eine Sekunde hier. Los jetzt, alle anderen raus hier.«

Nachdem alle bis auf die genannten drei den Konferenzraum verlassen hatten, deutete Knopf mit Blick auf Bernd auf die Tür. »Zumachen.«

Hektisch holte er einen Drops aus einer kleinen Büchse und schmiss ihn sich in den Mund, da klingelte sein Smartphone. Mit leicht zittrigen Händen nahm er das Gespräch an und klopfte im selben Moment Bernd auf die Finger.

Der dachte unverkennbar, dass dies Bonbons seien.

»Verstehe, alles klar«, bestätigte Knopf seinem Anrufer. »Genau wie ich befürchtet habe. Danke … bis dann.« Er beendete das Gespräch und sah Vanina an. »Es ist naheliegend, dass diese Anschläge mit unserem Artikel zu tun haben. Einige Leute glauben, dass diese Kugel nicht nur Leute verschwinden lassen kann, sondern dass mit ihr auch tatsächlich Zeitreisen möglich sind.«

»Es war abzusehen, dass der eine oder andere Irre mit fettem Geldbeutel da auf den Plan gerufen wird«, verdrehte Matak die Augen. »Ich habe dich gewarnt, Peter. Du wusstest genau, dass ich den Artikel so nicht rausbringen wollte.«

»Ich weiß, ich weiß«, rieb sich Knopf über die Stirn. »Das war ein Versehen, aber müssen wir das jetzt hier in der Runde diskutieren?«

»Sowas ist dir doch noch nie passiert, du solltest endlich zum Arzt gehen«, platzte es aus der Journalistin heraus.

»Ich sagte gerade, nicht jetzt«, wiegelte er erzürnt über die Bloßstellung vor den anderen ab. »Die haben diesen Verbrecher aus dem Knast befreit, nicht ich. Das soll euer Fokus sein, sonst hat euch nichts zu interessieren. Ihr müsst da dran…«, stockte er und schüttelte den Kopf. »Moment mal, was hast du vorhin gesagt, Vanina?«

»Was meinst du?«

Er deutete auf sein Smartphone. »Du sagtest, du weißt etwas über diesen Anschlag.«

»Ja ... Die haben diesen Pfaffenkiller befreit und die Bomben waren die Ablenkung. Ich habe den Kerl vor nicht mal fünf Minuten in einem der Hubschrauber erkannt.«

Knopf, Claudia und Bernd sahen sie erstaunt an.

»In einem Hubschrauber!? Bist du sicher?«

Matak deutete auf die Fensterwand. »Natürlich bin ich sicher, ich weiß doch was ich gesehen habe. Die sind so nah an unserem Fenster vorbei gebrettert, dass ich den Typen gar nicht übersehen konnte.«

»Bist du ganz sicher?«, wiederholte Knopf seine Frage. »Warum hast du das nicht gleich gesagt?«

»Wollte ich ja, aber du hast mir ja das Wort verboten.«

Knopf verdrehte die Augen.

»Das war Keller, hundertpro.«

»Okay, tut mir leid«, fuhr er sich durch die Haare. »Keller weiß offenbar mehr als wir über diese Kugel und so wie die Dinge jetzt liegen, ist dieser Psycho die einzige Verbindung zu den beiden im Hotel.«

Matak tippte sich an die Stirn. »Das sehe ich genauso und deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, bis irgendwelche Typen in dem Hotel auftauchen, um sich die beiden zu krallen … Wenn sie es nicht schon getan haben.«

»Diese kinoreife Aktion mit den Bomben war nur ein Ablenkungsmanöver. So konnten sie diesen Schweinehund nahezu ungestört befreien. Das waren Profis«, nickte Knopf und deutete auf sein Smartphone auf dem Tisch. »Mein Informant sagte, die haben den Knast kurz und klein gebombt.«

»Keller ist doch der ehemalige Polizist, der die Pfarrer so brutal zugerichtet hatte, oder?«, fragte Claudia dazwischen.

Knopf nickte. »Der Typ drohte bei seiner Verhaftung lautstark damit, dass er zurückkommen wird.«

»Seine Worte klingen mir noch immer in den Ohren«, schüttelte Matak den Kopf. »‘Wir werden uns bald wiedersehen und dann bekomme ich auch die Kugel, verlasst euch drauf‘, hatte er laut lachend gedroht.«

»Ich bin sicher, der Kerl weiß ganz genau, warum sich Menschen in der Nähe dieser goldenen Kugel in Luft aufgelöst haben.«

»Und wo tauchen die dann wieder auf?«, wollte Bernd wissen.

»Keine Ahnung«, zuckte der Chefredakteur mit den Schultern.

»Hört zu, ihr bleibt an der Sache dran! Wer weiß, vielleicht ist es mit dem Ding tatsächlich möglich, durch die Zeit zu reisen … Findet das endlich raus, verflucht nochmal. Das Ding könnte ich schließlich auch ganz gut gebrauchen.«

»Das hätte nicht in dem Artikel stehen dürfen, Peter«, schüttelte Matak den Kopf.

Knopf sagte nichts.

»Ich habe immer wieder versucht, mit Alina Karlovski als Kollegin zu sprechen … so von Frau zu Frau meine ich, aber sie wollte partout nicht. An ihren Freund, Doktor Becker, komme ich schon mal gar nicht ran. Die beiden blocken alles ab. Außerdem weißt du ja selber, dass die Polizei auch so einen Verdacht hat, oder was denkst du, warum die sonst die ganze Woche da abhängen und die heimlich observieren ... und der Artikel hat jetzt auch noch den letzten aufgescheucht?«

»Okay, genug palavert. Ich will, dass ihr ab sofort rund um die Uhr an der Sache dran bleibt, verstanden? Findet heraus, was es mit den zwei und dieser goldenen Kugel wirklich auf sich hat.« Knopf trat rückwärts zu seinem Stuhl und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf seine drei Untergebenen, die neben der Tür standen. »Enttäuscht mich nicht und jetzt raus hier.«

»Haben wir das jemals?«, fragte Matak und öffnete die Tür.

»Raus!«

Kapitel 6

Kapitel 6

 

»Was war das?«, zuckte Alina aufgeschreckt zusammen. Erschrocken sprang sie auf und schaute aus dem Fenster. »Das hörte sich an wie eine Explosion?«

»Das bist du Liebling«, lächelte Thomas genüsslich, zog sie zärtlich wieder zu sich und küsste sie.

Nur wenige Minuten später hämmerte es eindringlich gegen die Tür.

»Polizei, bitte machen Sie sofort die Tür auf!«, forderte eine Männerstimme.

Dieses Mal erschraken sich beide.

»Nun machen Sie schon auf!«

»Ja, ja, ist ja gut. Können wir uns wenigstens noch was anziehen?«, brummte Alina genervt und griff sich ihren Bademantel.

Das Hämmern hörte nicht auf, im Gegenteil, es wurde aufdringlicher.

»Ja, jaaa, ich komm ja schon.«

Thomas schnappte sich hektisch seine Hose, die über einem Stuhl hing.

Alina öffnete die Tür, da wurde sie schon aufgedrückt.

»Tut mir leid, Sie müssen …«, stürmte ein Mann völlig aufgelöst ins Zimmer.

»Hey, Moment mal?«, protestierte sie und versuchte, den Mann an seinem Sakko festzuhalten.

Ein zweiter Mann hielt ihr seinen Dienstausweis direkt vor die Nase, nachdem er sich, ebenfalls unaufgefordert, an ihr vorbei ins Zimmer quetschte.

»Schließen Sie die Tür!«, drängte er.

Wortlos schob Alina die Tür zu.

»Was soll dieser Überfall? Sind Sie noch ganz bei Trost?«, prustete Thomas und sprang in seine Hose. »Wenn es so dringend ist, warum haben Sie nicht einfach angerufen, dann hätten wir uns …«

»Das hatten wir ja versucht, aber …«, quakte der Mann dazwischen, der zuerst ins Zimmer gestürmt war. Er deutete auf das Telefon, das neben Thomas auf dem Nachttisch stand. »Sehen Sie, der Hörer liegt nicht auf.«

»Oh«, stellte der Genetiker mit Blick auf den Apparat fest.

»Ich bin Kommissar Milan«, zeigte der zivile Polizist seinen Dienstausweis und deutete gleich darauf auf den Mann neben sich. »Und das ist mein Kollege Kommissar Steinberg. Hauptkommissar Berglander schickt uns.«

»Berglander?«, fragte Thomas genervt und zog sich sein Hemd über. »Und ... was will er von uns?«

»Ich kenne Sie beide«, deutete Alina auf die Polizisten. »Sie lungern hier schon die ganze Zeit herum, nicht wahr? Was wollen Sie von uns? Ich dachte, der Fall ist abgeschlossen?«

Steinberg hob seine Hände halbhoch. »Das dachten wir auch. Bitte ziehen Sie sich was an, wir müssen Sie schnellstens von hier wegbringen.«

»Wegbringen!?«, stutzte Thomas. »Wieso? Was ist passiert?«

»Beruhigen Sie sich!«, hob Steinberg beschwichtigend die Hände. »Wir erklären Ihnen alles unterwegs.«

»Nein, Sie erklären es uns jetzt!«, verschränkte Alina zornig die Arme.

»Hören Sie, wir wissen alle, dass Sie etwas haben …« Milan zögerte und deutete mit dem Kinn auf ein braunes Lederkleid, das über der Couchlehne hing. »Bitte, ziehen Sie sich an, wir gehen davon aus, dass es jemand auf Sie abgesehen hat. Sie sind hier nicht mehr sicher.«

»Hören Sie, wir …?«, wandte Thomas ein.

»Nein, Sie hören jetzt, Herr Doktor Becker!«, schnitt Milan energisch mit dem Finger auf ihn deutend ab. »Sie werden jetzt Ihre Sachen nehmen und dann verschwinden wir alle gemeinsam von hier. Ist das klar?«

Alina deutete auf den Kleiderschrank mit Blick auf Milan. »Kann ich mir wenigstens etwas Bequemes anziehen?«

Der Polizist verdrehte genervt die Augen und zeigte mit dem Kinn erneut auf ihr Kleid auf der Couchlehne. »Das muss reichen! Holen Sie noch ihren Zauberball und dann Abmarsch!«

»Zauberball?«, wiederholte Thomas und tauschte mit seiner Freundin verwirrt den Blick.

»Bitte«, bettelte der Kommissar schon fast. Nervös schaute er auf seine Armbanduhr. »Wir haben nur ein begrenztes Zeitfenster und keine Zeit für Diskussionen.«

»Na schön«, gab sie nach, schnappte sich ihr Kleid und huschte damit ins Badezimmer.

Milan wandte sich an seinen Kollegen, zeigte ihm zwei ausgestreckte Finger und deutete auf die Tür. »Geh raus und check die Lage. Wenn alles Okay ist, klopfst zu zweimal gegen die Tür!«

Steinberg nickte stumm und verließ wieder die Suite.

»Wir fürchten, dass es jemand auf Sie abgesehen hat«, erklärte der Kommissar nochmals.

»Was soll das heißen?«, fragte Alina, die angezogen wieder aus dem Bad kam und sich ihre Handtasche schnappte.

»Kollege Berglander befürchtet, dass es jemand auf Sie abgesehen hat, mehr kann ich Ihnen im Augenblick auch nicht sagen. Er sagte nur, ich soll Sie umgehend von hier wegschaffen.«

Milan warf einen Blick aus dem Fenster.

»Ich dachte, wir sind hier in Sicherheit«, strich sich Thomas über die Haare. »Hier wimmelt es doch nur so von euch und den Presseleuten.«

»Es tut mir leid, aber so wie die jetzt Dinge liegen, sind Sie hier nicht mehr sicher. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass es terroristische Anschläge auf mehrere Polizeistationen in Frankfurt gab. Sie sollen irgendwie mit Ihnen und Ihrer Zauberkugel zusammenhängen«, erklärte er den beiden.

»Mit uns? Zauberkugel?«, fragte Alina kopfschüttelnd den Beamten.

»Sind Sie ein Papagei?«, entgegnete Milan genervt und sah auf Thomas, der sich zwischenzeitlich die Schuhe band. »Die Medien haben einen riesen Wirbel um Ihre Kugel gemacht, da ist es doch kein Wunder, dass es den einen oder anderen Verrückten auf den Plan ruft, finden Sie nicht? Es war nur eine Frage der Zeit, bis so etwas passieren musste. Ich weiß zwar nicht, was …« Er stockte, schlich zur Tür und lauschte.

»Was ist?«, stutze Alina.

»Wir haben die Kugel nicht mehr«, flüsterte Thomas und steckte sich sein Hemd in die Hose. »Sie ist weg und ich hoffe, das bleibt sie auch.«

Es klopfte zweimal an der Tür.

Angespannt warf Milan einen Blick auf die beiden, legte einen Zeigefinger auf die Lippen und zog seine Waffe. »Okay, es geht los. Sind Sie soweit?«, flüsterte er und lauschte nervös an der Tür. »Jürgen?«

Sein Kollege antwortete nicht.

»Jürgen?«, wiederholte er.

»Was jetzt?«, stutze Alina.

»Los schnell, verstecken Sie sich hinter dem Bett!«, forderte Milan leise seine beiden Schützlinge auf.

Erneut klopfte es zweimal.

»Scheiße, Jürgen?«, rief der Kommissar.

»Ja, ich bin es.«

Milan entsicherte nervös seine Dienstpistole und öffnete zögerlich die Tür.

Kaum war die Tür aus dem Schloss, wurde sie sofort ganz aufgeschlagen und Steinberg stürzte durch einen heftigen Stoß Milan in die Arme.

»Schalldämpfer«, riss Thomas erschrocken die Augen auf, als er einen Mann mit Sonnenbrille und vorgehaltener Pistole im Türrahmen hinter Steinberg auftauchen sah.

»Rein da!«, bedrohte der Sonnenbrillenträger die Kommissare.

Mit erhobenen Händen bewegten sich die beiden Polizisten rückwärts zurück ins Zimmer. Der Mann mit der Sonnenbrille schnippte mit Daumen und Mittelfinger, ohne den Blick von seinen Geiseln zu lassen. Da tauchte für eine Sekunde ein zweiter Mann im Türrahmen auf, verschwand aber gleich wieder, indem er wortlos von außen die Tür zuzog.

»Kommt hoch, meine Turteltäubchen«, schmunzelte der Sonnenbrillenträger zufrieden, nachdem er Thomas und Alina geduckt hinter dem Bett entdeckt hatte. »Na los … Los, los, hoch ihr zwei und vergesst nicht, eure Hände hoch zunehmen. Na los, wird’s bald! Rüber da!«, befahl er mit seiner Pistole herumfuchtelnd und mit dem Kinn auf die beiden Kommissare deutend. »Und keine Dummheiten, wenn ihr nicht am Heldentod sterben wollt.«

Alina und Thomas befolgten die Anweisungen des Mannes.

»Hören Sie!«, wandte Milan ein.

»Ich höre gar nichts«, grinste der Sonnenbrillenträger und schoss ohne Vorwarnung den beiden Polizisten mit seiner schallgedämmten Waffe in die Stirn.

Die Kommissare waren auf der Stelle tot.

»Sind Sie verrückt ...«, preschte Alina entsetzt vor, doch der Mann stoppte sie, indem er seine Waffe auf sie ausrichtete.

»Warten Sie!«, forderte Thomas diesen auf und zog seine Freundin am Arm zurück. »Was wollen Sie überhaupt von uns?«

»Oh, Sie beleidigen meine Intelligenz«, schnalzte der Mann kopfschüttelnd mit der Zunge und richtete seine Waffe auf Thomas.

»Wir haben Sie nicht mehr«, versicherte Alina dem Mann. »Und wenn Sie uns erschießen, bekommen Sie die Kugel schon mal gar nicht.«

Der Mann ging einen Schritt näher auf sie zu und trat einem der beiden toten Polizisten leicht ans Bein. Thomas und Alina ließ er dabei keine Sekunde aus den Augen. »Hm … Also, wenn es nach mir ginge …«, schob er lässig seine Sonnenbrille vor bis zur Nasenspitze und musterte Alina mit seinen hellen kalten Augen. »Wärst du mir lieber als diese Kugel, aber so … sorry Süße, du wirst dich wohl noch etwas gedulden müssen«, duzte er Alina mit missbilligendem Blick auf deren Freund. »Diese Braut, ist doch wohl ’ne Nummer zu groß für Sie, oder Sportsfreund?«

Thomas blieb stumm.

»Also, raus mit der Sprache«, wurde der Mann wieder ernst. »Wo zur Hölle ist diese Kugel, meine Geduld ist nicht unbegrenzt?«

»Und wenn Sie uns erschießen, wir haben sie nicht mehr«, zuckte Thomas mit den Schultern.

»Nun, die Medien sagen da aber was ganz anderes«, kratzte sich der Mann an der Stirn.

»Sehen Sie sich um!«, bot Thomas an. »Sehen Sie sich selbst um. Sie werden sie hier nicht finden, weil wir sie nicht mehr haben. So einfach ist das.«

»Nun, wenn ihr sie nicht mehr habt, seid ihr wertlos für mich.«

»Warten Sie!«, deutete Alina mit Panik im Blick auf ihren Freund. »Er weiß, wo die Kugel ist.«

»Ich? Was redest du denn da?«, konterte der. »Du hast sie doch zuletzt gehabt.«

»Was soll der Mist? Wollen Sie mich verarschen?«

»Wenn Sie jetzt den Falschen von uns erschießen, werden Sie nie erfahren, wo die Kugel ist«, zuckte Thomas mit einer Schulter. »Nur zu, erschießen Sie mich, wenn Sie glauben, dass sie die Kugel hat.«

»Oder Sie erschießen mich«, wandte Alina ein. »Wenn Sie glauben, dass er sie hat.«

»Sie halten sich wohl für besonders clever, was?«, neigte der Mann den Kopf. »Ich sage Ihnen jetzt was. Wenn Sie Spielchen spielen wollen, dann zeige ich Ihnen mal, was mein Partner unter Spielen versteht.« Rückwärts, ohne seine beiden Geisel aus den Augen zu lassen, ging er zur Tür und öffnete sie. »Wir werden das Ding schon bekommen, verlasst euch darauf und wenn wir sie gefunden haben, seid ihr beide tot«, schob er bedrohlich seine Brille wieder hoch. »Komm rein!«

Der kleinere aber kräftig gebaute Kollege des Sonnenbrillenträgers trat ein und schob, ohne ein Wort zu sprechen, die Tür hinter sich wieder zu.

»Die beiden Scheißer hier behaupten, dass die Kugel nicht hier ist«, deutete er auf seine beiden Geisel. »Du solltest mal ein wenig aufräumen hier.«

Der kleinere Mann fing sofort damit an, die Räumlichkeiten auf den Kopf zu stellen. Er durchwühlte alles und riss Schubladen wie Pappe auseinander. Es dauerte nicht lange, da sah die Suite aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen.

»Hier ist nichts«, lehnte er sich an das Sideboard, über dem der Fernseher hing.

»Bedauerlich«, bemerkte der Sonnenbrillenmann. »Dann müssen wir euch beide wohl doch umbringen.«

»Wäre schade um sie«, versuchte der kleinere Mann, Alina ins Gesicht zu fassen.

»Lassen Sie ihre dreckigen Pfoten bei sich«, bellte Thomas ihn an.

»Hey, hey«, zischte der Sonnenbrillenträger dazwischen und legte auf Alinas Kopf an. »Ganz ruhig, oder ich jag’ der Hübschen hier eine Kugel zwischen die Rippen, dann hat sie nicht nur ein Loch im Kleid.«

Sein Partner grinste.

»Hören Sie«, deutete Alina auf ihre Pumps, die vor dem Bett lagen. »Wenn Sie uns schon erschießen, dann lassen Sie mich wenigstens meine Schuhe in Sicherheit bringen.«

»Soll das ein Witz sein?«

»Ich will nicht, dass sie mit Blut verspritzt werden. Die waren schließlich nicht ganz billig.«

Die drei Männer sahen sie für eine Sekunde mit großen Augen an, dann fragte der Sonnebrillenträger:

»Ihnen sind Ihre Schuhe wichtiger als Ihr Leben?«

»Kennen Sie das nicht? Frauen und Schuhe«, zuckte sie mit der Schulter, bückte sich nach ihren Pumps und nahm in jede Hand einen. Blitzschnell richtete sie sich auf und rammte dem kleineren Mann den spitzen Absatz ihres Schuhs voll ins Gesicht. Laut aufschreiend vor Schmerzen griff dieser an den Schuh, der in seiner Backe steckte. »Du elendes Dreckstück, ich bring …«, fluchte er und stürzte rückwärts über die toten Polizisten. Mit einem weiteren Aufschrei krachte er mit dem Hinterkopf gegen den Fernseher.

Thomas wollte auf den Sonnenbrillenträger los, blieb aber auf halbem Weg wieder stehen, als der Mann einen Warnschuss auf das Bett abgab.

»Einen Schritt weiter und du bist tot, das gilt auch für dich, Miststück und jetzt lege den verdammten Schuh aus der Hand«, zielte er abwechselnd auf die beiden und hob seine Sonnenbrille auf, ohne den Blick abzuwenden.

Alina ließ ihren zweiten Schuh fallen.

»Oh, verflucht«, raffte sich der kleinere Mann wieder auf und riss sich mit einem Ruck den Pumps aus der Backe. »Diese Schlampe hat mich aufgebohrt«, nuschelte er unverständlich und pfefferte wütend den Schuh quer durch den Raum. »Du blöde Bitch«, fauchte er Alina an.

Der Sonnenbrillenträger holte sein Smartphone aus der Tasche. »Wir haben die beiden«, teilte er dem Angerufenen mit. »Aber die Kugel ist nicht hier ... Okay, alles klar«, bestätigte er wenige Augenblicke später und legte auf.

Plötzlich hörten sie aus der Ferne Polizeisirenen.

»Hören Sie das, die sind schon da?«, bemerkte Thomas.

Widerwillig und wie ein Hund knurrend, ließ der kleinere der beiden Männer Alina wieder los und stieß sie grob von sich weg.

Reflexartig griff sie nach der Tischkante neben sich und riss mit einem lauten Scheppern die Decke samt Frühstück vom Tisch.

»Noch so eine Aktion und ihr seid beide tot, verstanden? Auftrag hin oder her«, knurrte der Verletzte mit einem ungewollten Pfeifen und presste sich eine Serviette auf die Wange. »Los jetzt, bevor die Bullen hier sind!«

 

 

Zügig drängten die beiden Männer ihre Geiseln aus der Suite in den leeren Gang in Richtung Treppenhaus, da blieb Alina auf einmal stehen.

»Aaah, ich glaub’ ich bin gerade auf etwas getreten.«

»Das gibts doch nicht, wie blöd muss man denn sein«, verdrehte der kleinere Mann hinter ihr genervt die Augen.

»Heute ist Freitag, der Dreizehnte. Da habe ich immer Pech.«

»Los weiter!«, drängte der mit der Sonnenbrille.

»Sekunde!«, streckte Alina ihm eine Hand entgegen und stützte sich mit der anderen an einer Zimmertür ab, um ihren Fuß zu kontrollieren. »Warum lassen Sie mich auch nicht meine Schuhe anziehen, dann wäre das jetzt nicht passiert?«

Plötzlich öffnete sich die Tür, an der sie sich abstützte.

»Was in aller …«, brummte ein älterer Mann im Bademantel, dem sie fast in die Arme fiel.

Der kleinere Kriminelle legte auf ihn an, doch Alina schnellte mit einem lauten Aufschrei vor und verpasste dem Schützen einen Kinnhaken. Der Hotelgast rannte panisch in sein Zimmer zurück.

In der nächsten Sekunde stürzte sich Thomas gegen den Sonnenbrillenträger und krachte zusammen mit ihm an die gegenüberliegende Tür.

»Huch, was ist denn hier los?«, rief eine Frau erschrocken, die gerade von der Treppe her im Gang auftauchte. Geistesgegenwärtig wich sie sofort zurück, bevor der kleinere Mann sie erschießen konnte.

»Herrgott nochmal ... Los jetzt!«, ärgerte sich der Sonnenbrillenträger und drängte Thomas, weiter zu gehen, da klingelte sein Telefon. »Ja, ja … wir haben die beiden, aber die Bullen sind hier und ...« Nachdem der Mann wenige Momente seinem Anrufer zugehört hatte, legte er total genervt wieder auf und steckte das Handy weg. »Planänderung.«

Mühselig trieben die Geiselnehmer ihre Geiseln die Treppe hoch aufs Dach und verscheuchten mit ihren Waffen drohend die Hotelgäste, die ihnen von oben her entgegenkamen. Der kleinere der beiden Männer schoss mehrmals wahllos die Treppe nach unten, um Verfolger fernzuhalten.

Vor der Ausgangstür zum Dach drängte der Sonnenbrillenträger Thomas zur Seite und ging nach vorne. Hastig stieß er die Tür auf und wollte hinaus, da stockte er völlig unerwartet und starrte wie gelähmt in die Mündung einer Pistole.

Kapitel 7

Kapitel 7

 

Mit einem Grunzlaut schreckte Keller durch kaltes Wasser im Gesicht auf. »Wer sind Sie?«, fragte er den Mann, dessen Umrisse sich vor dem schwachen Licht abgezeichnet hatten.

Dieser sagte keinen Ton.

»Hey Mann, du stehst mir in der Sonne«, brummte er und wollte sich eine Hand über die Augen halten, stellte aber schnell fest, dass er an einen Stuhl gefesselt war. »Was wollen Sie von mir?«

»Was ich von dir will? Eigentlich sollte ich dich gleich wieder zurückbringen«, antwortete eine Stimme hinter ihm.

»Warum holst du mich dann erst aus dem Knast? Nur um mich zusammenzuschlagen und hier festzuhalten, oder was?«

Da packte ihn der Mann vor ihm an der Nase und quetschte sie zusammen.

Vor Schmerz schrie er laut auf.

»Das reicht!«, stoppte die Stimme wenige Sekunden später den Mann.

»Was zum Teufel wollt ihr von mir?«

»Du hirnloser Psychopath. Du hast Glück, dass ich dich brauche.«

»Wozu? Was willst du von mir? Glaubst du, dass deine Drohungen mich beeindrucken?«, spuckte er verächtlich, um im nächsten Moment wieder aggressiv lauter zu werden. »Du weißt offensichtlich nicht, wozu ich fähig bin.«

»Erstens will ich dich nicht beeindrucken«, fuhr die Stimme fort, »und zweitens weiß ich nur zu genau, wer du bist und zu was du fähig bist.«

»Einen Scheiß weißt du?«, rüttelte Keller an seinem Stuhl.

»Dein Vater war ein Leichenbestatter. Eines Tages erwischte er dich dabei, wie du dich heimlich an einer seiner Leichen zu schaffen machtest. Er dachte, ihn kann nichts schockieren, aber da irrte er sich. Es hat ihn ziemlich schockiert, dass du Spaß daran hast, toten Menschen Bilder in den Leib zu schnitzen. Das es dir Genuss bereitet, Menschen die Haut abzuziehen. Großer Gott, wie kaputt muss man im Kopf sein? Dein Vater war allerdings kein Deut besser als du, er war nur anders. Er hatte nichts Besseres zu tun, als sich an dir zu vergreifen.«

Keller schwieg.

»Kein Wunder, dass die Zeiger hinter deiner Stirn nicht richtig ticken. Der einzige Lichtblick deiner verkorksten Familie ist wohl deine Schwester Laura. Sie hat das einzig Richtige getan. Sie ist weggelaufen … weggelaufen, so weit sie nur konnte. Weißt du eigentlich, dass sie nicht wegen ihrem Vater abgehauen war, sondern wegen dir? Sie hat eine Heidenangst vor dir. Dann hat sich auch noch deine Mutter erhängt, als sie davon erfuhr, dass dein Vater ein Wochenendhaus am Bärensee hatte und er sich dort immer wieder an dir vergriff.«

»Woher zum Henker weißt du das alles?«

»Plötzlich war dein Vater spurlos verschwunden. Es hieß, er sei ins Ausland verzogen, aber das glaubt nur die Polizei und der Weihnachtsmann. Du weißt es sicher besser, nicht wahr?«

»Was wird das hier?«, fauchte Keller wehrlos auf seinem Stuhl zappelnd.

»Du hast ihn umgebracht«, redete die Stimme im Dunkeln weiter. »Obwohl dein Onkel nur zu genau wusste, dass du ein Psychopath … ein krankes Hirn hast und deine Gefühle nicht im Zaum halten kannst, hat er sich deiner angenommen.«

»Wir machen alle Fehler und deiner ist es, dich selbst gerne reden zu hören, oder? Aber bitte, nur zu, wenn’s dir Spaß macht. Ich habe Zeit und im Augenblick sowieso nichts Besseres vor.«

Für einen Moment war die Stimme hinter ihm still und der Mann vor ihm zog einen Stuhl heran und setzte sich.

»Eines Tages wurde deinem Onkel mit Schrecken klar«, erzählte die Stimme hinter Keller wieder weiter, »was für ein grauenhaftes Monster er da in seinem Haus aufgenommen hatte. Ein Monster, das mehr wollte, als nur an Leichen herumzuschnipseln. Gütiger ... Wie kamst du nur auf die Idee, dich für den Polizeidienst zu entscheiden … ausgerechnet zur Polizei ... warum nicht in die Forensik, oder ...?«, seufzte die Stimme im Dunkeln.

»Was weißt du schon. Mein Onkel ist auch nicht besser. Er hintergeht im großen Stil seinen vergreisten Chef und der alte Depp hat es nicht einmal gemerkt.«

Der Mann hustete, fuhr aber mit kratziger Stimme fort. »Dein Onkel sah in seiner Not, dich nicht zu verraten, nur noch einen Ausweg … dieser war jedoch, wie sich inzwischen herausstellte, ein Fehler. Er erzählte einem Freund von dir und deinen ... na ja, wie soll ich sagen … perversen Neigungen? Dein Onkel erhoffte sich so Beistand von oben.«

»Von oben!?«, wunderte sich Keller und hob in der nächsten Sekunde den Kopf. »Oh, jetzt verstehe ich. Ich hatte mich oft gewundert, woher dieser schwachsinnige Kardinal meine Nummer hatte. Ich sollte ihm eine Schatulle beschaffen, die ihm angeblich dazu verhelfen könnte, Papst zu werden. Ha!«, lachte er auf. »Übrigens, das mit den Petruskreuzen war nicht meine Idee, sondern seine. Er war ein hinterfotziger Heuchler, der mit allen Mitteln Papst werden wollte.«

»Das weiß dein Onkel inzwischen auch. Das ist die eine Seite der Medaille, aber die andere Seite ist die, dass du mit deinen perversen Neigungen ihm alles zunichtegemacht hast. Er war wegen deiner Eskapaden schließlich dazu gezwungen, sich zurückziehen.«

»Was habe ich denn seiner Meinung nach zunichtegemacht … seine Gier etwa? Ich frage mich sowieso, was er mit dem ganzen Geld wollte. Mir hat er jedenfalls keinen Cent davon abgedrückt. Aber was mich noch viel mehr interessiert, woher zum Teufel weißt du das alles?«, wurde Keller aggressiver. »Jetzt sag mir endlich, was du von mir willst, oder hast du mich nur aus dem Knast geholt, um mir eine Geschichtsstunde zu geben?«

Einige Sekunden wurde es still.

»Wie ich schon sagte, ich brauche dich … leider«, antwortete der Mann. »Du bist hier, weil du mir die Kugel besorgen musst!«

»Welche Kugel? Was willst du damit?«

»Stell dich nicht dümmer als du bist. Wenn es stimmt, was die Zeitung schreibt, sind mit dem Ding sogar Zeitreisen möglich.«

»Oh, bitte?«, lachte Keller.

»Du hattest im Schlaf in deiner Zelle geredet. Dein Zellennachbar hat es einem Wärter erzählt und der hat es einem Kollegen erzählt. Der wiederum hat es wieder einem anderen erzählt … und so weiter, und so weiter. Den Rest tat die Klatschpresse. Also brauchen wir dich, da du offenbar mehr über die Kugel weißt, als jeder andere ... abgesehen von diesem Becker und seiner Freundin natürlich.«

»Frag doch die ganzen Weitererzähler.«

»Du wirst es nicht glauben, aber dass habe ich sogar tatsächlich in Betracht gezogen. Aber weißt du was, der eine redet blau, der andere grün?« Die Stimme wurde energischer. »Ich will diese Kugel haben, koste es, was es wolle.«

»Und du glaubst, ich kann dir helfen?«

»Ja, das glaube ich, sonst wären wir jetzt nicht hier und würden auch nicht dieses Gespräch führen.«

»Also schön, mal angenommen ich besorge dir diese Kugel, was genau springt dabei für mich raus?«

»Es wird dein Schaden nicht ...«, antwortete die Stimme und brach abrupt ab, da ein Handy klingelte.

»Meine Männer hatten die beiden, aber …«, sagte die Stimme verärgert, gut eine Minute nach dem das Telefon geklingelt hatte.

»Aber was? Es ging schief, richtig?«, mutmaßte Keller.

»Wir wissen im Augenblick nicht mehr, wo genau sich die beiden jetzt aufhalten. Sie könnten überall sein … vielleicht aber auch nicht. Du wirst dich darum kümmern?«

Keller sagte nichts.

»Du findest die Kugel für mich und ich sorge dafür, dass du am Strand von was weiß ich wo … bis zu deinem Lebensende Tequila schlürfen kannst. Was sagst du dazu?«

»Ich will keinen Tequila am Strand. Wenn ich diese Kugel habe und sie tatsächlich Zeitreisen möglich macht, werde ich erst einmal in die Zukunft reisen. Ich will sehen, was sie mir zu bieten hat.«

»Du hast mich offensichtlich nicht richtig verstanden. Du wirst damit nirgendwo hinreisen! Du wirst sie schön mir übergeben, andernfalls bringen wir dich gleich wieder dahin zurück, woher wir dich geholt haben! Nur damit das klar ist«, bellte ihn die Stimme an.

»Na schön, wie du willst, aber nur unter einer Bedienung.«

»Du bist zwar nicht in der Position Bedienungen zu stellen, aber schön, ich höre.«

»Ich mache das alleine. Ich habe mit den beiden noch eine Rechnung offen.«

»Wie willst du das anstellen? In dem Hotel wimmelt es nur so von Polizisten.«

»Genau deshalb mache ich es auch alleine. Deine Affen wären mir nur im Weg. Ich komme da schon rein«, war sich Keller sicher.

»Wie ich vorhin schon erwähnte, zwei unserer Leute haben das gleiche versucht. Sie wollten die beiden übers Dach rausschaffen, wurden aber von der Polizei überrascht.«

»Verstehe. Nun macht mich endlich los.«

Das Deckenlicht ging an.

»Was ist das hier, eine Schule?«, sah Keller sich um.

»Unwichtig«, antwortete die Stimme hinter ihm.

Der Mann vor ihm stand auf und rückte den Stuhl zurück an eine Schulbank.

»Bau ja keinen Mist, hörst du, sonst war’s das endgültig für dich!«.

Plötzlich war ein lautes Scheppern zu hören.

»Was war das?«, schreckte die Stimme auf und der Mann vor Keller sah sofort nach, kam aber gleich wieder zurück.

»Nur eine Katze. Die Penner, die hier ihren Unterschlupf gefunden haben, füttern immer diese Mistviecher«, erklärte er und löste Kellers Fesseln.

»Die füttern Katzen, obwohl sie selbst nichts haben?«, fragte die Stimme.

Gleich als Keller frei war, sprang er blitzartig hoch und drehte sich um.

»Du!?«, riss er die Augen auf.

»Ja ich … und jetzt Abmarsch!«, forderte ‘Du’ und reichte Keller ein Handy und einen Autoschlüssel. »Der Wagen ist neu, also pass auf ihn auf.«

Das Telefon klingelte nochmals.

»Augenblick«, vertröstete ‘Du’ seinen Anrufer nach der Gesprächsannahme und ging vor Keller aus dem Gebäude, wo ein Hubschrauber und ein Auto bereitstanden. »Du nimmst den Wagen. Das Handy, was ich dir eben gegeben habe, ist abhörsicher.«

»Ich war mir sicher, du bist längst in Südamerika.«, sagte Keller.

»Das war der Plan ja, aber als ich den Artikel über die Kugel gelesen habe, änderte sich alles für mich. Wenn das stimmt, was in dem Artikel steht, ist das meine Chance und die lasse ich mir auf keinen Fall entgehen. Also los jetzt und vergiss nicht, meine Jungs behalten dich im … Was … nein, nein, nicht du?«, wiegelte er seinen Gesprächspartner am Ohr ab, der scheinbar sich damit meinte. »Ist das sicher? … Hm, okay, melde dich wieder, wenn du mehr weißt.« Hastig drückte er das Gespräch weg. »Warte, hör zu«, streckte er eine Hand zu Keller aus. »Hör zu, ich habe gerade erfahren, dass die Kugel inzwischen auf dem Weg nach Bayern sein soll?«

»Bayern? Machst du Witze? Was soll das heißen, Bayern?«

»Diese Karlovski soll die Kugel an eine Freundin in Bayern geschickt haben. Wohin genau weiß ich nicht und ob das stimmt oder nicht … keine Ahnung«, zuckte er mit den Schultern. »Es könnte natürlich auch nur ein Ablenkungsmanöver sein.«

Keller hob nur stumm die Hände halb hoch.

»Ein Hotelbursche bekam vom Frontmanager ein Päckchen übergeben.«

»Und weiter?«

»Seine Worte waren: ‘Diese Kugel muss umgehend zur Post gebracht werden’.«

Keller sagte nichts.

»Jeder, der sich zu diesem Zeitpunkt im Foyer aufgehalten hat, konnte das gar nicht überhören, verstehst du? Sollte da also was dran sein, werde ich dich umgehend informieren.«

»Okay, aber wie kommst du auf Bayern?«

»Weil unser Mann Teile des Empfängers lesen konnte. Postleitzahl und Name.«

»Ich werde trotzdem erst mal in dieses Hotel einchecken«, schüttelte Keller den Kopf. »Eine genaue Adresse in Bayern hast du ja nicht, oder?«

»Einchecken? Vergiss nicht, du bist ein gesuchter Verbrecher.«

»Du auch«, nickte Keller.

»Sollte ich die genaue Adresse erfahren, lasse ich es dich als ersten wissen.«

»Du meinst als Zweiter.«

‘Du’ gab dem Piloten im Helikopter ein Handzeichen.

»Du bist doch der Erste.«

»Sehr witzig«, schüttelte ’Du’ den Kopf und steckte sein Smartphone weg. »Jetzt muss ich aber und du beschaffst die Kugel. Vergiss nicht, meine Jungs behalten dich im Auge.«

Keller sagte nichts.

»Versuch nicht, mich reinzulegen!«, schrie ’Du’ gegen den inzwischen gestarteten Helikopter an und stieg nach seinem Begleiter ein.

»Wie erreiche ich dich?«

»Gar nicht, ich erreiche dich über das Handy, das ich dir gegeben habe.« ’Du’ zog die Tür am Hubschrauber von innen zu und flog davon.

Kapitel 8

Kapitel 8

 

Thomas nahm die Handschellen, die Engelmann ihm reichte und fesselte die beiden Männer damit ans Geländer.

Ein Telefon klingelte.

»Das nehme dann mal ich«, nickte die Polizistin, ohne ihre Waffe herunterzunehmen. Routiniert zog sie dem Geiselnehmer das klingelnde Handy aus der Innentasche seines Sakkos. »Hallo?«, fragte sie.

Der Anrufer legte, ohne zu antworten, sofort wieder auf.

»Unbekannt.« Sie schaute schulterzuckend auf das Smartphone, bevor sie es einsteckte.

 

»Also, was ist los?«, fragte Thomas, der mit Alina wenig später auf der Rückbank des zivilen Polizeiwagens Platz genommen hatte.

»Später«, nickte Engelmann und nahm ihr Smartphone. »Harald, ich hab’ die beiden … Allerdings … Milan und Steinberg sind tot«, schluckte sie. »Und die, die dafür verantwortlich sind, sitzen zur Abholung bereit beim Ausgang zum Dach des Hotels. Kannst du dich darum kümmern, dass sie abgeholt werden?« Nachdem sie das gesagt hatte, hörte sie Harald für wenige Momente zu, startete dabei aber den Wagen. »Oh nein, auch das noch«, lies sie sich zurück in den Sitz fallen, beendete das Gespräch und fuhr los.

»Was ist passiert?«, wollte Alina wissen.

»Es reißt nicht ab«, schüttelte die Polizistin den Kopf.

Thomas runzelte die Stirn.

»Reden Sie schon mit uns!«, beharrte Alina energisch auf eine Erklärung und beugte sich nach vorne.

»Ich werde Sie jetzt erst mal in Sicherheit bringen, okay? Dieser Artikel in der Zeitung hat ganz schön Wirbel verursacht und jetzt sind alle hinter Ihrer Kugel her, wie der Teufel hinter der armen Seele.«

»Welcher Artikel, wovon sprechen sie?«

»Das wissen Sie nicht?«

»Nein, würde ich sonst fragen?«

»24FNS hat in einem Artikel behauptet, dass Sie eine Kugel gefunden haben, mit der Zeitreisen möglich sind.«

»Oh, nein«, sagte Thomas.

»Oh, doch. Sie haben die Kugel nach Bayern geschickt. Ist das richtig?«

Alina sah Thomas an, lehnte sich wieder zurück und antwortete: »Das ist richtig, ja.«

Engelmann drehte etwas den Rückspiegel und tauschte mit den beiden einen stummen Blick, als sie an einer roten Ampel stehenblieb.

»Wo fahren wir hin?«, erkundigte sich Thomas.

»Vor einer Stunde wurden an allen Polizeistationen in Frankfurt Sprengsätze gezündet. Es war offensichtlich nur ein Ablenkungsmanöver.«

»Was denn für ein Ablenkungsmanöver?«, fragte Alina überrascht.

»Das war also das Beben vorhin in unserem Zimmer«, stutze Thomas.

»Na schön«, nickte Engelmann. »Keller wurde befreit. Sie müssen Ihren Bruder anrufen. Ich fürchte, er ist auch in Gefahr.«

»Wie bitte!?«, schreckte Thomas vor.

»Machen Sie sich keine Sorgen«, versuchte die Polizistin wieder zu beruhigen. »Wie schon gesagt, ich bringe Sie jetzt erst mal in Sicherheit. Dann sehen wir weiter.«

»Oh Mann.« Thomas fuhr sich über den Kopf.

»Herr Becker, haben Sie verstanden, was ich gesagt habe? Rufen Sie Ihren Bruder an … Jetzt!«

Thomas nahm sein altes Telefon und wählte Ralfs Nummer.

»Anrufbeantworter.«

»Okay. Versuchen Sie es nochmal und wenn er wieder nicht dran geht, sprechen Sie ihm auf die Mailbox, okay?«

»Und was soll ich sagen?«

»Sagen Sie ihm, dass wir ihn gleich abholen.«

Thomas wählte erneut die Nummer seines Bruders und sprach auf den Anrufbeantworter, der sich nach dem zweiten Klingeln eingeschaltet hatte: »Hallo Ralf, wenn du das abhörst, bitte rufe mich sofort …«

»Thomas?«

»Ja, ich bin’s. Hör zu, es ist etwas passiert. Du musst …«

»Geben Sie ihn mir!«, drängte sich Engelmann mit einer Hand nach hinten greifend in das Gespräch.

»Warte, Ralf. Ich gebe dich weiter.«

Die Polizistin schaute für eine Sekunde überrascht auf das alte Teil, bevor sie es sich ans Ohr hielt. »Hallo, Herr Becker … Herr Ralf Becker?«, wollte sie bestätigt wissen. »Wie, Sie sind in einem Gefecht? Was soll das heißen?« Sie stellte das alte Telefon auf laut.

»Ich bin gerade in meiner Trainingsstunde. Ich erlerne das Fechten, verstehen Sie? Das lenkt mich von meiner Trauer ab.«

»Tut mir leid, Sie stören zu müssen, aber …«, entschuldigte sie sich, stellte den Lautsprecher ab und wollte von ihm wissen, wo sie ihn abholen sollte. Danach reichte sie Thomas das Telefon wieder nach hinten. »Ich wusste gar nicht, dass es noch so alte Dinger gibt.«

»Immerhin hat das alte Ding uns mal das Leben gerettet. Ralf … Hallo.«

»Tut mir leid, ich hatte schon aufgelegt«, erklärte die Kriminalkommissarin und bog zügig rechts in eine Straße ein. »Ihr Bruder erlernt das Fechten, wussten Sie das?«

»Nein, keine Ahnung.«

»Aber ich«, nickte Alina. »Und er ist sehr gut darin. Ich hoffe, es hilft ihm über den Schmerz …?«

»Was sind das für Schmerzen?«

»Er hat seine große Liebe verloren.«

»Oh, das tut mir leid.«

Kapitel 9

Kapitel 9

 

Zwei Tage nach dem Bombenanschlag auf die Polizeireviere saß Harald Berglander an seinem Schreibtisch und kritzelte nervös ‘Keller’ auf seinen Kalender.

Die Tür ging auf.

»Engelmann … ich meine Jessy? Was machst du hier, heute ist Sonntag?«, war er völlig überrascht und sah auf die Uhr, die ihm zehn Minuten nach neun anzeigte. »Woher weißt du, dass ich da bin … Oh, wie ich sehe, hast du sogar Kaffee mitgebracht?«

»Deine Frau hat mir gesagt, dass ich dich hier finde«, antwortete sie und hob zwei gefüllte Kaffeebecher hoch. »Glaubst du, nachdem was da passiert ist, feiere ich gemütlich Wochenende? Ich habe gesehen, die Handwerker sind auch da.«

»Ich weiß, die sind schon seit gestern Morgen da. Sie arbeiten rund um die Uhr, damit hier schnell wieder Normalbetrieb einkehrt. Soll ich dir mal was sagen? Ich hätte auch Handwerker werden sollen.«

»Du? Kannst du überhaupt mit einem Hammer umgehen?« Jessy verzog die Mundwinkel und reichte ihrem Chef einen der beiden Becher.

»Warum denn nicht? Du wirst lachen, aber ich bin sogar sehr gut darin. Ich habe unser altes Haus ganz alleine umgebaut. Zwischenwände mit Rigips eingezogen. Die Decken mit Rigips abgehängt und alles geweißelt, verstehst du? Rigips ist eine feine Sache und hat einen typisch eigenen Klang.«

»Okay.«

»Na schön, lassen wir das«, meinte Berglander. »Zwanzig Kollegen sind tot, siebzehn schwerverletzt, drei liegen im Koma und die Polizeistationen liegen in Trümmern. Den Knast nicht zu vergessen … und ich Idiot quatsche hier von Rigips.« Er schaute sie verwirrt an. »Wie kam ich da jetzt überhaupt drauf?«

»Wegen der Handwerker.«

»Ach so, ja, stimmt«, winkte der Kriminaler ab. »Die haben den Knast mit einer Panzerfaust, Maschinengewehren und unzähligen Handgranaten kurz und klein gebombt. Kannst du dir das vorstellen? Eins sage ich dir. Wer auch immer hinter dieser Aktion steckte, der hat Geld … sehr viel Geld.«

»Und Macht.«

»Und Macht … Und wir haben dafür eine Kaffeemaschine«, deutete er mit dem Kinn auf eine kleine, nicht mehr taufrische Maschine auf der Fensterbank.

»Ja, Harald, aber die ist schon eine Weile kaputt, oder?«. Sie hielt ihm noch immer einen der beiden Kaffees vor die Nase.

Mit einem »Danke« nahm er ihn entgegen.

Jessika stellte sich neben ihren Vorgesetzten und las das Gekritzelte auf seinem Kalender laut vor: »Freitag der Dreizehnte. Ein Glück, das heute Sonntag der Fünfzehnte ist.«

»Glaubst du etwa an so einen Mist?«, sah er sie an.

»Nicht wirklich … nein. Gibt es schon was Neues von Keller?«

»Leider nein, der ist untergetaucht«, antwortete er. »Wir müssen das Schwein schnellstens wieder schnappen. Apropos, sind die beiden in Sicherheit?«

»Ja, die sind an einem sicheren Ort.«

»Sehr gut.«

»Hast du eine Idee, wer ihn befreit hat und wo er jetzt vielleicht sein könnte?«, kratzte sich Berglander an der Stirn.

»Keine Ahnung«, zog Jessy die Schultern hoch. »Mir gruselt es, wenn ich nur daran denke, dass dieser Kerl mal ein Kollege war. Der ist total kaputt«, schüttelte sie den Kopf, öffnete eine Schublade an ihrem Schreibtisch, holte einen Notizblock heraus und steckte ihn sich in die Gesäßtasche ihrer Bluejeans.

Der Kriminalist entfernte zwischenzeitlich den Deckel an seinem Kaffeebecher.

»Warum machst du den ab, das ist doch praktisch mit dem kleinen Schlitz im Deckel?«, wunderte sich die Kommissarin.

»Keine Ahnung … Wenn ich durch diesen Schlitz trinke, habe ich immer das Gefühl, dass ich an einer Babytasse nuckle.«

Berglanders Tischtelefon klingelte und er nahm ab.

Konzentriert auf den Anrufer, gönnte er sich einen großen Schluck seines Kaffees. »Scheiße, ist der heiß«, fauchte er in der nächsten Sekunde und prustete ihn quer über den Tisch.

Engelmann schüttelte nur den Kopf.

»Oh nein?«, sprang er auf. »Was will … Bitte nicht … Wie konnte …«, ließ er enttäuscht den Hörer fallen. »Das gibts doch alles nicht. Das darf es einfach nicht geben«, schrubbte er sich über den Kopf, ging ans Fenster, stützte sich auf die Fensterbank ab und sah hinaus.

»Was ist passiert?«

»Wir brauchen Keller nicht mehr suchen. Er schlug mehrfach mit der Faust auf das Fensterbrett.

»Und wieso nicht? Okay Harald, was zum Teufel ist …?«

Ein junger Polizist öffnete einen Spalt breit die Tür und sagte: »Guten Morgen, ihr sollt zum Chef …«

»Wie, der ist auch hier … Heute?«, starrte Jessy den Kollegen an.

»Jetzt nicht!«, knurrte Berglander und setzte Engelmann über den Anruf ins Bild.

 

»Hartmut … Keller die Ratte hat …«, legte der Kriminalist im Büro seines Chefs gleich los.

»Wie, ihr wisst es schon?«, fiel ihm Hartmut Weiß überrascht ins Wort und legte den Hörer, den er in der Hand hielt, auf. »Ich habe es auch erst vorhin erfahren und nachdem ich dich zuhause anrief, sagte mir deine Frau, dass du hier bist.«

Berglander und Engelmann tauschten einander die Blicke.

»Keller …« Der Dienststellenleiter rieb sich die Stirn und stand auf. »Dieser Schweinehund tauchte in diesem Hotel auf und ... Das ist doch kein Zufall.«

»Was will er dort? Ich meine, die beiden sind da nicht mehr?«, hob Engelmann die Hände halb hoch.

»Ich weiß und Keller weiß das auch«, stöhnte der Chef.

»Verstehe ich nicht, was will er dann dort?«, hakte sie nach und warf einen Blick aus dem Fenster. »Also los, fahren wir hin und nehmen den Mistkerl fest?«

»Das ist nicht so einfach. Er hat Geiseln.«

»Oh Mann«, meinte Berglander. »Und … wissen wir schon, was er will?«

»Was wohl?«, nickte der Dienststellenleiter. »Er verlangt, dass wir ihm unverzüglich diese Karlovski und die Beckerbrüder ausliefern.«

»Der war doch selbst ein Bulle und weiß ganz genau, dass wir auf solche Forderungen nicht eingehen werden?«, schaute Berglander fragend seinen Chef an.

»Und wenn wir das nicht machen?«, wollte sie wissen.

»Liegt das nicht auf der Hand? Er hat Geisel. Was glaubt ihr, was er mit denen macht?«

Sie sagte nichts.

»Hartmut, du wirst doch nicht auf diese Forderung eingehen?«

»Natürlich nicht«, versicherte Weiß sofort. »Aber wie gesagt, der Mistkerl hat Geiseln.«

»Wir brauchen das SEK«. Berglander stützte sich auf dem Schreibtisch ab.

»Schon geschehen, die sind sogar schon vor Ort, wie ich gerade erfahren habe«, bestätigte Weiß, öffnete eine Schublade und holte seine Dienstpistole heraus.

»Worauf warten wir dann noch?«

»Hör zu Harald, du wirst den Einsatz leiten, alles Weitere unterwegs«, erklärte der Dienststellenleiter und deutete auf Engelmann. »Sie schaffen die Beckerbrüder und diese Karlovski her, alles klar?«

Jessy zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Wollen Sie die jetzt doch ausliefern?«

»Großer Gott nein. Ich will sie einfach nur dabei haben, man kann ja nie wissen.«

Berglander sah schulterzuckend seine Kollegin an. »Er ist der Boss.«

»Schön, dass du dich daran noch erinnerst«, quetschte Weiß ein Grinsen hervor, stand auf und ging zur Tür.

Der Kriminalhauptkommissar lockerte seine Krawatte und trat zuerst aus dem Büro.

 

Als Weiß und er wenig später am Hotel Friedberger Warte eintrafen, waren schon sämtliche Straßen und Kreuzungen rund um das Gebäude mit zivilen Fahrzeugen und Streifenwagen der Polizei regelrecht vollgepflastert.

Ein speziell ausgebauter Bus fungierte als mobile Einsatzzentrale vor Ort.

Hier begrüßte Kindermann, der Gruppenleiter des Spezialeinsatzkommandos, den Kriminalhauptkommissar Harald Berglander, sowie dessen Chef und klärte die beiden gleich über die aktuelle Lage auf.

»Der Geiselnehmer hat sich vor vier Minuten gemeldet. Er sagte, seine Geduld sei nicht grenzenlos«, deutete Kindermann auf die Monitore, vor denen zwei Beamte mit Kopfhörern saßen.

»Das war alles?«, fragte Berglander und sah dabei auf die Bildschirme, auf welchen man den Vorder- und Hintereingang, sowie die Straßen um das Hotel herum gut sehen konnte.

»Meine Männer sind in Position, von mir aus kann es losgehen«, nickte Kindermann.

Berglander tippte einem der beiden Beamten auf die Schulter.

Dieser drehte sich zu ihm um und nahm seinen Kopfhörer ab.

»Haben wir vielleicht auch ein Bild vom Inneren des Hotels?«, fragte ihn der Kriminalhauptkommissar.

»Leider nein. Wir haben natürlich versucht, die Kameras im Inneren des Hotels anzuzapfen, aber offenbar wurden alle abgeschaltet.«

»Ihr seid doch Profis, könnt ihr die nicht einfach wieder anknipsen?«

Das Telefon klingelte und Kindermann wollte abnehmen. Berglander hinderte ihn daran, in dem er eine Hand auf den Hörer legte: »Ist er das?«

»Ja.«

»Okay, wenn es in Ordnung geht, übernehme ich das?«

Kindermann sah zu Weiß, der zustimmend genickt hatte.

»Holger, richtig? Ich bin’s, Hauptkommissar Berglander.«, meldete sich der Polizist und hielt permanent Blickkontakt mit seinem Dienststellenleiter.

Kindermann drehte den Lautsprecher an, so dass alle das Gespräch mitverfolgen konnten.

»Ah, Kriminalhauptkommissar Harald Berglander, welch eine Ehre.«

»Ich schlage vor, dass wir den Smalltalk lassen, was willst du?«

»Das wissen Sie doch, ich will diese Schlampe und die Beckerbrüder und ich will …«

»Hör zu, du warst selbst Polizist und daher solltest du doch selbst wissen, dass wir nicht so einfach irgendwelche Leute auslie …«

Plötzlich fiel ein Schuss. Alle im Einsatzbus zuckten zusammen und tauschten erschrocken die Blicke.

»Was war das?«, fragte Weiß geschockt und fuhr sich über den Kopf.

»Scheiße!« Berglander nahm den Hörer kurz runter.

»Das ist Ihre Schuld nicht meine.«, dröhnte Kellers Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich sag Ihnen was. Es ist jetzt zwanzig nach neun. Ich werde ab sofort alle zwanzig Minuten eine weitere Geisel erschießen, bis meine Forderungen erfüllt werden. Haben Sie das verstanden?«

Berglander schaute auf seine Uhr. Sie zeigte dieselbe Zeit. »Hör zu, Junge. Was hältst du davon, wenn ich zu dir reinkomme. Du lässt die Geiseln frei und wir reden in Ruhe über alles. Du willst, dass wir dir Zivilisten ausliefern, ob…«

Klick.

»Hallo … hallo?« Der Kriminalist schaute auf den Hörer. »Er hat aufgelegt.«

 

Das Telefon klingelt erneut und Berglander nahm das Gespräch sofort an.

»Und diese Schlampe … Sie verschwenden Ihre und meine Zeit. Die Uhr tickt. Entweder Sie schaffen sie her, oder die nächste Geisel ist tot. War das jetzt deutlich genug? Ach ja, damit ich es nicht vergesse, wenn Kindermann … der steht doch sicher neben Ihnen, oder?«

Berglander und Kindermann sagten nichts.

»Also wenn Kindermann oder sonst einer von euch auf irgendwelche dummen Ideen kommt, Gasbomben, Scharfschützen oder sonst irgend einen Scheiß einzusetzen, dann sind die nächsten zwanzig Minuten in zwei Sekunden um. Ich denke, wir verstehen uns.«

Klick.

»Aber … hallo … hallo?«

»Er hat schon wieder aufgelegt«, seufzte Kindermann.

Es klingelte erneut und der Kriminalhauptkommissar griff sofort nach dem Hörer.

»Schaffen Sie wie gesagt die Leute her und vergessen Sie nicht mein Überraschungsei.«

»Was denn für ein Überraschungsei?«, wunderte sich Berglander.

»Lesen Sie denn keine Zeitung? Außerdem wissen die schon, was ich meine. Sagen Sie es ihnen einfach. Sie haben noch achtzehn Minuten bis zum nächsten …«

Klick.

»Wovon spricht dieser Irre? Was meint der mit Überraschungsei und welche Zeitung?«, fragte Weiß.

Berglander sah abwechselnd Kindermann und seinen Chef an und strich sich übers Haar. »Hartmut, erinnerst du dich,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 14.05.2022
ISBN: 978-3-7554-1374-5

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